Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Pressemitteilung

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Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Pressemitteilung
Wolfenbüttel, 8. Juni 2015
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
Forschungs- und Studienstätte für europäische Kulturgeschichte
Pressemitteilung
Körper und Stimme leiht die Schrift dem stummen Gedanken,
Durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das redende Blatt.
Friedrich Schiller (1759-1805), „Der Spaziergang“ (Fassung 1804)
Typo-Magie – Ein Nachruf auf den Schriftgestalter Hermann Zapf
8. November 1918 – 4. Juni 2015
Die Herzog August Bibliothek trauert um Hermann Zapf, den großen Schriftgestalter
und Kalligraphen, dessen Nachlass in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
verwahrt wird. Er ist am 4. Juni 2015 in Darmstadt verstorben. Seine Schriften wie
Palatino, Aldus und die Optima-Schriftfamilie sind in der westlichen Welt überall
präsent.
Im Jahre 1918 als Sohn eines Gewerkschafters in Nürnberg geboren, den die Nazis
aus seinem Beruf drängten, wurde dann auch der junge Hermann Zapf bald in seiner
beruflichen Ausbildung behindert. Er durfte sich sein Lehrfach – er wollte eigentlich
Elektroingenieur werden – nicht aussuchen und begann schließlich eine Lehre als
Retuscheur. Privat besorgte er sich als Jugendlicher Rudolf Kochs Buch „Das
Schreiben als Kunstfertigkeit“ und brachte sich selbst das Zeichnen von Schriften bei.
Früh wurden andere auf diesen begabten jungen Mann aufmerksam, so dass er
bereits mit 20 Jahren für die Schriftgießerei D. Stempel AG in Frankfurt am Main
arbeitete. In wenigen Jahren schuf er mit der Palatino eine wunderschöne Schrift, die
der 30-jährige 1949 vorlegte und welche die Welt des Druckes eroberte. Diese nach
dem Renaissancekünstler Giambattista Palatino und einmal als „sichere und
freundliche Schrift“ bezeichnete Schrift gehört bis heute zu den beliebtesten
überhaupt.
Hermann Zapfs Werk hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Typografie
in der ganzen westlichen Welt beeinflusst. Nicht zu trennen ist sein Werk von der
Begegnung mit der im Januar 1918 geborenen Gudrun von Hesse. Ohne sich zu
Antje Dauer, Pressesprecherin · Lessingplatz 1 · 38304 Wolfenbüttel
Telefon 05331-808213 · Telefax 05331-808165 · [email protected] · www.hab.de
kennen, hatten beide unabhängig voneinander dieselbe Leidenschaft, nämlich im
Selbst-Studium aus denselben Büchern alles über Schrift zu lernen; er in Nürnberg,
sie in Weimar. In Frankfurt schreibt Gudrun von Hesse einen Hölderlin-Text in einer
klassisch schönen Antiqua. Von ihr schneidet sie später selbst Prägestempel zum
Vergolden ihrer Einbände. Das Credo für ihre Bücher: Schriftentwicklung,
Gestaltung und Herstellung – alles aus einer Hand.
Im Jahr 1948 kommt es zu einer folgenreichen Begegnung. Bei einer Ausstellung am
Städel in Frankfurt präsentiert Gudrun von Hesse einen mit der Hand geschriebenen
Hölderlin-Text. Hermann Zapf und dem Direktor der Stempel AG gefällt diese
Schrift außerordentlich. Man beschließt, daraus eine Druckschrift zu entwickeln, die
Gudrun später ,,Diotima“ nennt. Wenige Tage später begegnen sich Hermann Zapf
und Fräulein von Hesse persönlich. Am 1. August 1951 wird geheiratet. Von beiden
geht eine die Schriften und die Typografie der Welt verändernde Bewegung aus. In
den folgenden Jahren entstehen von Hermann Zapf und Gudrun Zapf von Hesse
zahlreiche Schriften. Sie eroberten die Druckereien der Welt und bilden
gewissermaßen ein Zapf-von-Hesse-Schrift-Universum, das aus über 180 Schriften
besteht.
Bereits in den 60er Jahren konzentriert sich Hermann Zapf auf die Digitalisierung
von Schrift. Frühe Studien zeigen die Auflösung schwungvoller Rundbögen in
Raster- und Vektor-Grafiken. Darin endlich triumphiert sein konstruktives
Ingenieurs-Denken. In Deutschland ist er mit diesen Pionier-Arbeiten seiner Zeit
weit voraus. In den USA dagegen stoßen seine Digitalisierungs-Ideen sofort auf
Begeisterung. Am Rochester Institut of Technology wird eigens für ihn ein Lehrstuhl
für „Typografic Computer Programming“ eingerichtet, von dem aus er seinen
Schrift-Enthusiasmus auf junge amerikanische Designer überträgt. Ab 1977 pendelte
er für eine Dekade zwischen Darmstadt und Rochester. Es ging um nichts weniger,
als alle Kenntnisse und Tricks des typografischen Fachs in die digitale Welt des
Computers zu überführen. In New York gründet er auch eine eigene Firma, die
Konzepte für Typografie-fähige Computer-Anwendungen entwickelt (DPII). So wird
Steve Jobs auf ihn aufmerksam. 1984 ist Hermann Zapf einer der 20 Auserwählten,
der von Apple einen 128k Mac geschenkt bekommt. The cube. Hermann Zapf
versteht es als Herausforderung. Er arbeitet mit dem Gerät.
Ein Jahr später lädt Steve Jobs ihn und sein Team nach Cupertino ein. Dort
präsentieren sie das Programm ihrer Firma Design Processing International. Später
finden viele seiner berühmten Schriften Eingang in die Mac History und sind immer
noch serienmäßig auf modernen Apple-Computern installiert.
In allen seinen Schriften, die oft gleichzeitig auf unterschiedlichste Quellen
zurückgreifen, seien sie nun ein Jahrzehnt alt oder ein Jahrtausend, spiegelt sich
seine Liebe zum Handwerk: die Synthetisierung ist der eigentlich kreative Akt. Seine
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exzentrische, mit programmierten Varianten bestückte Schmuckschrift Zapfino Extra
wurde 2001 von Apple erworben und von Akira Kobayashi digitalisiert. Zapf war
jetzt schon über 80 und ließ sich jeden Tag etwas einfallen.
Hermann Zapf war zeitlebens offen für andere Kulturen. Er entwarf auch kyrillische,
hebräische, arabische Schriftzeichen, außerdem das pannigerianische Alphabet sowie
die Sequoyah-Silbenschrift der Cherokee-Indianer. Sein Engagement reichte bis in
unwahrscheinliche Nischen. Die Frau eines Industriellen in Pittsburgh etwa stiftete
eine Sammlung rarer botanischer Bücher. Für den Sammlungskatalog der Universität
wünschte sie eine spezielle Schrift – Zapf lieferte sie, die Hunt Roman. Er ließ sie
dort, als Rarität, für Connoisseure.
Hermann Zapf hat als Typograf die deutsche und auch die internationale Typografie
in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wesentlich geprägt. Seine Schriften haben
an prominentesten Orten Verwendung gefunden, so unter anderem auch bei der
nationalen Gedenkstätte der USA, dem Vietnam Veterans Memorial der Künstlerin
Maya Ying Lin, die eine Schrift Hermann Zapfs verwendete für die Gravur der
Namen der im Vietnam-Krieg gefallenen amerikanischen Soldatinnen und Soldaten.
Zahllose Preise und Ehrungen begleiten den gemeinsamen Weg von Hermann Zapf
und seiner Frau Gudrun. Unter anderem wurde im Jahr 2002 in San Francisco der 2.
September zum Hermann and Gudrun Zapf-Day erklärt. Diese Ehrung für einen
Schrift-Designer ist ohne Beispiel.
Hermann Zapf hat über seine Schriften hinaus ein umfangreiches graphisches Œuvre
geschaffen und kann als eine zentrale Gestalt der Typografie und des Buchdrucks
gelten. In seinen Worten war Schrift „zwei-dimensionale Architektur“. Sein
lebenslanges Streben nach Vervollkommnung spricht aus dem Satz, den der 95jährige Hermann Zapf in einem Interview formuliert: „... ich würde auch manches
wieder anders machen … man ist ja nie zufrieden mit seiner Arbeit ... weil man
immer denkt, das kannst du noch besser machen ...“. Seit 15 Jahren lebte Zapf
zurückgezogen in Darmstadt, wo er am Donnerstag, den 4. Juni 2015 mit 96 Jahren
gestorben ist. Er hinterlässt seine 97-jährige Ehefrau Gudrun Zapf-von Hesse.
Helwig Schmidt-Glintzer
Direktor der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
Antje Dauer, Pressesprecherin · Lessingplatz 1 · 38304 Wolfenbüttel
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Foto: Hermann Zapf
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