Lass uns Brooklyn spielen

Transcription

Lass uns Brooklyn spielen
12.07.2013 Der Tagesspiegel – Kultur, ein Beitrag von Anna Pataczek
Lass uns Brooklyn spielen
Schöneweide entwickelt sich zum Kreativzentrum. Das Festival Kunst am Spreeknie
gibt einen Einblick.
Fast hätte die ganze Welt auf Schöneweide geschaut. Ai Weiwei hatte sich Anfang 2011 für eine
Industriehalle auf dem ehemaligen AEG-Gelände interessiert. Aus den Plänen wurde nichts. Gerüchten
zufolge zieht es den chinesischen Starkünstler zukünftig doch eher in den Prenzlauer Berg. Für
Schöneweide ist damit nichts verloren. Denn der schon seit langem viel beschworene Aufschwung zum
Kreativ- und Kulturstandort ist endlich da. Zumindest mehren sich die Zeichen.
Thorsten Knaaks roter Sommerhut leuchtet auch im dunklen Inneren des ehemaligen Umspannwerks
Oberspree. Mehrere Meter über ihm schwebt eine schwere Krananlage und in seinem Kopf wahrscheinlich
gerade viele Ideen, wie sich hier auf dem denkmalgeschützten Gelände , das 20 Jahre lang leer stand und
von der Natur überwuchert ist, sein Traum erfüllen lässt.
Platz für Ideen. Ziseleurmeister Thorsten Knaack im ehemaligen Umspannwerk Oberspree, in dem er eine
Gießerei eröffnen wird. Beim Festival läuft hier eine Ausstellung. Foto: Georg... - Foto: Georg Moritz
„Ich habe mich sofort in das Gebäude verliebt,“ sagt Knaak. Er war Werkstattmeister in der Berliner
Bronzegießerei Noack. Nun will er hier im Herbst seinen eigenen Betrieb mit zehn bis zwanzig Mitarbeitern
eröffnen. Der Ziseleurmeister mit dem spitzen Bärtchen ist bekannt, denn bei Noack lässt von Georg Baselitz
über Jonathan Meese und Neo Rauch die gesamte Branche gießen. Weltweit gibt es nicht mehr viele
Gießereien. Knaak wird internationale Kundschaft nach Schöneweide bringen. Doch zuvor stellt er die Hallen
für eine Kunstschau zur Verfügung. Der irische Bildhauer John Power hat eine Runde durch Schöneweides
Ateliers gedreht und Künstler ausgesucht, die er hier im Rahmen von Kunst am Spreeknie präsentieren wird.
Es ist nur eine von vielen Ausstellungen des zehntägigen Festivals. Es findet bereits zum sechsten Mal statt,
war aber noch nie so groß. An drei Stationen gibt es Vernissagen, Performances, offene Studios und Läden,
Lesungen und Konzerte. Ein Shuttleschiff schippert die Besucher von der East-Side-Gallery und zwischen
den einzelnen Standorten hin und her.
Los geht es mit einer Werkschau von Studenten der Hochschule für Technik und Wirtschaft, die 2009 einen
neuen Campus in Oberschöneweide eröffnet hat. „Die Nachbarschaft schaut uns oft an, als seien wir von
einem anderen Planeten“, sagt Design-Student Peter Kessel. Er hat mit Kommilitonen die Agentur „Sehen
und Ernten“ gegründet und sich für ein Ladenlokal mitten im Kiez entschieden. Manchmal kommen
Passanten herein und fragen, was die jungen Leute eigentlich so treiben. Dann können sie ihnen zum
Beispiel das Festivalplakat zeigen, das sie entworfen haben. Schwarz, gelb, knallig. Die meisten Künstler,
denen Peter Kessel den Entwurf gezeigt hat, fanden das gut. Das Layout erregt Aufsehen. Und das ist
genau das, was sie jetzt brauchen. Für viele ist Schöneweide ganz schön weit draußen.
Dennoch: „370 Künstler, Designer, Handwerker und Dienstleister im kulturellen Sektor haben sich
inzwischen angesiedelt“, schätzt Marlene Lerch vom Netzwerk Kultur- und Kreativwirtschaft Schöneweide.
Und das dürften noch nicht mal alle sein. Dazu kommen über 1000 Studierende der HTW. Das Netzwerk
wurde im vergangenen Jahr gegründet, um noch stärker auf die Belange der schon Ansässigen einzugehen,
aber auch, um für den Standort zu werben. „Wir überlegen uns, wie wir uns an der Art Week im Herbst
beteiligen können“, sagt Lutz Längert, Initiator von Kunst am Spreeknie. Und was fehlte bisher? Warum ist
die Gegend mit ihren vielen leer stehenden Industriebauten aus der Jahrhundertwende bei der Berliner
Atelierknappheit nicht schon längst durchgestartet?
Wenn man Antje Croton fragt, wie man Künstler am besten hierher locken könnte, dann erzählt sie von
Muffin-Cafés und Bioläden. Es mangelt an Infrastruktur. An dem, was den Kiez lebenswert macht. Antje
Croton muss es wissen. 13 Jahre hat sie in New York gelebt – und erlebt, wie sich das Viertel Dumbo (kurz
für Down Under the Manhattan Bridge Overpass) entwickelte. Dort, in Brooklyn, im Schatten zweier großer
Brücken haben sich in den alten Industrieanlagen Ateliers angesiedelt. Heute ist Dumbo ziemlich angesagt.
Als die Mittvierzigerin zum ersten Mal am Ufer in Schöneweide stand, da hatte sie ein Déjà-vu: Die Spree,
das ist der Hudson! Und die Brücken, nun ja, die sind ein bisschen kleiner. Dennoch hatte Antje Croton sofort
Lust, diesen Ort mitzugestalten. Sie ist für die Vermietung der Rathenau-Hallen an der Wilhelminenhofstraße
zuständig. „Als ich vor vier Jahren anfing, habe ich drei Vermietungen im Jahr gehabt, heute sind es drei im
Monat.“ Die Fashion Week war schon zu Gast und immer wieder Filmteams, auch Hollywood. Weil man hier
so gut New York nachspielen kann, zwischen den ganzen Klinkerfassaden mit den rostigen
Treppenaufgängen.
„Costaweide“, so nennen MyLoan Dinh und Till Schmidt-Rimpler ihr neues Zuhause. 2010 sind die
vietnamesisch-amerikanische Malerin und der deutsche Choreograf auf das ehemalige Robotron-Gelände
gezogen. Sie finden, die Gegend hat viel von Costa Rica – daher der Name: den Entwicklungsbedarf, aber
auch die Lässigkeit. Ihr Grundstück ist grün überwuchert, bunte Kissen liegen auf den Gartenbänken, um die
Tür ihres barackenartigen Hauses windet sich ein Mosaik. Im Inneren hängen die heiteren Blumen- und
Landschaftsbilder von MyLoan. Die ehemalige Mensa des DDR-Computer-Herstellers hat sich in einen
lichtdurchfluteten Saal mit Tanzboden verwandelt.
„MoBe – moving poets Berlin“ haben die beiden ihr neues Zentrum genannt. Sie bieten Volkstanzkurse an,
es gibt Konzerte, und Künstler aus der ganzen Welt können ein Weilchen bleiben, um zu arbeiten. Zurzeit
sind Leute aus Kanada und der Schweiz zu Gast, demnächst kommt Besuch aus Bahrain. Finanziert wird
das vor allem über Spenden aus den USA. In Charlotte, North Carolina, haben sich die Moving Poets
gegründet und arbeiten an größeren Bühnenproduktionen. In Berlin suchen Dinh und Schmidt-Rimpler nun
nach Kooperationspartnern. Zum Spreeknie-Festival planen sie ein Wochenende unter dem Motto „Im Osten
viel Blaues“. Maler, Musiker und Performer sind eingeladen, sich mit Beiträgen rund um die Farbe Blau zu
beteiligen.
„Ich kann hier in Ruhe arbeiten“, sagt Sibylle Meister. Die Malerin ist vor einem Jahr in ein Atelier des
Berufsverbands Bildender Künstler neben den Rathenau-Hallen gezogen. An der Wand hängt eine grob
bestrichene Leinwand mit roten und grünen Farbfeldern, Pinsel stehen herum, Tuben. Auf dem Tisch liegt ein
Flyer für die nächste Schau, die sie in ihrer Produzentengalerie Icon in Mitte verteilen will. Und man ahnt:
Nur so kann Schöneweide wachsen, das immer noch unter seinem Image als Nazi-Hochburg und sozialen
Problemen leidet. Von innen heraus. Künstler müssen Künstler anziehen. Sibylle Meister hat das Fenster
ihres Studios weit geöffnet. Der Blick fällt auf die Spree, Ausflugsboote tuckern vorbei. Auf der
gegenüberliegenden Ufermauer steht in großen Lettern „Ich liebe dich!“ Könnte eine Liebeserklärung an
Schöneweide sein.
Festival Kunst am Spreeknie, 12.-21.6., Info: www.kunst-am-spreeknie.de

Documents pareils