Wer Fliesen bekam, der war froh
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Wer Fliesen bekam, der war froh
© Verlagsgesellschaft Rudolf Müller GmbH & Co. KG, 2013 Köln. Jede Vervielfältigung und Verbreitung ohne Zustimmung des Verlags ist unzulässig. BRANCHE Wer Fliesen bekam, der war froh Historische Fliesen/Teil 4 ◾ Die Produktion von Fliesen war in der Zeit von 1938 bis 1948 wegen des Rohstoffmangels stark eingeschränkt und teilweise auch komplett eingestellt. In den 1950er Jahren begannen die Fliesenwerke dann wieder mit der Herstellung der bekannten gelblichen Industriefliesen. Konrad Schittek Diese Industriefliesen bestanden aus diversen preiswerten Tonmassen und Schamottebrocken. Danach kamen die Majolika-Fliesen, das heißt durchsichtige Buntglasuren, einfarbig oder geflammt: In blau, türkis und rosaglänzend, auch schwarz und dunkelrot wurden diese Serien von 1950 bis 1992 in riesigen Mengen verkauft. Von Hand verpackt kam zwischen jede Platte ein Seidenpapier, damit die hochglänzenden Oberf lächen nicht verschrammten. Der Zeitgeschmack war noch sachlich und zweckmäßig, die Auswahl klein und die Kunden waren nicht wählerisch, sondern froh, wenn sie Ware bekamen. Diese wurde an die wenigen Fliesenfachgeschäfte in schweren Holzkisten ausgeliefert. Dekore, Schmuckflie- sen mit Blumen oder Ähnlichem waren noch nicht bekannt. Auf den Böden wurden einfarbige Fußbodenplatten in 10 x 10 Zentimetern verlegt – vielfach in helldunkel schachbrettartig. Mosaike waren sehr beliebt Anfang der 1960er Jahre begann der Mosaikimport nach Deutschland. Aus Japan kamen hochwertiges Mosaik und Wandfliesen, auch Korea lieferte Mosaik. Thailand aber hatte das größte Werk mit zehn Brennöfen. Kleinmosaik in 2 x 2 Zentimetern, Kombimosaik, überwiegend unglasiert, erwies sich als ideal für Altbau-Sanierungen, wurde aber auch im Neubau verwendet. Auf Papier und später auf Netzmatten geklebt, ist es gut geeignet für unebene Böden, kleine Räu- me, Säulen und so weiter. Die Mosaiken waren zu 30 Tafeln, das waren 2,8 Quadratmeter, in schweren Pappkartons verpackt. Vom LKW wurden sie mit Laufband und Sackkarre befördert. – Eine harte Arbeit, Stapler gab es noch selten. Auch V&B und vor allem die Firma Jasba stellten glasierte Mosaike her; ihre Beliebtheit war über zwei Jahrzehnte ungebrochen. Fliesen mit Zementmörtel ansetzen Für die Wand erschien ein erstes neues Fliesenformat: 10,8 x 10,8 Zentimeter groß und nur noch fünf Millimeter stark waren die neuen hochglänzenden, mit bunten Mustern bedruckten Fliesen. Die neue Dekortechnik des Siebdrucks machte es möglich. Sie fanden hauptsächlich in Bädern und Küchen der Neu- Fotos: Schittek 2 1 56 3 fliesen & platten 10.2013 © Verlagsgesellschaft Rudolf Müller GmbH & Co. KG, 2013 Köln. Jede Vervielfältigung und Verbreitung ohne Zustimmung des Verlags ist unzulässig. BRANCHE bauten Verwendung. Auch das beliebte Standardformt 15 x 15 Zentimeter wurde weiter produziert und verlegt. Die Produktion verdoppelte sich und die Belegschaft arbeitete sieben Tage in der Woche. Bis in die Mitte der 1960er Jahre wurden die Fliesen mit Zementmörtel angesetzt, danach begann die Zeit der Dünnbettmethode. Ende der 60er Jahre eröffneten die ersten Baumärkte. Sie verkauften günstige Importware aus Italien. In den 70ern war es bunt und schrill In den 70er Jahren blieb es weiter modisch bunt und schrill in kräftigen Farben mit Halb- und Volldekoren, uni und geflammt, Reflexfliesen auch im Format 10 x 20 Zentimeter. Dicke farbige Glasuren, die zum Teil nass in nass zusammengebracht wurden, ließen bizarre Formen Flammungen und Muster entstehen. Viele dieser wunderschönen Glasuren konnten später in den Schnellbrandöfen nicht mehr hergestellt werden. Als Böden gab es immer noch die seit Jahrzehnten bewährten durchgefärbten Steinzeuge sowie Kombinationen von größeren Quadraten mit umlaufenden Spitzriemchen, glasiertes Mosaik, Klinkeretten, Florentiner und Rundmosaik in rustikalen Braun-, Grün- und Rottönen bis hin in die 80er Jahre. Fliesen waren absolut „in“: Bad, Dusche, Gäste-WC, Diele/Garderobe, Treppenhaus, Küche, Essecke, Wohnraum, Hausbar, Hobbyraum, Heizungskeller, Waschküche, Balkon, Terrasse, Garage und vieles mehr – am besten alles deckenhoch gefliest. Technischer Sprung in die Neuzeit Eine erste Großplattenserie entstand mit Formaten bis 120 x 120 Zentimeter: die Bodenplatten der Serie „Keraion“, nur acht Millimeter stark, und der Serie „Keraflair“ für die Wand mit nur 2,5 Millimetern dünn wie Pappe – eine technische Innovation, die ihrer Zeit voraus war. Rustikale Spaltplatten und Riemchen, beige und braune Töne, angeführt von Importf liesen mit Fließkante in 20 x 20 Zentimetern gehörten zeitgleich zum Angebot. Ende der 70er Jahre stand ein wichtiger technischer Sprung bevor: Es gab neue Öfen und Brennverfahren. Im Schnellbrandrollenofen wurden die Fliesen neuerdings im Einbrandverfahren hergestellt. Sie liefen über Transportbänder durch die herabfließende Glasur, die mit nur noch 0,4 Millimetern aufgebracht wurde. Neu war auch der Rotocolordruck: Siebdrucktrommeln, die ununterbrochen die darunter ent la nglaufenden Roh linge bedruckten. Der Autor Konrad Schittek, Lithograph und Kunstmaler, betreibt seit 1977 eine eigene Fliesen produktion in Kleinserien, handgefertigt und bemalt sowie Reproduktionen von Industriefliesen. Parallel dazu hat er ein Altfliesenlager für Reparaturzwecke aufgebaut. www.fliesenhandel-schittek.de www.fliesenundplatten.de Schlagwort für das Online-Archiv Fliese (historische) 1 Ein klassisches Gäste-WC aus den 1970er Jahren. Verlegt wurden V&B „Vulkan Bernstein“ und Jasba-Mosaik. 2 So sahen Bodenbeläge in der 1970er Jahren aus. Hier die Bodenfliese „Wiking“. 3 Mosaikfliesen wie diese waren um 1960 der Renner. 4 Bad aus den 1950er Jahren: Die Sanitärausstattung war farbig, die Fliesen einfarbig. 4 fliesen & platten 10.2013 57