Wolfgang Hackl (Innsbruck) - Jahrbuch der ungarischen Germanistik
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Wolfgang Hackl (Innsbruck) - Jahrbuch der ungarischen Germanistik
Perspektiven der literaturwissenschaftlichen Zeitschriftenforschung... 13 Wolfgang Hackl (Innsbruck) Perspektiven der literaturwissenschaftlichen Zeitschriftenforschung am Beispiel der österreichischen Zeitschriftenlandschaft Zeitschriftenforschung ist ein eigenständiges Fachgebiet innerhalb der breiten Palette literaturwissenschaftlicher Fragestellungen, weil Literaturzeitschriften selbstverständlicher Teil des literarischen Lebens eines Landes, einer Region oder einer Epoche sind. Meist ist der erste Publikationsort angehender Schriftstellerinnen und Schriftsteller eine Zeitschrift, häufig ist sie Ort der Erstveröffentlichung später kanonisierter Texte: So erschien z.B. die im Trentiner Fersental angesiedelte Novelle Grigia von Robert Musil zuerst 1921 in der Zeitschrift Der neue Merkur von Ephraim Frisch, dann 1923 in einer bibliophilen Ausgabe mit Illustrationen von Alfred Zangerl als Band 8 der von Franz Blei herausgegebenen Reihe Sanssouci-Bücher und erst 1924 im Ernst Rowohlt Verlag unter dem Titel Drei Frauen ebenfalls in bibliophiler Ausstattung in einem Zyklus mit zwei weiteren Novellen: Die Portugiesin und Tonka.1 Als Rezensionsorgan vermittelt die Zeitschrift aktuelle oder wiederentdeckte Bücher und dient damit als wichtige Orientierungshilfe in einem zunehmend unüberschaubaren Markt. Eine regionale Zeitschrift ist zudem ein notwendiges Verbindungselement von überregionalem Literaturbetrieb und Peripherie, aber auch ein wichtiger Faktor im Wechselspiel von Mainstream, Marketing und Kanonisierung, von Trend und Gegentrend. Denn eine Literaturzeitschrift trägt fast immer die Handschrift der Herausgeber und einer Handvoll von prägenden Autorinnen und Autoren und bietet damit ein hilfreiches Orientierungsangebot. Als Publikationsorgan von Primärliteratur ist die Literaturzeitschrift nicht nur ein Experimentierfeld im Spannungsfeld von Avantgarde und Tradition, von Bewahren und Innovation, sie ist auch Forum für den intellektuellen Diskurs 1 Musil, Robert: Grigia. In: Der Neue Merkur Monatsschrift für geistiges Leben. 5 (1921), H. 8/9, S. 587ff.; Musil, Robert: Grigia. Mit 6 Originalradierungen von Alfred Zangerl. Potsdam: Müller 1923 (= Sanssouci-Bücher 8); Musil, Robert: Drei Frauen. Berlin: Rowohlt 1924. 14 Wolfgang Hackl oder die mehr oder weniger heftig ausgetragene Literaturdebatte2 und kann dazu beitragen, den Mangel eines anspruchsvollen Feuilletons im nationalen oder regionalen Kontext zu kompensieren. Betrachten wir eine Literaturzeitschrift als Gesamttext, so ist sie in der Produktion ein work in progress mit einer charakteristischen Mischung von Einheitlichkeit im Erscheinungsbild und der Rekurrenz von Reihen, Kolumnen und Rubriken sowie literarischer Abwechslung und inhaltlicher, manchmal auch medialer Vielfalt. Andererseits erlauben Literaturzeitschriften als abgeschlossenes Dokument den Blick auf literaturgeschichtliche Entwicklungslinien, auf kulturgeschichtliche Prozesse oder auf die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Denn sie sind oft ein Who is Who der Literaturgeschichte und fungieren als literarische Anthologie oder als ein kulturgeschichtliches Dokument ersten Ranges. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Literaturzeitschrift ist vielfältig wie das Objekt selbst und wird zusätzlich ausdifferenziert durch die unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen. Das bedeutet, dass der Forschungsgegenstand weder abgegrenzt ist, noch dass es eine genuine Methode dafür gibt und wir nicht von einer eigenständigen literaturwissenschaftlichen Disziplin sprechen können. Erstaunlich wenig beschäftigt sich aktuell die Publizistik bzw. Medien- und Kommunikationswissenschaft mit dem Gegenstand Zeitschrift, sodass Peter Lutz 2010 in seiner Magisterarbeit von der Zeitschriftenforschung als einem Trümmerfeld spricht.3 Dabei stand seit Beginn des Faches als eigenstädnige wissenschaftliche Disziplin die Frage nach der Definition des Gegenstandes, nach dem Wesen 2 3 Vgl. z.B.: Hackl, Wolfgang: Die Zeitschrift als Seismograph. Der Streit um die moderne Literatur in der österreichischen Literaturzeitschrift Wort in der Zeit. In: W. H., Kurt Krolop (Hg.): Wortverbunden Zeitbedingt. Perspektiven der Zeitschriftenforschung. Innsbruck, Wien, München, Bozen: Studienverlag, 2001. S. 273-285. Lutz, Peter: Trümmerfeld Zeitschriftenforschung. Rekonstruktion einer Theorie und Fachgeschichte für das Untersuchungsfeld Zeitschriftenforschung anhand der Analyse der bisher erfolgten theoretischen und methodischen Auseinandersetzungen, beginnend mit den ersten veröffentlichten pressekundlichen Arbeiten im 17. Jahrhundert bis zum aktuellen theoretischen und methodischen Ist-Zustand, sowie die Entwicklung und Formulierung eines theoretischen Modells für zukünftige Zeitschriftenuntersuchungen im Sinne der sozialwissenschaftlich orientierten und mit empirischen Erhebungsmethoden arbeitenden Disziplin Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Wien (Magisterarbeit) 2010. Perspektiven der literaturwissenschaftlichen Zeitschriftenforschung... 15 einer Zeitschrift lange Zeit im Mittelpunkt des Interesses des Faches, wobei die Abgrenzung von der tagesaktuellen Zeitung lange das wichtigste Definitionsmerkmal war. Den [...] Definitionsversuchen der Zeitschrift ist gemeinsam, daß ein Gebilde mit etwa folgenden Eigenschaften: periodisch-regelmäßigem Erscheinen, Zeitnähe (Aktualität), universaler oder auch fachlich-spezieller Thematik, allgemein-öffentlichem Interesse oder auch nur fachlich, beruflich oder gruppenmäßig begrenztem Wirkenwollen unter Umständen Zeitschrift sein kann. Das bedeutet im Hinblick auf die Geschichte der definitorischen Bemühungen: man experimentierte mit den Definitionsmerkmalen weiter, die früher schon für das Medium Zeitung gefunden worden waren, also mit der Periodizität [regelmäßig, immer wiederkehrend], der Aktualität [auf die Gegenwart bezogen], der Publizität [Öffentlichkeit] und der Universalität [kein Thema ist ausgenommen], und man erkennt, daß bei dem so vielgestaltigen Kommunikationsgebilde [...] nicht alle Zeitschriftenmerkmale in reiner Form verwirklicht sind; populär gesagt: der Zeitschrift fehlt etwas, was die Zeitung mehr hat.4 Heute dagegen wird die Zeitschrift pragmatisch als bloßer Sammelbegriff genutzt für eine Vielfalt von Publikationen, die zu rubrizieren unter den unterschiedlichsten Gesichtspunkten versucht wurde5 und die in ihrer Vielfalt vor allem nach ihrer Funktion oder Typisierung eingeordnet werden. Für die Definitionsversuche der Literaturwissenschaft sei auf die Dissertation von Ursula Weyrer zur österreichischen Literaturzeitschrift Das Silberboot verwiesen. Sie grenzt den Gegenstand ihrer Arbeit zunächst mit Hans Bender, dem Gründer und langjährigen Herausgeber der Gruppe-47-Zeitschrift Akzente ab, der eine Verszeile von Gertrude Stein variiert: Eine Zeitschrift ist eine Zeitschrift ist eine Zeitschrift...6 Weyrer referiert zwar die Definitionsbemühungen Kieslichs ausführlich, versucht jedoch ihr Forschungsobjekt unter texttheoretischem Aspekt abzugrenzen, um die Zeitschrift als funktionalen, 4 5 6 Kieslich, Günter: Zur Definition der Zeitschrift. In: Publizistik 10 (1965). S. 314-319, hier S. 315f.; vgl. Duchkowitsch, Wolfgang: Um zu erfassen, was schwer zu fassen ist. Zur Bilanz der Mühe, Zeitschrift zu definieren. In: In: W. H., Kurt Krolop (Hg.): Wortverbunden Zeitbedingt (Anm. 2). S. 11-20. Winter, Carsten: Zeitschrift. In: Faulstich, Werner (Hg.): Grundwissen Medien. München: Fink, 42000 (= UTB 8169). S. 423-433, hier S. 414. Weyrer, Ursula: das silberboot. Eine österreichische Literaturzeitschrift (1935-36, 1946-52). Innsbruck: Institut für Germanistik, 1984. (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Germ. Reihe 22). 16 Wolfgang Hackl prozessualen Text in einem umfassenden Zusammenhang einzuordnen und methodisch abgesichert darzustellen.7 Einen ähnlich pragmatischen Zugang hat Gerhard Seidel schon 1966 gegeben, wenn er Zeitschriften als kollektive publizistische Unternehmungen mit bestimmten Zielen und Wirkungen, mit einem mehr oder weniger festen Mitarbeiterkreis und einem spezifischen Publikum, mit Profil und Geschichte versteht, die es verdienen, zum Gegenstand spezieller Untersuchungen gemacht zu werden. Und er betont, dass die literaturhistorische Betrachtung einer Epoche oder Strömung, die die literarischen Zeitschriften ignoriert, bestenfalls unvollständig sein [wird].8 Die Literaturzeitschriften entstanden als eine Mischung von moralischen Wochenschriften und Rezensionsorganen. Hier gehörten Johann Christoph Gottsched mit seinen Beiträgen zur critischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit (1732-1744) sowie Jakob Bodmer und Jakob Breitinger mit der Sammlung kritischer, poetischer und anderer geistvoller Schriften zur Verbesserung des Urtheils und des Witzes (1744-1748) zu den Ersten, gefolgt von Christoph Martin Wieland, Gotthold Ephraim Lessing, Friedrich Nicolai, Johann Gottfried Herder, Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller, dessen Horen (1795-97) ebenso herausgehoben werden sollen wie die Allgemeine Literaturzeitung (später Jenaische Allgemeine Literaturzeitung). Sie wurde von Wieland und Friedrich Justin Bertuch 1785 gegründet, ist bis 1804 erschienen und hatte mit August Wilhelm Schlegel einen ihrer profilitiertesten Literaturkritiker. Doch nun zu einem Beispiel aus der Zeitschriftenlandschaft in Österreich. Im Editorial des ersten Heftes der 1966 von Gerhard Fritsch, Rudolf Henz und Paul Kruntorad gegründeten Zeitschrift Literatur und Kritik werden die Ziele und Aufgaben der neuen Zeitschrift aufgelistet: Die dritte Aufgabe ist die Kritik. Sie soll frei, unsystematisch, polemisch, zuweilen unsachlich und immer offen sein.9 Dabei handelt es sich um eine Kampfansage an die Antimodernisten, die hinter Fritschs Rausschmiss aus der Redaktion von Wort in der Zeit im Jahr 1965 gestanden waren, wenige Monate bevor diese Zeitschrift infolge einer Korruptionsaffäre zugrunde ging.10 7 8 9 Ebd., S. 8. Seidel, Gerhard: Bibliographische Reproduktion und Erschließung deutscher literarischer Zeitschriften des 20. Jahrhunderts. Ankündigung einer Schriftenreihe. In: Weimarer Beiträge 12 (1966), S. 990-1010, hier S. 990. Fritsch, Gerhard/Henz Rudolf/Kruntorad Paul: Über die Zeitschrift Literatur und Kritik. In: Literatur und Kritik 1 (1966), H. 1. S.1. Perspektiven der literaturwissenschaftlichen Zeitschriftenforschung... 17 Das erste Heft von Literatur und Kritik erschien im April 1966. Herausgeber waren Gerhard Fritsch, Rudolf Henz und Paul Kruntorad, der nach längerer, vergeblicher Suche nach einem aussagekräftigen Titel den gekürzten Titel der eigenen Zeitschrift zur Verfügung gestellt hatte.11 Wie ihr Vorläufer Wort in der Zeit, von dem sie sich personell und strukturell auf den ersten Blick wenig unterschied, wurde sie vom Bundesministerium für Unterricht großzügig subventioniert, vor allem durch eine feste Abnahme von Heften für Schulen und für germanistische Institute im Ausland. Eine wichtige redaktionelle Säule war außerdem die Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Literatur und ihrem Leiter Wolfgang Kraus. Die Redaktionslinie war damit für die ersten Jahre vorgegeben: ausgewogene Präsentation der österreichischen Literatur und damit verbunden weitgehende Ignoranz gegenüber der übrigen deutschsprachigen Literatur, dazu Publikationsorgan für osteuropäische Literatur. Zudem war die Zeitschrift ein Forum für kultur- und literaturpolitische Kontroversen. Und schließlich bot sie auch der neueren Literatur eine Plattform, anders als etwa die Grazer manuskripte jedoch weniger als Experimentierfeld für erste Talentproben. Mit dem Tod von Gerhard Fritsch im März 1969 verlor [die Zeitschrift] mehr und mehr ihren Charakter als Austragungsort öffentlicher Debatten und als Podium für literarische Neuentdeckungen.12 Bis 1978 wurde die Zeitschrift wesentlich von Jeannie Ebner gestaltet, die schon 1968 verantwortliche Redakteurin geworden war. Ihre Tätigkeit, bei der keine Gefahr bestand, dass sie allzu modernistische Kapriolen schlagen würde,13 ist von Thomas Bernhard in Holzfällen satirisch in Erinnerung gerufen worden. Jeannie Ebner zog sich aus gesundheitlichen Gründen, aber wohl auch aus Resignation zurück, nicht ohne mit dem Herausgeber Rudolf Henz für kultur- und literaturpolitische Kontinuität zu sorgen. Diese wurde in Kurt Klinger, dem Stellvertreter von Wolfgang Kraus in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur gefunden. Er garantierte neben der inhaltlichen Stabilität außerdem ebenso gute Kontakte zum Subventionsgeber. Die Zeitschrift wurde nun vollends zum Haus- und Hofmagazin der 10 11 12 13 Vgl. Hackl: Die Zeitschrift als Seismograph. Kruntorad, Paul: Fritsch und die Anfänge von Literatur und Kritik. Einige Erinnerungen. In: Literatur und Kritik 29 (1994), H. 281/282, S. 63-66, hier S. 64. Der vollständige Titel lautete Hefte für Literatur und Kritik. Langer, Renate (Hg.): 30 Jahre Literatur und Kritik. In: Dies.: 30 Jahre Literatur und Kritik. Salzburg: Otto Müller, 1996 (= Literatur und Kritik Sonderband), S. 5-25, hier S. 11. Ebd. S. 12. 18 Wolfgang Hackl Österreichischen Gesellschaft für Literatur [und war nun] noch enger als früher in deren regen Lesungs- und Symposiumstourismus eingebunden.14 Die überfällige Neuorientierung Ende der 1980er Jahre ging nicht mehr konfliktfrei über die Bühne. Doch Klinger verlor den aufwendig geführten Kampf und gab nach einem für ihn einträglichen Vergleich seine Rechte an Karl-Markus Gauß und sein Team ab. Seit 1991 ist er gemeinsam mit dem Verleger Arno Kleibel Herausgeber der Zeitschrift. In der Folge gewann Literatur und Kritik [...] ihren Ruf als eine der bedeutendsten Literaturzeitschriften des deutschsprachigen Raums zurück.15 Die bis heute anhaltende Bedeutung dieser Zeitschrift für das literarische Feld in Österreich belegen die essayistischen Beiträge. Diese widmen sich Autorinnen und Autoren, ihrem uvre im Überblick oder fokussiert auf ein Thema, oft auch einem einzelnen Werk unter einem speziellen Gesichtspunkt. Außerdem gibt es Artikel zu Gattungsfragen, etwa zur Gegenwartslyrik, oder zur Literaturtheorie, zur Rolle der Literatur im Allgemeinen oder zu Aufgaben des Schriftstellers. Ein weiterer wichtiger Bereich sind Aufsätze zur Rezeption der Literatur, sei es zur Rezeption und Wirkung einzelner Autoren, sei es zur Wahrnehmung der österreichischen Literatur im Ausland. Im Gegenzug werden nicht erst seit Karl-Markus Gauß und Arno Kleibel als Herausgeber andere Literaturen oder Literaturräume in Geschichte (z.B. die Prager deutsche Literatur) und Gegenwart (z.B. die slowakische Literatur oder ungarische Lyrik) vorgestellt, wobei nicht erst seit Gauß vor allem aus Osteuropa berichtet wird, wie es das erste programmatische Editorial angekündigt hat: Die zweite Aufgabe sehen wir in der so oft zitierten Mittlerrolle Österreichs. Immer einen Vorsprung zu wahren, wenn es gilt, aus dem Bereich der slawischen und anderen Sprachen neue Texte zu bringen, wird uns hoffentlich leichter gelingen, weil die Kommunikationslinien aus Prag, Warschau, Budapest, Bukarest, Belgrad, Sofia und, wer weiß, auch aus Moskau nach Wien immer noch kürzer sind als anderswohin.16 Dazu kommen Beiträge zum Literaturbetrieb oder zum literarischen Leben und schließlich Abhandlungen oder Diskussionen zu Spezialfragen, etwa der Edition. Dass es in Literatur und Kritik vorwiegend darum geht, die österreichische Literatur zu dokumentieren, entspricht dem Programm der Zeitschrift und lässt sich an Hand des Inhaltsverzeichnisses des Sonderheftes deutlich belegen. 14 15 16 Ebd. S. 16. Ebd. S. 20. Fritsch/Henz/Kruntorad: Über die Zeitschrift. S. 1. Perspektiven der literaturwissenschaftlichen Zeitschriftenforschung... 19 Auf den ersten Blick ist die Liste von H.G. Adler bis Stefan Zweig äußerst heterogen und wenig aussagekräftig, und von einer umfassenden und ausgewogenen Darstellung der österreichischen Literatur kann keineswegs die Rede sein, weder in literaturgeschichtlicher Hinsicht, noch im Hinblick auf die Gegenwartsliteratur. Im Rezensionsteil wird dagegen die österreichische Gegenwartsliteratur sehr umfassend wahrgenommen, auch wenn etwa auffällt, dass von Jelinek nur Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr besprochen ist, oder man vergeblich nach einer Besprechung von Gerhard Fritschs Fasching sucht. Auch Hans Leberts Feuerkreis wurde nicht rezensiert, obwohl im ersten und dritten Jahrgang Vorabdrucke des Romans erschienen. Trotzdem setzte die Zeitschrift Akzente, weil sie bespielsweise Arthur Schnitzler, Josef Roth oder Ödön von Horvath, Karl Kraus und Robert Musil jeweils ein ganzes Heft widmete, in denen von der Österreichischen Gesellschaft für Literatur organisierte Symposien dokumentiert wurden. Andererseits fällt auf, dass eine Reihe von Autorinnen und Autoren, denen in Wort in der Zeit noch Porträts gewidmet waren, nicht mehr aufscheinen, wie z.B. Paula Grogger, Josef Weinheber, Anton Wildgans oder Enrica von Handel-Mazzetti. Es fehlen aber auch Ferdinand Raimund, Ludwig Anzengruber, Peter Rosegger, Marie von Ebner-Eschenbach oder Charles Sealsfield. Johann Nepomuk Nestroy, Franz Grillparzer oder Adalbert Stifter und Ferdinand von Saar sind nicht so präsent, dass man von einer dominanten Ausrichtung auf die österreichische Literaturgeschichte sprechen könnte. Dies obwohl manche dieser Autorinnen und Autoren damals noch zum schulischen Lektürekanon gehört haben und durch die geltenden Lehrpläne in den 1960er und 1970er Jahre genauso abgesichert waren wie im Forschungs- und Lehrbetrieb der österreichischen Germanistikinstitute und der damit verbundenen Langzeitwirkung der Lehramtsausbildung.17 So scheinen Ferdinand von Saar, Marie von Ebner-Eschenbach, Peter Rosegger und Ludwig Anzengruber noch in den 1980er Jahren in einer Lektüreempfehlung für die Oberstufe (7. Klasse) eines Salzburger Gymnasiums auf.18 Eine plausible Erklärung für diesen Befund ist fürs Erste sicher die neue Machtbalance der 17 18 Vgl. Rothschild, Thomas: Die besten Köpfe. Der Kanon der Österreichischen Gesellschaft für Literatur. In: Schmidt-Dengler, Wendelin/Sonnleitner, Johannes/ Zeyringer Klaus (Hg.): Die einen raus die anderen rein. Kanon und Literatur. Vorüberlegungen zu einer Literaturgeschichte Österreichs. Berlin: Schmidt, 1994 (= Philologische Studien und Quellen 128). S. 126-133. Donnenberg, Josef: Kanon? Zeichen setzen. Kanon-Problem und Kanon-Revison in Österreich. An Beispielen. In: Amsterdamer Beiträge 30 (1990): Literaturdidaktik Lektürekanon Literaturunterricht. S.137-162, hier S. 149. 20 Wolfgang Hackl Akteure. Zwar war Rudolf Henz bis zu seinem Tod 1987 noch Herausgeber, doch Gerhard Fritsch hat von Anfang an auf eine neutrale, alphabetische Auflistung der Herausgeber bestanden und in der Folge die Zeitschrift wesentlich gestaltet.19 Mit dem Otto Müller Verlag war zudem ein doch deutlich anderer Akteur involviert als noch bei Wort in der Zeit mit dem Stiasny-Verlag. Dessen nachhaltigste Leistung war die Stiasny-Bibliothek, auch als Taschenbuchreihe Das österreichische Wort vertrieben, die vor allem aus Kosten-, d.h. eigentlich Urheberrechtsgründen vorwiegend längst verstorbene Autorinnen und Autoren präsentierte. Von den 178 erschienenen Bänden präsentieren nur ungefähr ein Dutzend Autorinnen und Autoren aus der Nachkriegsgeneration. Diesen stehen eine Reihe NS-belasteter Autorinnen und Autoren gegenüber (z.B. Maria Grengg oder Erwin Guido Kolbenheyer). Franz Kafka, Robert Musil oder Hermann Broch konnte Viktor Suchy als Reihenverantwortlicher nur gegen den Widerstand der Verlegerfamilie und zur Verwunderung der bürgerlichen Grazer Kulturszene durchsetzen. Der Otto Müller Verlag begann zwar damals, sich aus der Literaturproduktion zurückzuziehen, hatte aber mit H.-C. Artmann, Christine Busta, Christine Lavant oder Gerhard Fritsch renommierte österreichische Gegenwartsautorinnen und -autoren im Programm. Dass der Verlag seinen Bestund Longseller Karl Heinrich Waggerl nicht in die Zeitschrift hineinreklamierte, ist hier ebenfalls anzumerken. Ebenso, dass die Zeitschrift trotz des frühen Essays zum Habsburgischen Mythos von Claudio Magris20 im Zusammenhang mit dem gleichzeitigen Erscheinen der deutschen Ausgabe bei Otto Müller, diesen Mythos, soweit ich sehe, nicht zum Redaktionsprinzip erhoben hat. Das heißt freilich nicht, dass die Verklärung Kakaniens, zu der die Symposien der Österreichischen Gesellschaft für Literatur ihren Beitrag geleistet haben, nicht auch in der Zeitschrift präsent wäre. Obwohl es sich bei Literatur und Kritik nicht um eine literaturwissenschaftliche Zeitschrift handelt, sie daher zu keiner repräsentativen oder an der Universitätsgermanistik orientierten Auseinandersetzung mit der Literaturgeschichte verpflichtet ist, setzte sie dennoch Akzente, indem sie sich mit der Literaturgeschichte befasste. Sie fokussierte Autorinnen und Autoren oder Themen, die in Österreich noch Anfang 19 20 Vgl. Hackl, Wolfgang: Kollegial bis zur Selbstverleugnung. Gerhard Fritsch als Redakteur und Herausgeber von Literaturzeitschriften. In: Alker, Stefan/Andreas Brandtner (Hg.): Gerhard Fritsch. Schriftsteller in Österreich. Wien: Sonderzahl/ Wiener Stadt- und Landesbibliothek, 2005. S. 204-223. Magris, Claudio: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur. In: Literatur und Kritik 1 (1966), H. 3. S. 1-9. Perspektiven der literaturwissenschaftlichen Zeitschriftenforschung... 21 der 1970er Jahre außerhalb des literaturwissenschaftlichen Mainstreams und des Literaturunterrichts lagen, wo noch im Lehrplan 1978 Schnitzler oder Kafka unter Wegbereiter der modernen Literatur versteckt waren. Dabei wurde die Zeitschrift von der unmittelbaren räumlichen Nähe und der ebenso wenig konfliktfreien Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Literatur und deren Leiter Wolfgang Kraus beeinflusst. Denn ihm und der Gesellschaft konzediert sogar Thomas Rothschild in seiner scharfen Polemik, daß sie auf die Existenz einer Gegenwartsliteratur und hier wäre zu ergänzen: auf die österreichische Moderne aufmerksam gemacht hat, als die Wiener Universitätsgermanistik noch im günstigsten Fall bis zu Rilke und Trakl vordrang, als sei danach nichts mehr geschrieben worden, was wissenschaftlicher Beachtung wert wäre.21 Literatur und Kritik setzte also früh zur Kanonrevison an und rückte die Gegenwartsliteratur in den Vordergrund des literaturwissenschaftlichen Interesses, als die österreichische Germanistik erst langsam anfing, sich mit ihr wissenschaftlich auseinanderzusetzen, ja als ein junger Germanist in Wien und nun auch mit dem Nachlaß von Heimito von Doderer beschäftigt so wurde Wendelin Schmidt-Dengler anlässlich seines ersten Beitrages für Literatur und Kritik 1968 vorgestellt als dieser junge Germanist nach einer Reihe von sehr guten Argumenten resümierte, dass nicht die Nähe, sondern erst die Distanz die bessere und richtigere Interpretation verbürgt und es besser wäre, sich als Literaturwissenschaftler in der Beschäftigung mit der Gegenwartsliteratur zu bescheiden. Man überlasse es der Wirksamkeit der Zeit und den scharfen und geschulten Kritikern, [in der Gegenwartsliteratur] Bedeutendes von Unbedeutendem zu sondern. Das heißt nicht, dass die ernsthafte Beschäftigung mit der Gegenwartsliteratur, die manchmal von wissenschaftlicher Seite hochmütig verachtet worden ist, nicht wichtig wäre. Doch die Literaturwissenschaft sollte sich hier auf Fragen der Textsicherung, die nie früh genug einsetzen könne, auf poetologische Aspekte, auf fachdidaktische Fragestellungen und auf das Studium des Rezeptionsprozesses durch die Kritik22 konzentrieren. Literaturzeitschriften können also auch Akteure im literaturwissenschaftlichen Diskurs sein und sind, wie gezeigt wurde, in der Lage, in der Kanonentwicklung und -debatte Akzente zu setzen. Doch sie sind, wie bereits erwähnt, auch Objekte 21 22 Rothschild: Die besten Köpfe. S. 133. Schmidt-Dengler, Wendelin: Paradoxe Ratlosigkeit. Anmerkungen zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit zeitgenössischer Literatur. In: Literatur und Kritik 3 (1968), H. 21. S. 47. 22 Wolfgang Hackl der Literaturwissenschaft mit methodisch, literaturgeschichtlich oder von ihrem Erkenntnisinteresse auf den ersten Blick recht heterogen Beiträgen. Ein Blick in einschlägige Kataloge zu zeitschriftenbezogenen Forschungsarbeiten bietet monografische Skizzen und Darstellungen mit unterschiedlicher Fokussierung auf literatur- oder gattungsgeschichtliche Fragestellungen zur Genese oder zum Programm einer Zeitschrift, auf das literarische Leben oder die Publikationsgeschichte eines literarischen Paradigmas oder einer literaturgeschichtlichen Epoche.23 Auch sozial- oder ideologiegeschichtliche Aspekte oder historische und kulturgeschichtliche Kontexte sind Gegenstand der einen oder anderen Untersuchung. Einen wichtigen Bereich decken weiters die rezeptionsgeschichtlichen Studien ab, sei es zum internationalen geistesgeschichtlichen Diskurs der Moderne oder zu politischen Positionen der Nachkriegsgeschichte, sei es zur literarischen Rezeption über nationale Grenzen hinaus. Nicht zufällig gelten viele Untersuchungen zum publizistischen Kontext, zur Zeitschrift als Ort der literarischen Auseinandersetzung, zur Sprachverwendung oder zu einem zentralen inhaltlichen Moment einer Zeitschrift der Fackel von Karl Kraus. Damit wird dem singulären Charakter der Fackel und wohl auch ihres Herausgebers Rechnung getragen, die schon immer eine zentrale Rolle in der Zeitschriftenforschung innegehabt haben.24 23 24 Vgl. z.B. Wiesmayr, Elisabeth: Die Zeitschrift Manuskripte. 19601970. Königstein/ Ts.: Hain, 1980; Methlagl, Walter/Sauermann, Eberhard/Scheichl, Sigurd Paul (Hg.): Untersuchungen zum Brenner. Festschrift für Ignaz Zangerle zum 75. Geburtstag. Salzburg, Wien: Müller, 1981; Gross, Ruth V.: Plan and the Austrian rebirth. Portrait of a Journal. Columbia, SC: Camden House, 1982; Wischenbart, Rüdiger: Der literarische Wiederaufbau in Österreich. 1945 1949. Am Beispiel von sieben literarischen und kulturpolitischen Zeitschriften. Königstein/Ts.: Hain, 1983; Weyrer: das silberboot; Klettenhammer, Sieglinde: Georg Trakl in Zeitungen und Zeitschriften seiner Zeit. Kontext und Rezeption. Innsbruck: Institut für Germanistik, 1990. (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Germ. Reihe 43); Klettenhammer, Sieglinde/Wimmer-Webhofer, Erika (Hg.): Aufbruch in die Moderne. Die Zeitschrift Der Brenner 19101915. Innsbruck: Haymon, 1990; Paul, Markus: Sprachartisten - Weltverbesserer. Bruchlinien in der österreichischen Literatur nach 1960. Innsbruck: Institut für Germanistik, 1991. (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Germ. Reihe 44); Fürhapter, Ingrid: Der Thurntaler. Innsbruck (Univ. Phil. Diplomarbeit) 2004; Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck (Hg.): Zeitmesser. 100 Jahre Brenner. Redaktion: Johann Holzner. (Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung.) Innsbruck: innsbruck university press, 2010. Zum Beispiel: Krolop, Kurt: Reflexionen der Fackel. Neue Studien über Karl Kraus. Wien: Verl. d. Österr. Akad. d. Wiss., 1994; Allein im Online-Katalog der Universitäts- und Landesbibliothek Tirol sind zur Fackel von Karl Kraus über 300 Perspektiven der literaturwissenschaftlichen Zeitschriftenforschung... 23 Zeitschriftenforschung bedeutet aber auch die Beschäftigung mit Zeitschriften als kultur- und zeithistorischen Dokumenten, weil sie angesichts der politischen Katastrophen des Zwanzigsten Jahrhunderts den Blick auf politische und kulturhistorische Phänomene zu differenzieren vermögen oder diese vor dem Vergessen bewahren. Aufgrund der medialen Spezifika einer Zeitschrift, ihrer Periodizität und Aktualität bietet sie sich selbstverständlich auch als Objekt für linguistische Fragestellungen an, weil sich in Zeitschriften oft wegen eines thematischen Schwerpunktes und der damit forcierten Publikumsbindung interessante Sprachprozesse manifestieren. Schließlich steht auch die Zeitschriftenforschung durch die sogenannte mediale Revolution vor neuen Herausforderungen, sei es angesichts der immer einfacher werdenden Online-Publikationsmöglichkeiten oder in Hinblick auf die Distribution von Publikationen, seien es die Vor- und Nachteile nichtredigierter Zeitschriften und vieles mehr. Auf die Herausforderungen vermehrter und ausschließlicher digitaler Publikationen von Literaturzeitschriften reagierte das vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) getragene Forschungsprojekt DILIMAG am Innsbrucker Zeitungsarchiv zur deutsch- und fremdsprachigen Literatur (IZA) des Instituts für Germanistik an der Universität Innsbruck.25 Da reine Netzpublikationen ohne Printvarianten in der Kurzlebigkeit des Netzes schnell verloren gehen und infolgedessen mittel- und langfristig wissenschaftlich weder dokumentiert noch analysiert werden können, hat sich das Projekt die Analyse und Kommentierung der verschiedenen Präsentationsformen digitaler Literaturmagazine, eine möglichst umfassende Erhebung der seit der Öffnung des WWW ausschließlich im Internet erschienenen bzw. erscheinenden deutschsprachigen Literaturmagazine und die systematische Archivierung der untersuchten Quellen in einem digitalen Repositorium zur Aufgabe gemacht.26 25 26 Einträge verzeichnet. Dazu auch Scheichl, Sigurd Paul/Wagenknecht, Christian (Hg.): Kraus-Hefte. 1-71/72 (1977-1994). München: Edition Text + Kritik. Vgl. http://www.fwf.ac.at/de/abstracts/abstract.asp?L=D&PROJ=P19525 und http://www.fwf.ac.at/de/finals/final.asp?L=D&PROJ=P19525 [3.6.2013] http://webapp.uibk.ac.at/dilimag/xims.alo?ximsurl=projekt/projekt [3.6.2013]. Vgl. dazu Giacomuzzi, Renate/Neuhaus, Stefan/Zintzen, Christiane (Hg.): Digitale Literaturvermittlung. Praxis Forschung Archivierung. Innsbruck: StudienVerlag, 2010 (= Angewandte Literaturwissenschaft, Band 10) und Gicomuzzi, Renate: Deutschsprachige Literaturmagazine im Internet. Ein Handbuch. Innsbruck: Studienverlag, 2012 (= Angewandte Literaturwissenschaft, Bd. 16). 24 Wolfgang Hackl Die digitale Technologie bedeutet jedoch auch eine enorme Chance in der inhaltlichen Erschließung von Zeitschriften und in den Zugriffsmöglichkeiten: sei es durch deskriptiv-analytische Datenbanken, die auch weltweit per Internet zur Verfügung gestellt werden können, sei es die digitale Erschließung und mediale Präsentation und Sicherung nicht nur von schwer zugänglichen oder nur mehr in wenigen Exemplaren vorhandenen Zeitschriften. Als Beispiel sei auf die digitale Publikation der Fackel27 und des Brenner28 verwiesen, die an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vom AAC Austrian Academy Corpus mit Hilfe texttechnologischer Zugänge an den Schnittstellen zur Corpuslinguistik, zum Bereich Computing in the Humanities, zur informationstechnologischen und anwendungsorientierten Forschung, zu philologischer Methodik sowie zum Web-Design.29 erarbeitet wurden. Dabei geht es vereinfacht dargestellt um die digitale Erfassung und Strukturierung der Daten mit verschiedenen editorischen Werkzeugen und deren Darstellung in verschiedenen digitalen Anwendungen.30 Die Edition [des Brenner] bietet nicht nur Forschung und Wissenschaft, sondern auch kulturgeschichtlich Interessierten einen Zugang zum gesamten Text der Zeitschrift sowie zu den Faksimiles der einzelnen Heftseiten und ermöglicht die quelleneditorisch korrekte Zitierung aller Texte. Ein innovatives Navigationsmodul wurde implementiert, mit dessen Hilfe nicht nur von Seite zu Seite, von Heft zu Heft oder von Jahrgang zu Jahrgang navigiert werden kann, sondern auch zu im jeweiligen Zusammenhang relevanten Textpassagen. Die graphische Umsetzung kompensiert das Fehlen jener haptischen und visuellen Informationen, die nur durch die physische Präsenz des gedruckten Magazins gegeben sind, und schafft so einen Mehrwert der digitalen Edition. Neben den Möglichkeiten der Volltextsuche und der Suche nach Wortformen bietet der digitale Brenner eine Namendatenbank, in der Metadaten über sämtliche reale und fiktive Personen, die im Brenner genannt werden, zur Verfügung stehen. Somit können Querverbindungen zwischen den in der Zeitschrift vorkommenden Autoren und anderen realen Personen sowie allen fiktiven Personen aufgezeigt werden.31 27 28 29 30 31 http://corpus1.aac.ac.at/fackel/ [23.5.2013] http://corpus1.aac.ac.at/brenner/ [23.5.2013] http://www.aac.ac.at/text_tech.html [23.5.2013]; Vgl. dazu Biber, Hanno: Die Komposition der Fackel. Wien: Phil. Diss. 2001. Ebd. Die Zeitschrift Der Brenner geht online. Präsentation der Internet-Edition im Forschungsinstitut Brenner-Archiv. http://www.uibk.ac.at/brenner-archiv/ausstellung/ derbrenner_online/ [23.5.2013] Perspektiven der literaturwissenschaftlichen Zeitschriftenforschung... 25 Eine weitgehend ungelöste Herausforderung ist seit dem Aufkommen der Zeitschriften ihre umfassende retrospektive Erschließung. Zwar bemühen sich die meisten Herausgeber, ihre Zeitschriften mithilfe von Inhaltsverzeichnissen und Registern auch nachträglich zugänglich zu machen, und die gegen Ende des 18. Jahrhunderts aufkommenden Referateorgane32 erschließen die Zeitschriften nach inhaltlichen und formalen Kriterien. Zweifellos hilfreich sind auch die analytischen Bibliographien, die vorwiegend, aber nicht ausschließlich zu den Exilzeitschriften von der Germanistik in der DDR erarbeitet wurden,33 sowie die Zeitschriftenrepertorien zu den deutschen Literaturzeitschriften des 19. und 20. Jahrhunderts von Alfred Estermann, Thomas Dietzel/Hans-Otto Hügel und Bernhard Fischer/Thomas Dietzel,34 die mit gutem Grund als Standardwerke gelten. Versteht man mit Seidel auch die Reproduktion von Literaturzeitschriften als literaturwissenschaftliche und verlegerische Aufgabe, so sind schließlich die zahlreichen Mikroverfilmungen ebenfalls eine entscheidende Hilfe bei der Verbreitung und Erleichterung der Zugänglichkeit von Literaturzeitschriften.35 Werden analytische Bibliographien wegen des enormen Arbeitsaufwands und der damit verbundenen Kosten nur für wenige, meist auch eher kurzlebige Zeitschriften erstellt, und bedeuten Mikroverfilmungen von Literaturzeitschriften zwar eine enorme Erleichterung bei deren Erschließung, so verlangt die Transformation vom Papier zum Film trotz alledem eine weitere kategoriale Erschließung, wie sie die Standardwerke von Dietzel, Estermann, Fischer und 32 33 34 35 Vgl. Beutler, Johann Heinrich/Guts-Muths, Johann Christoph: Allgemeines Sachregister über die wichtigsten deutschen Zeit- und Wochenschriften. 2 Bände. Leipzig: Weygand, 1790 (Nachdruck Hildesheim: Olms, 1976). Vgl. Gerhard Seidel: Bibliographische Reproduktion und Erschließung deutscher literarischer Zeitschriften des 20. Jahrhunderts. Estermann, Alfred: Die deutschen Literatur-Zeitschriften 1850-1880. Bibliographien, Programme, Autoren. 2. erw. und verb. Aufl., 11 Bände: München u.a.: Saur, 1991; Dietzel Thomas/Hügel, Hans-Otto: Deutsche literarische Zeitschriften 1880-1945. Ein Repertorium. Hg. vom Deutschen Literaturarchiv Marbach am Neckar. 5 Bände. München u.a.: Saur, 1988; Fischer, Bernhard/Dietzel, Thomas: Deutsche literarische Zeitschriften 1945-1970. Hg. vom Deutschen Literaturarchiv Marbach am Neckar. 4 Bände München u.a.: Saur, 1992. Habitzel. Kurt/Mühlberger, Günther verweisen 2001 darauf, dass bereits über 200 Zeitschriften im OLMS Verlag als Mikrofiche lieferbar seien. Vgl. Habitzel. Kurt/ Mühlberger, Günther: Formale und inhaltliche Erschließung von Zeitschriften mittels Digitalisierung. Stand der Technik, Probleme und Perspektiven. In: Hackl/Krolop (Hg.): Wortverbunden - Zeitbedingt, S. 325-342, hier S. 340, Anm. 6. Inzwischen ist der Lieferumfang auf weit über 500 Titel angewachsen! 26 Wolfgang Hackl Hügel bieten. Doch haben diese trotz aller Verdienste auch ihre Defizite, sei es dass sie sich, wenn auch verständlicherweise, auf wenige Erschließungskategorien beschränken, sei es dass sie aus dem umfangreichen Angebot von Zeitschriften eine Auswahl treffen müssen, weshalb beispielsweise regionale Produktionen vernachlässigt werden, oder dass sie eben nicht in die Gegenwart reichen. In Kenntnis dieser hier nur knapp skizzierten Voraussetzungen wurde ebenfalls am Innsbrucker Zeitungsarchiv zur deutsch- und fremdsprachigen Literatur (IZA) des Instituts für Germanistik der Universität Innsbruck das vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) getragene Forschungsprojekt Österreichische Literaturzeitschriften 1970-2000. Ein Handbuch durchgeführt,36 das mit Hilfe des Erweiterungsprojekts Tiroler Literaturzeitschriften 1970-2005, gefördert vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und des wissenschaftlichen Nachwuchses in Tirol (TWF) mit der Publikation der Handbücher abgeschlossen wurde.37 Zentrales Ziel des Projekts war es, alle literarischen Zeitschriften Österreichs und Südtirols,38 die zwischen 1970 und 2004 erschienen sind, zu dokumentieren und damit erstmals einen Gesamtüberblick über eine spezielle Zeitschriftenlandschaft zu bieten sowie eine solide Arbeitsgrundlage für die österreichbezogene Literaturgeschichtsschreibung und Zeitschriftenforschung zu schaffen. Der Beginn des Untersuchungszeitraums erklärt sich aus dem Repertorium von Fischer/Dietzel,39 das mit 1970 abgeschlossen hat, als Obergrenze wurde pragmatisch der Projektbeginn (2004) gewählt. Als weitere Begründung für den gewählten Zeitraum nennen die Autorin und die Autoren die hohe Zahl an Zeitschriften in diesem Zeitraum, insgesamt 382 bereits bestehende bzw. neu 36 37 38 39 Vgl. http://www.fwf.ac.at/de/abstracts/abstract.asp?L=D&PROJ=P16951 und http://www.fwf.ac.at/de/finals/final.asp?L=D&PROJ=P16951 [3.6.2013]. Esterhammer, Ruth/Gaigg, Fritz/Köhle, Markus. Unter Mitarb. von Heidemaria Abfalterer: Handbuch österreichischer und Südtiroler Literaturzeitschriften 1970 2004. 2 Bände. Innsbruck, Wien, Bozen: Studienverlag, 2008 und Esterhammer, Ruth/Gaigg, Fritz (Hg.): Kultur- und Literaturzeitschriften aus Tirol u. Südtirol 19452007. Innsbruck: Studienverlag, 2009 (= Angewandte Literaturwissenschaft, Bd. 3). Die Einbeziehung Südtirols wird zwar nicht explizit begründet, legitimiert sich aber zum einen aus der Tatsache, dass die Universität Innsbruck auch Landesuniversität Südtirols ist, zum andern aus dem Umstand, dass die Deutsch schreibenden Autorinnen und Autoren gemeinhin als Teil des österreichischen Literaturbetriebs und des österreichischen Voraussetzungssystem gesehen werden. Vgl. Anm. 34. Perspektiven der literaturwissenschaftlichen Zeitschriftenforschung... 27 gegründete Literatur- und Kulturzeitschriften mit literarisch relevantem Anteil (S. 3) verzeichnet das Handbuch. Dieser enorme Anstieg gegenüber früheren Daten40 verdankt sich dem flexiblen Umgang mit den für Zeitungen festgelegten Merkmalen der Publizität, Periodizität, Aktualität, Universalität und Disponibiliät, die üblicherweise auch für die Bestimmung der Literaturzeitschrift herangezogen werden, und einer ausführlich begründeten Erweiterung des definitorischen Rahmens. Daraus ergibt sich beispielsweise für die inhaltliche Ausrichtung in Steckbriefform eine Differenzierung in acht Kategorien: Literaturzeitschrift, Kulturzeitschrift, Rezensionszeitschrift, Verbandszeitschrift, Satirezeitschrift, Kunstzeitschrift, Kulturpolitische Zeitschrift und Wissenschaftliche Literaturzeitschrift, wobei ein bestimmter Anteil an literarischen Texten Voraussetzung für die Aufnahme in das Handbuch war. Grundlage für die Erstellung der Zeitschriftenliste war die eingehende Recherche in Bibliotheken, wobei im Bericht dazu eben auch der problematische Stellenwert des Mediums deutlich wird, wie er sich in gelegentlich mangelnder bibliothekarischer Sorgfalt oder im nicht auszumerzenden Usus zeigt, Zeitschriften ohne Deckblätter zu binden, womit wichtige bibliographische Daten verloren gehen. Die Artikel zu den einzelnen Zeitschriften in alphabetischer Reihenfolge orientieren sich im Aufbau sinnvollerweise an Fischer/Dietzel,41 auch wenn deren Anordnung und Gewichtung nicht vollständig übernommen wurden. Der einzelne Artikel präsentiert also den Titel mit allfälligen Zusatztiteln oder Untertiteln, auch die früheren oder späteren Titel, den Zeitraum, den Erscheinungsort bzw. den Sitz der Redaktion oder des Verlages bzw. des Vereins. Ebenfalls ausführlich verzeichnet werden Informationen zu den Herausgeberinnen und Herausgebern, zur Redaktion sowie zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dazu kommen Daten zu Erscheinungsweise und -verlauf (mit Jahrgangszählung und Nummerierung der Hefte), zum Format, zur Auflage und zu ausgewählten Standorten. Allerdings werden ausschließlich Bibliotheken in Österreich und Südtirol berücksichtigt, wobei beispielsweise die Wienbibliothek im Rathaus (früher Wiener Stadt- und Landesbibliothek) fehlt. Neben neuen Kategorien (z.B. Homepage oder Finanzierung/Förderungen) werden selbstverständlich auch alle Beiträgerinnen und Beiträger alphabetisch nach Jahrgängen aufgelistet. 40 41 Prokop, Hans F.: Österreichische literarische Zeitschriften 1945-1970. In: Literatur und Kritik 50 (1970), S. 621-631, hier S. 631, listet 70 rein (!) literarische Zeitschriften für den Zeitraum 1945 bis 1970 auf (S. 3). Vgl. Anm. 34. 28 Wolfgang Hackl Grundsätzlich wurden alle Daten zu den Zeitschriften auf empirischer Basis erhoben, nicht eruierbare Hefte bedingen daher Lücken, die jedoch durch die Qualität der umfassenden Datensammlung mehr als wettgemacht werden. Der bibliographische Teil umfasst insgesamt bis zu 37 Kategorien, durch die die jeweilige Zeitschrift in ihrer Geschichte, ihrer Gestaltung und Komposition, mit ihren Herausgeberinnen und Herausgebern, redaktionellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Beiträgerinnen und Beiträgern sowie in ihrer Programmatik transparent wird. Abgeschlossen wird jeder Einzelbeitrag mit einem unterschiedlich ausführlichen Überblicksessay zu Geschichte und Charakteristik der Zeitschrift, und so vorhanden mit einer Auswahlbibliographie von Monographien, wissenschaftlichen und programmatischen Aufsätzen, aber auch von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln. Auch wenn Autorin und Autoren des Handbuchs in vornehmer Bescheidenheit als Defizit des Handbuchs anmerken, dass das gesammelte Material nicht zum Zweck [ausgewertet wurde], die Zeitschriftengeschichte Österreichs seit 1970 aufgrund empirischer Daten zu schreiben (S. 8), so erlaubt die Fülle an Material doch, einzelne Facetten der österreichischen Zeitschriftenlandschaft und des literarischen Feldes in Österreich zu skizzieren. Da wäre zunächst der wenig überraschende Befund, dass der Großteil der Zeitschriftenprojekte äußerst kurzlebig ist. Diesem Umstand stehen einige wenige Langzeitprojekte wie manuskripte, Wespennest oder Johann Wilhelm Klein, eine literarische Zeitschrift für Blinde, die mit kurzer Unterbrechung seit 1924 noch 2005 existiert. Ebenso wenig überraschend ist die Tatsache, dass Zeitschriften in der Regel ohne Unterstützung durch die öffentliche Hand nicht existieren könnten und wohl die meisten Zeitschriften aus finanziellen Gründen eingestellt werden und dies den Leserinnen und Lesern selten im Voraus angekündigt wird. Genauso wenig überraschend ist der Befund, dass knapp mehr als 40% der Zeitschriften in Wien erscheinen, auch dass das Burgenland und Vorarlberg deutlich abgeschlagen rangieren. Selbstverständlich ließe sich die eine oder andere Aufnahme oder Ausschließung diskutieren, so wurde der Tiroler Gaismair-Kalender aufgenommen, obwohl Kalender ausgeschlossen wurden, literarische Jahrbücher wie die Linzer Facetten jedoch nicht, obwohl auch Zeitschriften aufscheinen, die nur einmal im Jahr oder seltener erschienen sind. Trotzdem gibt die Verteilung nach Bundesländern weitere Aufschlüsse, etwa dass in der Steiermark mit den schon erwähnten manuskripten oder dem Sterz nicht nur stabile und überregional anerkannte Produktionen erscheinen, sondern auch eine verhältnismäßig große Anzahl von manchmal recht kurzlebigen Zeitschriften existiert, in der sich auch eine entsprechende Bandbreite im Literaturverständnis dokumentiert. Umgekehrt überrascht vielleicht der verhältnismäßig geringe Anteil von Perspektiven der literaturwissenschaftlichen Zeitschriftenforschung... 29 Literaturzeitschriften in Salzburg, galt Salzburg doch in den 1970er und 1980er Jahren durch den Residenzverlag als wichtiges literarisches Zentrum der österreichischen Literatur, wo außerdem mit Salz seit 1975 zweifellos eine wichtige überregionale Zeitschrift erscheint. Doch im Unterschied zur Steiermark, wo neben Graz eine relativ breite regionale Streuung festzustellen ist, fehlt diese im Bundesland Salzburg. Neben den programmatischen Aussagen und Zitaten zu den einzelnen Zeitschriften, aus denen sich ein sehr differenziertes, wenn auch über weite Teile doch wieder recht homogenes Literaturverständnis zwischen Avantgarde und Experiment, brauchbaren Texten und engagierter Literatur bis hin zur Pflege traditionalistischer und politisch rechtslastiger Positionen extrahieren lässt, geben die Essays zur Geschichte der Zeitschrift auch interessante Informationen zu den Akteuren des literarischen Feldes, die von unbeirrbaren Einzelkämpfern wie Gerhard Jaschke und dem Freibord oder Johannes E. Trojer mit dem Thurntaler42 bis zu Redaktionskollektiven in der Frühzeit des Wespennests reichen und die Konflikt- und Bruchlinien der österreichischen Literatur genauso abbilden etwa die diversen Diskussionen in und um die manuskripte oder die Gründung von Kolik gegen den Zwang zur Gefälligkeit, zur Lobhudelei und zum Konsens (S. 478). Gustav Ernst hat solches Harmoniebedürfnis dem Wespennest vorgeworfen, deren Redakteur er von 1970 bis 1996 war. Doch auch wenn es Buchhandlungen, Vereine, Bildungsinstitutionen, engagierte Gruppen oder Verlage sind, die die Zeitschriften tragen, fast immer sind es engagierte Einzelpersonen, die ihre Konzepte und Inhalte bestimmen. Daraus erklärt sich naturgemäß auch der hohe Anteil von oft sehr kurzfristigen Periodika. Am spannendsten freilich wäre es wie bei Fischer/Dietzel das Netzwerk der Beiträgerinnen und Beiträger zu verfolgen, eine Landkarte der Literaturzeitschriftenlandschaft anhand der Orte zu entwerfen oder den Herausgeberinnen, Herausgebern, Redakteurinnen und Redakteuren nachzugehen, zu überprüfen, welcher Autor wo begonnen hat, wann welche Autorin erstmals oder wie oft wo publiziert hat, wo vielleicht frühe Fassungen oder Vorabdrucke erschienen sind, denn nicht nur Stifter hat seine Journalfassungen später überarbeitet, die Werkgenese kann auch in der Gegenwartsliteratur eine reizvolle philologische Aufgabe sein.43 Eine Reihe von Zugängen also, die ein solches Handbuch mittels 42 43 Vgl. Anm. 23. Vgl. z.B. Scheichl, Sigurd Paul: Norbert Gstreins frühe Kurzprosa. In: Bartsch, Kurt/Fuchs, Gerhard: Norbert Gstrein. Graz: Droschl, 2006 (= Dossier 26). S. 33-46. 30 Wolfgang Hackl Register nicht nur zu einer wichtigen Sammlung von Unmengen an wertvoller literarischer Information, sondern zu einem spannenden Nachschlagewerk machen, in dem man sich mit Hilfe von Registern orientieren kann und sich nicht auf eine mühsame oder eigentlich nicht bewältigbare Recherche über eine einzelne Zeitschriften hinaus einlassen muss. Solche Register bietet das ansonsten sehr verdienstvolle Handbuch leider nicht. Zieht man die Projektbeschreibung zu Rate, war ursprünglich zum dokumentarischen und lexikographischen Teil auch eine Internetpublikation geplant.44 Allerdings ist im Zusammenhang mit diesem Handbuch derzeit eine Dissertation im Entstehen, die u.a. plant, die Vernetzungen aller im Handbuch aufscheinenden Autorinnen und Autoren und der Herausgeberinnen und Herausgeber mit einem speziellen Netzwerkprogramm zu generieren, zu analysieren und mit Hilfe eines Darstellungsprogrammes zu visualisieren. Knotenpunkte des Netzwerkes sind dabei z.B. Publikationsorte oder die Zuordnung nach regionalen oder ästhetischen Rastern, die sich dann in Clustern abbilden und damit auch potentielle soziale Netzwerke in der Dichte der Beziehungslinien, in der farblichen Zuordnung oder der an der Häufigkeit gemessenen Darstellungsgröße visualisieren. Angesichts der noch fehlenden Querbezüge mangels eines Registers besteht freilich die Gefahr, dass sich auch die zukünftige Zeitschriftenforschung auf die immer gleichen großen Zeitschriften beschränkt und das spannende Myzel in seiner Gesamtheit vernachlässigt. Dies vermag vielleicht eine österreichische Parallelaktion, nämlich die Zeitschriftendatenbank Literaturzeitschriften in Österreich1945-1990 des Österreichischen Literaturarchivs an der Österreichischen Nationalbibliothek zu verhindern.45 Dieses Webportal mit über 300 Periodika versteht sich explizit als Beitrag für die Grundlagenforschung zur österreichischen Literaturgeschichte und bietet über eine einfache Schnellsuche zu der alphabetischen, chronologischen oder regionalen Sortierung weitverzweigte Recherchemöglichkeiten sowie visuelle Beispiele und derzeit knapp vierzig essayistische Gesamtdarstellungen der Zeitschriften an. Über eine Suchfunktion können überdies Personennamen und Zeitschriften gesucht werden. Auch die jüngeren Beiträge zur Erforschung literarischer Zeitschriften in Österreich belegen jedenfalls eindrucksvoll die immer wieder zitierte Feststellung von Wendelin Schmidt-Dengler, daß eine Geschichte der Literatur nach 1945 44 45 Vgl. Anm. 36. http://www.onb.ac.at/oe-literaturzeitschriften/ [23.5.2013] Perspektiven der literaturwissenschaftlichen Zeitschriftenforschung... 31 nur zu schreiben [sei], wenn man von Zeitschriften ausgeht.46 Insofern verweist dieser Streifzug durch die Zeitschriftenforschung mit recht unterschiedlich akzentuierten Arbeiten auf eine gewisse Kontinuität und Aktualität des Arbeitsfeldes, dessen Landkarte freilich noch ein beträchtliches Ausmaß an weißen Flecken aufweist. 46 Schmidt-Dengler, Wendelin: das pult Beispiel einer Rezeptionsgeschichte. In: das pult 71 (1984). S. 116-122, hier s. 117.