Strafanzeige vom 14. November 2006

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Strafanzeige vom 14. November 2006
Prof. Dr. F. Jeßberger
Mapping Universal Jurisdiction
Universität Hamburg
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo
Strafanzeige vom 14. November 2006
Strafanzeige gegen
den noch amtierenden Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten von Amerika, D.R., den ehemaligen CIA-Direktor G.T., die ehemaligen Regierungsjuristen J.Y. und J.B., den Generalleutnant
R.S. und andere Mitglieder der Regierung und der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika
wegen Kriegsverbrechen und Folter zum Nachteil Internierter im Gefängnis Abu Ghraib/Irak
(2003/2004) und in Guantánamo Bay, Naval Station.
Mit den beigefügten Vollmachten und Untervollmachten zeige ich an, dass ich die rechtlichen Interessen folgender Organisationen und Einzelpersonen vertrete:
1) Center for Constitutional Rights, vertreten durch den Präsidenten und den Vizepräsidenten, New
York, USA
2) Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), vertreten durch den Geschäftsführer,
Berlin, Deutschland
3) Fédération Internationale des Ligues des Droits de l`Homme (FIDH), vertreten durch den Präsidenten, Paris, Frankreich
4) den Friedensnobelpreisträger von 1980, c/o Servicio Paz y Justicia en América Latina, Buenos
Aires, Argentinien
5) den ehemaligen UN-Sonderberichtererstatter für Folter, der Professor für Internationales Recht
Theo van Boven, Faculteit der Rechtsgeleerdheid, Maastricht, Niederlande
6) die Friedensnobelpreisträger von 1910, International Peace Bureau, Geneva, Schweiz
7) den alternativen Nobelpreisträger 2002, Rechtsanwalt Dr. M.A.
8) National Lawyer’s Guild, vertreten durch die Präsidentin, New York, USA
9) Veterans for Peace, vertreten durch den Executive Director, St. Louis, USA
10) Torture Abolition and Survivors Support Coalition International (TASSC), Washington, DC, USA
11) Abogados Europeos Democrátas (AED), vertreten durch den Präsidenten, Barcelona, Spanien
12) Verein Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ), Bundessekretariat, vertreten durch den
Geschäftsführer, 10439 Berlin
13) Europäische Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in
der Welt e.V. (EJDM), vertreten durch Rechtsanwalt T.S., Düsseldorf, Deutschland
14) International Association of Democratic Lawyers, vertreten durch ihre Präsidentin, Supreme
Court, New Delhi, Indien
15) IALANA Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen, Deutsche
Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms, vertreten durch den
Vorsitzenden, Marburg/Lahn, Deutschland
16) Lawyers against the war, Vancouver, Canada
17) Liga Argentina por los Derechos Humanos (LADH), vertreten durch Rechtsanwalt R.Y., Buenos
Aires, Argentinien
18) Comité de Acción Jurídica (CAJ), Buenos Aires, Argentien
19) Comisión Meyicana de Defensa y Promoción de los Derechos Humanos (CMDPDH), Mexico City,
Mexico
20) Liga Mexicana por la Defensa de los Derechos Humanos (LIMEDDH), Mexico City, Mexico
21) Centro Nicaraguense de Derechos Humanos (CENIDH), Managua, Nicaragua
22) Colectivo de Abogados José Alvear Restrepo, Santafe De Bogota DC, Kolumbien
23) Palestinian Center for Human Rights, vertreten durch den Director, Gaza City, Gaza
24) Egyptian Organization for Human Rights (EOHR), Kairo, Ägypten
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25)
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27)
28)
29)
30)
31)
32)
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Amman Center for Human Rights Studies (ACHRS), Amman, Jordanien
Bahrain Human Rights Society (BHRS), Manama, Bahrain
V.R.
The Haldane Society of Socialist Lawyers, vertreten durch Rechtsanwältin L.D., Barrister Garden Court Chambers, London, Grossbritanien
Ligue des Droits de l’Homme (LDH), Paris, Frankreich
Association africaine des droits de l’Homme (ASADHO), Kinshasa, Demokratische Republik
Kongo
Association tchadienne pour la promotion et la defense des droits de l’Homme (ATPDH),
N’Djamena, Tschad
Rencontre Africaine pour la Défense des Droits de l’Homme (RADDHO), Dakar Fann, Senegal
und die irakischen Staatsbürger
1) A.H.D.
2) A.H.H.
3) A.H.M.
4) U.A.H.
5) A.A.H.
6) I.J.M.
7) F.A.A.
8) A.S.N.
9) A.S.A.
10) M.A.G.
11) B.K.M.
sowie den in Guantánamo inhaftierten saudi-arabischen Staatsbürger
12) M.Q., vertreten durch seine Verteidigerin G.G., Center for Constitutional Rights, New York, USA
Der Anzeigenerstatter zu 1), das Center for Constitutional Rights (vgl. www.ccr-ny.org ) vertritt
seit dem Jahr 2002 unter anderem Internierte aus Guantánamo und ehemalige Häftlinge von Abu
Ghraib in zahlreichen zivil- und strafrechtlichen Verfahren, u.a. den Habeas-Corpus-Verfahren.
Rechtsanwalt M.R. ist Präsident, Rechtsanwalt P.W. Vizepräsident des Center for Constitutional
Rights. Bei den Einzelpersonen von 1)-11) handelt es sich um irakische Staatsbürger, die 2003 und
2004 Opfer von Folter und Misshandlungen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib und in anderen
irakischen Gefangenenlagern geworden sind, und bei dem Anzeigenerstatter zu 12) um den in Guantánamo inhaftierten saudi-arabischen Staatsbürger M.Q. .
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Namens und in Vollmacht meiner Mandanten erstatte ich
Strafanzeige wegen
sämtlicher in Betracht kommender Straftatbestände, namentlich wegen Kriegsverbrechen gegen
Personen sowie Vorgesetztenverantwortlichkeit §§ 8, 4, 13 und 14 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB)
sowie wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 Strafgesetzbuch (StGB) i.V.m. §§ 1
VStGB, 6 Nr. 9 StGB und der UN-Folterkonvention gegen folgende US-amerikanische Staatsbürger:
1. den Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten von Amerika, D.R., Washington D.C., USA
2. den ehemaligen Direktor der Central Intelligence Agency (CIA), G.T., Langley, Virginia, USA
3. den Unterstaatssekretär für Nachrichtendienste im US-Verteidigungsministerium, S.C., Washington D.C., USA
4. den Generalleutnant R.S., zuletzt bekannte Funktion: Kommandierender General, 5. Corps, Heidelberg, Deutschland
5. den inzwischen pensionierten Generalmajor G.M., Privatadresse unbekannt
6. den Generalmajor W.W., zuletzt bekannte Funktion: 5. Corps, Heidelberg, Deutschland
7. den Oberst T.P., zuletzt bekannte Funktion: Brigadekommandeur der 205. Militärnachrichtendienstbrigade, Army Airfield, Wiesbaden, Deutschland
8. Major General B.F., Commanding General U.S. Army Intelligence Center and Ft. Huachuca, Fort
Huachuca, USA
9. M.W., Center for Military Law and Operations, United States Army, Rosslyn, USA oder 5. Corps,
Heidelberg, Deutschland
10. A.G., U.S. Department of Justice, Washington, D.C., USA
11. W.H., II, General Counsil, Department of Defense, Washington, DC, USA
12. D.A., The White House, Washington D.C., USA
13. J.Y., Professor of Law, U.C. Berkeley School of Law, Berkeley, USA
14. J.B., U.S. Attorney`s Office, Reno, USA
sowie gegen alle weiteren namentlich benannten und nicht benannten Beteiligten an den nachfolgend geschilderten Straftaten.
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Gliederung
1. Einleitung
2. Der Ausgangspunkt: Weitestgehende Straflosigkeit der Folterstraftaten in Abu Ghraib - keine
Ausübung primär zuständiger Gerichtsbarkeit (USA, Irak, IStGH)
2.1. Rechtliche und politische Rahmenbedingungen in den USA
2.2. Die Selbstamnestie durch den Military Commissions Act (MCA)
2.3 Strafverfahren wegen Foltervorfällen nur gegen niedrigrangige Soldaten
2.4. Belohnung statt Bestrafung: Die mangelnde Strafverfolgung hochrangiger Militärs und
der verantwortlichen Politiker und Juristen
2.5. Aktive Vertuschung der Foltervorfälle durch hohe Militärs und Regierungsmitglieder
2.6. Die Schlussfolgerung: Straflosigkeit in den USA
2.7. Kriegsverbrechen von Angehörigen der US-Streitskräfte werden im Irak nicht verfolgt
2.8. Keine Strafverfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof (IGStGH)
3. Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts
3.1. Begründung der deutschen Strafgewalt
3.1.1. Weltrechtsprinzip, § 1 VStGB
3.1.2. Weltrechtsprinzip, § 6 Nr. 9 StGB i.V.m. UN-Folterkonvention und § 129 GK
3.2. Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft, § 153 f StPO
3.3. Ermittlungsansätze für deutsche Strafverfolgungsbehörden
4. Sachverhalt: Die Politik der Folter – Warum es zu den Gefangenmisshandlungen von Abu
Ghraib kommen musste
4.1. Der Weg nach Abu Ghraib : Die G.W.B.-Administration und die systematische Durchsetzung von Folter als Vernehmungsmethode
4.1.1. Die erste Phase des Folter-Programms vom 11. September 2001 bis Anfang
2002
4.1.2. Die zweite Phase des Folter-Programms von Anfang 2002 bis Anfang 2003
4.1.3. Menschenrechtswidrige Praktiken auf Guantánamo
4.1.4. Der Export illegaler Vernehmungsmethoden von Washington und Guantánamo nach Irak
4.2. Die Folgen und Auswüchse des Folterprogramms: Todesfälle und Gefangenenmisshandlungen im US-Gewahrsam im Irak und in Afghanistan sowie Geistergefangene und
Rendition
4.2.1. Die ungeahndeten und unzureichend geahndeten Todesfälle
4.2.2. Der Tod des irakischen Obergenerals A.H.M.
4.2.3. Geistergefangene und Überstellung („rendition“) von Gefangenen in Folterstaaten
4.2.4. Die Gefangenenmisshandlungen und Folter im Gefängnis Abu Ghraib
4.2.5. Verdacht weiterer Kriegsverbrechen
4.3. Die gegen die geschädigten Anzeigenerstatter begangenen strafbaren Handlungen
4.3.1. Guantánamo Häftling 063 – M.Q.
4.3.2. Die an den irakischen Gefangenen begangenen Misshandlungen
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5. Materiell-Rechtliche Würdigung
5.1. Die Häftlingsmisshandlungen als Folter und Kriegsverbrechen gemäß § 8 VStGB und
internationalem Recht
5.2. Die Tathandlungen der Beschuldigten und ihre strafrechtliche Verantwortung als Vorgesetzte
5.2.1. Zusammenfassende rechtliche Würdigung der Tathandlungen der Beschuldigten
5.2.2. Die Tathandlungen der angezeigten Personen
1. D.R.
2. G.T.
3. S.C.
4. R.S.
5. G.M.
6. W.W.
7. T.P.
8. B.F.
9. M.W.
10. A.G.
11. W.H.
12. D.A.
5.2.3. Die juristischen Architekten des Folterprogramms : Die Strafbarkeit von J.Y.
und J.B. als Verfasser des Folter-Memorandums
5.2.3.1. Sachverhalt
5.2.3.2. Rechtliche Würdigung
6. Mögliche Hindernisse der Strafverfolgung in Deutschland
6.1. Immunität
6.2. Das NATO-Statut (Statute of Forces Agreement - SOFA)
7. Schlussbemerkung
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„Kannst Du schwimmen?“ fragte Lorca, über mich gebeugt. „Du wirst es jetzt lernen, los zum Wasserhahn“. Sie hoben das Brett auf, an das ich immer noch gefesselt war und trugen mich in die
Küche. Dort legten sie es mit dem Kopfende auf das Spülbecken. Zwei oder drei Paras hielten das
andere Ende. Die Küche war nur von dem schwachen Licht des Ganges erhellt. Im Halbdunkel erkannte ich Irulin, Charbonnier und den Hauptmann D., der anscheinend die Leitung des Unternehmens übernommen hatte. Am vernickelten Wasserhahn, der über meinem Gesicht glänzte, befestigte Lorca einen Gummischlauch. Er umwickelte meinen Kopf mit einem Tuch, indes D. zu ihm
sagt: „Stecken Sie ihm einen Knebel in den Mund.“ Durch das Tuch kniff mir Lorca die Nase zusammen. Er schlug mir ein Stück Holz zwischen die Lippen, um mich daran zu hindern, den Mund
zu schließen oder den Schlauch wegzustoßen. Als alles fertig war, sagte er zu mir: „Wenn Du reden
willst, brauchst Du nur die Finger zu bewegen“ und er öffnete den Wasserhahn. Das Tuch saugte
sich schnell voll. Das Wasser floss in meinen Mund, über meine Nase und mein ganzes Gesicht.
Eine Weile konnte ich noch kleine Atemzüge machen. Ich versuchte durch Zusammenziehen der
Kehle so wenig Wasser als möglich zu schlucken und, solange ich konnte, Luft in meine Lungen
zuschöpfen, um gegen das Ersticken ankämpfen zu können. Aber bald konnte ich nicht mehr. Ich
glaubte, zu ertrinken, und eine quälende Angst, die Angst vor dem Tod, überfiel mich. Ohne mein
Zutun, streckten sich alle Muskeln meines Körpers, um mich der Atemnot zu entreißen, doch vergeblich. Gegen meinen Willen bewegten sich die Finger an meinen beiden Händen. „Es ist soweit.
Er wird reden“, sagte eine Stimme. Das Wasser hörte auf zu fließen, man nahm mir das Tuch ab.
Ich atmete auf. Im Halbdunkel sah ich die Oberleutnants und den Hauptmann, Zigaretten zwischen
den Lippen. Sie schlugen mit vollen Kräften auf meinen Leib, um mich soweit zu bringen, das geschluckte Wasser wieder auszuspeien. Betäubt von der eingeatmeten Luft verspürte ich kaum die
Schläge. „Nun?“ Ich blieb stumm. „Er hält uns zum Narren, legt ihm den Kopf wieder drunter!“
Dieses Mal schloss ich die Fäuste so fest, dass sich die Fingernägel in die Handballen eingruben. Ich
war entschlossen, nicht mehr die Finger zu bewegen. „Lieber beim ersten Mal sofort ersticken“. Ich
fürchtete eine Wiederkehr dieses schrecklichen Augenblicks, wo sich mein Bewusstsein verdunkelte
und wo ich mich zugleich mit allen Kräften gegen das Sterben wehrte. Ich bewegte nicht mehr die
Finger, aber ich musste noch drei Mal diese Höllenangst erdulden. Im letzten Augenblick ließen sie
mich Atemholen, während sie mir das Wasser herauspressten. Beim letzten Male verlor ich das
Bewusstsein.“
Aus: Henri Alleg, Die Folter. München 1958.
1. Einleitung
Krieg gegen den Terror versus Rechtsstaat
Rechtsstaatliche Mechanismen scheinen nicht mehr zu funktionieren, wenn es um Krieg und Terrorismusbekämpfung geht. Die vorliegende Strafanzeige ist als einer von zahlreichen Versuchen von
weltweit agierenden Rechtsanwalts- und Menschenrechtsorganisationen sowie in geringem Maße
von staatlichen Stellen und supranationalen Institutionen anzusehen, die Einhaltung universeller
Menschenrechte auch im Krieg und bei der Terrorismusbekämpfung zu erkämpfen. Strafanzeigen,
Zivilklagen, Habeas Corpus–Anträge sowie die Verteidigung gegen Anklagen, die auf Geheimdiensterkenntnissen basieren, die auf erfolterten Informationen beruhen, sind wie zahlreiche weitere formelle und nichtformelle rechtliche Instrumente in diesem Zusammenhang zu nennen. Allein
der unter falschem Vorwand begonnene völkerrechtswidrige Krieg der US-geführten Koalition gegen den Irak und im Irak selbst führte mittlerweile zu zehntausenden Toten und böte zu juristischem Vorgehen diesseits und jenseits des Atlantiks genügend Anlässe. Bis jetzt wurde keiner der
militärischen oder zivilen Oberbefehlshaber zur Verantwortung gezogen, obwohl die Verletzung des
Gewaltverbotes der UN-Charta und der Einsatz bestimmter Methoden der Kriegsführung geeignete
Gegenstände von juristischen Auseinandersetzungen wären – insbesondere von Strafverfahren
gegen die verantwortlichen Personen. Traditionell wird allerdings das Regierungshandeln im und
um den Krieg als Domäne der Politik angesehen, die deren Protagonisten zufolge unabhängig von
rechtlichen Vorkehrungen allein nach politischen Kriterien entschieden werden müsse. Die Menschenrechtsverletzungen in dem seit dem 11.09.2001 währenden so genannten „Krieg gegen den
Terror“, dessen Ziele ebenso wenig wie sein Ende definiert sind, bleiben ebenfalls weitestgehend
ungesühnt.
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Die vorliegende Strafanzeige knüpft vor allem an der weitgehenden Straflosigkeit der Verantwortlichen für die Folterstraftaten von Abu Ghraib an. Denn fast die gesamte Welt war erschüttert über
die ab April 2004 veröffentlichten Bilder aus den von den US-amerikanischen Streitkräften geführten Gefängnissen in Abu Ghraib. Die gesamte öffentliche Meinung sah ebenso wie die juristischen
Stellungnahmen in der Misshandlung von irakischen Häftlingen ein schwerwiegendes Verbrechen.
Doch im Unterschied zu anderen Verbrechen machten sich Polizei, Staatsanwälte und Gerichte
nicht ans Werk, um die Vorgänge umfassend aufzuklären, die Opfer anzuhören und die Rolle der
unmittelbaren Täter wie der weiteren Verantwortlichen herauszuarbeiten, um sie einer Strafverfolgung zuzuführen.
Der Grund hierfür ist einfach: Die Täter sind Angehörige der US-Truppen, ihre Vorgesetztensind
Regierungspolitiker und ranghöchste Militärs der größten Streitmacht der Welt, gegen die geltendes
nationales und zwingendes internationales Recht nur beschränkt durchzusetzen ist. Das größte
Imperium der Welt wird zur Zeit von einem Präsidenten und dessen Administration regiert, die auf
die Ereignisse von Abu Ghraib auf ihre Weise propagandistisch reagiert: Die „rotten apples“-Theorie
– die Theorie der faulen Äpfel – wurde verbreitet, um wenige Militärpolizisten für die mehreren
hundert Folterstraftaten in Abu Ghraib zu bestrafen. Die Geheimdienstagenten des Militärgeheimdienstes und der CIA, die Angestellten privater Sicherheitsunternehmen sowie die militärischen
Vorgesetzten in Bagdad und in Washington wurden von Strafverfolgungs- und Ermittlungsmaßnahmen vollkommen unbehelligt gelassen. Dies geschieht, obwohl ein Blick auf einschlägige Menschenrechtsberichte, Veröffentlichungen in Medien und Untersuchungsberichte von amerikanischen
und internationalen Institutionen zeigt, dass die Misshandlungen massenhaft und systematisch in
allen von den US-Streikräften geführten Haftstätten in Afghanistan, Guantánamo Bay und Irak
sowie vielen weiteren Ländern, in denen derzeit Gefangene festgehalten werden, vorkommen und
vor allem von der militärischen Führung und vom Verteidigungsministerium angeordnet worden
waren.
Die Politik der Folter
Die Strafanzeige richtet sich gegen Folter, die von der Regierung eines Staates veranlasst, organisiert und umgesetzt wurde, der als demokratischer Rechtsstaat verfasst ist. Die von den Vereinigten Staaten von Amerika eingesetzte Verhörsfolter war kein Versehen, kein Grenzgang, keine Geheimaktion. Die Foltermethoden bei Verhören waren Exekutivmaßnahmen mit all ihren verwaltungsorganisatorischen und juristischen Komponenten.
Die Strafanzeige bezieht sich also auf Regierungskriminalität, die unter dem Deckmantel selbst
hergestellter Rechtsförmigkeit begangen wurde. Dies ist der Bezug zu den in dieser Strafanzeige
erstmals einer kriminellen Handlung beschuldigten ehemaligen Regierungsjuristen J.Y. und J.B., die
mit ihrem Folter-Memorandum vom 01.08.2002 die „Rechtsförmigkeit“ der Folter behaupteten und
die Legalisierung der Exekutive betrieben haben.
Solche Regierungskriminalität wird kriminologisch als Makrokriminalität bezeichnet, in der die individuelle Tat nur als Teil des konformen Handelns organisierter Großkollektive verstanden werden
kann. Es hat sich gezeigt, dass sich die hier angezeigte Verhörsfolter erst unter der vom Weißen
Haus zu verantwortenden Politik des vom US-Präsidenten ausgerufenen „Globalen Krieges gegen
den Terror“ praktisch etablieren konnte.
Die Durchsetzung von Folter und verbotener Vernehmungsmethoden vollzog sich in mehreren
Etappen. Im Zuge der Auseinandersetzungen und im Windschatten dieser Auseinandersetzungen in
Afghanistan wurde eine Vielzahl von Personen festgenommen. Wie später bekannt wurde, sind
diese Personen auf unterschiedliche Art und Weise gefangen gehalten worden. Ein Teil von ihnen
wurde später in ausländische Geheimgefängnisse verbracht. Andere wurden zur Vernehmung in
andere Länder überstellt („extraordinary rendition“). Praktisch alle Gefangenen wurden gefoltert
und dabei Methoden wie das so genannte „water boarding“ und andere verbotene Vernehmungsmaßnahmen angewandt. Da insbesondere die Vernehmer der CIA sich weigerten, bestimmte illegale Vernehmungstechniken weiter anzuwenden, wurde von der Regierung das politische Ziel definiert, Verhörsfolter rechtlich unangreifbar zu machen und damit politisch wie praktisch innerhalb
des Sicherheitsapparates durchzusetzen.
Inzwischen sind die internen Regierungsmemoranden teilweise in den so genannten Folter-Papieren
(Torture Papers) freigegeben worden. Aus diesen Papieren ist zu ersehen, dass die hier angezeigten hohen Regierungsjuristen gegen die Widerstände von ranghohen Militärs und Beratern des
Außenministeriums argumentierten, dass der neue „Krieg gegen den Terrorismus“ gesetzliche
Restriktionen über die Behandlung und die Befragung von Inhaftierten außer Kraft gesetzt habe.
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So argumentierten die erwähnten Juristen ganz im Sinne ihrer Auftraggeber gegen herrschendes
nationales und internationales Recht und auch in den USA herrschende Rechtsüberzeugungen, dass
−
−
jeder Versuch einer gesetzlichen Einflussnahme auf das Recht des Präsidenten der
USA, über die Art der Kriegsführung zu entscheiden, verfassungswidrig sei und das
Völkergewohnheitsrecht kein Teil der Rechtsordnung der Vereinigten Staaten von
Amerika sei.
Al Quaida-Mitglieder und andere Inhaftierte nicht unter den Schutz der Genfer
Konventionen zum Schutz von Kriegsgefangenen und anderen geschützten Personen anzusehen seien, weil es sich bei Al Quaida um einen „nichtstaatlichen Akteur“
handele, Afghanistan als ein so genannter „gefallener Staat“ (failed state) anzusehen sei und der Krieg gegen Al Quaida weder einen internationalen Krieg noch einen Bürgerkrieg darstelle.
Am 19. Januar 2002 informierte folgerichtig der Verteidigungsminister der USA, der Beschuldigte
D.R., den Chef der Vereinigten Streitkräfte, R.M., dass die inhaftierten Al Quaida- und TalibanMitglieder keinen Kriegsgefangenenstatus gemäß den Genfer-Konventionen erhalten sollen. Die
Regierung würde die Gefangenen „größtenteils in einer Art behandeln, die sich einigermaßen in
Übereinstimmung mit den Genfer Konventionen befindet, und zwar in dem Ausmaße, wie es angemessen („to the extent appropriate“)“ sei. Fatale Folge dieser grundlegenden Weichenstellung war,
dass zahlreiche Gefangene gefoltert sowie grausam und erniedrigend behandelt wurden.
Die erste Phase, die Durchsetzung des Folterprogramms, war vor allem dadurch bestimmt, dass die
CIA, vertreten durch ihren Rechtsberater S.M., bestimmte Techniken nicht mehr länger anwenden
wollte, weil sie eine Strafverfolgung befürchteten und die G.W.B.-Administration darauf mit der
ersten Serie von Memoranden im Januar/Februar 2002 und deren Durchsetzung reagierte. In der
zweiten Phase ging es um die Durchsetzung bestimmter aggressiverer Behandlungs- und Verhörrichtlinien, deren Anwendung vor allem in Guantánamo hoch umstritten war.
Zur weiteren Absicherung der Verhörspraxis von US-Militär und CIA veranlasste der Beschuldigte
D.A. im Sommer 2002 das Office of Legal Counsel (OLC) mit der Erstellung eines entsprechenden
Memorandums für den Präsidenten – zu Händen von dessen Rechtsberater, dem Beschuldigten
A.G.. Mit dem Auftrag wurde bereits die Lösung des Problems vorgestellt, nämlich die Beschränkung des Folterverbots auf die Zufügung von schwerstem Schmerz oder Leiden bei spezifischem
Foltervorsatz.
In J.Y.s und J.B.s Memorandum vom 1. August 2002 wird die juristische Definition von Folter extrem eng ausgelegt. Wenn dem Opfer körperliche Schmerzen zugefügt würden, handele es sich nur
dann um Folter, wenn diese „bis zum Tod, zum Organversagen oder zur dauerhaften Schädigung
einer wichtigen Körperfunktion“ führten. Seelische Schmerzen „müssen zu wesentlichen seelischen
Schäden von beträchtlicher Dauer führen, d.h. sie müssen Monate oder gar Jahre anhalten“. Auf
das völkerrechtliche Verbot unmenschlicher, grausamer und degradierender Behandlung geht das
Folter-Memorandum mit keinem Wort ein. Damit wurden gängige Foltertechniken wie das „water
boarding“, Schlaf- und Essensentzug sowie Stresstechniken wie sexuelle und religiöse Erniedrigungen als nicht strafbar, weil nicht unter das US-Kriegsverbrechensgesetz von 1987 fallend, bezeichnet. Zwar verbiete die UN-Anti-Folterkonvention auch diese. Doch wer solche Handlungen begehe,
mache sich nicht strafbar.
Der wohl wichtigste Einzelfall der neuen Strafanzeige ist der des saudi-arabischen Staatsbürgers
M.Q.. Er hat sich trotz weitgehender Kontaktsperre über seine Anwältin dieser Strafanzeige als
Anzeigenerstatter angeschlossen, um auf sein Schicksal aufmerksam zu machen und Wiedergutmachung zu erlangen. An dem Fall M.Q. ist nicht nur der geplante und systematische Vollzug eines
Vernehmungsplans zu studieren, der auch Folter beinhaltet. Der hier beschuldigte ehemalige USVerteidigungsminister D.R. war direkt in die Vernehmungen involviert. Der Fall ist durch ein von
der Regierung geführtes mittlerweile veröffentlichtes Vernehmungslogbuch dokumentiert.
M.Q. wurde 160 Tage in einer sehr kleinen Zelle, nur mit künstlichem Licht ausgestattet, in Isolationshaft gefangen gehalten. Er wurde an 48 von 54 Tagen für die Dauer von 18 bis 20 Stunden
vernommen. Er wurde entkleidet, musste mit gespreizten Beinen vor weiblichen Wachen stehen
und wurde von diesen verspottet (so genannte „invasion of space by a female“). Er wurde gezwungen, Frauenunterwäsche auf seinem Kopf zu tragen und einen BH anzuziehen; er wurde mit Hunden bedroht und an einer Leine geführt; seine Mutter wurde als Hure bezeichnet. Im Dezember
2002 wurde M.Q. Ziel einer vorgetäuschten Entführung. Es wurde ihm Wärme vorenthalten, eine
große Menge an intravenösen Lösungen verabreicht, ohne Zugang zur Toilette zu haben, sowie der
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Schlaf über 3 Tage hinweg entzogen. Einmal fiel sein Herzschlag auf 35 Schläge pro Minute, woraufhin er an einen Herzmonitor angeschlossen wurde.
Der Beschuldigte D.R. war nach Regierungsberichten in mehrfacher Weise persönlich an diesen
Straftaten beteiligt. Er unterschrieb am 2. Dezember 2002 ein Memorandum, das 16 weitere Techniken zuliess, darunter Gesichtsverhüllung, Auskleiden, Einsatz von Hunden und sog. milden, nicht
verletzenden Kontakt.1 Am Ende jenes Memorandums über die Zulassung zusätzlicher Techniken
befindet sich eine handschriftliche Notiz D.R.s, die sich darauf bezog, dass man Gefangene bis zu
vier Stunden in einer Stressposition stehen ließ. Darin schreibt er: „Ich stehe 8 -10 Stunden täglich. Warum also ist es auf 4 Stunden begrenzt?" Im Fall M.Q. ordneten Verteidigungsminister D.R.
und Generalmajor G.M. persönlich Praktiken an, die für mindestens zwei Monate, wahrscheinlich
aber länger, darauf abzielten, M.Q. mehr als 20 Stunden pro Tag wach zu halten.
Nach dem Einmarsch US-geführter Truppen im Irak im Frühjahr 2003 stellte sich auch dort für die
politischen wie militärischen Verantwortlichen die Frage, wie mit Kriegsgefangenen und so genannten „ungesetzlichen Kämpfern“ umgegangen werden sollte, wobei wie schon in Guantánamo Bay im
Mittelpunkt stand, schnell an „verwertbare Informationen“ von Gefangenen zu kommen. Dies führte zum Export illegaler Vernehmungsmethoden über Washington und Guantánamo Bay in den Irak
und deren gezielte Anwendung in dem Militärgefängnis Abu Ghraib und anderen Gefangeneneinrichtungen. Dieser Export erfolgte durch eine Reihe von Memoranden und Anweisungen, in deren
Ausarbeitung und Umsetzung laut dem Schlesinger-Bericht die gesamte militärische Kommandokette involviert war. Sie reicht über die Beschuldigten Generalleutnant R.S. und Generalmajor G.M.
bis ins Büro des US-Verteidigungsministers D.R..
Straflosigkeit der Hauptverantwortlichen der Gefangenenmisshandlungen
Für die professionellen Beobachter der US-Politik war daher schon im Sommer 2004 absehbar, dass
aus den vielen Regierungs- und Untersuchungsberichten, die bedeutende Tatsachen hinsichtlich der
Misshandlungen von Gefangenen festhielten, keinerlei juristische Konsequenzen gegen die strafrechtlich verantwortlichen Vorgesetzten für die Menschenrechtsverletzungen von Abu Ghraib gezogen würden. Einige der Organisationen wie beispielsweise Human Rights Watch befürworteten daher eine interne Untersuchungskommission des Kongresses. Andere beschritten den zivilen
Rechtsweg. Das Center for Constitutional Rights verklagte beispielsweise die privaten Sicherheitsunternehmen „Titan“ und „Caci“ auf Schadensersatz für die Misshandlungen, Human Rights First
und ACLU forderten Schadensersatz von US-Verteidigungsminister D.R. und anderen im Namen der
Opfer.
Keine dieser politischen und juristischen Bemühungen zeitigte Erfolge. Immer hatte die G.W.B.Administration, allen voran die persönlich verantwortlichen US-Verteidigungsminister D.R. und der
jetzige Justizminister A.G., die Lage fest im Griff. Strafverfahren gegen ein knappes Dutzend Vernehmer von privaten Sicherheitsunternehmen wurden ohne nähere Begründung eingestellt. Strafverfahren gegen hohe Verantwortliche wurden überhaupt nicht eingeleitet. In den Militärgerichtsverfahren gegen ein Dutzend Militärpolizisten wurden hochrangige Zeugen nicht vernommen, obwohl sie sich wie beispielsweise die ehemalige Brigadegeneralin J.K. ausdrücklich zur Aussage bereit erklärt hatten. Die eigens für das hiesige Verfahren angefertigten Sachverständigengutachten
der Professoren Jordan Paust / Houston und Ben Davies / Toledo belegt die absolute Unwilligkeit
der Regierungsadministration, amtierende und ehemalige hochrangige Regierungsmitglieder wegen
ihrer Mitwirkung an der systematischen Folterung von Gefangenen strafrechtlich zur Verantwortung
zu ziehen.
Am Ende einer zweijährigen juristischen Auseinandersetzung steht die fast vollkommene Straflosigkeit von höchsten zivilen und militärischen Funktionsträgern für ein System von Folter und Gefangenmisshandlungen. Dieser Befund hatte die US-amerikanische Bürgerrechtsorganisation Center
for Constitutional Rights bereits im Jahr 2004 dazu bewogen, in einem mehrmonatigen Projekt eine
Strafanzeige gegen D.R. und andere auszuarbeiten. Die Motive für diesen Schritt lagen auf der
Hand:
Wer auf das Recht als Mittel zu Regulierung gesellschaftlicher Prozesse setzt, wird immer wieder
mit Zweckmässigkeitsüberlegungen konfrontiert. Die weltweite ethische, theoretische und juristische Anerkennung des Folterverbotes nahm viele Jahrzehnte in Anspruch, dennoch ist die Folter
eine nach wie vor in Dutzenden von Staaten gängige Praxis. Der Kampf gegen die Folter ist daher
sowohl in jedem konkreten Fall wie auch abstrakt von zentraler Bedeutung für die Zukunft einer
1
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 3f., Appendix E.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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humanen und zivilisierten Menschheit. Gegen die Folter zu kämpfen bedeutet, ihrer Propagierung
entschieden entgegenzutreten und sich für die Bestrafung der unmittelbaren Folterer und der Organisatoren von Folterpraktiken einzusetzen. In diesem Sinne sollte auch die vorliegende Strafanzeige verstanden werden. Demgegenüber würde eine andauernde Straflosigkeit für die Drahtzieher
und Hintermänner der Kriegsverbrechen von Abu Ghraib und anderswo falsche Zeichen setzen.
Viele Regierungen der Welt würden sich ermutigt fühlen, ihre leider nur zu weit verbreiteten Folterpraktiken fortzusetzen. Genau diese Situation hatte der amerikanische Chefankläger der Nürnberger Prozesse, Robert Jackson vor Augen, als er in seinem Eröffnungsplädoyer am 21. November
1945 ausführte :
„Lassen sie es mich deutlich machen: Auch wenn dieses Recht hier erstmals gegen die deutschen
Aggressoren angewandt wird, gehört zu diesem Recht, wenn es Sinn machen soll, dass es Aggressionen durch jede andere Nation verurteilen muss, einschließlich derer, die hier gerade das Gericht
bilden. Wir sind nur dann in der Lage, Tyrannei und Gewalt und Aggression durch die jeweiligen
Machthaber gegen ihr eigenes Volk zu beseitigen, wenn wir alle Menschen gleichermaßen dem
Recht unterwerfbar machen.“
Strafverfolgung nach dem Völkerstrafgesetzbuch
Die Ausgestaltung des deutschen Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) war neben der Stationierung
vieler US-Armee-Einheiten inklusive einiger der Hauptverantwortlichen in Deutschland, der Hauptgrund für das Center for Constitutional Rights, die Strafanzeige in Deutschland zu erstatten. Die
rasante Entwicklung des Völkerstrafrechts seit der Errichtung des Jugoslawien- und des RuandaStrafgerichtshofs der Vereinten Nationen 1993 und 1995 sowie der Aufnahme der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag 2002 hatte zur Verabschiedung des VStGB geführt. Nach
den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen wurde der Folterer, wie früher der Pirat, zum Feind
der gesamten Menschheit – hostis humani generis –, erklärt. Seitdem wurde universelle Jurisdiktion in Dutzenden von Fällen von US-Gerichten praktiziert. Dies ist auch der Grundgedanke des Internationalen Strafgerichtshofes, wie er in der Präambel des IStGH–Statuts zum Ausdruck kommt.
Danach sind die Kernverbrechen des Völkerstrafrechts „schwerste Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“.2 Zu diesen Völkerrechtsverbrechen zählen unstreitig
die Kriegsverbrechen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Völkermord und das Aggressionsverbrechen. „Aus dieser universellen Natur der Völkerrechtsverbrechen folgt, dass die Völkergemeinschaft grundsätzlich befugt ist, diese Verbrechen zu verfolgen und zu bestrafen, unabhängig
davon, wo, durch wen oder gegen wen die Tat begangen worden ist“.3 Daraus ergibt sich nicht nur
die Grundlegitimation der Internationalen Gemeinschaft und damit des Internationalen Strafgerichtshofs, solche Straftaten zu verfolgen. Auch den einzelnen Staaten steht diese Strafbefugnis zu:
„Völkerrechtsverbrechen sind keine inneren Angelegenheiten“.4 Für Völkerrechtsverbrechen gilt
daher das Weltrechtspflegeprinzip. Im übrigen ergab sich bereits aus einschlägigen völkerrechtlichen Verträgen wie den Genfer Konventionen und der UN-Anti-Folterkonvention die Verpflichtungen der Nationalstaaten zur Strafverfolgung, auf die unten noch einzugehen sein wird. Aus diesem
Grunde wurde mit breiter Zustimmung des Bundesrates und des Bundestages das Völkerstrafgesetzbuch in Deutschland beschlossen, das am 30. Juni 2002 in Kraft getreten ist. Das Völkerstrafgesetzbuch hat sich zum Ziel gesetzt, „das spezifische Unrecht der Verbrechen gegen das Völkerrecht besser zu erfassen, als dies nach allgemeinem Strafrecht derzeit möglich ist“ und „im Hinblick
auf die Komplementarität der Verfolgungszuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshof zweifelsfrei sicherzustellen, dass Deutschland stets in der Lage ist, in die Zuständigkeit des IStGH fallende Verbrechen selbst zu verfolgen“.5 Deswegen wird in § 1 des Völkerstrafgesetzbuches das
Weltrechtsprinzip ausdrücklich für alle in ihm bezeichneten Verbrechen gegen das Völkerrecht festgeschrieben - „auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland
aufweist“ (§ 1 VStGB). Das Völkerstrafgesetzbuch ist nicht zuletzt deswegen als eines der weltweit
ersten nationalen Gesetzgebungsprojekte anzusehen, in dem das Völkerstrafrecht nach dem Inkrafttreten des IStGH-Statuts geregelt wird. Das IStGH hat unter anderem das Ziel, „durch die
Schaffung eines einschlägigen Regelwerkes das humanitäre Völkerrecht zu fördern und zu seiner
Verbreitung beizutragen“.6
2
Vgl. auch Gerhard Werle, Völkerstrafrecht, 2003, S. 30 ff.
Werle, a.a.O., S. 68.
4
Vgl. Werle, a.a.O., S. 69.
5
Vgl. Bundestags-Drucksache 14/8524, S. 11 ff.
6
Vgl. Bundestags-Drucksache 14/8524, S. 12.
3
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Das Strafverfahren gegen den US-Verteidigungsminister D.R. und andere im Jahre
2004/2005
Die am 30.11.2004 eingereichte erste Strafanzeige wurde von der Bundesanwaltschaft zwar geprüft. Mit Bescheid vom 10.02.2005 3 ARs 207/04-2 wurde jedoch begründet, warum kein Ermittlungsverfahren in der Sache eingeleitet wurde. Das in § 1 VStGB verankerte Weltrechtprinzip legitimiere keine uneingeschränkte Strafverfolgung. Vielmehr sei Ziel des Gesetzes, Strafbarkeits- und
Strafverfolgungslücken unter Beachtung des Prinzips der Nichteinmischung in die Angelegenheiten
fremder Staaten zu schließen. Der Grundsatz der Subsidiarität gebiete es, dass in erster Linie der
Tatortstaat und der Heimatstaat von Täter und Opfer sowie ein zuständiger Internationaler Gerichtshof zur Verfolgung berufen sind. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden hätten daher nur
eine Auffangzuständigkeit. Entgegen der von den Anzeigenerstattern vorgebrachten Gründen sowie
entgegen der Erkenntnisse eines eingereichten Gutachtens von Prof. Scott Horton und ohne letzteres überhaupt zu erwähnen, geschweige denn zu würdigen, führte die Bundesanwaltschaft dann
wörtlich aus:
„Hier bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Behörden und Gerichte der Vereinigten Staaten von
Amerika wegen der in der Strafanzeige geschilderten Übergriffe von strafrechtlichen Maßnahmen
Abstand genommen hätten oder Abstand nehmen würden. So wurden wegen der Vorgänge von
Abu Ghraib bereits mehrere Verfahren gegen Tatbeteiligte, auch gegen Angehörige der 800sten
Militärpolizeibrigade, durchgeführt. Mit welchen Mitteln und zu welchem Zeitpunkt gegen weitere
mögliche Tatverdächtige im Zusammenhang mit den in der Strafanzeige geschilderten Übergriffen
ermittelt wird, muss dabei den Justizbehörden der Vereinigten Staaten von Amerika überlassen
bleiben.“
Der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zwischen dieser Einstellungsentscheidung für die Menschenrechtsverletzungen von Abu Ghraib der Bundesanwaltschaft und der Münchener Sicherheitskonferenz, die am 11.02.2005, also einen Tag später begann, führte dazu, dass mittlerweile die
Anzeigenerstatter bei dem UN-Sonderberichterstatter die Unabhängigkeit der Justiz, dem Argentinier Leandro Despouy eine Beschwerde eingereicht haben, in der insbesondere gerügt wird, dass
die Vereinigten Staaten von Amerika das universell anerkannte Prinzip der Unabhängigkeit von
Staatsanwälten verletzt hätten. Hohe US-Regierungsstellen, insbesondere der Beschuldigte D.R.
selbst, hatten gegenüber bundesdeutschen Regierungsstellen die Tatsache kritisiert, dass der Anschein einer Strafverfolgung gegen die US-Verantwortlichen bestünde. D.R. hatte die Teilnahme an
der Münchener Sicherheitskonferenz davon abhängig gemacht, dass kein Strafverfahren gegen ihn
laufe.
Gegen die Einstellungsentscheidung der Bundesanwaltschaft stellten die Anzeigenerstatter einen
Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Klageerzwingungsverfahren mit dem Ziel, Anklage gegen
die damaligen Beschuldigten, hilfsweise weitere Ermittlungen anzuordnen. Dieser wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 13.09.2005 abschlägig beschieden. Das OLG Stuttgart verwarf den Antrag als unzulässig, da die nach § 153 f StPO ergangene Entscheidung der
Bundesanwaltschaft dem Opportunitätsprinzip unterliege und daher die Durchführung eines Klageerzwingungsverfahrens nicht statthaft sei. Im übrigen unterfalle die Entscheidung auch nicht der
Fallgruppe der fehlenden Ermessensausübung noch derjenigen der Willkür. Die Einstellungsentscheidung der Bundesanwaltschaft und der Beschluss des OLG Stuttgart stießen in der rechtswissenschaftlichen Literatur auf Kritik, auf die später eingegangen werden soll.
Die neue Strafanzeige gegen den ehemaligen US-Verteidigungsminister D.R. und andere
Unabhängig davon, dass die Anzeigenerstatter nach wie vor davon ausgehen, dass bereits damals
von der Bundesanwaltschaft Ermittlungen gegen die damaligen Beschuldigten hätten eingeleitet
werden müssen, hat sich in den vergangenen zwei Jahren deutlich gezeigt, dass für die Verantwortlichen der US-Justiz der Ermittlungskomplex Abu Ghraib mit der Aburteilung des „dreckigen
Dutzend“ Militärpolizisten abgeschlossen ist. Gegen die Verantwortlichen aus Militärgeheimdiensten
und CIA sowie die hochrangigen Befehlshaber der Armee und des Pentagon wurden bislang keine
Ermittlungen eingeleitet und werden auf absehbare Zeit keine Ermittlungen eingeleitet werden, wie
die bereits angesprochenen Gutachten von Prof. Paust und Prof. Davies eindrücklich belegen. Es ist
mithin genau der Fall eingetreten, den die Bundesanwaltschaft in ihrem Bescheid vom 10.02.2005
als Anwendungsfall des Völkerstrafgesetzbuches beschrieben hat: Weder im Heimatstaat von Täter
und Opfer, noch im Tatortstaat oder durch einen zuständigen internationalen Gerichtshof werden
Ermittlungen gegen die hier beschuldigten Täter geführt. Damit ist deutlich worden, dass die nur
komplementär zuständigen deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht nur tätig werden können,
sondern dem Geiste des Völkerstrafgesetzbuches tätig werden müssen, um den unerträglichen
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Zustand der Straflosigkeit schwerster Kriegsverbrechen zu beenden. Da eine Vielzahl von Zeugen,
insbesondere praktisch alle unmittelbaren Geschädigten, von keiner Strafverfolgungsbehörde der
Welt bisher zu den Geschehnissen in Abu Ghraib vernommen wurden und eine solche Vernehmung
durch deutsche Stellen, insbesondere durch konsularische Vertretungen, ohne größeren Aufwand
möglich ist, sind auch Ermittlungsansätze für deutsche Strafverfolgungsbehörden vorhanden. Dazu
haben sich mittlerweile Beteiligte wie die Ex-Generalin J.K., die ehemalige Kommandeurin über 17
US-geführte Haftanstalten im Irak, bereit erklärt, deutschen Strafverfolgungsbehörden ihr Wissen
zu offenbaren.
Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist somit nicht nur rechtlich geboten; vielmehr sind
sinnvolle und erfolgsversprechende Ermittlungsmöglichkeiten für deutschen Strafverfolgungsbehörden gegeben.
Um diesen Strafverfolgungsanspruch der Opfer in Deutschland durchzusetzen, haben sich die ursprünglichen Anzeigenerstatter und weitere US-amerikanische und internationale Organisationen
entschlossen, die Strafanzeige nunmehr erneut einzureichen.
Der Aufbau der Strafanzeige
In der Strafanzeige wird zunächst die obige These umfassend dargestellt, nach der in den USA die
Kriegsverbrechen von Abu Ghraib weitestgehend ungesühnt blieben (Kapitel 2). Anschließend wird
abgehandelt, inwieweit deutsche Strafverfolgungsbehörden bei diesen von US-Amerikanern im Irak
an Irakern begangenen Verbrechen zuständig sind – eine Frage, die von allen Juristen bejaht werden wird –, und ob – dies wird sicherlich auch in diesem Verfahren die große Streitfrage sein –
unter Berücksichtigung der in § 153 f StPO aufgezählten Ermessengründe tatsächlich ein Strafverfahren gegen Angehörige der USMilitärs eingeleitet werden kann und muss (Kapitel 3).
In aller Kürze sollen (unter Kapitel 4) noch einmal die wesentlichen Fakten berichtet werden. Die
mehreren Dutzend Einzelfälle von Gefangenenmisshandlungen wurden bereits in der Strafanzeige
vom 30.11.2004 umfassend geschildert. Daneben wird über Gefangenenmisshandlungen in anderen Lagern, insbesondere auch über knapp 100 Todesfälle berichtet.
In dem darauf folgenden Kapitel (5.1.) werden die geschilderten Folterungen und Tötungshandlungen unter das Völkerstrafgesetzbuch und die einschlägigen internationalen Gesetzgebungswerke
subsumiert und als Folter und Kriegsverbrechen gem. § 8 VStGB und internationalem Recht eingestuft.
In einem ausführlichen Kapitel (5.2.) werden anschließend die Tathandlungen der Beschuldigten
ausführlich geschildert und zusammenfassend rechtlich gewürdigt. Dabei wird insbesondere die
Rolle der beiden beschuldigten Juristen J.Y. und J.B. untersucht, die mit der Ausarbeitung von Memoranden und Durchsetzung des darin formulierten Folterprogrammes befasst waren. Sie ermöglichten damit das System der organisierten Gefangenenquälereien zunächst in Afghanistan und
Guantánamo und später dessen Export nach Irak und damit nach Abu Ghraib.
Im Schlusskapitel (6) sollen mögliche Hindernisse der Strafverfolgung wie die Immunität und das
NATO-SOFA-Statut abgehandelt werden.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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2. Der Ausgangspunkt: Weitestgehende Straflosigkeit der Folterstraftaten in Abu Ghraib - keine
Ausübung primär zuständiger Gerichtsbarkeit (USA, Irak, IStGH)
2.1. Rechtliche und politische Rahmenbedingungen in den USA
2.2. Die Selbstamnestierung durch den Military Commissions Act (MCA)
2.3. Strafverfahren wegen Foltervorfällen nur gegen niedrigrangige Soldaten
2.4. Belohnung statt Bestrafung : Die mangelnde Strafverfolgung hochrangiger Militärs und
der verantwortlichen Politiker und Juristen
2.5. Aktive Vertuschung der Foltervorfälle durch hohe Militärs und Regierungsmitglieder
2.6. Die Schlussfolgerung : Straflosigkeit in den USA
2.7. Kriegsverbrechen von Angehörigen der US-Streitskräfte werden im Irak nicht verfolgt
2.8. Keine Strafverfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof (IGStGH)
2.1. Rechtliche und politische Rahmenbedingungen in den USA
Sowohl die formal-rechtlichen als auch vor allem die politischen Rahmenbedingungen in den USA
sind derzeit so gestaltet, dass die Einleitung von Strafverfahren wegen Kriegsverbrechen an Personen gegen die Beschuldigten erheblich erschwert wird, wenn nicht gar ganz unmöglich ist.
„Das, was wir auf Fotos aus Abu Ghraib gesehen haben, sind offenkundig illegale Verhörmethoden
und stellt eine illegale Behandlung von Gefangenen – unabhängig von ihrem Status – dar. Dies
ergibt sich aus verschiedenen US-Gesetzen sowie vertraglichen und gewohnheitsrechtlich anerkannten völkerrechtlichen Verboten“. Der namhafte US-Jurist Jordan J. Paust stellt dies eingangs in
seinem eigens für dieses Verfahren gefertigten Sachverständigengutachten fest.
Professor Jordan J. Paust, derzeit am „Mike and Teresa Baker Law Centre“ an der juristischen Fakultät der „University of Houston“ tätig, beweist durch seine etwa 35 Jahre lange Lehrtätigkeit im
Völkerstrafrecht an verschiedenen Universitäten in Europa und den USA, aktive Mitgliedschaft in
verschiedenen Völkerrechts-Ausschüssen (einschließlich der „Lieber Society“ der „Amerikanischen
Gesellschaft für Völkerrecht“ [ASIL]) sowie zahlreichen, namhaften Veröffentlichungen7 seine unbestrittene Kompetenz im Völkerstrafrecht und insbesondere im Kriegsvölkerrecht.
Das Problem der Straflosigkeit spricht Paust offen an:
„Präsident G.W.B., Generalstaatsanwalt A.G., [der ehemalige] Verteidigungsminister D.R. und verschiedene andere hochrangige Mitglieder und ehemalige Mitglieder der Regierung G.W.B. sowie der
US-Verwaltung wurden begründet angeklagt, Verstöße gegen das Völkerrecht genehmigt oder dazu
angestiftet zu haben und/oder ihre Pflicht als Vorgesetzte in Hinsicht auf Verbrechen von unmittelbar oder mittelbar Untergebenen vernachlässigt zu haben. Trotzdem hat es in den Vereinigten
Staaten seit mehr als fünf Jahren keine kriminalrechtliche Untersuchung, Anklage oder Strafverfolgung gegen solche Personen gegeben. Überdies ist es offensichtlich, dass A.G., als USGeneralstaatsanwalt für Strafverfolgungen in den US zuständig, kaum Interesse an einer Untersuchung und Strafverfolgung all jener Personen hat, die ehemals oder gegenwärtig für die USVerwaltung tätig waren bzw. sind und die begründet angeklagt werden, Kriegsverbrechen genehmigt oder unmittelbar begangen zu haben, zu solchen angestiftet zu haben oder Gehilfe gewesen
zu sein, ihre Aufsichtspflicht bezüglich Kriegsverbrechen Untergebener vernachlässigt zu haben
oder unmittelbar an einem gemeinsamen Plan mitgewirkt zu haben, Schutz gemäß dem Kriegsrecht
zu verweigern.“
Der heutige US-Justizminister und Beschuldigte A.G. hatte bereits in einem Memorandum vom 22.
Januar 20028 dargelegt, dass – da der Kampf gegen den Terrorismus eine „neue Form des Krieges“
sei – Informationen von den gefangen genommenen Terroristen so schnell als möglich erlangt wer7
U.v.a. sei hier beispielhaft nur PAUST, VAN DYKE, MALONE, INTERNATIONAL LAW AND LITIGATION IN THE U.S. (Thomson-West American Casebook Series, 2. Ausg. 2005); PAUST, INTERNATIONAL LAW AS LAW OF THE UNITED STATES (2. Ausg. 2003) (1. Ausg. 1996); PAUST, INTERNATIONAL CRIMINAL LAW: CASES AND MATERIALS (3. Ausg. 2006) erwähnt.
8
http://www.washingtonpost.com/wp-srv/nation/documents/012202J.B..pdf
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den müssten und dass daher die engen Vorgaben der Genfer Konventionen bei der Befragung von
Kriegsgefangenen hinfällig seien. Damit meinte er insbesondere den nach den Genfer Konventionen
verbotenen Einsatz von Zwangsmitteln bei Befragungen. In seinem Memorandum vom 25. Januar
20029 an den US-Präsidenten fordert A.G. bereits, dass ein umfassender Schutz vor jeglichen Verfolgungsmaßnahmen entwickelt werden müsse; schließlich wisse man nicht, welche Beweggründe
Staatsanwälte oder Anwälte dazu bringen könnten aufgrund des War Crimes Act (18 U.S.C. §
244110), der sich auch auf die Genfer Konventionen bezieht, „ungerechtfertigte“ Verfahren einzuleiten. Mit diesen Memoranden wurde ein Grundstein für die Folterpraxis auf der einen Seite und die
Immunisierung der Täter auf der anderen Seite gelegt.
US-Präsident G.W.B. erklärte in seinem Memorandum vom 7. Februar 200211 daraufhin ausdrücklich, dass die Genfer Konventionen bei dem Konflikt mit Al Quaida nicht anwendbar seien. Das sei
schon daran festzumachen, dass Al Quaida kein staatlicher Akteur, also keine „hohe Vertragspartei“
der Genfer Konventionen sei. Daher seien Al Quaida-Gefangene auch keine Kriegsgefangene im
Sinne der Genfer Konventionen und damit auch nicht von dem gemeinsamen Art. 3 der Genfer
Konventionen geschützt. Allerdings sollten die Al Quaida-Gefangenen trotzdem „humanly“, also
„menschlich“ behandelt werden, auch wenn sie keinen rechtlichen Anspruch darauf hätten. Eine
Konsequenz daraus, dass G.W.B. die Genfer Konventionen für unanwendbar auf den Konflikt mit Al
Quaida erklärte, ist auch, dass der War Crimes Act (18 U.S.C. § 2441), der „schwere Verletzungen“
der Genfer Konventionen (wie zum Beispiel „vorsätzliche Tötung, Folterung oder unmenschliche
Behandlung“ vgl. Art. 130 der III. Genfer Konvention) als Kriegsverbrechen definiert, keine Anwendung findet.
2.2. Die Selbstamnestie durch den Military Commissions Act (MCA)
Mit der Military Order von Präsident G.W.B. vom 13. November 200112 wurden die so genannten
„Military Commissions“ für die Verfahren gegen terrorverdächtige Personen für zuständig erklärt.
Bereits mit der "Authorization for Use of Military Force”13 vom 18. September 2001 wurde Militärgewalt gegen die Verursacher der Anschläge des 11. September 2001 als zulässig erklärt. In dem
Fall Hamdan gegen D.R.14 hat der Supreme Court am 29. Juni 2006 die „Military Commissions“ aus
formellen und materiellen Gründen für unzulässig erklärt15. Insbesondere mahnte der Supreme
Court die Einhaltung der US-Verfassung, des Militärgesetzes und der Genfer Konventionen an16.
Seit nunmehr fünf Jahren ist es der Regierung nicht gelungen, eine Military Commission einzurichten, die mit dem Kriegsrecht und der US-Verfassung im Einklang steht17.
Mit dem „Military Commission Act“ (MCA) vom 17. Oktober 2006, das den Umgang mit verdächtigen Terroristen und die Einsetzung von Militärgerichten regelt, wurde daraufhin eine formale
Rechtsgrundlage unter Einbeziehung des Repräsentantenhauses und des Senats geschaffen18.
Allerdings entsprechen nach allgemeiner Auffassung die „Military Commissions“ nach wie vor weder
den in der US-Verfassung verbrieften noch den internationalen Standards eines fairen Verfahrens19.
Ein zentraler Kritikpunkt ist die Tatsache, dass den Gefangenen zum Beispiel nach wie vor das
9
http://msnbc.msn.com/id/4999148/site/newsweek/
http://www4.law.cornell.edu/uscode/html/uscode18/usc_sec_18_00002441----000-.html
11
http://www.pegc.us/archive/White_House/bush_memo_20ü020207_ed.pdf
12
http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/11/20011113-27.html
13
http://news.findlaw.com/wp/docs/terrorism/sjres23.es.html
14
http://www.supremecourtus.gov/opinions/05pdf/05-184.pdf
15
Wieser, Marion, Die Abhaltung von Militärgerichtsverfahren gegen terrorverdächtige Personen in
den USA aus menschen- und völkerrechtlicher Perspektive http://www.ifir.at/themenschwerpunkt/1_2006.pdf
16
vgl. auch Center for Constitutional Rights, Report on torture and cruel, inhuman and degrading
treatment of prisoners at Guantánamo Bay, Cuba, Juli 2006, S.13f. http://www.ccrny.org/v2/reports/docs/Torture_Report_Final_version.pdf
17
Mariner, Joanne, The Military Commissions Act of 2006: A Short Primer – vgl.
http://writ.news.findlaw.com/mariner/20061009.html ; Tagesspiegel vom 18.10.2006 http://www.tagesspiegel.de/politik/archiv/18.10.2006/2842228.asp
18
vgl. http://jurist.law.pitt.edu/paperchase/2006/10/80-guantanamo-detainees-could-face.php
19
u.v.a. http://www.wsws.org/articles/2006/oct2006/min-o17.shtml
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Recht auf Haftprüfung (Habeas Corpus) verweigert wird. Das Habeas Corpus-Prinzip ist Bestandteil
der us-amerikanischen Verfassung (Art. 1, Absatz 9 der US-Verfassung20); es ist der Regierung
verboten, außer in Zeiten von Invasion oder Rebellion das Habeas Corpus-Prinzip aufzuheben. Das
Prinzip des Habeas Corpus verlangt eine Überprüfung der Haftgründe durch ein Gericht, das unabhängig von der Instanz ist, die die Festnahme angeordnet hat21. Das Habeas Corpus-Prinzip schützt
also Menschen vor willkürlicher oder unbestimmter Festnahme ohne Anklage.
Von der neuen Gesetzgebung (MCA) sind aber nicht nur die Gefangenen von Guantánamo betroffen; der MCA bestimmt, dass Nicht-US-Bürger den Schutz des Habeas Corpus- Prinzips nicht genießen. Dies wird insbesondere in Teil 7 (section 7) des MCA deutlich, der bestimmt, dass die federal courts (Bundesgerichten) keine Jurisdiktion über Habeas Corpus-Eingaben von Personen haben, die als „unlawful enemy combatant“ bezeichnet werden oder denen eine solche Bezeichnung
droht22. Nach Erlass des MCA hat das US-Justizministerium unverzüglich den federal courts (Bundesgerichten) mitgeteilt, dass sie jetzt keine Befugnis mehr hätten, Inhaftierten von Guantánamo
rechtliches Gehör zu verschaffen23. Eine solche Anweisung ist nur ein Beispiel des fortschreitenden
Aufweichens des Prinzips der Gewaltenteilung in den USA.
Ein weiterer sehr problematischer Aspekt am MCA ist die Tatsache, dass der MCA den Präsidenten
dazu ermächtigt, jeden – US-Bürger oder nicht – in Haft zu nehmen, wenn er der Auffassung ist,
dass es sich um einen „unlawful enemy combatant“ handelt. Die Definition vom „unlawful enemy
combatant“ ist sehr weit gefasst und erlaubt es dem Präsidenten, geradezu jeden festzunehmen.
Viele der grauenhaften Misshandlungen und Folterungen von Abu Ghraib und Guantánamo werden
dadurch weiterhin erlaubt und gerechtfertigt sein. Auch werden diejenigen, die Folterstraftaten an
Gefangenen anordnen und ausführen, vollständige Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung genießen. Diejenigen, die Folterstraftaten in der Vergangenheit anordneten, genießen rückwirkend
Immunität. Der MCA festigt so die Verschleierungsaktionen der CIA sowie das Verschwinden lassen
von Terrorverdächtigen an geheime Orte und die grauenhaften Verhörmethoden. J.Y., der das Foltermemorandum für das Justizministerium schrieb, definiert Folter so, dass es der CIA weiterhin
möglich ist, Verdächtige zu foltern24. Im Teil 5 (section 5) des MCA wird ausdrücklich dargelegt,
dass sich in Fällen, in denen die US- Regierung oder ihre Beauftragten involviert sind, niemand auf
die Genfer Konventionen berufen dürfe25. An dieser Stelle setzt auch die Kritik des Internationalen
Roten Kreuzes (IKRK) an: Zahlreiche fundamentale Prinzipien wie zum Beispiel das Recht auf ein
faires Verfahren, den absoluten Schutz der Menschenwürde oder das Verbot erniedrigender und
menschenunwürdiger Behandlung von Gefangenen erwähnt der MCA nicht. Auch wurden im MCA
Tatbestände nicht aufgenommen, die nach US-Recht Kriegsverbrechen sind26.
Ein Gefangener bekommt nicht Einsicht in alle Beweise, die gegen ihn angeführt werden; Beweise
vom Hörensagen sind zugelassen27. Auch lässt der MCA vor den Military Commissions Aussagen zu,
die unter Zwang zustande gekommen sind. Damit werden Misshandlungen legalisiert28 und eine
effektive Verteidigung unmöglich gemacht29. Auch der bereits erwähnte War Crimes Act (WCA) von
20
http://www.usconstitution.net/const.html
http://www.wsws.org/de/2006/okt2006/mca-o05.shtml
22
McDonough, Molly, Battle over terror law begins, Detainees Challenge Measure Barring Habeas
Petitions http://www.abanet.org/journal/ereport/oc20terror.html ; Cole, David, Sanctioning Lawlessness, The Nation 23. Oktober 2006
23
A Dangerous New Order, New York Times, 19. Oktober 2006.
21
24
Cole,
David,
Sanctioning
Lawlessness,
The
Nation
23.
Oktober
2006,
http://www.thenation.com/doc/20061023/cole
25
Mariner, Joanne, The Military Commissions Act of 2006: A Short Primer, 25.Oktober 2005
http://writ.news.findlaw.com/mariner/20061025.html
26
Red Cross lambasts US terror law, BBC News, 19.Oktober 2006
http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/6068394.stm
27
Ratner, Michael, Pushing Back on Detainee Act, The Nation, 4. Oktober 2006
http://www.thenation.com/doc/20061016/ratner
28
Mariner, Joanne, The Military Commissions Act of 2006: A Short Primer – vgl.
http://writ.news.findlaw.com/mariner/20061009.html ; Tagesspiegel vom 18.10.2006 http://www.tagesspiegel.de/politik/archiv/18.10.2006/2842228.asp
29
Olbermann, Keith, 'Beginning of the end of America', 19.Oktober 2006
http://www.netscape.com/viewstory/2006/10/18/olbermann-beginning-of-the-endofamerica/?url=http%3A%2F%2Fmsnbc.msn.com%2Fid%2F15321167%2F&frame=true; Red
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1996, der ausdrücklich einen Verstoß gegen den gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Konventionen
als Kriegsverbrechen bezeichnet, wird in Teil 6 (section 6) des MCA insofern modifiziert, als der
Präsident letztendlich die Befugnis hat, die Bedeutung und Anwendung der Genfer Konventionen zu
bestimmen. In Teil 6 b (2) wird der MCA ausdrücklich rückwirkend zum 26. November 1997 für
anwendbar erklärt; diese rückwirkende Anwendbarkeit hat zur Folge, dass Straftäter die damals
gegen geltendes Kriegstrafrecht verstoßen haben, jetzt nicht mehr nach dem War Crimes Act bestraft werden. Wie bereits erwähnt, klassifizierte der ursprüngliche WCA Kriegsverbrechen im Sinne
der Genfer Konventionen auch als Straftaten nach US-Recht. Die aufgrund des MCA geltende geänderte Fassung des WCA schützt also US-Angestellte, CIA-Angestellte, zivile Beamte sowie die so
genannten „civilian contractors“, die für die Missbräuche verantwortlich sind, vor strafrechtlicher
Verfolgung30. Das Internationale Rote Kreuz, das verantwortlich für die Einhaltung der Genfer Konventionen ist, ist über diese Änderung des WCAs sehr besorgt, da bereits der gemeinsame Artikel 3
der Genfer Konventionen den absoluten Minimalstandard festlegt.31
A.G. erklärte gegenüber dem Kongress, dass aufgrund der Unbestimmtheit der Vorschriften, inakzeptable Risiken für gefälschte Strafverfolgungen aufgrund des WCA bestünden und dass dies nicht
nur Soldaten, sondern auch diejenigen in der Befehlskette betreffen könnte, die Missbräuche genehmigt hätten. Insofern seien die Veränderungen des WCA nichts weniger als eine Klarstellung
zweideutiger Gesetzestexte und kein Versuch, vergangene Straftaten wegzudefinieren32.
Der MCA definiert den Begriff Kriegsverbrechen, der früher durch Völkergewohnheitsrecht bestimmt
wurde33, neu: Neben einer Reihe von Straftaten sind Folter und „grausame Behandlung“ zentrale
Tatbestände34. Auch legt der MCA die zu enge Auslegung des Folterbegriffs zugrunde, bei der der
UN-Anti-Folterausschuss bereits im Mai 2006 die USA daraufhin gewiesen hat, dass diese Definition
nicht im Einklang mit Völkerrecht ist35. Nach dieser zu engen Auslegung liegt Folter nur dann vor,
wenn es sich um ein „vorsätzliches Zufügen von schwerwiegenden körperlichen und seelischen
Schmerzen oder Leiden“ handelt. Damit werden missbrauchbehaftete Befragungstechniken, die
nach dem 11. September praktiziert wurden, wie Unterkühlung (Hypothermie), Schlafentzug sowie
Wasserkur (Waterboarding), grundsätzlich nicht als Folter bewertet.36
Auch gibt es im MCA zwei Definitionen des Begriffs “grausame und unmenschliche Behandlung“;
die eine bezieht sich auf Misshandlungen vor dem Inkrafttreten des MCA, die andere auf die Zeit
danach. Nach dem Inkrafttreten gelten als “grausame und unmenschliche Behandlung” Misshandlungen, die ernsthafte und nicht-vorübergehende psychische Schmerzen oder Leiden verursachen;
Misshandlungen, die vor dem Inkrafttreten des MCA begangenen wurden, gelten nur dann als
„grausame und unmenschliche Behandlung“, wenn die Schmerzen anhaltend sind. Human Rights
Watch stellt fest, dass diese doppelte Definition ein deutliches Zeichen dafür ist, dass es darum
geht, US-Agenten zu schützen.37
Cross lambasts US terror law, BBC News, 19.Oktober 2006
http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/6068394.stm
30
http://hrw.org/backgrounder/usa/qna1006/
31
R. Jeffrey Smith, War Crimes Act Changes Would Reduce Threat Of Prosecution, Washington
Post, Aug. 9, 2006, at A1.
32
John Sifton, Criminal, Immunize Thyself, Slate.com, Aug. 11, 2006, available at
http://www.slate.com/toolbar.aspx?action=print&id=2147585 (last visited Nov. 1, 2006).
33
Joanne Mariner, Remarks delivered at The Military Commissions Act of 2006: Executive Power,
Interrogation and Detention in the War on Terror, held at the Benjamin N. Cardozo School of Law,
New York (Nov. 1, 2006).
34
Scott Horton, Remarks delivered at the ASIL Centennial Conference on The Nuremberg War Crimes Trial, Bowling Green, OH (Oct. 7, 2006)(transcript available at
www.nimj.org/documents/Horton-When_Lawyers_Are_War_Criminals.pdf (last visited Oct. 30,
2006)).
35
Justice At Last or More of the Same? Detentions and Trials After Hamdan v. Rumsfeld, Amnesty
International, Sept. 18, 2006, available at news.amnesty.org/library/Index/ENGAMR511462006
(last visited Nov. 1, 2006).
36
Wells’ Notes
37
http://hrw.org/backgrounder/usa/qna1006/
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Nach dem MCA werden zwar Folter und grausame und unmenschliche Misshandlung als “schwerwiegende Verletzung“ klassifiziert, entwürdigende und demütigende Handlungen jedoch nicht.38
Der MCA verschafft US-Angestellten einen besonderen Verteidigungsschutz, die wegen eines Verbrechens im Sinne des gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Konventionen angeklagt sind, das sie
zwischen dem 11. September 2001 und dem 30. Dezember 2005 begangen haben, indem er den
Detainee Treatment Act of 2005 (DTA)39 rückwirkend für anwendbar erklärt. Damit können diese
US-Angestellten einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Folterpraktiken wie “Waterboarding”
(“Wasserkur”) entkommen, wenn sie darlegen können, gutgläubig bei ihrem Handeln gewesen zu
sein und gedacht zu haben, dass sie im Einklang mit Recht und Gesetz handelten40. Es gibt Dokumente, die darauf hinweisen, dass die US-Administration Vernehmungsbeamte ermutigt haben soll,
Techniken anzuwenden, die einen Verstoß gegen den gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Konventionen darstellen; gleichzeitig wurde diesen Vernehmungsbeamten Immunität vor Strafverfolgung
zugesichert.41 Zudem wird im Gegensatz zum ursprünglichen DTA aufgrund des MCA der Verteidigungsschutz auf strafrechtliche Verfolgungen, die im Zusammenhang mit Gefangenennahme und
Befragungen stehen, ausgeweitet und nicht nur, die – so die ursprüngliche Fassung des DTA – sich
„aus dem Verhalten des Beamten“ ergeben.
In dem so genannten „Barrios-Altos“ - Urteil wird ausdrücklich dargelegt,
„dass die Amnestievorschriften, die Vorschriften zur Verjährung und die Verordnungen, die dafür
geschaffen sind [strafrechtliche] Verantwortlichkeit auszuschließen, unzulässig sind, weil sie beabsichtigen, die Ermittlung und die Bestrafung derjenigen zu verhindern, die für schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche, standrechtliche oder willkürliche Hinrichtungen
sowie erzwungenes Verschwinden [von Menschen] verantwortlich sind; all dies ist verboten, weil
dadurch unveräußerliche Rechte, die im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzstandard verankert
und anerkannt sind, verletzt werden.“42
Mit dem Barrios-Altos“ - Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom März
2001 wurde der Weg zur Beendigung der Straffreiheit geebnet. Das Urteil bezog sich auf ein 1991
in Barrios Altos, Lima, verübtes Massaker und verfügte, dass die peruanischen Amnestie-Gesetze
keine „rechtliche Gültigkeit“ haben und für eine Untersuchung sowie eine Identifizierung der Täter
in diesem oder jedem anderen Fall kein Hindernis mehr sein dürfen.43
Ausgehend von dem Rechtsgedanken des „Barrios-Altos“ – Urteils sind mehrere der bereits diskutierten Vorschriften des MCA deswegen unzulässig, weil sie eben gerade „beabsichtigen, die Ermittlung und die Bestrafung derjenigen zu verhindern, die für schwere Menschenrechtsverletzungen
verantwortlich sind.“ Genannt sei an dieser Stelle nur die rückwirkende Anwendbarkeit des War
Crimes Act, wodurch US-Angestellte davor geschützt werden, wegen Taten verurteilt zu werden,
die nach der “alten Definition” noch Kriegsverbrechen waren. Durch den MCA ist auch der Detainee
Treatment Act rückwirkend anwendbar; indem dem Täter als rechtsmäßiges Verteidigungsmittel
zugestanden wird, darzulegen, dass er nicht wusste, dass sein Handeln unrechtmäßig war, wird
Immunität für diese Kriegsverbrechen gewährt. Schließlich verhindert der MCA auch dadurch die
effektive Strafverfolgung der Verantwortlichen, dass den Gefangenen durch den MCA versagt wird,
ihre in den Genfer Konventionen verankerten Rechte geltend zu machen; gleichzeitig erhält die
Exekutive Kompetenzen, um geheime Befragungstechniken zu vertuschen.
38
van Matre, Craig, Hysteria, Politics and the Rule of Law, Published Sunday, 5. November 2006 http://www.columbiatribune.com/2006/Nov/20061105Feat006.asp
39
DTA vom 31.12.2005 - http://jurist.law.pitt.edu/gazette/2005/12/detainee-treatment-act-of2005-white.php
40
Michael C. Dorf, Why the Military Commissions Act is No Moderate Compromise, FindLaw.com,
Oct. 11, 2006, http://writ.news.findlaw.com/dorf/20061011.html (last visited Oct. 31, 2006).
41
John H. Richardson, Acts of Conscience, Esquire Magazine, Vol. 146, Issue 2, August 2006; cited
in Prepared Statement of Katherine Newell Bierman, Counterterrorism Counsel, U.S. Program, Human Rights Watch, To the Senate Committee on Armed Services, July 19, 2006, available at,
http://hrw.org/pub/2006/usTestimony071906.pdf (last visited Nov. 1, 2006).
42
Urteil vom 14. März 2001 - Inter-American Court of Human Rights http://www.worldlii.org/int/cases/IACHR/2001/5.html
43
http://www.ruhr-unibochum.de/amnesty/Peru/PeruMenschenrechte/PeruZeitFuerTaten/peruzeitfuertaten.html
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Ein Richter des „Barrios-Altos“ –Falls, Richter Antônio A. Cançado Trindade, fügte hinzu, dass das,
was “nach innerstaatlichen Recht rechtmäßig sein mag, nicht notwendigerweise im Einklang mit
dem völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzstandard stehen muss“. Das bedeutet, dass “so genannte Amnestiegesetze … eben keine rechtliche Gültigkeit gegenüber den völkerrechtlich anerkannten Menschenrechten haben“. Wenn man dieses Menschenrechtsverständnis auf den MCA
überträgt, wird deutlich, dass –obwohl die USA rein formal nach innerstaatlichem Recht Gesetze
ordnungsgemäß geändert haben und Immunitäten für die G.W.B.-Administration geschaffen haben- genau diese Immunitäten letztendlich auf eine „Selbstamnestie“ hinaus laufen, die in keiner
Weise im Einklang mit den völkerrechtlich anerkannten Menschenrechten steht.
Richter Trindade argumentierte außerdem, dass Amnestien zwar gerechtfertigt sein mögen, wenn
sie das Ergebnis eines demokratischen Prozesses seien, der die Verfolgung von gegnerischen Parteien verhindert, wenn letztendlich keine dieser Parteien eine Bestrafung für die Taten angemessen
findet. Dagegen seien jedoch „Selbstamnestien nur von denjenigen und für diejenigen, die an der
Macht sind“. Anstatt Kongress und die Öffentlichkeit frühzeitig einzubinden, hat die G.W.B.Administration fast ausschließlich unter so großer Geheimhaltung als möglich und mit so genannten
„executive orders“ [Verfügungen des Präsidenten] gearbeitet. Solange bis sich die USA nicht selbst
einem internationalen Gericht unterworfen haben44, verstoßen diese Immunitätsvorschriften, die
auf eine Selbstamnestie hinauslaufen, gegen den völkerrechtlich anerkannten Menschenrechtsschutzstandard.
Der MCA hat also auch zur Folge, dass US-Politiker, CIA-Angehörige und ehemaliges US-Militär für
begangene Straftaten nicht verfolgt werden können.45
Kürzlich bestätigte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen „seine strengste Verurteilung aller
Gewaltakte oder Misshandlungen, die gegen Zivilisten während bewaffneter Konflikte begangen
werden, …insbesondere… Folter und andere verbotene Behandlung“46. Der Sicherheitsrat verlangte
zudem, dass alle Parteien eines bewaffneten Konflikts „strikt die Verpflichtungen befolgen, die
ihnen gemäß dem Völkerrecht obliegen, insbesondere nach der Haager Landkriegsordnung von
1899 und 1907 und den Genfer Konventionen von 1949“47 und betonte „die Verantwortung von
Staaten, ihre Verpflichtung zu erfüllen, Straflosigkeit aufzugeben und die für Kriegsverbrechen
Verantwortlichen, insbesondere für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwerwiegende Verstöße gegen Humanitäres Völkerrecht, strafrechtlich zu verfolgen“.
Dass die USA diesen völkerrechtlichen Standards der Strafverfolgung derzeit in keiner Weise entsprechen, konstatiert auch Jordan J. Paust:
„Trotz dieser Anforderungen hat sich die G.W.B.-Regierung während der vergangenen fünf Jahre
geweigert, Strafverfolgung gegen irgendeine Person, gleich welcher Nationalität, gemäß dem War
Crimes Act aufzunehmen oder gemäß alternativen Gesetzen, die irgendeine Art von Verfolgung von
Kriegsverbrechen vor US-Bundesgerichten erlauben – dem US-Foltergesetz, dem US-Völkermordgesetz und der Gesetzgebung, die die Strafverfolgung von bestimmten Zivilisten erlaubt, die die
US-Streitkräfte im Ausland begleiten oder von diesen angestellt wurden.“
Durch die Folterstraftaten in Abu Ghraib und Guantánamo hat die USA nicht nur – wie bereits dargelegt – gegen ihre Verpflichtungen aus den Genfer Konventionen (insbesondere gegen gemeinsamen Art. 3) verstoßen, sondern auch gegen weitere völkerrechtliche Verpflichtungen wie Art. 7
44
Justice At Last or More of the Same? Detentions and Trials After Hamdan v. Rumsfeld, Amnesty
International, Sept. 18, 2006, available at news.amnesty.org/library/Index/ENGAMR511462006
(last visited Nov. 1, 2006).
45
u.v.a. Smith, Jeffrey, War Crimes Act would reduce threat of prosecution, 9. August 2006,
Washington Post - http://www.washingtonpost.com/wpdyn/content/article/2006/08/08/AR2006080801276.html ; Paust, Jordan J., Addifavit; Justice At
Last or More of the Same? Detentions and Trials After Hamdan v. Rumsfeld, Amnesty International,
Sept. 18, 2006, available at news.amnesty.org/library/Index/ENGAMR511462006 (last visited Nov.
1, 2006).
46
U.N. S.C. Res. 1674, para. 5, U.N. Doc. S/RES/1674 (28 Apr. 2006).
47
Id. pa. Vergleiche auch U.N. S.C. Res. 1566, prmbl. (8 Oct. 2004) (States must “ensure that any
measures taken to combat terrorism comply with all their obligations under international law ..., in
particular international human rights, refugee, and humanitarian law”). Entscheidungen des Sicherheitsrats sind für die USA und die anderen UN-Mitgliedstaaten gemäß Artilkel 25 und 48 der
UN-Charta bindend.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (IPbpR)48, Art. I und XXV der Amerikanischen Erklärung über die Rechte und Pflichten der Menschen49, Art. 55(c) und 56 der UN-Charta,
Art. 2, 4 und 16 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung oder Strafe50 sowie den darin wiedergegebenen gewohnheitsrechtlichen,
unveräußerlichen und universell anwendbaren Menschenrechten und Kriegsrecht.
2.3. Strafverfahren wegen Foltervorfällen nur gegen niedrigrangige Soldaten
Die nunmehr in Deutschland eingereichte Strafanzeige richtet sich ausdrücklich nur gegen militärische und zivile Vorgesetzte wegen der Vorfälle in Abu Ghraib. Denn bisher fanden ausschließlich
gegen niedrigrangige, an den Foltervorfällen unmittelbar beteiligte Militärs straf- und militärgerichtliche Ermittlungen und Verfahren statt. Im Einzelnen sind bisher folgende Verfahren durchgeführt
worden.
Nach dem Taguba-Bericht sind 27 Mitglieder der nachrichtendienstlichen Einheit in Abu Ghraib täterschaftlich an den Misshandlungen von Inhaftierten beteiligt gewesen. Dazu kommen zehn militärische Gefangenenwärter und vier zivile Vertragsarbeiter, die ebenfalls direkt in die Vorfälle involviert waren. Abgesehen von der direkten Verwicklung von Oberst T.P. und Oberstleutnant S.J., die
in den Tod eines Inhaftierten verwickelt sind, wurde kein Soldat mit einem Rang über dem Stabsunteroffizier beschuldigt, an Gefangenenmisshandlungen teilgenommen zu haben.
Acht Soldaten wurden wegen Gefangenenmisshandlung in Abu Ghraib angeklagt. Sieben davon
gehörten der 372. Militärpolizeikompanie der Armee an und einer dem 325. Nachrichtendienstlichen Bataillon. Einige der Angeklagten plädierten auf schuldig und sagten gegen die anderen Beschuldigten aus, weswegen ihre Strafen erheblich reduziert wurden.
−
−
−
Stabsunteroffizier I.F., der Angeklagte des höchsten Ranges, plädierte schuldig
in acht Anklagepunkten der Gefangenenmisshandlung und menschenunwürdigen
Behandlung von Inhaftierten im US-Gewahrsam. Er wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Der militärische Rang wurde reduziert. Es wurde kein Lohn mehr
ausbezahlt, und er wurde unehrenhaft entlassen (vgl. Jackie Spinner, „MP Gets 8
Years for Iraq Aubse“, Washington Post, Okt. 21, 2004). Die Anklagepunkte unter
dem Militärstrafgesetzbuch (Uniform Code of Military Justice), Verschwörung zur
Gefangenenmisshandlung, fahrlässige Nichterfüllung der Pflicht, Gefangene vor
Misshandlung, Grausamkeit und Schlechtbehandlung zu bewahren, Schlechtbehandlung von Gefangenen durch Nacktfotografien, durch Posieren für einen Fotografen mit einem misshandelten Gefangenen, durch das Erteilen von Befehlen, sich
gegenseitig zu berühren, Berührung und Angriff auf Gefangene und Begehen von
unwürdigen Handlungen51.
Spec. J.S. plädierte auf schuldig. Er wurde im Mai 2004 zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Die Anklagepunkte waren Verschwörung zur Misshandlung von
Gefangenen, fahrlässige Nichterfüllung der Pflicht, Gefangene vor Misshandlung,
Grausamkeit und Schlechtbehandlung zu bewahren52.
Spec. M.A. plädierte in einem Fall der Nichterfüllung von Pflichten für schuldig und
traf eine Vereinbarung mit den Strafverfolgern. Diese ließen zusätzliche Anklagepunkte wegen Verschwörung, Misshandlung von Gefangenen und anderen Taten
fallen. M.A. wurde vom Spezialist zum Gefreiten degradiert und erhielt für einen
48
Den Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte ( vgl. http://www.unipotsdam.
de/u/mrz/un/int-bill/ipbprde.htm ) hat die USA 1992 ratifiziert vgl.
http://www.ohchr.org/english/countries/ratification/4.htm
49
Die Amerikanische Erklärung über die Rechte und Pflichten der Menschen (“American Declaration
of the Rights and Duties of Man” http://www.oas.org/juridico/English/ga-Res98/Eres1591.htm )
wurde 1948 in Kolumbien auf der 9. Internationalen Konferenz der Amerikanischen Staaten verabschiedet.
50
Die USA haben das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung oder Strafe (http://www.igfm.de/index.php?id=207 )am 21. Oktober
1994 ratifiziert –vgl. http://www.ohchr.org/english/countries/ratification/9.htm
51
http://news.findlaw.com/wp/docs/iraq/ifred32004chrg.html
52
http://news.findlaw.com/hdocs/docs/iraq/sivits50504chrg.html
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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halben Monat keine Bezahlung53.
−
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Corporal C.G. plädierte auf nicht schuldig bezüglich aller Anklagepunkte (Verschwörung zur Misshandlung von Gefangenen, Vernachlässigung seiner Pflichten,
Grausamkeit und unmenschliche Behandlung, tätliche Beleidigung und unzüchtige
Handlungen). C.G. machte zu seiner Verteidigung geltend, er habe lediglich Befehle seiner Vorgesetzten ausgeführt. Am 14. Januar 2005 wurde C.G. wegen aller
gegen ihn erhobenen Vorwürfe schuldig gesprochen; am 15. Januar 2005 sprach
das Tribunal eine Strafe von zehn Jahren Gefängnis aus54.
Unteroffizier J.D. bekannte sich schuldig und wurde wegen Pflichtverletzung, Fälschung amtlicher Dokumente und Gewalttaten am 4. Februar 2005 zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Außerdem wurde er auf den Rang eines Private degradiert55.
Obergefreite L.E., die sehr oft auf Fotos zu sehen war, wurde mit ähnlichen Anklagevorwürfen nach dem Militärstrafgesetzbuch belegt. Am 26. September 2005
wurde L.E. wegen Verabredung zur Misshandlung von Gefangenen, Grausamkeit
gegenüber Gefangenen und unzüchtigem Verhalten zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Aufgrund ihrer Schwangerschaft war das Verfahren verzögert worden; sie
hat einen Sohn geboren, dessen Vater der bereits erwähnte C.G. sein soll.56
Die Gefreite S.H. wurde von der US-Militärjustiz angeklagt wegen Verschwörung
zur Misshandlung von Gefangenen, Verletzung ihrer Pflicht, die Gefangenen zu beschützen, Grausamkeit und
schlechter Behandlung von Gefangenen. Am 16. Mai
2005 wurde sie von einem Militärtribunal in sechs von sieben Anklagepunkten
schuldig gesprochen und zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt57.
Der Gefreite A.C. vom 325. Nachrichtendienstbataillon plädierte im September
2004 auf schuldig, wurde am 11. September 2004 der Verschwörung zur Misshandlung von Gefangenen für schuldig befunden und zu einer Gefängnisstrafe von
acht Monaten verurteilt58.
S.J. wurde am 27. April 2006 wegen der Verletzung seiner Pflicht zur Kontrolle
seiner Untergebenen, die zu Gefangenenmissbrauch führte, grausamer Behandlung, Einsatz von Hunden bei Verhören ohne entsprechende Ermächtigung und
Falschaussage angeklagt. S.J. hatte Gefangene gezwungen, sich zu entkleiden und
sexuelle Kontakte mit Hunden einzugehen.59 Ihm wurde ebenfalls vorgeworfen, die
Armeeermittler angelogen zu haben.60 Nur einer dieser Anklagepunkte belastet jedoch S.J. direkt. Ihm wird vorgeworfen, Gefangene mit Militärhunden eingeschüchtert zu haben und sie gezwungen zu haben, sich nackt im Gefängnis aufzuhalten.
Von den im Skandal um das Gefängnis von Abu Ghraib angeklagten und verurteilten Armeeangehörigen ist Oberstleutnant S.J. der diensthöchste61. S.J. ist der erste und einzige Offizier, der wegen Folter von Gefangenen strafrechtlich angeklagt
wurde. Menschenrechtsorganisationen haben ihre Besorgnis darüber geäußert,
dass die Versäumnisse bei der militärischen Verfolgung von S.J. aktuell dazu führt,
dass „hochrangige militärische und zivile Beamte von der Verantwortlichkeit für
Gefangenmisshandlungen ausgeschlossen werden.“62
R.K. wurde am 1. Februar 2005 wegen der Verschwörung zur Misshandlung von
53
Josh White, Abu Ghraib Prison MP Pleads Guilty to Reduced Charge, Nov. 3, 2004.
http://www.trial-ch.org/de/trial-watch/profil/db/legal-procedures/charles_graner_259.html
55
http://www4.army.mil/ocpa/read.php?story_id_key=6843
56
http://www.trial-ch.org/de/trial-watch/profil/db/legal-procedures/lynndie-r._england_555.html;
http://news.findlaw.com/hdocs/docs/iraq/england21105chrg.html).
57
http://www.trial-ch.org/de/trial-watch/profil/db/legal-procedures/sabrina_harman_559.html
58
http://www.trial-ch.org/de/trial-watch/profil/db/legal-procedures/armin_cruz_550.html
59
Siehe den Artikel „Erster Offizier im Abu Ghraib Skandal angeklagt“ von Mark Benjamin, Salon.com, vom 29. April 2006. Zu finden unter:
http://www.salon.com/news/feature/2006/04/29/jordan/index_np.html.
60
Ebd.
61
http://www.trial-ch.org/de/trial-watch/profil/db/legal-procedures/steven-l._jordan_561.html
62
Ebd.
54
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Gefangenen und der schlechten Behandlung von Gefangenen zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt63.
−
-
S.C., ein Hundeabrichter, wurde am 1. Juni 2006 wegen Pflichtverletzung und der
Begehung von Übergriffen gegen irakische Gefangene zu 90 Tagen Zwangsarbeit
und einer Buße in der Höhe von 7200 US-Dollar verurteilt und in den Rang eines
Spezialisten degradiert64. Allerdings erhielt er wenig später seinen Rang als Unteroffizier bereits zurück. S.C., der auf einem Al Quaida-Propaganda-Video erscheint,
sollte zunächst zusammen mit seiner Militärpolizeikompanie zurück in den Irak geschickt werden65. Aus Sicherheitsgründen wurde er jedoch bereits wieder zurückgeholt66.
M.S. wurde am 22. März 2006 wegen schlechter Behandlung von Gefangenen,
Übergriffen auf Gefangene, Verschwörung zur Misshandlung von Gefangenen,
Pflichtverletzung und unzüchtigen Handlungen zu 179 Tagen Gefängnis verurteilt.
Zu seiner Verteidigung hatte M.S. vorgebracht, dass er davon ausgegangen war,
Befehle seiner Vorgesetzten befolgt zu haben67.
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International äußern große Sorge darüber, dass die
Urteile der Militärgerichte in keiner Weise die Gräueltaten von Abu Ghraib widerspiegeln.68
Ein Problem bei der Strafverfolgung liegt auch darin, dass – gemäß der UN-Resolution 1564
(2004)69 – Mitglieder der Mulitnational Forces (MNF) Immunität vor irakischen Straf- und Zivilrecht
genießen. So sind Ermittlungen wegen Menschenrechtsverletzungen, die durch MNF-Mitglieder begangen werden, allein in der Hand der jeweiligen Staaten. Amnesty hat festgestellt, dass diese
Tatsache den von den MNF-Mitgliedern einzuhaltenden Grundsatz der Unparteilichkeit verletzt.70
Die Straflosigkeit der Angestellten ziviler Sicherheitsdienste
Neben den Misshandlungen durch Angehörige des US-Militärs, gibt es jedoch auch Misshandlungen
durch so genannte „civil contractor“. Hauptproblem bei der juristischen Aufarbeitung von Misshandlungen durch „civil contractor“ ist, dass nicht geklärt ist, welches Recht bei nichtmilitärischen Personen anwendbar ist. An Militärrecht sind die civil contractors nicht gebunden, US-Gerichte haben
bis auf wenige Ausnahmen aufgrund des Territorialitätsgrundsatzes keine Jurisdiktionsgewalt über
auf irakischen Boden begangene Verbrechen; im Irak selbst werden sie nicht verfolgt. Zwar gibt es
Richtlinien von 2003 von der Coalition Provisional Authority, aber Truppen und „contractors“ sind
von der Gerichtsbarkeit der irakischen Gerichte „geschützt“. Theoretisch besteht zwar die Möglichkeit, Gesetze wie „2000 Military Extraterritorial Jurisdiction Act71“ anzuwenden, doch gelten diese
Gesetze nur in ganz bestimmten Fällen. Letztendlich wird deutlich, dass hier ein „juristisches Vakuum“ besteht. Von den 25.000 civil contractors wurde nicht ein einziger strafrechtlich verfolgt oder
zur Verantwortung gezogen.72
Die mangelnde juristische Aufarbeitung wird zum Beispiel am Fall des „civil contractor“ A.N. von
der Firma Titan deutlich. A.N. wurde zwar im Fay Jones-Bericht und später auch im Tabuga-Bericht
sowie im Juli 2004 im US-Army-Investigation-Command-Memo wegen Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs genannt; strafrechtliche Konsequenzen hatte dies jedoch letztendlich nicht; Klagen
gegen A.N. wurden abgewiesen.
Viele der „civil contractor“ waren davor beim Militär. Der Firma Titan bereitete es große Probleme,
den hohen Bedarf an Arabisch-Englisch-sprechenden Übersetzern dazu noch für einen Einsatz im
Kriegsgebiet zu decken. Es stellte sich schließlich heraus, dass viele dieser nicht sorgfältig ausge63
http://www.trial-ch.org/de/trial-watch/profil/db/legal-procedures/roman_krol_558.html
http://www.trial-ch.org/de/trial-watch/profil/db/legal-procedures/santos-a._cardona_560.html
65
Zaghorin, Adam, An Abu Ghraib Offender Heads Back to Iraq, 2. November 2006 http://www.time.com/time/world/printout/0,8816,1554326,00.html
66
Burns, Robert, Deployment of Convicted Soldier Is Stopped, 3. November 2006 http://www.guardian.co.uk/worldlatest/story/0,,-6189817,00.html
67
http://www.trial-ch.org/de/trial-watch/profil/db/legal-procedures/michael_smith_557.html
68
Expert Report of Professor Bill Bowring (Nr. 19).
69
http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N04/515/47/PDF/N0451547.pdf?OpenElement
70
Expert Report of Professor Bill Bowring (Nr. 26f.).
71
http://www.pubklaw.com/hi/pl106-523.pdf.
72
PW Singer, Foreign Affairs, 03/04-2005.
64
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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suchten und angeworbenen Übersetzer kaum Englisch konnten und die Gefangenen schrecklich
(Folter, Misshandlungen) behandelten.73 Der Anwalt B. sagte, die nachlässigen Methoden bei der
Anwerbung und Ausbildung trugen zu den Misshandlungen der Gefangenen bei. Viele Übersetzer
waren Kurden, irakische Christen oder Angehörige anderer Minderheiten, die vom Saddam-Regime
unterdrückt wurden und ihre Wut auf die Gefangenen projizierten74.
Obwohl das Army Criminal Investigation Command (CID) aufgrund eines Fotos des civil contractor
D.J., auf dem er einen Abu-Ghraib-Gefangenen misshandelt, hinreichenden Verdacht begründete,
dass ein civil contractor ein Verbrechen begangen hatte, reichten die Beweise angeblich nicht aus,
um den Fall weiter zu verfolgen. Auch hatten zwei Soldaten, die bei der Militärpolizei in Abu Ghraib
dienten und selbst wegen Gefangenenmisshandlungen bereits zu Gefängnisstrafen verurteilt waren,
berichtet, dass D.J. an Gefangenenmissbrauch beteiligt war bzw. angeordnet hat. Ein Jahr später,
im Frühjahr 2006, hieß es aus dem Justice Department, dass es im Fall D.J. noch keine endgültigen
Beschlüsse gebe. Aus einem Bericht des Eastern District of Virginia geht hervor, dass zwei der 19
Gefangenenmissbrauchsfälle eingestellt wurden. Die Entscheidung beruhte auf einer Empfehlung
des Justice Department of Washington. Der Entscheidungsfindungsprozess des Justice Department
wird für die Öffentlichkeit nicht transparent gemacht.75
Die mangelnde Strafverfolgung in Todesfällen
Weitere strafrechtliche Ermittlungen finden wegen der bereits erwähnten und wegen anderer Todesfälle statt. Diesbezüglich wird auf den ausführlichen Bericht „By the numbers“76 des „detainee
abuse and accountability project“ verwiesen. Das „detainee abuse and accountability project”, eine
Initiative des Centers for Human Rights, Global Justice der New York University, Human Rights
Watch und Human Rights First, veröffentlichte im April 2006 einen faktenbezogenen Hintergrundbericht über den Umfang der strafrechtlichen Verfolgung von Gefangenenmisshandlungen unter
US-Gewahrsam im Irak, Afghanistan und Guantánamo Bay.
Dabei konstatiert der Bericht grundsätzlich einerseits die weitflächige Verbreitung von Folter in USGewahrsam und andererseits eine nicht einsetzende oder ineffektive strafrechtliche Ermittlung. So
dokumentierte das Projekt 330 glaubwürdige Fälle77 – circa 220 im Irak, mindestens 60 Fälle in
Afghanistan und mindestens 50 Fälle in Guantánamo Bay –, in denen Angehörigen des US-Militärs
sowie Zivilbeamten vorgeworfen wird, Gefangene misshandelt, gefoltert oder getötet zu haben.
Diese dokumentierten Fälle betreffen cirka 600 US-Militärangehörige und über 460 Gefangene. Nur
in 210 Fällen (über 65 %), in die über 410 Personen verwickelt waren, wurden Ermittlungen aufgenommen. In den verbleibenden 120 Fällen wurden entweder keine Ermittlungen aufgenommen
oder aufgenommene Ermittlungen zeitigten keine Ergebnisse.
Auffallend war, dass nur ‚einfache’ US-Soldaten und keine US-Offiziere unter der Anwendung des
Prinzips der Befehlsverantwortlichkeit für von Untergebenen begangenen Straftaten zur Rechenschaft gezogen wurden. Drei Offiziere wurden zwar verurteilt, aber auf Grund von direkt begangenen Misshandlungen. 20 Fälle, in denen Zivilbeamten, auch CIA-Agenten, Gefangenenmisshandlung vorgeworfen wurde, und die an das Justizministerium weitergeleitet wurden, führten zu keinen
weiteren Ermittlungen (nur gegen einen privaten Auftragnehmer wurde ermittelt).
Das großflächige Versäumnis einer strafrechtlichen Verfolgung basiert auf mehreren Faktoren. Vor
allem drei Gründe werden dafür aufgezählt:
Erstens das geringfügig ausfallende Strafmaß. Von den 600 involvierten US-Militärs wurden nur 79
Personen vor ein Militärgericht gestellt und gegen 64 Personen wurde verhandelt, davon sind 10
Prozesse noch nicht abgeschlossen. In den mit einem Schuldspruch abgeschlossenen 54 Prozessen
73
Richter James Robertson vom Federal District Court in the District of Columbia, 29.06.2006.
Tara McKelvey, The Unaccountables, American Prospekt,
http://www.prospect.org/web/page.ww?section=root&name=ViewPrint&articleId=11863;
75
Benjamin, Mark, No Justice for all, 14. April 2006
http://www.salon.com/news/feature/2006/04/14/contractor/index.html
76
http://hrw.org/reports/2006/ct0406/
77
Als Quellenangabe wird auf offizielle Dokumente der US-Regierung, Berichte von NGOs, Human
Rights Watch und Human Rights First Dokumentationen von Opferaussagen, militärische Untersuchungsberichte, Anwaltsberichte, seriöse Presseberichte sowie Auskünfte der US-Militärs und des
Justizministeriums auf Anfragen des Detainee Abuse and Accountability Project verwiesen.
Unter einen Fall wird eine räumlich und zeitlich bestimmbare Konstellation von einem Täter und
einem Opfer verstanden. Als Misshandlungen werden Verstöße gegen das UCMJ verstanden.
74
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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wurde vierzigmal eine geringfügige Gefängnisstrafe verhängt, 30 Personen wurden zu einer Strafe
unter einem Jahr, 10 zu einer Strafe über einem Jahr verurteilt. In den anderen vierzehn Fällen
wurden keine Gefängnisstrafen, sondern disziplinäre Maßnahmen wie Entlassung und Degradierung
verhängt.
Zweitens wurde in 95% der Anklagen nur die untere Befehlsebene untersucht und die Offiziere, die
dem Prinzip der Befehlsverantwortlichkeit für Untergebene unterliegen nicht beachtet.
Drittens ist die interne Entscheidungsmöglichkeit/Ermessensspielraum eines ermittelnden Vorgesetzen des US-Militärs, der entweder strafrechtliche oder außergerichtliche (administrative) Ermittlungen einleiten kann, dafür verantwortlich. Denn letztere führen nur zu außergerichtlichen Disziplinarverfahren.
Um den schwerwiegenden Versäumnissen bei der Verfolgung von Gefangenmisshandlungen entgegenzuwirken, spricht der Bericht folgende Empfehlungen aus: Dem Kongress wird die Einsetzung
einer unabhängigen Kommission zur Überprüfung der Inhaftierungs- und Verhörmethoden empfohlen. Der Verteidigungs- und der Justizminister werden aufgefordert, ihre Ministerien zur schnellen
und zeitnahen Ermittlung in den Vorwürfen zu bewegen und Anklage zu erheben. Für USMilitärangehörige soll eine zentrale Institution vom Verteidigungsministerium errichtet werden, die
Militärgerichte und Militärprozesse initiiert, organisiert und durchführt (und gerade auch das Prinzip
der Befehlsverantwortlichkeit beachtet). Die Beförderung von Offizieren soll durch den Senat überprüft werden, um auszuschließen, dass die Anwärter in Fälle von Gefangenmisshandlung involviert
waren.
Im Einzelnen finden wegen der bereits erwähnten und wegen anderer Todesfälle folgende Ermittlungen statt:
Wegen des Falles zweier afghanischer Inhaftierter, die auf dem Luftwaffenstützpunkt von Bagram
in Afghanistan im Dezember 2002 starben, sind nach einer Armeeermittlung 28 amerikanische
Soldaten wegen deren Tötung schuldig. Die Armeeangehörigen, unter ihnen Reservisten, könnten
wegen fahrlässiger Tötung, Misshandlung, tätlichem Angriff, Verstümmelung und Verschwörung
verurteilt werden. Die Armeeführung muss darüber entscheiden, ob Hauptverhandlungen gegen 27
namentlich nicht bekannte Soldaten stattfinden. Ein Soldat, Unteroffizier J.B., wurde bereits angeklagt wegen Nichterfüllung seiner Pflicht und tätlichem Angriff.78 Bemerkenswert ist, dass J.B. nicht
wegen Totschlags angeklagt wird.
Die Marinereservistin G.P. und Major C.P. sehen sich zur Zeit einer Hauptverhandlung in Camp
Pendelton ausgesetzt. Sie werden beschuldigt, für den Tod des irakischen Inhaftierten H. im Juni
2003 in Camp Withehorse im Irak verantwortlich zu sein. Die ersten acht Marineangehörigen sehen
sich Anklagen wegen H.s Tod gegenüber. Die Anklagepunkte gegen sechs weitere wurden fallen
gelassen und die erheblichsten Anklagepunkte gegen G.P. und C.P. wurden ebenfalls eingestellt.
C.P. hat das Lager Withehorse befehligt. Er ist angeklagt wegen Misshandlung von Gefangenen und
Nichterfüllung von Pflichten. G.P. war als Wache tätig und ist wegen tätlichen Angriffs und Nichterfüllung seiner Pflicht angeklagt. Beide beschuldigen die Marine,und ihre Anwälte behaupten, der
Inhaftierte sei an natürlichen Ursachen gestorben, unter Umständen an einer Asthmaattacke. Die
Anklagebehörden behaupteten, seine Luftröhre sei zerquetscht worden. C.P. drohen 5 1/2 und G.P.
3 Jahre Freiheitsstrafe in einem Militärgefängnis79.
Der CIA-Angestellte D.P. wird in vier Anklagepunkten wegen Angriffs mit schwerer Verletzungsfolge
und Angriffs mit einer gefährlichen Waffe gegen A.W., der am 21. Juni 2003 in US-Gewahrsam in
Afghanistan starb, beschuldigt. D.P. soll im Sommer 2003 als Vertragskraft des CIA auf einer USMilitärbasis den afghanischen Gefangenen A.W. bei einem Verhör zu Tode geprügelt haben. In dem
Verfahren in Raleigh, North Carolina wurde D.P. wegen Körperverletzung angeklagt, nicht aber
wegen Mordes oder Totschlags. Ihm droht eine bis zu 40-jährige Freiheitsstrafe. D.P. plädiert auf
nicht schuldig.
Die Verteidigung D.P. argumentiert, dass ihr Mandant Befehle von oben befolgte80. Obwohl es die
78
Nick Moe, U. S. Investigation Finds 28 Soldiers Guilty Over Deaths of Two Taliban Suspects in
Afghanistan, The Independent (London), Oct. 16, 2004
79
Alex Roth and Jeff Mc Donald, Iraqi Detainee’s Death Hangs Over Maine Unit, The San Diego
Union-Tribune, May 30, 2004.
80
Anna Griffin, Man in Jail until Trial for Prisoner Abuse, Saint Paul Pioneer Press (Minnesota), 26.
Juni 2004.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Verteidigung verlangte, lehnte es Richter B. ab, G.T. und J.Y., sowie den früheren CIA „operation
chief“ J.B. im Fall D.P. vorzuladen. D.P. wird nach Vorschriften des USA Patriot Act bestraft werden.81
Am 16. Mai 2004 verbreitete die Los Angeles Times, dass wegen eines erschossenen Inhaftierten
am 11. September 2003 im Irak ein US-Soldat wegen exzessiven Gebrauchs von Waffen verurteilt
wurde. Der Inhaftierte hatte einen Stein gegen einen Posten geworfen. Gegen einen Armeeangehörigen namens D. wird am 1. Februar 2005 in Texas eine Hauptverhandlung stattfinden.82
Die beiden Offiziere L.W. und J.W. wurden der fahrlässigen Tötung und der unfreiwilligen Tötung
im Falle Generaloberst M. beschuldigt. Die Taten ereigneten sich am 26. November 2003 in Qaim in
Irak. Es wurde ihnen ein Verweis erteilt und es wurde ihnen verboten, in Zukunft Vernehmungen
zu führen.83
Im September 2004 veröffentlichte die Marine, dass drei Kommandoangehörige wegen Schlagens
von Gefangenen beschuldigt worden waren. In dem F.M.-Fall geht es um einen Iraker, der in Diamondback im Irak im Jahr 2004 gestorben war. In dem A.J.-Fall geht es um einen irakischen Inhaftierten, der in Abu Ghraib 2003 gestorben war. Keiner der Beschuldigten wurde wegen der Tötungen angeklagt. Ein Offizier der Marine begründete dies am 24. September 2004 mit dem Mangel an
Beweisen84.
Für die anwaltlichen Vertreter der Opfer stellt sich in den USA das Problem, dass im Gegensatz zur
deutschen Verfahrensordnung die Einleitung eines Strafverfahrens zwar vorgeschlagen werden
kann, doch ein durchsetzbares Recht nicht existiert. Es liegt im ausschließlichen Ermessen der
Strafverfolger, Ermittlungen einzuleiten. Die Tatsache, dass wegen der aktenkundigen und öffentlich bekannten Fälle von Kriegsverbrechen in Guantánamo, Afghanistan und Irak keinerlei Strafverfahren gegen hochrangige Vorgesetzte geführt werden, spricht für sich selbst. Die Opferanwälte
versuchen daher auf anderen Wegen, ihren Mandanten zu ihrem Recht zu verhelfen, nämlich durch
Zivilverfahren. So ist ein umfangreiches Verfahren wegen der Gefangenenmisshandlungen in Abu
Ghraib aufgrund einer Klage vom 4. November 2004 von bisher 10 benannten und weiteren bisher
nicht benannten Opfern gegen die zivilen Sicherheitsfirmen Titan Corporation and CACI International Inc., deren Bedienstete der Gefangenenmisshandlung verdächtig sind, vor dem United State
District Court For The Northern District Of California angestrengt worden.
2.4. Belohnung statt Bestrafung: Die mangelnde Strafverfolgung hochrangiger Militärs
und der verantwortlichen Politiker und Juristen
Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass trotz der anhaltenden Kritik eines Teiles
der amerikanischen Presse sowie von Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen sowohl in den
Foltervorfällen von Abu Ghraib als auch in den Todesfällen keine Ermittlungen gegen höherrangige
Offiziere, geschweige denn gegen höchste zivile und militärische Vorgesetzte stattfinden. Es ist fast
eine gegenläufige Tendenz zu verzeichnen: Der Beschuldigte D.R., inzwischen ehemaliger Verteidigungsminister unter Präsident G.W.B.. Der Beschuldigte A.G., der als Verfasser der oben zitierten
Memoranden eine wichtige und noch näher zu untersuchende, wohl auch strafrechtlich relevante
Rolle spielte, ist amtierender Justizminister. Der ebenfalls als Mitverfasser eines der entscheidenden Memoranden, nämlich das vom 1. August 2002, aufgetretene J.B. ist in der Zwischenzeit Bundesrichter geworden. Der Beschuldigte Generalleutnant R.S., soll nach Presseberichten befördert
werden. Selbst die Versetzung des Beschuldigten G.M., aus dem Irak soll nach aktuellen Zeitungsmeldungen nicht auf Unzufriedenheit mit seinen Leistungen beruhen, sondern Teil eines routinemäßigen Wechsels darstellen.
Erste Klage gegen Zivilisten wegen Misshandlung von Terrorverdächtigem,
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,430595,00.html
81
Thompson, Estes, “Ex-CIA Contractor on Trial in Beating”, 8. Juli 2006; Siehe den Artikel „CIA
Angestellter wegen Misshandlungen in Afghanistan verurteilt” von Julian E. Barnes, LA Times, 18.
August 2006, zu finden unter http://www.latimes.com/news/printedition/asection/la-naabuse18aug18,1,22159.story?coll=la-newsa_ section.
82
GI Trial Dates Set in Abuse Deaths of Captives Into Focus, Los Angeles Times, May 16, 2004.
83
Arthur Kane and Miles Moffeit, Carson GI Eyed in Jail Death Iraqi General Died In Custody, The
Denver Post, May 28, 2004.
84
Eric Schmitt, 3 Commandos Charged With Beating of Prisoners, N. Y. Times, 25.September 2004.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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In aller Deutlichkeit legt Jordan J. Paust in seinem Affidavit die strafrechtliche Relevanz des Verhaltens des ehemaligen Verteidigungsminister D.R. dar:
„Es ist heute wohlbekannt, dass [der ehemalige] Verteidigungsminister D.R. neben anderen
rechtswidrigen Methoden auch ausdrücklich das völlige Entkleiden, die Verwendung von Hunden
und das Überziehen von Kapuzen als Verhörmethoden in seinen Vermerken [memos] vom
02.12.2002 sowie 16.04.2003 genehmigt hat, wobei der Minister hinzufügte, dass er möglicherweise weitere Vernehmungstechniken für einzelne Häftlinge genehmigen würde, wenn diese für
nötig befunden und schriftlich erbeten werden würden. Es gibt keine öffentlich gemachten Beweise
dafür, dass die illegale Genehmigung von 2003 vor Erlass einer notwendigerweise widersprechenden Anweisung des Verteidigungsministeriums vom September 2006 zurückgenommen wurde, und
es gibt keine Beweise dafür, dass die offenkundig illegalen Taktiken vollständig von der G.W.B.Regierung ausgeschlossen wurden. – Schließlich hat Präsident G.W.B. öffentlich verkündet, dass
sein „Programm“ geheimer Inhaftierung, geheimer Verurteilung und „harter“ Behandlung fortgeführt werden wird. Ferner gibt es keine bekannt gewordenen strafrechtlichen Ermittlungen gegen
D.R. in den Vereinigten Staaten wegen strafrechtlicher Verantwortlichkeit aufgrund solcher Genehmigungen oder aufgrund von Pflichtvernachlässigung, Anstiftung oder Beihilfe zu Kriegsverbrechen
oder aufgrund der Mitwirkung an einem gemeinsamen Plan, Rechte und Schutz gemäß den Genfer
Konventionen zu verweigern.“
Es macht also insgesamt eher den Eindruck, die hier angezeigten Vorgesetzten würden für ihre
Handlungen belohnt, statt einer strafrechtlichen Verfolgung zugeführt zu werden. Die USA versäumten, hochrangige Beamte für den Einsatz von Folter zur Verantwortung zu ziehen.
Kein einziger hochrangiger US-Beamter wurde strafrechtlich wegen Folter und Gefangenenmisshandlung in Guantánamo, Irak oder Afghanistan zur Rechenschaft gezogen.
So wurde Oberst T.P. nur nicht-juristisch bestraft, auch wurde ihm Immunität für die Aussage in
einem Fall garantiert, in dem zwei Soldaten angeklagt wurden, mit Hunden die Gefangenen in Abu
Ghraib geängstigt zu haben: Am 13. Mai 2005 verkündete das Verteidigungsministerium dass
Oberst T.P., Befehlshaber der 205. Military Intelligence Brigade, als Befehlshaber abgelöst wurde,
einen schriftlichen Tadel erhielt und zu einer Geldstrafe von 8.000 Dollar verurteilt wurde.85 Diese
Entscheidung wurde von einem Zwei-Sterne-General in Deutschland, Major General B.W. getroffen
der entschied gegen T.P. nur nicht-strafrechtlich, also vor keinem Kriegsgericht, sondern wegen
zwei Anklagepunkten von Pflichtverletzung, vorzugehen.86
Gegen G.M. sind keine strafrechtlichen Ermittlungen in den Vereinigten Staaten bekannt, sei es
wegen Pflichtvernachlässigung, rechtswidriger Genehmigung von oder wegen Mittäterschaft bei
Verletzung von Kriegsrecht oder anderem einschlägigem vertraglichem und gewohnheitsrechtlichem Völkerrecht.87 General G.M. berief sich auf die im Artikel 31 verbürgten Rechte gegen Selbstbeschuldigungen und Selbstaussage im selben Fall der Hunde-Führer.88 Die Rechte des Artikels 31
sind „nahezu identisch mit denen, die Zivilisten durch den fünften Zusatzartikel zugesprochen werden“.89 Dadurch verhinderte er die Aussagepflicht, denn diese Aussage wäre eine Selbstbezichtigung geworden. G.M. war, nach Meinung der Washington Post, „zu einer administrativen Bestrafung wegen seiner angeblichen Verfehlungen in den Verhören eines wichtigen Gefangenen in Guantánamo Bay vorgeschlagen. Aber hochrangige Militärbehörden lehnten eine Strafverhängung ab.
Der Gefangene war einer Vielzahl von Misshandlungen ausgesetzt, die denen ähnelten, die später
die Photos aus Abu Graibh offenbarten.“90 Im Sommer 2006 ging General G.M. auf seinen Wunsch
85
Siehe den Artikel „Verfolgungen und Verurteilungen“, zu finden unter
http://www.salon.com/news/abu_ghraib/2006/03/14/prosecutions_convictions/index.html.
86
Siehe den Artikel „Abu Ghraib Offizier erhält Abmahnung: Die außer -militärgerichtliche Bestrafung wegen Pflichtverletzung umfasst nur eine Geldstrafe.“ von R. Jeffrey Smith, Washington Post,
12. Mai 2005; Seite A16, zu finden unter
http://www.washingtonpost.com/wpdyn/content/article/2005/05/11/AR2005051101818.html.
87
Vgl. Paust-Affidavit.
88
Siehe den Artikel „General besteht auf Recht zum Selbstschutz im Iraker Misshandlungsfällen“
von Josh White am 12 Januar 2006 in der Washington Post. Zu finden unter
http://www.washingtonpost.com/wpdyn/ content/article/2006/01/11/AR2006011102502.html
89
Ebd.
90
Ebd.
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in den Ruhestand und wurde in Ehren entlassen.91
In einem Interview vom August 2005 bestätigte Brigadegeneral J.K., dass im Jahre 2003 Generalmajor G.M. in den Irak geschickt wurde, um sicherzustellen, dass die vom ehemaligen Verteidigungsminister D.R. genehmigten Verhörmethoden im Irak angewendet werden. Wie J.K. erklärte,
sagte er, „dass er die Abläufe da in Abu Ghraib mithilfe einer Vorlage aus Guantánamo Bay „gitmoisieren“ [d.h. guantanamoisieren]“ werde und dass an einem Pfeiler draußen in Abu Ghraib eine
D.R.-Mitteilung geklebt habe:
Es war eine vom [ehemaligen] Verteidigungsminister D.R. unterschriebene Kurzmitteilung mit einer
Liste von etwa 6 oder 8 genehmigten Techniken: Verwendung von Hunden, Stress-Stellungen,
laute Musik, Entziehung von Nahrung, Anlassen des Lichts; diese Sorte Sachen. Und dann eine
handgeschriebene Botschaft an der Seite, die nach derselben Handschrift wie die Unterschrift aussah, und die Unterschrift war von [dem ehemaligen] Minister D.R.. Und da stand mit zwei Ausrufezeichen: „Stellen Sie sicher, dass dies geschieht“.92
Eine Untersuchung durch den Armee General Inspektor, die als das „letzte Wort“ der Armee angesehen wurde, in der Bestimmung der Verantwortlichkeit für Folter und Misshandlungen in Abu
Ghraib, sprach alle hochrangigen Offiziere von Fehlern und Vergehen frei, mit der signifikanten
Ausnahme von Brigadegeneral J.K..93 Der Washington Post folgend, war es „eine von zehn großen
[Armee] Ermittlungen, wozu das Amt des Hauptermittlers geschaffen wurde, um das letzte Wort
der Armee bezüglich der Verantwortlichkeit der höheren Befehlshaber in den Misshandlsfällen zu
sprechen. Es war die einzige Ermittlung, die bestimmt war, Schuld zu suchen, innerhalb der militärischen Führungsliga.“94 Die Armee-Untersuchung „fand grundlegend keine Schuld betreffend Generalleutnant R.S. und drei seiner Stellvertreter, urteilend hinsichtlich der Vorwürfe, sie hätten es
versäumt, Misshandlungen zu verhindern oder zu beenden, diese wären ‚unbestimmt’“.95
Menschenrechtsorganisationen, pensionierte Militärangehörige und einige US-Politiker haben das
Verteidigungsministerium, den Kongress und das Weiße Haus für die Versäumnisse/Unterlassungen
in der Strafverfolgung von hochrangigen Beamten für den Einsatz von Folter vehement kritisiert.
J.J., Brigadegeneral US (a.D.) konstatierte, dass „die Fokussierung auf rangniedere Soldaten die
Rolle des systematischen Klimas, etabliert durch die Polizeibehörden und das offensichtliche Einverständnis durch die Befehlskette ignoriert […] Der gesamte Prozess, vom Justizministerium bis zu
den höheren Offizieren im Feld, umging internationale Vereinbarungen sowie Bundesgesetze zur
Behandlung von Gefangenen. […] Das Verhalten dieser ranghöheren Offiziere stellt eine schwerere
Verletzung dar als die am Ende des Prozesses. Sie zu entlassen ist unumgänglich.“96
Das Weiße Haus hat Aufforderungen zur Einsetzung einer unabhängigen Kommission zur Untersuchung von Folter und Mißhandlungen in den Gefängnissen im Irak, Afghanistan und Guantánamo
zurückgewiesen.97 Obwohl die Einsetzung einer solchen Kommission von Konservativen wie B.B.
(American Konservative Union) und Senator L.G. aus South Carolina unterstützt wird.98
91
White, Josh, General Who Ran Guantánamo Bay Retires, Washington Post, 1. August 2006 http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2006/07/31/AR2006073101183.html
92
The Torture Question: Interview with J.K., Frontline, Aug. 5, 2005, available at
http://www.pbs.org/wgbh/pages/frontline/torture/interviews/karpinski.html. Compare Paust, supra
note 1, at 847. See also Evan Thomas & Michael Hirsh, The Debate Over Torture, NEWSWEEK,
Nov. 21, 2005, at 26 (“D.R. sent ... Lt. Gen. G.M. – to ‘Gitmoize’ the interrogation techniques in
Iraq.”); Josh White, General Asserts Right on Self-Incrimination in Iraq Abuse Cases, WASH. POST,
Jan. 12, 2006, at 1.
93
Siehe den Artikel „Hochrangige Armeeoffiziere für unschuldig befunden in Misshandlungsfällen“
von Josh White, Washington Post, 23. April 2005; Seite A01, zu finden unter
http://www.washingtonpost.com/wpdyn/articles/A10546-2005Apr22.html.
94
Ebd.
95
Ebd.
96
Siehe den Artikel „Folter und nationale Sicherheit” von Brig. Gen. (Ret.) John H. Johns, 9. Mai
2005, zu finden unter http://www.armscontrolcenter.org/archives/001586.php.
97
Siehe den Artikel „Weißes Haus verweigert Untersuchung von Guantánamo”, The Associated
Press, 21. Juni 2005, zu finden unter
http://www.islamawareness.net/Persecution/Guantanamo/gitmo_news_0001.html.
98
Siehe den Artikel „Einige Republikaner ersuchen eine Gefängnismissbrauchskommission” von
Douglas Jehl, The New York Times vom 22 Juni 2005, zu finden unter
http://select.nytimes.com/gst/abstract.html?res=FB0F15F83A5F0C718EDDAF0894DD404482.
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W.S., der Vorsitzende von Amnesty International, hat andere Regierungen zur Verfolgung hochrangiger Beamter wegen Folter und Verletzung der Genfer Konventionen aufgerufen. W.S. nannte
verschiedene Beschuldigte in dieser Angelegenheit, einschließlich der Beschuldigten D.R., A.G. und
ranghöhere Beamte in US-Haftanstalten in Guantánamo Bay, Cuba und Abu Ghraib, Irak.99
Oberst L.W., ehemaliger Stabschef des ehemaligen Außenministers C.P., erklärte:
„der Verteidigungsminister begann unter dem Schutz des Vize-Präsidenten damit, ein Umfeld zu
schaffen – und das begann gleich zu Anfang, als D.A.… ein überzeugter Befürworter davon war,
dem Präsidenten zu erlauben… von den Genfer Konventionen abzuweichen… Sie begannen damit,
Maßnahmen innerhalb der Streitkräfte zu genehmigen, die zu dem führten… was wir nun gesehen
haben… Einige der Methoden, die sie nannten, standen nicht im Einklang mit dem Geist der Genfer
Konventionen und dem Kriegsrecht.“100
Einen Eindruck der umfassenden Absprachen und Vernetzungen in US-Regierungs- und Geheimdienstkreisen, die offen gegen US-Recht und gegen Völkerrecht verstoßen, gibt Jordan J. Paust in
seinem Affidavit:
„Im November 2005 sprach sich D.A., der Vize-Präsidents R.C.s oberster Anwalt war und jetzt sein
Stabschef ist, offen dafür aus, dass die Regierung G.W.B. ihre illegale Politik fortführen solle, die
absoluten Minimalanforderungen an die Behandlung von Häftlingen gleich welchen Status, wie sie
sich aus Art. 3 der Genfer Konventionen ergeben, nicht einzuhalten; eine Politik, die er auf verschiedene Weise mitgestaltet hat.
D.A.s rechtswidrige Politik erhielt kontinuierliche Unterstützung vom Staatssekretär für Verteidigung, S.C., und Chefberater im Verteidigungsministerium, W.H.. Weiterhin genehmigte Präsident
G.W.B. ausdrücklich die Aberkennung unbeschränkter Rechte und uneingeschränkten Schutzes, wie
sie in den Genfer Konventionen gewährleistet werden, und genehmigte damit Verletzungen der
Genfer Konventionen mit einem Memorandum, das anscheinend noch nicht zurückgezogen wurde.
Die Genehmigung von Verletzungen der Genfer Konventionen stellt ein Kriegsverbrechen dar.
Im Oktober 2005 stimmte der Senat der Vereinigten Staaten mit 90 gegen 9 Stimmen für eine
Ergänzung zu einem Verteidigungsmittelgesetz, das von Senator J.M. vorgelegt wurde (das
„McCain amendment“), und das lediglich nochmals das absolute Verbot von Folter und grausamer,
unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gegenüber jedem Häftling in US-Gewahrsam oder Kontrolle bestätigte; aber Vize-Präsident R.C. stellte sich offen gegen jede Bestätigung dieses Verbots durch den Kongress. Die offenkundige Botschaft des Vize-Präsidenten und einiger seiner Mitstreiter in der Regierung war, dass derartige Formen rechtswidriger Behandlung gemäß dem R.C.G.W.B.-D.A.-A.G.-Plan und Präsident G.W.B.s früheren illegalen und immer noch nicht zurückgenommenen Autorisierungen und Anordnungen weitergeführt werden sollen. Tatsächlich gab CIADirektor P.G. zu, dass CIA-Verhörmethoden durch die Ergänzung von Senator J.M. eingeschränkt
worden wären. Überdies haben einige CIA-Beamte angegeben, bewährte CIA-Methoden seien „das
Schlagen von Häftlingen, um Schmerzen und Angst zu verursachen“, „die „Kälte-Zelle“… bei der
Häftlinge nackt in einer Zelle gehalten werden, die auf 10° C abgekühlt ist, und dabei regelmäßig
mit kaltem Wasser besprüht werden“ und „die „Wasserkur“… die eine schreckliche Angst zu ertrinken verursacht“, von denen eine jede eindeutig illegal nach dem Kriegsrecht und den Menschenrechten ist und strafrechtliche und zivilrechtliche Sanktionierung zur Folge haben kann.
Was CIA-Verhörtaktiken anbetrifft, so wurde berichtet, dass A.G. „seine Kollegen 2002 in… seinem
Büro im Weißen Haus zusammenrief“, einschließlich der „obersten Anwälte des Justizministeriums
und des Verteidigungsministeriums“, kurz bevor das berüchtigte „J.B.-Folter- Memorandum“ zur
Anerkennung illegaler Verhörmethoden wie der „Wasserkur“ erstellt wurde. Es wurde zudem be99
Siehe den Artikel „Gebt D.R. die Pinochet-Behandlung, sagt der US Amnesty Chef“ von Jim Lobe,
Inter Press Service, 26. Mai 2005, zu finden unter
http://www.ipsnews.net/interna.asp?idnews=28823.
100
Larry Wilkerson discusses Cheney’s role in Iraq War, Morning Edition of NPR, Nov. 3, 2005. See
also James Gordon, Torture’s No Good, Army Cadets Told, DAILY NEWS (New York), Nov. 13,
2005, at 24 (reporting Wilkerson’s remarks regarding the administration’s so-called prohibition of
torture: “That is not what I saw in the paperwork coming out of the vice president’s office and the
office of the secretary of defense.”); “Powell Aide: Torture ‘Guidance’ From VP,” CNN, Nov. 20,
2005 (Wilkerson has no doubt that Cheney provided the philosophical guidance and flexibility for
torture of detainees); Mayer, supra note 16 (“small group of lawyers closely aligned with VicePresident Cheney”); supra note 20.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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richtet, dass „derzeitige und ehemalige CIA-Beamte… [angegeben haben, dass] es einen 2002 von
Präsident G.W.B., C.R. und dem damaligen Generalstaatsanwalt J.A. unterzeichneten PräsidentenBeschluss gebe, der diese Techniken, einschließlich der „Wasserkur“, billige“. Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass der Präsidenten-Beschluss zurückgenommen worden ist. Tatsächlich gab Präsident
G.W.B. Anfang September 2006 in einer Rede zu, dass ein CIA-Programm durchgeführt wird, gemäß dem für uns wertvolle „Individuen an Orte gebracht werden… wo sie geheim gefangen gehalten“ und bei „harter“ Behandlung verhört werden können; und G.W.B. sagte, dass dieses CIAProgramm fortgeführt werden wird. Es ist eindeutig, dass eine Strafverfolgung gegen Mitglieder der
Regierung G.W.B. wegen der Genehmigung, Beihilfe, Anstiftung oder Teilnahme an solchem Verhalten in den Vereinigten Staaten extrem unwahrscheinlich ist.
Auch Teile eines bis dahin geheimen CIA-Memorandums vom Dezember 2002 wurden während der
Strafverfolgung eines zivilen CIA-Auftragnehmers im August 2006 bekannt. Das CIA-Memo erwähnt, dass die G.W.B.-Regierung drei Ausnahmen zu verbotenen Zwangsmitteln bei Verhören von
Häftlingen durch CIA-Beamte erlaubte, obwohl die Verbote der Genfer Konvention und der Menschenrechte, von z.B. Folter, grausamer, unmenschlicher, erniedrigender oder demütigender Behandlung, eindeutig bestimmt sind. Das Dezember 2002-Memo verbietet:
Jegliche wesentlichen physiologischen Aspekte (z.B. direkten körperlichen Kontakt, ungewöhnlichen
psychischen Zwang, ungewöhnlichen physischen Zwang oder vorsätzliche sonstige Entbehrungen)
– abgesehen von den vernünftigerweise erforderlichen, um (1) die Sicherheit und den Schutz unserer Beamten sicherzustellen und (2) die Häftlinge von der Flucht abzuhalten – (3) ohne vorherige
und besondere Anleitung des Hauptquartiers.
Als er gefragt wurde, warum Präsident G.W.B. es bevorzuge, dass die Genfer Rechtsvorschriften
besser nicht angewendet werden sollen, antwortete J.Y., der stellvertretende Generalstaatsanwalts-Assistent in der Regierung G.W.B. war und Haupt-Autor des berüchtigten J.Y.-DelahuntyMemorandums von 2002:
Denke darüber nach, was du tun willst, wenn du Leute der Taliban und El Quaida gefangen genommen hast. Du willst sie vernehmen… Die verlässlichste Informationsquelle sind die El QuaidaLeute, die du gefangen hast… Es scheint mir, dass, wenn etwas für die Selbstverteidigung notwendig ist, ein Abweichen von den Prinzipien von Genf [einschließlich dem Verbot der Folter] erlaubt
ist.
Natürlich ist allgemein bekannt, dass gemutmaßte Notwendigkeit keine Erlaubnis zur Verletzung
von einschlägigen Genfer Normen (wie etwa Art. 3 der Konvention), dem darin wiedergegebenen
Gewohnheitsrecht und unveräußerlichen vertraglichen und gewohnheitsrechtlichen Menschenrechten liefert. J.Y. hat außerdem zugegeben: „Einige der schlimmstmöglichen Verhörmethoden, von
denen wir in den Medien gehört haben, wurden für die von uns gefangen genommenen El QuaidaAnführer reserviert“; und weiter mit erstaunlicher Offenheit und Gleichgültigkeit: „Ich habe den
juristischen Standpunkt der Regierung zur Behandlung von El Quaida-Verdächtigen und - Häftlingen verteidigt“, einschließlich des Gebrauchs von Folter. Es gibt keine bekannte Strafverfolgung
J.Y.s durch die G.W.B.-Regierung aufgrund möglicher strafrechtlicher Verantwortlichkeit wegen
Anstiftung oder Beihilfe zu Verstößen gegen das Kriegsrecht während oder nachdem er dem Regierungsapparat angehörte oder wegen der Teilnahme an einem gemeinsamen Plan, Rechte und
Schutz gemäß den Genfer Konventionen zu verweigern“
Das Problem der mangelnden Strafverfolgung hochrangiger Militärs und der verantwortlichen Politiker und Juristen charakterisiert Jordan J. Paust in seinem Affidavit abschließend folgendermaßen:
„Zusammenfassend lässt sich meiner Meinung nach sagen, dass die Regierung G.W.B. über fünf
Jahre hinweg nicht gewillt war, irgendwelche hochrangigen Mitglieder und ehemaligen Mitglieder
der Regierung wegen internationaler Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass hochrangige Mitglieder und ehemalige Mitglieder der Regierung G.W.B. in den
Vereinigten Staaten wegen der Genehmigung, Beihilfe, Anstiftung oder Teilnahme an internationalen kriminellen Handlungen oder wegen Pflichtvernachlässigung strafrechtlich verfolgt werden, obwohl begründete Vorwürfe gegen verschiedene dieser Personen bestehen.“
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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2.5. Aktive Vertuschung der Foltervorfälle durch hohe Militärs und Regierungsmitglieder
Professor Scott Horton erörtert in seinem eigens für die Strafanzeige gegen den ehemaligen USVerteidigungsminister u.a. erstellten Expertenbericht101, dass in naher Zukunft mit keinen strafrechtlichen Ermittlungen und Strafverfolgungen in den USA zu rechnen ist; Grund hierfür ist, dass
Strafermittlungs- und Verfolgungsorgane derzeit unter der Kontrolle von Individuen stehen, die Teil
des Konspirationsnetzwerks sind, das Kriegverbrechen begangen hat.
Der renommierte US-Anwalt Scott Horton, eine Choriphäe im Kriegsvölkerrecht, ist derzeit außerordentlicher Professor für Völkerrecht und Kriegsvölkerrecht an der Columbia University (New York)
sowie Vorsitzender des Völkerrechtsausschusses der New Yorker Anwaltschaft.102
Scott Horton schildert die mangelnde Effizienz der Strafverfolgung; dabei spricht er auch das Problem der Vertuschung an:
„In den Vereinigten Staaten erfolgt keine effektive Strafverfolgung hochrangiger Tatverdächtiger.
Strafverfolgungen, die gemäß der „Army Regulations 15-6“103 erfolgen, scheinen sich auf die Befehlskette nach unten hin und nicht nach oben zu konzentrieren, was letztendlich eine aussagekräftige Strafermittlung ausschließt.
Die eingeleiteten Strafermittlungen wurden deutlich von oben herab mit der Absicht beeinflusst,
das Resultat zu vertuschen, um so Höherrangige zu entlasten. …
Das Verhalten des US-Justizministeriums veranschaulicht die Ablehnung, sich mit der Frage „Strafbarkeit von Kriegsverbrechen“ auseinander zu setzen. Gewissenhafte Beamte des USJustizministeriums, die solche Fragestellungen aufgeworfen haben, wurden diszipliniert, wurden
gerügt und waren Ziel bösartiger Schikanekampagnen. …
Im Zusammenhang mit dem Problem der Gefangenenmisshandlungen wurde das Verfassungsprinzip der „checks and balances“, [das eine der Grundpfeiler eines Rechtsstaat darstellt], unwirksam
gemacht; durch Einschüchterungen und politische Manipulation wurde dem Kongress sein Recht
genommen, die Exekutive zu kontrollieren. …
Auch der zunächst kritisch eingestellte Vorsitzende des Kontrollorgans für Militärangelegenheiten
des „Senate Armed Services Committees “, Senator W., stellte …[nachdem er sich wiederholt mit
führenden Mitgliedern der republikanischen Partei getroffen hatte, ... die ihm harte politische Vergeltungsmaßnahmen androhten…] … plötzlich jegliche Ambitionen ein, ernsthafte Anhörungen zum
Folterskandal durchzuführen.“
Die Strategie der Vertuschung und Verdeckung wird durch den Bericht „Whitewashing Torture“ von
D.D. vom 08.12.2004104 anhand des Falles von Unteroffizier F.F., Agent der Spionageabwehr der
223. Kalifornischen Nationalgarde der Militärnachrichtendienstabteilung105, beispielhaft dargestellt:
F.F. war mit seiner Einheit in Samarra (Irak) stationiert. Dort wurde er in mehreren Fällen Zeuge
von Folterungen und missbräuchlichen Behandlungen von Gefangenen; das brachte ihn letztendlich
dazu, seine militärische Karriere zu beenden.
Nach Aussage von F.F. wurden „in Samarra im Juni 2003 die Regeln rigoros gebrochen… Regeln,
die jeder kannte … Regeln für Friedenszeiten und Regeln für Kriegszeiten und Regeln, die immer
galten.“ F.F. beschreibt, wie männliche irakische Gefangene zwischen 15 und 35 Jahren über einen
Zeitraum von zwei bis drei Wochen systematisch misshandelt wurden und damit Folter und Kriegsverbrechen begangen wurden: Es gab Vorfälle von Asphyxiation106 und Gefangene wurden während
sie festgebunden und ihnen die Augen verbunden wurden, brennende Zigaretten gewaltsam in die
Ohren gesteckt. Diese Grausamkeiten fanden in einer irakischen Polizeidienststelle statt. F.F.s Versuche, diesen Missbräuchen Einhalt zu gebieten, wurden entweder mit Indifferenz oder mit Dro101
Sachverständigengutachten
von
Prof.
Scott
Horton
vom
19.
Januar
2005
http://www.rav.de/StAR_290105_Horton.htm
102
Committee on International Law of the Association of the Bar of the City of New York
103
“Militärregeln” http://www.wood.army.mil/sja/ADLAW/army_regulation_15.htm
104
DeBatto, David, Whitewashing torture? 8.Dezember 2004
http://dir.salon.com/story/news/feature/2004/12/08/coverup/index.html
105
Wie auch die 205. Einheit wurde die 223. von Oberst Thomas befehligt.
106
Atemdepression bzw. Atemstillstand infolge Herz-Kreislaufversagens vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 257. Auflage 1994.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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hungen des Gruppenleiters, der auch einer der Gewalttäter war, begegnet.
Nach diesen gescheiterten Kommunikationsversuchen teilte F.F. dem Gruppenleiter schließlich mit,
dass er im Falle eines gerichtlichen Verfahrens gegen seine Mitsoldaten in Samarra aussagen würde; der Gruppenleiter erklärte ihn daraufhin schlichtweg für verrückt. Am nächsten Tag ging F.F. zu
seinem befehlshabenden Offizier, Hauptmann V.A., und dem ersten Unteroffizier, J.V., um von den
Vorfällen zu berichten und beantragte die Einleitung einer förmlichen Ermittlung. V.A. sagte nur,
F.F. bilde sich alles ein, er leide unter Wahnvorstellungen. V.A. ordnete an, F.F. unter Begleitung zu
stellen, ihm seine Waffe weg zu nehmen und ihn von A.M., der Militärpsychiaterin, untersuchen zu
lassen. Nachdem A.M. F.F. als „vollkommen normal“ einstufte und feststellte, dass er „weder für
sich selbst noch für andere eine Gefahr sei“, war V.A. so erbost, dass er die Psychiaterin schließlich
dazu zwang, den psychiatrischen Bericht zu ändern und zu schreiben, dass F.F. instabil sei und
sofort aus dem Irak ausgeflogen werden müsse. Diese Änderung des psychiatrischen Berichts ist
durch das Zeugnis von dem rangältesten Spionageabwehragenten M. belegt.
36 Stunden später wurde F.F., der über 30 Jahre im Militärdienst gestanden hatte, aus dem Irak
über Kuwait nach Deutschland ausgeflogen. Die Psychiaterin A.M. teilte F.F. vor seinem Abflug
noch mit, dass sie von T.R., dem Vorgesetzten von V.A., und V.A. selbst, gezwungen worden sei,
ihn aus dem Irak zu befördern. Als F.F. in Deutschland ankam, stellte sich heraus, dass kein so
genannter „medevac order“ erlassen worden war. Niemand durfte den Irak ohne einen solchen
„medevac order“ oder einem standardisierten Reisebefehl verlassen. Das Ausfliegen von F.F. verstieß also gegen Militärrichtlinien. Bei jedem Stopp – in Kuwait, Deutschland und schließlich in den
USA – wurde die ursprüngliche Diagnose von F.F., dass er psychisch stabil sei, bestätigt.
Als F.F. zurück in den USA war, legte er beim Armys Criminal Investigation Command [„Armeekriminalpolizei“] (CID) eine Klage wegen der Kriegsverbrechen und Vergeltungsmaßnahmen ein. Im
August 2004 meldete er die Vorfälle dem FBI, das die Sache an das US-Verteidigungsministerium
weitergab. Der weitere Verlauf der Ermittlungen durch das Ministerium war von Vertuschungsbemühungen geprägt. Kennzeichnend hierfür ist die Aussage eines mit dem F.F.-Fall vertrauten Spezialagenten der Army CID:
„Das ist ein klassischer Fall der Vertuschung….“ Auf die Frage, ob die Army CID mitschuldig an
dieser Vertuschung sei, antwortete er: „Durchaus …Aber hast Du eine Ahnung, wie scheußlich es
werden könnte, wenn man sich diesen Fall genauer betrachtet? …. Nach allem, was ich von diesem
Fall weiß, glaube ich den Aussagen von F.F.. Ich habe viele solcher Fälle gesehen. Es passt in das
Muster. Jeder, der in diese offensichtliche Vertuschung verwickelt ist, sollte strafrechtlich verfolgt
werden.“ Seinen Namen wollte der Spezialagent jedoch nicht angeben.
Scott Horton befragte zuvor im Irak stationierte Soldaten in Hessen und Baden-Württemberg nach
ihren Wahrnehmungen hinsichtlich der Untersuchungen. Diese berichteten, dass sie der mit der
Untersuchung der Foltervorwürfe im Irak beauftragte Generalmajor G.F. (The Fay-Report, Frühjahr
2004) zunächst darauf hingewiesen hatte, dass jeder Soldat, der in Abu Ghraib und an anderen
Orten eine Gefangenenmisshandlung beobachtet und diese nicht unterbunden hatte, sich selbst
strafbar gemacht habe. Sämtliche der von Scott Horton befragten Soldaten erklärten, man habe
den Eindruck gewonnen, dass jeder, der Beweise für Folterungen liefern würde, mit Strafverfahren,
weiteren erheblichen Nachteilen bis hin zu „friendly fire“ auf irakischem Schlachtfeld ausgesetzt
sein werde. Entsprechend ist die militärinterne Untersuchung auch ausgefallen.
Scott Horton analysierte die Beweggründe dafür, dass Menschen wie G.F. mit solchen Untersuchungen beauftragt wurden:
„Ich glaube, dass Generalmajor G.F. ausgewählt wurde, um die Untersuchungen anzuleiten, weil er
über eine besondere Qualifikation verfügt: seine politische Treue zur G.W.B.-Administration. Generalmajor G.F., …ein ehemaliger Versicherungsbeamter, war als erfolgreicher Fundraiser („Geldbeschaffer“) für die Republikaner und ein enthusiastischer Politiker der G.W.B.-Administration“ bekannt.
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2.6. Die Schlussfolgerung : Straflosigkeit in den USA
BENJAMIN G. D., „Associate Professor“ der Rechtswissenschaft an der juristischen Fakultät der
„University of Toledo“ führt aus:
Mit der gezielten Auseinandersetzung mit dem Problem der strafrechtlichen Verfolgung an nationalen US-Gerichten von hochrangigen US-Zivilbeamten und US-Generälen wegen Verletzung des
Internationalen Humanitären Rechts und/oder dem Völkerstrafrecht hoffe ich, die Frage zu thematisieren, ob es überhaupt wahrscheinlich ist, dass es in den Vereinigten Staaten zu einer Strafverfolgung von Präsident G.W.B., Verteidigungsminister D.R. und verschiedenen anderen hochrangigen Mitgliedern oder ehemaligen Mitgliedern der Regierung G.W.B. oder Militärgenerälen kommen
wird. Das aufgrund der mutmaßlichen Genehmigung von oder Anstiftung bzw. Beihilfe zu Verstößen
gegen die Genfer Konventionen von 1949 und anderen vertraglichen und gewohnheitsrechtlichen
Völkerrechts hinsichtlich der rechtswidrigen Behandlung von Häftlingen und geheimer Inhaftierung
und Verurteilung von Häftlingen.
Theoretisch könnte Strafverfolgung derartiger Personen vor drei Gerichten durchgeführt werden:
Kriegsgericht, Bundesgerichten und/oder Gerichten der Bundesstaaten, wie unten dargelegt. In der
Praxis sind solche Strafverfolgungen bei Generälen höchst unwahrscheinlich und bei hochrangigen
US-Zivilbeamten nicht existent.
Der einzige US-General, der in über hundert Jahren wegen etwas, das als Verletzung von Kriegsrecht betrachtet werden könnte, vor einem Kriegsgericht gestanden hat, war Brigadegeneral J.S.,
der im Jahre 1902 an der Philippinen-Kampagne im Spanisch-Amerikanischen Krieg beteiligt war.
Anekdoten und statistische Belege legen nahe, dass Generäle im schlimmsten Falle mit einer Rüge,
einer Degradierung oder, am ehesten, mit einer Versetzung in den Ruhestand zu rechnen hatten,
anstatt mit einem Prozess vor dem Kriegsgericht.
Was amtierende und ehemalige hochrangige US-Zivilbeamte angeht, so findet Strafverfolgung wegen Verstößen gegen Internationales Humanitäres Recht und/oder Völkerstrafrecht vor nationalen
US-Gerichten nicht statt.
Es gibt zahlreiche Schwierigkeiten, die bei einer entsprechenden Strafverfolgung entstehen oder in
den Weg gelegt werden können. Der Ermittlungsprozess ist kompliziert, da die Ermittlungsbeamten
jeder Dienststelle unter der direkten Kontrolle derjenigen hochrangigen US-Zivilisten und/oder Generäle stehen, die selber Gegenstand solcher Ermittlungen sein könnten. Ermittlungsstrukturen
wie die Einrichtung der General-Inspektoren konzentrieren sich darauf, Vorschläge bezüglich systemimmanenter Fehler zumachen, statt sich auf die individuelle Verantwortung zu konzentrieren.
Zudem verfügen sie nicht über die Befugnis, tatsächlich jemanden aufgrund seines individuellen
Verhaltens zu belangen.
Innerhalb der Streitkräfte ist im Falle eines Prozesses gegen einen beliebigen militärischen General
vor einem Kriegsgericht ein ranghöherer General der zuständige Vorsitzende. Bei Vier-SterneGenerälen ist es unmöglich, einen ranghöheren General zu finden und es müsste irgendeine Alternative, möglicherweise durch den Verteidigungsminister eingesetzt für den Vorsitz eines entsprechenden Kriegsgerichts eingesetzt werden. Wo der Verteidigungsminister mit seinen Generälen
zusammengearbeitet hat, stellt das Bestreben, diese hochrangigen Uniformierten (und entsprechend auch die hochrangigen zivilen Beamten) zu schützen, (da sie „gute Soldaten“ seien, die die
Politik des Verteidigungsministers stets umsetzten), ein offenkundiges Dilemma dar.
Es ist möglich, Beweismaterial zu sammeln und dem Justizministerium der Vereinigten Staaten
zuzuleiten, und so ein Strafverfahren vor einem Bundesgericht einzuleiten. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die amtierenden und ehemaligen hochrangigen US-Zivilbeamten des USJustizministeriums an der Erarbeitung der Politik und am Planungsprozess teilhaben, die die Verletzungen von Internationalem Humanitärem Recht und/oder Völkerstrafrecht definieren. Diese haben
einen signifikanten Einfluss auf die Ermessensausübung des Anklägers, die Strafverfolgung aufzunehmen, und sind so in der Lage, jede Strafverfolgung ihrer selbst oder anderer hochrangiger USZivilbeamter oder Generäle vor den Bundesgerichten zu durchkreuzen.
Gesetzt den Fall, dass ein Anknüpfungspunkt zu einem Bundesstaat gefunden werden konnte,
könnten auch Strafverfolgungsbehörden des Bundesstaates solch einen Fall gegen hochrangige USZivilbeamte oder Generäle gemäß dem allgemeinen Recht des Bundesstaates (sei es kodifiziert
oder sei es, dass Völkerrecht als Recht des Bundesstaates betrachtet werden kann) voranbringen,
das möglicherweise mit den internationalen Verpflichtungen kompatibel ist. Diese Art von Strafver-
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folgung scheint jedoch. Wegen der Heranziehung von Bundesregierungs-freundlichen Doktrinen wie
Immunität von Bundesbeamten, Staatsgeheimnissen, und der im Endeffekt automatischen Überweisung von Fällen vom Gericht des Bundesstaats zu einem Bundesgericht durch Bundesbeamte
schwierig zu sein.
In Anbetracht der Ermangelung derartiger Fälle von Strafverfolgung ist die Wahrscheinlichkeit der
Strafverfolgung unter einer zukünftigen Regierung von aktiven oder ehemaligen hochrangigen USZivilbeamten und Generälen einer ehemaligen Regierung wegen Verstößen gegen das Internationale Humanitäre Recht und/oder das Völkerstrafrecht äußerst gering.
Fazit
Die Mechanismen der Strafverfolgung von hochrangigen US-Zivilbeamten und/oder Generälen wegen Verstößen gegen das Internationale Humanitäre Recht und/oder das Völkerstrafrecht sind unzureichend. Während ich weiterhin darüber forsche, wie diese Arten strafrechtlicher Verfolgung in
den Vereinigten Staaten durchgeführt werden können, bin ich der Auffassung, dass aufgrund der
Praxis und der oben beschriebenen strukturellen Beschränkungen die Vereinigten Staaten unfähig
dazu sind, hochrangige US-Zivilbeamte und/oder Generäle wegen Verstößen gegen das Internationale Humanitäre Recht und/oder das Völkerstrafrecht vor nationalen US-Gerichten strafrechtlich zu
verfolgen.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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2.7. Kriegsverbrechen von Angehörigen der US-Streitskräfte werden im Irak nicht verfolgt
Nach dem Einmarsch von US- und Koalitionsstreitkräften im Irak im März 2003 und dessen Besetzung installierte das US-Verteidigungsministerium von März 2003 bis Juni 2004 ein Besatzungsregime. Als dessen Leiter fungierte P.B. als Leiter der provisorischen Koalitionsgewalt. Diese übte von
Mai 2003 bis Juni 2004 Recht setzende Gewalt aus. Die erste Verordnung vom 16. Mai 2003 besagte, dass alle im Irak am 16. April 2003 gültigen Gesetze solange Gültigkeit entfalten, als sie nicht
die Besatzungsautorität in der Ausübung ihrer Gewalt hindern bzw. nicht im Widerspruch zu Verordnungen oder Befehlen der Besatzungsgewalt stehen.107
Der am 10.06.2003 erlassene Befehl Nummer 7 verbot Folter und grausame, entwürdigende und
unmenschliche Behandlung oder Bestrafung. Da Regulation 1 Befehle der Besatzungsautorität explizit auf das irakische Volk bezog, kann argumentiert werden, dass der Befehl Nummer 7 nicht wie
andere Befehle auf US-Bürger im Irak Anwendung findet.
Diese Interpretation wird gestützt durch den Befehl Nummer 13, welcher den zentralen Strafgerichtshof im Irak in Bagdad etablierte.108
Nach diesem Befehl sind Angehörige ausländischer militärischer Streitkräfte ausdrücklich von der
Jurisdiktion des zentralen Gerichtshofs ausgenommen (Befehl Nummer 13, § 17 Abs. 2).
Dem entspricht der Befehl Nummer 18 vom 10. Dezember 2003, der das Statut des Spezialtribunals von Irak zur Verfolgung von Fällen von Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verletzung bestimmter irakischer Gesetze etablierte. Die Jurisdiktion dieses Spezialgerichts ist ausdrücklich limitiert auf irakische Staatsbürger und Einwohner des Irak.109 Im übrigen bezieht sich das Statut auf Taten zwischen dem 17. Juli 1968 und dem 01. Mai 2003.110 Im
nach wie vor gültigen irakischen Strafgesetzbuch von 1969 sind keinerlei Straftatbestände von
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geregelt. Darüber hinaus bestimmt §
11 des irakischen Strafgesetzbuches, dass die Vorschriften auf Vergehen und Verbrechen, die im
Irak von Personen begangen werden, die einen geschützten Status nach internationalem oder nationalem Recht sowie internationalen Übereinkünften haben, nicht anwendbar sind. Da die von der
Besatzungsgewalt erlassenen Verordnungen und Befehle ausdrücklich die Angehörigen der Koalitionsstreitkräfte von der Jurisdiktion der irakischen Justiz ausnehmen, ist von einer Befreiung dieses
Personenkreises von der irakischen Jurisdiktion auszugehen.
Im übrigen ist das Justizsystem im Irak im Moment in keinerlei Hinsicht geeignet, Kriegsverbrechen
oder ähnliche Delikte in rechtsstaatlicher Weise zu verfolgen. Bekanntlich fehlt dem ganzen Land
im Moment Stabilität. In einer ganzen Reihe von Regionen ist die Ausübung jeglicher Regierungsgewalt durch Angriffe stark behindert. Das irakische Justizsystem sowie die Richter und Angehörigen der Justiz sind im besonderen Ziele von Gewalt.111
Bei der Übergabe der Amtsgewalt an die provisorische irakische Regierung im Juni 2004 musste
konstatiert werden, dass das irakische Justizsystem noch nicht einmal auf dem Niveau des Vorkriegszustandes arbeitet. Dazu wird von Menschenrechtsorganisationen ausgesprochen kritisch
beobachtet, wie das speziell zur Verfolgung von Menschenrechtsverbrechen etablierte Spezialtribunal Iraks geregelt ist. Mit großer Sorge wird konstatiert, dass das Statut fundamentale internatio107
Regulation 1, Section 3 (1),
http://www.iraqcoalition.org/regulations/20030516_CPAREG_1_The_Coalition_Provisional_Authorit
y_.pdf
108
http://www.iraqcoalition.org/ regulations/0040422_CPAORD_13_Revised_Amended.pdf.
109
Order Number 48, Section 1(1) unter
http://www.iraqcoalition.org/regulations/20031210_CPAORD_48_IST_and_Appendix_A.pdf; Article
10, siehe auch Statute of the Iraqi Special Tribunal unter http://www.cpairaq.org/human_rights/Statute.htm
110
Vgl. Statut des Spezialtribunals von Irak http://www.cpa-iraq.org/human_rights/Statute.htm.
111
Vgl. See Gunmen Shoot Dead Top Iraqi Judge. BBC News vom 23. Dezember 2003,
http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/3343195.stm; Iraqi Judges Reluctant to Lead War Crimes
Trials of Baathists: Fear Reprisals, National Post vom 6. Januar 2004, WL 57226564; 21 shot dead
in Iraq police station massacre, AFP vom 7. November 2004,
http://story.news.yahoo.com/news?tMpl=story&u=/afp/20041107/wl_mideast_afp/iraq_unrest_04
1107113613&e=3
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nale Garantien eines fairen Prozesses außer Acht lässt und im übrigen keinerlei spezielle Erfahrungen von Richtern und Staatsanwälten vorauszusetzen scheint. Aus diesem Grunde wird besorgt,
dass das Gericht nicht genügend Anerkennung und Legitimation findet, sollten diese Missstände
nicht abgestellt werden.112
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass bisher nicht ein einziges Verfahren gegen Angehörige der US-Streitkräfte vor der irakischen Justiz angestrengt wurde. Nach der geltenden Rechtslage ist insbesondere unter Berücksichtung der Befehle der Besatzungsgewalt dieser Personenkreis
von der irakischen Gerichtsbarkeit befreit. Das irakische Justizsystem ist daher weder rechtlich
noch tatsächlich geeignet, die zur Anzeige gebrachten Straftaten zu verfolgen.
2.8. Keine Strafverfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof (IGStGH)
Weder die USA noch der Irak sind Vertragsparteien des Römischen Statuts des Internationalen
Strafgerichtshofs. Unter der Clinton-Regierung wurde das Römische Statut des Internationalen
Strafgerichtshofs zwar unterzeichnet,113 unter der G.W.B.-Regierung wurde diese Unterzeichnung
jedoch förmlich zurückgezogen114 und eine Ratifizierung ausgeschlossen. Zudem versuchte die
G.W.B.-Regierung mit Druck und Erpressungsmanövern die für das Inkrafttreten des Statuts erforderliche Ratifikation durch mindestens sechzig Staaten115 zu verhindern. Am 1. Juli 2002 trat das
Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs jedoch in Kraft. Schon 12 Tage nach dem
Inkrafttreten kam auf Druck der USA die Resolution 1422 des Sicherheitsrats116 zustande, die an
UN-Missionen teilnehmende Staatsangehörige von Nicht-Mitgliedern des Statuts für zwölf Monate
von der Gerichtsbarkeit ausnahm; die staatsrechtliche Entsprechung wurde mit dem American Service Member Protection Act vom 2. April 2002 geschaffen, der die Kooperation der USA mit dem
Gerichtshof ausschließt und den US-Präsidenten ermächtigt, die zur Befreiung von US-Bürgern
notwendigen Maßnahmen zu ergreifen117. Außerdem wird von Washington der Versuch unternommen, durch bilaterale Abkommen mit Staaten einen weltweiten Immunitätsschutz für US-Soldaten
durchzusetzen.118
Folglich kann der Internationale Strafgerichtshof nach Art. 12 seine Gerichtsbarkeit wegen der im
Irak 2003/2004 begangenen Kriegsverbrechen nicht ausüben. Die Möglichkeiten des Gerichtshofs
nach Art. 13 des Statuts, seine Gerichtsbarkeit auszuüben, sind zum einen beschränkt. Zum anderen zeichnet sich im Moment keine der dort aufgezeigten Möglichkeiten als wahrscheinlich ab. Eine
Einleitung eines Verfahrens aufgrund einer Entscheidung des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der
Charta der Vereinten Nationen ist faktisch ausgeschlossen, da die USA ihr Vetorecht ausüben würde. Auch die anderen Möglichkeiten wurden bisher nicht ausgeübt und sind daher wenig wahrscheinlich.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die angezeigten Personen wegen der ihnen zur Last
gelegten Straftaten weder im Tatortstaat, dem Irak, noch in den USA, dem Herkunftsstaat der Täter strafrechtlich verfolgt werden. Der Internationale Strafgerichtshof ist in den Fällen der Kriegsverbrechen in Abu Ghraib/Irak ebenfalls nicht tätig geworden, und es ist auch nicht absehbar, dass
er tätig wird.
112
Vgl. http://hrw.org/english/docs/2004/09/28/iraq9410.htm
Am 31.12.2000.
114
Am 06.05.2002.
115
Vgl. Art.126 IGStH-Statut.
116
http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N02/477/61/PDF/N0247761.pdf?OpenElement; einmal verlängert (um 12 Monate) durch die UN-Resolution 1487.
117
§ 42 Rn.29 in Ipsen, Knut, Völkerrecht, 5. Auflage, 2004.
118
Andreas Zumach: „Auch Kissinger müsste zittern.Warum die USA gegen den Strafgerichtshof
sind. AG Friedensforschung der Universität Kassel, 22. August, 2002. Unter http://www.unikassel.de/fb5/frieden/themen/ICC/zumach.html;
http://www.hrw.org/german/justice/usaundderistgh.html .
113
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3. Anwendung des deutschen Strafrechts
„Weil, so kann man zunächst einmal mit Immanuel Kant antworten ‚die Rechtsverletzung an einem
Platz der Erde an allen gefühlt wird’. Weil das, …, was die Militärs und Nachrichtendienstler im Zuge
von militärischen Zwangsdemokratisierungseinsätzen zunichte machen, der demokratisch rechtsstaatliche Kerngedanke schlechthin ist, wenn sie auf die Technik des Folterns zurückgreifen: den
rechtlichen Schutz von Individuen vor entwürdigender Behandlung.“119
3.1. Begründung der deutschen Strafgewalt
3.1.1. Weltrechtsprinzip, § 1 VStGB
Die Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit für die strafrechtliche Verfolgung der in Abu
Ghraib und Guantánamo begangenen Kriegsverbrechen ergibt sich aus § 1 VStGB. Danach gilt für
die im VStGB aufgeführten Verbrechen gegen das Völkerrecht das Weltrechtsprinzip, d.h. Deutschland ist nach dem Legalitätsprinzip gemäss § 152 Abs. 2 StPO auch dann zur Verfolgung der Straftaten verpflichtet, wenn die Tat – wie hier – von Ausländern gegen Ausländer im Ausland begangen
wurde. Hinsichtlich der Kriegsverbrechen (§ 8 VStGB) erfüllt Deutschland damit seine Verpflichtung
aus Art. 146 des IV. GA und Art. 85 ZP I, durch die sogar eine obligatorische universelle Jurisdiktion bei Kriegsverbrechen auf der Grundlage des Prinzips ‚aut dedere aut iudicare’ anerkannt wird.
Ein inländischer Anknüpfungspunkt ist zur Ausübung der deutschen Strafgerichtsbarkeit nicht mehr
erforderlich.
Zur Geltung des Weltrechtsprinzips im VStGB haben Prof. Dr. Michael Bothe und Dr. Andreas Fischer-Lescano in ihrem Gutachten von November 2006 mit dem Titel „Die Bedeutung völkerrechtlicher Bestrafungspflichten und der völkergewohnheitsrechtlichen Jurisdiktions- und Immunitätsregeln für Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch“ , das als Anlage zu diesem Verfahren zu den
Akten gereicht wird, folgendes ausgeführt:
„Die Völkerrechtsentwicklung der letzten Jahrzehnte ist dadurch gekennzeichnet, dass grundlegende und wertbezogene Ordnungsvorstellungen sich in den internationalen Beziehungen verdichten.
Kernpunkt dieser Ordnungsvorstellungen ist der Schutz der Menschenrechte. Eine Verletzung dieser
Grundsätze betrifft nicht nur den Staat, dessen Territorium, dessen Staatsorgane oder dessen
Staatsangehörige, die durch diese Verletzung konkret betroffen sind, sondern sie betrifft rechtlich
gesehen jedes Mitglied der Internationalen Rechtsgemeinschaft. Deshalb spricht man in diesem
Zusammenhang auch von Verpflichtungen erga omnes. Konsequenz dieser Betroffenheit aller Staaten ist ihre Befugnis, Schritte zu ergreifen, die Beachtung dieser grundlegenden Ordnungsprinzipien
gegenüber einem Staat, der sie verletzt, durchzusetzen. Zu solchen Schritten gehört auch die Ausübung staatlicher Strafgewalt nach dem Weltrechtsprinzip (universal jurisdiction). Eine Grenze dieser Befugnis zur Rechtsdurchsetzung ist das völkerrechtliche Gewaltverbot, obwohl das nicht mehr
unbestritten ist.
Diese Entwicklung ist im Grundsatz unbestritten. Zu den Delikten, die auf diese Weise nach dem
Grundsatz der universal jurisdiction von Staaten verfolgt und bestraft werden dürfen, gehören heute Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In den Worten der
Richterin am Jugoslawien-Strafgerichtshof van den Wyngaert:
„Internationally law clearly permits universal jurisdiction for war-crimes and crimes against humanity. For both crimes, permission under international law exists. For crimes against humanity, there
is no clear treaty provision on the subject but it is accepted that, at least in the case of genocide,
states are entitled to assert extraterritorial jurisdiction”.
Eben davon geht auch das am 30.06.2002 in Kraft getretene deutsche Völkerstrafgesetzbuch
(VStGB) aus. Das VStGB ist gegenüber dem Strafgesetzbuch und dem IStGH-Statutgesetz ein eigenständiges Regelwerk. Es enthält einen Teil mit allgemeinen Bestimmungen und einen besonderen, in dem die Tatbestände des Völkermords, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der
Kriegsverbrechen normiert werden. Diese Strafgewalt wird nach dem Weltrechtsprinzip ausgeübt, §
1 VStGB, d.h. auf den Tatort und die Staatsangehörigkeit von Täter und Opfer kommt es insoweit
nicht an.“120
119
Andreas Fischer-Lescano: Rechtsrealität versus Realpolitik. In: HSFK-Standpunkte 1(2005), S.
3.
120
A.a.O. 3ff.
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Der Wortlaut des § 1 VStGB läßt hinsichtlich der nach dem 30.06.2002 verübten Taten keinerlei
Zweifel: Das Völkerstrafgesetzbuch gilt für die hier in Rede stehenden Verbrechen des Völkermordes und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit „auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen
wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist“. Damit ist die deutsche Strafgewalt für diese Taten
unproblematisch begründet.121
3.1.2. Weltrechtsprinzip, § 6 Nr. 9 StGB i.V.m. UN-Folterkonvention sowie § 6 Nr. 9 StGB
i.V.m. Art. 129 III Genfer Übereinkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen
Darüber hinaus besteht hinsichtlich der angezeigten Taten eine Strafgewalt deutscher Strafverfolgungsbehörden nach § 6 Nr. 9 StGB i.V.m. Art. 5 der UN-Folterkonvention von 1984. Nach § 6 Nr.
9 StGB gilt das deutsche Strafrecht für im Ausland begangene Taten, die auf Grund eines für die
Bundesrepublik verbindlichen zwischenstaatlichen Abkommens auch dann zu verfolgen sind, wenn
sie im Ausland begangen wurden. Das ist bei Folterstraftaten der Fall. Die UN-Anti-Folterkonvention
ist seit dem 31.10.1990 für die Bundesrepublik in Kraft getreten. Nach Art. 5 II der UN-AntiFolterkonvention ist die Bundesrepublik verpflichtet, ihre Gerichtsbarkeit über Folter auch für im
Ausland begangene Straftaten für den Fall zu begründen, dass sich der Verdächtige in einem der
Bundesrepublik unterstehenden Hoheitsgebiet befindet, sofern Deutschland nicht stattdessen ausliefert. Da die Vorfälle in Abu Ghraib und Guantánamo Folter darstellen, wie an anderer Stelle umfassend ausgeführt wird, ist bezüglich derjenigen Beschuldigten ein Strafverfahren einzuleiten, die
sich auf deutschem Hoheitsgebiet befinden.
Es besteht bezüglich der Folterstraftaten vor Geltung des Völkerstrafgesetzbuches die Auffassung,
dass durch das Übereinkommen gegen Folter und andere unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984, jedenfalls nach Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes
vom 06.04.1990 (BGBl 1990 II, 246) – vorbehaltlich eines Erfordernisses des Inlandsbezuges – das
deutsche Strafrecht gilt.122
Das selbe gilt für die Begehung von Kriegsverbrechen. Hierzu hatten Bothe und Fischer-Lescano in
ihrem bereits zitierten Gutachten zurecht auf die vier Genfer Abkommen zum Schutz der Bevölkerung vor bewaffneten Konflikten vor 1949 und dort insbesondere auf Art. 129 des III. Übereinkommens über die Behandlung von Kriegsgefangenen und dessen Absatz 2, in dem jede Vertragspartei zur Strafverfolgung verpflichtet ist, hingewiesen.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 6 StGB gilt für die in § 6 aufgezählten Katalogtaten das Weltrechtsprinzip, unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Täters, dem Recht des Tatortes und
dem Tatort. Dennoch entwickelte die Rechtssprechung als ungeschriebene Voraussetzung das Erfordernis des sogenannten „legitimierenden inländischen Anknüpfungspunktes“, dass also im Einzelfall – und zwar zur Begründung der deutschen Strafgewalt – ein unmittelbarer Bezug der Strafverfolgung zum Inland bestehen müsse. Angesichts der Vielzahl der im § 6 StGB aufgezählten Taten mag diese Rechtssprechung bei einem Teil der dort aufgezählten Delikte eine gewissen Berechtigung haben. Bezüglich der Völkerstraftaten wurde die Rechtssprechung vor Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches stark kritisiert.123 Jedenfalls lehnte die herrschende Auffassung im Schrifttum
dieses Erfordernis bei Völkerstraftaten ab.124 Letztlich wurde diese Rechtssprechung hinsichtlich
Völkerstraftaten vor allem bei der Beurteilung von Balkankriegsverbrechen relevant. Insoweit ließ
es das Bundesverfassungsgericht zuletzt125 offen, ob ein zusätzlicher legitimierender inländischer
Anknüpfungspunkt überhaupt erforderlich ist. Der Bundesgerichtshof nahm in seinem bereits oben
zitierten Urteil126 einen unmittelbaren Bezug zur Strafverfolgung im Inland durch den ständigen
121
Vgl. Gesetzesbegründung, BT Drucksache 14 8527, a.a.O.; Löwe- Rosenberg- Beulke, Strafprozessordnung, Nachlieferung, Rn. 1 zu § 153 c, Rn. 2 zu § 153 f
122
Vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2001 – 3 StR 372/00, S. 8f.; Schönke/Schröder-Eser, StGB 26. Auflage, § 6 Rd 11, jeweils m. w. N.
123
Vgl. nur Merkel: Universale Jurisdiktion bei völkerrechtlichen Verbrechen. Zugleich ein Beitrag
zur Kritik des § 6 StGB. In: Lüderssen (Hg.): Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das
Böse? 1998, Bd. 3, S. 273ff.
124
Vgl. vor allem Eser, in: Eser u.a. (Hg.): Festschrift für Meyer-Goßner, 2001, S.3ff.; Werle, JZ
1999, S.1181,1182; JZ 2000,755,759.
125
Beschluss vom 12.12. 2000 – 2 BvR 1290/99, S. 22.
126
A.a.O., S. 20.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Aufenthalt des Angeklagten in Deutschland zwar als gegeben an, neigte jedoch dazu, jedenfalls bei
§ 6 Nr. 9 StGB keinen „über den Wortlaut des § 6 StGB hinaus legitimierenden Anknüpfungspunkt
im Einzelfall“ mehr zu verlangen. Durch das Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches und des §
153 f StPO hat sich dieses Problem entschärft bzw. von der Begründung der deutschen Strafgewalt
in die Bestimmung des staatsanwaltschaftlichen Ermessens verlagert. Diese – erneute eindeutige –
gesetzgeberische Wertung, von der Literatur einhellig als „Klarstellung“ und nicht als Novum kommentiert,127 und Absage an die vom Bundesgerichtshof scheinbar selbst aufgegebene Rechtsprechung muss dann im übrigen auch bei der Auslegung des § 6 I Nr. 9 StGB in der Weise berücksichtigt werden, dass ein inländischer Anknüpfungspunkt auch für Altfälle nicht mehr notwendig ist.128
Die deutsche Strafgewalt ist daher auch für die einzelnen Foltertaten und für Kriegsverbrechen
begründet, richtigerweise schon wegen des eindeutigen Wortlautes des § 6 StGB und der herrschenden Literaturmeinung dazu. Dies gilt zum einen für die im nachfolgenden Text geschilderten
vor dem 30.06.2002 begangenen Straftaten, insbesondere auch die Teilnahme an Folterstraftaten
und Kriegsverbrechen. Namentlich trifft dies auf die Tathandlungen im Januar und Februar 2002,
das Schreiben der nachfolgend in Bezug genommenen Memoranden und die daraufhin eingeleiteten
weiteren Maßnahmen zur Durchsetzung von illegalen Vernehmungsmethoden zu. Zum anderen
kann auch hinsichtlich der Einzelstraftaten, insbesondere der Folterungen, auch für die nach dem
30.06.2002 die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts über § 6 Nr. 9 StGB i. V. m. UN-AntiFolterkonvention begründet werden. Selbst wenn man der inzwischen scheinbar aufgegebenen
älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes folgen sollte, kommt man wegen der nachfolgend
geschilderten vielfältigen Inlandsbezüge zur Strafverfolgung in der Bundesrepublik Deutschland
zum selben Ergebnis.
3.2. Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft, § 153 f StPO
Mit dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes und dem VStGB wurden zusätzliche Instrumente geschaffen, die es ermöglichen sollen, Straftaten, die sich gegen die vitalen Interessen der Völkergemeinschaft richten, weltweit zu verfolgen. Aus diesem Grund knüpfen beide
Regelwerke nicht an einen wie auch immer gearteten Inlandsbezug an, sondern sind Ausdruck des
Weltrechtsprinzips. Sie knüpfen an Völkergewohnheitsrecht und an zahlreiche einschlägige Konventionen an, als deren wichtigste die Völkermordkonvention, die Genfer Rotkreuz- Abkommen und
das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 zu nennen sind. Aus den genannten Konventionen ergeben sich nicht nur (Straf-) Tatbestände, sondern auch die Befugnis zu strafen sowie teilweise Verfolgungs- und Bestrafungspflichten.129 Ziel des VStGB ist es, die Straflosigkeit von Völkerstraftaten zu beenden oder zumindest zu minimieren.130
Das VStGB und das Rom-Statut bauen dabei auf dem Prinzip der Solidarität auf.131 Der verfolgende
Drittstaat wird „im Interesse der Staatengemeinschaft als Ganzes“ tätig.132 Die internationale Staatengemeinschaft einerseits und die einzelnen Staaten andererseits verpflichten sich, zur Verbreitung des humanitären Völkerrechts die so genannten Kernverbrechen (core crimes) zu verfolgen.
Die sich dabei ergebende Überlappung der Strafverfolgungszuständigkeit, bspw. des IStGH, des
Tatortstaates und der Bundesrepublik Deutschland, wird nicht nur hingenommen, sondern ist sogar
gewollt, um eine lückenlose Strafverfolgung zu gewährleisten.133
Leitgedanke des in § 1 formulierten Prinzips des VStGB ist daher, dass für alle Verbrechen nach
dem VStGB unabhängig vom Tatort und der Nationalität der beteiligten Personen eine Zuständigkeit der deutschen Justiz vorliegt und damit auch die zuständige Staatsanwaltschaft, die Bundesanwaltschaft, nach dem Legalitätsprinzip zum Tätigwerden verpflichtet ist.134 Hintergrund der pro127
Vgl. Gesetzesbegründung, BT Drucksache 14 8527, a.a.O.; Löwe- Rosenberg- Beulke, Strafprozessordnung, Nachlieferung, Rn. 1 zu § 153 c, Rn. 2 zu § 153 f
128
Beulke a.a.O. hält die Frage unter Verweis auf Zimmermann ZRP 2002, 97, 100 für „ungeklärt“.
129
Kai Ambos: Internationales Strafrecht. München 2006, Rn. 93ff. ; Gerhard Werle: Völkerstrafrecht. Tübingen 2003, Rn. 170ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen.
130
BT-Drucks. 14/8524, S. 37.
131
BT-Drucks. 14/8524, S. 37; KK-Schoreit, 5. Aufl., 2003, § 153 f Rn. 3.
132
Ambos, a.a.O.
133
Ambos, a.a.O., Rn. 129ff.
134
Vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 37.
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zessualen Flankierung dieses Prinzips durch § 153 f StPO war die vom Schrifttum vor Inkrafttreten
des Völkerstrafgesetzbuches stark kritisierte restriktive Interpretation des Weltrechtsprinzips nach
§ 6 Nr. 1 und Nr. 9 StGB durch die Bundesanwaltschaft und den Bundesgerichtshof.135 Deutsches
Strafrecht sollte nach dem Willen des Gesetzgebers zukünftig ausdrücklich auch dann gelten und
grundsätzlich durchgesetzt werden, wenn kein Bezug zu Deutschland besteht. § 153 f Abs. 1 S. 2
StPO trägt dem Ziel des Völkerstrafgesetzbuches, den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik zur Ahndung von Völkerrechtsverbrechen zu entsprechen, zusätzlich dadurch Rechnung, dass die Taten nach dem VStGB auch dann, wenn sie im Ausland begangen worden sind,
dem Legalitätsprinzip unterstellt werden.
Mit der neueingeführten Regelung des § 153 f StPO sollte eine für die Verbrechen des VStGB einschlägige prozessuale Vorschrift geschaffen werden, da der für Auslandstaten bisher einschlägige §
153 c StPO diesem nicht in ausreichendem Maße Rechnung tragen konnte.136 Dabei legte der Bundesgesetzgeber Wert darauf, den Ermessensspielraum der Staatsanwaltschaft zu strukturieren,
indem er gesetzliche Kriterien aufstellte, die als Grundlage der Ermessensausübung herangezogen
werden können. Es sollte vermieden werden, dass die Staatsanwaltschaft in einem politisch sensiblen Bereich autonom, d. h. ohne Hilfestellung des Gesetzgebers Entscheidungen zu treffen und zu
verantworten hat.
§ 153 f StPO zielt daher ausdrücklich nicht darauf ab, der Staatsanwaltschaft weite Beurteilungsund Ermessensspielräume zuzugestehen. Vielmehr soll in der differenzierten Regelung des § 153 f
Abs. 2 StPO ein völkerrechtlich innovatives Stufenverhältnis verschiedener Gerichtsbarkeiten getroffen werden. Grundsätzlich soll jedes Völkerrechtsverbrechen nach dem VStGB vor deutschen
Gerichten verhandelt werden können und von der Staatsanwaltschaft ermittelt werden müssen.
Doch sollte der Staatsanwaltschaft mit § 153 f StPO ein Instrument zur Verfügung gestellt werden,
das diese vor Überlastung durch unzweckmäßige Ermittlungsarbeit schützen soll und zwar vor allem dann, wenn die Durchführung eines Strafverfahrens in Deutschland keine Aussicht auf Erfolghat.137 Dies ist vor allem dann der Fall, wenn keine Aussichten darauf bestehen, dass der Täter
auch tatsächlich in Deutschland vor Gericht gestellt werden kann, weil er ein Ausländer ist, sich
nicht im Inland aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist oder wenn ein anderes, ausländisches oder internationales Gericht ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat. In solchen
Fällen könnten eigene Ermittlungen der Staatsanwaltschaft unzweckmäßig sein, so dass der
Staatsanwaltschaft hier eine Einstellungsmöglichkeit eröffnet wird.138
Nichtsdestotrotz verbleibt es bei Völkerstraftaten mit Inlandsbezug bei einer Ermittlungs- und Verfolgungspflicht. Ausdrücklich gilt weiterhin das Legalitätsprinzip. Damit besteht keine Befugnis der
Staatsanwaltschaft zur Einstellung nach § 153 f StPO, wenn ein Inlandsbezug vorliegt.139 Die in §
153 f StPO genannten konkreten Voraussetzungen sind daher im Hinblick auf den Telos der Norm
eng gefasst und restriktiv zu handhaben.140 Eine Straflosigkeit der Täter soll damit verhindert werden. Gleichzeitig soll, wie bereits ausgeführt, die Staatsanwaltschaft vor der sensiblen Entscheidung bewahrt werden, ob sie eine Strafverfolgung wegen einer im Ausland begangenen Völkerstraftat durchführen soll. Das Ermessen der Staatsanwaltschaft, ein Ermittlungsverfahren wegen
Verbrechen nach dem VStGB einzustellen oder von der Aufnahme entsprechender Ermittlungen
abzusehen, ist damit vom Gesetzgeber von vornherein sehr begrenzt worden.
Es kann daher für sich genommen keine Rolle spielen, dass es sich bei den angezeigten Straftaten
um Auslandstaten handelt.141 Dies reicht als Einstellungsgrund alleine nicht aus.142 Insofern ist der
Staatsanwaltschaft im Gegensatz zu § 153 c StPO durch diese Tatsache allein noch keine eigenständige Beurteilungskompetenz zugestanden.
Eine Einstellung nach § 153 f Abs. 2 StPO ist nur bei Vorliegen der genannten vier Voraussetzun135
Vgl. zu letzterer: Merkel, a.a.O., Eser, a.a.O.; Werle, a.a.O.
Vgl. LR-Beulke, Nachtrag zu § 153 f Rn 4. Stand 01.11.2003; Meyer-Goßner, § 153 f Rn 1.
137
Vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 37; LR-Beulke a.a.O. Rn 5; SK-Weßlau, § 153 f Rn 1.
138
Vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 37, LR-Beulke a.a.O.
139
So die absolut herrschende Meinung: Meyer-Goßner a.a.O.; LR-Beulke a.a.O.; SK-Weßlau a.a.O.
Rn 2, Rn 15; KMR-Plöd, § 153 f Rn 4; KK-Schoreit, § 153 f Rn 2; Werle: Konturen eines deutschen
Völkerstrafrechts, JZ 2002, S. 885, 890f.; Werle-Jeßberger: Das Völkerstrafgesetzbuch, JZ 2002,
S. 725, 732; Kreß: Völkerstrafrecht und Weltrechtspflegeprinzip, ZStW 114 (2002), S. 818, 845.
140
Vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 37, LR-Beulke a.a.O.
141
Vgl. SK-Weßlau, a.a.O., Rn 11.
142
LR-Beulke a.a.O., Rn 42.
136
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gen möglich. Diese müssen aber im Gegensatz zu den Ausführungen der Bundesanwaltschaft in
dem angegriffenen Bescheid kumulativ vorliegen. Es ist also nicht ausreichend, dass es bspw. am
Inlandsbezug fehlt oder eine Verfolgung im Ausland eingeleitet worden ist.143
Soweit die Ausführungen aus der Gesetzesbegründung und der Literatur zur Funktion und Auslegung des § 153 f StPO – die bisherige Praxis des Generalbundesanwaltes bei der Entscheidung
über die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens war bisher eine andere.144 Dies zeigte sich unter
anderem in dem Verfahren, das ein Teil der Anzeigenerstatter vor zwei Jahren zu einem ähnlichen
Sachverhalt initiiert hatten.
3.2.1. Das erste D.R.-Verfahren bei der Bundesanwaltschaft - 3 ARP 207/04-2 Die erste Strafanzeige gegen den Beschuldigten D.R. und neun weitere Personen wurde vom Unterzeichner am 29.11.2004 erstattet. Die Anzeige enthielt unter anderem Ausführungen dazu, dass
mindestens drei der Beschuldigten in Deutschland stationiert seien und auch bei den übrigen, insbesondere bei dem Beschuldigten D.R., Deutschland-Aufenthalte zu erwarten seien. Aus diesem
Grunde und wegen der im einzelnen in derAnzeige mitgeteilten Tatsachen zur Nichtverfolgung der
angezeigten Straftaten in den USA sowie zu den gegebenen Ermittlungsmöglichkeiten sei der Generalbundesanwalt verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Ungeachtet dessen teilte der
GBA mit Schriftsatz vom 10.02.2005 mit, dass er die Anzeige geprüft habe und aus den in einem
beigefügten Vermerk ausgeführten Gründen der Anzeige keine Folge geben würde. In dem Vermerk des Generalbundesanwaltes vom 10.02.2005 wurde im einzelnen begründet, warum der
Strafanzeige keine Folge gegeben wird:
„Es bedarf keiner Prüfung, ob das Vorbringen der Anzeigenerstatter geeignet ist, einen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigenden Anfangsverdacht zu begründen. Ebenso bedarf
es keine Prüfung, inwiefern Immunitätsregelungen der Einleitung eines Ermittlungsverfahren entgegenstehen. Die nach Maßgabe des § 153 f StPO vorzunehmende Abwägung ergibt, dass für ein
Tätigwerden deutscher Ermittlungsbehörden in Ansehung des Grundsatzes der Subsidarität kein
Raum ist.
Zwar gilt für die im Völkerstrafgesetzbuch unter Strafandrohung gestellten Verbrechen das Weltrechtsprinzip (§ 1 VStGB). Danach bedarf es für die Anwendung des Völkerstrafgesetzbuches keines wie immer gearteten Bezuges zum Inland. Das Weltrechtsprinzip legitimiert jedoch nicht ohne
weiteres eine uneingeschränkte Strafverfolgung. Ziel des Völkerstrafgesetzbuches ist es, Strafbarkeits- und Strafverfolgungslücken zu schließen. Dies hat jedoch vor dem Hintergrund der Nichteinmischung in die fremder Staaten zu geschehen. Dies folgt auch aus Artikel 17 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH), das im Regelungszusammenhang des Völkerstrafgesetzbuches zu sehen ist. Danach ist die Jurisdiktion des Internationalen Strafgerichtshofes subsidiär
gegenüber der Zuständigkeit des Tatort- oder Täterstaates; der Internationale Strafgerichtshof
kann nur tätig werden, wenn die zunächst zur Aburteilung berufenen Nationalstaaten „unwilling or
unable“ zur Strafverfolgung sind. Aus den selben Gründen darf ein Drittstaat die Rechtspraxis
fremder Staaten nicht nach eigenen Maßstäben überprüfen, im Einzelfall korrigieren oder gar ersetzen.
Der nationale Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland hat der Subsidarität nicht durch Zurücknahme der Grundentscheidung für den Weltrechtsgrundsatz, sondern durch die differenzierte
prozessuale Regelung des gleichzeitig mit dem Völkerstrafgesetzbuch geschaffenen § 153 f StPO
Rechnung getragen (BT-Drucks. 14/8524 – Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches – S. 37; Kreß, ZStW 114 (2002), 845 f). Für die Auslegung und Anwendung des §
153 f StPO stellt das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes die Richtschnur dar. Danach ist
die Verpflichtung zur Verfolgung von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch in abgestufter
Weise geregelt:
143
Vgl. BT-Drucks. a.a.O., S. 38, LR-Beulke, a.a.O., Rn 26, Meyer-Goßner a.a.O., Rn 4, KMR-Plöd
a.a.O., Rn 5.
144
Vgl. Wolgang Kaleck: Deutsches Völkerstrafrecht in der Praxis. In: ders./Michael Ratner/Tobias
Singelnstein/Peter Weiss (Hg.): International Prosecution of Human Rights Crimes. Berlin 2007 (im
Erscheinen), S. 213ff.; Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Abgeordneten
Burkhardt Müller-Sönsken u.a. und der Fraktion der FDP „Aufenthalt des ehemaligen usbekischen
Innenministers in Deutschland“ (BT-Drucksache 16/1579).
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In erster Linie sind der Tatortstaat und der Heimatstaat von Täter und Opfer sowie ein zuständiger
internationaler Gerichtshof zur Verfolgung berufen … Die Zuständigkeit von unbeteiligten Drittstaaten ist demgegenüber als Auffangzuständigkeit zu verstehen, die eine Straflosigkeit (sogenannte
„impunitiy“) vermeiden, im übrigen aber die zuständigen Gerichtsbarkeiten nicht unangemessen
zur Seite drängen soll…. Erst wenn die Strafverfolgung durch vorrangig zuständige Staaten oder
einen internationalen Gerichtshof nicht gewährleistet wird oder nicht gewährleistet werden kann,
etwa weil der Täter sich durch Flucht ins Ausland einer Strafverfolgung entzogen hat, greift die
Auffangzuständigkeit deutscher Strafverfolgungsbehörden. Diese Abstufung rechtfertigt sich aus
dem besonderen Interesse des Heimatstaates von Täter und Opfer an der Strafverfolgung sowie
aus der regelmäßig größeren Nähe der vorrangig berufenen Gerichtsbarkeiten zu den Beweismitteln ….
Die Voraussetzungen des § 153 f StPO liegen vor. Vorrangig zuständig für die Strafverfolgung sind
nach diesen Grundsätzen die Vereinigten Staaten von Amerika als Heimatstaat der Angezeigten.
Die angezeigten Handlungen wurden außerhalb des Geltungsbereiches der Strafprozessordnung im
Sinne von § 153 c Abs. 1 Nr. 1 StPO begangen. Die Bundesrepublik Deutschland ist insoweit auch
unter Berücksichtigung des Vorbringens der Anzeigenerstatter weder Handlungs- noch Erfolgsort (§
9 StGB).
Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass ein Deutscher als Täter an den angezeigten Tathandlungen beteiligt war (§ 153 f Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 StPO) oder dass ein deutscher
Staatsbürger Opfer der angezeigten Tathandlungen geworden wäre (§ 153 f Absatz 2 Satz 1 Nr. 2
StPO).
Das Erfordernis der anderweitigen Verfolgung (§ 153 f Absatz 2 Satz 1 Nr. 4 StPO) ist erfüllt. Der
Begriff der Verfolgung der Tat ist auf den Gesamtkomplex und nicht auf einen einzelnen Tatverdächtigen und seinen speziellen Tatbeitrag bezogen auszulegen. Maßgeblich ist nach dem Wortlaut
der Vorschrift das Tatgeschehen in seiner Gesamtheit. Eine derartige Auslegung des Begriffes der
Tat folgt aus dem Römischen Statut, dessen Umsetzung das Völkerstrafgesetzbuch dient. Art. 14
Absatz 1 des Statuts nennt ausdrücklich den Begriff der „Situation, … in der es den Anschein hat,
dass ein oder mehrere der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterliegende Verbrechen begangen
wurden, …“. In welcher Reihenfolge und mit welchen Mitteln der vorrangig zuständige Staat im
Rahmen eines Gesamtkomplexes gegen Einzelpersonen ermittelt, muss wegen des Grundsatzes der
Subsidarität diesem überlassen bleiben. Etwas anders gilt nur, wenn lediglich zum Schein oder
ernsthaften Verfolgungswillen ermittelt wird ….
Hier bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Behörden und Gerichte der Vereinigten Staaten von
Amerika wegen der in der Strafanzeige geschilderten Übergriffe von strafrechtlichen Maßnahmen
Abstand genommen hätten oder Abstand nehmen würden. So wurden wegen der Vorgänge von
Abu Ghraib bereits mehrere Verfahren gegen Tatbeteiligte, auch gegen Angehörige der 800. Militärpolizeibrigade, durchgeführt. Mit welchen Mitteln und zu welchem Zeitpunkt gegen weitere mögliche Tatverdächtige im Zusammenhang mit den in der Strafanzeige geschilderten Übergriffen ermittelt wird, muss dabei den Justizbehörden der Vereinigten Staaten von Amerika überlassen bleiben.
Damit ergibt sich die für die Anzeige gebrachten Sachverhalte:
Soweit sich die angezeigten Personen nicht im Geltungsbereich des Völkerstrafgesetzbuches aufhalten und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist, liegen die Voraussetzungen des § 153
f Absatz 1 Satz 1 StPO vor …
Bei den angezeigten Personen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten oder bei denen ein solcher Aufenthalt zu erwarten ist, ist der Anzeige gem. § 153 f Absatz 2 Satz 2 StPO keine
Folge zu geben.
Die Angezeigten, die sich nach dem Vortrag der Anzeigenerstatter in Deutschland aufhalten, sind
als Angehörige der US-Armee auf deren Stützpunkten in Deutschland stationiert. Sie unterliegen
hier auch in Bezug auf ihren Aufenthalt einer besonderen Gehorsamspflicht gegenüber ihrem
Dienstherrn. Die Vereinigten Staaten von Amerika als verfolgender Staat haben deshalb uneingeschränkten Zugriff auf diese Personen. Damit stehen sie – auch wenn sie in Deutschland stationiert
sind – der amerikanischen Gerichtsbarkeit in gleicher Weise zur Verfügung, als wenn sie sich in den
Vereinigten Staaten aufhalten würden. Die nach dem Weltrechtsprinzip zu vermeidende Strafbarkeitslücke besteht nicht, so dass für die Auffangzuständigkeit der deutschen Strafverfolgungsbehörden kein Raum ist. Dies folgt auch aus § 153 f Absatz 2 Satz 2 StPO. Danach kann von einer
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Verfolgung abgesehen werden, wenn die Auslieferung an den verfolgenden Staat zulässig und beabsichtigt ist. Dies muss erst recht gelten, wenn der verfolgende Staat, wie hier uneingeschränkten
Zugriff auf einen Tatverdächtigen hat, es mithin einer Auslieferung nicht bedarf.
Entsprechendes gilt bei einem zu erwartenden zeitlich begrenzten Aufenthalt im Geltungsbereich
des Völkerstrafgesetzbuches, wenn im bevorrechtigten Staat zu dem Gesamtkomplex Ermittlungen
durchgeführt werden. Auch in diesem Fall wären die Angezeigten nicht einer Strafverfolgung durch
die Justiz der Vereinigten Staaten entzogen.
Anhaltspunkte, die die Aufnahme von Ermittlungen trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 153
f StPO rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Denkbar wären dabei wegen des Grundsatzes der
Subsidarität allenfalls solche Maßnahmen, welche die vorrangig zur Untersuchung der Vorfälle berufenen US-Behörden wegen tatsächlicher oder rechtlicher Hindernisse nicht selbst vornehmen
könnten. Solche Hindernisse sind hier nicht ersichtlich.“
Gegen diese Begründung des GBA wandte sich der Unterzeichner in einer Gegenvorstellung sowie
in einem anschließenden Klageerzwingungsantrag vom 10.03.2005 mit u. a. folgenden Argumenten:
„Der Einstellungsbescheid der Bundesanwaltschaft verkennt die Grundlinien und Prinzipien des
Völkerstrafgesetzbuches. Der ausdrückliche Wortlaut des § 1 VStGB regelt dessen Geltung für nach
dem 30.06.2002 verübte Verbrechen des Völkermordes, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit
und Kriegsverbrechen „auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug
zum Inland aufweist“ […]
„Gegenstand der Strafanzeige vom 29.11.2004 sind keine Taten, bei denen ein Deutscher Tatverdächtiger ist oder die sich gegen einen oder mehrere Deutsche richteten. Damit sind die Voraussetzungen gemäß § 153 f Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO erfüllt.
Weiterhin darf sich kein Tatverdächtiger im Inland aufhalten bzw. ein solcher Aufenthalt nicht zu
erwarten sein, wenn eine Einstellung erfolgen soll (§ 153 f Abs. Nr. 3 StPO). Bei der Auslegung
dieser Vorschrift ist wiederum der Telos der Norm zu berücksichtigen: Der Staatsanwalt soll davor
bewahrt werden, Ermittlungen durchzuführen, die keinen nennenswerten Aufklärungserfolg versprechen (vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 37), was der Fall sein kann, wenn der Täter nicht für die
deutsche Justiz habhaft ist. Eine Strafverfolgung wird dann häufig weniger Erfolg versprechend
sein. Es besteht also nur dann ein Ermessen der Staatsanwaltschaft von der Verfolgung abzusehen,
wenn festgestellt wird, dass der Tatverdächtige sich nicht in Deutschland aufhält bzw. ein derartiger Aufenthalt nicht zu erwarten ist. Allerdings könnte selbst in den letztgenannten Fällen eine
eigenständige Ermittlungsarbeit der deutschen Staatanwaltschaft zweckmäßig sein, etwa im Hinblick auf spätere Rechtshilfeersuchen (so der Bundesgesetzgeber, BT-Drucks. 14/8524, S. 38) oder
weil die Ergebnisse für ein anderes Verfahren verwendet werden können (vg. SK-Weßlau, a.a.O.,
Rn 2). Bei der Feststellung, ob ein Inlandsaufenthalt zu erwarten ist, ist zu beachten, dass selbst
ein kurzfristiger Aufenthalt bspw. eine Durchreise ausreichend sein soll, da dies genügt, um des
Tatverdächtigen habhaft zu werden (vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 38; Werle-Jeßberger, a.a.O.). Es
ist also ausreichend, dass festgestellt werden kann, dass derBeschuldigte beruflichen, persönlichen
oder familiären Bindungen der Bezügen nach Deutschland hat (vgl. SK-Weßlau, a.a.O., Rn 11;
Werle-Jeßberger, a.a.O.; Beulke, a.a.O., Rn 25). Beulke will der Staatanwaltschaft z. B. die in §
153 f Abs. 1 StPO eingeräumte Nichtverfolgungs- und Einstellungsermächtigung bereits dann verwehren, wenn schon „irgendein Anknüpfungspunkt im Inland vorliegt“ (vgl. zusammenfassend
Kreicker in: Eser/Kreicker (Hrsg), Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Freiburg
im Breisgau, 2003, S. 263 ff. m.w.N.).
Nach eindeutiger Gesetzeslage und ebenso eindeutiger Kommentierung im Schrifttum besteht mithin für die Staatsanwaltschaft ein Verfolgungszwang, wenn sich die tatverdächtige Person im Inland aufhält oder ein entsprechender Aufenthalt zu erwarten ist. Für Ermessenserwägungen besteht daher kein Raum. Erst recht besteht keine Befugnis der Bundesanwaltschaft, auf das Ermittlungsverfahren ganz zu verzichten (vgl. SK-Weßlau a.a.O.).
Ein Ermessenspielraum der Staatsanwaltschaft nach § 153 f StPO wäre erst dann eröffnet, wenn
alle Voraussetzungen der Absätze 1 bzw. 2 vorliegen. Die Bundesanwaltschaft verkennt den Inhalt
der Vorschrift sowie deren Telos, wenn sie versucht, eine umfassende Subsidarität der deutschen
Strafverfolgung zu konstruieren. Eine solche ist vom Gesetzgeber eindeutig gerade nicht gewollt.
Daher ist auch der Bezug auf das IStGH-Statut nicht nur gesetzlich nicht vorgesehen, sondern verfehlt.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Die Bundesanwaltschaft stützt ihre Einstellungsentscheidung sowohl auf § 153 Abs. 1 S. 1 StPO als
auch auf Abs. 2 S. 2. Diese Begründung geht bereits deswegen offensichtlich fehl, weil erstens sich
mindestens drei der Beschuldigten regelmäßig mit ihren Einheiten in Deutschland aufhalten und
insoweit im Inland aufhältig sind und zweitens bei allen weiteren Beschuldigten ein regelmäßiger
Aufenthalt zu erwarten ist, da starke berufliche und politische Verbindungen zu Deutschland existieren. Dies belegt nicht zuletzt der kürzlich erfolgte Aufenthalt des Beschuldigten zu 1.), D.R., auf
der Münchener Sicherheitskonferenz am 11./12.02.2005.
Somit ist die Entscheidung der Bundesanwaltschaft, keine Ermittlungen gegen D.R.und die anderen
Beschuldigten aufzunehmen, bereits aus diesem Grunde rechtsfehlerhaft.“
3.2.2. Der Beschluss des OLG Stuttgart
Das OLG Stuttgart erklärte mit Beschluss vom 13.09.2005 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Klageerzwingungsverfahren unstatthaft. Eine beantragte Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach § 100 Abs. 2 GG zur Auslegung des VStGB im Verhältnis zu denen sich aus allgemeinem Völkerrecht, Art. 25 GG ergebenden Bestrafungspflichten bei Kriegsverbrechen, wurde
damit ebenfalls abgelehnt. Dabei stützte sich das Gericht auf § 172 Abs. 2 Satz 2 StPO, wonach
das Klageerzwingungsverfahren in den Fällen der §§ 153 c bis 154 Abs. 1 StPO, also den Fällen des
so genannten Opportunitätsprinzips, ausgeschlossen sei. Dies umfasse eindeutig auch § 153 f
StPO. Bei der Einfügung der Norm des § 153 f StPO mit Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches
zum 30.06.2002 sei sich der Gesetzgeber bewusst gewesen, dass die Ausnahme des § 172 Abs. 2
Satz 3 StPO auch Fälle des § 153 f StPO umfasse, weswegen von einer gesetzgeberischen Entscheidung gegen ein Klageerzwingungsverfahren in solchen Fällen auszugehen sei. Der Unterzeichner hatte dagegen argumentiert, dass der Generalbundesanwalt zu Unrecht einen Fall des § 153 f
StPO angenommen habe und deswegen der Ausschlusstatbestand des § 172 Abs. 2 Satz 3 StPO
nicht greife. Das Gericht hält „die äußeren Voraussetzungen“ des § 153 f Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2
Satz 1 und 2 StPO für gegeben. Es schließt daraus, dass ein Ermessen des Generalbundesanwaltes
betreffend der Frage der Eröffnung/Nichteröffnung des Ermittlungsverfahrens vorgelegen habe,
dessen Ausübung nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugängig sei.
Einziger Prüfungsmassstab des Gerichts sei daher, ob überhaupt ein Ermessen ausgeübt und ob die
Ermessensausübung die Grenze zur Willkür überschreite. Diese Grenze sieht das Gericht als nicht
verletzt an. Wenn angesichts der von der Generalbundesanwaltschaft konstatierten Zugriffsmöglichkeit der Behörden in den USA auf die Beschuldigten das reine Opportunitätsprinzip herrsche, sei
das Anklageerzwingungsverfahren nicht zugängig. Zudem habe der § 153 f StPO die Funktion, die
nach § 1 VStGB uferlos inländische Klageverfolgung von ausländischen Taten prozessual zu begrenzen und auf die Taten zu beschränken, bei denen eine Chance bestehe, diese aufzuklären oder
abzuurteilen. Aufgrund der alleinigen Zuständigkeit des Generalbundesanwaltes als oberste Anklagebehörde sei eine hohe Qualifikation der Entscheidung gewährleistet. Der Generalbundesanwalt
habe daher ein sehr weitgehendes Ermessen und könne Fälle anders als im allgemeinen Strafrecht
noch in jedem Verfahrensstadium ohne Zustimmung des Gerichtes einstellen. Die eigentliche Ermessensentscheidung sei daher nicht überprüfbar. Insbesondere sei auch die Annahme einer anderweitigen Verfolgung nach § 153 f Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StPO nicht gerichtlich überprüfbar.145
3.2.3. Die rechtswissenschaftliche Kritik an den Entscheidungen des GBA und des OLG
Stuttgart
Die Entscheidung des Generalbundesanwaltes vom 10.02.2005 und der Beschluss vom OLG Stuttgart vom 13.09.2005 erfuhren in der Literatur zahlreiche Kritik.
Der renommierte Völkerstrafrechtler Kai Ambos, der in der Expertenarbeitsgruppe des Bundesministeriums der Justiz an der Ausarbeitung des Entwurfes zum Völkerstrafgesetzbuch beteiligt war,
wies daraufhin, dass das OLG Stuttgart unzutreffender Weise davon ausgehe, dass das in § 1
VStGB verankerte echte Weltrechtsprinzip oder Weltrechtsprinzip im engeren Sinne eine völkerrechtlich bedenkliche Ausdehnung der Zuständigkeit bedeute.146 Er wandte dagegen ein, dass ein
Verstoß gegen dasvölkerrechtliche Nichteinmischungsprinzip nicht vorliege, da es sich §§ 6 bis 12
145
OLG Stuttgart, NStZ 2006, 117
Kai Ambos: Völkerrechtliche Kernverbrechen, Weltrechtsprinzip und § 153 f StPO – Anmerkung
zu GBA, JZ 205, 311 und OLG Stuttgart, NStZ 2006, 117.In: NStZ 2006, S. 434.
146
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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VStGB um völkerrechtliche Kernverbrechen („core crimes“) handele, deren Verfolgung im Interesse
der Menschheit als solcher liege und die deshalb keine innere Angelegenheiten der betroffenen
Tatortstaaten seien. Bei der Auslegung des § 153 f StPO sei „das übergeordnete Ziel der Vermeidung von Straflosigkeit“ zu berücksichtigen. Es gelte daher eine grundsätzliche Verfolgungspflicht
bei Inlandsaufenthalt eines ausländischen Beschuldigten. Allerdings sei auch bei reinen Auslandsstraftaten die Vorschrift des § 153 f StPO „nicht im Sinne einer Rücknahme des WRP, sondern von
der rein praktischen Überlegung geleitet, dass in solchen Fällen eine Strafverfolgung in Deutschland wenig Erfolg versprechend sein wird“. Das übergeordnete Ziel der Vermeidung von Straflosigkeit könne jedoch „auch bei reinen Auslandstaten zu einer Ermessensreduktion zugunsten der Aufnahme der Verfolgung führen, um damit etwa ein späteres Rechtshilfeersuchen oder Ermittlungen
in einem anderen Staat oder durch den IStGH vorzubereiten bzw. zu unterstützen“.
Gemessen an diesen Maßstäben stoßen die Entscheidungen des GBA und des OLG Stuttgart auf
Bedenken bei Ambos. Die inländische Personengruppe (Personen mit Aufenthalt im Bundesgebiet)
und die ausländische Personengruppe werden gleichgesetzt. Der Schluss vom bloßen Vorliegen der
Gerichtsbarkeit des Entsendestaates über seine Soldaten auf das Fehlen einer Strafbarkeitslücke
sei „kühn“, denn damit werde „die fast schon absurd zu nennende These vertreten, dass die bloße
Gerichtsbarkeit des Territorialstaates über die auf seinem Hoheitsgebiet begangenen Straftaten
Strafbarkeitslücken ausschließe“. „Wenn nach § 153 Abs. 1 Nr. 4 StPO die „Tat“ von dem zuständigen Staat „verfolgt“ werden muss, so können bloße „Anhaltspunkte“ zur Strafverfolgung einiger
Befehlsempfänger im Rahmen eines Tatkomplexes nicht als ausreichend angesehen werden; vielmehr ist die Verfolgung bestimmter Personen wegen bestimmter Taten erforderlich.“
Die von der Bundesanwaltschaft vorgenommene Bezugnahme auf Art. 17 IStGH-Statut als Prüfungsmassstab werfe grundsätzliche Fragen auf. Abgesehen davon sei „die Nichtverfolgung bestimmter Führungstäter als fehlender Verfolgungswillen im Sinne von Art. 17 IStGH-Statut“ anzusehen, „wenn die Verfolgung der Ausführungstäter dem Schutz der Organisations- und/oder Führungstäter dient (Art. 17 Abs. 2 a) IStGH-Statut)“.
Den Beschluss des OLG Stuttgart kritisiert er, weil „die zentrale Frage einer Verfolgung durch den
zuständigen Staat als eigentliche Ermessensentscheidung nicht gerichtlich überprüfbar sein soll“
und dies zu der Besorgnis Anlass gebe, „dass das WRP faktisch (im prozessualen Wege) durch eine
exekutivische Steuerung der völkerrechtlichen Strafverfolgungstätigkeit desavouiert wird. Der bloße Verweis auf das Opportunitätsprinzip und den Ausschluss des Klageerzwingungsverfahrens nach
§ 172 Abs. 2 Satz 3 könne nicht überzeugen, da der Gesetzgeber sich „aus Zeitgründen“ diesbezüglich „keine weiteren Gedanken über Rechtsbehelfsmöglichkeiten und insbesondere“ darüber hat
machen können, „das § 153 f rein numerisch in die in § 172 Abs. 2 Satz 3 letzter Halbsatz StPO
genannte Aufzählung fällt. Immerhin seien schon nach geltender Rechtslage ein Klageerzwingungsverfahren gegen eine Einstellung aufgrund des §§ 153 ff. StPO mit der Behauptung zulässig, „dass
die gesetzlichen Ermessensvoraussetzungen nicht vorgelegen haben, der Ermessenspielraum also
überhaupt nicht eröffnet gewesen sei und deshalb die Anklagepflicht fortbestanden habe“. Diese
Erwägungen müssten „erst recht für § 153 f“ gelten, „denn diese Vorschrift sieht eine doppelte
Ausnahme vom WRP und Legalitätsprinzip für Verbrechen vor, die über die Anklagepflicht des nationalen Strafprozessrechts hinaus einer völkerrechtlichen Verfolgungs- und Bestrafungspflicht unterliegen“. Dies spreche für eine „strikte Rechtskontrolle“. Im Ergebnis bedeute „all dies das bei §
153 f völkerrechtlich verstärkte Legalitätsprinzip durch eine gerichtliche Mitwirkungspflicht gesichert werden“ müsse. Dies könne entweder durch eine analoge Anwendung der Vorschriften des
Klageerzwingungsverfahrens gem. § 172 oder durch die Einfügung eines obergerichtlichen Zustimmungserfordernisses in § 153 f geschehen. Zuletzt weist Ambos darauf hin – und dies ist für
die vorliegende Anzeige von besonderer Bedeutung –, dass eine Einstellung nach § 153 f StPO
keine strafklageverbrauchende Wirkung zukomme, so „dass eine einmal zurückgewiesene Anzeige
– bei vorliegender Tatsachen – durchaus erneut eingereicht“ werden könne.
Auch Jeßberger147 erhebt Einwände gegen die Begründung der Entscheidung des GBA vom
10.02.2005. Ausgangspunkt der Kritik ist bei ihm die Feststellung des GBA, „für die Auslegung und
Anwendung des § 153 f stellt das Römische Statut die Richtschnur dar“. Diese Überlegung, die sich
147
F. Jeßberger: Universality, Complementarity and the Duty to Prosecute Crimes Under International Law in Germany. In: Kaleck/Ratner/Singelnstein/Weiss (Hg.): International Prosecution of Human Rights Crimes, Berlin 2007 (im Erscheinen), S. 213ff.; vgl. auch F. Jeßberger: Universelle
Strafgerichtsbarkeit zwischen Anspruch und Wirklichkeit – oder: Warum man sich in Karlsruhe für
D.R. (nicht) interessiert. In: Münck (Hg.): 60 Jahre Vereinte Nationen. Ringvorlesung an der Universität Luzern (im Erscheinen).
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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in einer vermeintlich „statutskonformen“ Auslegung des § 153 f niedergeschlagen habe und die der
gesamten Argumentation des GBA zu Grunde liege, hält Jeßberger aus drei Gründen für verfehlt.
Erstens: Zwar sei dem GBA zuzugeben, dass das „Hineinlesen“ vermeintlich paralleler Vorschriften
des Römischen Statuts in das deutsche Strafrecht vor dem Hintergrund der Genese und des Regelungszwecks des Völkerstrafgesetzbuches – Anpassung des deutschen Strafrechts an das Statut –
nahe liegend sei; so sei es beispielsweise keine Frage, dass der § 6 des Völkerstrafgesetzbuchs
geregelte Tatbestand des Völkermordes im Lichte seiner völkerrechtlichen Mutternormen, insbesondere Art. 6 des Römischen Statuts, auszulegen und anzuwenden sei. Ob allerdings, wie der
Generalbundesanwalt meint, der Grundsatz der „statutskonformen Interpretation“148 auch jenseits
der in die nationale Rechtsordnung transferierten Straftatbestände ohne weiteres Geltung beanspruchen könne, sei – so Jeßberger – jedenfalls begründungsbedürftig. Denn anders als im Fall der
Verbrechenstatbestände finde sich im Römischen Statut keine Bestimmung, die unmittelbar mit der
Regelung in § 1 VStGB, §153f StPO korrespondiere. Eine Begründung, warum das Römische Statut
gleichwohl als „Richtschnur“ bei der Auslegung und Anwendung des § 153 f StPO heranzuziehen
sein soll, finde sich weder in der Entscheidung des Generalbundesanwalts noch in den Materialien
zum Völkerstrafgesetzbuch. Zusammenfassen lässt sich die Argumentation Jeßbergers dahingehend, dass Gründe für die vom GBA behauptete Notwendigkeit, die Strafverfahrensnorm (§ 153 f
StPO) entlang des Römischen Statuts auszulegen, nicht erkennbar sind. § 153 f sei vielmehr eine
„Neuschöpfung“ des deutschen Gesetzgebers, für die es an einer Entsprechung im Statut fehle.
Zweitens: Soweit der Generalbundesanwalt den Begriff der „Tat“ in § 153 f StPO unter Rückgriff
auf das Merkmal „Situation“ in Art. 14 des Römischen Statut bestimme, habe er sich – so Jeßberger – schlicht in der Norm vergriffen. Art. 14 regele nämlich den Fall der „Unterbreitung einer Situation durch einen Vertragsstaat“, also die Frage, dass und unter welchen Voraussetzungen ein Vertragsstaat dem Ankläger einen Sachverhalt zur Anzeige bringen kann. Die Bezugnahme in Art. 14
auf eine „Situation, in der es den Anschein hat, dass ein oder mehrere der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen begangen wurden,“ – und nicht etwa auf eine „Sache“ („case“)
oder eine bestimmte, tatverdächtige Person („individual“), wie dies noch in Art. 25 des Entwurfs
der International Law Commission von 1994 vorgesehen war – sei dabei vor allem Bedenken geschuldet, eine zu weitgehende Spezifizierung der Vorwürfe könne zu einer unnötigen und im Ergebnis kontraproduktiven „Politisierung“ der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofes bereits
im Anzeigestadium führen. Auf die in Art. 14 geregelte Frage, ob die Anzeige sich allgemein auf
eine „Situation“ oder etwa konkreter auf eine bestimmte Person oder ein bestimmtes Verbrechen
beziehen muss, komme es – so Jeßberger – im vorliegenden Fall aber gar nicht an. Die vom Generalbundesanwalt unter Rückgriff auf das Statut beantwortete Frage, nämlich ob und wann der Ankläger deshalb von der Verfolgung absehen kann, weil eine vorrangige Gerichtsbarkeit bereits tätig
geworden sei, sei nicht in Art. 14, sondern in Art. 53, insbes. Art. 53(2)(b) in Verbindung mit Art.
17 des Römischen Statuts geregelt. Hier verwende das Statut aber gerade nicht den Begriff „Situation“, sondern die Wendung „Sache“ („case“; „affaire“). Ein Verfahren vor dem Internationalen
Strafgerichtshof sei also nicht etwa bereits dann gem. Art. 17 unzulässig, wenn zu einer „Situation“, sondern erst wenn „in der Sache“ von einem Staat Ermittlungen oder eine Strafverfolgung
durchgeführt würden. Anders als eine „Situation“ beziehe eine „Sache“ sich aber auf eine spezifische Person und eine spezifische Tat/Verbrechen. Hätte der Generalbundesanwalt diesen Maßstab
bei seiner Auslegung des Begriffs der Tat in § 153 f StPO angelegt, so gibt Jeßberger zu Bedenken,
wäre es schwierig, wenn nicht unmöglich gewesen, zu dem Ergebnis zu gelangen, die Taten, die
mutmaßlich von den angezeigten Personen begangen wurden, würden von den US-amerikanischen
Behörden verfolgt. Zusammenfassen lässt sich die Argumentation Jeßbergers dahingehend, dass es
an der vom GBA behaupteten Grundlage für den von ihm geschaffenen neuartigen Tatbegriff (Tat
= Gesamtkomplex) im Römischen Statut fehlt.
Und drittens wendet Jeßberger gegen die Begründung des Generalbundesanwalts ein, dass, soweit
der Generalbundesanwalt die Reichweite des Universalitätsprinzips nach § 1 VStGB und die Auslegung der es flankierenden Prozessnorm am Römischen Statut ausrichten will, dies schon deshalb
wenig überzeugend sei, weil das Universalitätsprinzip im Römischen Statut gerade nicht vorgesehen sei. Die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofes basiere – mit der Ausnahme der
Unterbreitung einer Situation durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (Art. 12 Abs. 2, 13
Buchst. b des Römischen Statuts) – vielmehr auf dem Territorialitätsprinzip und dem aktiven Personalitätsprinzip. Zusammenfassen lässt sich die Argumentation Jeßbergers dahingehend, dass
gegen die vom GBA behauptete Notwendigkeit §§ 1 VStGB, 153f StPO im Lichte des Römischen
148
Grundlegend hierzu Werle/Jeßberger, JZ 2002, S. 725, 729.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Statuts auszulegen, bereits spricht, dass das Universalitätsprinzip im Römischen Statut gerade
nicht vorgesehen ist. Im Ergebnis bewirke die Auslegung des GBA die Umwidmung des – vom
deutschen Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehenen – Universalitätsprinzips in ein – de lege ferenda
möglicherweise sachgerechtes, so vom deutschen Gesetzgeber aber gerade nicht verwirklichtes –
Komplementaritäts- bzw. Subsidiaritätsprinzip.
Neben seinen Einwänden gegen die „statutskonforme Auslegung“ des § 153 f StPO, weist Jeßberger darauf hin, dass dann, wenn man mit dem GBA der Auffassung sein sollte, die Ausübung von
Strafgewalt über Taten ohne Inlandsbezug sei der deutschen Justiz entsprechend dem „Komplementaritätsprinzip“ des Römischen Statuts nur als „Ersatzvornahme“ möglich, das komplexe und
sorgfältig austarierte Kompetenzverteilungsmodell des Statuts auch vollständig und nicht nur
„bruchstückhaft“ zu übernehmen sei. Nach dem Statut werde die im Zusammenhang mit Art. 17
entscheidende Frage, ob ein Staat tatsächlich ernsthaft in Richtung einer Strafverfolgung tätig geworden sei, nämlich nicht etwa freihändig entschieden, sondern in einem förmlichen Verfahren
gem. Art. 18 geprüft. Die Eckpunkt dieses Verfahrens lauteten: Befristung, Darlegungslast des
vorrangig zuständigen Staates und Kontrolle. Diesem Standard werde, so Jeßberger, die Entscheidung des GBA nicht gerecht. Zusammenfassen lässt sich die Argumentation Jeßbergers dahingehend, der GBA habe einzelne Elemente aus dem höchst komplexen Kompetenzverteilungsmodell
des Römischen Statuts „herausgebrochen“, ohne die sorgfältig austarierte Gesamtregelung im Blick
zu behalten.
Basak kritisiert den Beschluss des OLG Stuttgart mit ähnlichen Argumenten. Der Pilotcharakter der
Entscheidung verlange eine genaue und kritische Würdigung. Das Gericht habe die Einschlägigkeit
des § 153 f Abs. 2 Satz 1 StPO, dem Aufenthalt von Beschuldigten und den erwarteten Aufenthalt
nicht hinreichend gewürdigt. Bei der Beschlussbegründung zu § 153 f Abs. 2 Satz 2 StPO hat trotz
ausführlicher Hinweise darauf, „dass die Verfolgung durch die US-Justiz starke Defizite aufweise,
gar keine Prüfung der Frage“ vorgenommen, „ob die Strafverfolgung durch die USA mehr ist als die
bereits angesprochene Feigenblattjustiz“. Die Befehlsgewalt der US-Armee werde mit einer unzulässigen und beabsichtigen Auslieferung für Personen gleichgesetzt, die aus Sicht der US-Behörden
keinesfalls als Beteiligte an den Folterungen von Abu Ghraib verfolgt würden. Plötzlich sei die Verfügung des Generalbundesanwaltes „geleitet von dem Wunsch, in eine Sachprüfung bezüglich der
Stichhaltigkeit der von den Anzeigenerstattern ausführlich und detailliert vorgetragenen Vorwürfe
gar nicht erst eintreten zu wollen“. Zwar befände sich der Rechtswissenschaftler „in der relativ
komfortablen Lage, dass seine Analysen nicht unmittelbar zu Konsequenzen im politischen Umfeld
führen“. Die Begründung des OLG Stuttgart sei jedoch insbesondere deswegen nicht konsistent, da
die massive Abschwächung der Strafverfolgung von Verbrechen gegen das humanitäre Völkerrecht
negative Folgen für das Gesamtprojekt des VStGB habe. Letztlich sei dem Vorrang der Politik vor
dem Recht Vorschub geleistet worden.
Auch Kurth149 kritisierte den Beschluss des GBA mit ähnlichen Gründen. Es habe eine Verfolgungspflicht bestanden, da sich die Mehrheit der Beschuldigten in Deutschland aufgehalten habe oder ein
solcher Aufenthalt zu erwarten war. Weder sei eine vorrangige (inter-)nationale Strafgerichtsbarkeit gegeben gewesen, noch sei das Prinzip der Nichteinmischung verletzt worden. Mit der Entscheidung habe sich Deutschland von dem Ziel des VStGB, der Vorbildfunktion für andere Staaten
und der Verbreitung des humanitären Völkerrechts ein Stück weit entfernt.
Singelnstein und Stolle150 kritisieren zunächst, dass der Generalbundesanwalt in seiner Einstellungsentscheidung die materiellen Voraussetzungen des § 153 f StPO verkannt habe. Voraussetzungen für ein Absehen von der Verfolgung habe insbesondere bei den im Bundesgebiet stationierten angezeigten Personen nicht vorgelegen. Die Entscheidung des GBA und des OLG Stuttgart würden belegen, „dass der Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle von Entscheidungen nach § 153 f
StPO rechtlich wie tatsächlich erhebliche Bedeutung zukommt, um dem Legalitätsprinzip gegenüber
einer politischen Einflussnahme über die weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften im Völkerstrafrecht zur Durchsetzung zu verhelfen“.
An diesen Gedanken knüpfen auch die Ausführungen von Keller an.151 Er problematisiert die Welt149
Michael E. Kurth: Zum Verfolgungsermessen des Generalbundesanwaltes nach § 153 f StPO. In
ZIS 2006, S. 81.
150
Tobias Singelnstein/Peer Stolle: Völkerstrafrecht und Legalitätsprinzip – Klageerzwingungsverfahren bei Opportunitätseinstellungen und Auslegung des § 153 f StPO. In: ZIS 2006, S. 118.
151
Rainer Keller: Grenzen, Unabhängigkeit und Subsidiarität der Weltrechtspflege. In: GA 2006, S.
25.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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rechtspflege gegen Abwesende grundsätzlich. Diese staatliche Weltrechtspflege sei darauf gerichtet, als Treuhändler der Menschheit Delikte zu ahnden, die die Menschheit als Ganzes betreffen.
Allerdings müsse sie bei Nichtvorliegen eines Inlandsbezuges „freigehalten von nahe liegender willkürlicher, politischer und wirtschaftlicher Selektion seitens der Staaten“ werden. Daher, so seine
Schlussfolgerung, sollten die die Weltrechtslehre betreibenden Amtsträger „vollständig Unabhängigkeit von Weisungen und Kontrolle seitens der jeweiligen staatlichen Exekutive erhalten“. Es bestünde zwar die Gefahr, dass zwischenstaatliche politische Beziehungen gestört werden. Wenn
jedoch die genannte Unabhängigkeit nicht gewährleistet sei, ist nach seiner Auffassung die Weltrechtspflege ohne Inhaltsbezug unzulässig. Das deutsche Recht entspreche diesem Unabhängigkeitsgebot nicht. Zwar sei die Weltrechtspflege subsidiär gegenüber der Rechtspflege territorial und
personal legitimierter Staaten. Es läge jedoch nahe, „dass der Vorrang dieser Staaten hinsichtlich
der Aufnahme von Ermittlungen ein Ermessenspielraum gewährt, der jedoch nach völkerrechtlichen
Grundsätzen begrenzt und durch Nachfrage zu kontrollieren“ sei.
Wenn auch die Begründungen der Rechtswissenschaftler im einzelnen unterschiedlich ausgefallen
sein mögen, sind sich diese jedoch in der Ablehnung der Entscheidungen des GBA und des OLG
Stuttgart einig.
Bereits kurz nach der Anzeigenerstattung in Deutschland übten die Vereinigten Staaten von Amerika starken Druck aus, um die sofortige Einstellung des Verfahrens zu erzwingen. Das Pentagon
warnte deutsche Stellen davor, dass wenn derart „frivolous lawsuits“152 (unbegründete oder unsinnige Gerichtsverfahren) ernst genommen würden, dass deutschamerikanische Verhältnis stark
belastet werden würde.
Darüber hinaus wurde die Teilnahme des damaligen US-Verteidigungsministers und Beschuldigten
D.R. auf der jährlich im Februar stattfindenden Münchener Sicherheitskonferenz zunächst abgesagt.153 Genau zwei Tage vor Konferenzbeginn, am 10.02.2005, stellte der Generalbundesanwalt
schließlich das Strafverfahren ein und das Pentagon gab kurz darauf bekannt, dass der Beschuldigte D.R. die Konferenz besuchen würde, was dann auch geschah.154
In der Beschwerde wurde im einzelnen auf die mehrfachen Verstöße des Generalbundesanwalts
gegen die „guide lines on the role of prosecutors“, eingegangen, die vom Achten Kongress der Vereinten Nationen zur Prävention von Verbrechen in der Behandlung von Beschuldigten in Havanna,
Kuba, vom 27.08. bis 07.09.1990 stattfand.155
152
So äußerte sich der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums Lawrence DiRita: „Pentagon
concerned about legal complaint in germany against D.R.“, Agence France Press vom 13.Dezember
2004; siehe auch „Lawsuit against D.R. thratens US-German-Relations“, Deutsche Welle vom 14.
Dezember 2004; „D.R. mulls german visit amid concern over possible war crimes prosecution”,
Agence France Press vom 2. Februar 2005.
153
„D.R. to Scrap german visit if prope launched”, DPA-Meldung vom 13. Dezember 2004; „D.R. to
bypass munic conference”, Deutsche Welle vom 21. Januar 2005; „D.R. cancels trip after exsations”, Al Jazeera vom 21.Januar 2005; „D.R. mulls german visit amid concern possible war crimes
prosecution”, Agence France Press vom 02.Februar 2005; „D.R. considers war crimes prosecution
risk”, ABC News vom 2. Februar 2005; „D.R. says he may skip german visit”, The associated press
in NY Times vom 3. Februar 2005; „US-Department of Defense, Office of the assistant secretary of
Defense (Public Affairs)” News transcript: Presenter: Secretary of Defense D.R., 03.02.2005, unter
http://www.defenselink.mil\transcript\2005\tr20050203-secdef208.html.
154
Siehe den Artikel von Eric Schmitt in der New York Times vom 11. Februar 2005 mit dem Titel
„Nato and US plaint aid to strengthen Iraqi force; Anti-D.R. Suit is dropped”: „Hours after german
prosecutors announced they would not investigate war crimes allegations against defense secretary
D.R., an aide said he would probably pretend a prestigious European security conference in Munich
on saturday. „It appears likely that secretary D.R. will attend the conference in Munich”, said his
spokeman, Lawrence diRita, in a statement issued while travelling with Mr. D.R. in Nice, France. He
said “Scheduling issues” were being worked out.”
155
Siehe auch den Artikel: „International principles on the indepence and accountability of judges,
lawyers and prosecutors”. In: International Commission of jurists, Genf, Schweiz, 2004, S. 75.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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3.2.4. Inlandsbezug
Eine der Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 153 f Abs. 1
StPO ist bei den Beschuldigten R.S., W.W. und T.P. erfüllt. Denn diese drei Beschuldigten halten
sich nach hier zuletzt vorliegenden Informationen regelmäßig aus dienstlichen Gründen im Bundesgebiet auf, da sie mit ihren Einheiten hier stationiert sind. Aber auch bei einem anderen Teil der
Beschuldigten ist, sowohl wenn sie in der Regierungsspitze tätig sind, ein Inlandsaufenthalt durchaus zu erwarten. Insoweit genügt eine Durchreise.156 Zuletzt hielt sich der Beschuldigte A.G. im
Oktober 2006 in Deutschland auf. Der Beschuldigte J.Y. war während des Sommersemesters 2006
und während des Wintersemesters 2005/2006 als Gastprofessor an der Universität von Trento in
Italien tätig. Es bestand mithin bei ihm ebenfalls eine Zugriffsmöglichkeit deutscher Ermittlungsbehörden, da bei Völkerstraftaten eine vereinfachte Auslieferung im Wege des Europäischen Haftbefehlsverfahrens in Betracht gekommen wäre. Bei den weiteren Beschuldigten sind ebenfalls regelmäßige Deutschland-Aufenthalte wahrscheinlich. Denn nahezu alle Militärs, die den Irak besuchen
oder dort eingesetzt werden, halten sich über kürzere oder längere Zeit im Bundesgebiet auf.
Im übrigen ist auch bei ehemaligen Verteidigungsminister D.R. ein Deutschlandaufenthalt in Zukunft zu erwarten. Den alle hochrangigen ehemaligen Außen- und Sicherheitspolitiker der USA
halten sich regelmäßig in Deutschland zum Besuch von Konferenzen und Tagungen auf. Darüber
hinaus ist D.R. auch als Geschäftsmann tätig und es ist zu erwarten, dass er in dieser Eigenschaft
Reisen nach Deutschland bzw. in andere europäische Länder unternimmt, die dem Regime des
europäischen Haftbefehlsverfahrens unterliegen. Als Beleg dafür, wer in den letzten Jahren in
Deutschland war, mag ein Blick auf die Teilnehmerlisten der Münchener Sicherheitskonferenz
2006157 dienen. Dort waren neben dem damals amtierenden Verteidigungsminister und Beschuldigten D.R., der ehemalige Verteidigungsminister W.B., der ehemalige General J.R., der ehemalige
Botschafter J.B., der ehemalige Regierungsfunktionär R.P., der ehemalige Botschafter R.H., der
ehemalige Botschafter R.H., der ehemalige Botschafter D.C. und der ehemalige Verteidigungsminister W.C. anwesend.
Darüber hinaus muss angemerkt werden, dass der ehemalige Verteidigungsminister F.C. Direktor
der Carlyle Group, einer Investmentfirma mit Sitz in Frankfurt, ist. Der Beschuldigte D.R. ist mit
der Carlyle Group ebenfalls geschäftlich verbunden. Es ist daher zu erwarten, dass er Treffen dieser
Gruppe in Frankfurt besucht. Weiterhin ist D.R. Aufsichtsrat der Ingenieursfirma ABB, die wiederum
in der Schweiz ansässig ist.
Im übrigen ist Deutschland Ort eines Teiles der Taten im Sinne von § 9 StGB. Denn die in den
amerikanischen Stützpunkten in Deutschland stationierten Soldaten wurden mit ihren Einheiten
größtenteils in Deutschland für ihren Einsatz im Irak ausgebildet und vorbereitet. Unter ihnen waren auch bekanntlich zahlreiche Einheiten, die im Irak bei Gefangenenbetreuung bzw. bei Vernehmungen eingesetzt wurden.158 Schon die dargelegte mangelhafte Ausbildung und Vorbereitungen in
diesen Einheiten, insbesondere die ungenügende Vorbereitung auf Gefangenenbetreuung und Vernehmungen entsprechend den Standards der Genfer Konventionen, stellen zumindest im Hinblick
auf die in Deutschland stationierten Beschuldigten R.S., T.P. und W.W. einen Teil der Tathandlungen dar. Es spricht vieles dafür, dass auch die Gültigkeit der Genfer Konventionen bereits im Rahmen der Ausbildung in Deutschland mit den bekannten fatalen Folgen in Frage gestellt wurde.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die operative Truppenführung von Einheiten, die im
Irak eingesetzt werden, von der NATO an die Centcom übergeht. Denn die personelle Truppenführung erfolgt weiterhin von Deutschland aus.
Insofern ist Deutschland auch als Tatort anzusehen. Denn Tatort ist jeder Ort, an dem eine auf die
Verhinderung des Taterfolges gerichtete Handlung unternommen wurde oder auf die Verhinderung
des Taterfolges gerichtete Handlung hätte erfolgen können.159
Bereits aus diesem Grunde müsste die Bundesanwaltschaft nach dem Legalitätsprinzip weitere
(Vor-) Ermittlungen anstellen. Für eine Anwendung des § 153 f StPO bestand überhaupt kein
156
Vgl. Werle/Jeßberger, a.a.O.
Eine vollständige Liste der Teilnehmer der Münchener Sicherheitskonferenzen seit 1999 findet
sich bei: http://www.securityconference.de
158
So das 205. Militärnachrichtendienst-Brigade des V. Corps der US-Armee und das 165. und 302.
Militärnachrichtendienstbataillon.
159
Vgl. statt vieler: Schönke-Schröder-Eser, StGB, § 9, R.4, 5.
157
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Universität Hamburg
Raum.
Dazu kommen weitere Gesichtspunkte, die für einen Inlandbezug im strafprozessualen Sinne sprechen. Diese Aspekte müssen im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen Verfolgungsermessens berücksichtigt werden.
Die Bundesrepublik Deutschland ist durch den Einsatz von Bundeswehreinheiten mit 1250 Soldaten
bei der „International Security Assistance Forces“ (ISAF) u.a. in Afghanistan beteiligt. Deutschland
war zwar nicht direkt durch Einsatz eigener Streikräfte an dem Irak- Krieg beteiligt. Aber die USMilitärflughäfen in Deutschland sind die Drehscheibe für den Flugverkehr zwischen den USA und
dem Nahen Osten. Die militärische Infrastruktur der USA in Deutschland erfüllt wichtige Funktionen
bei der Kriegsführung im Nahen Osten. Beispielhaft sei das Sanitärwesen genannt. Deutschland hat
den USA die Überflugsrechte ebenso wie die Nutzung der gesamten auf deutschem Boden befindlichen militärischen Infrastruktur gestattet. Dies betrifft sowohl die Lagerung und den Weitertransport von Kriegstransport als auch den Transport von Truppen und den Zwischenaufenthalt in
Deutschland. Die US-Kommando-Einrichtungen wie US-EUCOM in Stuttgart-Vaihingen sind wie alle
Kommunikations- und Infrastruktureinrichtungen in die Führung des Irakkrieges einbezogen gewesen und sind es jetzt noch bei der Bekämpfung Aufständischer im Irak. Vor allem aber sind täglich
etwa 2600 Bundeswehrsoldaten im Einsatz, um über 50 Liegenschaften der US-Armee zu bewachen. Dementsprechend werden Reserven an USSoldaten freigesetzt, um direkt in das Kriegsgeschehen eingreifen zu können. Ein Ausbildungskommando der Bundeswehr befindet sich derzeit in
den Vereinigten Arabischen Emiraten, um 140 irakische Militärs zu Kraftfahrern und Mechanikern
auszubilden. Jenseits der unmittelbaren Beteiligung ist Deutschland demnach auf vielfältige Weise
in das Kriegsgeschehen auf Seiten der Koalitionsstreitkräfte unter Führung der USA aktiv. Daraus
folgt auch die Verantwortung, in dem andauernden Kriegsgeschehen auf die Einhaltung des humanitären Kriegsvölkerrechtes zu achten – auch nach Maßgabe deutschen materiellen und Strafprozessrechtes.
3.2.5. Würdigung des fehlenden Willens zur Strafverfolgung in den USA
Die Bundesanwaltschaft nahm im ersten Verfahren nicht nur – wie dargelegt – fehlerhaft an, dass
ihr bereits dann eine Einstellungsmöglichkeit eröffnet wird, wenn die Voraussetzungen des § 153 f
Abs. 2 Nr. 4 StPO vorliegen, also eine vorrangige Strafverfolgung vor einem Internationalen Strafgerichtshof oder durch einen Staat, dessen Angehöriger der Tat verdächtigt ist, erfolgt. Sie nahm
auch eine weitere – zwar originelle, gleichwohl aber unzulässige – Auslegung der Vorschrift vor.
Denn eine vorrangige Strafverfolgung soll nach Auffassung der Bundesanwaltschaft bereits dann
vorliegen, wenn in Bezug auf das Gesamtgeschehen Ermittlungen gegen einzelne Tatverdächtige
oder aufgrund spezieller Tatbeiträge aufgenommen wurden. Dabei nimmt der angegriffene Bescheid Bezug auf den Wortlaut des Art. 14 IStGH-Statut, der von einer „Situation, … in der es den
Anschein hat, dass ein oder mehrere der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterliegende Verbrechen begangen wurden“ spricht. Die Bezugnahme auf Art. 14 des IStGH-Statut ist bereits deswegen irrelevant, weil dieser nur besagt, in welchen Bereichen eine Zuständigkeit des IStGH besteht.
Die Vorschrift besagt nichts darüber, in welchen Fällen sie nicht besteht. Genau hierum geht es
aber im vorliegenden Fall. Die Bundesanwaltschaft interpretiert Art. 14 IStGH-Statut so, dass eine
deutsche Strafverfolgung bereits dann ausscheidet, wenn in der Heimat des oder der Täter zumindest wegen einer Tathandlung aus dem Gesamtkomplex oder gegen eine der beteiligten Personen
ermittelt wird. Die Bundesanwaltschaft ist der Auffassung, dass die Reihenfolge und die angewandten Mittel dem Herkunftsstaat aufgrund eines von ihr konstatierten Subsidiaritätsgrundsatzes exklusiv überlassen seien.
Diese Argumentation geht aus verschiedenen Gründen fehl. Es wird eine im geltenden Völkerrecht
keineswegs in dieser Form bestehende Subsidiarität der Ausübung von Strafgewalt auf Grundlage
des Weltrechtsprinzips gegenüber derjenigen nach dem Territorialitätsprinzip und dem aktiven Personalitätsprinzip angenommen. Damit setzt sich die Bundesanwaltschaft in Widerspruch zur bereits
restriktiven und daher kritisierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 6 Nr. 1 StGB alter
Fassung. Bekanntlich hatten einige Senate des Bundesgerichtshofes in einer deutlich vor dem Gesetzgebungsprozess des Völkerstrafgesetzbuches liegenden Rechtsprechung neben der Erfüllung
der Voraussetzungen des § 6 Nr. 1 StGB a. F. „einen zusätzlichen legitimierenden Anknüpfungspunkt“ verlangt.160 Hierzu sollte aber nicht etwa das Vorliegen eines der klassischen Anknüpfungspunkte des Strafanwendungsrechtes wie z. B. die deutsche Staatsbürgerschaft eines Täters oder
160
BGHSt 45,64; BGH NStZ 1994, 232; BGH NStZ 1999, 236 ff.; BGH StV 1999, 240.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Opfers erforderlich sein. Es sollte vielmehr bereits genügen, dass sich einer der Beschuldigten über
einen längeren Zeitraum in Deutschland aufgehalten hat oder sogar, dass sich die Bundesrepublik
Deutschland in dem betreffenden Konflikt, in dem es zu Völkermordstraftaten gekommen ist, militärisch oder humanitär engagiert hat.
Dazu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 12.12.2000161 einen
legitimen Anknüpfungspunkt offenbar bereits im Jurisdiktionsgrundsatz des Weltrechtsprinzips
selbst gesehen hat: „Für das Strafrecht bildet neben Territorialitäts-, Schutz-, aktivem und passivem Personalitäts- sowie dem Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege das Universalitätsoder Weltrechtsprinzip einen solchen sinnvollen Anknüpfungspunkt (vgl. BVerfGE 92, 277, 320 f.;
allgemein vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum a.a.O., 321 f.; Oehler, Internationales Strafrecht, 2. Aufl.,
1983, 23 ff.; Werle, Menschenrechtsschutz durch Völkerstrafrecht, ZStW Bd. 109 (1997), 808, 813
ff.)." An fortgerückter Stelle lässt das BVerfG diese Frage dann indes wieder offen: „Die Frage, ob,
wie es die angegriffenen Urteile annehmen, ein weiterer Anknüpfungspunkt im Hinblick auf das
Interventionsverbot zu verlangen ist, bedarf keiner Entscheidung (vgl. krit. Ambos, Anmerkung zu
BGH – 3 StR 215/98 –, NStZ 1999, 404, 406). Da eine Überdehnung der völkerrechtlichen Kompetenzschranken durch den Bundesgerichtshof jedenfalls keine Beschwerde des Beschwerdeführers
begründen kann, ist die Frage hier offen zu lassen."162
Subsidiaritätserwägungen finden sich in dieser ausdrücklich den völkerrechtlichen Rahmen des
Weltrechtsprinzips und seiner Anwendung auslotenden Rechtsprechung sowohl des Bundesgerichtshofes als auch des Bundesverfassungsgerichtes allerdings keine. Die Bundesanwaltschaft will
also gegen die jüngere Rechtsprechung der beiden obersten deutschen Gerichte und gegen den
erklärten Willen des Gesetzesgebers bei der Anwendung des Völkerstrafgesetzbuches den extraterritorialen Anwendungsbereich des Gesetzes beschränken.
Zudem schafft die Bundesanwaltschaft einen neuen und durch nichts begründbaren Tatbegriff,
wenn sie ausführt, dass es ausreichend sei, „wenn im bevorrechtigten Staat zu dem Gesamtkomplex Ermittlungen geführt werden“.
Auch insoweit setzt sich die Bundesanwaltschaft in einem Gegensatz zu den vorzitierten Entscheidungen zu dem Komplex des Völkermord von bosnischen Serben. Denn wenn es ein Gebot des
Völkerrechtes wäre, dass der Subsidiaritätsgedanke immer dann durchgreifen würde, wenn eine
vorrangige Gerichtsbarkeit wegen der Verstrickung einzelner Personen in ein größeres Tatgeschehen (Abu Ghraib, Sarajevo etc.) Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, hätte keines der in Deutschland wegen Völkerrechtsverbrechen in Jugoslawien geführten Strafverfahren tatsächlich geführt
werden dürfen. Denn erstens ermittelte auch die vorrangige Gerichtsbarkeit des Internationalen
Jugoslawien-Tribunals in allen Komplexen, wenn auch möglicherweise gegen andere Beschuldigte.
Zum anderen fanden selbst in Serbien, in Bosnien und Kroatien einzelne Strafverfahren statt. Mit
der im hiesigen Fall entwickelten Begründung hätten daher die knapp 100 Ermittlungsverfahren im
Falle des Völkermordes in Bosnien durch die Bundesanwaltschaft gar nicht geführt werden dürfen.
Die Ratio des VStGB ist eindeutig eine andere. Ermittlungen müssen sich auf die selbe Tat beziehen
und gegen den oder die selben Täter richten wie in dem anderen Verfahren.163 Völkerrechtsverbrechen sind vorwiegend Staatsverbrechen.164 In den meisten Fällen sind zumindest auch Repräsentanten der Staatsgewalt an den Straftaten beteiligt. Diesen soll es unmöglich gemacht werden, sich
durch ihren Einfluss auf die nationale Gerichtsbarkeit einer möglichen Strafverfolgung im Ausland
oder vor internationalen Gerichtshöfen zu entziehen. Dies wäre aber dann der Fall, wenn es ausreichend wäre, dass eine Strafverfolgung gegen „Handlanger“ oder „Ausführende“ stattfindet, um
etwaige staatliche Vorgesetzte vor der Strafverfolgung durch ein internationales oder ausländisches
Gericht zu schützen. Darüber hinaus sind die Strafverfolgungsorgane des Staates, der an den Verbrechen beteiligt ist, generell oft ungeeignet, die Verfolgung dieser Delikte alleine zu übernehmen,
da es auf eine Verfolgung der Täter durch den Täter hinaus laufen würde.165 Auf genau dieses Ergebnis läuft aber die Argumentation der Bundesanwaltschaft hinaus. Sie ist mit der Ratio des Völkerstrafrechts offenkundig nicht zu vereinbaren.
161
BVerfG, 2 BvR 1290/99, Absatz-Nr. 1-49, 38, unter http://www.bverfg.de
BVerfG, a.a.O., Rdn. 44.
163
Vgl. Meißner: Die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof nach dem Römischen Statut. 2003, S. 76.
164
Vgl. Werle: Völkerstrafrecht, Rn 184.
165
Vgl. Lagodny: Internationaler Strafgerichtshof. In: ZStW 113 (2001), S. 800, 804.
162
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Dieser Befund wird unterstützt durch einen Blick auf das Rom-Statut. Art. 17 des IStGHStatut regelt Kompetenzkonflikte und besagt, dass der Gerichtshof entscheiden kann, dass eine Sache nicht
zulässig ist, wenn „in der Sache von einem Staat, der Gerichtsbarkeit darüber hat, Ermittlungen
oder eine Strafverfolgung durchgeführt werden, es sei denn, der Staat ist nicht willens oder nicht in
der Lage, die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen“. Hier wird nicht behauptet, dass die Vereinigten Staaten von Amerika nicht in der Lage seien, Ermittlungen gegen alle
Tatbeteiligte im Komplex der Straftaten von Abu Ghraib durchzuführen. Im Gegenteil, sie sind es.
Die US-Justiz ist jedoch nicht willens, umfassende Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen
durchzuführen. Dies ist jedenfalls im November 2006 hinreichend belegbar – siehe die obige Darstellung – und nunmehr durch die drei im Ergebnis eindeutigen Sachverständigengutachten der
Rechtswissenschaftler Prof. Jordan Paust, Prof. Benjamin D. und Prof. Scott Horton auch belegt
worden.
Nach Art. 17 IStGH-Statut kann subsidiäre Jurisdiktion nur dann nicht ausgeübt werden, wenn
überprüft wurde, dass ein vorrangig („genuinely“) zuständiger Staat ernsthaft ermitteln oder verfolgen wird. Diese Beschränkung reflektiert die Besorgnis der Unterzeichnerstaaten des RomStatutes, dass der Gedanke des Internationalen Strafgerichtshofs unterminiert würde durch
Scheinermittlungen oder nicht-vertrauenswürdige Versprechen von Staaten. Die Delegierten, die
das Rom-Statut verabschiedet haben, stimmten darin überein, dass es dem Gerichtshof nach Art.
17 IStGH-Statut erlaubt sein muss, im Rahmen der Zulässigkeit eines Falles festzustellen, ob ein
Staat tatsächlich ernsthaft gewillt ist, zu ermitteln und diese ernsthaften Ermittlungen belegt sein
müssen.166 Die vorliegend angegriffene Einstellungsentscheidung basiert aber demgegenüber auf
der generellen Unterstellung, dass es „keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass die Behörden und Gerichte der Vereinigten Staaten wegen der in der Strafanzeige geschilderten Übergriffe von strafrechtlichen Maßnahmen Abstand genommen hätten oder Abstand nehmen würden“.
Es kann aber nicht darum gehen, dass wegen einiger der in der Strafanzeige geschilderten Verbrechen Strafverfolgung in den Vereinigten Staaten von Amerika stattfindet. Diese Strafverfolgungsmaßnahmen wurden in der Strafanzeige ausdrücklich erwähnt. Entscheidend ist vielmehr, gegen
welche Individuen ermittelt wird bzw. gegen welche Individuen Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet werden. Gegen keinen einzigen der Beschuldigten ist auch nur die Absicht einer Aufnahme
von Ermittlungen oder gar Strafverfolgungsmaßnahmen feststellbar. Wie bereits an mehreren Stellen ausgeführt wurde, beschränken sich die laufenden Ermittlungen und Strafverfolgungen in den
USA auf einen kleinen Kreis von niedrigrangigen Soldaten, die unmittelbar Folterungen vorgenommen haben. Diese Strafverfolgungsmaßnahmen sind in keiner Weise relevant für die nach Art. 17
IStGH-Statut vorzunehmende Prüfung des Willens der USA, ernsthafte Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen einzuleiten. Diese müssten sich ausdrücklich auf die genannten Beschuldigten
beziehen.
Dabei ist nicht zuletzt zu berücksichtigen, dass die angezeigten Straftaten sich stark von den in den
USA strafverfolgten Taten unterscheiden. Denn Kriegsverbrechen beinhalten ein weites Spektrum
von aktiven Tätern, von Tätern durch Unterlassen, von unmittelbar eigenhändig handelenden Personen bis zu mittelbaren Tätern an der Spitze der Befehlskette. Dies betrifft insbesondere die Täter, die nach den Grundsätzen der Vorgesetztenverantwortlichkeit strafbar sind. Nach der Logik der
Bundesanwaltschaft bedürfte es dieser nach Völkergewohnheitsrecht und nach geltendem Völkerstrafrecht zweifelsfrei anerkannten rechtlichten Figur nicht. Jeder Vorgesetzte hätte es in der Hand,
durch die Einleitung von Ermittlungen gegen eigenhändig handelnde niedrigrangige Soldaten Ermittlungen gegen sich selbst auszuschließen. Dies würde den Gedanken von universeller Jurisdiktion, die auch dem IStGH-Statut zugrunde liegt, konterkarieren. Schon aus diesem Grunde sieht
Abs. 2 von Art. 17 IStGH-Statuts eine Reihe von weiteren Voraussetzungen zur Feststellung der
Ernsthaftigkeit des Willens zur Strafverfolgung eines Staates vor. Im Einzelnen lautet die Vorschrift:
„Zur Feststellung des mangelnden Willens in einem bestimmten Fall prüft der Gerichtshof unter
Berücksichtigung der völkerrechtlich anerkannten Grundsätze eines ordnungsgemäßen Verfahrens,
ob ggf. eine oder mehrere der folgenden Voraussetzungen vorliegen:
166
Vgl. Michael A. Newton: Comparative Complementarity: Domestic Jurisdiction Consistent with
the Rome Statute of the International Criminal Court. In: Military Law Review. March, 2001, S. 167
Mil. L. Rev. 20, S. 53ff.
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a) Das Verfahren wurde oder wird geführt oder die staatliche Entscheidung wurde getroffen,
um die betreffende Person vor strafrechtlicher Verantwortlichkeit für die in Art. 5 bezeichneten, der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen zu schützen;
b) In dem Verfahren gab es eine nicht gerechtfertigte Verzögerung, die unter den gegebenen
Umständen mit der Absicht unvereinbar ist, die betreffende Person vor Gericht zu stellen;
c)
Das Verfahren war oder ist nicht unabhängig oder unparteiisch oder wurde und wird in einer Weise geführt, die unter den gegebenen Umständen mit der Absicht unvereinbar ist,
die betreffende Person vor Gericht zu stellen.“
Diese sehr allgemeinen Kriterien stellen die Basis für eine Überprüfung der Ernsthaftigkeit des Willens eines Staates zur Strafverfolgung dar. Die Bundesanwaltschaft hat eine solche Überprüfung
nicht einmal im Ansatz unternommen. Insbesondere unterlässt es die Bundesanwaltschaft vollkommen, auf die eingereichten Unterlagen und vor allem auf das Gutachten von Prof. Scott Horton
einzugehen, die das genaue Gegenteil der Feststellungen der Bundesanwaltschaft belegen. Dabei
kommt es ausdrücklich nicht darauf an, wie ein Kommentator zum Rom-Statut ausdrücklich feststellt, dass “[a] state could have an internationally respected judicial system, but if it failed to investigate or prosecute in a genuine manner a specific case, the Court may determine that the case
is admissible.”167
Es genügt also nicht, dass die Bundesanwaltschaft die nicht weiter dargelegte Auffassung vertritt,
dass die USA ungeachtet der Kritik an der Behandlung von Kriegsgefangenen seit dem 11.09.2001
ein angesehener Rechtsstaat sei. Entscheidend sind die Feststellungen zur Ernsthaftigkeit der Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen bezüglich der konkreten verfahrensgegenständlichen
Misshandlungen und Folter an Strafgefangenen. Dazu finden sich ausführliche und überzeugende
Ausführungen in den Gutachten von Prof. Scott Horton, Prof. Paust und Prof. Davis. Insbesondere
dessen Zusammenfassung legt dar, dass in dem Fall der Gefangenenmisshandlungen und der Folterstraftaten in Abu Ghraib ein mangelnder Wille der US-Justiz zur Aufklärung und Strafverfolgung
im Sinne von Art. 17 IStGH-Statut erkennbar ist.
Der namhafte Experte und Hochschullehrer für Internationales Recht und Kriegsvölkerrecht an der
Columbia University of the City of New York, Prof. Scott Horton, setzt sich in dem Gutachten insbesondere mit der Frage auseinander, inwieweit gegenwärtig eine effektive Verfolgung der zur Anzeige gebrachten Taten der in dem Verfahren der Bundesanwaltschaft Beschuldigten erfolgt. Prof.
Horton bezieht sich dabei nicht nur auf öffentlich bekannte Vorgänge in den Vereinigten Staaten
von Amerika. Er hat vielmehr persönliche Ermittlungen, u. a. in der Bundesrepublik Deutschland
angestellt sowie mit zahlreichen Auskunftspersonen vor allem aus dem Bereich des Militärs gesprochen. Er analysiert die rechtliche und tatsächliche Lage im Hinblick auf die Strafverfolgung hochrangiger Beteiligter an den Vorgängen in Abu Ghraib und kommt zu dem Ergebnis, dass eine effektive Strafverfolgung in den USA gegenwärtig nicht stattfindet, vielmehr die amerikanische Bundesregierung über Mittel verfügt und diese aktiv einsetzt, um eine Strafverfolgung zu verhindern.
Im übrigen hat sich die Bundesanwaltschaft auch in verfahrensmäßiger Hinsicht nicht an die Regeln
des IStGH-Statut gehalten, obwohl sie sich oberflächlich auf dieses stützt. Denn die so genannte
Preparatory Commission für das Rom-Statut hat folgende Regel 51 bezüglich des Art. 17 beschlossen:
„In considering the matters referred to in article 17, paragraph 2, and in the context of the circumstances of the case, the Court may consider, inter alia, information that the State referred to in
article 17, paragraph 1, may choose to bring to the attention of the Court showing that its courts
meet internationally recognized norms and standards for the independent and impartial prosecution
of similar conduct, or that the State has confirmed in writing to the Prosecutor that the case is
being investigated or prosecuted.”
Diese Regel besagt also, dass der Internationale Gerichtshof nicht freihändig darüber entscheiden
kann, in welcher Weise Ermittlungen wegen einer Tat von vorrangigen Jurisdiktion durchgeführt
werden. Vielmehr soll der strafverfolgende Staat die Ernsthaftigkeit seines Willens zu Ermittlungen
und Strafverfolgungsmaßnahmen selber demonstrieren. Faktisch hat die Bundesanwaltschaft keinerlei Schritte unternommen, auch nur ansatzweise eine Auskunft von Strafverfolgungsbehörden
der Vereinigten Staaten von Amerika darüber zu erhalten, in welcher Weise Ermittlungen gegen
167
John T. Holmes: The Principle of Complementarity, in The International Criminal Court, The Making Of The Rome Statute Issuses, Negotiations, Results. Roy S. Lee ed., 1999, S. 335.
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alle Beteiligten an den Misshandlungen und Foltermaßnahmen von Abu Ghraib durchgeführt werden. Im Gegenteil impliziert die angegriffene Entscheidung, dass eine Anfrage an US-Stellen entbehrlich sei.
Es wird daher dieses Mal beantragt, falls die Bundesanwaltschaft dies überhaupt für notwendig
erachten sollte, im förmlichen Rechtshilfewege
bei den Bundesjustizbehörden der Vereinigten Staaten von Amerika Auskunft darüber
einzuholen, ob und ggf. in welchem Umfange gegen die in der Strafanzeige vom
14.11.2006 benannten Beschuldigten wegen der anzeigegegenständlichen Vorgänge
strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet wurden
sowie
Auskunft über den Sachstand der Ermittlungen einzuholen.
Eine generelle Erklärung dahingehend, dass Ermittlungen unternommen wurden, ohne auf die angezeigten Personen und deren Straftaten, insbesondere nach den Prinzipien der Vorgesetztenverantwortlichkeit einzugehen, ist mit Art. 17 IStGH-Statut sowie der Regel 51 nicht vereinbar. Erforderlich ist vielmehr eine ausdrückliche Erklärung der US-Behörden bezüglich aller Beschuldigten,
dass bezüglich jedes einzelnen Benannten ernsthafte Ermittlungen wegen der Beteiligung an den
Folterstraftaten in Abu Ghraib entweder bereits stattfinden oder aber unmittelbar bevorstehen.
3.3 Ermittlungsansätze für deutsche Strafverfolgungsbehörden
Deutsche Strafverfolgungsbehörden sind nach allgemeinem Völkerrecht, nach deutschem Verfassungsrecht, Art. 25 GG, und nach Strafprozessrecht (§ 152 StPO) angehalten, die hier angezeigten
Straftaten zu verfolgen, da ein Teil der Beschuldigten sich in Deutschland aufhält oder ein Aufenthalt zu erwarten ist, und im übrigen ein Zustand fast vollständiger Straflosigkeit in den USA
herrscht. Rein vorsorglich sei jedoch ausgeführt, dass darüber hinaus die Gesetzesbegründung zum
Völkerstrafgesetzbuch klarstellt, dass selbst wenn „die Tat keinen Inlandsbezug auf [weist, WK], …,
aber noch keine vorrangige Juristriktion mit Ermittlungen begonnen [hat, WK], so „verlangt das
Legalitätsprinzip im Zusammenhang mit dem Weltrechtsgrundsatz, dass die deutschen
Strafverfolgungsbehörden jedenfalls die ihnen möglichen Ermittlungsanstrengungen
unternehmen, um eine spätere Strafverfolgung (sei es in Deutschland oder im Ausland)
vorzubereiten“.
Der Generalbundesanwalt stellte in vergangenen Verfahren in Einstellungsbescheiden mehrfach
darauf ab, dass zur Aufklärung der Taten Ermittlungen vor Ort nötig seien. Hierfür seien deutsche
Ermittlungsbehörden auf die Rechtshilfe der Regierungen angewiesen, in denen die Straftaten verübt worden seien. Deren Gewährung sei aber unrealistisch, deswegen seien durch Ermittlungen
deutscher Strafverfolgungsbehörden keine nennenswerte Aufklärungserfolge zu erzielen.
Zwar ist es richtig, dass ein Absehen von der Verfolgung in den Fällen nahe liegen kann, in denen
Ermittlungen deutscher Behörden keinen nennenswerten Aufklärungserfolg versprechen. Allerdings
handelt es sich dabei nicht – wie es die vormaligen Bescheide des Generalbundesanwalts nahe
legen – um ein Tatbestandsmerkmal, sondern allenfalls um ein Kriterium, dass bei der Ausübung
des pflichtgemäßen Ermessens eine Rolle spielen kann. Ein mangelnder Aufklärungserfolg ist im
Prinzip nur dann zu erwarten, wenn es überhaupt keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden Beweise erheben oder Beweismittel sichern können. Dieses Kriterium kann daher nur in eng begrenzten Ausnahmefällen ausschlaggebend sein. Würde man tatsächlich das Kriterium des zu erwartenden Aufklärungserfolges als Maßstab für die Beantwortung
der Frage heranziehen, ob Ermittlungen eingeleitet werden oder nicht, dann würde man den Sinn
und Zweck eines jeden Ermittlungsverfahrens umkehren. Denn ein Aufklärungserfolg lässt sich
regelmäßig nicht am Anfang, sondern erst nach Abschluss der Ermittlungen feststellen.
Rein vorsorglich seien Ausführungen zu dem Argument gemacht, dass die Aufnahme von Ermittlungen abgelehnt werden müsse, weil ein Ermittlungsverfahren deshalb nicht zum Erfolg führen
würde, da die beschuldigte Person nicht in den Geltungsbereich des VStGB einreisen würde. Mit
dieser Argumentation würde das VStGB wie das Prinzip der Universellen Jurisdiktion insgesamt ad
absurdum geführt.
Der Generalbundesanwalt ließ bisweilen bei seinen Einstellungsentscheidungen wie beispielsweise
in dem Fall des früheren usbekischen Innenministers Almatov, der zwischenzeitlich sogar in
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Deutschland weilte, den Eindruck aufkommen, als wenn generell bei nicht inländischem Aufenthalt
von Beschuldigten kein Ermittlungsverfahren eingeleitet würde.168 Hierzu ist auszuführen, das sich
deutsche Strafverfolger in der Praxis nicht davon abschrecken lassen, Ermittlungsverfahren auch
gegen solche Beschuldigte zu ergreifen, die sich nicht im Inland aufhalten, zumal wenn es sich
beispielsweise um Vorwürfe des Terrorismus oder des Btm-Handels handelt. Denn in jenen Verfahren erwägen deutsche Strafverfolger regelmäßig die Möglichkeit, internationale Haftbefehle bzw.
europäische Haftbefehle gegen die dortigen Beschuldigten zu erwirken. Deutschland ist auf vielfältige Weise im internationalen Rechtshilfe- und Auslieferungsverkehr vernetzt, dabei ist in erster
Linie das europäische Haftbefehlsverfahren zu nennen, dass eine vereinfachte Auslieferung zwischen den Staaten der europäischen Union erlaubt. Kriegsverbrechen zählen sowohl nach dem
europäischen Rahmenabkommen über den europäischen Haftbefehl als auch nach dem durch das
Bundesverfassungsgericht aufgehobenen europäischen Haftbefehlgesetz und nach dem neuen Gesetz über den europäischen Haftbefehl zu den Delikten, in denen auf das Prinzip der Gegenseitigkeit verzichtet und daher im Wege des europäischen Haftbefehls ausgeliefert werden kann. Daneben bestehen Möglichkeiten im Rahmen des europäischen Auslieferungsabkommens vom
13.12.1957.169 Diesem Abkommen haben sich eine Reihe von Staaten, die nicht der Europäischen
Union angehörigen, angeschlossen wie die Schweiz, Israel, Ukraine, Türkei.170 Zudem bestehen
zahlreiche bilaterale Rechtshilfe- und Auslieferungsvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und anderen und es wird auf vertragsloser Grundlage zwischen verschiedenen Ländern und der Bundesrepublik Deutschland Auslieferungsverkehr betrieben (z.B. Argentinien).
Mithin stehen der Bundesanwaltschaft ausreichende Möglichkeiten der Strafverfolgung auch derjenigen im hiesigen Verfahren angezeigten Personen offen, die sich nicht wie die hier stationierten
Angehörigen der US-Armee regelmäßig im Inland aufhalten, sondern auch bei denjenigen, die sich
nur zeitweise in Deutschland bzw. anderen europäischen Ländern befinden. Deswegen ist es – auch
dies sei rein vorsorglich ausgeführt – und für die Einleitung eines Ermittlungsverfahren nicht von
Bedeutung, ob Rechtshilfe von der US-amerikanischen Regierung zu erwarten ist. Das VStGB wurde für solche Konstellationen geschaffen, wie sie hier zu konstatieren sind, in denen nämlich der
primär zuständige Staat nicht Willens ist, die nach dem VStGB strafbaren Delikte zu verfolgen. Bei
dem hiesigen Fall handelt es sich um regierungsnahe bzw. staatsverstärkte Kriminalität, die von
den Justizbehörden der USA aus nahe liegenden Gründen, wie im vorgehenden Kapitel ausführlich
dargelegt wurde, nicht verfolgt und sanktioniert wird. Würde man die Kooperationsbereitschaft der
primär zuständigen Vereinigten Staaten von Amerika zur Voraussetzung eines Ermittlungsverfahrens nach dem VStGB machen, würde dies eine Aufgabe des Weltrechtsprinzips bedeuten. Die Verfolgung völkerrechtlicher Kerndelikte würde dann in das Ermessen derjenigen gestellt werden, die
man eigentlich mit dem Instrument des Völkerstrafrechts verfolgen will. Insofern kann die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach dem VStGB gegen die hier angezeigten Personen nicht davon abhängig gemacht werden, ob auch Ermittlungen vor Ort in den Vereinigten Staaten von Amerika vorgenommen werden können.
Abgesehen davon also, dass die Bundesanwaltschaft in der Vergangenheit angezeigte Straftaten
nach dem VStGB in kritikwürdiger Weise nicht verfolgt und damit dem gesetzgeberischen Willen
nicht entsprochen hat, sei vorsorglich nachfolgend darauf eingegangen, dass im Falle der vorliegenden Anzeige exklusive Ermittlungsmöglichkeiten für deutsche Strafverfolgungsbehörden bestehen. Hier ist natürlich an erster Stelle die ehemalige Brigadegeneralin J.K., die oberste Befehlshaberin für das Gefängnis von Abu Ghraib und die anderen irakischen Gefängnisse von Mai 2003 bis
Frühjahr 2004 zu nennen. Die Zeugin J.K. hat als eine der wenigen beteiligten Befehlshaber eine
geringfügige Sanktion wegen der Ereignisse von Abu Ghraib hinnehmen müssen. Sie musste sich
zwar keinem Kriegsgerichtsverfahren stellen, sie wurde auch nicht in einem formellen Disziplinarverfahren gemaßregelt. Vielmehr wurde ihr in einem nicht formellen, administrativen Verfahren der
Rang aberkannt. Gegen diese Entscheidung standen ihr keine Rechtsmittel zur Verfügung. Die
Zeugin hat sich danach in mehreren Kriegsgerichtsverfahren gegen ihre ehemaligen Untergebenen
der Militärpolizei als Zeugin zur Verfügung gestellt. Sie wurde jedoch in keinerlei der Verfahren
gehört. Die Zeugin hat sich nunmehr bereit erklärt, in Deutschland den dortigen Strafverfolgungsbehörden ihr Insider-Wissen zur Verfügung zu stellen und in diesen Verfahren auch eine Zeugen168
So ausdrücklich in dem bisher unveröffentlichten Bescheid in dem Strafverfahren gegen den
usbekischen Innenminister Almatov – 3 ARP 116/05-2 vom 16.10.2006.
169
BGBl. 1964 II , 1369, 1976 II, 1778, 1982 I, 2071, 1994 II, 299
170
Siehe die Vertragstabelle des europäischen Auslieferungsübereinkommens: Schomburg/Lagodny: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rd. 10 zum Europäischen Auslieferungsabkommen.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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aussage zu tätigen. In der Anlage wird eine am 26.10.2005 von der Zeugin in der englischen Original-Version gefertigte Zeugenaussage überreicht. Weiterhin wird als Anlage eine nicht amtliche
Übersetzung dieser Aussage mit übersandt.
Aus der Aussage geht hervor, dass die ehemalige Brigadegenerälin für die 17 Haftzentren im Irak
verantwortlich war, nachdem die von den USA geführte Koalition den Irak besetzt hatte. Das Gefängnis in Abu Ghraib war eines dieser Haftzentren, dass der 800. Militärpolizei-Brigade zugeteilt
war. Die Zeugin beschreibt die schwierigen Zustände in dem Gefängnis,dass von mehr als 40.000
Gefangenen während des fraglichen Zeitraums durchlaufen wurde. Insbesondere beschreibt sie
dann in ausführlicher Weise, wie sich die Verhältnisse in einem Teil des Gefängnisses änderten, als
sich der damalige Oberkommandierende der Lager in Guantánamo Bay, Kuba, der hier Beschuldigte General G.M. auf Befehl des Beschuldigten D.R. und des Beschuldigten S.C. vom 31.08. bis
09.09.2003 in den Irak begab.
Die Zeugin J.K. schildert die darauf folgenden Ereignisse in ihrer schriftlichen Aussage wie folgt:
„Generalmajor G.M. diente als Kommandeur für Inhaftierungsnahmen in Guantánamo Bay in Kuba.
Er wurde entsandt, um den Verhörspezialisten des Militärischen Nachrichtendienstes dabei zu helfen, ihre Methoden zu verbessern, um mehr nachrichtendienstlich verwertbare Informationen zu
sammeln. Er brachte ein „Tiger Team“ von circa 20 bis 22 Leuten mit, um alle Aspekte von Vernehmungen zu diskutieren und Anleitungen zur effektiven Verwendung von Vernehmungstechniken
zu geben, die in Guantánamo Bay angewandt wurden. Generalmajor G.M. führte im geschlossenen
Zirkel ein Unterweisung durch und ich wurde zur Teilnahme eingeladen. Er plante einen Besuch in
Abu Ghraib und in einer Reihe von anderen Gefängnissen, um zu entscheiden, welche Einrichtung
er für die Vernehmungen nutzen würde. Aus Höflichkeit wurde ich eingeladen, an der Unterweisung
teilzunehmen, weil alle sanktionierten Maßnahmen in Bezug auf Haftzentren zu diesem Zeitpunkt
meiner Kontrolle unterstanden. Generalmajor G.M. arbeitete während seines Besuchs fast ausschließlich mit den Leuten des Militärischen Nachrichtendienstes und den Verhörspezialisten des
Militärischen Nachrichtendienstes. Er hatte kein Interesse daran, Unterstützung für die Routineabläufe des Haftzentrums zu leisten. Stattdessen konzentrierte er sich auf Vernehmungsoperationen
und darauf, den Vernehmern härtere Methoden beizubringen als ein Mittel, um mehr nachrichtendienstlich verwertbare Informationen zu erhalten.
Generalmajor G.M. verbrachte fast die gesamte Zeit mit (J2) Brigadegeneralin B.F. vom Militärischen Nachrichtendienst und dem Kommandeur der Militärischen Nachrichtendienst-Brigade,
Oberst T.P.. Während seiner einführenden Unterrichtung kurz nach seiner Ankunft dort mit seinem
Team antwortete er auf die Frage eines Vernehmungsspezialisten des Militärischen Nachrichtendienstes. Der Vernehmungsspezialist des Militärischen Nachrichtendienstes war ziemlich ranghoch
und hat vermutlich 10 bis 12 Jahre Erfahrung, weil er vom Rang her ein ranghöherer, erfahrener
Militär war. Er hatte der Unterrichtung beigewohnt, zugehört und insbesondere einige von Generalmajor G.M.s Kommentaren gehört: also die Kritik an der Art und Weise, wie die Verhörspezialisten die Vernehmungen durchführten und dass sie nicht wirklich wertvolle Informationen erhalten
würden und dass er daher hier sei, um ihnen mit verschiedenen Methoden zu helfen, Methoden, die
mehr nachrichtendienstlich verwertbare Informationen bringen würden.
Der Vernehmungsspezialist stellte einfach die Frage, was er (G.M.) empfehlen würde, was sie unmittelbar tun sollten, um ihre Maßnahmen zu verbessern, weil er eigentlich der Ansicht sei, dass sie
ziemlich gut darin seien, diejenigen Leute zu identifizieren, die einen zusätzlichen Wert für den
Militärischen Nachrichtendienst hätten oder mehr.
Der Vernehmungsspezialist des Militärischen Nachrichtendienstes sagte: „Sir, wir denken, dass wir
unsere Aufgabe gut erfüllen, es ist nicht so, dass wir nicht wüssten, was wir bei den Vernehmungen
machen, wir haben tatsächlich Erfahrung.“ Dann sagte Generalmajor G.M.: „Meine erste Beobachtung ist, dass Sie bei den Vernehmungen nicht die totale Kontrolle haben.“ Er sagte, dass sie zu
nett zu den Gefangenen seien. Der Generalmajor sagte, die Vernehmungsspezialisten seien nicht
aggressiv genug. Er benutzte ein Beispiel aus Guantánamo Bay. Er sagte, dass wenn Gefangene
ankämen, sie immer von zwei Militärpolizisten gehandhabt würden, und dass sie überall, wo sie
hingehen, von Personal eskortiert würden – mit Fußeisen, Handschellen und Bauchgurten. Er sagte,
die Gefangenen wüssten, wer das Sagen habe und dann sagte er: „Schauen Sie, Sie müssen Sie
wie Hunde behandeln. Wenn sie sich jemals besser als Hunde fühlen, dann haben Sie tatsächlich
die Kontrolle über die Vernehmung verloren.“ Laut dem Generalmajor haben die Gefangenen in
GITMO (Guantánamo Bay) immer gewusst, wer das Sagen hatte.
Er sagte: „Sie müssen wissen, dass Sie die Kontrolle haben, und wenn Sie sie zu nett behandeln,
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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werden sie nicht mit Ihnen kooperieren. In GITMO verdienen sich die Gefangenen jeden einzelnen
Gegenstand, den sie erhalten, einschließlich eine Änderung der Farbe ihres Overalls. Wenn sie ankommen, erhalten sie einen grellorangenen Overall. Sie werden in einer sehr aggressiven, energischen Weise behandelt und sie verdienen sich das Privileg zu einem weißen Overall zu wechseln,
wenn sie beweisen, dass sie kooperativ sind.“ Die Gefangenen wie Hunde zu behandeln, scheint in
Einklang zu stehen mit den Fotos mit dem Hundehalsband, der Hundeleine und den Hunden ohne
Maulkorb. Die Verwendung dieser Methoden ist in mehreren Memoranden erwähnt, darunter in den
R.S.-Memoranden (September 2003) und durch ihn abgezeichnet. Dort wird der Einsatz von Hunden, sogar von Hunden ohne Maulkorb in Vernehmungsoperationen autorisiert.
An diesem Punkt musste ich einfach meine Hand heben, um auf seine Kommentare zu antworten.
Ich war nur als Gast da, nicht als Teilnehmerin, aber ich sagte: „Wissen Sie, Sir, die Militärpolizisten hier bewegen Gefangene nicht mit Fußfesseln und Handschellen. Wir haben die Ausrüstung
nicht. Wir haben nicht genug Geld, um einen Overall pro Gefangenen zu kaufen, ganz zu schweigen
von unterschiedlichen Farben.“ Und er sagte: „Das ist kein Problem. Mein Budget in GITMO beträgt
125 Millionen US-Dollar pro Jahr und ich werde Oberst T.P. alle erforderlichen Ressourcen zur Verfügung stellen, die er braucht, um das angemessen zu erledigen.“
Es stimmt, dass Oberst T.P. die nachrichtendienstlichen Operationen innerhalb des Gefängnisses
leitete. Die Zellenblöcke 1A und 1B waren die einzigen Hochsicherheitstrakte in der so genannten
„Hard Site – harten Trakt“ und während des Besuchs von General G.M. – entweder auf seinen Befehl hin oder auf seine Anfrage hin – gab General G.M. Oberst T.P. die Anweisung oder den Befehl,
„die Kontrolle“ über Zellenblock 1A zu erlangen.
Generalmajor G.M. entschied sich letztendlich dafür, Abu Ghraib zum Schwerpunkt seiner Bemühungen zu machen und er sagte mir, dass er Abu Ghraib „zum Verhörzentrum für den ganzen Irak“
machen würde; er würde die Operation „GITMOIZEN“ [an die Verhältnisse in Guantánamo Bay
angleichen; Militärslang, Anm. d.Ü.] und dass er vorhabe, die Militärpolizisten einzusetzen, um den
Verhörspezialisten zu helfen, die Bedingungen zu schaffen, um effektive Vernehmungen durchzuführen. Seine Pläne verlangten von den Militärpolizisten, die Vernehmungen zu intensivieren und
mehr nachrichtendienstlich verwertbare Informationen zu erhalten. Ich erklärte ihm, dass die Militärpolizisten für jegliche Vernehmungsmaßnahmen nicht ausgebildet seien, und Generalmajor G.M.
sagte mir, dass ich mir keine Sorgen machen solle, weil er ihnen „alle Ausbildung, die sie brauchen,
um diesen Job zu machen“ geben würde. Er würde das Ausbildungsmaterial auf mehreren CDs bei
dem Kommandeur der Brigade des Militärischen Nachrichtendienstes (Oberst T.P.) hinterlassen,
„um sicherzustellen, dass die Militärpolizisten das richtige Training bekommen würden.“ Generalmajor G.M. sagte mir, er wolle, dass ich ihm „Abu Ghraib übergebe“, weil dies der Ort sei, den er
ausgewählt habe. Ich sagte Generalmajor G.M., dass es nicht an mir sei, ihm Abu Ghraib zu übergeben, dass Abu Ghraib nicht mir gehöre, wir würden nur die Haftmaßnahmen dort durchführen.
Ich sagte ihm, dass ich nicht die Autorität hätte, ihm Abu Ghraib zu übergeben, da die Einrichtung
tatsächlich zum Bereich von Botschafter B. gehören würde. Wenn Botschafter B. mir jedoch sagen
würde, dass ich ihm Abu Ghraib übergeben solle, würde ich mich glücklich schätzen, dies zu tun.
Generalmajor G.M. sagte: „Schauen Sie, R.S. hat gesagt, ich könnte jegliche Einrichtung haben,
die ich will, und ich will Abu Ghraib.“ Er sagte weiterhin: „Schauen Sie, wir können das auf meine
Art und Weise machen oder wir können die harte Tour nehmen,“ so, als ob wir auf gegensätzlichen
Seiten stehen würden.
Es gab ein Vernehmungszentrum, das „Interrogation Facility Wood – Vernehmungszentrum Holz“
genannt wurde und ein Vernehmungszentrum namens „Interrogation Facility Steel – Vernehmungszentrum Stahl“. Auch wenn überall berichtet wurde, dass die Fotos während Verhörmaßnahmen gemacht wurden, ist es eine Tatsache, dass dies nicht während Verhöroperationen geschah. Die Fotos wurden im Inneren der „Hard Site – des harten Trakts“ gemacht, in den Gängen
von Zellenblock 1A. Diese Fotos wurden inszeniert und orchestriert auf Anweisung von zivilen Verhörspezialisten, zur Verwendung bei zukünftigen Vernehmungen.
General G.M. sagte, er wolle die scharfe Trennlinie zwischen Militärpolizei und Militärischen Nachrichtendienst verwischen; die Militärpolizisten sollten die Gefangenen in den Verhörraum des Militärischen Nachrichtendienstes bringen und dann die Aufsicht den Vernehmungsspezialisten übergeben. Das war seine Vorstellung davon, wie die Militärpolizisten eingesetzt werden sollten, um die
Bedingungen für effektive Vernehmungen zu schaffen.
…
Wir gingen durch den Bereich der Bataillons hinüber zum Zellenblock 1A. Die Leute, die normaler-
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weise in einer der Schichten in Zellenblock 1A oder 1B arbeiteten, waren nicht anwesend. Sie waren bis zum Ergebnis der Untersuchung von ihren Posten suspendiert worden. Als ich fragte, wer
sie suspendiert habe, sagte mir der Sergeant, er denke, dass es Oberst T.P. oder Brigadegeneralin
B.F. gewesen seien. Der Sergeant, mit dem ich sprach, berichtete, dass die Unterlagen von den
Ermittlern beschlagnahmt worden seien, aber sie hätten ein neues Logbuch begonnen, um den
Überblick über die Gefangenen zu behalten, sicherzustellen, dass sie ihre Mahlzeiten pünktlich erhalten würden und diese Dinge. Der Sergeant zeigte mir das einseitige Logbuch, von dem er
sprach. Dann wies er mich auf ein Memorandum hin, das an einer Säule außerhalb ihres kleinen
Verwaltungsbüros hing. Das Memorandum war von Verteidigungsminister D.R. unterzeichnet und
beinhaltete „Autorisierte Vernehmungsmethoden, darunter die Verwendung von lauter Musik und
länger anhaltenden Stehpositionen, neben mehreren anderen Methoden. Es bestand aus einer Seite. Das Memorandum erwähnte Stresspositionen, Lärm und Verordnungen in Bezug auf Licht, die
Verwendung von Musik, die Veränderung von Schlafgewohnheiten, diese Sorten von Methoden. Es
gab außerdem noch eine handschriftliche Notiz draußen an der Seite in der gleichen Tinte und der
gleichen Schrift wie die Unterschrift des Verteidigungsministers. Die Bemerkung, die am Rand
stand, lautete: „Stellen Sie sicher, dass dies umgesetzt wird.“ Dieses Memorandum war eine Kopie;
eine Fotokopie des Originals, nehme ich an. Ich dachte, dass es ungewöhnlich sei, ein Vernehmungsmemorandum innerhalb eines Gefängniszellenblocks aufzuhängen, da die Vernehmungen
nicht in dem Zellenblock durchgeführt wurden, jedenfalls nicht nach meinem Verständnis und Wissen. Die Vernehmungen wurden in den zwei Vernehmungszentren außerhalb der „Hard Site – des
harten Trakts“ durchgeführt.
Das war der Befehl von D.R. selbst, der über die spezifischen Vernehmungsmethoden sprach, die
er autorisierte. Und da gab es diese Notiz – die handschriftliche Notiz draußen an der Seite. Sie
lautete: „Stellen Sie sicher, dass dies umgesetzt wird.“ Und sie schien in der gleichen Handschrift
abgefasst zu sein wie die Unterschrift. Und die Leute verstanden es so, dass sie von D.R. kam. Das
ist alles, was ich zu dem Memorandum sagen kann.“
Die schriftliche Zeugenaussage der Zeugin J.K. kann zwar nur vorläufig bewertet werden. Doch
selbst bei vorläufiger Bewertung wird dem neutralen Betrachter der explosive Gehalt ihrer Äußerungen deutlich, insbesondere hinsichtlich der Schilderung der Person des Beschuldigten G.M., aber
auch der Beschreibung der Rollen der Beschuldigten R.S. und D.R. sowie S.C.. Die Zeugin ist ausdrücklich dazu bereit, sich insoweit weiteren Nachfragen zu stellen.
Mittlerweile hat sich ein weiterer Zeuge zur Zeugenaussage in einem eventuellen Ermittlungsverfahren durch die Bundesanwaltschaft gegen die hier angezeigten Personen bereit erklärt. Es handelt sich um den Irak-Kriegs-Veteran D.D.. Dieser hat die Strategie der Vertuschung und Verdeckung der Foltervorfälle im Irak durch den Bericht „Whitewashing Torture“ mit einem Artikel vom
08.12.2000171 anhand des Falles von Unteroffizier F.F., Agent der Spionageabwehr der 223. Kalifornischen Nationalgarde der Militärnachrichtendienstabteilung,172 beispielhaft dargestellt.
Der Zeuge D.D. hat durch die Medienvorberichterstattung über das hiesige Verfahren Kenntnis
erlangt und hat sich gegenüber dem Center for Constitutional Rights ausdrücklich bereit erklärt,
sich weit über die in dem Artikel dargelegten Ereignisse hinausreichenden Kenntnisse über Foltervorfälle im Irak zu offenbaren. Der Zeuge D.D. wird in einer eventuellen Aussage ausführen können, wie systematisch Folter und weitere illegale Vernehmungsmethoden in den Haftstätten der
US-Amerikaner im Irak verbreitet waren. Er wird ggf. weitere Zeugen benennen können. Im übrigen sei ausdrücklich darauf verwiesen, dass D.D. selbst wie der in seinem Artikel angesprochene
F.F. im 223. Militärnachrichtendienstbataillon im Irak gedient hat. Das 223. Bataillon stand ebenso
wie die 205. Militärnachrichtendienstbrigade unter dem Kommando des hier Beschuldigten Oberst
T.P.. Dies bedeutet, dass die Aussagen des Zeugen D.D. dazu beitragen können, die Rolle von
Oberst T.P. bei den Ereignissen von Abu Ghraib und weit darüber hinaus aufzuklären.
Im übrigen gibt es eine Vielzahl von erfolgversprechenden Ermittlungsansätzen für deutsche Strafverfolgungsbehörden.
Es kann zunächst eine Auswertung aller über das Internet und andere Veröffentlichungen frei verfügbaren Untersuchungsberichte, Memoranden und Medien vorgenommen werden bzw. die oben
vorgenommene Zusammenstellung und Bewertung der strafrechtlichen Verantwortung der Be171
David Debatto: Whitewashing torture? Artikel vom 8. Dezember 2004 unter
http://dir.salon.com/story/news/feature/2004/12/08/coverup/index.html
172
Wie auch die 205. Einheit wurde die 223. von Oberst Thomas befehligt.
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schuldigten nachvollzogen werden.
Die Vernehmung der geschädigten Zeugen, der ehemals in Abu Ghraib inhaftierten Anzeigenerstattern und aller weiteren in den Schriftsätzen zum ersten Verfahren benannten Zeugen ist naheliegend und möglich. Diese können ihrerseits zahlreiche weitere geschädigte Zeugen namentlich benennen. Die Zeugen sind bereit, im Rahmen des Strafverfahrens vor deutschen Strafverfolgungsbehörden auszusagen, entweder im Rahmen von konsularischen Vernehmungen in den Deutschen
Botschaften in Bagdad/ Irak oder Amman/ Jordanien oder im Rahmen staatsanwaltschaftlicher oder
kriminalpolizeilicher Vernehmungen. Die Zeugen sind über das Büro des Unterzeichnenden bzw.
der Anzeigenerstatter zu 1) zu erreichen. Im übrigen sind die unten namentlich genannten 31 Personen und Geschädigten bereit, gegenüber deutschen Strafverfolgungsbehörden über erlittene
Misshandlungen als Zeugen auszusagen.
Die Vernehmung der in Deutschland stationierten Beschuldigten R.S., W.W. und T.P. und aller anderen Beschuldigten, sobald sie nach Deutschland reisen, kann veranlasst werden.
Darüber hinaus könnten Vernehmungen der in Deutschland stationierten Angehörigen des V. Corps
in Heidelberg sowie der 205. Militärnachrichtendienst-Brigade stattfinden, die zu den Vorfällen
sachdienliche Aussagen machen können.
Das V. Corps der US-Armee nahm an der Operation Iraqi Freedom teil. Viele seiner Angehörigen
waren Zeugen der Gefangenenmisshandlungen, die in verschiedenen Haftanstalten in Irak stattfanden. Das Hauptquartier des V. Armeecorps befindet sich in Heidelberg.173 Deutsche Strafverfolgungsbehörden könnten daher ohne weiteres beantragen, mit Soldaten und Offizieren sprechen zu
können, um weitere Informationen und Zeugnisse über die zur Anzeige gebrachten Vorgänge zu
erlangen.
Die den V. Armeecorps angehörende 205. Militärnachrichtendienstbrigade nahm ebenfalls an der
Operation Iraqi Freedom teil. Viele ihrer Angehörigen sind in der Strafanzeige namentlich benannt.
Die Einheit ist auf dem Wiesbadener Army Airfield stationiert.174 Der Führung der Einheit gehören
der Beschuldigte Oberst T.P., Oberstleutnant A.M. und B.B. an.
Untergeordnete Einheiten der 205. Militärnachrichtendienstbrigade waren ebenfalls in die Vorgänge
in Irak verwickelt. Namentlich sind dies das 165. und 302. Militärnachrichtendienstbataillon. Beide
Bataillone sind ebenfalls in Wiesbaden auf dem Army Airfield stationiert.175
Es existieren einige geschriebene Zeugenaussagen von Angehörigen der in Deutschland stationierten Brigaden, die ausgewertet werden können bzw. deren Verfasser dazu vernommen werden
könnten.
Aus dem Taguba-Bericht sind dies namentlich der zivile Übersetzer A.N., Angehöriger der 205.
Militärnachrichtendienstbrigade, der als Verdächtiger bezeichnet wird.176 Der Vertragsangestellte
T.N., der ebenso wie der zuvor genannte bei der Titan Firma beschäftigt ist und zur 205. Militärnachrichtendienstbrigade gehört. Er ist als Verdächtiger im Taguba-Bericht177 aufgeführt. Ausführliche Aussagen hat sowohl nach dem Taguba-Bericht als auch nach einschlägigen Presseberichten
der Unteroffizier S.P. gemacht, der dem 302. Militärnachrichtendienstbataillon angehört. Der Zeuge
Provance hat gegenüber deutschen und britischen und amerikanischen Medien ausführlich zu den
Vorfällen Stellung genommen.
Das Ermittlungsteam für den Taguba-Bericht hat persönlich folgende Zeugenaussagen von Personen aufgenommen, die zur 205. Militärnachrichtendienstbrigade gehören: den Beschuldigten
Oberst T.P., dem Befehlshaber der 205. Militärnachrichtendienstbrigade, Oberstleutnant R.W., Befehlshaber des 165. Militärnachrichtendienstbataillons, SW2 E.R., 205. Militärnachrichtendienstbrigade, den zivilen Befrager S.S., beschäftigt bei der Firma CACI, bei der 205. Militärnachrichtendienstbrigade beschäftigt sowie J.I., ziviler Übersetzer, beschäftigt bei der Firma Titan, zugehörig
der 205. Militärnachrichtendienstbrigade.
Im Taguba-Bericht werden ausdrücklich sowohl der Beschuldigte T.P. als auch die soeben benannten S.S. und J.I. als entweder direkt oder indirekt Verantwortliche für die Misshandlungen in Abu
173
Vgl. die offizielle Webseite http://www.vcorps.army.mil/default.htm.
Vgl. die offizielle Webseite http://www.205mi.wiesbaden.army.mil/default.htm
175
Vgl. die offiziellen Webseiten http://www.205mi.wiesbaden.army.mil/default.htm
176
A.a.O., S. 17.
177
A.a.O., S. 17.
174
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Ghraib bezeichnet.178 Auch der bei der 205. Militärnachrichtendienstbrigade beschäftigte F. war in
das Geschehen involviert. Er war im September 2003 Rechtsberater des Kommando und arbeitete
gemeinsam mit anderen Juristen bei den Vereinigten Streitkräften eine Serie von Vernehmungsregeln aus, die später bei Vernehmungen von Inhaftierten im Irak angewandt wurden.179
Der Fay/Jones-Bericht benennt insgesamt vier Angehörige des 302. Militärnachrichtendienstbataillons als Zeugen der Vorfälle. Allerdings werden die Namen nicht benannt, sie werden als Soldaten
6, 9, 12 und 22 bezeichnet. Über ihre Klarnamen wäre der Befehlshaber des 302. Militärnachrichtendienstbataillons, Oberstleutnant J.N., und der Offizier R.B. III zu befragen.
Die Behörden des primär zuständigen Staates, aus dem die überwiegende Zahl der Verdächtigen
stammt, die USA, sind mithin nicht gewillt, Straftaten von Mitgliedern der eigenen Regierung oder
des eigenen Staats- und Sicherheitsapparates aufzuklären und zu verfolgen. Der IStGH ist nicht
zuständig, da die USA das Rom-Statut nicht unterzeichnet und ratifiziert hat. Gerade in solchen, für
diese Deliktskonstellation typischen, Situationen ist es notwendig, dass Staaten wie Deutschland,
deren Strafrecht eine weltweite Verfolgung von Völkerstraftaten vorsieht, stellvertretend für die
internationale Staatengemeinschaft die Strafverfolgung übernehmen. Auf diesem Gedanken der
Komplementarität baut das gesamte Völkerstrafrecht auf.180
Für eine Einstellung des Verfahrens nach § 153 f Strafprozessordnung ist nach alledem kein Raum.
178
Vgl. Taguba-Bericht, a.a.O., S. 48.
Vgl. Fay/Jones-Bericht, S. 25 und Fay/Jones-Bericht, Annex B Apendix 1 Fitch Kazimer.
180
BT-Drucks. 14/8524, S. 37, vgl. auch Ambos und Werle, a.a.O.
179
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4. Sachverhalt : Die Politik der Folter – Warum es zu den Gefangenmisshandlungen von Abu
Ghraib kommen musste
4.1. Der Weg nach Abu Ghraib : Die G.W.B.-Administration und die systematische Durchsetzung von Folter als Vernehmungsmethode
4.1.1. Die erste Phase des Folter-Programms vom 11. September 2001 bis Anfang
2002
4.1.2. Die zweite Phase des Folter-Programms von Anfang 2002 bis Anfang 2003
4.1.3. Menschenrechtswidrige Praktiken auf Guantánamo
4.1.4. Der Export illegaler Vernehmungsmethoden von Washington und Guantánamo nach Irak
4.2. Die Folgen und Auswüchse des Folterprogramms: Todesfälle und Gefangenenmisshandlungen im US- Gewahrsam im Irak und in Afghanistan sowie Geistergefangene
und Rendition
4.2.1. Die ungeahndeten und unzureichend geahndeten Todesfälle
4.2.2. Der Tod des irakischen Obergenerals A.H.M.
4.2.3. Geistergefangene und Überstellung („rendition“) von Gefangenen in Folterstaaten
4.2.4. Die Gefangenenmisshandlungen und Folter im Gefängnis Abu Ghraib
4.2.5. Verdacht weiterer Kriegsverbrechen
4.3. Die gegen die geschädigten Anzeigenerstatter begangenen strafbaren Handlungen
4.3.1. Guantánamo Häftling 063 - M.Q.
4.3.2. Die an den irakischen Gefangenen begangenen Misshandlungen
„Der unaussprechliche Horror der Al Quaida-Anschläge vom 11. September 2001 auf die Vereinigten Staaten schuf ein Klima von Angst und Rache, in dem wesentliche Prinzipien des Verfassungsrechts und des internationalen Rechts in den Wind geblasen wurden. Dies war nichts Neues in der
Weltgeschichte, die seit biblischen Zeiten immer nach dem Prinzip ‚Auge um Auge’ gelebt hatte. Es
war aber relativ neu für die Vereinigten Staaten von Amerika, die auf eine relativ lange Tradition
zurück blicken, die gekennzeichnet war von dem Versuch, die Schrecken des Krieges zu beherrschen und Grenzen für die Kriegsführung und die Behandlung von Kriegsgefangenen zu setzen.
Schon 1863, in der Mitte des Bürgerkrieges, erließ der damalige Präsident Lincoln Instruktionen für
die Armeen der Vereinigten Staaten während des Krieges. Der Entwurf wurde von Francis Lieber,
einem deutschen Immigranten, verfasst. Dieses Dokument wurde bekannt als Lieber-Code und
wird als Urquelle von allen nachfolgenden Gesetzeswerken und Konventionen, inklusive der Haager
und der Genfer Konventionen des Humanitären Völkerrechts und der Nürnberger Prinzipien, bei
deren Entwicklung die USA eine entscheidende Rolle gespielt hatte, angesehen.
Aber es gab immer auch einen entgegen gesetzten Trend in der US-Geschichte, der dadurch gekennzeichnet ist, dass amerikanische Präsidenten beider großer Parteien immer wieder sagten,
dass sie alles tun würden, was notwendig sei, um die Vereinigten Staaten von Amerika gegen Feinde zu schützen, reale und eingebildete, dass die „Nationale Sicherheit“ alle anderen Prinzipien und
Werte übertrumpfe und dass in ernsthaften internationalen Konflikten alle Handlungsoptionen offen
seien. Es ist dieser Trend, der der Bindung an alle unveräußerlichen Prinzipien des internationalen
Rechts zuwiderläuft, einschließlich der im deutschen Völkerstrafrecht verankerten.“
P.W., Vizepräsident des Center for Constitutional Rights, im Herbst 2004
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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4.1. Der Weg nach Abu Ghraib: Die G.W.B.-Administration und die systematische Durchsetzung von Folter als Vernehmungsmethode
Kurz nachdem die Gefangenenmisshandlungen von Abu Ghraib im April 2004 bekannt wurden, sah
eine zunehmend kritischer werdende US-amerikanischen Öffentlichkeit in den Vorfällen ein fast
zwangsläufiges Resultat der Anti-Terror-Politik der G.W.B.-Administration, insbesondere der Politik
der Gefangenenbehandlung. Eine maßgebliche Rolle bei der Meinungsbildung spielten die Artikel
der Journalistin Dana Priest in der Washington Post und des Journalisten Seymour M. Hersh im
Magazin New Yorker und sein Buch „Chain of Command. The Road from 9/11 to Abu Ghraib“ ( „Die
Befehlskette“ ), New York 2004 und der Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights
Watch vom Juni 2004, „The Road to Abu Ghraib“.
In dem Bericht von Human Rights Watch wird der oben von P.W. beschrieben Trend zur Überhöhung der „Nationalen Sicherheit“ nach dem 11.09.2001 analysiert. Die Menschenrechtsverletzungen, die weltweit Gegenstand zahlreicher Gerichtsverfahren und auch dieser Strafanzeige sind,
werden als Resultat eines wohlüberlegten Plans der Regierungsadministration unter Präsident
G.W.B. und Vize-Präsident R.C. verstanden, sich von den durch Verträge eingegangen Bindungen
an internationales Recht und von dem Völkergewohnheitsrecht zu lösen. Im einzelnen heißt es
dazu:
−
−
−
Hohe Regierungsjuristen argumentierten in einer Reihe von internen Memoranden
gegen die Widerstände von hohen Militärs und Beratern des Außenministeriums,
dass der neue „Krieg gegen den Terrorismus“ obsolete traditionelle gesetzliche
Restriktionen über die Behandlung und die Befragung von Inhaftierten außer Kraft
gesetzt habe.
Bestimmte Zwangsmethoden erreichten den Grad der Folter und anderer unmenschlicher, grausamer und entwürdigender Behandlungen. Sie wurden mit dem
Ziel angewandt, mehr nachrichtendienstlich verwertbare Informationen von den
vernommenen Personen zu erlangen.
Bis zur Veröffentlichung der Bilder aus Abu Ghraib verfolgte die amerikanische Regierungsadministration das Prinzip „nichts Schlechtes sehen, nichts Schlechtes hören, nichts Schlechtes sprechen“ und ignorierte dabei unter anderem die ernsthaften Beschwerden, die das Internationale Komitee des Roten Kreuzes über die Behandlung von Inhaftierten wiederholt in diversen internen und veröffentlichten Berichten vortrug.
Diese Schlüsse von Human Rights Watch sind anhand einer Reihe von internen Memoranden nachzuvollziehen, die mittlerweile, zumindest teilweise, freigegeben worden sind. Die Memoranden sind
als Folterpapiere (Torture Papers) bekannt geworden und wurden der ersten Strafanzeige gegen
D.R. u.a. vom 30.11.2004 als Anlage beigefügt181.
Obwohl die veröffentlichten Unterlagen bereits die in dieser Anzeige gezogenen Schlussfolgerungen
tragen, ist im nachfolgenden zu berücksichtigen, dass noch viele Dokumente fehlen.182
Im Laufe des Jahres 2006 wurde durch einige detaillierte Medienberichte deutlich, dass es innerhalb der G.W.B.-Administration und des Sicherheitsapparates erhebliche Widerstände gegen den
Einsatz von Folter und andere verbotene Vernehmungsmethoden gab. Diese Widerstände wurden
letztlich durch die hier Beschuldigten, ihre Mittäter und Helfer überwunden, so dass verbotene Vernehmungsmethoden u.a. in Afghanistan und Guantánamo sowie im Irak verbreitet wurden. Auf
diese Auseinandersetzungen wird im einzelnen im Rahmen der Fallschilderung des gefolterten Anzeigenerstatter M.Q. und bei der Bewertung der Rolle der beschuldigten Juristen J.Y. und J.B. näher
einzugehen sein. Als ein Ausgangspunkt der nachfolgenden Sachverhaltsschilderung kann das Zitat
von A.M. gesehen werden. A.M. war oberster Rechtsberater der Marine und war als solcher in den
181
In der dreibändigen Ausgabe des „The Center on Law and Security“ der New York University
unter dem Titel „Torture“ (Folter). Mittlerweile liegt eine umfassendere Buchausgabe vor, auf die
im folgenden Bezug genommen wird: Karen S. Greenberg/ Joshua L. Dratel (Hrsg.) The Torture
Papers, Cambridge, 2005.
182
Die selektive Auswahl der Dokumente ist innerhalb der USA stark kritisiert worden, vgl. dazu
Katja Gelinsky, Die Folter-Debatte in der amerikanischen Regierung, FAZ, 9. Juli 2004.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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angesprochenen heftigen Streit verwickelt. A.M. sagte kürzlich183:
„Die bisher unbeantworteten Fragen sind, wie viel von der Politik der aggressiven Befragungen
bisher durchgesetzt werden konnte, wie groß das Ausmaß der Gefangenenmisshandlungen war,
wer die Opfer sind und wer verantwortlich für die Anwendung missbräuchlicher Vernehmungsmethoden und der grausamen Behandlungen ist. Ich denke, die Geschichtsschreibung wird den Nachweis über die Verantwortlichkeit für diese Misshandlungen erbringen. Schon jetzt kann man feststellen, dass einige der Misshandlungen Resultat der Anordnungen der Oberkommandierenden
waren, andere Resultat des Fehlens von Führung, zurückgehend darauf, dass ungesetzliche feindliche Kämpfer härter behandelt werden könnten als Kriegsgefangene. Und schließlich sind einige auf
verbrecherische Soldaten zurückzuführen, die sadistische Triebe aufweisen.“
4.1.1. Die erste Phase des Folter-Programms vom 11. September 2001 bis Anfang 2002
Die Durchsetzung von Folter und verbotener Vernehmungsmethoden vollzog sich in mehreren
Etappen. Als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 wurden umfangreiche Maßnahmen der Kriegsführung beschlossen. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt äußerte sich dabei der Beschuldigte J.Y. im Namen des US-Department of Justice, Office of the Legal Council (OLC), in einem
Memorandum vom 25.09.2001184 dahingehend, dass der Präsident die verfassungsmäßige Befugnis
habe, nicht nur gegen einzelne Personen, Organisationen oder Staaten vorzugehen, die verdächtig
seien, in die terroristischen Attacken auf die Vereinigten Staaten von Amerika verwickelt zu sein,
sondern auch gegen ausländische Staaten, die im Verdacht stünden, solche Organisationen beherbergt oder unterstützt zu haben. Weiterhin sollten dem Präsidenten präventiv Befugnisse eingeräumt werden, das Militär gegen terroristische Organisationen oder Staaten, die solche beherbergen oder unterstützen, einzusetzen, ohne dass ein Zusammenhang mit den spezifischen terroristischen Ereignissen vom 11. September 2001 bestehen müsse. Kurz darauf, in den ersten Oktoberwochen, begann der Afghanistan-Krieg; das Land wurde eingenommen. Relativ schnell danach
entwickelte sich eine Politik des Umgangs mit Gefangenen im „Krieg gegen den Terror“ heraus.
Erstes wichtiges Dokument in diesem Zusammenhang ist der militärische Befehl des Präsidenten
G.W.B. vom 13.11.2001. Darin ordnet Präsident G.W.B. an, dass die Verdächtigen von terroristischen Attacken zu verhaften und Nicht-US-Bürger von eigens zu schaffenden Militärtribunalen abzuurteilen seien.
Im Zuge der Auseinandersetzungen und im Windschatten dieser Auseinandersetzungen wurde in
Afghanistan eine Vielzahl von Personen festgenommen. Wie später bekannt wurde, sind diese Personen auf unterschiedliche Art und Weise gefangen gehalten worden. Ein Teil von ihnen wurde
später in ausländische Geheimgefängnisse verbracht. Andere wurden zur Vernehmung in andere
Länder überstellt („extraordinary rendition“). Gegen praktisch alle wurden Folter wie das so genannte „water boarding“ und andere verbotene Vernehmungsmaßnahmen angewandt.
Die Anwendung dieser Techniken ist durch eine Reihe von Zeugenaussagen von in Afghanistan fest
genommenen, später frei gelassenen Häftlingen zu belegen. Nachdem die Invasion Afghanistans
weitgehend abgeschlossen war, folterten und misshandelten US-Streitkräfte Gefangene in mehreren Einrichtungen (in Kabul im Adriana Hotel, Brick Factory, Camp Eggers und nahe dem Flughafen
Kabul). So berichtet beispielsweise B.M., dass er für mehrere Tage in einer nicht beleuchteten Zelle
angekettet gewesen sowie geschlagen und lautem Lärm („loud noise“) ausgesetzt worden sei. Dabei konnte er andere Gefangene hören, die „ihre Köpfen gegen Wände und Türen schlugen und sich
ihre Seelen aus dem Leib schrien.“ Einem anderen Gefangenen wurde durch einen Verhörbeamten
mit Vergewaltigung gedroht.
Nach dem Tod zweier Gefangener in Afghanistan wurden aufgrund des Berichtes des Army Criminal
Investigation Division weitere Verhörtaktiken bekannt: Eine Vernehmungsbeamtin tritt einem am
Boden liegenden Gefangenen ins Genick und tritt einem anderen in die Genitalien; ein auf dem
Boden gefesselter Gefangener wird gezwungen, auf und ab zu rollen und die Stiefel der Verhörbeamten zu küssen. Er wird gezwungen, den Verschluss einer Plastikflasche aus einem mit Exkrementen und Wasser gefüllten Fass zu fischen. Gefangene wurden geschlagen und in Stresspositio183
Bill Dedmann, “Battle over tactics raged at GITMO.The inside story of criminal investigators tried
to stop abuse” und “The A.G. Trip to GITMO”, 24.10.2006 und 03.11.2006, veröffentlicht bei
http://www.msmbc.msn.com
184
The Torture-Papers. The road to Abu Ghraib. Hrsg. Von Karen J. Greenberg und Joshua L.
Drahtel, Cambridge 2005, S. 3ff
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nen gehalten. Weiterhin kamen Schlafentzug für 32 bis 36 Stunden, die Einnahme von Stresspositionen, das Entkleiden in Anwesenheit von Soldatinnen sowie schmerzvolle und demütigende rektale „Untersuchungen“ zur Anwendung.
Am Kontrollpunkt Bagram wurde die 377. Militärpolizeikompanie ausgebildet, den „common peroneal strike“ anzuwenden. Dabei handelt es sich um „einen starken, lähmenden Schlag gegen das
Bein des Gefangenen, seitlich, leicht oberhalb des Knies“, was zu einer ernsthaften Verletzung des
Beins führt.
Mehrmals knieten sich Militärpolizisten auf die Beine eines gemütskranken afghanischen Gefangenen, während seine Arme über dem Kopf angekettet wurden. Die Militärpolizisten riefen ihn zudem
„Timmy“ (in Anlehnung an den gleichnamigen Charakter der TVZeichentrickserie „South Park“). Er
sollte wie diese Zeichentrickfigur kreischen. Ein saudischer Häftling berichtete, dass ein Soldat
während eines Verhörs sein Geschlechtsteil vor das Gesicht eines Gefangenen hielt und damit drohte, ihn zu vergewaltigen.
Die britischen Staatsbürger S.R., A.I. und R.A. wurden am 28.11.2001 in Afghanistan von afghanischen Streitkräften unter dem Kommando der von den USA geführten Koalition festgenommen. Sie
beschrieben, wie sie von Anfang an inhuman behandelt wurden185.
Die ersten Medienveröffentlichungen über Folter an Gefangenen, die oft fälschlicherweise als Misshandlung oder Missbrauch von Gefangenen tituliert wurde, begannen gegen Ende 2001. Als der 20jährige, zum Islam konvertierte US-Amerikaner J.W.L. im Dezember 2001 in Afghanistan verhaftet
wurde, wurde er nackt ausgezogen, mit Klebeband gefesselt und auf einer Trage festgebunden.
US-amerikanische Soldaten nahmen Fotos von ihm auf, die später in der Öffentlichkeit verbreitet
wurden. Sie bedrohten ihn mit dem Tod durch Hängen und erzählten ihm, dass diese Bilder später
dazu dienen sollten, Geld für eine christliche Organisation zu sammeln. Ihm wurde tagelang der
Schlaf sowie die Nahrung entzogen; seine Schussverletzung am Fuß wurde zunächst nicht behandelt. Aus den später in den USA von seinem Verteidiger veröffentlichten Dokumenten des Justizministeriums geht hervor, dass der Kommandeur der Basis, auf der J.W.L. gefangen genommen wurde, vom Rechtsberater des Verteidigungsministeriums, dem Beschuldigten W.H., autorisiert worden
war, „die (Samt-, Anmerkung WK) Handschuhe während J.W.L.s Befragung abzunehmen“ („to take
the gloves off“).186 Damit handelt es sich bei J.W.L.s Fall um den ersten bekannt gewordenen Fall
eines Terrorismus-Verdächtigen, bei dem die G.W.B.-Administration die rechtlichen Grenzen überschritt, um an Informationen zu gelangen. Unbestätigten Berichten zufolge soll D.R. den mündlichen Befehl zur in vielfacher Hinsicht illegalen Behandlung von J.W.L. erteilt und W.H. diesen weitergegeben haben.
Nach dem 11. September 2001 und vor allem im Zuge des Afghanistan-Krieges hatte die CIA eine
Vielzahl von Personen festgesetzt, die man für hohe Verantwortliche von Al Qaida hielt. Die mit den
Verhören dieser Gefangenen befassten CIA-Beamten konnten allerdings die in die Vernehmungen
gesetzten Erwartungen, vor allem seitens der politisch Verantwortlichen, nicht erfüllen. Als dann
auch noch das bis dahin kooperative hohe Al Qaida-Mitglied A.Z. die Zusammenarbeit mit der CIA
aufkündigte, verlangte die politische Führung mehr Ergebnisse und den Einsatz härterer Verhörmethoden.187 Hintergrund dieser Forderung waren die Befürchtungen von CIA-Mitarbeitern, dass sie
bei härteren Verhörmethoden wegen der Verletzung nationalen und internationalen Rechts verfolgt
werden könnten und sich weigerten bestimmte Verhörmethoden weiter anzuwenden. Vizepräsident
R.C. und der Beschuldigte D.A. standen zu jener Zeit in engem Austausch und Kontakt mit dem
Rechtsberater der CIA, S.M., über die Gestaltung effektiver Verhörsmethoden bei so genannten
„high-value detainees“, also besonders bedeutsamen Gefangenen. In die Diskussion war auch das
US-Verteidigungsministerium eingebunden, weil Angehörige der US-Streitkräfte in die Verhörsfolter
einbezogen waren. S.M. berichtete dem verärgerten Vizepräsidenten R.C. von den rechtlichen Bedenken der CIA-Verhörsbeamten insbesondere hinsichtlich der Anti-Folter-Konvention. R.C. beauftragte seinen juristischen Berater, den Beschuldigten D.A. mit der Klärung dieser Angelegenheit.188
185
vgl. im einzelnen: David Rose, Guantánamo Bay, Amerikas Krieg gegen die Menschenrechte,
Frankfurt am Main 2004
186
vgl. Human Rights Watch, a.a.O., S. 57, Hersh, a.a.O., S. 4; Richard Serrano, Prison Interrogators’ Gloves Off Before Abu Ghraib, The Los Angeles Times, ): Juni 2004
187
Vgl. Kathleen Clarke, Journal of National Security Law & Policy, Vol 1, p. 455 (456 f.).
188
Johnston/Risen, Aides Say Memo backed Coercion for Qaeda Cases, New York Times, 27. Juni
2004.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Auf diese Weise wurde das politische Ziel definiert, Verhörsfolter rechtlich unangreifbar zu machen
und damit politisch wie praktisch – auch gegen den Widerstand von CIA-Vernehmungsbeamten –
innerhalb des Sicherheitsapparates durchzusetzen. Bei einem Treffen zwischen dem Chefberater
des US-Verteidigungsministeriums, dem Beschuldigten W.H. III und dem damaligen Präsidentenberater, dem Beschuldigten A.G. sowie dem Beschuldigten D.A. als Berater des Vizepräsidenten im
Sommer 2002 wurden bereits härtere Verhörtechniken diskutiert und Methoden wie das „water
boarding“ oder die Drohung, das Verhör mit ausländischen, brutaleren Verhörspezialisten fortzusetzen, als akzeptabel angesehen.189
Zu diesem Zeitpunkt hatte die zweite G.W.B.-Administration ihr erstes Ziel mit einem von dem
Beschuldigten J.Y. verfassten und von dem Beschuldigten J.B. gezeichneten Memorandum des OLC
vom 22. Januar 2002 erreicht. Mit der Formulierung der „Alien Unlawful Combatants“ wurde darin
die Behauptung aufgestellt und in der Exekutive durchgesetzt, die Genfer Konventionen, insbesondere die 3. Konvention zum Schutz von Kriegsgefangenen, seien bei der Behandlung der TalibanKämpfer und Al Qaida-Mitglieder nicht anwendbar. Bereits mit dieser rechtlich unhaltbaren, weltweit kritisierten und methodisch geradezu bizarr begründeten Formel von den „Alien Unlawful
Combatants“ war der Weg zur Verhörsfolter im Zuge des ausgerufenen globalen „Kriegs gegen den
Terrorismus“ geebnet.
In der Serie der Memoranden ist weiterhin auf das Gutachten vom 9. Januar 2002 hinzuweisen, das
die damaligen Rechtsberater des Justizministeriums, der jetzige Professor an der Berkeley School
of Law, der Beschuldigte J.Y. sowie der jetzige Professor an der St. Thomas School of Law, R.D.,
verfasst haben. Beide empfehlen darin dem Beschuldigten W.H. III, die Genfer Konventionen auf
die Mitglieder des Al Quaida-Netzwerkes und der Taliban-Milizen für nicht anwendbar zu erklären
und sie als ungesetzliche feindliche Kämpfer zu behandeln. Nachdem am 16. Januar 2002 die ersten verdächtigen Al Quaida- und Taliban-Gefangenen auf dem US-amerikanischen Militärstützpunkt
in Guantánamo-Bay auf Kuba eintrafen, begann eine intensive Auseinandersetzung über ihre Behandlung. Am 19. Januar 2002 informierte der ehemalige Verteidigungsminister der USA, der Beschuldigte D.R., den Chef der Vereinigten Streitkräfte, R.M., dass die inhaftierten Al Quaida- und
Taliban-Mitglieder keinen Kriegsgefangenenstatus gemäß den Genfer-Konventionen erhalten sollen.
Die Regierung würde die Gefangenen „größtenteils in einer Art behandeln, die sich einigermaßen in
Übereinstimmung mit den Genfer Konventionen befindet, und zwar in dem Ausmaße, wie es angemessen („to the extent appropriate“)“ sei.
Das Memorandum von J.Y. vom 9. Januar 2002 ist zwar als Entwurf gekennzeichnet, bildete aber
den Ausgangspunkt vieler Entscheidungen, die die Behandlung der Gefangenen in Guatánamo Bay
betrafen. Es kann wie folgt zusammengefasst werden:
−
−
−
−
Das US-Kriegsverbrechensgesetz von 1997 ist in seiner Reichweite begrenzt auf
die Genfer Konventionen und einige Auszüge der Haager Konventionen.
Al Quaida-Mitglieder fallen nicht unter den Schutz des US-Kriegsverbrechensgesetzes, weil es sich bei Al Quaida um einen nicht-staatlichen Akteur handelt, der
Krieg gegen Al Quaida weder einen internationalen Krieg noch einen Bürgerkrieg
darstellt und Al Quaida-Mitglieder nicht als Kriegsgefangene nach der III. Genfer
Konvention anzusehen sind.
Taliban-Mitglieder fallen nicht unter den Schutz des Kriegsverbrechensgesetz, weil
der Präsident der USA Afghanistan als einen so genannten „gefallenen Staat“ (failed state) bezeichnet und Mitglieder der Taliban und Al Quaida tatsächlich nicht
voneinander zu unterscheiden sind.
Das Völkergewohnheitsrecht ist kein Teil der Rechtsordnung der Vereinigten Staaten von Amerika.
In dem Memorandum fehlt jeder Bezug auf das absolute Verbot von Folter und grausamer, unmenschlicher und entwürdigender Behandlung, wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dem Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte sowie in der UN-AntiFolterkonvention festgelegt ist. Darüber hinaus wird der seit dem ‚Paquete Habana“ – Fall190 absolute Konsens in Rechtsprechung und Literatur in den USA negiert, wonach Völkergewohnheitsrecht
189
Michael Hirsch u.a., A Tortured Debate, Newsweek, 21. Juni 2004
(http://www.msnbc.msn.com/id/5197853/site/newsweek/).
190
The Paquete Habana, 175 U.S.,677 (1900)
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Teil der Rechtsordnung der USA ist und von den Gerichten festgestellt und angewandt werden
müssen.
4.1.2. Die zweite Phase des Folter-Programms von Anfang 2002 bis Anfang 2003
Die erste Phase, die Durchsetzung des Folterprogramms, war vor allem dadurch bestimmt, dass die
CIA, vertreten durch ihren Rechtsberater S.M., bestimmte Techniken nicht mehr länger anwenden
wollte, weil sie eine Strafverfolgung befürchteten und die G.W.B.-Administration darauf mit der
ersten Serie von Memoranden im Januar/Februar 2002 und deren Durchsetzung reagierte. In der
zweiten Phase ging es um die Durchsetzung bestimmter aggressiverer Behandlungs- und Verhörrichtlinien, deren Anwendung vor allem in Guantánamo hoch umstritten war. Dabei wird von mehreren Autoren und unter ausführlicher Zitierung maßgeblicher Beteiligter eine Auseinandersetzung
von zwei unterschiedlichen Teams von Strafverfolgungsbehörden und nachrichtendienstlichen Befragern beschrieben, die ihrerseits zwei unterschiedliche Aufträge zu erfüllen hatten, nämlich die
Strafverfolgung von Terrorismusverdächtigen einerseits und die Verhinderung zukünftiger Attacken
andererseits. Anfang 2002 wurde zur Strafverfolgung die „Criminal Investigation Task Force“ des
Verteidigungsministeriums gegründet. Diese unterstand B.M., der ebenso wie andere Angehörige
seiner Einheit gemeinsam mit dem bereits angesprochen A.M. zwei Jahre vor dem Erscheinen der
Fotos aus Abu Ghraib gegen missbräuchliche und nötigende Vernehmungsmethoden argumentierte.
B.M. fasste dabei seine Argumente folgendermaßen zusammen:
“Erstens:, es wird nicht funktionieren,
Zweitens: wenn es funktioniert, ist kein Verlass darauf,
Drittens: es kann illegal, unethisch oder unmoralisch sein,
Viertens: es kann dir schaden, wenn du diese Leute strafverfolgen willst
Fünftens: früher oder später werden alle diese Sachen herauskommen und du wirst blossgestellt
Die Agenten seiner Einheit, vor allem der oft zitierte M.F., waren erprobte Vernehmungsexperten,
die unter anderem die Bombardierung der USS Cole aufgeklärt hatten und die sich in Guantánamo
einer Gruppe jüngerer Militärvernehmer gegenüber sahen, die wenig oder gar keine Erfahrung hatten und in einer Einheit zusammen arbeiteten, die sich „Armed Joint Task Force 170“, später „Joint
Task Force Guantánamo“ nannte. Dabei standen sich unterschiedliche Interessen gegenüber: auf
der einen Seite das Interesse der Ermittler an der Überführung von Straftätern und dem Sammeln
von Beweisen, die vor Gericht stand halten würden sowie auf der anderen Seite das von Militärs
und Nachrichtendiensten betonte Interesse an einer Verhinderung weiterer Anschläge.
Die Ermittler hatten schon Zweifel daran, dass alle der etwa 775 insgesamt auf Guantánamo gefangen gehaltenen Menschen straftatenverdächtig waren. Im Gegensatz zu den insbesondere von
D.R. kolportieren Äußerung, die dort gefangen gehaltenen Personen seien „the worst of the worst“,
mussten die Ermittler zunächst einmal herausfinden, ob die Menschen überhaupt Straftaten begangen hatten. Zur Zeit wird immerhin davon ausgegangen, dass gegen mehr als 70 von den noch
verbliebenen 445 Gefangenen Anklagen vor Militärgerichten ausgearbeitet werden sollen.
Eine jüngst vorgenommene Untersuchung der Seton Hall Law School unter Leitung von Prof. Mark
Denbeaux kommt zu einem noch verheerenderen Ergebnis. Ausgangspunkt der kürzlich veröffentlichten Untersuchung waren die Unterlagen, die die US-Regierung im Rahmen der Überprüfung der
Haftverhältnisse freigeben musste. In so genannten 113 Zusammenfassungen der Ermittlungsergebnisse („Summary of evidence“) wurden die erhobenen Vorwürfe erläutert. In der Untersuchung
wurde die Tatsachengrundlage der Vorwürfe noch nicht einmal überprüft. Nichtsdestotrotz kam die
Untersuchung zu einem verheerenden Ergebnis:
1. 55 % der Gefangenen wird überhaupt kein feindlicher Akt gegen die Vereinigten Staaten
oder einer ihrer Verbündeten vorgeworfen.
2. Nur 8 % der Gefangenen werden als Al Qaida-Kämpfer charakterisiert. Von den verbleibenden Gefangenen sollen 40 % eine nicht näher zu definierende Verbindung mit Al Qaida und
18 % eine nicht näher zu definierende Verbindung mit entweder Al Qaida oder den Taliban
haben.
3. Während 8 % der Gefangenen, wie bereits angesprochen, als Kämpfer und 30 % als Mitglieder bezeichnet wurden, wird die große Mehrheit, nämlich 60 % als lediglich assoziiert
(„associated“) mit terroristischen Gruppen bezeichnet.
4. Nur 5 % der Gefangenen wurden von den US-Streitkräften selbst gefangen genommen. 86
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% der Gefangenen wurden entweder von den Pakistani oder der Nord-Allianz verhaftet und
den Vereinigten Staaten ausgeliefert. Diese 86 % der Gefangenen wurden zu einer Zeit
übergeben, als hohe Kopfgelder für die Gefangennahme von mutmaßlichen Feinden gezahlt
wurden.
5. Letztlich sind die gegen „nicht-feindliche“ Kämpfer, vornehmlich Uiguren, erhobenen Vorwürfe größer, als diejenigen, die gegen Personen erhoben wurden, die man als feindliche
Kämpfer ansieht.
Angesichts dieser kaum zu widerlegenden Untersuchungen anhand der von der Regierung selbst
bereit gestellten Materialien erscheint die Äußerung von D.R. in einem Radio-Interview aus dem
Jahre 2004, wonach die in Guantánamo-Bay gefangen gehaltenen Menschen auf dem Schlachtfeld
dafür gefangen genommen worden seien, weil sie unschuldige Frauen, Männer und Kinder in Afghanistan getötet hätten, nicht nur überzogen, sondern stimmt auch mit den Tatsachen nicht überein.
Die beiden bezeichneten Fraktionen von Vernehmern versuchten im Laufe des Sommers 2002 die
Gefangenen in Gruppen aufzuteilen und jeweils entsprechend eigener Strategien zu vernehmen.
Dabei kam es zunächst zu harten Auseinandersetzungen um die Zweckmäßigkeit bestimmter Praktiken zur Erlangung von Informationen. Allerdings wurden diese Zweckmäßigkeitsdiskussionen bald
darauf von Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit der von einem Teil der Vernehmer angewandten
Vernehmungsmethoden überlagert.
Zur weiteren Absicherung der Verhörspraxis von US-Militär und CIA veranlasste der Beschuldigte
D.A. im Sommer 2002 das Office of Legal Counsel (OLC) mit der Erstellung eines entsprechenden
Memorandums für den Präsidenten - zu Händen von dessen Rechtsberater, dem Beschuldigten
A.G.. Mit dem Auftrag wurde bereits die Lösung des Problems vorgestellt, nämlich die Beschränkung des Folterverbots auf die Zufügung von schwerstem Schmerz oder Leiden bei spezifischem
Foltervorsatz. Mit der Ausarbeitung des Folter-Memorandums beauftragte der Leiter des beauftragten Office of Legal Counsel, J.B. den damaligen Deputy Assistant Attorney General J.Y.. J.Y.war seit
2001 im Amt und hatte bereits zuvor in zahlreichen Memoranden zu den Rechten des Präsidenten
in dem von diesem ausgerufenen „Globalen Krieg gegen den Terror“ Stellung genommen. Von ihm
wurde unter anderem die auch politisch verwendete Formel vom „rechtlosen Status“ der gefangenen Taliban-Kämpfer und Al-Qaeda-Mitglieder geprägt191. In diesen Memoranden wurde auch schon
auf die Bedeutungslosigkeit internationalen Rechts für die US-Exekutive und den US-Präsidenten
hingewiesen. J.Y., der von der besonderen Verbindlichkeit seiner Memoranden für die US-Exekutive
ausging, kannte die Diskussion um erfolglose Verhörmethoden und wusste, dass die Exekutive und
die politische Führung härtere Verhörmethoden wünschte. Er unternahm in dem schließlich von J.B.
für das OLC unterschriebenen so genannten Folter-Memorandum gar nicht erst den Versuch, derartige härtere Verhörsfolter an den Grundsätzen des Völkerrechts zu messen oder den völkerrechtlichen Meinungsstand zu den aufgeworfenen Fragen aufzuklären. Vielmehr machte er sich daran,
den Folterbegriff in den Sektionen 2340-2340A der 18 Titel des US-Codes einer eigenen historischen und lexikalischen Wortlautauslegung zu unterziehen. So kam er für die Beantwortung der
herangetragenen Frage zu dem Ergebnis, die Strafvorschrift zur Ahndung von Folter nach 18 U.S.C.
Sec 2340-2340A sei auf die diskutierten härteren Verhörsmethoden nicht anwendbar, weil diese
nicht als Folter im Sinne des Gesetzes anzusehen seien. In J.Y.s und J.B.s Memorandum wird die
juristische Definition von Folter extrem eng ausgelegt. Wenn dem Opfer körperliche Schmerzen
zugefügt würden, handele es sich nur dann um Folter, wenn diese „bis zum Tod, zum Organversagen oder zur dauerhaften Schädigung einer wichtigen Körperfunktion“ führten. Seelische Schmerzen „müssen zu wesentlichen seelischen Schäden von beträchtlicher Dauer führen, d.h. sie müssen
Monate oder gar Jahre anhalten“. Auf das völkerrechtliche Verbot unmenschlicher, grausamer und
degradierender Behandlung geht das Folter-Memorandum mit keinem Wort ein.
In dem Memorandum heißt es zudem, es sei unangemessen, irgendeine Methode für unzulässig zu
erklären. Denn jeder Versuch einer gesetzlichen Einflussnahme auf das Recht des Präsidenten der
USA, über die Art der Kriegsführung zu entscheiden, sei verfassungswidrig:
„Als dem Oberbefehlshaber steht dem Präsidenten das verfassungsmäßige Recht zu, Verhöre feindlicher Kämpfe anzuordnen, um über die Absichten des Feindes geheime Informationen zu erlangen“.
191
vgl. das Memorandum vom 22. Januar 2002 zur Application of Treaties and Laws to Al Qaeda
and Taliban Detainees.
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Diese Befugnis „gilt zumal mitten in einem Krieg, in dem die Nation schon einem unmittelbaren
Angriff ausgesetzt war; …unter Umständen lassen sich nur durch erfolgreiche Verhöre die erforderlichen Informationen beschaffen, um terroristische Angriffe gegen die USA und ihre Bürger zu verhindern. Der Kongress darf sich in die Methoden des Präsidenten zur Befragung feindlicher Kämpfer
ebenso wenig einmischen, wie er dem Präsidenten strategische oder taktische Entscheidungen auf
dem Schlachtfeld vorgeben darf“.
Falls ein Vernehmungsoffizier später der Folter angeklagt würde, habe er außerdem zwei Möglichkeiten, sich zu verteidigen. Er könne geltend machen, dass die Folter nötig war, um einen terroristischen Angriff zu verhindern oder dass sie der Selbstverteidigung gedient habe.
Die Diskussionen entzündeten sich vor allem an dem Fall des Anzeigenerstatters M.Q.. Schon im
frühen September 2002 kam es zu erheblichen Auseinandersetzungen um die Vernehmungen von
M.Q.. So wurde vorgeschlagen, ihn in ein Land wie Ägypten oder Jordanien zu verbringen, wo er
nach härteren Methoden vernommen werden konnte als in Guantánamo. Da aber bei diesem Plan
keine Einigung erzielt werden konnte, wurde im Verlauf des Septembers 2002 ein eigener Vernehmungsplan für M.Q. entwickelt. Dieser sah den Einsatz von „coercive“, Zwangsmaßnahmen und
missbräuchlichen Techniken vor.
Es gab ein Programm namens SERE (Survival, Evation, Resistance and Escape) , welches ursprünglich dafür vorgesehen war, Angehörige von US-Spezialkräften zum Widerstand gegenüber Foltertechniken zu trainieren - für den Fall, dass sie gefangen genommen würden. Nachrichtendienstler
kamen auf die Idee, diese SERE- Techniken nunmehr in Guantánamo an gefangengenommenen
Verdächtigen anzuwenden. Dieses Vorgehen wurde von Oberst B.M. und seinem Agenten M.F. als
unzweckmäßig und falsch abgelehnt. Beide schätzten die angewandten Techniken darüber hinaus
als illegal ein und wiesen daher im September 2002 ihre Agenten schriftlich an, sich nicht an Vernehmungen zu beteiligen, in denen Zwang, insbesondere aber SERE-Techniken angewandt werden.
B.M. und M.F. gaben darüber hinaus an, dass sie mit dem damaligen Oberkommandierenden von
Guantánamo, General M.D., über ihre rechtlichen Bedenken gesprochen hätten. Weiterhin hätten
sie im August und September 2002 beinah wöchentlich mit dem Chefjuristen des Pentagon, dem
Beschuldigten W.H. III, gesprochen. Dort hätten sie argumentiert, dass der M.Q.-Plan nicht nur
illegal sei und keine verlässlichen Ergebnisse bringe, sondern darüber hinaus nicht notwendig sei.
In diese Debatte über die Vernehmungsmethoden bei M.Q. fiel ein Besuch der hier Beschuldigten
A.G., D.A., W.H. III und J.Y. sowie von T.F., L.T. und C.W.. Sie trafen sich mit dem Oberkommandierenden M.D. und seinem Stab - ohne allerdings mit den Vernehmungsbeamten zu sprechen, die
illegale Zwangsmethoden ablehnten.
Kurz darauf, am 11.10.2002, übersandte General M.D. einen formalen Plan für die Befragung M.Q.s
an seinen Vorgesetzten, den Oberkommandierenden des United States Southern Command, General J.H.192. Dieser leitete den Plan am 25.10.2002 an die „Joint Chiefs of Staff“ in Washington“193
weiter. Der Befragungsplan sah insgesamt 19 Anti-Widerstandstechniken vor, die nicht im so genannten Army Field Manual erfasst sind. Diese Techniken beinhalten:
1. Kategorie I
Schreien, Irreführung, Einsatz verschiedener Verhörsbeamten, Verschleiern der Identität
des Verhörs (so als ob dies in einem Land stattfände, das seine Gefangenen hart behandelt);
2. Kategorie II
Stresspositionen (wie stundenlanges Stehen), das Verwenden gefälschter Dokumente oder
Berichte, Isolation für 30 Tage oder länger, Verhöre außerhalb der Verhörzelle, Entzug von
Licht und Geräuschen, Verhüllen, Verhöre bis zu 20 Stunden ohne Unterbrechung, Entzug
aller Gegenstände, die Komfort ermöglichen (einschließlich religiöser Gegenstände), Wechsel von warmem Essen zu vorbereiteten Mitärmahlzeiten, Wegnahme der Kleidung, erzwungenes Haarschneiden und erzwungenes Rasieren, Ausnutzen von Phobien (wie der
Angst vor Hunden), um Stress zu erzeugen; und
192
193
Greenberg/Dratel, S. 225
Greenberg, Drattle, S. 223
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3. Kategorie III
Dem Gefangenen wird suggeriert, dass ihm oder seiner Familie der Tod oder die Zufügung
von Schmerzen unmittelbar bevor stünde, Einsatz von Kälte oder Wasser, Einsatz von weichem, nicht-verletzenden Körperkontakt, Benutzung eines nassen Handtuchs oder Eintauchen ins Wasser, um Ertränken oder Ersticken zu simulieren.
Im frühen November 2002 wird die Anwendung dieser Techniken vom Southern Command in Miami
bestätigt. Am 23.11.2002 beginnen die militärnachrichtendienstlichen Befrager diese Techniken an
M.Q. anzuwenden. Die Einzelheiten der Befragung von M.Q. ergeben sich aus der nachfolgend geschilderten genauen Aufschlüsselung der Techniken. Im Prinzip hatte aber die aggressive Befragung von M.Q. bereits am 01.10.2002 begonnen.
Jedenfalls wurde er in den darauf folgenden 54 Tagen insgesamt 48 Tage lang 18 bis 20 Stunden
pro Tag vernommen. In Folge der Befragungen musste er am 07.12.2002 wiederbelebt werden, als
sein Herzschlag auf 35 Schläge pro Minute fiel. Einzelheiten werden nachfolgend mitgeteilt.
Am 27.11.2002 äußerten sich auch FBI-Beamte in einem Report dahingehend, dass Teile des Planes durch die US-Verfassung nicht erlaubte Zwangsmaßnahmen beinhalteten und andere Teile
möglicherweise den Tatbestand der Folter erfüllten.
Am 02.12.2002 unterschrieb der Beschuldigte D.R. ein Memorandum, in dem die meisten der vorgeschlagenen Techniken für die Anwendung bei M.Q. und anderen bestätigt wurden.
In den darauf folgenden Befragungen gab M.Q. mehrfach die ihm vorgeworfenen Handlungen zu
und nahm anschließend die Geständnisse wieder zurück. Nach Aussagen seiner Anwältin sei er
während seiner Befragungen physisch und psychisch gebrochen worden.
Der in der Zwischenzeit als Oberkommandierender von Guantánamo neu ins Amt gekommene Beschuldigte Generalmajor G.M. bestätigte die Techniken.
Daraufhin kam es zu einem weiteren heftigen Streit zwischen G.M. auf der einen Seite sowie B.M.
und M.F. auf der anderen Seite. Schließlich wandte sich der Direktor des Naval Criminal Investigative Service am 17.12.2002 an A.M., den Chefjuristen der 118 Marine (Navy), informierte diesen
über die auf Guantánamo angewandten Vernehmungsmethoden und bat ihn um Mithilfe. A.M.
wandte sich daraufhin in mehreren Gesprächen an verschiedene weitere Regierungsjuristen, insbesondere und vor allem an den Beschuldigten W.H., der auf die mehrfachen, insistierten Anfrage
von A.M. schließlich reagierte und auf die Androhung einer Veröffentlichung eines Memorandums
durch A.M. diesem gegenüber behaupte, dass die illegalen Techniken nunmehr zurück genommen
würden.
Dies war nur teilweise richtig, da D.R. zwar seine Blankettunterschrift unter den härtesten der
Techniken zurücknahm, aber diese doch im Einzelfall für genehmigungsfähig hielt. Es wurde die
Arbeitsgruppe eingesetzt und schließlich im März 2003 von D.R. unter Geheimhaltung wieder 24
Techniken zugelassen, darunter Isolation, Manipulation der Umgebung, Schlafentzug u.a.
Vor diesem Hintergrund entwickelten das Pentagon und seine Rechtsberater zwischen Oktober
2002 und April 2003 auf entsprechende Anfragen Richtlinien über in Guantánamo erlaubte Vernehmungsmethoden sowie eine Liste von Verhörtechniken. Regierungsbeamte erklärten gegenüber
dem Wall Street Journal: „Wir brauchten eine weniger verkrampfte Vorstellung davon, was Folter
ist und was nicht.“ In einem Memorandum vom 11.10.2002 schrieb Leutnant Oberst J.P. an seine
Vorgesetzten: „Problem: Die derzeitigen Richtlinien für die Vernehmungsmethoden in GTMO beschränken die Möglichkeiten der Vernehmungsbeamte, anspruchsvollen Formen des Widerstands
zu begegnen.“ Schuld an ihren Schwierigkeiten war der offizielle Regelkodex für Vernehmungen
beim Militär, bekannt als Feldhandbuch 34-52. Denn dieses beginnt mit einem eindeutigen Verbot
von Techniken der Gewaltanwendung: „Die Anwendung von Gewalt, psychische Folterung, Drohungen, Beleidigungen oder eine unangenehme und unmenschliche Behandlung jeglicher Art sind
durch Gesetz verboten und werden von der Regierung der USA weder gestattet noch stillschweigend geduldet“. Diese Handlungsweisen seien unwirksam, denn „die Anwendung von Gewalt ist
keine gute Technik, weil sie unzuverlässige Ergebnisse liefert, spätere Bemühungen um die Gewinnung von Informationen unter Umständen beeinträchtigt und die betroffene Person veranlassen
kann, auszusagen, was der Vernehmungsbeamte hören will.“ Eine Reaktion auf dieses Dokument
von J.P. ist ein Schreiben des Beschuldigten, Verteidigungsminister D.R., der erklärt, dass er das
Thema mit seinem Stellvertreter P.W., Staatssekretär D.F. sowie dem Vorsitzenden der Vereinigten
Stabschefs, R.M., erörtert habe. Er sei bereit, alle Techniken der so genannten zweiten Kategorie
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zuzulassen, einschließlich Zwangsrasieren, Hunde, Ersetzung warmer Mahlzeiten durch kalte Feldrationen, Entfernung jeglichen Komforts, sogar der Koranexemplare, und Stresspositionen.
Am 16.04.2003 fertigte der Beschuldigte D.R. seine überarbeitete Liste von widerstandsbrechenden
Techniken für die Vernehmungsbeamte. Auf der neuen Liste standen nunmehr alle psychologischen
Methoden und „negativer Szenenwechsel – Transfer des Häftlings aus dem normalen Befragungsmilieu in ein weniger angenehmes Milieu“ sowie „Beeinflussung durch Ernährung“, sprich: Entzug
der regelmäßigen Mahlzeiten. Alle Einrichtungsgegenstände, der Koran eingeschlossen, sollten den
Gefangenen weggenommen werden können. Von Stresspositionen war keine Rede, aber der Einsatz von Schlafanpassung war erlaubt - was soviel bedeutet wie „Veränderung der Schlafzeiten des
Häftlings, z.B. Verschiebung der Schlafzyklen von der Nacht auf den Tag“.
Am 14. September 2003 autorisierte ein von dem Beschuldigten Generalleutnant R.S. unterzeichnetes Memorandum 29 Verhörmethoden. 12 davon liegen weit über dem, was durch das Feldhandbuch der Armee für zulässig erachtet wird (darin enthalten: die Verwendung von Hunden, „Stresspositionen“ und die „Manipulation des Umfeldes“ des Gefangenen, das Verwenden „unangenehmer
Gerüche“ oder das Stören der Schlafgewohnheiten). Im Oktober 2003 wurde dieses Memorandum
durch ein anderes ersetzt, wozu das Verteidigungsministerium seine Zustimmung gegeben hatte.
Im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Terrorismus führte das zu weit reichenden Misshandlungen von Gefangenen. Im März 2005 veröffentlichte der Ausschuss des Auswärtigen Amtes
des britischen Parlaments einen Jahresbericht, indem festgehalten wurde, dass „Vertreter der Vereinigten Staaten grobe Menschenrechtsverletzungen an Personen, die in verschiedenen Einrichtungen im Irak, Guantánamo Bay und Afghanistan gefangen gehalten worden waren“, begangen hätten.
Erst am 30. Dezember 2004 veröffentlichte das Büro des Rechtsberaters des Justizministeriums ein
neues, gültiges Memorandum (das so genannte „Levin-Memorandum“). Darin war eine neue Definition von Folter als Ersatz des viel kritisierten J.Y./ J.B.-Memorandums vom August 2002 enthalten.
Dieses Memorandum diente für mehr als zwei Jahre als Richtschnur des Verteidigungsministeriums,
um „aggressive“ Verhörpraktiken, d.h. Praktiken, die den Tatbestand eines Kriegsverbrechens erfüllten, zu rechtfertigten. Es wurde anlässlich des Erscheinens des damalige Beraters des Weißen
Hauses, des Beschuldigten A.G., vor dem Rechtsausschuss des Senats in der darauf folgenden Woche veröffentlicht. Das Levin-Memorandum bestätigte, dass hochrangige US-Beamte der USRegierung eine Definition von Folter zur Verfügung gestellt hatten, die gegen innerstaatliches sowie
auch internationales Recht verstieß. Das Levin-Memorandum griff allerdings weder das Verbot der
grausamen, unmenschlichen und entwürdigenden Behandlung nach der UN-Anti-Folterkonvention
noch das Verbot der unmenschlichen Behandlung nach der Genfer Konvention auf.
Eine darin enthaltene Fußnote sollte darüber hinaus Vorkommnisse verschleiern und gemäß dem
Memorandum aus dem August 2002 an Folter beteiligte US-Beamte entlasten. Sie besagt, dass die
angewandten Verhörtechniken und die Anweisungen hoher Beamter, die Behandlung von Gefangenen betreffend, mit dem neuen Memorandum nicht im Widerspruch stünden. Das Memorandum
legt weiterhin fest, dass diese Beamten nicht wegen der Anordnung von Folter angeklagt werden
können, auch wenn sie in Übereinstimmung mit dem vorherigen Memorandum gehandelt haben
und dieses nun auch offiziell als rechtlich falsch verworfen wurde. Fußnote 8 lautet wie folgt: „Aufgrund offenkundiger Widersprüche das Memorandum aus August 2002 betreffend haben wir die
Rechtsmeinung bezüglich die Gefangenenbehandlung überdacht und sind zu dem Schluss gelangt,
dass die Beurteilung nach den dargelegten Standards des neuen Memorandums nicht anders ausfallen würde.“
In der Fußnote wird festgehalten, dass die offizielle Meinung betreffend die Behandlung von Gefangenen unter Hinweis auf das vorherige Memorandum neu beurteilt wurde. Diese stelle keinen Verstoß gegen das neue Memorandum dar. Die New York Times drückte es so aus: Gemäß den Beamten sei „die Fußnote so zu verstehen, dass nötigende Techniken, die durch das Justizministerium
unter einer lockereren Interpretation der Folterstatuten gebilligt worden waren, nach der neuen,
eingeschränkten Interpretation noch immer rechtmäßig“ seien.
Im Jahre 2006 wurde R.G., ein Spitzenbeamter für Terrorismusbekämpfung der CIA, entlassen,
„weil er sich gegen die Inhaftierung von Al Qaida-Verdächtigen in ausländischen Geheimgefängnissen, gegen die Überstellung von Gefangenen zum Zwecke der Vernehmung in andere Länder und
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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gegen die Anwendung von Folter wie beispielsweise das „water-boarding“ ausgesprochen hatte.“194
4.1.3. Menschenrechtswidrige Praktiken auf Guantánamo
Ende 2002 und Anfang 2003 führte der Beschuldigte Generalmajor G.M. eine Reihe von Techniken
auf Guantánamo ein, um Inhaftierte so zu zermürben, dass verwertbare nachrichtendienstliche
Informationen gewonnen werden konnten. Dazu gehörten der Schlafentzug, die ausgeweitete Isolation, simulierte Ertränkungen und das erzwungene Stehen und Liegen in Stresspositionen. Bei
den späteren Senatsanhörungen wurde bekannt, dass der Beschuldigte D.R. G.M. den Gebrauch
dieser Taktiken erlaubt hatte - inklusive des Aussetzens in extrem kalten und warmen Temperaturen, Schlafentzug und Stresspositionen für längere Zeiten. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von
Zeugenaussagen von auf Guantánamo gefangen gehaltenen Personen. Sie schildern entwürdigende
Behandlungen, Schläge und sexuelle Beleidigungen. Sie waren gezwungen worden, bis zu zwölf
Stunden an einem Stück in Stresspositionen auszuhalten, was tiefe Fleischwunden und Vernarbungen verursachte. Die Klimaanlage wurde zeitweilig auf extrem kalte Temperaturen eingestellt, während bei Stroboskoplicht laute Musik gespielt wurde. Inhaftierte wurden extrem kalten und warmen
Temperaturen ausgesetzt, um sie leiden zu lassen. Sie wurden für 24 Stunden am Tag in Käfigen
gehalten, ohne eine Möglichkeit der Bewegung oder der Reinigung zu erhalten. Es wurde ihnen der
Zugang zu medizinischer Versorgung versagt sowie adäquate Ernährung vorenthalten. Ihnen wurde
Schlaf entzogen sowie die Kommunikation mit Familie und Freunden unmöglich gemacht. Ihnen
wurde jegliche Informationen über ihren Status versagt.195
Am 5.Mai 2004 enthüllte ein von der American Civil Liberties Union (ACLU) beigeschafftes FBIMemorandum, dass ein Agent der Meinung war, dass das „Verhüllen von Gefangenen, die Drohung
mit Gewalt und die Anwendung von illegalen Techniken an Gefangenen“ von höchster Stelle innerhalb des Verteidigungsministeriums gebilligt worden war.
Im Juni 2005 übergab das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) dem Weißen Haus
einen vertraulichen Bericht, der die Vereinigten Staaten beschuldigte, auf Guantánamo ein System
eingeführt zu haben, das „erdacht wurde, um den Willen der Gefangenen zu brechen, indem sie
erniedrigt, isoliert, extremen Temperaturen ausgesetzt und in Stresspositionen gehalten“ wurden.
Das IKRK bezeichnete dieses auf Guantánamo eingeführte System als „gleichbedeutend mit Folter“.
Etliche Berichte enthüllten eine Reihe von Verhörpraktiken, die als gleichbedeutend mit Folter sowie
grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung anzusehen sind. FBI-Agenten sagten
als Zeugen aus, dass: weibliche Verhörbeamte die Genitalien männlicher Gefangener quetschten,
Gefangene entkleidet und für mehrere Stunden an den Boden gefesselt wurden sowie Gefangene in
israelische Flaggen eingehüllt und pornographisches Filmmaterial mit homosexuellen Darstellungen
vorgeführt wurde.
Einer der ersten Häftlingen, der Folter und Missbrauch ausgesetzt war, ist M.Q.. Laut eines von der
Regierung freigegebenen Vernehmungslogbuchs wurde M.Q. 160 Tage in einer sehr kleinen Zelle,
nur mit künstlichem Licht ausgestattet, in Isolationshaft gefangen gehalten. Er wurde an 48 von 54
Tagen für die Dauer von 18 bis 20 Stunden vernommen. Er wurde entkleidet, musste mit gespreizten Beinen vor weiblichen Wachen stehen und wurde von diesen verspottet (sog. „invasion of space
by a female“). Er wurde gezwungen, Frauenunterwäsche auf seinem Kopf zu tragen und einen BH
anzuziehen; er wurde mit Hunden bedroht und an einer Leine geführt; seine Mutter wurde als Hure
bezeichnet. Im Dezember 2002 wurde M.Q. Ziel einer vorgetäuschten Entführung. Es wurde ihm
Wärme vorenthalten, eine große Menge an intravenösen Lösungen verabreicht, ohne Zugang zur
Toilette zu haben, sowie der Schlaf über 3 Tage hinweg entzogen. Einmal fiel sein Herzschlag auf
35 Schläge pro Minute, woraufhin er an einen Herzmonitor angeschlossen wurde.
Ärzte von „Human Rights Watch“ berichteten, dass „die Vereinigten Staaten seit dem Jahr 2002
systematisch in die Anwendung psychologische Folter von Guantánamo-Häftlingen verwickelt waren“. Es wurde ebenfalls berichtet, dass diese Praktiken „zu verheerenden Gesundheitsfolgen jedes
einzelnen führen“ könnten. Die Ärzte erklärten weiter, dass „weibliche Vernehmungsbeamte ihre
194
Gellman, Barton and Linzer, Dafna. "Top Counterterrorism Officer Removed Amid Turmoil at
CIA", Washington Post, February 7, 2006; Baxter, Sarah and Smith, Michael. "CIA chief sacked for
opposing torture", Times Online, February 12, 2006
195
Center for Constitutional Rights, Report of Former Guantánamo Detainees,
http://www.ccrny.org/v2/reports/docs/Gitmo-coMpositestamentFINAL23july04.pdf
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Sexualität offen zur Schau stellten und Gefangene unter der Vorgabe, dass es sich dabei um
Menstruationsblut handeln würde, mit roter Farbe beschmierten, um die Muslime auf diese Weise
zu demütigen“. Darüber hinaus berichteten Ärzte, dass sie gebeten wurden, Verhöranordnungen zu
billigen; die Teams des psychologischen, psychiatrischen Dienstes wussten von Misshandlungen,
unterließen es jedoch, darüber zu berichten. Frühere Vernehmungsbeamte „sagten aus, dass
Psychologen und Psychiater sie darin unterwiesen, Schwächen wie beispielsweise Angst vor dem
Dunkeln zu nutzen seien, um Gefangene zur Kooperation zu zwingen“.
Das Pentagon bestätigte, dass es 5 dokumentierte Fälle von „Misshandlungen“ des Korans gegeben
hatte. Etliche aus Guantánamo entlassene pakistanische Gefangene behaupteten, dass „sie sahen,
wie amerikanische Vernehmungsbeamte auf Koranexemplare traten, diese umher warfen oder zerrissen“.
Berichte über Misshandlungen wurden ebenfalls aus Niederschriften von Anhörungen vor einem
militärischen Ausschuss auf Guantánamo veröffentlicht. Ein Häftling behauptete darin: „Amerikaner
haben mich dermaßen stark geschlagen, dass ich vermute, dass ich sexuell gestört bin. Ich weiß
nicht, ob ich im Stande sein werde, mit meiner Frau zu schlafen. Ich kann meinen Harndrang nicht
kontrollieren, und manchmal lege ich Toilettenpapier da unten ein, um mich nicht nass zu machen“.
In Guantánamo kam es zu etlichen Hungerstreiks, um gegen den Misshandlungen und die unbefristete Haft zu protestieren. Anwälte der in den Hungerstreik getretenen Gefangenen haben zum wiederholten Male das US-Militär beschuldigt, Kanülen ohne Narkose als Teil des „force-feedingprocess“ gewaltsam durch die Nase in den Magen eingeführt zu haben“. Dieser Vorgang führte bei
den Gefangenen zu Würgereflexen sowie zu Erbrechen und Blutungen. US-Ärzte sind an den Artikel
5 der World Medical Association Tokyo Declaration von 1975 gesetzlich gebunden, der Zwangsernährung von Personen unter allen Umständen verbietet. Die UN-Menschenrechtskommission bezeichnete die Zwangsernährung in Guantánamo als mit Folter vergleichbar. Ein GuantánamoHäftling, F.O., beschreibt dies so: „Als ich nach Guantánamo kam, wurde ich gefoltert und verprügelt. Als ich mit dem Hungerstreik begann, misshandelten sie uns schrecklich. Sie haben immer
wieder Kanülen gelegt und sie dann wieder entfernt. Falls ich mich dagegen wehren oder versuchen
sollte, die Kanülen herauszureißen, würden sie mich fixieren, meinen Kopf nach hinten drücken und
mir noch mehr Schmerzen zufügen. Es war sinnlos, sich zu widersetzen.“
Ein Mann wurde mit der chemischen Keule behandelt, weil er sich geweigert hatte, eine Zellendurchsuchung durchführen zu lassen. Zellendurchsuchungen wurden zeitweilig dann durchgeführt,
wenn die Strafgefangenen beteten (vgl. Human Rights Watch, a.a.O., S. 15-17). Inhaftierte wurden mit Hunden bedroht. Inhaftierte wurden dazu gezwungen, sich nackt auszuziehen, sich in dieser Position fotografieren und mehrfach körperlich durchsuchen zu lassen. Kurz vor März 2004
wurden Strafgefangene zu einem so genannten „Romeo“-Block gebracht. Dort wurden sie komplett
ausgezogen. Nach drei Tagen wurde ihnen die Unterwäsche gegeben, nach drei weiteren Tagen ein
Oberteil und nach drei weiteren Tagen wurde ihnen versprochen, die Hose zurückzugeben. Einige
Leute erhielten lediglich ihre Unterwäsche zurück - als Bestrafung für ihr Fehlverhalten. Es gibt
Berichte über zwei Tote im Zusammenhang mit Folter und der Androhung von Folter.196
Am 16.Februar 2006 veröffentlichten fünf Berichterstatter der Vereinten Nationen einen Bericht, in
dem festgestellt wurde, dass das Gefängnis ein „Foltercamp“ sei und die US-Regierung aufgefordert wurde, die Hafteinrichtungen in Guantánamo Bay zu schließen sowie „von Praktiken wie Folter
oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung Abstand zu nehmen.“.
4.1.4. Der Export illegaler Vernehmungsmethoden von Washington und Guantánamo
nach Irak
Nach dem Einmarsch US-geführter Truppen im Irak stellte sich auch bezüglich dieses Kriegsschauplatzes für die politischen wie militärischen Verantwortlichen in Washington und Bagdad die Frage,
wie mit Kriegsgefangenen und so genannten „ungesetzlichen Kämpfern“ umgegangen werden sollte. Im Mittelpunkt stand wie schon in Guantánamo Bay das Interesse der Verantwortlichen, schnell
an verwertbare Informationen von Gefangenen zu kommen. Ein Bericht des Internationalen Komitees des Roten Kreuz vom November 2004 besagt, dass die schlechte Behandlung Gefangener
196
Brief von Moazzam Begg, datiert auf den 12. Juli, 2004,
http://www.ccrny.org//v2/reports.asp?ObjID=qTpzEKtEPc&Content=446
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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durch Militärpersonal im Irak nicht außergewöhnlich war, sondern in Hinsicht auf Personen systematisch erfolgte, wenn diese im Zusammenhang mit mutmaßlichen Sicherheitsverstößen verhaftet
wurden oder die einen „geheimdienstlichen Wert" besaßen. Dazu zählten insbesondere jene menschenrechtswidrigen Verhörpraktiken, die bereits in Guantánamo Bay angewandt wurden. Der Export dieser Vernehmungsmethoden in den Irak und deren gezielte Anwendung in dem Militärgefängnis Abu Ghraib und anderen Gefangeneneinrichtungen erfolgte durch eine Reihe von Memoranden und Anweisungen, in deren Ausarbeitung und Umsetzung laut dem Schlesinger-Bericht die
gesamte militärische Kommandokette involviert war. Sie reicht über die Beschuldigten Generalleutnant R.S. und Generalmajor G.M. bis ins Büro des US-Verteidigungsministers D.R..
Im August 2003 ordnete der Beschuldigte D.R. selbst gegenüber seinem höchsten Mitarbeiter in
nachrichtendienstlichen Fragen, dem Beschuldigten S.C., an, den Beschuldigen Generalmajor G.M.,
der als Oberbefehlshaber die Aufsicht über die Vernehmungen in Guantánamo Bay hatte, in den
Irak zu entsenden, um „die Möglichkeit prüfen, im Irak Internierte schnell für verwertbare Informationen auszunutzen”.197 Generalmajor G.M. wurde damit beauftragt, die Verhörpraktiken im Irak
denen in Guantánamo anzupassen (so genanntes gitmo-izing), was direkt zur Verwirrung über die
zugelassenen Verhörspraktiken beitrug. Obwohl die G.W.B.-Administration einerseits zugab, dass
die Genfer Konventionen im Irak „vollständig anzuwenden" seien, vertrat sie zugleich die Auffassung, dass dies nicht auf die Al-Qaida-Häftlinge in Guantánamo zutreffe.198 Die für Guantánamo
zugelassenen besonderen illegalen Techniken wurden auf diese Weise in den Irak exportiert – so
etwa auch der Einsatz von Hunden und das Auskleiden.199 Der Beschuldigte D.R. stimmte so einem
Programm für die Anwendung der Gewalt bei Verhören von Häftlingen im Irak zu, das ursprünglich
als spezielles Zugriffsprogramm für Al-Qaida Verdächtige gedacht war.200 D.R. entschied, diese
Maßnahme nicht dem US-Kongress bekannt zu geben.201
Auch nachdem der Abu Ghraib-Skandal öffentlich geworden war, hielt D.R. an seiner Einstellung
zur lediglich fakultativen Anwendbarkeit der Genfer Konventionen fest. Am 5. Mai 2004 bemerkte
der Beschuldigte D.R. in einem Fernseh-Interview, dass die Genfer Konventionen im Irak „nicht
genau zuträfen", sondern lediglich „Grundregeln" im Umgang mit Gefangenen seien.202
Der Beschuldigte D.R. „befahl Militärangehörigen im Irak im November 2003, einen Häftling nicht
auf der Insassenliste zu führen, um das Internationale Komitee des Roten Kreuzes davon abzuhalten, seine Behandlung zu überwachen, was einen Verstoß gegen internationales Recht darstellt".
Außerdem werden Berichten zufolge Gefangene in mindestens einem Dutzend Einrichtungen festgehalten, die im Geheimen operieren und so vor der Überwachung des Roten Kreuzes versteckt.”203
Der Beschuldigte G.T., forderte im Oktober 2003, dass D.R. die geheime Verwahrung von H.R.
anordne.204
Auch das Pentagon selbst hat eingestanden, dass der Beschuldigte D.R. bei mindestens einem
Häftling persönlich angeordnet habe, dass dieser vor dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes geheim zu halten sei. Auch der Schlesinger-Bericht notiert, dass der Beschuldigte D.R. öffentlich erklärt habe, er habe auf Bitte des Direktors der CIA angeordnet, einen Häftling im Geheimen
festzuhalten.205 Einem Human Rights Bericht zufolge hat D.R. zudem zugegeben, dass es auch
noch andere Fälle gab, in denen Gefangene an geheimen Orten verwahrt wurden.206
Während D.R. selbst die politischen Fäden zog, überliess er die Einzelheiten zumeist seinem Unterstaatssekretär für Nachrichtendienst im US-Verteidigungsministerium, dem Beschuldigten S.C..
197
Vgl. Taguba-Bericht, S. 7.
Human Rights Watch, a.a.O., S. 32.
199
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 14, 36; Fay/Jones-Bericht S. 87-88 zur Verbreitung von Verhörtechniken von Guantánamo nach Afghanistan und Abu Ghraib.
200
Seymore Hersh, The Grey Zone, The New Yorker, 25. Mai 2004.
201
Siehe den Artikel von Bart Gelman in der Washington Post vom Januar 2005.
202
Human Rights Watch, a.a.O., S. 7.
203
Eric Schmitt und Tom Shanker, D.R. Issued an Order to Hide Detainee in Iraq, The New York
Times, 17. Juni 2004; D.R., at G.T.’s Request, Secretly Held Suspect in Iraq, Wall Street Journal,
17. Juni 2004.
204
Defense Department Regular Briefing, 17. Juni 2004; Dana Priest, Memo Lets CIA Take Detainees out of Iraq, Washington Post, 24. Oktober 2004.
205
Human Rights First, a.a.O., S. 12; vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 87.
206
Getting Away with Torture? Command Responsibility for the U.S. Abuse of Detainees. Human
Rights Watch, April 2005 Vol. 17, No. 1(G), S. 39.
198
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Diese Position wurde von D.R. nach seiner Ernennung zum US-Verteidigungsminister neu geschaffen. S.C. ist der höchste USMilitärnachrichtenbeamte und einer der engsten Berater des Verteidigungsministers. Seine Aufgabe besteht in der Koordination der nachrichtendienstlichen Informationen des Verteidigungsministeriums sowie die Entwicklung von Plänen, Programmen, Anforderungen
und die Quellenfindung, die Überwachung der Nachrichtenbeschaffung sowie die Einbeziehung in
Informationsoperationen mit Konzentration auf Einschätzung zur Unterstützung von Operationen.
Daher spielte S.C. eine zentrale Rolle bei der Organisation geheimer Vernehmungsoperationen. Als
Koordinator der geheimdienstlichen Aktivitäten im Verteidigungsministerium war er auch für die
Organisation und Überwachung von Nachrichtenbeschaffungen im Irak verantwortlich. Autorisiert
von D.R. beauftragte S.C. G.M., die von diesem in Guantánamo erprobten illegalen Verhörmethoden auch im Irak einzuführen. Als die Misshandlungen von irakischen Gefangene in Abu Ghraib
aufgedeckt wurden, stand der Unterstaatssekretär im Zentrum der militärbürokratischen Kommandokette, die die Verhöre überwachte.
Einen wesentlichen Beitrag der in Guantánamo praktizierten Methoden und zum Einsatz illegaler
Verhörpraktiken im Irak leistete der Beschuldigte G.M.. Wie bereits erwähnt, wurde Generalmajor
G.M., der als Kommandeur der Joint Task Force-Guantánamo (JTF-Guantánamo) die Aufsicht über
die Vernehmungen in Guantánamo Bay innehatte, auf Anweisung von US-Verteidigungsminister
D.R. im August 2003 von den Joint Chiefs of Staff in den Irak beordert. Dort war er als stellvertretender kommandierender General zuständig für die inhaftierten Personen im Irak. G.M.s Mission
bestand jedoch vor allem darin, die Möglichkeiten zu erkunden, von den im Irak Gefangenen verwertbare Informationen für die militärische und politische Führung in den USA zu gewinnen. G.M.s
Versetzung nach Abu Ghraib zum Aufbau einer leistungsstarken Verhör-Polizei hatte entscheidenden Anteil an der Durchsetzung menschenrechtswidriger Verhörpraktiken. In der Folge wurden in
den irakischen Gefangenenlagern Haft- und nachrichtendienstliche Funktionen weitgehend integriert und die Vernehmungsmethoden einer neuen Bestandsaufnahme und Bewertung unterzogen.
G.M. übergab seine taktische Richtlinien für Guantánamo vom 16. April 2003 nach seiner Ankunft
im Irak an die Combined Joint Task Force Seven (CJTF-7) unter dem Kommando des Beschuldigten
Generalleutnant R.S.. Er empfahl diese als mögliches Modell für eine kommandoweite Politik und
forderte eine starke, kommandoweite Verhörtaktik.
Der ebenfalls Beschuldigte Oberst T.P. gab im Schlesinger-Report zu den Misshandlungen in Abu
Ghraib zu Protokoll: „Taktiken und Verfahren“, die vom Gemeinsamen Verhör- und Einsatzzentrum
(Joint Interrogation and Debriefing Center) in Bezug auf Häftlingsoperationen festgelegt wurden,
wurden als spezifisches Ergebnis nach einem Besuch von Generalmajor G.M. erlassen.
Der Beschuldigte R.S., Kommandeur des Army Corps V (United States Army Europe) und der Combined Joint Task Force Seven (CJTF-7), autorisierte im Herbst 2003 die Anwendung jener grausamen und unmenschlichen Verhörmethoden gegenüber Gefangenen, die weit über die Armeevorschriften hinausgingen und gegen die Genfer Konventionen verstießen - darunter Isolation über
einen längeren Zeitraum, den Einsatz von Hunden, das Aussetzen extremer Temperaturen, die
Umkehrung der Schlafgewohnheiten, sensorische Angriffe, Stresspositionen, Fußfesseln, Entkleiden
unter Zwang sowie Manipulation der Nahrung. Als das Zentralkommando der Streitkräfte dessen
Septemberdirektive für zu aggressiv und in Teilen nicht mit geltenden Grundsätzen vereinbar erklärten, hob R.S. diese kurzerhand auf und erließ eine neue, nur unwesentlich entschärfte Version.
R.S. vertraute auf Anraten seines Staff Judge Advocate, des Beschuldigten M.W., darauf, dass er
die Befugnis habe, als Kommandierender an einem Kriegsschauplatz eine solche Direktive zu erlassen und Beschlüsse zu fassen, ob und wie die Gefangenen unter den Schutz der Genfer Konventionen zu stellen seien.
R.S. war aber nicht nur für die Zulassung der illegalen Vernehmungsmethoden verantwortlich, ihm
unterstand als Kommandeur auch das US-Militärpersonal, das die schweren Misshandlungen an den
Gefangenen und zahlreiche weitere Kriegsverbrechen beging. Der Schlesinger-Bericht listet im August 2004 allein rund 300 dokumentierte Fälle auf, von denen 155 untersucht worden sind. 55 der
Verbrechen waren Misshandlungen.
R.S. wusste von den Misshandlungen, die in Haftanstalten unter seinem Kommando geschahen und zwar spätestens seit Spätsommer 2003 durch den Ryder-Bericht und die Berichte des Internatinalen Komitees des Roten Kreuzes. R.S. besuchte im Jahre 2003 auch mehrmals das Gefängnis
Abu Ghraib und war angeblich sogar bei einigen Vernehmungen und/oder Vorfällen von Gefangenenmisshandlung anwesend. Er unterließ es aber, die Misshandlungen und andere Kriegsverbrechen
zu unterbinden. In den offiziellen Militäruntersuchungen wird dem Beschuldigten R.S. vorgeworfen,
dass er nichts unternommen habe, um die Situation in Abu Ghraib zu verbessern.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Der Schlesinger-Bericht schreibt die Verantwortung für die Misshandlungen der oberen Militärführung zu. Außerdem hätten Kommandeur R.S. und dessen Stellvertreter, der Beschuldige Generalmajor W.W., es versäumt, die Überwachung des Personals bei Haft und Vernehmungen sicherzustellen.
R.S. delegierte die Verantwortung für den Haftbetrieb weitgehend an seinen Stellvertreter, Generalmajor W.W.. W.W. hatte nicht nur direkt die gesetzeswidrigen Verhörmethoden autorisiert. Er
hatte in der militärischen Befehlskette auch jene Position inne, die ihn als Vorgesetzten für die von
dem ihm unterstellten Militärpersonal begangenen Misshandlungen unmittelbar verantwortlich
macht und aus der heraus er diese Misshandlungen hätte verhindern können. Nach einem Bericht
der Washington Post vom 26. Mai 2004 folgten die Verhörpläne, die den Einsatz von Hunden, Fußfesseln, die Entkleidung der Gefangenen oder ähnliche aggressive Maßnahmen vorsahen, zwar der
Politik von R.S., wurden aber oft von R.S. Stellvertreter W.W. oder dem ebenfalls Beschuldigten
Oberst T.P. genehmigt. Laut dem Fay/Jones-Bericht sagte die ehemalige Kommandeurin der USMilitärpolizei im Irak, J.K., aus, dass sie glaubte, sie werde von Generalmajor W.W. geführt. Er sei
es gewesen, von dem sie die ganze Zeit über, die sie im Irak war, Anweisungen erhalten habe.
Wie R.S. wusste auch Generalmajor W.W. von den Misshandlungen, die in verschiedenen Einrichtungen unter seinem Kommando stattfanden. Als das Rote Kreuz sich in einem Bericht über spezifische Fälle von Misshandlungen und Menschenrechtsverletzungen im Gefängnis Abu Ghraib beschwert hatte, gehörte nach Aussage von J.K. W.W. zu den Personen, die in einem Meeting den
Bericht ausgiebig diskutierten.
Der Beschuldigte Oberst T.P. hatte als Kommandeur der 205. Military Intelligence Brigade (MI Brigade) und Kommandeur von Abu Ghraib von November 2003 bis Februar 2004 die effektive Befehlsgewalt über diejenigen, die die Misshandlungen begingen. Der Tabuga-Bericht kommt zu dem
Schluss, dass T.P. verantwortlich für die Taten all seiner Untergebenen sei – nicht zuletzt, weil ihm
bekannt war, dass in Abu Ghraib Kriegsverbrechen stattfanden. Er besuchte selbst regelmäßig das
Gefängnis und verweigerte zweimal Teams des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes Zugang zu bestimmten Häftlingen. Am 4. November 2003 starb der irakische Häftling J. in Abu
Ghraib, während er in Handschellen mit dem Gesicht nach unten von einem CIA-Offizier und von
Marinesoldaten befragt wurde. Hauptmann D.R., Kommandeur der 372. Militärpolizei-Kompanie
sagte später aus, T.P. sei bei einer Gruppe von Geheimdienst-Mitarbeitern dabei gewesen, die um
den Körper eines blutigen Gefangenen herumstanden und darüber sprachen, was zu tun sei.
4.2. Die Folgen und Auswüchse des Folterprogramms: Todesfälle und Gefangenenmisshandlungen im US-Gewahrsam im Irak und in Afghanistan sowie Geistergefangene
und Rendition
Der frühere Verhörspezialist der US-Armee, T.L., spricht über seine eigene Beteiligung an Misshandlungen von Gefangenen im Irak und über die von Navy Seals angewandte Folter:
Es wurden strenge Verhörtechniken an Gefangenen im Irak angewendet einschließlich des Gebrauchs von Hunden, Schlafentzug, ausgedehnter Isolationshaft und der Nahrungsmanipulation.
Y.Q., ein Anwalt aus Mosul, wurde während seiner Gefangenschaft über Stunden hinweg mit lauter
Musik beschallt. Viele der Häftlinge berichteten, dass sie Ziel ähnlicher auditiver Folter durch USStreitkräfte geworden sind. Gemäß der Zeitung The Nation „werden die Gefangenen auf solch brutale Weise mit Musik beschallt, um sie so gefügig zu machen, ohne Hand an sie zu legen.“ Gefangene wurden zudem lautem, sich ständig wiederholendem Babygeschrei und Tierlauten ausgesetzt.
Viele Gefangene, die Ziel dieser auditiven Foltertechnik wurden, entwickelten posttraumatische
Belastungsstörungen.
Gemäß einem Regierungsdokument „erklärt ein ziviler Angestellter an Eides statt, dass er Zeuge
davon wurde, wie Marines Peroxid und Wasser auf offene Wunden irakischer Gefangener gegossen
haben.“ Mitglieder des 519. Militärgeheimdienstbatallions sollen eine irakische Frau angeblich gezwungen haben, sich während des Verhörs zu entkleiden.
A.A. ist ein 26-jähriger Iraker, der vom US-Militär beinahe ein Jahr lang an verschiedenen Orten,
u.a. in Abu Ghraib festgehalten wurde. Im Rahmen eines gegen Verteidigungsminister D.R. anhängigen Rechtsstreits (im Interesse A.A.s und sieben weiterer ehemaliger Gefangener vertreten durch
die ACLU und Human Rights First) wurde aktenkundig, dass A.A während der Verhöre bewusstlos
geprügelt wurde, dass auf ihn eingestochen wurde, er mit einem elektrischen Instrument geschockt
wurde, auf ihn uriniert wurde und er - mit verhülltem Kopf und entkleidet – in einer hölzernen,
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sargähnlichen Kiste eingesperrt wurde. Er sagte aus, dass ihm von seinen Kidnappern erklärt wurde, dass sie ihn, ohne eine Strafe fürchten zu müssen, umbringen könnten.
Die weit verbreiteten Misshandlungen von Gefangenen im Irak und unter US-Aufsicht haben an den
Toren von Abu Ghraib nicht halt gemacht. The Associated Press berichtete im März 2005, dass neu
veröffentlichte Regierungsdokumente besagten, dass der Missbrauch von Gefangenen in irakischen
Gefängnissen durch US-Streitkräfte weiter verbreitet war als ursprünglich angenommen. Ein Beamter stellte fest, dass Gefangene im Dezember 2003 in einer Haftanstalt nahe Mosul „systematisch
und zielgerichtet misshandelt wurden“. Das 311. Militärgeheimdienstbatallion der 101. Airborne
Division war für die Inhaftierungen verantwortlich. Diese Dokumente sind darum so bedeutend, da
sie die ersten dieser Art sind, die Misshandlungen in der Haftanstalt in Mosul offen legen und Foltervorwürfe erheben. The Associated Press legt dar, dass „Gefangene im Rahmen dieser Misshandlungen gezwungen wurden, Übungen wie tiefe Kniebeugen über mehrere Stunden hinweg bis zur
totalen Erschöpfung auszuführen, es wurde Zigarettenrauch unter ihre Kapuzen geblasen, sie wurden bei Raumtemperaturen zwischen 40 und 50 Grad (Fahrenheit) mit kaltem Wasser übergossen,
mit Heavy-Metal-Musik beschallt, sie wurden angeschrieen und es wurde gegen die Türen und Munitionskisten gehämmert.“
Auch nachdem sich der Rauch des Abu Ghraib-Skandals verzogen hatte, setzten die Koalitionstruppen die Misshandlungen an Gefangenen fort. Laut eines im April veröffentlichten Reports des New
York University´s Center for Human Rights and Global Justice, Human Rights Watch and Human
Rights First im April 2006 dauern die Misshandlungen an. „In diese sollen an die 600 Angehörige
des US-Militärs sowie des zivilen Personals und mehr als 460 Gefangene verwickelt sein.“
Hinsichtlich dieser Enthüllungen berichtete die New York Times über eine Untersuchung durch das
Pentagon, die Gefangenenmisshandlungen im Irak auch nach den genannten Enthüllungen aufdeckte: „Amerikanische Spezialkommandos entwickelten während einer mehrmonatigen Phase im
Frühjahr 2004 eine Reihe von strengen, nicht autorisierten Verhörmethoden, lange nachdem die
Billigung solcher Techniken widerrufen worden waren.“ The Times ausführlich: Laut einer Untersuchung durch Brig. Gen. der Armee R.F. gaben Verhörspezialisten manchen Gefangenen bei Verweigerung der Kooperation nur Brot oder Gebäck sowie Wasser zu essen und zu trinken. Ein Gefangener wurde 17 Tage hindurch nur mit Wasser und Brot versorgt. Andere Häftlinge wurden mehr als
sieben Tage in Zellen gesperrt, die so klein waren, dass sie weder stehen noch sitzen konnten,
während die Beamten laute Musik abspielten, um die Gefangenen am Schlafen zu hindern. Die
Untersuchung ergab weiter, dass manche Gefangene entkleidet, dann mit Wasser begossen und
danach in klimatisierten Räumen oder bei kalten Witterungsbedingungen im Freien verhört wurden.
4.2.1. Die ungeahndeten und unzureichend geahndeten Todesfälle
Neuere von der US-amerikanischen Armee im September 2004 veröffentlichte Statistiken besagen,
dass insgesamt 54 Todesfälle im Gewahrsam in Afghanistan und im Irak untersucht würden (vgl.
u.a. Eric Schmitt, a.a.O.). In Irak kam es zu einer Reihe von Vorfällen, bei denen Inhaftierte und
nach humanitärem Völkerrecht geschützte Menschen zu Tode kamen. Folgende Fälle seien hier
beispielhaft aufgezählt:
Gemäß einem Berichts von Human Rights First vom Februar 2006 starben im Irak und Afghanistan
98 Menschen in US-Gewahrsam. Von diesen 98 Menschen sind laut Human Rights First 34 „aufgrund vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens“ getötet worden. Davon wurden zwischen 8 und
11 Personen zu Tode gefoltert. Bis Februar 2006 wurden jedoch nur 12 der in diese Vorfälle verwickelte Personen zur Verantwortung gezogen. The Times berichtete, dass die US-Armee 17 Angehörige der Streitkräfte, die in den Tod dreier Gefangener im Irak und Afghanistan verwickelt waren,
nicht verfolgen werde. Nur einem einzigen der insgesamt 26 überlieferten Todesfällen im Gefängnis
Abu Ghraib wurde bis März 2005 tatsächlich nachgegangen. „Dies zeigt, wie weit verbreitet Misshandlungen innerhalb der Gefängnismauern waren und entgegen früheren Eindrücken nicht auf
Mitglieder der Militärpolizei während der Nachtschichten beschränkt waren.“
Am 06.06.2003 starb in Camp White Horse in der Nähe von Nasiriya im Irak der irakische Staatsbürger N.S.H. an einem zerquetschten Kehlkopf, als ihn ein Angehöriger der Marine am Nacken
erfasst hatte und mit einem Karatetritt in den Brustkorb trat (vgl. Bob Drogin, Abuse Brings Deaths
of Captives Into Focus, Los Angeles Times, 16. Mai 2004; Alex Roth and Jeff Mc Donald, Iraqi Detainees Death Hangs Over Marine Unit, The San Diego Union-Tribune, 30. Mai 2004).
Am 12.06.2003 wurde der irakische Inhaftierte A.A.H. in Camp Cropper erschossen, als er versuch-
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te, durch einen Stacheldrahtzaun zu kriechen. Die Armee sprach zunächst von einer legitimierten
Erschießung. Im Taguba-Report wird berichtet, dass die Kommandierenden von der Flucht im Voraus wussten und diese hätten vermeiden können (vgl. Bob Drogin a. a. O).
Während eines Aufstandes in der Nacht am 13.06.2003 wurde in Abu Ghraib der 22-jährige irakische Staatsbürger A.J.H. erschossen, obwohl er sich verschiedenen Berichten zufolge in seinem
Zelt befand. Offiziell hielt man sein Erschießen für gerechtfertigt (vgl. Bob Drogin, a.a.O.).
Am 13.06.2003 kam in der Nähe von Bagdad der irakische Inhaftierte D.D. aufgrund von Kopfverletzungen zu Tode, während er von US-Streitkräften festgehalten worden war. Ärzte stellten einen
gewaltsamen Tod fest; weitere Informationen wurden aber nicht mitgeteilt.
Im Juni 2003 wurde in dem Inhaftierungscamp in Bagdad ein Iraker mit einem harten, festen
Schlag auf dem Kopf umgebracht, nachdem er zum Zweck der Befragung auf einem Stuhl festgehalten sowie physischem und psychologischem Stress ausgesetzt worden war (vgl. Bob Drogin, a.
a. O.).
Am 11.09.2003 wurde in dem FOB Packhorse Lager ein Iraker erschossen, während er Steine warf
(vgl. Miles Moffeit, Brutal Interrrogation in Iraq, Five Detainees, Death Probed, The Denver Post,
19. Mai 2004).
Am 22.09.2003 wurde im Camp Bucca ein Iraker durch einen Schuss in den Brustkorb getötet,
während er Steine auf einen Wachbeamten warf. Die Armee bezeichnete die Tötung als gerechtfertigte Schusswaffenanwendung. Eine Delegation des Roten Kreuzes hatte den Vorgang beobachtet
und sagte aus, dass der Gefangene zu keinem Zeitpunkt eine gefährliche Bedrohung für die Wache
dargestellt habe (vgl. Bob Drogin, a.a.O.).
Am 04.11.2003 starb in Abu Ghraib der irakische Inhaftierte M.J. während einer Befragung durch
CIA-Offiziere. Der Tod wurde durch ein Blutgerinnsel im Kopf verursacht. Dies war ein Resultat von
Verletzungen, die er erhalten hatte, als ihn ein Angehöriger der Marine mit einem Gewehrlauf
während des Arrestes geschlagen hatte. Das Bild seines toten Körpers, in Plastik eingewickelt,
wurde auf der ganzen Welt verbreitet (vgl. Bob Drogin a.a.O.).
Am 24.11.2003 wurden drei irakische Inhaftierte während eines Aufstandes getötet (vgl. den unten
unter 2.2. geschilderten Vorfall Nr. 7 aus dem Fay/Jones-Bericht; David Johnston and Neil A.
Lewis, U. S. Examines of CIA and Employees in Iraq).
Am 26.11.2003 starb im Al Qaim Center im westlichen Irak ein gefangener irakischer Offizier namens A.H.M. nach zwei Wochen in Haft an einem Trauma, nachdem er von CIA-Offizieren befragt
worden war (vgl. Bob Drogin a.a.O.).
Am 04.01.2004 starb ein irakischer Inhaftierter, weil zwei Soldaten ihn in der Nähe von Samarra
gezwungen hatten, über eine Brücke zu springen (vgl. Bob Drogin a.a.O.).
Am 08.01.2004 starb in Abu Ghraib der 63-jährige irakische Inhaftierte N.I., als er ausgezogen,
mit kaltem Wasser übergossen und im Winter der Kälte ausgesetzt wurde. Offizielle sagten aus, er
habe einen Herzstillstand erlitten (vgl. Miles Moffeit a.a.O.)
Am 09.01.2004 starb der irakische Inhaftierte A.J. an stumpfer Gewaltanwendung, während er an
die Zellentür gefesselt war (vgl. Bob Frogin, a.a.O.).
Am 04./05.04.2004 wurde in der Nähe von Mosul in dem LSA Diamondback Camp der Inhaftierte
F.M. tot aufgefunden.
Zahlreiche Tötungen von Häftlingen in CIA-Gewahrsam werden berichtet:
M.J., ein irakischer Gefangener in CIA-Gewahrsam, starb in Abu Ghraib am 4. November 2003.
M.J. war ursprünglich von Navy SEALs gefangen genommen und mit einem Gewehrkolben auf den
Kopf geschlagen worden. Zwei CIA-Agenten brachten M.J. dann heimlich nach Abu Ghraib, ohne
dort das normale Aufnahmeverfahren zu durchlaufen, das eine medizinische Untersuchung einschließt. Die Agenten platzierten M.J. in einem Duschraum mit einem Sandsack auf dem Kopf. 45
Minuten später war er tot. Ein CIA-Vorgesetzter verlangte, dass M.J. Leiche einen weiteren Tag im
Gefängnis verblieb und sagte, er würde in Washington anrufen. Es gibt Fotos, die M.J.s zerschundenen Körper in einem mit Eis gefüllten Leichensack zeigen (Hersh, Chain of Command, S. 45). Am
nächsten Tag entfernten US-Beamte den Körper heimlich aus dem Gefängnis, wobei er auf einer
Trage lag, damit es aussähe, als sei er einfach krank und nicht tot. Mindestens drei SEALs sind
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wegen der Misshandlungen angeklagt, bislang jedoch kein CIA-Offizier (Fay/ Jones- Bericht, S. 87,
89, 109, 110 (M.J. wird in dem Bericht als GEFANGENER-28 identifiziert)).
A.W., ein ehemaliger afghanischer Militärkommandeur, der in Asadabad gefangen gehalten wurde,
starb am 21. Juni 2003, nachdem er zwei Tage lang von D.P. vernommen worden war, einem pensionierten Army Special Forces Offizier, der als ziviler CIA-Beauftragter angeheuert wurde (D.R.
Defends Hiding Prisoner at CIA Urging, The Wall Street Journal, June 18, 2004).
Über zwei Todesfälle von Gefangenen in Afghanistan wurde während der vergangenen zwei Jahre
vielfach berichtet. M.D., ein 22-jähriger Zivilist, wurde in US-Gewahrsam genommen, als er sein
Taxi in der Nähe einer amerikanischen Basis lenkte. Er starb am Kontrollpunkt Bagram. M.D. wurde
von Vernehmungsbeamten geschlagen. Seine Beine wiesen vielfache Verletzungen auf, hervorgerufen durch so genannte „peroneale“ Schläge. Ein Militärpolizist sagte aus, dass M.D. innerhalb von
24 Stunden mehr als hundertmal auf diese Art und Weise geschlagen worden sei. Er wurde „während der letzten 4 Tage an den Handgelenken an der Zellendecke angekettet, was dann zu seinem
Tod geführt“ habe. Sein Tod war auf „Gewaltanwendung mit stumpfen Gegenständen gegen seine
unteren Extremitäten“ zurückzuführen. Ein Leichenbeschauer sagte aus, dass das Gewebe seiner
Beine „zu Brei zermahlen worden sei“. Ein anderer Leichenbeschauerin, Lt. Col. E.R., gab an, solche „vergleichbaren Verletzungen bei von Bussen überrollten“ Personen beobachtet zu haben.
M.H. kam im Dezember 2002 ums Leben. Er war immer wieder Ziel „peronealer“ und anderer
Schläge und wurde häufig gefesselt. M.H. Tod „ist auf die schweren Verletzungen an seinen Beinen
zurückzuführen, die wahrscheinlich ein Blutgerinnsel hervorriefen, das bis zum Herz wanderte und
die Blutzufuhr der Lunge blockierte“. Der Verteidiger eines im Falle M.H. angeklagten Soldaten:
„Mein Mandant hat stets in Übereinstimmung mit den Standardverfahrensregeln gehandelt, die in
den Einrichtungen in Bagram galten.“
Ehemalige und aktive Geheimdienstbeamte und Vorgesetzte erklärten gegenüber ABC News, dass
harte Verhörmethoden von hochrangigen CIA-Beamten gebilligt wurden, die zu hinterfragungswürdigen Geständnissen und zum Tod von Gefangenen geführt hätten. ABC News erfuhr überdies, dass
mindestens drei CIA-Beamte es abgelehnt hatten, in diesen Techniken ausgebildet zu werden. Daraufhin wurde eine aus 14 Personen bestehende Gruppe ausgewählt, um diese an einem Dutzend
hochrangiger Al Qaida-Verdächtigter zur Informationsgewinnung anzuwenden.
Darüber hinaus berichten zwei Quellen, dass diese Techniken – nur zur Anwendung durch einige
wenige CIA-Beamte gedacht – zumindest in einem Fall missbraucht worden waren. Zudem berichten die Quellen, dass in diesem Fall ein junger, nicht in diesen Techniken ausgebildeter „Junior
Officer“ für den Tod eines Gefangenen verantwortlich gewesen sei. Der Tod sei eingetreten, als der
Gefangene entkleidet, mit Wasser übergossen und danach gezwungen wurde, während der strengen afghanischen Nächte im Freien zu stehen. Er starb an Unterkühlung. Gemäß dieser Quellen
starben im Irak ein (zweiter) CIA-Gefangener und ein (dritter) Gefangener nach strengen Verhören
durch das Personal sowie die zivilen Angestellten des Verteidigungsministeriums.
Auf die Schilderung weiterer Todesfälle vor allem in Afghanistan wird hier verzichtet und auf die in
Bezug genommenen Materialien verwiesen. Allerdings sei noch einmal hervorgehoben, dass jede
an Inhaftierten vorgenommene Tötung durch nicht gerechtfertigte Gewaltanwendung ein eigenes
Kriegsverbrechen nach § 8 Abs. Nr 1 VStGB u.a. darstellt.
4.2.2. Der Fall des irakischen Obergenerals A.H.M.
Der 57-jährige Obergeneral A.H.M. starb am 26. November 2003 durch schwere Misshandlungen,
die ihm während seiner 16-tägigen Gefangenschaft zugefügt wurden. A.H.M. lieferte sich am 10.
November 2003 im Irak den US-Truppen aus.207 Eine Motivation dieser Kapitulation war die Tatsache, dass seine vier Söhne sich seit 11 Tagen in einem Gefängnis außerhalb Bagdads befanden und
er sich durch seine Auslieferung ihre Freilassung erhoffte. Er wurde in der Forward Operation Base
(FOB) Tiger nahe Al Oaim, in der Nähe zur syrischen Grenze, gefangen gehalten.
Dort war die 1. Abteilung des 3. Bewaffneten Kavallerie-Regiments aus Fort Carson, Colorado
207
Alle folgenden Angaben beziehen sich auf die Darstellung des Falles in einem Human Rights Report von Hina Shamsi: Command’s Responsibility. Detainee Deaths in U.S. Custody in Iraq and
Afghanistan. Hrsg. Von Deborah Pearlstein. 2006, S. 6-9 und auf die Darstellung des Prozesses bei
Human Rights First im Internet.
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Springs, Colorado, stationiert. Diese hatte die Aufgabe, irakische Gefangene zu verhören. Da Sadam Hussein zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefasst worden war, herrschte seitens der Militärvorgesetzten ein erhöhter Druck, verwertbare Informationen zu erhalten. Der dort stationierte Generalstabschef L.W. sagte in seinem Kriegsgerichtsprozess aus, kaum Anweisungen zu Verhörbedingungen erhalten zu haben,208 zumal zu diesem Zeitpunkt noch unter hochrangigen US-Militärs über
die Definition des Begriffes Gefangener diskutiert wurde und die US-Gefangenen den prekären Status rechtloser Kämpfer, die nicht unter die Genfer Konventionen fielen, erhielten. Das auf den 10.
September 2003 datierte „Foltermemo“ von R.S. verschärfte die Definitionslücke zum Gefangenenstatus und Gefangenenbehandlung um so mehr209 und stellte für L.W. nach seiner Aussage die
einzige Anweisung dar. Diese Situation bildete den Hintergrund der Behandlung des irakischen
Generals.
Generalstabschef L.W. begann sofort am 10. November mit Verhören, die ihm aber aus seiner Perspektive nicht die gesuchten Informationen lieferten. Bereits nach wenigen Tagen verschärfte er
die Methoden und demütigte A.H.M. vor Mitgefangenen durch Schläge. Nach dem Umzug zu einem
anderem Stützpunkt namens „Blacksmith Hotel“ befahl L.W. am 24. November die Verschärfung
der Vernehmungstechniken. Eine aus zehn Personen bestehende Gruppe aus Angehörigen der Spezialkräfte, des CIA sowie paramilitärischer irakischer (vom CIA finanzierter) Gruppen schlugen auf
A.H.M. ein, sogar mit Hämmern. Nach Zeugenaussagen von Wache stehenden Soldaten waren
laute Schläge und Schreie zu hören. Der Autopsiebericht spricht von fünf gebrochenen Rippen sowie massiven Quetschungen und Blutergüssen.
Am nächsten Tag, dem 25. November, fuhr L.W. mit dem Verhör diesmal auf dem Dach des Gebäudes fort: A.H.M. wurde gefesselt, musste in schmerzhaften Körperhaltungen verweilen und
erhielt Wassergüsse. Diese Praktiken waren L.W. aus seiner Zeit als Militärtrainer in so genannten
SERE-Kursen auf Hawaii bekannt. In den SERE-Kursen der US-Armee (Abkürzung für: Survial, Evasion; Resistance, Escape) wurden US-Soldaten auf der Basis der Erfahrungen im Vietnamkrieg darauf vorbereitet, wie sie sich im Fall einer Gefangennahme verhalten sollten. Die in den Kursen den
Soldaten vermittelten und an ihnen ausgeübten Praktiken und Techniken bilden einen Bezugspunkt
zu den im US-Gewahrsam im Irak aufgetretenen Misshandlungen, da sie ein Reservoir an Foltertechniken/Praktiken darstellten, das im US-Militär bekannt war.
Am Abend desselben Tages wurde dem Gefangenen A.H.M. sein 15-jähriger Sohn M. vorgeführt
und diesem mit dem Tod gedroht. Es wurde eine Scheinexekution M.s im Nebenzimmer vorgetäuscht und A.H.M. Blut von der angeblichen Leiche seines Sohnes gezeigt.
Am 26. November wählte L.W. als Foltermethode die „Schlafsacktechnik“, bei der der Gefangene
mit dem Kopf zuerst in einen Schlafsack gezwungen und dann traktiert wird. Seine Vorgesetzte
Oberst J.V. wusste dies und billigte diese Methode. A.H.M. wurde mit dem Kopf vorneweg in einen
Schlafsack gesteckt, sein Körper mit Kabeln bzw. Schnüren umwickelt und auf den Rücken gedreht.
W. saß auf seinem Brustkorb und hielt ihm temporär Nase und Mund zu. Während dieser Vernehmung gab A.H.M. plötzlich keine Antworten mehr und starb wenige Minuten später nach einem
heftigen Schüttelanfall des ganzen Körpers. Das war am 16. Tag seiner Gefangenschaft. Der Befund nach der sechs Tage später angeordneten Autopsie lautete Tod durch Erstickung und die Folgen eines zerdrückten Brustkastens. Am nächsten Tag gab die US-Armee offiziell A.H.M.s Tod in
einer Presserklärung bekannt und nannte als Grund eine natürliche Todesursache.210
Am 13. Januar 2006 begann in Fort Carson, Colorado, der Prozess gegen Generalstabschef L.W.
wegen Mordes am irakischen Obergeneral A.H.M.. Dieser Verhandlung wurde eine besondere Bedeutung zugemessen, da erstmals ein Militärvertreter höheren Ranges angeklagt war. An vier Verhandlungstagen wurden Zeugen vernommen. Gleich zu Beginn des Prozesses sagte L.W. aus, in
dem Bewusstsein gehandelt zu haben, seine verwendeten Vernehmungstechniken seien durch seine Armeevorgesetzten genehmigt. Er sagte, die „Schlafsacktechnik“ als eine der nicht weiter definierten Stresspositionen verstanden zu haben, die im “Foltermemo“ von R.S. gebilligt wurde. Diese
Auffassung legte er bereits im Februar 2004 in einem Erwiderungsschreiben auf eine schriftliche
Abmahnung der Armee dar. Zudem berief sich die Verteidigung auf die zahlreichen Verletzungen,
208
Siehe auch die Informationen zum Prozeß gegen Welshofer unter:
www.humanrightsfirst.org/us_law/etn/trial/welshofer-012006.asp.
209
Das Memorandum authorisierte Vernehmungstechniken, die gegen die Standards der US-Armee
und die Genfer Konventionen verstoßen (Einsatz von Hunden, Streßpositionen).
210
Siehe zur Presseerklärung auch: www.humanrightsfirst.org/us_law/etn/trial/welshofer011306.asp, wo Teile aus dieser zitiert werden.
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die A.H.M. schon besaß, zugefügt durch die Schläge in der Vernehmung vom 24. November 2003
(sieben gebrochene Rippen, blaue Flecken über den ganzen Körper). L.W. gab an, diese Blessuren
gesehen zu haben, aber selbst A.H.M. nicht geschlagen zu haben. Er sagte, diese Blessuren
stammten von den Behandlungen des Spezialkommandos und einer paramilitärischen irakischen
Gruppe, auch „Skorpion“ genannt. Als weitere wichtige Zeugen wurden der Offizier J.W. und L.W.s
direkte Vorgesetze J.V. angehört. J.W., der wie L.W. angeklagt war und durch seine Zeugenschaft
Immunität erhielt, sagte über die Schlägerszene am 24. November folgendes aus: eine Gruppe von
zehn Nicht-Militärs hätte A.H.M. geschlagen; danach hätte dieser kaum mehr alleine laufen können.
Major J.V. sagte aus, von der „Schlafsacktechnik“ als Stressposition gewusst zu haben und dass
diese auch an anderen Gefangenen angewendet worden sei; allerdings beinhaltete diese Praktik für
sie nicht das Sitzen auf dem Brustkorb des Gefangenen.
Letztendlich wurde nur L.W. verurteilt, aber nicht wegen Mordes, sondern wegen versuchten Totschlags und Pflichtverletzung. Als Strafe erhielt er eine schriftlichen Abmahnung, eine Geldstrafe
von 6.000-Dollar und 60 Tagen Arrest. Andere an den Verhören beteiligte Personen erhielten noch
geringere Strafen: J.W. aufgrund seiner Aussage eine nicht-juristische Strafe. J.L., Spezialist, wurde nicht belangt. L.W.s Vorgesetzte J.V. erhielt lediglich eine Abmahnung. Es fanden keine Ermittlungen gegen CIA-Angehörige oder Angehörige der Spezialkräfte statt. Colonel D.T., Oberbefehlshaber des 3. Bewaffneten Kavallerie-Regiments, wurde im Todesfall A.H.M. nicht belangt. Er hatte
angegeben, die „Schlafsacktechnik“ für effektiv gehalten zu haben., Im gesamten Prozess wurden
A.H.M.s Söhne nicht kontaktiert und befragt, vor allem nicht der jüngste Sohn M., der seinen Vater
am Vorabend seines Todes noch gesehen hatte.211
4.2.3. Geistergefangene und Überstellung („rendition“) von Gefangenen in Folterstaaten
In der Rede vom 6. September 2006 erklärte Präsident G.W.B., dass „unsere Regierung ihre Politik
geändert“ habe und gab zu, eine „alternative Liste an Verfahrensweisen“ für durch die CIA inhaftierte Personen autorisiert zu haben. Er ging allerdings nicht darauf ein, welche Techniken dies im
einzelnen sind.
Der Beschuldigte G.T., bat im Oktober 2003 den Beschuldigte D.R., die geheime Verwahrung des
festgenommenen H.R. anzuordnen (Defense Department Regular Briefing, 17. June 2004; Dana
Priest, Memo Lets CIA Take Detainees out of Iraq, Washington Post, 24. Okt. 2004). G.T. ersuchte
darum, dass der als „Triple X” bekannte und später dann als H.R. ermittelte Gefangene weder eine
Identifizierungsnummer erhielt noch beim Internationalen Roten Kreuz registriert wurde. H.R. wurde im Lager Cropper in der Nähe des Bagdader Flughafens über sieben Monate gefangen gehalten,
ohne registriert zu sein und ohne Kontakt nach außen zu haben. H.R. sollte von der CIA verhört
werden (Hearing of the House Armed Services Committee, Sept. 9, 2004; A Failure of Accountability, The Washington Post, 29. August 2004). Die CIA hatte H.R. anfangs zum Verhör nach Afghanistan gebracht, verbrachte ihn dann jedoch in den Irak zurück, nachdem ein Memorandum des Justizministerium festgestellt hatte, dass er eine durch die Genfer Konventionen geschützte Person
darstelle. Doch während seiner Zeit im Lager Cropper verloren die Behörden „seine Spur" (Eric
Schmitt and Thom Shanker, D.R. Issued an Order to Hide Detainee in Iraq, The New York Times,
June 17, 2004).
Human Rights Watch sind namentlich 13 Gefangene bekannt, die aus dem Irak in das Ausland verbracht wurden oder verschwunden sind. Dabei handelt es sich um: A.R.S., I.S.L., A.H.I., A.Z., O.F.,
A.Z.H., R.B.S., A.R.N., M.H., K.S.M., W.M.H., A.J. und H..212
Außerdem hat die CIA geheime Vereinbarungen, die es ihr gestatten, Orte in Übersee zu benutzen,
die von außen nicht überwacht werden können.213 Bei diesen Orten handelt es sich unter anderem
um den Luftwaffenstützpunkt Bagram/Kabul und andere nicht näher bezeichnete Orte in Afghanistan; das Lager Camp Cropper in der Nähe des Bagdader Flughafens, Abu Ghraib und Verwahrungs-
211
Siehe das in Hina Shamsi: Command’s Responsibility. Detainee Deaths in U.S. Custody in Iraq
and Afghanistan. Hrsg. von Deborah Pearlstein. 2006, teilweise zitierte Telefoninterview mit dem
jüngsten Sohn vom 9. November 2005. Human Rights First hält seit 2005 Kontakt zu den Söhnen
und dokumentiert ihre Aussagen.
212
Human Rights Watch, a.a.O., S. 12.
213
James Risen et al, Harsh CIA Methods Cited in Top Qaeda Interrogations, The New York Times,
13. Mai 2004.
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zentren auf Diego Garcia im Indischen Ozean.214
General K. sagte zu diesem Thema aus: “Wir vermuteten, dass es mindestens ein Dutzend Häftlinge gibt, die von der Central Intelligence Agency nach Abu Ghraib gebracht, festgehalten und nicht
registriert wurden”. Dies stellt einen Verstoß gegen nationales US-Recht und gegen die Genfer
Konventionen dar.215 Aufzeichnungen aus Abu Ghraib belegen, dass dort von Mitte Oktober 2003
bis Januar 2004 ständig drei bis zehn Geistergefange waren.216 General T. nannte diese Praxis "betrügerisch, einen Verstoß gegen die Armeedoktrin und einen Bruch internationalen Rechts".217 Die
Generäle K. und F. schätzen, dass die Zahl der Geistergefangenen sich in den Dutzenden bewegt,
möglicherweise sogar bis zu 100. Sie gaben an, sie könnten dies nicht genau antworten, weil ihnen
die CIA keinerlei Unterlagen zur Verfügung gestellt hatte.218
Einige der Geistergefangenen in Abu Ghraib wurden in Schlafunterbrechungsprogrammen gehalten
und in Duschräumen und Treppenhäusern verhört (Josh White, Abu Ghraib Guards Kept a Log of
Prison Conditions, Practices, Washington Post, October 25, 2004).
Die CIA verbrachte bis zu einem Dutzend nicht-irakische Inhaftierte zwischen April 2003 und März
2004 aus dem Irak. Diese Transfers wurden durch den Entwurf eines Memorandums des Justizministerium autorisiert, das von J.G., dem ehemaligen Direktor des Büros des „Legal Counsel“, verfasst wurde. Das Memorandum wurde an die Rechtsberater des Nationalen Sicherheitsrates, die
CIA und an das Außen- und Verteidigungsministerium geschickt. "Das Memorandum gab grünes
Licht", sagte ein Geheimdienstmitarbeiter. "Die CIA benutzte das Memorandum, um andere Leute
aus dem Irak herauszuholen." Die Regierung veröffentlichte weder die Namen noch die Nationalitäten der Gefangenen. Es ist unklar, ob die Gefangenen an verbundene Regierungen ausgehändigt
wurden oder an geheimen Orten unter amerikanischer Kontrolle festgehalten werden.219
Die weiten Befugnisse zum CIA-Rendition-Programm wurden durch das Weiße Haus erteilt: „Die
unüblich weiten Befugnisse wurden der CIA durch das Weiße Haus in einer vertraulichen Direktive
anheim gestellt, um unabhängig arbeiten zu können. Diese wurden von Präsident G.W.B. um den
11. September 2001 unterzeichnet. Während Beamte des G.W.B.-Stabes behaupten, sie glaubten,
das Auslieferungsprogramm würde mit der Anti-Folterkonvention in Einklang stehen, berichtet die
„New York Times“, dass „in Interviews ein halbes Dutzend aktiver und ehemaliger Regierungsbeamter erklärten, sie glaubten, dass die Strategie der Regierung dazu führen könnte, Folter nicht
mehr als solche wahrzunehmen“. A.G. selbst räumt ein, dass Folter als Folge des „außergewöhnlichen Auslieferungsprogramms“ nicht auszuschließen ist: „Wir können nicht gänzlich kontrollieren,
wie sich dieses Land verhalten wird. Wir erwarten von einem Land, an das wir Gefangene ausliefern, dass dieses mit unseren (Anm.: Wert-) Vorstellungen übereinstimmt. Wenn Sie mich fragen,
ob ein Land stets diese Bedingungen erfüllt, kann ich Ihnen darauf keine Antwort geben.“
The Washington Post berichtet über Gespräche mit Geheimdienstbeamten, Anwälten und Antiterrorismusbeauftragten, die mit dem Auslieferungsprogramm der G.W.B.-Administration vertraut waren: „Das System, auf das sich die CIA bei der Auswahl der Länder verließen, in die sie verdächtige
Terroristen ausgeliefert haben, um sicher zu gehen, dass diese dort nicht gefoltert würden, ist ineffektiv und nicht überschaubar.“
Die CIA internierte drei saudische Staatsbürger, die im medizinischen Bereich für die Koalition im
Irak arbeiteten. Trotz mehrerer Suchoperationen, einschließlich Suchaktionen von Botschafter B.
und Außenminister C.P., konnten die Häftlinge nicht aufgespürt werden. Schließlich fand ein Mitarbeiter des JIDC die Häftlinge; sie wurden anschließend frei gelassen (Fay/ Jones-Bericht, a.a.O., S.
88).
Unter der Leitung von G.T. benutzte die CIA bei Häftlingen Verhörtechniken, die Zwang beinhalteten. Es wird berichtet, dass G.T. D.R. um Zustimmung des Weißen Hauses für FolterVerhörstechniken bat (Cruelties Obscure the Truth, Sarasota Herald-Tribune, June 19, 2004). Dies
214
Seymour M. Hersh, a.a.O., S. 14, 33; Dana Priest / Barton Gellman, U.S. Decries Abuse but
Defends Interrogations, The Washington Post, 26. Dezember 2002.
215
House Armed Services Committee Hearing, 9. September 2004.
216
White, a.a.O., Abu Ghraib Guards Kept a Log.
217
D.R. Defends Hiding Prisoner at CIA Urging, The Wall Street Journal, 18. Juni 2004.
218
House Armed Services Committee Hearing, 9. September 2004.
219
Vgl. Douglas Jehl, Prisoners: U.S. Action Bars Right of Some Captured in Iraq, New York Times,
26. Oktober 2004; Dana Priest, Memo Lets CIA Take Detainees out of Iraq, Washington Post, 24.
Oktober 2004.
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führte im August 2002 zur Empfehlung des Justizministeriums an den Berater des Weißen Hauses,
A.G., dass Folter von Al–Qaida-Häftlingen, die sich im Ausland in Gefangenschaft befänden, „vielleicht gerechtfertigt“ sei (Dana Priest und R. Jeffrey Smith, Memo Offered Justification for Use of
Torture, Washington Post, June 8, 2004). Außerdem billigte das Justizministerium und die CIA eine
Reihe geheimer Regeln für Verhörtechniken, die für zwölf bis zwanzig hochrangige Al-QaidaGefangenen angewendet werden sollten (James Risen et al, Harsh CIA Methods Cited in Top Qaeda
Interrogations, The New York Times, May 13, 2004). Diese nötigenden Verhörstechniken, die in
Afghanistan und im Irak eingesetzt werden, verletzten das Verbot von grausamer, unmenschlicher
oder entwürdigender Behandlung und können auf Folter hinauslaufen.
Laut dem Internationalen Komitee des Roten Kreuz (IKRK) erfolgte die schlechte Behandlung von
Häftlingen während der Verhöre nicht systematisch - außer bei Personen, deren Verhaftung in Zusammenhang mit mutmaßlichen Sicherheitsdelikten stand oder von denen angenommen wurde, sie
hätten „geheimdienstlichen“ Wert (IKRK-Bericht, S. 3). „Die Methoden, die von der CIA angewendet wurden, waren so schwerwiegend, dass führende Mitarbeiter des FBI ihre Agenten anwiesen,
sich aus vielen Verhören von hochrangigen Häftlingen herauszuhalten …”, weil sie befürchteten,
dass die Techniken ihre Agenten derart kompromittieren würden, dass diese in Strafprozesse verwickelt werden könnten (Risen et al, Harsh CIA Methods Cited in Top Qaeda Interrogations).
Im Falle von K.S.M., einem hochrangigen Häftling, der verdächtigt wird, an der Planung der Anschläge vom 11. September 2001 beteiligt gewesen zu sein, wandten CIA-Vernehmungsbeamte
abgestufte Ebenen der Gewalt an, einschließlich einer Technik, die als „water –boarding“ bekannt
ist, wobei der Gefangene festgebunden, mit Gewalt unter Wasser gedrückt und im Glauben gelassen wird, er könnte ertrinken (Risen, a.a.O.).
Mindestens ein CIA-Angestellter wurde dafür bestraft, dass er einen Häftling bei einer Vernehmung
mit einer Schusswaffe bedrohte (CIA Worried about Al-Qaida Questioning, Pittsburgh Post-Gazette,
May 13, 2004).
Das IKRK gibt an, dass „wichtige Häftlinge” am Bagdader Internationalen Flughafen in strenger
Isolierhaft gehalten wurden, in Zellen ohne Sonnenlicht, fast 23 Stunden am Tag, und dass ihre
fortwährende Haft nach ihrer Verhaftung einen „ernsten Verstoß gegen die III. und IV. Genfer Konvention darstellte" (Internationales Komitee des Roten Kreuzes, a.a.O, S.17 - 18).
Schmerzmittel für A.Z., einen hochrangigen Häftling, der eine Schusswunde in die Lende erlitten
hatte, wurden manipuliert, um seine Kooperation zu erreichen (The CIA's Prisoners, The Washington Post, July 15, 2004).
Gefangengenommene Al Qaida-Kämpfer und Taliban-Kommandeure wurden auf dem BagramLuftwaffenstützpunkt in der Nähe des Gefangenenlagers in gestapelten metallenen Transportcontainern gefangen gehalten, umgeben von Stacheldraht-Verhauen (Priest and Gellman, U.S. Decries
Abuse but Defends Interrogations). Nötigende Verhörtechniken wurden gegen die Häftlinge angewandt. Dazu gehörte, dass die Gefangenen während des Verhörs ausgezogen wurden, dass sie
extremer Hitze, Kälte, Lärm und Licht ausgesetzt wurden, dass ihnen ein Sack über den Kopf gestülpt wurde, ihnen Schlaf entzogen wurde und sie in schmerzhaften Positionen gehalten wurden
(Human Rights Watch, a.a.O., S. 10, 19-20). Häftlinge, welche die Kooperation verweigerten,
„werden, so ein Geheimdienstspezialist, der mit den Verhörmethoden der CIA vertraut ist, manchmal dazu gezwungen, stundenlang zu knien oder zu stehen, mit schwarzen Kapuzen über dem Kopf
oder mit angesprühten Taucherbrillen zu verharren. Gelegentlich werden sie in abartigen,
schmerzhaften Positionen gehalten und ihnen wird durch ein 24-Stunden-Bombardement mit Licht
der Schlaf entzogen – was als Stress und Nötigungs-Techniken bekannt ist.” Verhöre werden oft
von weiblichen Offizieren durchgeführt (Priest and Gellman, U.S. Decries Abuse but Defends Interrogations).
Ein als hochrangig bezeichneter Häftling bekam einen Sack über den Kopf gestülpt und Handschellen angelegt. Man zwang ihn, sich auf den Bauch auf eine heiße Oberfläche zu legen, während er in
ein Gefangenenlager verbracht wurde, wodurch er schwere Verbrennungen erlitt, die einen dreimonatigen Krankenhausaufenthalt nach sich zogen. Der Gefangene musste sich mehreren Hauttransplantationen unterziehen; sein rechter Zeigefinger wurde amputiert. Er konnte einen Finger an
der linken Hand dauerhaft nicht mehr benutzen. Er wurde im Oktober 2003 vom Internationalen
Komitee des Roten Kreuzes untersucht, ein paar Monate nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus (IKRK Bericht, S. 10-11).
Unter der Leitung von G.T. führte die CIA ferner sogenannte Falsche-Flaggen-Operationen durch,
wobei die Agenten die Flagge eines anderen Landes im Vernehmungsraum aufhängen oder speziel-
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le andere Techniken verwenden, um so den Gefangen in die Irre zu führen. Dieser solle die Vorstellung entwickeln, er sei in einem Land inhaftiert, das einen besonders brutalen Ruf hat.220
CIA-Agenten drohten auch den Familienangehörigen der Häftlinge bei den Vernehmungen. Laut
Berichten halten US-Behörden die sieben- und neunjährigen Söhne von K.S.M. in Haft, um ihn zum
Sprechen zu bringen. Nach Angaben eines FBI-Agenten sagte ein CIA-Agent dem Gefangenen
I.S.L. bei seiner Festnahme: „Bevor du (nach Kairo) kommst, finde ich deine Mutter und f---- sie”
(The United States’ “Disappeared”, 24-25, 37). Diese Art von Bedrohung der Familienangehörigen
scheint eine CIA-Taktik zu sein, die zu Konflikten mit FBI-Personal geführt hat, die sich diesem
Vorgehen nicht anschließen wollten.
Präsident G.W.B. unterschrieb Ende 2001 bzw. Anfang 2002 Direktiven, welche die CIA ermächtigten, einen geheimen Krieg gegen Al-Qaida zu führen und dabei identifizierte "hochwertige" AlQaida Mitglieder gefangen zu nehmen oder zu töten. Bei diesem streng geheimen Programm (SAP)
wurden Teams von Spezialeinheiten geschaffen. Dazu gehörten die Navy SEALs, Mitglieder der
Army Delta Force und paramilitärische Experten der CIA. SAP installierte auch geheime Vernehmungszentren in alliierten Ländern, wo „harsche Behandlungen“ praktiziert wurden. SAPOperateure verbrachten verdächtigte Terroristen unter anderem in Gefängnisse in Singapur, Thailand und Pakistan. Die Mitglieder der Kommandos hatten im Voraus eine Blanko-Zustimmung von
CIA und NSA zum Töten oder Inhaftieren von so genannten „hochwertigen Zielen“. Wenn möglich
sollten diese noch vernommen werden können. “Kommandos… konnten des Terrorismus verdächtige Subjekte vernehmen, die zu wichtig erschienen, um sie in die militärischen Einrichtungen in
Guantánamo zu verbringen. Die durchgeführten, sofortigen Vernehmungen, oft mit der Hilfe von
ausländischen Geheimdiensten und unter Gewaltanwendung fanden in geheimen CIA-Zentren auf
der ganzen Welt verteilt statt”.221
Gefangene in US-Gewahrsam, welche die Kooperation verweigerten, wurden häufig an ausländische Geheimdienste übergeben. Terrorismus-Abwehrexperten berichteten, dass die Personen an
dritte Länder übergeben wurden, um vernommen, exekutiert oder gefoltert zu werden.222 Die CIA
schickt dabei oft eine Liste mit Fragen herum, die ausländische Vernehmungsbeamte benutzen
sollen. Im Gegenzug erhält die CIA zumeist eine Zusammenfassung der Vernehmungsergebnisse.
CIA Agenten haben Verhöre ausländischer Geheimdienste durch einen einseitigen Spiegel beobachtet.223 „Eine Reihe von juristischen Memoranden, sagte der (CIA-) Mitarbeiter, empfiehlt Regierungsbeamten, wenn sie Verfahren in Erwägung ziehen, die Verstöße gegen amerikanische Statuten, die Folter oder entwürdigende Behandlung darstellen oder gegen die Genfer Konventionen
verstoßen, sie dann nicht verantwortlich gemacht werden könnten, wenn argumentiert wird, dass
sich die Gefangenen formal im Gewahrsam eines anderen Landes befinden”224 Inhaftierte, die auf
diese Weise in andere Staaten verbracht wurden, haben keinen Zugang zu Anwälten, Gerichten
oder ordnungsgemäßen Verfahren.
Mindestens sieben Gefangene in Guantánamo Bay sagen aus, dass sie vor ihrer Ankunft auf dem
Luftwaffenstützpunkt in Staaten überstellt wurden, die für die Anwendung von Folter bekannt sind.
Dies ergibt sich aus jüngst veröffentlichten Protokollen von Anhörungen vor Militärkommissionen
und anderen Unterlagen. Drei Personen jemenitischer Herkunft behaupten, sie seien Ende 2003 in
US-Gewahrsam überstellt und wenigstens in vier Geheimgefängnissen isoliert worden. Führende
Mitglieder von Amnesty International vermuten, dabei könnte es sich um von der CIA geführte
geheime Haftlager handeln. Während ihrer Einkerkerung wurden die Gefangenen kein einziges Mal
vom IKRK besucht, hatten keinen Zugang zu einem Anwalt und konnten keinen Kontakt zu ihren
Familien oder zur Außenwelt aufnehmen.
Die Staaten, in welche die CIA-Häftlinge überführt, sind bekannt dafür, dass dort gefoltert wird und
oft bewusstseinsverändernde Drogen angewendet werden (vgl. Hersh, Chain of Command). Häftlinge wurden an Syrien, Usbekistan, Pakistan, Ägypten, Jordanien, Saudi Arabien und Marokko
ausgeliefert (Human Rights Watch, a.a.O., S. 10-11). Zur Zeit werden mindestens elf Häftlinge in
Jordanien ohne Verbindung zur Außenwelt gehalten, dazu gehören K.S.M., A.Z.H. und A.Z.. Andere, die ausgeliefert wurden, sind M.A., A.A., M.Z. und M.H.Z. (CIA Holds Top Al Qaeda Suspects in
Jordan, Reuters, Oct. 13, 2004; Yossi Melman, CIA Holding al-Qaida Suspects in Secret Jordanian
220
Priest and Gellman, U.S. Decries Abuse but Defends Interrogations.
Hersh, Chain of Command S. 16, 20, 49-50.
222
Risen, a.a.O.
223
Priest and Gellman, U.S. Decries Abuse but Defends Interrogations.
224
Risen, a.a.O.
221
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Lockup, Haaretz, Oct. 13, 2004; Human Rights Watch, a.a.O., S. 10-11). Die CIA schickt diese
Häftlinge in benannte Staaten, obwohl das Außenministerium die Anwendung der Folter in Jordanien, Syrien und Marokko dokumentiert hat und Saudi Arabiens Zuverlässigkeit in Frage stellt (Priest
and Gellman, U.S. Decries Abuse but Defends Interrogations).
EU-Ermittler erklärten, dass eine große Anzahl von CIA-Flügen, mit denen als Terroristen Verdächtigte durch Europa geschleust wurden, nur durch die Mithilfe der Anliegerstaaten möglich war. Gemäß der Aussagen von Beamten einer Untersuchungskommission des EUParlaments zu diesen Flügen wurden mehr als 50 Personen über Europa in Gefängnisse von Drittstaaten überstellt, in denen
ihnen Folter und andere Misshandlungen drohten.
Die CIA ist bekannt dafür, bei ihren Renditions extrem harte Techniken anzuwenden. So lieferten
z.B. CIA-Agenten am 18. Dez. 2001 A.A. und M.Z. an Ägypten aus, Ägypter, die in Schweden um
Asyl nachgesucht hatten. A.A. und M.Z. wurden gefangen und in Handschellen und Fußfesseln nach
Kairo geflogen. Sie wurden nackt ausgezogen, ihnen wurden Zäpfchen in den Anus eingeführt, und
sie wurden wieder angezogen, mit Gurten gefesselt, die Augen verbunden und ihnen wurde ein
Sack übergestülpt. In Ägypten wurden die Gefangenen mit Elektroschocks gefoltert, indem Elektroden an ihren empfindlichsten Körperteilen angebracht wurden.225
Unter der Leitung von G.T. gebrauchte die CIA bei Häftlingen Verhörtechniken, die Zwang beinhalteten. Es wird berichtet, dass G.T. D.R. um Zustimmung des Weißen Hauses für FolterVerhörstechniken bat.226 Die Haftbedingungen und Verhörmethoden der CIA führten zu weiteren
Misshandlungen.227
4.2.4. Die Gefangenenmisshandlungen und Folter im Gefängnis Abu Ghraib
Nachdem zunächst intern und später öffentlich über die Foltervorfälle in Abu Ghraib berichtet wurde, untersuchten verschiedene US-Dienststellen die Ereignisse. Es entstand Berichte offizieller
Dienststellen, deren wichtigste der ersten Strafanzeige vom 30.11.2004 als Anlagen beigefügt wurden.228 Dies sind namentlich der Bericht des Internationalen Komitee des Roten Kreuzes vom Februar 2004, der Taguba-Bericht, ein interner Untersuchungsbericht der in die Vorfälle verwickelten
800. Militärpolizeibrigade vom März 2004, der Mikolashek-Bericht vom Juli 2004, ein interner Armee-Bericht, der Schlesinger-Bericht vom August 2004, ein Bericht einer Untersuchungskommission im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums unter Vorsitz des ehemaligen USVerteidigungsministers James R. Schlesinger und schließlich der interne Untersuchungsbericht der
205. Militärnachrichtendienstbrigade vom 9. August 2004, der Fay/Jones-Bericht. Der letztgenannte Bericht wurde von dem Beschuldigten R.S. als Befehlshaber der Vereinigten Streitkräfte im Irak
als sogenannter AR 15-6 Bericht (Army Regulation, d.h. Armeevorschrift, WK, 381-10, Procedure
15) in Auftrag gegeben. Die hohen Offiziere Generalmajor George R. Fay und Generalleutnant
Anthony R. Jones untersuchten ab dem 31. März 2004 (Fay) bzw. dem 24. Juni 2004 (Jones) zunächst nur das Verhalten von Angehörigen der 205. Militärnachrichtendienstbrigade, später darüber
hinaus auch anderer Einheiten. Die Quellen des Berichtes sind geschriebene Berichte von Vorgesetzten der einzelnen beteiligten Einheiten sowie insgesamt 170 Vernehmungen. In dem Bericht
werden unter der Überschrift „Zusammenfassung der Misshandlungen in Abu Ghraib“ die verschiedenen Vorfälle von Folter und Gefangenenmisshandlung detailliert geschildert - teilweise unter Angabe der Klarnamen der Beteiligten, teilweise verschlüsselt als Gefangener oder als Soldat mit einer Nummer versehen. Dieser Teil des Fay/Jones-Berichtes wurde aufgrund seiner Ausführlichkeit
und aufgrund der Tatsache, dass es sich um einen offiziellen Untersuchungsbericht einer beteiligten
Einheit der US-Streitkräfte handelt, übersetzt229 und wird im Nachfolgenden dokumentiert.
225
Hersh, Chain of Command, S. 53-55.
Cruelties Obscure the Truth, Sarasota Herald-Tribune, June 19, 2004.
227
Getting Away with Torture?: Command Responsibility for the U.S. Abuse of Detainees written by
Human Rights Watch, April 2005 Vol. 17, No. 1(G) Pg 49, citing Fay Report.
228
Und zwar in der bereits zitierten dreibändigen Veröffentlichung durch die New York University
„The Center on Law and Security“ unter dem Titel „Torture“ (Folter)
229
Übersetzerin: Frau Birgit Kolboske/ Berlin
226
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5. Zusammenfassung der Misshandlungen in Abu Ghraib
a. Bei dieser Untersuchung wurden unterschiedliche Arten der Gefangenenmisshandlung festgestellt: körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch, vorschriftswidriger Einsatz von Militärhunden, demütigende und entwürdigende Behandlung sowie der vorschriftswidrige Einsatz von
Isolationsmaßnahmen.
(1) Körperliche Misshandlungen. Mehrere Soldaten sagten aus, dass sie Zeugen körperlicher
Misshandlungen von Gefangenen geworden seien. Zu den von ihnen genannten Beispielen gehörten
Schlagen, Treten, einem Gefangenen in Handschellen schmerzhaft die Hände verdrehen, einen
gefesselten Internierten mit Bällen bewerfen, einem Internierten mit behandschuhten Händen
Mund und Nase zuhalten, um seine Atmung zu behindern, in der Beinwunde eines Internierten
„herumstochern“ und einen Internierten in Handschellen dergestalt zum Aufstehen zwingen, dass
infolgedessen seine Schulter ausgekugelt wurde. All diese Handlungen stellen eindeutig eine Verletzung geltender Gesetze und Vorschriften dar.
(2) Einsatz von Hunden. Der Einsatz von Hunden in einer Haftanstalt kann in Übereinstimmung
mit der Armeevorschrift AR 190-12 als wirksames und zulässiges Mittel angewendet werden, um
die Gefängnisinsassen zu kontrollieren. Werden die Hunde jedoch eingesetzt, um Gefangene in
Angst und Schrecken zu versetzen, stellt dies eine eindeutige Verletzung geltender Gesetze und
Vorschriften dar. Der mutmaßliche Wettstreit zwischen zwei Hundeführern des Heeres im Bemühen
darum, Gefangene durch die Gegenwart der Hunde zum Urinieren oder Defäkieren zu veranlassen,
stellt solch eine unzulässige Praxis dar. Der Fall, bei dem einem Hund in der Zelle zweier männlicher Jugendlicher erlaubt wurde „durchzudrehen“, stellt eindeutig einen missbräuchlichen Hundeeinsatz dar. Beide Jugendlichen schrieen und weinten, wobei der Jüngste und Kleinste versuchte,
sich hinter dem anderen Jugendlichen zu verstecken. (Bezugnahme Anlage B, Anhang 1, SOLDAT17)
(3) Demütigende und entwürdigende Behandlung. Handlungen, die darauf abzielen, einen
Gefangenen zu entwürdigen oder zu demütigen, sind durch die Genfer Konventionen, die Armeevorschriften und das Einheitliche Militärgesetzbuch (Uniform Code of Military Justice, UCMJ) verboten. Im Folgenden werden Beispiele aufgeführt, bei denen durch die Behandlung in Abu Ghraib
geltende Gesetze und Vorschriften verletzt wurden.
(4) Nacktheit. Nach zahlreichen Aussagen, und dies dokumentiert auch der Bericht des IRK ist es
offenbar gängige Praxis, Gefangene in entkleidetem Zustand in Gewahrsam zu halten. Vieles deutet
demnach darauf hin, dass Anziehsachen zur Strafe für mangelnde Kooperation mit den Vernehmungsbeamten oder der MP weggenommen wurden. Zudem wurden nackte Personen bewusst
Soldatinnen vorgeführt. Den betroffenen Soldaten wurde mitgeteilt, dass es sich hierbei um eine
anerkannte Gepflogenheit handele. Unter den gegebenen Umständen war diese Prozedurt jedoch
eindeutig demütigend und entwürdigend.
(5) Fotos. Eine Vielzahl von Fotos zeigt Gefangene in unterschiedlichen entkleideten Stadien, häufig dabei in entwürdigenden Positionen.
(6) Simulierte Sexualstellungen. Einige Soldaten berichten von Maßnahmen, bei denen Gefangene gezwungen wurden, mit Mitgefangenen Sexualstellungen zu simulieren. Viele dieser Vorgänge
wurden zudem fotografiert.
(7) Rechtswidrige Anwendung von Isolationsmaßnahmen. Die Isolierung von Gefangenen ist
nur ausnahmsweise zulässig, insbesondere dann, wenn die Gefahr besteht, dass Verhörtaktiken
oder andere geheime Informationen unter den Gefangenen ausgetauscht werden. Insbesondere
Artikel 5 der Genfer Konvention erlaubt im Einzelfall die Versagung der Kommunikation mit Mitgefangenen für den Fall, dass dies aus Gründen miliärischer Sicherheit unbedingt erforderlich ist. Die
Isolation von Gefangenen in Abu Ghraib diente jedoch häufig als Bestrafung, entweder für einen
Disziplinarverstoß oder mangelnde Kooperationsbereitschaft im Verhör. Hierbei wird Isolation
rechtswidrig angewendet. Abhängig von den Umständen stellt dies eine Verletzung geltender Gesetze und Vorschriften dar. Isolation kann nur dann eine angemessene Sanktion für Disziplinarverstöße sein, wenn sie durch das ordnungsgemäße Verfahren entsprechend der Darlegungen in AR
190-8 und der Genfer Konventionen angewandt wird.
(8) Unterlassener Schutz von Gefangenen. Die Genfer Konventionen und Armeevorschriften
legen fest, dass Gefangene „vor Gewalttätigkeit oder Einschüchterung, vor Beleidigungen und der
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öffentlichen Neugier geschützt werden“ sollen, Genfer Konvention, Artikel 27 und AR 190-8, Absatz
5 -1(a)(2). Demnach ist jede eine Einzelperson, die Zeuge einer Misshandlung wird, verpflichtet,
einzugreifen und den Missbrauch zu beenden. Die Unterlassung dessen kann eine Verletzung geltenden Rechts darstellen.
(9) Unterlassene Meldung von Misshandlungen von Gefangenen. Die Verpflichtung Misshandlungen zu melden, ist mit der Schutzpflicht eng verbunden. Die unterlassene Meldung eines
Falls von Missbrauch kann zu weiterem Missbrauch führen. Soldaten, die Zeugen solcher Vergehen
werden, sind verpflichtet, diese Verstöße nach Bestimmung des Artikels 92 des UCMJ zu melden.
Soldaten, denen solche Misshandlungen zur Kenntnis gelangen, sind ebenfalls verpflichtet, derartige Verstöße zu melden. Abhängig von ihrer Stellung und den ihnen übertragenen Dienstpflichten
kann die unterlassene Meldung eine Anklage wegen Pflichtvernachlässigung zur Folge haben, wegen eines Verstoßes gegen das UCMJ. Da auch Zivilpersonen, die als Vernehmende und Übersetzer
unter Vertrag genommen sind, den Genfer Konventionen unterliegen und den Auftrag haben, die
Internierten zu schützen, gilt für sie die gleiche Verpflichtung, solche Vergehen zu melden.
(10) Bei anderen traditionellen Fragen hinsichtlich der Aufsichtspflicht im Gefängnis war die Situation offenkundig weniger eindeutig. Zuständig für die Kleidung der Gefangenen ist die Militärpolizei.
Verhörspezialisten des militärischen Nachrichtendienstes begannen jedoch bereits am 16. September 2003, vollständige Entkleidung anzuordnen, um Gefangene zu demütigen und zum Zusammenbruch zu bringen. Zudem maßregelten Militärpolizisten manchmal Gefangene, indem sie ihnen die
Kleidung wegnahmen und die Gefangenen nackt in die Zellen sperrten. Diese Vorgehensweise wurde im Zeitraum von September bis November 2003 regelmäßig mit drastischem Kleidungsmangel
begründet. Entkleidung und Entblößung wurden benutzt, um Gefangene zu demütigen. Gleichzeitig
herrschte allgemeine Verwirrung dahingehend, was in Bezug auf Disziplinarmaßnahmen der Militärpolizei und Verhörregeln des Nachrichtendienstes zulässig und welche Kleidung erhältlich sei. Dies
begünstigte eine Atmosphäre, in der statt humaner Behandlung der Gefangenen eher Erniedrigung
an der Tagesordnung war.
b. Die Führung des Nachrichtendienstes (205 MI BDE) beabsichtigte ursprünglich, den Zellenblock
1A ausschließlich für Gefangene des militärischen Nachrichtendienstes zu reservieren. Faktisch
notierte CPT W. in einer Email vom 7. September 2003, dass während eines Besuchs von GENERALMAJOR G.M. und BG J.K., letzterer bestätigt habe, dass „wir (Nachrichtendienst) alle Isolationszellen in dem Flügel haben, in dem wir arbeiten. Am Anfang hatten wir nur 10 Zellen, aber das hat
sich auf den gesamten Flügel ausgeweitet.“ OBERSTLEUTNANT P. glaubte auch, dass ausschließlich
der Nachrichtendienst befugt sei, die in seinem Gewahrsam befindlichen Personen in Zellenblock 1A
unterzubringen. Tatsache ist jedoch, dass eine Reihe dieser Zellen häufig von der MP benutzt wurde, um dort disziplinarische „Problemfälle“ unterzubringen. Gestützt wird dies sowohl durch die
Aussage einer großen Personengruppe, die vor Ort war, wie auch durch Fotos und Gefangenenaussagen. Faktisch waren 11 von den insgesamt 25 Gefangenen, die der CID (Army’s criminal investigation division) als Opfer von Misshandlungen identifizierte, weder Gefangene des Nachrichtendienstes noch von diesem verhört worden. Die MPs steckten die Problemgefangenen (Gefangene,
bei denen eine Isolierung von den anderen Insassen aus Disziplinarmaßnahmen erforderlich war) in
Zellenblock 1A, weil es sonst keinen anderen Platz zur Isolation gab. Weder CPT W. noch MAJ W.
begrüssten die Form der Vermischung, da dies ein rein nachrichtendienstliches Terrain ausschloss,
doch wurden weder OBERSTLEUTNANT P. noch BG J.K. davon in Kenntnis gesetzt.
c. „Schlafentzug“ war eine Methode des Nachrichtendienstes, die unmittelbar nach Öffnung des
Zellenblocks 1A zur Anwendung kam. Dies stellte eine weitere Quelle für Missverständnisse zwischen Militärpolizei und Nachrichtendienst dar, die nicht nur zum Missbrauch der Gefangenen beitrug, sondern auch dessen Fortsetzung gestattete. Die Methode des Schlafentzugs hatte die Einheit
519 MI BN aus Afghanistan mitgebracht. In Abu Ghraib hatten die Militärpolizisten jedoch hinsichtlich der Durchführung des Schlafentzugs weder eine entsprechende Ausbildung noch genaue Anweisungen erhalten. Den Militärpolizisten wurde lediglich aufgetragen, den Gefangenen für die
Dauer eines vom Vernehmungsbeamten festgelegten Zeitraums wach zu halten. In Bezug auf die
Wachhaltemethoden verließen die Militärpolizisten sich auf ihr eigenes Urteil. Teil ihres Repertoires
war es, die Gefangenen aus ihren Zellen zu holen, sie zu entkleiden und unter die kalte Dusche zu
stellen. CPT W. sagte aus, dass sie von diesen Vorgängen nichts gewusst habe und davon ausgegangen sei, dass die Gefangenen von den Militärpolizisten durch Türhämmern, Schreien und laute
Musik wach gehalten würden. Als ein Nachrichtendienstoffizier sich erkundigte, wieso Wasser über
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einen nackten Gefangenen geschüttet würde, erhielt er die Erklärung, es handele sich dabei um
eine militärpolizeiliche Disziplinarmaßnahme. Wieder blieb völlig unklar, wem was und welche Methode gestattet war. Weder der Nachrichtendienst noch die Militärpolizei war über die Befugnisse
des anderen orientiert.
(Bezugnahme Anlage B, Anhang 1, W., JOYNER)
d. Diese Untersuchung ergab keinerlei Hinweise auf Unsicherheiten der Soldaten in Bezug auf die
Rechtswidrigkeit körperlicher Misshandlungen in Form von Schlagen, Treten, Ohrfeigen, Boxen und
Fußtritten. Mit Ausnahme eines einzelnen Soldaten wussten alle, mit denen wir gesprochen haben,
dass dies verboten war.
(Bezugnahme Anlage B, Anhang 1, SOLDAT- 29).
Nicht ganz so eindeutig stellt sich die Situation im Fall von nur mittelbaren körperlichen Eingriffen
dar, bei denen Gefangene Kälte bzw. Hitze ausgesetzt wurden oder ihnen Essen und Wasser verweigert wurde. Im äußersten Fall handelt es sich hierbei um körperliche oder psychische Nötigung.
Solche Misshandlungen, bei denen Gefangene bei kaltem Wetter nackt und ohne Decken in ihren
Zellen gehalten wurden, kamen in Abu Ghraib vor. Einige der körperlichen Misshandlungsexzesse in
Zellenblock 1A fanden auf Anweisung des militärischen Nachrichtendienstes statt, andere wurden
von Militärpolizisten durchgeführt, und zwar unabhängig von einer Verhörsituation.
(Siehe Absatz 5.e.-h.)
e. Mit Abstand am schlimmsten sind die körperlichen und sexuellen Misshandlungen von Gefangenen in Abu Ghraib. Die Spanne der Misshandlungen reicht von gewaltsamen Körperverletzungen,
wie beispielsweise Schlägen gegen den Kopf, die zur Bewusstlosigkeit der Gefangenen führten, bis
hin zu sexueller Nötigung zur Nachahmung von Sexualstellungen und Gruppenmasturbationen. Die
schlimmsten Fälle stellen der Tod eines Gefangenen im OGA-Gewahrsam, eine mutmaßlich von
einem US-Übersetzer begangene Vergewaltigung, die von einer Soldatin beobachtet wurde; sowie
der mutmaßliche sexuelle Übergriff auf eine unbekannte weibliche Person dar. Sie wurden von Einzelpersonen oder Kleingruppen begangen bzw. in deren Beisein durchgeführt. Diese Misshandlungen können nicht direkt mit einer systematischen Vorgehensweise der USA durch Folter oder einer
Billigung der Behandlung der Gefangenen gleichgesetzt werden. Die Militärpolizisten, gegen die
ermittelt wird, behaupten, auf Anweisung des Nachrichtendienstes gehandelt zu haben. Auch wenn
diese Behauptungen eine gewissen Entlastungstendenz aufweisen,, entbehren sie dennoch nicht
einer jeder Grundlage. Das in Abu Ghraib herrschende Klima schaffte den Boden für diese Misshandlungen und ihre von den Vorgesetzten unbemerkte Fortdauer über einen langen Zeitraum
hinweg. Was als Entkleiden und Demütigung, Stress und körperliche Ertüchtigung begann, ging in
sexuelle Nötigungen und massive Körperverletzungen durch eine kleine Gruppe moralisch korrupter, unbeaufsichtigter Soldaten und Zivilpersonen über. Vierundzwanzig (24) schwere Vorfälle sexueller Nötigung und Körperverletzung ereigneten sich in der Zeit vom 20. September bis zum 13.
Dezember 2003. Die in dieser Untersuchung festgestellten Vorfälle schließen einige der Misshandlungen ein, die bereits Gegenstand des Untersuchungsberichts von Generalmajor T. wurden. Diese
Untersuchung fügt jedoch einige Ereignisse hinzu, die zuvor unberücksichtigt geblieben sind. Ein
direkter Vergleich zwischen den im Taguba-Bericht und den hier zitierten Misshandlungen kann
nicht gezogen werden.
(1) Vorfall Nr. 1
Am 20. September 2003, schlugen und traten zwei Angehörige des militärischen Nachrichtendienstes einen passiven/wehrlosen irakischen Gefangenen in Handschellen. Dieser war zuvor mit einer
Irakerin festgenommen worden. Sie standen in Verdacht, an einem Mörserangriff am 20. September beteiligt gewesen zu sein, bei dem 2 Soldaten getötet wurden. Die beiden wurden unmittelbar
im Anschluss an den Angriff nach Abu Ghraib gebracht. Der Nachrichtendienst und die Internal
Reaction Force (IRF) der Militärpolizei wurden von der Festnahme in Kenntnis gesetzt und schickten
Teams zum Eingangskontrollbereich, um die Gefangenen entgegenzunehmen. Bei ihrer Ankunft
beobachtete die IRF, wie zwei Soldaten des Nachrichtendienstes den männlichen Gefangenen
schlugen und anschrieen und anschließend auf den Rücksitz eines universellen Radfahrzeugs, den
so genannten Hummer, warfen. 1LT S., 320th MP BN IRF griff ein, um die Misshandlungen zu beenden, woraufhin ihm die Nachrichtendienst-Soldaten mitteilten, „wir sind die Spezialisten, wir
wissen, was wir tun.“ Sie leisteten 1LT S.s rechtmäßiger Aufforderung nach Identifikation nicht
Folge. 1LT S. und sein IRF-Team (SGT S., SFC P.) meldeten diesen Vorfall umgehend und gaben
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MAJ D., 320 MP BN S3 und OBERSTLEUTNANT P., 320 MP BN Commander, eidesstattliche Zeugenerklärungen. 1SG M., A/205 MI BN vernahm SGT L., als die identifizierte Person, die den Gefangenen geschlagen hatte, sowie alle weiteren anwesenden Personen des ND: SSG H., SSG C., SGT C.,
SGT P.. Während die Aussagen aller Militärpolizisten die Misshandlungen durch einen unbekannten
Mitarbeiter des Nachrichtendienstes beschreiben (SGT L.), bestreitet der ND, dass es zu irgendwelchen Misshandlungen gekommen sei. OBERSTLEUTNANT P. meldete den Vorfall an die CID, die
beschied, dass keine ausreichende Grundlage für eine strafrechtliche Verfolgung gegeben sei. Der
Gefangene wurde am selben Tag verhört und entlassen (eine Verwicklung in den Mörseranschlag
erwies sich als unwahrscheinlich), so dass es keinen Gefangenen gibt, der entweder die Version der
Ereignisse des ND oder die der MP bestätigen könnte. Der Vorfall wurde aufgrund beschränkter
Informationslage und mangels weiterer Fahndungshinweise nicht weiter verfolgt.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, D., L., M., P., P., S., S.; Anhang B, Anlage 2, D., P., P,; Anhang
B, Anlage 3, P., S.)
(2) Vorfall Nr. 2.
Am 7. Oktober 2003 wurde die weibliche GEFANGENE-29 mutmaßlich von drei Mitarbeitern des ND
sexuell genötigt. Der zuständige Übersetzer war der ZIVILIST-06 (Titan), es fehlen jedoch Hinweise
auf seine Anwesenheit bzw. Beteiligung. Die GEFANGENE-29 sagte Folgendes aus: Zuerst holte die
Gruppe sie auch ihrer Zelle und führten sie den Gang hinunter zu einer leeren Zelle. Ein nicht identifizierter Soldat blieb vor der Zelle stehen (SOLDAT 33, A/519 MI BN); während ein anderer ihr die
Hände nach hinten hielt und der Dritte sie gewaltsam küsste (SOLDAT 32, A/519 MI BN). Sie wurde
dann nach unten zu einer anderen Zelle geführt, in der ihr ein nackter männlicher Gefangener vorgeführt und mitgeteilt wurde, ihr stünde dasselbe bevor, so sie nicht kooperieren würde. Sie wurde
dann zurück in ihre Zelle geführt, gezwungen niederzuknien und ihre Arme zu heben, während
einer der Soldaten (SOLDAT 31, A/519 MI BN) ihr das Hemd auszog. Sie begann zu weinen und
man gab ihr das Hemd zurück, wobei die Soldaten sie beschimpften und ihr erzählten, dass sie
jetzt jede Nacht zurückkämen. Das CID führte eine Untersuchung durch und SOLDAT 33, SOLDAT
32, und SOLDAT 31 machten Gebrauch von ihrem Recht die Aussage zu verweigern. Die GEFANGENE-29 identifizierte die drei Soldaten als SOLDAT 33, SOLDAT 32, und SOLDAT 31 und als die
Soldaten, die sie geküsst und ihr das Hemd weggenommen hatten. Die Rücksprache mit der 519
MI BN bestätigte, dass für diesen Abend keine Verhöre angesetzt waren. Es gibt keine Aufzeichnung darüber, dass der ND jemals ein autorisiertes Verhör mit ihr geführt hätte. Die Untersuchung
des CID wurde abgeschlossen. SOLDAT 33, SOLDAT 32, und SOLDAT 31 erhielten jeweils außergerichtliche Strafen (Field Grade Article 15) vom Kommandeur, 205 MI BDE (Militärnachrichtendienstbrigade), für das Versäumnis, das Verhör mit der GEFANGENEN-29 genehmigen zu lassen.
Zudem wurden sie von COL T.P. von den Vernehmungsvorgängen entfernt.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, T.P.; Anhang B, Anlage 2, T.P.; Anhang B, Anlage 3, Gefangene-29).
(3) Vorfall Nr. 3
Am 25. Oktober 2003 wurden die Gefangenen GEFANGENER-31, GEFANGENER-30 und GEFANGENER-27 entkleidet, dann nackt mit Handschellen aneinander gekettet und auf den Boden gelegt/geworfen. Dort wurden sie gezwungen, sich aufeinander zu legen und Sex(ualhandlungen)
miteinander zu simulieren. Dabei wurden sie fotografiert. Sechs Fotos belegen diesen Missbrauch.
Die Ergebnisse der CID-Untersuchung weisen darauf hin, dass die Gefangenen über einen Zeitraum
von mehreren Tagen wiederholt genötigt und missbraucht wurden, wie auch gezwungen, sich zu
entkleiden und Unzucht aneinander zu begehen. GEFANGENER-27 gab eine eidesstattliche Zeugenaussage zu diesen Misshandlungen ab. Die an diesen Misshandlungen beteiligten und/oder anwesenden Personen waren CPL G., 372 MP CO, SSG F., 372 MP CO, SPC E., 372 MP CO, SPC H., 372
MP CO, SOLDAT-34, 372 MP CO, ZVILIST-17, Titan Corp., SOLDAT-24, B/325 MI BN, SOLDAT-19,
325 MI BN, und SOLDAT-10, 325 MI BN. SOLDAT-24 behauptet, SOLDAT-10 am Abend des 25.
Oktober 2003 zum Hard Site begleitet zu haben, weil er sehen wollte, was mit den drei Gefangenen
passieren würde, die im Verdacht standen, einen jungen männlichen Gefangenen vergewaltigt zu
haben. SOLDAT-10 scheint im Vorfeld über die Misshandlungen informiert gewesen zu sein, möglicherweise aufgrund seines Freundschaftsverhältnisses mit SPC H., einem 372 MP CO Militärpolizisten. SOLDAT-24 glaubt weder, dass die Misshandlungen vom Nachrichtendienst angeordnet wurden, noch dass es sich dabei um für Verhöre vorgesehene Personen handelte. PFC E. behauptete
jedoch „Soldaten des Nachrichtendienstes haben sie (Militärpolizisten) angewiesen, sie aufzumischen.“ Als SOLDAT-24 dazukam, waren die Gefangenen nackt, erhielten durch ein Megaphon Anweisungen eines brüllenden Militärpolizisten. Die Gefangenen wurden gezwungen, auf ihren Bäuchen zu kriechen und waren mit Handschellen aneinander gefesselt. SOLDAT-24 beobachtete, dass
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sich SOLDAT-10 mit CPL G. und SSG F. an den Misshandlungen beteiligte. Alle drei veranlassten
die Gefangenen, so zu tun, als hätten sie Sex. Er sah, dass SOLDAT-19 Wasser aus einer Tasse
über die Gefangenen schüttete und einen Schaumgummifußball auf sie warf. SOLDAT-24 erzählte
SOLDATIN-25, B/321 MI BN was er gesehen hatte und diese meldete den Vorfall SGT J., 372 MP
CO. SGT J. bot SOLDAT-25 an, ihren NCOIC (Non Commissioned Officer In Charge) in Kenntnis zu
setzen und teilte SOLDAT-25 später mit, „er habe sich um alles gekümmert.“ SOLDATIN-25 gab
an, dass SOLDAT-24 und sie ein paar Tage später SOLDAT-22 von dem Vorfall berichtet hätten.
SOLDAT-22 unterließ es daraufhin zu melden, was ihm berichtet worden war. SOLDAT-25 gab den
Missbrauch nicht über die nachrichtendienstlichen Kanäle weiter, da sie den Eindruck hatte, dass es
eine Angelegenheit der Militärpolizei sei, die auch von dieser erledigt würde.
Es handelt sich hierbei eindeutig um einen Fall direkter Beteiligung der Mitarbeiter des Nachrichtendienstes an Gefangenenmissbrauch. Scheinbar gab es jedoch keine entsprechende Anweisung
des Nachrichtendienstes. Die drei Gefangenen waren für Straftaten inhaftiert und es bestand kein
geheimdienstliches Interesse an ihnen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde der Vorfall von Mitarbeitern der Militärpolizei (CPL G., SSG F., SOLDAT-34, SPC H., PFC E.) durchgeführt und Mitarbeiter des Nachrichtendienstes (SOLDAT-19, SOLDAT-10, und SOLDAT-24, ZIVILIST-17, sowie ein
weiterer nicht identifizierter Übersetzer) beteiligten sich daran bzw. guckten zu. (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, J., SOLDAT-19, ZIVILIST-17, SOLDAT-25; Anhang B, Anlage 3, SOLDAT-34, E.,
H., GEFANGENER-31, GEFANGENER-30, GEFANGENER-27; Anhang I, Anlage 1, Photos M36-41).
(4) Vorfall Nr. 4
Der GEFANGENE-08 traf am 27. Oktober 2003 in Abu Ghraib ein und wurde daraufhin zum Hard
Site geschickt. GEFANGENER-08 behauptet, dass ihm, als er zum Hard Site geschickt wurde, für
sechs Tage seine Kleidung weggenommen wurde. Danach erhielt er eine Decke und nur mit dieser
Decke verbrachte er drei weitere Tage. GEFANGENER-08 gibt an, dass er am darauf folgenden
Abend von CPL G., 372 MP CO MP, in den Duschraum befördert wurde, der allgemein für Verhöre
verwendet wurde. Den Angaben des GEFANGENEN-08 zufolge, warfen ihm CPL G. und ein anderer
MP, auf den die Beschreibung von SSG F. passt, Pfeffer ins Gesicht und verprügelten ihn eine halbe
Stunde lang, nachdem das Verhör beendet und die Verhörspezialistin gegangen war. GEFANGENER-08 beschrieb, dass er solange mit einem Stuhl geprügelt wurde, bis dieser zerbrach. Außerdem erhielt er Schläge und Tritte gegen die Brust und wurde solange gewürgt, bis er das Bewusstsein verlor.
Der GEFANGENE-08 erinnert sich daran, dass CPL G. bei anderen Gelegenheiten sein Essen ins Klo
warf und sagte “hol es dir und friss.“ Der Vorwurf wegen Misshandlung von GEFANGENEN-08 richtet sich nicht gegen seine Verhörspezialisten, sondern scheint von CPL G. und SSG F., beide MPs,
begangen worden zu sein. Eine Überprüfung der Verhörberichte legt jedoch einen Zusammenhang
zwischen besagten Misshandlungen und seinen Verhören nahe. Während seiner ersten vier Verhöre
wurde der GEFANGENE-08 von SOLDAT-29 vernommen, bei der es sich aller Wahrscheinlichkeit
nach um die von ihm erwähnte Verhörspezialistin handelt. Ihr Analyst war SOLDAT-10. Im Bericht
des ersten Verhörs gelangen sie zu der Schlussfolgerung, dass der Gefangene lügt und befürworten, seine „Einschüchterung“ für den Fall, dass er weiter lügt. Im Anschluss an sein zweites Verhör
empfehlen sie, GEFANGENEN-08 in Isolation (the Hard Site) zu verlegen, da er weiterhin „unaufrichtig“ bleibt. Zehn Tage später wird er, bevor er verprügelt wird, wieder verhört. Dieser Zeitraum
deckt sich grob mit den neun Tagen, die der GEFANGENE-08 angibt, ohne Kleidung bzw. Decken
verbracht zu haben. Das Verhörprotokoll geht auf seine Unterbringung im „Loch“ - ein kleiner Isolationskasten ohne Licht - und die Anwendung der „guter Bulle/schlechter Bulle“ Verhörmethode
ein. Laut Bericht „ließen“ die Verhörspezialisten „ihn von den Militärpolizisten anschreien“ und benutzten bei ihrer Rückkehr Einschüchterungsmethoden, dennoch „rückte [er] immer noch nicht mit
der Sprache heraus.“ Am folgenden Tag wurde er erneut verhört, und im Bericht ist der Kommentar vermerkt „direkte Vorgehensweise anwenden mit Gedächtnisstützen an die Unannehmlichkeiten, die sich beim letzten Mal, als er log, ereigneten.“ Vergleicht man die Vernehmungsberichte mit
den Erinnerungen von GEFANGENEM-08 scheint es naheliegend, dass sich die von ihm beschriebenen Misshandlungen zwischen seinem dritten und vierten Verhör abgespielt haben und seine Vernehmenden sich über die Misshandlungen – die „Unannehmlichkeiten“ – im Klaren gewesen sind.
SGT A. sagte aus, dass SOLDAT-29 und SSG F. eine enge persönliche Beziehung hatten, und es
scheint plausibel, dass sie den Gefangenen von CPL G. und SSG F. „weichkochen“ ließen, wie diese
behaupten. Der „ND” forderte sie bei verschiedenen, nicht spezifizierten Gelegenheiten dazu auf.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, A., SOLDAT-29; Anhang B, Anlage 3, GEFANGENER-08; Anhang
I, Anlage 4, GEFANGENER-08).
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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(5) Vorfall Nr. 5
Im Oktober 2003 berichtete GEFANGENER-07 von mehreren Fällen mutmaßlicher körperlicher
Misshandlungen während seines Aufenthalts in Abu Ghraib. GEFANGENER-O7 war ein Gefangener
des ND, der als sehr wichtig eingeschätzt wurde. Er wurde am 8., 21. und 29. Oktober, 4. und 23.
November sowie am 5. Dezember 2003 verhört. GEFANGENER-07 gibt an, dass die körperlichen
Misshandlungen (Schläge) am Tag seiner Ankunft begannen. Er musste lange Zeiträume nackt
und/oder in anstrengenden Positionen in Handschellen (“High cuffed”, d.h. die Arme über dem Kopf
mit Handschellen gefesselt), in seiner Zelle verbringen. Er musste längere Zeiträume mit einem
Sack über dem Kopf verbringen; Bettzeug wurde ihm verweigert. GEFANGENER-07 beschreibt,
dass er gezwungen wurde, „wie ein Hund zu bellen, auf dem Bauch zu kriechen, während die MPs
ihn anspuckten und auf ihn urinierten und ihn bis zur Bewusstlosigkeit schlugen.“ Bei einer anderen
Gelegenheit wurde GEFANGENER-07 an ein Fenster seiner Zelle gefesselt und gezwungen, Damenunterwäsche auf dem Kopf zu tragen. Bei noch einer weiteren Gelegenheit wurde GEFANGENER-07
gezwungen, sich hinzulegen, während MPs auf seinen Rücken und Beine sprangen. Er wurde mit
einem Besen geschlagen und ein chemisches Licht wurde zerbrochen und der Phosphorinhalt über
seinen Rücken gegossen. GEFANGENER-04 war Zeuge der Misshandlung mit dem Chemo-Licht. Bei
dieser Misshandlung wurde ein Polizeistock eingesetzt, um den GEFANGENEN-07 anal zu penetrieren. Dabei wurde er von zwei Militärpolizistinnen geschlagen, die mit einem Ball seinen Penis bewarfen und ihn so fotografierten. Diese Untersuchung brachte keine fotografischen Beweisstücke
für die Misshandlung mit dem chemischen Licht oder die sexuellen Misshandlungen zutage. GEFANGENER-07 führte zudem aus, dass der ZIVILIST-17, Übersetzer der Militärpolizei, Titan Corp.,
ihm mit Schlägen eines Tages eine solch große Platzwunde zufügte, dass sie genäht werden musste. Er setzte SOLDAT-25, Analyst, B/321 MI BN über diesen Vorfall in Kenntnis. SOLDAT-25 erkundigte sich bei den Militärpolizisten, was mit dem Ohr des Gefangenen passiert sei und erhielt die
Mitteilung, dass dieser in seiner Zelle gefallen sei. SOLDAT-25 machte keine Meldung von der Misshandlung des Gefangenen. SOLDAT-25 behauptet, der Gefangene hätte diese Behauptung im Beisein von ZIVILIST-21, Analyst/Verhörspezialist, CACI, hervorgebracht, was von diesem bestritten
wird. Zwei Fotos, die am 1. November um 22 h gemacht wurden, zeigen einen Gefangenen mit
einer frisch genähten Wunde am Ohr. Es konnte jedoch nicht bestätigt werden, dass das Foto GEFANGENEN-07 zeigt.
Ausgehend von den vom Gefangenen dargelegten Details und dem engen Zusammenhang zu anderen bekannten Misshandlungen der Militärpolizei ist es höchstwahrscheinlich, dass die Behauptungen von GEFANGENER-07 der Wahrheit entsprechen. Seine Aussagen und die vorliegenden Fotos
weisen jedoch nicht auf eine direkte Beteiligung des Nachrichtendienstes hin. Allerdings ergeben
das Interesse des Nachrichtendienstes an diesem Gefangenen, seine Unterbringung in Zellenblock
1a des Hard Site und der Beginn der Misshandlungen im Moment seines Eintreffens eine Indizienverbindung zum Nachrichtendienst (Kenntnis von oder implizites Anordnen der Militärpolizisten
„Bedingungen herzustellen“), die schwer zu ignorieren ist. Aufgrund der Regelmäßigkeit der Verhöre und des hohen Interesses an seinem Informationswert hätte der Nachrichtendienst darüber im
Bilde sein müssen, was diesem Gefangenen angetan wurde.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-25, ZIVILIST-21; Anhang B, Anlage 3, GEFANGENER04, GEFANGENER-07; Anhang I, Anlage 1, Fotos M54-55).
(6) Vorfall Nr. 6
GEFANGENER-10 und GEFANGENER-12 führten an, dass sie und „vier irakische Generäle“ vom
Moment ihres Eintreffens im Hard Site an misshandelt worden seien. In den Berichten der Militärpolizei wird aufgeführt, dass GEFANGENER-10 eine 4 cm lange Platzwunde am Kinn infolge seines
Widerstandes gegen die militärpolizeiliche Verlegung erhielt. Seine Verletzungen sind wahrscheinlich die, die auf verschiedenen Fotos eines nicht identifizierten Gefangenen mit verwundetem Kinn
und blutigen Anziehsachen zu erkennen sind, die am 14. November aufgenommen wurden, ein
Datum, das mit seiner Verlegung übereinstimmt. GEFANGENER-12 erklärt, dass er auf den Boden
geworfen und geboxt sowie gezwungen wurde, nackt mit einem Sandsack über dem Kopf in seine
Zelle zu kriechen. Bei diesen beiden Gefangenen ebenso wie den anderen vier (GEFANGENER-20,
GEFANGENER-19, GEFANGENER-22, GEFANENER-21) handelte es sich ausnahmslos um hochrangige irakische Offiziere oder ranghohe Mitglieder des irakischen Geheimdienstes. Militärpolizeiliche
Eintragungen aus der Hard Site verweisen darauf, dass sie bei ihrer Verlegung in den Hard Site den
Versuch unternahmen, einen Aufstand anzuzetteln. Es existieren keine Aufzeichnungen darüber,
was in Camp Vigilant oder mit den verletzten Gefangenen passiert ist. Bei der Aufnahme von GEFANGENER-10 in die Hard Site, leistete er Widerstand und wurde gegen die Wand geworfen. Dabei
bemerkten die Militärpolizisten, dass Blut unter seiner Kapuze hervorlief und entdeckten die Verlet-
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zung auf seinem Kinn. Umgehend wurde ein Militärsanitäter herbeigerufen, um das Kinn des Gefangenen zu nähen. Diese Vorgänge wurden komplett aufgezeichnet und weisen darauf hin, dass
der Gefangene sich die Verletzung vor seiner Ankunft im Hard Site zuzog und er umgehend medizinische Betreuung erhielt. Wann, wo und durch wen dieser Gefangene seine Verletzungen erhielt,
konnte weder festgestellt, noch eine Einschätzung darüber gemacht werden, ob es sich um „gerechtfertigte Gewaltanwendung“ im Kontext eines Aufstandes handelte.
Unser Interesse an diesem Vorfall beruht auf den militärpolizeilichen Eintragungen, die GEFANGENEN-10 betreffen und darauf hinweisen, dass der Nachrichtendienst Anweisungen für dessen Behandlung gab. CPL G. machte eine Eintragung, die darauf hinweist, dass SFC J., die er wiederum
von OBERSTLEUTNANT J. hatte, ihn mit den Worten angewiesen hat: „Strip them out and PT
them.” Ob „Strip out“ bedeutete, sie zu entkleiden oder zu isolieren, konnten wir nicht feststellen.
Ob „PT“ körperliche Anstrengung oder Misshandlung bedeutete, kann nicht festgestellt werden. Die
mangelnde Eindeutigkeit dieser Anordnung kann jedoch jedwede Form der Misshandlung zur Folge
gehabt haben. Die mutmaßliche Misshandlung, Verletzung und brutale Behandlung im Zusammenhang mit dem Transfer der Gefangenen in den nachrichtendienstlichen Gewahrsam legt auch nahe,
dass der Nachrichtendienst möglicherweise Anweisungen gegeben hat oder der Militärpolizei der
Eindruck vermittelt wurde, sie sollte die Gefangenen misshandeln oder „weichkochen“, es gibt jedoch keinen eindeutigen Beweis.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, J., J.; Anhang C).
(7) Vorfall Nr. 7
Am 4. November 2003, starb ein Gefangener des CIA, der GEFANGENE-28, im Gewahrsam des
Zellenblocks 1B. Mutmaßlich war er von einem SEAL-Team (sea-air-land team) der Marine in einer
gemeinsamen TF121/CIA Mission gefangen genommen worden. GEFANGENER-28 stand im Verdacht, an einem Anschlag auf das IRK beteiligt gewesen zu sein und war zum Zeitpunkt seiner
Festnahme im Besitz mehrerer Waffen. Berichten zufolge widersetzte er sich seiner Festnahme,
und ein Angehöriger einer SEAL-Truppe versetzte ihm einen seitlichen Knüppelschlag an den Kopf
(butt-stroke), um ihn außer Gefecht zu setzen. CIA-Vertreter lieferten GEFANGENEN-28 irgendwann zwischen 4.30h und 5.30h ein. Angeblich in mündlicher Absprache mit dem CIA verzichteten
sie darauf, das JIDC (Joint Interrogation and Debriefing Center, Gemeinsames Verhör- und Einsatzbesprechungszentrum) in Kenntnis zu setzen. Obwohl noch nicht alle Einzelheiten im Zusammenhang mit dem Tod des Gefangenen-28 bekannt sind (CIA, DOJ und CID müssen noch ihre Ermittlungen abschließen und die Ergebnisse veröffentlichen) sagte SPC S., Militärpolizist im Hard
Site, der zu diesem Zeitpunkt Dienst hatte, dass zwei CIA-Angehörige GEFANGENEN-28 hereinbrachten und ihn zum Duschraum in Zellblock 1 B brachten. Etwa 30 bis 45 Minuten später wurde
SPC S. zum Duschraum geordert. Zum Zeitpunkt seines Eintreffens schien GEFANGENER-28 tot zu
sein. SPC S. entfernte den Sandsack, der über dem Kopf von GEFANGENER-28 hing und tastete
nach seinem Puls. Er fand keinen. Er öffnete die Handschellen von GEFANGENEM-28, forderte medizinische Hilfe an und informierte seine Weisungskette. OBERSTLEUTNANT J. sagte aus, dass er
kurze Zeit später über den Tod informiert wurde, ca. gegen 7:15h. OBERSTLEUTNANT J. begab sich
in den Hard Site und sprach mit ZIVILIST-03, einem irakischen Gefängnisarzt, der ihn von dem Tod
des GEFANGENEN-28 in Kenntnis setzte. OBERSTLEUTNANT J. sagte aus, GEFANGENER-28 hätte in
der Dusche von Zellblock 1B gelegen, mit dem Gesicht nach unten und auf dem Rücken mit Handschellen gefesselten Händen. OBERSTLEUTNANT J.s Version mit den Handschellen, widerspricht
SPC S.s’ Darstellung, dass er die Handschellen von GEFANGENER-28 gelöst hätte. CID und CIA
ermitteln in diesem Fall weiter.
Ein CIA-Mann, der nur als “MITARBEITER DES ANDEREN DIENSTES/MAD-01” identifiziert wurde,
war neben mehreren Militärpolizisten und US-Sanitätspersonal anwesend. OBERSTLEUTNANT J.
erinnert sich, dass "MAD-01" GEFANGENER-28 die Handschellen abnahm und die Leiche herumdrehte. OBERSTLEUTNANT J. gab an, dass er kein Blut habe erkennen können, mit Ausnahme eines
kleinen Flecks an der Stelle, an der der Kopf von GEFANGENEM-28 den Boden berührte. OBERSTLEUTNANT J. benachrichtigte COL T.P. (205 MI BDE Commander), und "MAD-01" erklärte, dass er
„MAD-02“, seinen CIA-Vorgesetzten, benachrichtigen würde. Gleich bei seinem Eintreffen erklärte
"MAD-02", dass er Washington benachrichtigen würde und beantragte zudem die Aufbewahrung
der Leiche von GEFANGENEM-28 bis zum folgenden Tag im Hard Site. Die Leiche wurde in einen
Leichensack gesteckt, in Eis gepackt und im Duschraum aufbewahrt. Das CID wurde informiert und
die Leiche am nächsten Tag auf einer Bahre aus Abu Ghraib abgeholt, um den Eindruck eines Krankentransports zu erwecken und so zu vermeiden, dass die Aufmerksamkeit der irakischen Wächter
und Gefangenen darauf gelenkt wurde. Die Leiche wurde zur Autopsie ins Leichenschauhaus am
Flughafen (BIAP) gebracht, die ergab, dass GEFANGENER-28 an einem Blutgerinnsel im Kopf ge-
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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storben sei, wahrscheinlich eine Folge der Verletzungen, die er sich beim Widerstand gegen seine
Festnahme zugezogen hat. Es gibt keine Hinweise oder Vorwürfe dahingehend, dass die Beteiligung
der Mitarbeiter des Nachrichtendienstes an diesem Fall über das Entfernen der Leiche hinausgegangen wäre.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, J., T.P., P., Sn., S., T.; Anhang I, Anlage 1, Fotos C5-21, D511, M65-69).
(8) Vorfall Nr. 8
Am 20. Oktober 2003 wurde der GEFANGENE-03 mutmaßlich entkleidet und körperlich misshandelt
als Strafe dafür, dass er angeblich aus seiner Zahnbürste eine messerartige Waffe geschnitzt hätte.
GEFANGENER-03 erklärte, dass die Zahnbürste nicht von ihm sei. Eine militärpolizeiliche Logbucheintragung von SSG F., 372 MPs ordnet an, den GEFANGENEN-03 sechs Tage lang unbekleidet in
seiner Zelle zu halten. GEFANGENER-03 behauptet, ihm sei gesagt worden, dass man ihm seine
Kleidung und Matratze zur Strafe weggenommen habe. Er gibt an, dass er am folgenden Tag mehrere Stunden lang mit Handschellen an seine Zelltür gefesselt worden sei. Außerdem sei er in einen
geschlossenen Raum gebracht worden sei, wo er mit kaltem Wasser übergossen und sein Gesicht
in den Urin von jemand anders gedrückt worden sei. Danach sei er mit einem Besen geschlagen
und angespuckt worden. Eine Soldatin habe auf seinen Beinen gestanden und den Besen gegen
seinen Anus gepresst. Er beschreibt, dass er tagsüber seine Kleidung von SGT J. erhielt, die ihm an
jedem der folgenden drei Abende wieder von CPL G. wieder abgenommen wurde. GEFANGENER-03
war ein Gefangener des Nachrichtendienstes,, wurde jedoch zwischen dem 16. September und 2.
November 2003 nicht verhört. Es scheint schlüssig, dass seine Vernehmenden nichts von diesen
mutmaßlichen Misshandlungen gewusst haben, und GEFANGENER-03 gab auch nicht an, sie informiert zu haben.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 3, GEFANGENER-03).
(9) Vorfall Nr. 9
Drei Fotos, die am 25. Oktober 2003 aufgenommen wurden, zeigen PFC E., 372 MP CO, wie sie
eine Peitsche hält, die um den Hals eines nicht identifizierten Gefangenen geschlungen ist. Ebenfalls abgebildet auf dem Foto ist SPC A., der an der Seite steht und zuschaut. In ihrer ersten Aussage gegenüber dem CID behauptet PFC E., dass CPL G. dem Gefangenen den Bindegurt um den
Hals gelegt und sie dann aufgefordert hätte, für ein Bild zu posieren. Es gibt keinen Hinweis für
Kenntnis oder eine Beteiligung des Nachrichtendienstes an diesem Vorfall.
(Bezugnahme Anhang E, CID Report and Bezugnahme Anhang I, Anlage 1, Fotos M33-35).
(10) Vorfall Nr. 10
Sechs Fotos zeigen GEFANGENEN-15, der auf einer Kiste steht. An seinen Fingern sind simulierte
Elektrodrähte angebracht und er trägt eine Kapuze über dem Kopf. Diese Fotos wurden am 4. November 2003 zwischen 21:45h und 23:15h aufgenommen. GEFANGENER-15 beschreibt eine weibliche Person, die ihn zwingt, auf der Kiste zu stehen und ihm erzählt, dass er durch den Stromschlag getötet würde, sollte er herunterfallen; zudem einen „großen schwarzen Mann“, der ihm die
Drähte an Fingern und Penis anbrachte. Die CID-Ermittlungen zu den Misshandlungen in Abu
Ghraib haben ergeben, dass SGT J.D., SPC H., CPL G. und SSG F., 372 MP CO, bei dieser Misshandlung anwesend waren. GEFANGENER-15 befand sich nicht im Gewahrsam des Nachrichtendienstes, und es ist unwahrscheinlich dass der Nachrichtendienst über diese Misshandlung informiert war.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 3, GEFANGENER-15; Anhang I, Anlage 1 Fotos C1-2, D19-21,
M64).
(11) Vorfall Nr. 11
29 Fotos die am 7. und 8. November 2003 zwischen 23:15 h und 00:24 h aufgenommen wurden,
zeigen sieben Gefangene (GEFANGENER-17, GEFANGENER-16, GEFANGENER-24, GEFANGENER23, GEFANGENER-26, GEFANGENER-01, GEFANGENER-18), die körperlich misshandelt und dabei
gezwungen werden, sich aufeinander zu legen und zu masturbieren. Auf einigen dieser Bilder sind
CPL G. und SPC H. abgebildet . Die CID-Ermittlungen in diesem Fall identifizierten SSG F., CPL G.,
SGT J.D., SPC A., SPC H., SPC S. und PFC E., alle Angehörige der Militärpolizei, als Initiatoren und
Beteiligte besagter Misshandlungen. Aussagen von PFC E., SGT J. D., SPC S., SPC W., SPC H., GEFANGENEM-17, GEFANGENEM-01, und GEFANGENEM-16 gegenüber dem CID beschreiben detailliert, dass die Gefangenen entkleidet und auf einen Haufen gestoßen wurden, auf den dann SGT J.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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D., CPL G., und SSG F. sprangen. Sie wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten von SPC H., SPC
S., und SSG F. fotografiert. Anschließend wurden die Gefangenen in Sexualstellungen gebracht und
zum Masturbieren gezwungen und „wie Tiere geritten.“ CPL G. schlug mindestens einen Gefangenen bewusstlos und SSG F. boxte einen anderen so hart gegen den Brustkorb, dass seine Atmung
ausblieb und ein Mediziner geholt wurde. SSG F. initiierte die Masturbation und zwang die Gefangenen einander zu schlagen. PFC E. sagte aus, dass sie beobachtet hätte, wie SSG F. einen der
Gefangenen während dieser Misshandlungen gegen die Brust schlug. Der Gefangene hatte
Atemschwierigkeiten und ein Mediziner, SOLDAT-01, wurde geholt. SOLDAT-01 behandelte den
Gefangenen und bemerkte bei seinem Aufenthalt im Hard Site die „menschliche Pyramide“ nackter
Gefangener mit Säcken über ihren Köpfen. SOLDAT-01 unterließ es, diese Misshandlungen zu melden. Diese Gefangenen befanden sich nicht in nachrichtendienstlichem Gewahrsam und über eine
Beteiligung des Nachrichtendienstes an diesen Misshandlungen wurde weder gemutmaßt, noch
scheint sie wahrscheinlich. SOLDAT-29 berichtete, dass sie im Hard Site einen (Computer-) Bildschirmschoner gesehen habe, der mehrere, zu einer Pyramide gestapelte, nackte Gefangene zeigte. Sie habe außerdem, ohne Bezug zu diesem Vorfall, CPL G. einen Gefangenen ohrfeigen sehen.
Sie erklärte, dass sie keine Meldung über das Bild der nackten Gefangenen beim Nachrichtendienst
erstattet hätte, da sie es nicht wieder gesehen hätte und sie ebenso wenig die Ohrfeige gemeldet
hätte, da sie diese nicht als Misshandlung wahrgenommen hätte.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-29; Anhang B, Anlage 3, GEFANGENER-01, GEFANGENER-17, GEFANGENER-16, E., D., H., S., W.; Anhang B, Anlage 3, TAB A, SOLDAT-01, und Anhang
I, Anlage 1, Fotos C24-42, D22-25, M73-77, M87).
(12) Vorfall Nr. 12
Ein Foto, das um den 27. Dezember herum aufgenommen wurde, zeigt den nackten GEFANGENEN14, dem offenbar eine Flinte in dem Anus steckt. Dieses Foto konnte keinem spezifischen Vorfall,
Gefangenen oder Vorwurf zugeordnet werden und eine Beteiligung des Nachrichtendienstes lässt
sich nicht bestimmen.
(Bezugnahme Anhang I, Anlage 1, Fotos D37-38, H2, M111).
(13) Vorfall Nr. 13
Drei Fotos, die am 29. November 2003 aufgenommen wurden, zeigen einen nur mit seiner Unterwäsche bekleideten Gefangenen, der mit gespreizten Beinen und in der Taille abgewinkeltem Oberkörper auf zwei Kisten steht. Dieses Foto konnte keinem spezifischen Vorfall, Gefangenen oder
Vorwurf zugeordnet werden und eine Beteiligung des Nachrichtendienstes ist nicht zu bestimmen.
(Bezugnahme Anhang I, Anlage 1, Fotos D37-38, M111)
(14) Vorfall Nr. 14
Ein Foto vom 18. November 2003 zeigt einen in ein Hemd oder Laken gekleideten Gefangenen,
dem eine Banane im Anus steckt. Diese wie auch zahlreiche andere Fotos zeigen den gleichen Gefangenen mit Fäkalien beschmiert zwischen zwei Bahren. Seine Hände sind dabei in Sandsäcke
gehüllt oder mit Schaumstoff umwickelt. Auf allen Bildern ist der GEFANGENE-25 zu erkennen.
Obwohl den Ermittlungen des CID zufolge alle Vorfälle selbst beigebracht waren, stellen sie einen
Missbrauch dar: ein Gefangener, dessen kranker Geisteszustand bekannt ist, hätte weder die Banane erhalten noch fotografiert werden dürfen. Der Gefangene ist ernsthaft geistesgestört und die
auf den Fotos abgebildeten Fixierungen wurden mutmaßlich dazu verwendet, den Gefangenen davon abzuhalten, sich anal zu penetrieren und sich und andere mit seinen Körperausscheidungen
anzugreifen. Es war bekannt, dass der Gefangene regelmäßig versuchte, sich unterschiedliche Gegenstände rektal einzuführen sowie seinen Urin und Kot zu verzehren oder damit herumzuwerfen.
Der Nachrichtendienst hatte keine Verbindung zu diesem Gefangenen.
(Bezugnahme Anhang C; Anhang E; Anhang I, Anlage 1, Fotos C22-23, D28- 36, D39, M97-99,
M105-110, M131-133).
(15) Vorfall Nr. 15
Am 26. oder 27. November 2003 beobachtete SOLDAT-15, 66 MI GP, den ZIVILISTEN-11, CACIMitarbeiter (private Sicherheitsfirma), beim Verhör eines irakischen Polizisten. Während des Verhörs betrat SSG F., 372 MP CO, abwechselnd die Zelle und baute sich unmittelbar vor dem Gefangenen auf oder stand vor der Zelle. ZIVILIST-11 befragte den Polizisten dann unter Hinweis darauf,
dass im Fall des Ausbleibens einer Antwort, SSG F. wieder zurück in die Zelle geholt würde. Irgendwann im Verlauf des Verhörs presste SSG F. sekundenlang seine Hand auf die Nase des Poli-
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zisten, der infolgedessen keine Luft mehr bekam. Bei einer anderen Gelegenheit benutzte SSG F.
einen zusammenklappbaren Gummiknüppel, um den Polizisten herumzuschubsen, ihm möglicherweise seinen Arm zu verdrehen und ihm Schmerz zuzufügen. Als SSG F. aus der Zelle herauskam,
erzählte er SOLDAT-15, dass er imstande sei, dies durchzuführen, ohne Spuren zu hinterlassen.
SOLDAT-15 machte keine Meldung von diesem Vorfall. Der Übersetzer, der bei diesem Verhör eingesetzt wurde, war ZIVILIST-16.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-15)
(16) Vorfall Nr. 16
Zu einem nicht bekannten Datum beobachtete SGT Hernandez, ein Analyst, wie der ZIVILIST-05,
ein CACI-Mitarbeiter, einen Gefangenen von einem der Hummer (HMMWV) riss und ihn zu Boden
warf. Danach zerrte ZIVILIST-05 den Gefangenen in eine Verhörzelle. Der Gefangene war die ganze Zeit über in Handschellen. Sobald der Gefangene versuchte sich aufzurichten, warf ihn ZIVILIST-05 wieder um. SGT Hernandez meldete den Vorfall dem CID, jedoch nicht dem Nachrichtendienst.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, H.)
(17) Vorfall Nr. 17
Eine militärpolizeiliche Logbucheintragung vom 30. November 2003, hält fest, dass ein nicht identifizierter Gefangener blutüberströmt in seiner Zelle aufgefunden wurde. Dieser Gefangene hatte CPL
G., 372 MP CO, angegriffen, als man ihn in eine Isolationszelle im Zellenblock 1A brachte. CPL G.
and CPL K., überwältigten den Gefangenen, legten ihm Fesseln an und steckten ihn in eine Isolationszelle. Gegen etwa 3:20h am 30. November 2003, wurde lautes Hämmern gegen die Tür der
Isolationszelle vernehmbar. Bei der darauf folgenden Überprüfung der Zelle wurde der Gefangene
blutüberströmt neben der Tür stehend gefunden. Dieser Gefangene war nicht in nachrichtendienstlichem Gewahrsam und es existieren keine Aufzeichnungen über eine Verbindung des Nachrichtendienstes mit diesem Vorfall oder Gefangenen.
(Bezugnahme Anhang I, Anlage 1, Fotos M115-129, M134).
(18) Vorfall Nr. 18
Am 12. oder 13. Dezember 2003 erklärte der GEFANGENE-06, mehrfach von US-Soldaten misshandelt worden zu sein. GEFANGENER-06 ist ein syrischer Kämpfer und nach eigener Darstellung
Dschihad-Krieger, der in der Absicht in den Irak kam, Koalitionstruppen zu töten. Den Aussagen
von GEFANGENEM-06 zufolge, übten die Soldaten Vergeltung an ihm, als er nach seiner Entlassung
von der Krankenstation infolge einer Schießerei, bei der er versucht hatte, US-Soldaten zu töten,
wieder in den Hard Site zurückkehrte. GEFANGENER-06 hatte sich von einem irakischen Polizisten
eine Pistole hereinschmuggeln lassen, die am 24. November 2003 in der Absicht zum Einsatz
brachte, diensthabendes US-Personal im Hard Site zu erschießen. Ein Militärpolizist schoss zurück
und verwundete dabei GEFANGENEN-06. GEFANGENER-06 ergab sich, als er keine Munition mehr
hatte und wurde auf die Krankenstation geschafft. Nach Aussage von GEFANGENEM-06, erhielt er
dort einen Besuch von ZIVILIST-21, der ihm furchtbare Folter für den Zeitpunkt seiner Rückkehr
androhte. GEFANGENER-06 gibt an, dass er bei seiner Rückkehr in den Hard Site auf die unterschiedlichste Art und Weise bedroht und misshandelt wurde: u. a. bedrohten ihn Soldaten mit Tod
und Folter; er wurde gezwungen Schweinefleisch zu essen und Schnaps zu trinken; eine „sehr heiße“ Substanz wurde ihm in die Nase gesteckt und auf die Stirn gedrückt; wiederholt prügelten
Wächter mit einem massiven Kunststoffstock auf sein „gebrochenes“ Bein ein; er wurde gezwungen, seine Religion zu „verfluchen“ und vollgepinkelt; stundenlang hing er in Handschellen von der
Zelltür herunter; er erhielt Schläge gegen den Hinterkopf und Hunde wurden auf ihn gehetzt, um „
[ihn] zu beißen“. Diese Aussage wurde von einem Mediziner, SOLDAT-20, erhärtet, der gerufen
wurde, um einen Gefangenen (GEFANGENER-06) zu behandeln, der über Schmerzen klagte. Bei
seinem Eintreffen fand SOLDAT-20 den GEFANGENEN-06 mit Handschellen an das obere Bett gefesselt vor, so dass er nicht in der Lage war, sich hinzusetzen und CPL G. stocherte in den Wunden
seiner Beinen herum, so dass der Gefangene vor Schmerzen aufschrie. SOLDAT-20 verabreichte
Schmerzmittel und zog sich zurück. Er kehrte am folgenden Tag zurück, um erneut GEFANGENEN06 an das obere Bett gefesselt vorzufinden. Dasselbe wiederholte sich wenige Tage später, diesmal
war der Gefangene mit Handschellen an die Zelltür gefesselt und seine Schulter ausgekugelt. SOLDAT-20 versuchte weder die Misshandlungen zu unterbrechen, noch darüber Meldung zu erstatten.
GEFANGENER-06 gab außerdem an, ihm seien im Vorfeld der Schießerei (die er mit den Worten
„als ich von mehreren Kugeln getroffen wurde“ beschrieb, ohne mit einer Silbe zu erwähnen, dass
er selber geschossen hatte) „alle ein bis zwei Stunden Folter und Strafen“ angedroht worden,
Schlaf sei ihm durch „stundenlanges“ Stehen entzogen worden und ein „schwarzer Mann“ habe ihm
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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bei zwei Gelegenheiten angedroht, ihn zu vergewaltigen. Obwohl GEFANGENER-06 aussagte, dass
ihn „eine Reihe Soldaten“ in seine Zelle geführt hätte, sagte er ebenfalls aus, dass er niemals CPL
G. einen Gefangenen habe schlagen sehen. Diese Ausführungen stammen von einem Gefangenen,
der versucht hat, Angehörige der US-Armee zu töten. Obwohl es wahrscheinlich ist, dass GEFANGENER-06 bei seiner Rückkehr in den Hard Site von einigen Soldaten rau angepackt wurde, stellen
diese Anklagen potentiell die Übertreibungen eines Mannes dar, der Amerikaner hasst.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 3, GEFANGENER-06, SOLDAT-20).
(19) Vorfall Nr. 19
SGT A., 470 MI GP, sagte aus, dass sie in der Zeit zwischen dem 4. und 13. Dezember 2003, ein
paar Wochen nach der Schießerei „des Gefangenen, der eine Pistole hatte“ (GEFANGENER-06),
gehört habe, dass dieser von der Krankenstation zurück sei. Da er der von ihr verhörte nachrichtendienstliche Gefangene war, suchte sie ihn zwecks Überprüfung auf. Sie fand den GEFANGENEN06 ohne Kleidung und Decken vor, mit blutenden Wunden und einem Katheter, ohne den dazugehörigen Beutel. Die Militärpolizisten teilten ihr mit, es gäbe keine Kleidung für den Gefangenen.
SGT A. beauftragte die Militärpolizisten dem Gefangenen irgendwelche Kleidung zu besorgen und
ging zur Krankenstelle, um den diensthabenden Arzt zu holen. Der Arzt (Colonel) fragte SGT A.,
was sie denn wolle. SGT A. fragte ihn im Gegenzug, ob er sich darüber bewusst sei, dass der Gefangene immer noch einen Katheter trüge. Dies bestätigte der Colonel mit der Begründung, dem
Combat Army Surgical Hospital (CASH) sei ein Fehler unterlaufen, und da das CASH dafür verantwortlich sei, könne er ihn nicht entfernen. Obwohl SGT A. keinen Zweifel darüber aufkommen ließ,
dass dies inakzeptabel sei, weigerte er sich erneut, den Katheter zu entfernen mit dem Hinweis
darauf, dass der Gefangene ohnehin am folgenden Tag zurück ins CASH solle. Auf die Frage von
SGT A., ob er je von den Genfer Konventionen gehört habe, entgegnete der Colonel: „Schön, Sergeant, Sie tun, was Sie nicht lassen können, und ich gehe wieder zurück ins Bett.“
Dieser Vorfall verdeutlicht, dass der GEFANGENE-06 weder angemessene medizinische Versorgung
noch Kleidung oder Bettzeug erhielt. Bisher konnte der „Colonel“ im Rahmen dieser Untersuchung
noch nicht identifiziert werden, aber die Ermittlungen gehen weiter. OBERSTLEUTNANT Akerson
war von Anfang Oktober bis Ende Dezember medizinischer Stabschef für „Sicherheitsgefangene“ in
Abu Ghraib. Er behandelte GEFANGENEN-06 im Anschluss an die Schießerei und nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus. Er kann sich weder an solch einen Vorfall noch daran erinnern, dass
GEFANGENER-06 einen Katheter getragen hätte. Es ist möglich, dass SGT A. an diesem Abend zu
einem anderen Arzt gebracht wurde Auf ihre Nachfrage erhielt sie den Bescheid, dass der Arzt ein
Colonel und kein Lieutenant Colonel sei. Sie äußerte sich zuversichtlich, den Colonel anhand eines
Fotos identifizieren zu können. OBERSTLEUTNANT A. bezeichnete die medizinischen Berichte in Abu
Ghraib als hervorragend. Abweichend dazu sind jedoch die Berichte, die im Rahmen dieser Untersuchung gefunden wurden, entweder schlecht oder in den meisten Fällen gar nicht vorhanden.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, A., A.; Anhang B, Anlage 3, GEFANGENER-06).
(20) Vorfall Nr. 20
Im Herbst 2003 gab ein Gefangener an, dass ein anderer Gefangener namens GEFANGENER-09
entkleidet und gezwungen wurde, [breitbeinig] auf zwei Kisten zu balancieren. Dabei wurde er mit
Wasser übergossen und seine Genitalien mit einem Handschuh geschlagen. Außerdem wurde der
Gefangene ohne Essen und Trinken einen halben Tag lang mit Handschellen an seine Zelltür gefesselt. Der Gefangene, der diese Aussage machte, konnte sich nicht an das genaue Datum oder die
Beteiligten erinnern. Später wurde „Assad“ als GEFANGENER-09 identifiziert, der am 5. November
2003 aussagte, dass er nackt ausgezogen, geschlagen und gezwungen worden sei, über den Boden
zu kriechen. Er wurde gezwungen, auf einer Kiste zu stehen und in den Genitalbereich geschlagen.
Es konnte nicht bestimmt werden, wer an dieser Misshandlung beteiligt war. Eine Beteiligung des
Nachrichtendienstes ist nicht festzustellen.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 3, GEFANGENER-09; Anhang I, Anlage 1, Fotos D37-38, M111)
(21) Vorfall Nr. 21
Ungefähr im Oktober 2003 beobachtete der ZIVILIST-17, ein Übersetzer der Titan Corporation,
folgenden Vorfall: CPL G., 372 MP CO, stieß einen Gefangenen, der als einer der „3 Strohmänner“
oder „3 Weisen“ identifiziert wurde, gegen die Wand und verletzte ihn dabei am Kinn. ZIVILIST-17
wies ausdrücklich darauf hin, dass der Gefangene gegen die Wand geschmettert wurde und dabei
„sein Kinn aufplatzte.“ Ein Sanitäter, SGT W., sagte aus, dass er herbeigeholt wurde, um den Gefangenen zu behandeln und eine ca. 5 cm lange Wunde auf dem Kinn des Gefangenen mit 13 Stichen zu nähen. SGT W. wusste nicht, wie der Gefangene sich verletzt hatte. Später an diesem
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Abend fotografierte CPL G. den Gefangenen. CPL G. wurde auch im Kontext eines anderen Vorfalls
identifiziert, bei dem er einen verletzten Gefangenen im Beisein von Medizinern nähte. Es liegen
keine Hinweise für Kenntnis, Beteiligung oder Anordnung dieser Misshandlungen durch den Nachrichtendienst vor.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, ZIVILIST-17; Anhang B, Anlage 3, ZIVILIST-17, W., GEFANGENER-02; Anhang I, Anlage 1, Fotos M88-96).
(22) Vorfall Nr. 22
Nach Aussage von GEFANGENEM-05 vergewaltigte ein Übersetzer namens “ZIVILIST-01” an einem
nicht bekanntem Tag, einen 15-18-jährigen Gefangenen. GEFANGENER-05 vernahm Schreie und
kletterte auf seiner Zelltür ganz nach oben, um über das Laken vor der Tür hinweg, die Misshandlungen zu beobachten, die sich dort abspielten. GEFANGENER-05 beobachtete, wie ZIVILIST-01, in
Militäruniform, den Gefangenen vergewaltigte. Eine Soldatin fotografierte dies. GEFANGENER-05
beschreibt ZIVILIST-01 als weder „dünn noch klein“ mit weibischen Zügen und von möglicherweise
ägyptischer Herkunft. Weder das Datum noch die Beteiligten dieser mutmaßlichen Vergewaltigung
konnten festgestellt werden. Es gib weder weitere Meldungen, die die Behauptung von GEFANGENER-05 unterstützen würden, noch sind Fotos von der Vergewaltigung aufgetaucht. Eine Überprüfung aller verfügbaren Berichte, hat keine Identifizierung eines Übersetzers mit dem Namen ZIVILIST-01 ergeben. Die Beschreibung von GEFANGENER-05 trifft teilweise auf ZIVILIST-17, Übersetzer, Titan Corp., zu. ZIVILIST-17 ist ein großer Mann, der von vielen Zeugen für homosexuell gehalten wird und von ägyptischer Abstammung ist. ZIVILIST-17 fungierte als Übersetzer für ein
HUMINT (Human Intelligence/CIA) Kampfteam in Abu Ghraib, aber übersetzte routinemäßig sowohl
für den Nachrichtendienst wie auch die Militärpolizei. Das CID ermittelt derzeit noch in dieser Angelegenheit.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 3, GEFANGENER-05)
(23) Vorfall Nr. 23
Der Offizier der US-Armee CPT B., MP, soll am 24. November 2003 einen Gefangenen geschlagen
und getreten haben. Dies ist eine von drei Misshandlungen, die im Kontext der Schießerei vom 24.
November identifiziert werden konnte. Ein Gefangener beschaffte sich von den irakischen Wachmännern eine Pistole, schoss auf einen Militärpolizisten und wurde daraufhin selber angeschossen
und verletzt. Im Verlauf der darauf folgenden Durchsuchung des Hard Site und der anschließenden
Verhöre der Gefangenen beobachtete SGT S., 229 MP CO, Mitglied der internen Einsatzgruppe in
Abu Ghraib, Internal Reaction Force (IRF), wie ein Armeehauptmann einen nicht identifizierten
Gefangenen im Würgegriff herbeischleifte, ihn gegen die Wand warf und in sein Abdomen trat.
Auch SPC P., 229 MP CO, IRF war im Hard Site zugegen und beobachtete besagte Misshandlung,
an der zwei Soldaten und ein Gefangener beteiligt waren. Der Gefangene lag mit einem Sack über
dem Kopf auf dem Bauch, die Hände in Handschellen auf dem Rücken. Ein Soldat stand direkt neben ihm und presste ihm den Gewehrlauf gegen den Kopf. Der andere Soldat kniete neben dem
Gefangenen und versetzte ihm mit der geschlossenen Faust Hiebe in den Rücken. Dann richtete
sich der Soldat auf und trat den Gefangenen mehrere Male. Der Soldat, der die Prügel verabreichte, wurde als weißer Mann mit einem blonden Igel beschrieben. Ein paar Tage später traf SPC P.
diesen Soldat, der sich als Hauptmann entpuppte, in voller Uniform wieder, konnte aber sein Namensschild jedoch nicht entziffern.
Sowohl SPC P. wie auch SGT S. meldeten diese Misshandlungen ihren Vorgesetzten, SFC P. und
1LT S., 372 MP CO. Fotos von Offizieren mit Kompaniegrad, die zu diesem Zeitpunkt Dienst in Abu
Ghraib leisteten, wurden besorgt und SPC P. und SGT S. gezeigt, die zweifelsfrei den „Hauptmann“
als CPT B. identifizierten. Die Ermittlungen des CID in diesem Fall ergaben, dass kein Handlungsbedarf bestünde, da es sich dabei um eine Inszenierung gehandelt habe, um zu vertuschen, dass
der Gefangene als Informant für die Militärpolizei arbeitete.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, P., P., S., S.; Anhang B, Anlage 3, P., S.; Anhang E, Anlage 5,
CID Ermittlungsbericht 0005-04-CID149-83131)
(24) Vorfall Nr. 24
Ein Foto, das etwa Anfang Dezember 2003 aufgenommen wurde, zeigt einen Gefangenen, der von
ZIVILIST-11, CACI, Verhörspezialist und ZIVILIST-16, Titan, Übersetzer verhört wird. Der Gefangene kauert dabei auf einem Stuhl, was eine nicht genehmigte Stresssituation darstellt. Den Gefangenen auf einem Stuhl, d.h. in einer potentiell ungesicherten Position, zu halten und dabei zu
fotografieren, stellt einen Verstoß gegen die ICRP dar.
(Bezugnahme Anhang I, Anlage 2, Foto „Stressposition”).
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f. Fälle von Gefangenenmissbrauch unter Einsatz von Hunden
Die Misshandlung von Gefangenen mit Hunden begann fast unmittelbar nach der Ankunft der Hunde in Abu Ghraib am 20. November 2003. Zu diesem Zeitpunkt fanden bereits Misshandlungen der
Gefangenen statt, und die Beigabe von Hunden stellte nur noch ein weiteres Folter- und Misshandlungsinstrumentarium dar. Das Eintreffen von Hundeteams in Abu Ghraib war eine Folge der Empfehlungen von GENERALMAJOR G.M.s Team aus JTF-GTMO. GENERALMAJOR G.M. hatte Hunde als
dienlich für die Verwahrung und Kontrolle von Gefangenen empfohlen, insbesondere in Fällen, in
denen eine kleine Menge Wachtposten eine große Anzahl Gefangener beaufsichtigen musste, so
wie in Abu Ghraib. Dadurch könne das Risiko von Demonstrationen und Gewaltakten der Gefangenen eingeschränkt werden. GENERALMAJOR G.M. hat jedoch nie den Einsatz von Hunden für Verhöre empfohlen, eine Praxis, die auf GTMO nicht bestand. Die Hundeteams wurden von COL T.P.,
Kommandeur, 205 MI BDE angefordert. Von Anfang an verfolgte COL T.P. andere Absichten als die
von GENERALMAJOR G.M. dargelegten. Hinzu kam, dass die Verhöre in Abu Ghraib durch verschiedene Textdokumente beeinflusst wurden, in denen die Angst der Araber vor Hunden und das Ausnutzen derselben thematisiert wird: “180 Verhörmethoden” der Combined Joint Task Force (CJTF)
vom 24. Januar 2003, JTF 170 “Widerstandsbekämpfungsstrategien” vom 11. Oktober 2002, und
CJTF-7 Interrogation and Counter-Resistance Policies (ICRP )vom 14. September 2003. Unmittelbar
nach Ankunft der Hunde entspann sich ein Streit über deren „Besitz“. Schließlich beschloss man,
die Hunde der Internal Reaction Force (IRF) zuzuteilen.
Der Einsatz von Hunden in Verhören mit dem Ziel, die Gefangenen zu terrorisieren, wurde im Allgemeinen nicht hinterfragt und stammt zum Teil aus den in CJTF 180, JTF 170 und CJTF-7 verbreiteten Verhörmethoden und Widerstandsbekämpfungsstrategien. Es ist davon auszugehen, dass die
Verwirrung hinsichtlich des Einsatzes von Hunden daher rührt, dass ursprünglich der Nachrichtendienst und nicht die Militärpolizei die Hundeteams angefordert hatte und dass ihre Anwesenheit mit
dem Besuch von GENERALMAJOR G.M. in Verbindung gebracht wurde. Die meisten Mitarbeiter des
militärischen Nachrichtendienstes betrachteten den Einsatz von Hunden in Verhören für eine
„Nicht-Standard-Methode“, für die eine Genehmigung erforderlich war. Zudem glaubten die meisten, dass COL T.P. befugt sei, diese zu erteilen. Auch COL T.P. befand sich im Glauben – Irrglauben
wie sich zeigte – dass LTG R.S. ihm diese Befugnis verliehen hätte. T.P.s Überzeugung ergibt sich
vermutlich teilweise aus den wechselnden ICRP. Die ursprüngliche Vorgehensweise wurde am 14.
September 2003 bekannt gegeben und gestattete den Einsatz von Hunden - vorbehaltlich der Bestätigung durch LTG R.S.. Am 12. Oktober 2003 wurden aufgrund von Einwänden des CENTCOM
verschiedene Methoden gestrichen. Nach der Modifikation vom 12. Oktober 2003 galt die Sicherheitsmaßnahme, dass Hunde, die bei den Verhören zugegen waren, Maulkörbe tragen mussten und
durch Hundeführer kontrolliert würden. COL T.P. erinnert sich nicht mehr daran, wie er die Befugnis zum Einsatz von Hunden erhielt, sondern nur dass er sie erhalten habe.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, G.M. and T.P., and Anhang J, Anlage 3)
SFC P. sagte aus, dass zwei Teams von Militärhunden überhaupt nie den Navy Teams, die ein Teil
der IRF bilden, übergeben wurden, sondern abgesondert wurden und unter der direkten Kontrolle
von MAJ D., S3, 320 MP BN blieben. Diese Teams waren an allen aufgeführten Gefangenenmisshandlungen in Verbindung mit Hunden beteiligt, sowohl auf Anweisung der Mlitärpolizei wie auch
des Nachrichtendienstes. Die Marine-Hundeteams wurden dank des guten Trainings, der hervorragenden Führung, individuellen Moral und Professionalität der Marine-Hundeführer, MAI K., MA1 c.,
und MA2 P., sowie der IRF-Mitarbeiter, korrekt eingesetzt.
Die Heeresteams erklärten sich offensichtlich bereit, sowohl von der Militärpolize wie auch dem
Nachrichtendienst für Misshandlungen eingesetzt zu werden - obwohl dies im Widerspruch zu ihrer
Überzeugung, Ausbildung und Werten stand. In einer Atmosphäre der Duldung und mangelnder
Aufsichtsführung beteiligten sich im Laufe der folgenden Wochen die Hundeteams des Heeres an
verschiedenen Fällen von Misshandlung.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, K., P.; Anhang B, Anlage 2, P.; Anhang B, Anlage 3, P.).
(1) Vorfall Nr. 25
Der erste dokumentierte Vorfall von Misshandlungen mit Hunden ereignete sich am 24. November
2003, nur vier Tage nach Eintreffen der Hunde. Ein irakischer Gefangener hatte sich von einem
irakischen Polizisten eine Pistole hereinschmuggeln lassen. Beim Versuch, die Waffe zu beschlagnahmen, wurde ein Militärpolizist sowie der Gefangene angeschossen und verwundet. Im Anschluss
an die Schießerei beorderte OBERSTLEUTNANT J. mehrere Verhörspezialisten in den Hard Site, um
elf irakische Polizisten, die nach der Schießerei festgenommen worden waren, zu überprüfen. Die
Situation im Hard Site wurde von vielen als „chaotisch“ beschrieben, und niemand schien wirklich
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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die Führung übernommen zu haben. Es bestand allgemein der Eindruck, LTG R.S. habe aufgrund
der Situation alle Einschränkungen für diesen Abend aufgehoben, was jedoch nicht den Tatsachen
entsprach. Es war nicht möglich festzustellen, wie dieser Eindruck entstehen konnte. Ein Hundeteam der Marine betrat den Hard Site und wurde instruiert, nach weiteren Waffen und Sprengsätzen zu suchen. Die Hunde durchsuchten die Zellen, es wurden jedoch keine weiteren Sprengsätze
entdeckt, und schließlich beendete das Marine-Hundeteam seine Mission und ging wieder. Kurze
Zeit danach wurde MA1 K., USN, erneut gerufen, weil jemand einen Hund „brauchte.“ MA1 K. begab sich in den obersten Stock des Zellenblocks 1B, anstelle in den Bereich des nachrichtendienstlichen Gewahrsams in Zellenblock 1A. Als er sich mit seinem Hund einer Zelltür näherte, vernahm er
Gebrüll und Geschrei, was seinen Hund in Aufregung versetzte. In der Zelle befanden sich ZIVILIST-11 (CACI-Übersetzer), eine zweite, nicht-identifizierte männliche Person in Zivilkleidung, allem Anschein nach ein Verhörspezialist, sowie ZIVILISTIN-16 (Übersetzerin einer Sicherheitsfirma),
die alle gleichzeitig auf einen Gefangenen einschrieen, der in der hinteren rechten Ecke kauerte.
Das Gebrüll und die ganze Aufregung führte dazu, dass MA1 K.s Hund laut zu bellen anfing. Der
Hund stürzte vor und MA1 K. bemühte sich, wieder die Kontrolle über ihn zu erlangen. In diesem
Moment sagte einer der Männer etwa sinngemäß: „Siehst du diesen Hund hier? Wenn du mir nicht
sagst, was ich wissen will, hetze ich den Hund auf dich!“ Die drei kamen aus der Zelle heraus und
MA1 K. bewegte sich rückwärts, im Bemühen sie vorbeizulassen, aber auf dem Gang war es äußerst eng. Nachdem sie herausgekommen waren, stürzte der Hund vor und riß MA1 K. geradewegs
in die Zelle hinein. Ihm gelang es schnell wieder, die Kontrolle über den Hund zu gewinnen und die
Zelle zu verlassen. Als ZIVILIST-11, ZIVILIST-16 und die andere Übersetzerin die Zelle wieder betraten, schnappte MA1 K.s Hund nach dem Unterarm von ZIVILISTIN-16 und hielt ihn im Maul.
Offenbar biss er jedoch nicht zu, denn ZIVILIST-16 sagte aus, dass der Hund sie nicht gebissen
habe. Als MA1 K. klar wurde, dass er nicht gerufen worden war, um eine Sprengstoffsuche durchzuführen, verließ er mit seinem Hund wieder den Bereich. Als er am Ende der Treppenhausstufen
angekommen war, hörte er noch mal jemanden nach dem Hund rufen, kehrte aber nicht zurück. Es
gibt keinen Bericht von diesem Verhör, genauso wenig wie von den Verhören der irakischen Polizisten in den Stunden und Tagen, die der Schießerei folgten. Die von ZIVILIST-11 angeordnete Einsatzweise des Hundes war eindeutig missbräuchlich und unbefugt.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-11, K., T.P., ZIVILIST-11; Anhang B, Anlage 2, T.P.).
Bei aller offenkundigen Verwirrung in Bezug auf Aufsichtspflichten, Verantwortung und Befugnisse,
gab es bereits früh Hinweise dahingehend, dass Mitarbeiter von Nachrichtendienst und Militärpolizei
durchaus wussten, dass der Einsatz von Hundeteams bei Verhören missbräuchlich war. Nach besagtem Vorfall vom 24. November schlussfolgerten die drei Hundeteams der Marine, dass ein Teil
der Verhörspezialisten möglicherweise versuchen würde, die Marinehunde missbräuchlich einzusetzen, um ihren Verhören mehr Nachdruck zu verleihen. Bei allen folgenden Anfragen erkundigten sie
sich genau, zu welchem Zweck der Hund eingesetzt werden sollte. Wenn es hieß „für ein Verhör,“
erklärten sie, dass Marinehunde nicht für Verhöre vorgesehen seien und man der Anforderung nicht
nachkommen würde. Im Laufe der folgenden Wochen erhielt das Marine-Hundeteam ungefähr acht
Anfragen dieser Art, von denen keiner Folge geleistet wurde. Ende Dezember 2003 rief COL T.P.
MA1 K. zu sich und wollte wissen, worin die Fähigkeiten der Marinehunde bestünden. MA1 K. legte
die Fähigkeiten der Marinehunde dar und überreichte ihm das Navy Dog Use SOP (Handbuch der
Standardregeln zum Einsatz von Marinehunden). COL T.P. stellte daraufhin keine Fragen mehr hinsichtlich ihrer Einsatzmöglichkeiten bei Verhören, und im Anschluss an dieses Treffen erhielten die
Hundeteams der Marine keine weiteren Anfragen mehr, Verhöre zu begleiten.
(2) Vorfall Nr. 26
Am oder um den 8. Januar 2004 herum führte SOLDAT-17 ein Verhör mit einem hohen Offizier der
Baath Partei im Duschraum von Zellenblock 1B des Hard Site durch. Zellenblock 1B war der Bereich
im Hard Site, der weiblichen und jugendlichen Gefangenen vorbehalten war. Obwohl Zellenblock 1B
nicht der übliche Ort für Verhöre war, benutzte SOLDAT-17 aus Platzmangel diesen Bereich. SOLDAT-17 wurde Zeuge, wie ein Gefängniswärter der Militärpolizei und Militärpolizei–Hundeführer
(den SOLDAT-17 später anhand von Fotos als SOLDAT-27 identifizierte) Zellenblock 1B mit dem
schwarzen Hund von SOLDAT-27 betraten. Der Hund war an der Leine, aber ohne Maulkorb. Der
Gefängniswärter und Hundeführer öffneten eine Zelle, in der zwei Jugendliche, einer von ihnen
bekannt als „Caspar“, untergebracht waren. SOLDAT- 27 ließ den Hund in die Zelle um „bei den
Jungs verrückt zu spielen“, sie anzubellen und zu verschrecken. Die Jugendlichen schrieen, und der
Kleinere versuchte, sich hinter „Caspar“ zu verstecken. SOLDAT-27 ließ den Hund bis auf etwa 30
cm an die Jugendlichen herangehen. Danach lauschte SOLDAT-17 zufällig den Ausführungen von
SOLDAT-27, der schilderte, dass er mit einem anderen Hundeführer (vermutlich SOLDAT-08, der
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einzige andere Heereshundeführer) eine Wette darüber abgeschlossen hätte, ob es möglich sei, die
Gefangenen zu veranlassen, sich einzukoten. Er prahlte, dass sie bereits einige Gefangene soweit
gebracht hätten, sich vollzupinkeln. Scheinbar sollte nur der Einsatz erhöht werden. Dieser Vorfall
ereignete sich ohne unmittelbare Beteiligung des Nachrichtendienste., SOLDAT-17 unterließ es
jedoch, ordentlich zu melden, was er gesehen hatte. Er sagte aus, er sei zu Bett gegangen und
habe den Vorfall vergessen, bis er zu missbräuchlichem Einsatz von Hunden im Rahmen dieser
Untersuchung befragt worden sei.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-17).
(3) Vorfall Nr. 27
Ein Nachrichtendienst-Mitarbeiter (SOLDAT-17) empfahl am 12. Dezember 2003 für den Nachrichtendienst-Gefangenen GEFANGENER-11 einen ausgedehnten Aufenthalt im Hard Site, da dieser
einen geistig verwirrten Eindruck machte. Im Hard Site wurde er von einem Hund gebissen, jedoch
zu diesem Zeitpunkt weder verhört noch waren Mitarbeiter des Nachrichtendienstes zugegen. GEFANGENER-11 erzählte SOLDAT-17, dass ein Hund ihn gebissen habe und SOLDAT-17 sah Bissspuren auf der Innenseite der Oberschenkel von GEFANGENEN-11. SOLDAT-08, der Hundeführer des
Hundes der GEFANGENEN-11 gebissen hatte, sagte aus, dass sein Hund im Dezember 2003 einen
Gefangenen gebissen habe. Er glaube jedoch, dass nur Mitarbeiter der Militärpolizei zugegen gewesen seien, als sich der Vorfall ereignet habe. Gleichzeitig weigerte er sich jedoch, sowohl im Rahmen der Untersuchung von Generalmajor Taguba wie auch im Rahmen dieser Untersuchung weitere Aussagen in Bezug auf diesen Vorfall zu machen. SOLDAT-27, ein anderer Heeres-Hundeführer,
sagte ebenfalls aus, dass der Hund von SOLDAT-08 jemanden gebissen habe, gab jedoch keine
weiteren Informationen dazu ab. Dieser Vorfall wurde auf der Digitalaufnahme 0178/CG LAPS festgehalten und scheint das Ergebnis militärpolizeiliche Schikane und Amüsements gewesen zu sein.
Es liegt kein Verdacht nachrichtendienstlicher Beteiligung vor.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1,SOLDAT-17; Anhang B, Anlage 2, SOLDAT-08, S.; Anhang I,
Anlage 1, Fotos, D45-54, M146-171).
(4) Vorfall Nr. 28
Ein Foto, ca. vom 18. Dezember 2003, stellt einen Hundeeinsatz dar, der offenbar vom Nachrichtendienst angeordnet war, bei dem ein syrischer Gefangener (GEFANGENER-14) mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf dem Boden kniet. GEFANGENER-14 war ein hochkarätiger Gefangener, der von einem Marineschiff nach Abu Ghraib gekommen war. GEFANGENER-14 stand im Verdacht zum Al-Kaida-Netzwerk zu gehören. Hundeführer des Heeres SOLDAT-27 steht vor dem GEFANGENEN-14 und sein schwarzer Hund ist nur ein paar Schritte vom Gesicht des GEFANGENEN-14
entfernt. Der Hund ist angeleint, aber trägt keinen Maulkorb.
SGT E. verhörte GEFANGENEN-14 vom 18. bis 21 Dezember 2003, und ZIVILIST-21, CACIVerhörspezialist, übernahm die Leitung, nachdem SGT E. Abu Ghraib am 22. Dezember 2003 verließ. Bei Betrachtung eines Fotos des Vorfalls identifizierte SGT E. GEFANGENEN-14 als seinen Gefangenen. ZIVILIST-21 behauptete zwar, nichts von diesem Vorfall zu wissen, hatte jedoch im Dezember 2003 SSG E. erzählt, dass Militärpolizisten ihm erzählt hätten, dass Hunde das Bettzeug
von GEFANGENEM-14 zerrissen hätten.
SOLDAT-25 beschrieb das Verhältnis zwischen ZIVILIST-21 und den Militärpolizisten als eng. SGT
F. erzählte ihr vom Einsatz der Hunde im Beisein von ZIVILIST-21. Es scheint sehr wahrscheinlich,
dass ZIVILIST-21 Hunde ohne Befugnis eingesetzt hat und sowohl in diesem wie auch in anderen
Fällen den Missbrauch im Zusammenhang mit diesem Gefangenen angeordnet hat.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, E., SOLDAT25, ZIVILIST-21; Anhang I, Anlage 1, Fotos Z1-6).
(5) Vorfall Nr. 29
Am oder um den 14. und 15. Dezember 2003 herum wurden Hunde in einem Verhör eingesetzt.
SPC A., der Sektionschef des Special Projects Teams, sagte aus, dass am 14. Dezember, eines
seiner Verhörteams den Einsatz von Hunden für einen Gefangenen beantragt hätte, der im Zusammenhang mit der Ergreifung von Saddam Hussein am 13. Dezember gefangen genommen
wurde. SPC A. beantragte den Hundeeinsatz mündlich bei COL T.P., woraufhin COL T.P. erklärte,
dass er die Genehmigung von oben einholen würde. Dies steht im Gegensatz zu COL T.P.’ Aussage,
dass er befugt gewesen sei, den Einsatz von Hunden zu genehmigen, sofern sie einen Maulkorb
trügen. Etwa eine Stunde später erhielt SPC A. die Genehmigung. SPC A. sagte aus, dass er während der ganzen Zeit, die der Hund im Verhör eingesetzt wurde, neben dem Hundeführer gestanden hätte. Der Hund hätte nie jemanden verletzt, habe die ganze Zeit einen Maulkorb getragen und
etwa 1,5 m vom Gefangenen entfernt gestanden.
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(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, A., T.P.).
(6) Vorfall Nr. 30
Bei einer anderen Gelegenheit war SOLDAT-26, ein der S2, 320 MP BN zugeteilter Nachrichtendienst-Soldat, während eines Gefangenenverhörs anwesend und erhielt die Mitteilung, der Gefangene stünde im Verdacht, Verbindungen zu Al-Kaida zu haben. Hunde wurden angefordert und
etwa drei Tage später genehmigt. SOLDAT-26, der offenbar nicht wusste, dass der Hund einen
Maulkorb tragen musste, forderte in Zuwiderhandlung der CJTF-7-Policy wohl den Hundeführer auf,
den Maulkorb abzunehmen. Die Verhörspezialisten waren ZIVILIST-20, CACI und ZIVILIST-21
(CACI). SOLDAT-14, Operations Officer, ICE sagte aus, dass ZIVILIST-21 bei einem seiner Verhöre
einen Hund eingesetzt habe. Vermutlich handelt es sich dabei um besagten Vorfall. Nach Aussage
von SOLDAT-14 überliess ZIVILIST-21 dem Hundeführer die Kontrolle des Hundes und drohte auch
nicht mit dem Hund, augenscheinlich „hatte er den Eindruck, dass allein die Anwesenheit des Hundes den Gefangenen beunruhigte.“ SOLDAT-14 wusste nicht, wer dieses Vorgehen genehmigt hatte, wurde aber von SOLDAT-23 mündlich in Kenntnis gesetzt, der angeblich die Genehmigung von
COL T.P. erhalten hatte. ZIVILIST-21 behauptete, einmal Hunde angefordert, aber nie eine entsprechende Genehmigung erhalten habe. Auf Grundlage des Beweismaterials hat ZIVILIST-21 eine
irreführende Aussage gemacht.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-14, SOLDAT-26, ZIVILIST-21).
(7) Vorfall Nr. 31
Bei einem Verhör am 14./15. Dezember 2003 wurden Heereshunde eingesetzt, aber als wirkungslos befunden, da der Gefangene so gut wie gar nicht auf sie reagierte. Die am Verhör beteiligten
ZIVILIST-11, SOLDAT-05 und SOLDAT-12 bildeten sich ein, sie hätten von COL T.P. oder LTG R.S.
die Befugnis erhalten, Hunde einzusetzen. Es fand sich jedoch kein Dokument, das eine solche
CJTF-7-Genehmigung zum Einsatz von Hunden zu Verhörzwecken aufwies. Möglicherweise erteilte
COL T.P. die Genehmigung ohne die entsprechende Befugnis. LTG R.S. sagte aus, er habe nie den
Einsatz von Hunden genehmigt.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, ZIVILIST-11, SOLDAT-12, SOLDAT-14, T.P., SOLDAT-23, ZIVILIST-21, R.S.).
(8) Vorfall Nr. 32
Bei noch einer anderen Gelegenheit sagte SOLDATIN-25, eine Verhörspezialistin, aus, dass sie und
SOLDAT-15 beim Verhör einer weiblichen Gefangenen im Hard Site, Hundegebell vernommen hätten. Die Hunde erschreckten die weibliche Gefangene, und SOLDATIN-25 und SOLDAT-15 brachten
sie zurück in ihre Zelle. SOLDATIN-25 ging los, um nachzuschauen welche Bewandtnis es mit dem
Hundegebell auf sich hatte und fand einen Gefangenen in Unterwäsche auf einer Matratze auf dem
Boden in Zellblock 1A vor, über dem ein Hund stand. ZIVILIST-21 war oben und gab SSG F. (372
MP Co) die Anweisung „bring ihn wieder nach Hause.“ Nach Auffassung von SOLDATIN-25 sei „allgemein bekannt gewesen, dass ZIVILIST-21 bei seinen Spezialaufträgen, als er nach der Gefangennahme von Saddam am 13. Dezember direkt für COL T.P. arbeitete, Hunde eingesetzt hat.“ Es
scheint, als habe ZIVILIST-21 den militärpolizeilichen Missbrauch mit Hunden unterstützt und sogar
angeordnet, vermutlich als „Aufweich“-Methode für zukünftige Verhöre. Der Gefangene war einer
von ZIVILIST-21. SOLDAT-25 sah keinen Übersetzer in der Nähe, was es unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass ZIVILIST-21 tatsächlich ein Interview durchführte.
(9) SOLDATIN-25 sagte aus, dass SSG F. fast jeden zweiten Tag in ihr Büro gekommen sei und ihr
im Beisein von ZIVILIST-21 über die Hundeeinsätze berichtet habe. SSG F. und andere Militärpolizisten sprachen dabei von „Hundetanz“-Sessions. SOLDATIN-25 ging nicht näher darauf ein (Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-25), aber die Schlussfolgerung liegt nahe, dass sich dies
auf den unbefugten Einsatz von Hunden zum Einschüchtern der Gefangenen bezog.
g. Fälle von Gefangenenmisshandlung durch Demütigung. Die Methode der Entkleidung wurde nicht erst in Abu Ghraib entwickelt, sondern vielmehr aus Afghanistan und GTMO übernommen.
Die FM34-62 Version von 1987 spricht davon „alle Aspekte des Verhörs zu kontrollieren darunter...
Kleidung, die der Quelle gegeben wird“. Darin unterscheidet sie sich von der aktuellen Version von
1992. Im Irak galt jedoch selbst bis zum 9. Juni 2004 die 1987er Version als Primärreferenz für
CJTF-7. Das Entfernen der Kleidung sowohl zu nachrichtendienstlichen wie auch militärpolizeilichen
Zwecken wurde in Afghanistan und Guantánamo gestattet, gebilligt und angewendet. In GTMO
gestattete die „Widerstandsbekämpfungsstrategie“ JTF 170 vom 11. Oktober 2002 mit Genehmi-
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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gung des diensthabenden Vernehmungsoffiziers das Entfernen der Kleidung bei Festnahmen und
Verhören, um die Gefangenen durch Aussicht auf Rückgabe ihrer Kleidung zur Kooperation bei Verhören zu veranlassen. Der Verteidigungsminister/das Verteidigungsministerium erteilte die entsprechende Genehmigung am 2. Dezember 2002, die jedoch sechs Wochen später, im Januar
2003, wieder aufgehoben wurde. Die gleiche Methode tauchte in Afghanistan auf. Die CJTF-180
„Verhörmethoden“ vom 24. Januar 2003 unterstrichen, dass Kleidungsentzug nicht zu den historischen Kriegsverhören gehöre. Im weiteren Verlauf wurde jedoch der Kleidungsentzug als wirksame
Methode empfohlen, die zwar potentiell zu Einwänden führen könnte, dass sie zu entwürdigend
oder unmenschlich sei, für die jedoch kein spezifisches schriftliches Verbot bestünde. Als die Verhöroperationen im Irak Gestalt annahmen, wurden oft dieselben Mitarbeiter, die bereits an anderen
Schauplätzen und in Unterstützung des GWOT (General War On Terror) aufmarschiert und tätig
geworden waren, angefordert, um den Verhörbetrieb in Abu Ghraib einzurichten und durchzuführen. Die Wege der Befehlsgewalt und frühere Rechtsauffassungen verwischten. Die Soldaten übertrugen einfach die Anwendung von Nacktheit auf den irakischen Schauplatz.
Kleidungsentzug ist weder eine prinzipielle noch genehmigte Verhörmethode, dennoch scheint sie
auf verschiedenen Ebenen innerhalb des Nachrichtendienstes als „selbstwertgefühlsmindernde“
Methode angewandt oder angeordnet worden zu sein. Gleichsam wurde sie von der Militärpolizei
als „Kontrollmechanismus“ verwendet. Die individuelle Wahrnehmung bzw. das Verständnis von
Einsatz und Billigung des Kleidungsentzugs variierte im Rahmen der innerhalb dieser Untersuchung
durchgeführten Vernehmungen. OBERSTLEUTNANT J. war über die nackten Gefangenen und ihren
Kleidungsentzug unterrichtet. Er bestritt jedoch, dass dies auf seine Anordnung geschehen sei und
gab den Militärpolizisten die Schuld. CPT W. und SOLDAT-14 behaupteten, weder Nacktheit bemerkt noch Kleiderentzug angeordnet zu haben. Während zahlreiche Militärpolizisten, Verhörspezialisten, Analysten und Übersetzer angaben, Nacktheit bemerkt und/oder Kleiderentzug als Ansporn eingesetzt zu haben, bestritt eine ebenso große Anzahl jegliche Kenntnis dessen. Die Ermittlungen legen dar, dass in der festen Überzeugung, es handele sich dabei um keine Form der Misshandlung, Kleiderentzug routinemäßig eingesetzt wurde. SOLDAT-03, GTMO Tiger Team, glaubte,
es sei möglich, dass Kleidungsentzug als „selbstwertgefühlmindernde“ Methode eingesetzt werden
könnte. Er nahm fälschlich an, dass GTMO weiterhin die Befugnis dazu habe. Die Anwesenheit
nackter Gefangener überall im Hard Site stellte eine solche Selbstverständlichkeit dar, dass selbst
bei einem Besuch des IRK, die Besucher mehrere Gefangene ohne Kleidung bemerkten. Auch CPT
R., 372 MP CO, stellte bei seiner Ankunft in Abu Ghraib fest: „Es gibt hier eine Menge nackter Menschen.“ Zum Teil wurde die Nacktheit mit dem Mangel an Kleidung und Uniformen begründet, doch
selbst in diesen Fällen war es uns nicht möglich herauszufinden, was mit den eigentlichen Anziehsachen der Gefangenen passiert war. Leibesvisitationen an den Gefangenen gehörten zur üblichen
Routine vor ihrer Verlegung in den Hard Site. Kleidung, bzw. Nacktheit als Anreiz, spielt insofern
eine wichtige Rolle, da dies vermutlich zur eskalierenden „Entmenschlichung“ der Gefangenen beitrug und den Boden für weitere und noch schlimmere Misshandlungen bereitete.
(Bezugnahme Anhang I, Anlage 1, Fotos D42- 43, M5-7, M17-18, M21, M137-141).
(1) Vorfall Nr. 33.
Darüber hinaus existieren hinreichend Beweismittel dafür, dass Gefangene gezwungen wurden
Damenunterwäsche – zum Teil auf dem Kopf – zu tragen. Es scheint sich in diesen Fällen um eine
Form der Demütigung zu handeln, bei der entweder die Militärpolizei Kontrolle ausüben wollte oder
der Nachrichtendienst selbstwertgefühsmindernde Maßnahmen durchführte. Sowohl GEFANGENER07 wie auch GEFANGENER-05 erklärten, man habe ihnen ihre Kleidung ausgezogen und sie gezwungen, Damenunterwäsche auf dem Kopf zu tragen. ZIVILIST-15 (CACI) und ZIVILIST-19 (CACI), ein CJTF-7 Analyst, sowie vermutlich ZIVILIST-21 prahlten unter Gelächter damit, einen Gefangenen im Intimbereich rasiert und ihm dann gewaltsam rote Damenunterwäsche angezogen zu
haben. Auf mehreren Fotos sind nicht identifizierte Gefangene mit Unterwäsche über dem Kopf
abgebildet. Solche Fotos zeigen Missbrauch und stellen sexuelle Demütigungen der Gefangenen
dar.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-03, SOLDAT-14, J., R., ZIVILIST-21, W.; Anhang B,
Anlage 3, GEFANGENER-05, ZIVILIST-15, ZIVILIST-19, GEFANGENER-07; Anhang C; Anhang G;
Anhang I, Anlage 1, FOTOS D12, D14, M11-16).
(2) Vorfall Nr. 34
Am 16. September 2003 ordnete der Nachrichtendienst an, einem Gefangenen die Kleidung abzunehmen. Dabei handelt es sich um den frühesten Vorfall dieser Art, den wir in Abu Ghraib feststellen konnten. Eine Militärpolizei-Logeintragung gibt zu Protokoll, dass ein Gefangener „vom Nach-
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richtendienst entkleidet wurde und nackt und aufrecht in seiner Zelle steht“ (was stripped down per
MI and he is neked (sic) and standing tall in his cell).” Als am folgenden Tag SPC W. und SSG C. in
der Zelle des Gefangenen eintrafen, um ihn zu verhören, war dieser zu ihrer beider Überraschung
unbekleidet. Ein Militärpolizist bat SSG C., als Frau zur Seite zu treten. Die Kleidung des Gefangenen befand sich scheinbar in der Zelle. Der Militärpolizist erzählte SSG C., dass der Gefangene
freiwillig und aus Protest seine Kleidung abgelegt hätte, und auch im anschließenden Verhör machte der Gefangene weder Misshandlungen noch ein gewaltsames Entfernen seiner Kleidung geltend.
Es macht nicht den Anschein, als sei der Gefangene auf Anweisung der Verhörspezialisten entkleidet worden. Höchstwahrscheinlich wurde dies jedoch von jemandem aus dem Nachrichtendienst
angeordnet. SPC W. und SOLDATIN-25 gaben Stellungnahmen ab, in denen sie die Auffassung
vertreten, dass SPC C., verantwortlich für das Aufnahmeverfahren der NachrichtendienstGefangenen sei, möglicherweise bei dieser und bei anderen Gelegenheiten angeordnet hat, den
Gefangenen die Kleidung abzunehmen. SPC C. bestreitet jedoch, jemals eine solche Order gegeben
zu haben.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, C., C., SOLDAT-25, W.).
(3) Vorfall Nr. 35
Am 19. September 2003, führten die Verhörspezialisten des “Tiger-Teams”, SOLDAT-16, SOLDAT07, sowie eine über eine private Sicherheitsfirma angestellte, nur als „Maher” bekannte Übersetzerin ein spätabendliches/frühmorgendliches Verhör mit einem 17-jährigen syrischen Krieger durch.
SOLDAT-16 war der Hauptbefrager. SOLDAT-07 wurde durch SOLDAT-16 mitgeteilt, dass der Gefangene, den sie im Begriff zu interviewen stünden, nackt sei. SOLDAT-07 war sich nicht sicher, ob
SOLDAT-16 schlichtweg die Information weitergab oder den Militärpolizisten die Anweisung erteilt
hatte, den Gefangenen zu entkleiden. Der Gefangene hatte aus einer leeren Essenstüte (“MealsReady-to-Eat”, MRE) einen Sichtschutz für seinen Genitalbereich gebastelt. SOLDAT- 07 konnte
sich nicht mehr erinnern, wer dem Gefangenen die Anweisung gegeben hatte, seine Arme an die
Seiten zu legen, jedenfalls fiel die Tüte zu Boden, als dieser dem Befehl Folge leistete und entblößte ihn vor SOLDAT-07 und den beiden weiblichen Mitgliedern des Verhörteams. SOLDAT-16 benutzte eine direkte Verhörmethode mit dem Anreiz, die Kleidung zurückzuerhalten und dem Einsatz von
Stresspositionen.
Es gibt weder Aufzeichnungen eines Verhörplans noch irgendwelche Genehmigungen, die diese
Methoden autorisieren würden. Die Tatsache jedoch, dass die Methoden im Verhörbericht aufgeführt sind, legt nahe, dass sich die Befrager im Glauben befanden, sie seien befugt dazu, Kleidung
wie auch Stresssituationen als Impulse einzusetzen und insofern gar nicht versuchten, dies zu vertuschen. Zu diesem Zeitpunkt waren Stresspositionen mit Genehmigung der Kommandantur, CJTF7 zulässig. Es ist zu vermuten, dass der Einsatz von Nacktheit auf irgendeiner Ebene innerhalb der
Weisungslinie bewilligt wurde. Andernfalls haben Führungsmangel und Aufsichtsversehen dazu
geführt, dass Nacktheit üblich war. Einen Gefangenen dazu zu veranlassen, sich durch das Heben
seiner Hände gegenüber zwei Frauen zu entblößen, ist demütigend und damit ein Verstoß gegen
die Genfer Konventionen.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-07, SOLDAT-14, SOLDAT-16, SOLDAT-24, W.).
(4) Vorfall Nr. 36
Anfang Oktober 2003 führte SOLDAT-19 ein Verhör und wies einen Gefangenen an, seinen orangen
Overall bis zur Taille herunterzurollen. Er deutete an, dass der Gefangene sich weiter entkleiden
müsse, falls er nicht kooperierte. Der Übersetzer von SOLDAT-19 hob die Hand, wendete den Blick
ab und erklärte, dass er sich mit der Situation unwohl fühlen würde und verließ die Verhörzelle.
SOLDAT-19 war in dem Moment gezwungen, das Verhör mangels Verständigungsmöglichkeiten zu
beenden. SOLDAT-11, ein Analyst eines besuchenden JTF GTMO Tiger-Teams, beobachtete diesen
Vorfall durch die Sichtluke der Zelle und lenkte die Aufmerksamkeit von SOLDAT-16 darauf, der der
Teamchef und unmittelbare Vorgesetzte von SOLDAT-19 war. SOLDAT-16 entgegnete, SOLDAT-19
wisse, was er täte und unternahm überhaupt nichts in dieser Angelegenheit. SOLDAT-11 meldete
denselben Vorfall SOLDAT-28, seinem JTF GTMO Tiger-Team Chef, der ihm sagte, er würde sich
darum kümmern. SOLDAT-28 erinnerte sich an eine Unterhaltung mit SOLDAT-11 über einen Übersetzer, der aufgrund „kultureller Differenzen“ ein Verhör abgebrochen hatte, konnte sich aber nicht
an den Vorfall erinnern. Dieser Vorfall weist vier Misshandlungskomponenten auf: das Entkleiden
eines Gefangenen an sich durch SOLDAT-19; das Unterlassen von SOLDAT-10, den von ihm miterlebten Vorfall zu melden; das Unterlassen von Abhilfemaßnahmen durch SOLDAT-16, durch Meldung des Vorfalls auf der nächst höheren Dienstebene zu melden sowie die unterlassene Meldung
von SOLDAT-28.
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(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-11, SOLDAT-16, SOLDAT-19, SOLDAT-28)
(5) Vorfall Nr. 37
Ein Foto vom 17.Oktober 2003 zeigt einen nackten Gefangenen, mit Kapuze über dem Kopf, der an
seine Zellentür gekettet ist. Mehrere andere Fotos, die am 18. Oktober 2003 aufgenommen wurden, zeigen einen maskierten Gefangenen, der mit Handschellen an seine Zelltür gefesselt ist. Weitere Fotos vom 19. Oktober 2003 zeigen einen Gefangenen mit Unterwäsche auf dem Kopf, der mit
Handschellen an sein Bett gefesselt ist. Eine Überprüfung vorliegender Dokumente ergab weder
einen spezifischen Vorfall oder Gefangenen, der mit diesen Fotos in Zusammenhang gebracht werden konnte. Aber diese Fotos verdeutlichen noch einmal die Tatsache, dass Demütigung und
Nacktheit so routinemäßig angewendet wurden, dass sie an drei aufeinander folgenden Tagen Gelegenheiten zum Fotografieren boten. Eine Beteiligung des Nachrichtendienstes an diesen offensichtlichen Misshandlungen kann nicht bestätigt werden.
(Bezugnahme Anhang I, Anlage 1, Fotos D12, D14, D42-44, M5-7, M17-18, M21, M11-16, M137141)
(6) Vorfall Nr. 38
Es liegen elf Fotos von zwei weiblichen Gefangenen vor, die unter dem Verdacht der Prostitution
verhaftet wurden. Auf diesen Fotos sind SPC H. und CPL G., beide Militärpolizisten, zu erkennen.
Auf einigen dieser Fotos wird ein im Hard Site untergebrachter Strafgefangener gezeigt, der einer
der Gefangenen das Hemd hochhält und ihre beiden Brüste entblößt. Es gibt keine Beweismittel
anhand derer festzustellen ist, ob diese Akte einvernehmlich oder erzwungen stattfanden, jedenfalls stellt die sexuelle Ausbeutung einer Person in US-Gewahrsam so oder so einen Missbrauch
dar. In keinem der beiden obigen Vorfälle scheint eine direkte Beteiligung des Nachrichtendienstes
vorzuliegen.
(Bezugnahme Anhang I, Anlage 1, Fotos M42-52)
(7) Vorfall Nr. 39
Am 16. November 2003 befand SOLDATIN-29, einen Gefangenen entkleiden zu müssen, da sie sein
Benehmen als unkooperativ und aufsässig empfand. Sie hatte zwar einen Verhörplan vorgelegt,
demzufolge sie die „Runter-mit-Stolz-und-Ego“-Methode anzuwenden beabsichtigte, jedoch nicht
spezifiziert, dass sie den Gefangenen im Rahmen dieser Vorgehensweise entkleiden würde. SOLDATIN-29 nahm den Gefangenen als „arrogant“ wahr, und als sie und ihr Analyst, SOLDAT-10, ihn
„an die Wand stellten“, schubste der Gefangene SOLDAT-10. SOLDATIN-29 warnte ihn, sollte er
SOLDAT-10 erneut anfassen, würde er seine Schuhe ausziehen müsse. Daraufhin entspann sich ein
bizarres „wie-du-mir, so-ich-dir“ Szenario, in dem SOLDATIN-29 den Gefangenen davor warnte
SOLDAT-10 anzufassen, der Gefangene dann SOLDAT-10 „anfasste“ und ihm daraufhin, sein
Hemd, sein Laken und schließlich seine Hosen weggenommen wurden. Zu diesem Zeitpunkt war
SOLDATIN-29 zu dem Schluss gekommen, der Gefangene sei „vollständig unkooperativ“ und hatte
das Verhör beendet. SOLDATIN-29 trieb den offenbar akzeptierten Habitus der Nacktheit weiter,
indem sie den halbnackten Gefangenen quer durch das Lager führte. SGT A., der Vorgesetzte von
SOLDATIN-29, merkte an, dass die Parade eines halbnackten Gefangenen quer durch das Lager zu
einem Aufstand hätte führen können. ZIVILIST-2, ein CACI-Verhörspezialist, beobachtete wie SOLDATIN-29 und SOLDAT-10 den spärlich, nur mit Unterwäsche bekleideten, Gefangenen mit seiner
Decke in der Hand vom Hard Site zurück ins Camp Vigilant begleiteten. ZIVILIST-21 benachrichtigte den Sektionschef von SOLDATIN-29, SGT A., der wiederum CPT W., den ICE OIC, benachrichtigte. SGT A. rief umgehend SOLDATIN-29 und SOLDAT-10 zu sich in ihr Büro, wo sie sie zur Ordnung
rief (counseled them) und sie vom Verhördienst abzog.
Der Vorfall war unter den Mitarbeitern der Joint Interrogation Debriefing Cell bekannt und tauchte
in mehreren Informationen aus zweiter Hand auf, wenn befragte Personen gefragt wurden, ob sie
etwas von den Gefangenenmisshandlungen gewusst hätten. OBERSTLEUTNANT J. entfernte SOLDATIN-29 und SOLDAT-10 vorübergehend vom Verhördienst. COL T.P. überliess es OBERSTLEUTNANT J., die Angelegenheit zu handhaben. Besser wäre jedoch gewesen, COL T.P. wäre strenger
vorgegangen. Seine Unterlassung an diesem Punkt vereitelte, dass die restlichen JIDC-Mitarbeiter
im Klartext die Botschaft erhielten, dass Misshandlungen nicht toleriert würden.
CPT W. hatte OBERSTLEUTNANT J. nahe gelegt SOLDATIN-29 einen Artikel 15 (Nonjudicial Punishment; http://usmilitary.about.com/library/weekly/aa100100a.htm) zu verpassen und SFC J.,
der für Verhöre zuständige NCOIC, empfahl sie für diese Zuwiderhandlung an ihre Stammeinheit
zurückzugeben.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, A., ZIVILIST-04, J., T.P., SOLDATIN-29, ZIVILIST-21, W.; An-
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hang B, Anlage 2, J.).
(8) Vorfall Nr. 40
Am 24. November 2003 löste ein Gefangener in Zellenblock 1A in Abu Ghraib eine Schießerei aus.
GEFANGENER-06 hatte sich eine Pistole besorgt. Beim Versuch, die Waffe zu beschlagnahmen,
wurden ein Militärpolizist und GEFANGENER-06 angeschossen. Mutmaßlich war die Pistole von einem irakischen Wachmann hereingeschmuggelt worden, und im Anschluss an die Schießerei wurden dreiundvierzig irakische Polizisten überprüft und elf von ihnen anschließend verhaftet und verhört. Bis auf drei von ihnen wurden alle nach intensiver Befragung freigelassen. Ein vierter meldete
sich am nächsten Tag nicht zur Arbeit zurück und wird seitdem vermisst. Die gefangenen irakischen Wachleute gaben zu, Waffen in die Anlage geschmuggelt zu haben, indem sie sie im Innenschlauch eines Reifens versteckten, und mehrere irakische Wachleute wurden als Kämpfer und
Ausbilder der Fedayeen-Elitetruppe identifiziert. Bei den Verhören der irakischen Polizei wurden
unerbittliche und nicht genehmigte Methoden angewandt, zu denen der an vorhergehender Stelle
dieses Berichts beschriebene Einsatz von Hunden und Kleidungsentzug gehörten (siehe oben, Absatz 5 e (18)). Nach ihrer Gefangennahme wurde eine Leibesvisitation an den Gefangenen durchgeführt. Angesichts der Bedrohung durch Schmuggelware oder Waffen stellte dies eine sinnvolle
Vorsichtsmaßnahme dar. Im Anschluss an diese Durchsuchung erhielten die Polizisten jedoch ihre
Kleidung nicht zurück, bevor sie verhört wurden. Dies ist ein Akt der Demütigung, der nicht genehmigt war. Es herrschte allgemeines Einvernehmen dahingehend, dass LTG R.S. und COL T.P.
alle Maßnahmen zur Identifizierung der Beteiligten genehmigt hätten. Dies hätte jedoch nicht so
weitgehend interpretiert werden dürfen, dass dies auch Misshandlungen miteinschloss. Als rangältester anwesender Offizier bei den Verhören ist OBERSTLEUTNANT J. für die unerbittliche und demütigende Behandlung der Polizei verantwortlich.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, J., T.P.; Anhang B, Anlage 2, J., T.P., Anhang B, Anlage 1, GEFANGENER-06).
(9) Vorfall Nr. 41
Eine Aufzeichnung vom 4. Dezember 2003 im Militärpolizei-Logbuch verweist darauf, dass die
Nachrichtendienst-Führung über den Kleidungsentzug informiert war. Eine Eintragung lautet:
„Sprach mit OBERSTLEUTNANT J. (205 MI BDE) über die Nachrichtendienst-Gefangenen in Zellenblock 1A/B. Er erklärte, dass er mit dem Nachrichtendienst abklären würde und die Militärpolizisten
Zellenblock 1A/B in Sachen Gefangenenkleidung führen lassen würde.“ Zusätzlich zu seiner Aussage erklärte OBERSTLEUTNANT Phillabaum, dass er OBERSTLEUTNANT J. gefragt habe, was es mit
den nackten Gefangenen auf sich habe und OBERSTLEUTNANT J. ihm darauf geantwortet habe, „Es
was eine Verhörmethode.“ Ob dies Mutmaßungen über eine nachrichtendienstliche Beteiligung an
der Be- und Entkleidung der Gefangenen stützt, ist nicht gewiss, aber es zeigt, dass der Nachrichtendienst zumindest über diese Praxis informiert und bereit war, den Militärpolizisten Entscheidungen zu übertragen. Ein derartig unklarer Führungsstil förderte die anschließenden Misshandlungen,
soweit er später als implizierter Auftrag des Nachrichtendienstes oder der Militärpolizei wahrgenommen wurde.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 2, PHILLABAUM).
h. Fälle von Gefangenenmisshandlung durch Isolation.
Isolation ist eine geltende Verhörmethode, die eine Genehmigung des CJTF-7 Commanders erfordert. Wir konnten in vier Fällen anhand von Unterlagen belegen, dass die Isolation von LTG R.S.
genehmigt worden war. LTG R.S. sagte aus, dass er in 25 Fällen Isolation genehmigt habe. Diese
Untersuchung begegnete jedoch zahlreichen Fällen chronischer Verwirrung sowohl seitens des
NachrichtenNachrichtendienstes wie auch der Miltärpolizei auf allen Dienstebenen bis hin zum
CJTF-7, bezüglich der Definition von „Isolation“ und „Absonderung.“ Da diese Begriffe üblicherweise
vertauscht werden, schließen wir, dass Absonderung deutlich häufiger eingesetzt wurde als Isolation. Absonderung ist ein geltendes Verfahren, um die Kollaboration zwischen den Gefangenen zu
beschränken. Sie wurde am häufigsten im Zellenblock 1A angewendet (einen Gefangenen allein in
eine Zelle zu stecken anstatt in eine Gemeinschaftszelle, wie es außerhalb des Hard Site üblich
war), weswegen dieser Block manchmal fälschlicherweise als „Isolation[strakt]“ bezeichnet wurde.
Zellenblock 1A verfügte über Isolationszellen mit soliden Türen, die geschlossen werden konnten,
wie auch über einen kleinen Raum (Wandschrank), der als Isolations-„Loch“ bezeichnet wird. Der
Gebrauch dieser Räume hätte streng kontrolliert und von der Nachrichtendienst- bzw. Militärpolizei-Führung überwacht werden müssen. Dies war jedoch nicht der Fall, was dazu führte, dass die
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Gefangenen im Winter eisiger Kälte und im Sommer extremer Hitze ausgesetzt wurden. Die Qualität der Luft dort war offensichtlich sehr schlecht, das Einhalten zeitlicher Beschränkungen wurde
nicht überwacht, es gab keine regelmäßige Kontrolle der körperlichen Verfassung der Gefangenen,
geschweige denn eine medizinische Untersuchung, was zusammengenommen den Tatbestand von
Gefangenenmisshandlung erfüllt. Eine Durchsicht der Verhörprotokolle ergibt zehn Verweise auf
„Leute in das Loch stecken“, „aus dem Loch holen“ oder in Betracht gezogene Isolation. Diese Vorkommnisse ereigneten sich zwischen dem 15. September 2003 und dem 3. Januar 2004.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, R.S.)
(1) Vorfall Nr. 42
Am 15. September 2003 ordnete ein unbekannter Mitarbeiter des Nachrichtendienstes mit den
Initialen CKD um 21:50 h die Isolation eines unbekannten Gefangenen an. Der Gefangene in Zelle
Nr. 9 wurde angewiesen, seine äußere Zelltür zu Lüftungszwecken geöffnet zu lassen und es gab
Anweisung, ihn vom Beleuchtungsplan zu nehmen. Es war weder möglich, die Identität von CDK,
dem Nachrichtendienst-Mitarbeiter, noch die des Gefangenen zu ermitteln. Diese Information
stammt aus den Gefängnislogbucheintragungen und bestätigt den Gebrauch von Isolation und Entzug der Sinneswahrnehmung als Verhörmethode.
(Bezugnahme MP Hard Site Logbucheintragung, 15. September 2003)
(2) Vorfall Nr. 43
Anfang Oktober 2003 verhörte SOLDAT-11 zusammen mit SOLDAT-19, einem Verhörspezialisten
und einem unbekannten privaten Übersetzer einen unbekannten Gefangenen. Nach etwa 1 3/4
Stunden Verhör wendete sich SOLDAT-19 an SOLDAT-11 und fragte ihn, ob er der Meinung sei,
dass sie den Gefangenen für ein paar Stunden in Einzelhaft stecken sollten, da offenbar der Gefangene weder kooperierte noch Fragen beantwortete. SOLDAT-11 brachte seine Bedenken hinsichtlich dieser Vorgehensweise zum Ausdruck, ließ jedoch SOLDAT-19 als Verhörspezialisten den Vorrang. Ungefähr 15 Minuten später beendete SOLDAT-19 das Verhör, verließ die Zelle und kehrte
etwa fünf Minuten später in Begleitung eines Militärpolizisten,, SSG F., zurück. SSG F. rammte dem
Gefangenen eine Tüte über den Kopf, packte ihn an den Handschellen, mit denen er gefesselt war,
und sagte etwas in der Richtung von „komm mit mir, Schweinchen“ als er den Gefangenen in Einzelhaft in den Hard Site, Zellenblock 1A von Abu Ghraib führte.
Ungefähr eine halbe Stunde später gingen SOLDAT-19 und SOLDAT-11 nicht in Begleitung ihres
Übersetzer zum Hard Site, obwohl dieser bei Bedarf zur Verfügung gestanden hätte. Als sie an der
Zellen des Gefangenen ankamen, fanden sie diesen völlig nackt auf dem Boden liegend vor, nur
sein Kopf war bis zu seiner Oberlippe mit einer Kapuze bedeckt. Der Gefangene wimmerte, wies
jedoch weder Prellungen noch Striemen auf. SSG F. gesellte sich dann an der Zelltür zu SOLDAT19 und SOLDAT-11. Er fing an, den Gefangenen anzuschreien: „Du hast dich bewegt, du kleines
Schweinchen, du weißt, dass du dich nicht bewegen sollst“, oder so ähnlich, und zerrte die Kapuze
wieder ganz über den Kopf des Gefangenen. SOLDAT-19 and SOLDAT-11 wiesen andere Militärpolizisten an, den Gefangenen anzuziehen, was sie auch taten. SOLDAT-11 fragte SOLDAT-19, ob er
gewusst habe, dass die Militärpolizisten den Gefangenen ausziehen würden, woraufhin SOLDAT-19
entgegnete, er habe das nicht gewusst. Nachdem der Gefangene wieder bekleidet war,
begleiteten ihn sowohl SOLDAT-19 wie auch SOLDAT-11 zu den übrigen Gefangenen (general population) zurück, und ließen ihn frei, ohne ihn nochmals zu verhören. SSG F. gab die Äußerung von
sich, „Leute, ich will euch danken, denn bis vor ein oder zwei Wochen war ich noch ein guter
Christ.“ SOLDAT-11 war sich nicht sicher, in welchem Kontext SSG F. diese Äußerung gemacht hat.
SOLDAT-11 bemerkte, dass weder die Isolationsmethode noch der „Entkleidungsvorfall“ in irgendwelchen Verhörprotokollen oder –plänen vermerkt wurden.
Es ist mehr als wahrscheinlich, dass SOLDAT-19 wusste, was SSG F. vorhatte. Vor dem Hintergrund, dass die Anweisung zu Isolation anscheinend eine spontane Reaktion auf die Widerborstigkeit des Gefangenen war und nicht Teil eines angelegten Verhörplans; dass die „Isolation“ nur ungefähr eine halbe Stunde dauerte; dass SOLDAT-19 beschloss, den Gefangenen erneut und ohne
einen Übersetzer zu kontaktieren; und dass SOLDAT-19 mit SSG F. an einem anderen Fall von
Gefangenenmissbrauch beteiligt war, ist es durchaus möglich, dass SOLDAT-19 mit SSG F. eine
vorherige Abmachung getroffen hatte, unkooperative Gefangene „aufzuweichen“. Möglich ist auch,
dass SSG F. Anweisung gegeben hatte, den Gefangenen in der Isolation zu entkleiden, als Strafe
für seine mangelnde Kooperation und so dem Gefangenen einen Anreiz zur Kooperation während
des nächsten Verhörs zu geben. Wir zumindest sind überzeugt davon, dass SOLDAT-19 wusste
oder zumindest vermutete, dass diese Art von Behandlung auch ohne konkrete Anweisungen
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Mapping Universal Jurisdiction
Universität Hamburg
durchgeführt wurde.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1,SOLDAT-11, SOLDAT-19, T.P., SOLDAT-28).
(3) Vorfäll(e) Nr. 44. Am 1. November 2003 stellten SOLDAT-29 und SOLDAT-10, Verhörspezialisten des Nachrichtendienstes, fest, dass ein Gefangener unter seinen Aufenthalten in der Isolation
und im Loch litt.
Am 11., 13., und 14 .November 2003 bemerkten die nachrichtendienstlichen Verhörspezialisten
SOLDAT-04, SOLDAT-09, SOLDAT-02 und SOLDAT-23, dass ein Gefangener zum „Loch geführt und
reingesteckt wurde“, dem es „nichts auszumachen schien, ins Loch zurückzukehren“, „es war vorgesehen, ihn so lange im Loch zu halten, bis er anfängt zu reden“ und „selbst nach drei Tagen im
Loch in guter Stimmung war“.
(Bezugnahme Anhang I, Anlage 3, Foto vom „Loch”).
In einem Verhörprotokoll vom 5. November 2003 heißt es im Abschnitt zukünftiges Vorgehen „Der
Gefangene sollte ins Loch in die ISO. Der Gefangene sollte unerbittlich behandelt werden, da
freundlicher Umgang nichts gebracht hat und COL T.P. eine schnelle Lösung will, weil er sonst den
Gefangenen jemand anders als der 205. [Nachrichtendienst] übergibt.“
Am 12. November 2003 bemerkten die Nachrichtendienst-Verhörspezialisten SOLDAT-18 und SOLDAT-13, dass ein Gefangener „Angst vor dem Isolations-Loch hatte und es ihn aufregte, aber nicht
genug, um ihn einbrechen zu lassen.“
Am 29. November 2003 erklärten die Nachrichtendienst-Verhörspezialisten SOLDAT-18 und SOLDAT-06 einem Gefangenen, dass „er ins Loch wandern würde, wenn er nicht bald kooperierte.“
Am 8. Dezember 2003 erklärten unbekannte Verhörspezialisten einem Gefangenen, dass er für
„eine Verlegung in die Iso und ins Loch empfohlen“ worden sei – „ihm wurde gesagt, dass ihm
sein/e Sonne(nlicht) weggenommen würde, er solle es besser jetzt genießen.“
Die ganzen Vorfälle verweisen auf den routinemäßigen und wiederholten Einsatz von totaler Isolation und Lichtentzug. Die Angabe dieser Methode in den Verhörprotokollen weist darauf hin, dass
diejenigen, die sich ihrer bedienten, glaubten, sie sei genehmigt. Ihre Art der Anwendung stellt
eine Verletzung der Genfer Konvention, der CJTF-7-Vorschriften und der Armeevorschriften dar.
(Bezugnahme Anhang M, Anlage 2, AR 190-8).
Isolation wurde ohne korrekte Genehmigung und mit mangelnder Aufsicht angewendet und führte
so zu Misshandlungen.
(Bezugnahme Anhang I, Anlage 4, GEFANGENER-08).
i. Mehrere mutmaßliche Misshandlungen wurden untersucht und als wenig stichhaltig befunden.
Andere erwiesen sich als kaum mehr als allgemeine Gerüchte oder Erfindungen.
Diese Ermittlung legte eine bestimmte Schwelle fest, die entscheidend dafür war, ob Informationen
über mutmaßliche oder potentielle Misshandlungen in diesen Bericht aufgenommen wurden oder
nicht. Bruchstückhafte oder schwer verständliche Mutmaßungen oder Informationen erschwerten
es manchmal, unsere Untersuchungen fortzusetzen. Ein Beispiel dafür stellt die Aussage eines
mutmaßlichen Misshandlungsopfers, GEFANGENER-13 dar, der behauptete, in Abu Ghraib immer
gut behandelt worden zu sein, aber vorher von denjenigen, die ihn gefangen genommen hatten,
misshandelt worden zu sein. Er widerspricht potentiell dieser Behauptung mit der Aussage, dass
sein Kopf gegen eine Wand geschmettert wurde. Der Gefangene scheint in Bezug auf Zeiten und
Orte, an denen er misshandelt wurde, verwirrt zu sein.
Mehrere Vorfälle betrafen gleich mehrere Opfer und/oder ereigneten sich bei einem einzigen „Anlass“, wie beispielsweise den Verhören der irakischen Polizisten am 24. November 2003. Ein Beispiel, das eine gewisse Transparenz erfuhr, ist der Bericht von SOLDAT-22, der zufällig eine Unterhaltung zwischen SPC M. und seinen nicht identifizierten „Freunden“ in der “chow hall” (Kantine)
mitanhörte. Demzufolge soll SPC M. gesagt haben: „Die Militärpolizisten haben Gefangene als
Übungsdummies benutzt. Sie haben die Gefangenen zur Übung geschlagen. Sie haben ihnen beispielsweise Schläge gegen den Hals versetzt und sie bewusstlos geschlagen. Ein Gefangener hatte
furchtbare Angst. Die Militärpolizisten hielten seinen Kopf und erzählten ihm, es sei alles in Ordnung – und dann schlugen sie zu. Die Gefangenen flehten um Gnade und die Militärpolizisten fanden das furchtbar komisch.“ SPC M. wurde vernommen und bestritt jegliches Wissen über Misshandlungen. Er gab zu, dass seine Freunde und er sich über die Geräusche, die aus dem Hard Site
zu ihnen herüberdrangen, lustig gemacht und etwas in der Art von „die Militärpolizisten ziehen ihr
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Ding durch“ gesagt hätten. SPC M. hätte nie für möglich gehalten, dass ihn jemand dabei ernst
nehmen würde. Mehrere Bekannte von SPC M. wurden vernommen (SPC G., SOLDAT-12, PVT H.).
Alle behaupteten, ihre Debatten mit SPC M. seien reine Spekulation gewesen, und sie hätten nicht
gedacht, dass ihn irgendjemand ernst nehmen oder schlussfolgern würde, dass er persönlich
Kenntnis von den Misshandlungen habe. Die Aufgabenbereiche von SPC M. machten es zudem unwahrscheinlich, dass er Augenzeuge irgendwelcher Misshandlungen geworden wäre. Er traf Ende
November 2003 als Analyst in Abu Ghraib ein und arbeitete die Tagesschicht. Kurz nach seiner
Ankunft, am 24. November, ereignete sich der „Vorfall mit der Schießerei“ und am nächsten Tag
wurde er für drei Wochen nach Camp Victory versetzt. Bei seiner Rückkehr wurde er als Wache
nach Camp Wood und Camp Steel verlegt und kehrte gar nicht mehr in den Hard Site zurück. Bei
dieser mutmaßlichen Misshandlung handelt es sich wahrscheinlich um die angeberischen Übertreibungen eines Gerüchts, das in Abu Ghraib überall kursierte, und nichts weiter.
(Bezugnahme Anhang B, Anlage 1, SOLDAT-12, G., H., M., SOLDAT-22).
4.2.5. Verdacht weiterer Kriegsverbrechen
Es sei nur kurz angemerkt, dass nach Schätzungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes 70 bis 90 % der festgenommenen Personen in Irak „versehentlich“ ihrer Freiheit beraubt wurden. Von den 43.000 Irakern, die seit der Besetzung inhaftiert worden sind, wurden lediglich 600
den irakischen Autoritäten zum Zwecke der Strafverfolgung übergeben. (vgl. Rajiv Chandrasekaran
and Scott Wilson, Mistreatment of Detainees West Beyond Guard’s Abuse, The Washington Post,
11. Mai 2004). Träfen diese Schätzungen auch nur annähernd zu, wäre damit eine unübersehbare
Zahl weiterer Kriegsverbrechen begangen worden. Denn die rechtswidrige Gefangennahme und die
ungerechtfertigte Verzögerung der Heimschaffung von nach den Genfer Konventionen geschützten
Personen stellt ein eigenes Kriegsverbrechen, strafbar nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB, dar.
Exkurs: Die unheilvolle Geschichte von Abu Ghraib unter Saddam Hussein
Die Veröffentlichung von Bildern, die systematische Misshandlung von Insassen des Gefängnisses
Abu Ghraib dokumentierend, rückten dieses im Jahre 2004 in den Fokus der Weltöffentlichkeit.
Vor dem Hintergrund dieser Enthüllungen soll und darf nicht vergessen werden, dass dieses Gefängnis seit seiner Inbetriebnahme dem irakischen Regime bis zur Entmachtung Saddam Husseins
im Jahre 2003 dazu diente, ihm missliebige Personen einzusperren, zu demütigen, zu foltern und
auch zu exekutieren. Dies soll anhand einiger Beispiele dokumentiert werden.
Am 02.07.1998 berichtet das „Centre for human rights“ der irakischen kommunistischen Partei
(ICP) darüber, dass an die 1000 Personen, die seit den frühen 80er Jahren als vermisst galten, in
Verließen des berüchtigten Abu Ghraib Gefängnisses gefangen gehalten und als Versuchskaninchen
zur Erprobung international geächteter Waffen missbraucht werden.
Im Februar 1999 berichtet der Sonderbeauftragte des UN-Menschenrechtsausschusses, Max van
der Stoel, unter anderem von sogenannten „Gefängnissäuberungskampagnen“ während der letzten
Monate des Jahres 1998, bei der mehrere hundert Menschen ihr Leben lassen mussten (seit 1997
wurden an die 2500 Menschen in den Gefängnissen Abu Ghraib und Radwaniyah umgebracht).
Am 5. April 2000 veröffentlicht die ICP einen weiteren Bericht über Massaker in Abu Ghraib zwischen dem 3. und 12. Februar 2000. 144 Menschen verloren dabei ihr Leben.
Gestützt auf Berichte von „Human rights watch“ und dem „Centre for Human Rights of the Iraqi
Communist Party (ICP) spricht die „iraqfoundation“ im Jahr 2001 gleichfalls von unzähligen Exekutionen während der Jahre 1997-2000. Darüber hinaus wird berichtet, dass gemäß der Aussagen
vormaliger Inhaftierter Foltertechniken bspw. Schlagen, Verätzen der Haut, Herausreißen der Fingernägel, Anbringung von Elektroschocks an den Genitalien, die Amputation von Gliedmaßen oder
Einzelhaft in dunklen und kleinen Räumen, um nur einige zu nennen, Anwendung fanden.
In der Veröffentlichung der ICP vom 27.03.2001 werden die unmenschlichen Haftbedingungen in
Abu Ghraib zur Sprache gebracht. Gut informierten Quellen zufolge sind zu diesem Zeitpunkt etwa
75000 Gefangene inhaftiert. Das bedeutet, dass in jedem Trakt an die 1300 Personen untergebracht sind. Familien werden gezwungen, Schmiergelder zu zahlen, um den Häftlingen bspw. das
Waschen zu ermöglichen, sowie selbst für die Lebensmittelversorgung der Häftlinge aufzukom-
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men.230
4.3. Die gegen die geschädigten Anzeigenerstatter begangenen strafbaren Handlungen
4.3.1. Häftling 063 - M.Q.
Im Jahr 2002 wurde der saudi-arabische Staatsbürger M.Q. nach der Invasion Afghanistans als
mutmaßlich hochrangiges Al-Qaida Mitglied im pakistanischafghanischen Grenzgebiet festgenommen und auf den Marine-Luftwaffenstützpunkt Guantánamo Bay, Kuba, überführt, wo er seitdem
gefangen gehalten wird. Abgesehen von sechs Gesprächen, die M.Q. mit seiner Anwältin G.G.,
Rechtsanwältin des Center for Constitutional Rights (CCR), New York, zwischen Dezember 2005
und September 2006 führen konnte, und einigen Treffen mit Mitgliedern des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK), ist er seit seiner Festnahme von der Außenwelt abgeschnitten.231
Seit dieser Zeit wurde M.Q. wenigstens von drei verschiedenen Vernehmungsteams befragt, dem
The Defense Department´s Criminal Investigation Task Force (CITF), einem militärnachrichtendienstlichen Team und Agenten des Federal Bureau of Investigation (FBI). Jedes dieser Teams operierte auf Basis verschiedener rechtlicher Grundlagen. Oftmals lehnte das CITF die aggressiven
Techniken, die von militärnachrichtendienstlichen Vernehmungsbeamten benutzt wurden, ab.
Mehrfach wurden hochrangige Beamte des Pentagon von der Leitung des CITF darauf aufmerksam
gemacht, dass die harten Vernehmungsmethoden, wie sie von Teams des Militärnachrichtendienstes angewendet wurden, keine nützlichen Informationen hervor brächten, im übrigen Kriegsverbrechen darstellten und in den USA eine Welle der Entrüstung auslösen könnte, wenn dies bekannt
würde. Beginnend mit August 2002 wurden sehr aggressive Verhörtechniken angewandt, einschließlich einer dreimonatigen, schweren Isolationshaft. Dies führte zu Spannungen zwischen
CITF-Ermittlern, die den Gebrauch traditioneller, nicht nötigender Ermittlungsmethoden bevorzugten, und den militärnachrichtendienstlichen Vernehmungsbeamten, die neue aggressive Befragungsmethoden anwandten. Während der Monate August und September 2002 drückten Verantwortliche des CITF wöchentlich ihre Besorgnis über die aus ihrer Sicht illegalen Vernehmungsmethoden gegenüber den Juristen des Pentagons, inklusive des Chef-Juristen W.H., aus.
Im November 2002 teilte FBI Deputy Director T.H. der Armee in einem Schreiben mit, dass er einen Häftling beobachten konnte, der Symptome eines „extremen psychischen Traumas“ aufwies.
Später sollte sich herausstellen, dass es sich dabei um M.Q. handelte:
„Im September oder Oktober 2002 konnten FBI-Agenten beobachten, wie ein Hund in aggressiver
Weise eingesetzt wurde, um den Gefangenen [Name geschwärzt] einzuschüchtern. Im November
2002 bemerkten FBI-Agenten den Gefangenen [Name geschwärzt], der für mehr als 3 Monate einer verchärften Isolation ausgesetzt war. Während dieser Zeit wurde [Name geschwärzt] in einer
ständig hell erleuchteten Zelle isoliert (mit Ausnahme von gelegentlichen Verhören). Gegen Ende
November zeigte der Gefangene Verhaltensweisen, wie sie bei einem extremen psychischen Trauma auftreten (er führte Gespräche mit nicht existierenden Personen, hörte angeblich Stimmen und
kauerte stundenlang nur mit einem Laken bedeckt in einer Ecke). Es ist dem FBI nicht bekannt, ob
eine solch ausgeweitete Isolation von den zuständigen DoD-Beratern autorisiert wurde.“232
Anfang September 2002 begannen Beamte des Militärnachrichtendienstes auf Guantánamo einen
neuen, aggressiveren Vernehmungsplan für M.Q. aufzustellen. Militärnachrichtendienstoffiziere
wollten Techniken anwenden, die im sog. SERE-Programm, einem Survival, Evation, Resistance
und Escape-Trainingsprogramm für US-Spezialkräfte, eingesetzt werden. Das SERE-Programm ist
dazu gedacht, Soldaten darin zu schulen, Foltertechniken zu widerstehen, für den Fall, dass sie von
feindlichen Kräften gefangen genommen werden. Dieses Programm beinhaltet Formen von Folter,
religiöse und sexuelle Demütigung und „water-boarding“. Als ersten Schritt zur Umsetzung dieses
230
Links: http://web.amnesty.org/library/Index/ENGMDE140101999?open&of=ENG-313;
http://web.amnesty.org/library/Index/ENGMDE140082001?open&of=ENG-IRQ;
http://www.hrw.org/backgrounder/mena/iraq031103.htm#6
231
Die nachfolgende Darstellung beruht im wesentlichen – soweit nicht anders gekennzeichnet –
auf der als Anlage im Original beigefügten Zeugenaussage der Rechtanwältin Gutierrez, die nicht
amtlich übersetzt wurde.
232
Suspected Mistreatment of Detainees von T.J. Harrington, Deputy Assistant Director, Counterterrorism Division, FBI, an Major General Donald R. Ryder, Criminal Investigation Command, Department of the Army, July 14, 2006
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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neuen Vernehmungsprogramms besuchten Beamte des Militärnachrichtendiestes aus Guantánamo
zwischen dem 16. und 20. September 2002 das SERE-Training in Ford Bragg, North Carolina. Als
Reaktion auf diese Entwicklung wiesen die Verantwortlichen des CITF in einem Memorandum ihre
Agenten schriftlich an, dass die Beteiligung an aggressiven Vernehmungen, insbesondere die Anwendung der SERE-Techniken, verboten sei. Daraufhin wurde Beamten des CITF am 25.09.2002
untersagt, an Sitzungen mit hochrangigen Juristen der G.W.B.-Administration (darunter Rechtsberater des Weißen Hauses A.G., Vizepräsident R.C. und der Jurist im Office of Legal Counsel J.Y.)
teilzunehmen, während Militärnachrichtendienstoffiziere zur selben Zeit das aggressive Verhörprogramm für M.Q. ausarbeiteten.
Nach einem Treffen mit verantwortlichen Offiziellen von Guantánamo und der wiederholten Darlegung von Bedenken durch Offiziere des CITF hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der angewandten Methoden, wandte sich der damalige Kommandeur von Guantánamo, General M.D., am 11. Oktober
2002 an seine Vorgesetzten und bat um Autorisierung eines Vernehmungsplans für M.Q. , der 19
Techniken beinhalteten sollte, die nicht in den traditionellen Vernehmungshandbüchern des Militärs
zu finden waren.
Ende 2002 und Anfang 2003 wurden durch Generalmajor G.M. eine Reihe von Techniken auf Guantánamo eingeführt, um Inhaftierte so zu zermürben, dass verwertbare nachrichtendienstliche
Informationen gewonnen werden konnten. Dazu gehörten der Schlafentzug, die verschäfte Isolation, simulierte Ertränkungen und das erzwungene Stehen und Liegen in Stresspositionen. Im Zuge
der späteren Senatsanhörungen wurde bekannt, dass Verteidigungsminister D.R. G.M. den Gebrauch dieser Taktiken erlaubt hatte, inklusive dem Aussetzen extrem kalter und warmer Temperaturen, Schlafentzug und Stresspositionen für längere Zeit. Mittlerweile liegt eine Vielzahl an Zeugenaussagen von in Guantánamo gefangen gehaltenen Personen vor, die schildern, entwürdigender
Behandlung, Schlägen und sexuellen Beleidigungen ausgesetzt gewesen zu sein233.
Im speziellen Fall von M.Q. wurde das Verfahren der „herabwürdigenden und missbräuchlichen“
Behandlung durch Soldaten angewandt. Am 2. Dezember 2002 bewilligte D.R. zudem 16 „strengere“ Verhörmethoden („First Special Interrogation Plan“), die gegen M.Q. Anwendung finden sollten.
Einschließlich erzwungener Nacktheit, Stresspositionen und die Abnahme religiöser Gegenstände.
Diese Methoden wurden jedoch schon Ende Januar 2003 wieder aufgehoben, da Militärjuristen Bedenken hegten, diese könnten die Tatbestände grausamer und erniedrigender Behandlung oder
Folter erfüllen.
In einer eidesstattlichen Erklärung gegenüber dem Generalinspektorat der Armee beschrieb R.M.S.,
Generalleutnant der US-Luftstreitkräfte, D.R. als in die Vernehmungen „persönlich involviert“ und
sagte aus, dass der Verteidigungsminister „wöchentlich Gespräche“ mit G.M. geführt habe. R.M.S.
kommt zu dem Schluss, dass D.R. die bei den Verhören M.Q.s anzuwendenden „kreativeren“ Verhörmethoden nicht in aller Ausführlichkeit beschrieben hat. Jedoch fügt er hinzu, dass die unbefristet wirkenden Anweisungen, von D.R. gebilligt, und der offenkundige Mangel an Kontrolle über die
täglichen Vernehmungen, einem missbräuchlichen Führungsstil Vorschub geleistet haben. R.M.S.
weiter: „There were no limits.“234.
Basierend auf dem „Interrogation log/Detainee 063“ sollen die dokumentierten Misshandlungen an
M.Q. zwischen dem 23. November 2002 und dem 11. Januar 2003 aufgezeigt werden. Dabei handelt es sich um von den US-Behörden detailliert verfasste Aufzeichnungen des „Verhöralltags“ bzw.
des Tagesablaufs des Gefangenen. Es konnten unterschiedliche Arten der Gefangenenmisshandlung
festgestellt werden: Körperliche und psychische Misshandlung, demütigende und entwürdigende
Behandlung sowie der vorschriftswidrige Einsatz von Isolationsmaßnahmen und Schlafentzug.
Während des genannten Zeitraums wurde der Gefangene täglich zwischen 18 und 20 Stunden verhört235. Zudem wurde versucht, ihn durch die Anwendung verschiedenster Methoden systematisch
wach zu halten. Dazu zählten kurze Phasen der Bewegung, körperliche Ertüchtigung oder das Aufrecht-Stehen-Müssen während der Verhöre. Eine weitere Anwendungsform bestand auch darin, ihn
mit lauter Musik („white noise“) zu beschallen, ihn anzuschreien oder Wasser auf seinen Kopf zu
tröpfeln.
233
Center for Constitutional Rights, Report of Former Guantánamo Detainees,
http://www.ccrny.org/v2/reports/docs/GitmocoMpositestament FINAL23july04.pdf.
234
vgl. Michael Scherer und Mark Benjamin,
http://www.salon.com/news/features/2006/04/14rummy/print.html
235
Schmidt-Report, S. 17; Interrogation log
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In den ersten beiden Monate, als der First Special Interrogation Plan zur Anwendung kam, wurde
M.Q. von den Militärbehörden extremen Verhörtechniken ausgesetzt, während ihm lediglich 4
Stunden Schlaf pro Tag gestattet wurden. Zudem wurde auf Veranlassung der Militärbehörden sein
Schlaf häufig unterbrochen, indem die Vernehmungsbeamten ihn während der gesamten Nacht von
einer Zelle in die anderen umziehen ließen, um seinen Schlafrhythmus zu manipulieren236. Diese
Methode wird wie folgt beschrieben:
„Ein Insasse wurde aufgeweckt, einem Verhör in einem Gebäude, das als goldenes Gebäude bezeichnet wird, unterzogen, danach in eine andere Zelle zurückgebracht. Sobald die Wachen feststellten, dass der Insasse tief schlief, wurde er erneut für ein Verhör geweckt, nachdem er wiederum in eine andere Zelle verbracht wurde. Dies konnte fünf oder sechs Mal pro Nacht geschehen.
Insgeheim rechneten D.R. und Generalmajor G.M. damit, dass die Sinne oder die Persönlichkeit
durch die Anwendung dieser Verfahren schwerwiegend gestört werden würden.“
Die Beschuldigten autorisierten den ausgeweiteten und schweren Schlafentzug ausdrücklich als
Verhörmethode, die gegenüber M.Q. angewendet werden konnte. Verteidigungsminister D.R. genehmigte in seinem Memorandum vom 2. Dezember 2002 die Durchführung von 20stündigen Verhören ohne Einschränkung237. Im Anschluss an den Widerruf der aggressiveren Verhörmethoden im
First Special Interrogation Plan vom 15. Januar 2003 durch Verteidigungsminister D.R. wurde
Schlafentzug vom US-Militär wie folgt definiert: Das Wachhalten eines Gefangenen für mehr als 16
Stunden für vier Tage oder mehr238. Eine spätere Definition erlaubte den Verhörbeamten den
Schlafentzug an Gefangenen für mehr als 16 Stunden pro Tag an vier aufeinander folgenden Tagen
doch wieder anzuwenden. (Schmidt-Report, S. 18). Für mindestens zwei Monate, wahrscheinlich
aber länger, erlaubten und führten die Militärbehörden unter dem Kommando von Verteidigungsminister D.R. und Generalmajor G.M. Praktiken ein, die darauf abzielten, M.Q. mehr als 20 Stunden
pro Tag wach zu halten239. M.Q. war mithin einer Behandlung ausgesetzt, die weit über das hinausging, was als mit den Regeln des Militärs in Einklang stehend angesehen werden kann.
Beginnend mit dem 25. November 2002 wurden dem Häftling auf Anraten des medizinischen Personals wegen seiner Weigerung („strike“), Flüssigkeiten oral aufnehmen zu wollen, ein intravenöser
Zugang zur Verabreichung von Lösungen gelegt. M.Q. protestierte gegen diese Art der „Zwangsernährung“, indem er die Leitung zerbiss. Nichtsdestotrotz wurde ihm, nachdem er durch die Wachen
fixiert worden war, ein neuerlicher Zugang gelegt. So konnten ihm 3,5 Beutel an intravenöser Lösung verabreicht werden240. Dieser Vorgang sollte sich beinahe täglich wiederholen.
Am 7. Dezember 2002 wurde befohlen, die Vernehmung des Gefangenen für 24 Stunden auszusetzen (sog. „24 hours recuperation stand-down“). Während dieser Zeit waren die Schichtdienste davon in Kenntnis gesetzt, keine Konversation mit dem Häftling zu führen und ohne Unterlass Musik
abzuspielen, um ihn am Schlafen zu hindern. Es sollten zudem alle ein bis eineinhalb Stunden kurze Fußmärsche eingelegt werden241.
Nachdem im Zuge der Kontrolle der körperwichtigen Funktionen des Häftlings festgestellt werden
konnte, dass dessen Puls auffallend niedrig war, wurde er auf Anraten eines Arztes an ein EKG
angeschlossen. Die Messung ergab, dass M.Q. einen regelmäßigen Herzschlag von 35 Schlägen pro
Minute aufwies. Daraufhin wurde nach Konsultation eines anderen Arztes die Verlegung in ein
Krankenhaus angeordnet, um eine Computertomographie durchführen zu lassen, wobei keine Unregelmäßigkeiten festgestellt werden konnten242. Trotz des hohen Blutdrucks und des niedrigen
Pulses gab der medizinisch Verantwortliche sein Einverständnis, die Verhöroperationen weiterzuführen, da keine signifikanten Änderungen des Gesundheitszustandes eingetreten seien243.
Im allgemeinen wandte das Militär so genannte Stresspositionen bei den Gefangenen in Guantánamo an, wobei diese gezwungen wurden, stundenlang aufrecht zu stehen, manchmal auch mit
236
a.a.O., S. 27, ebenso Neil A. Lewis, Broad Use of Harsh Tactics is Described at Cuba Base, NY
Times, vom 17.10.2004
237
D.R. memo; ebenso Schmidt-Report, Seite 17
238
Schmidt-Report, Seite 18
239
Schmidt-Report, Seite 18
240
Interrogation log, 25. November 2002; 0730-0940
241
Interrogation log, 7. Dezember 2002, 1100
242
Interrogation log, 8. Dezember 2002
243
Interrogation log, 13.Dezember 2002; 2345
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zur Seite ausgestreckten Armen244. “Short shackling” bedeutet, dass die Handgelenke des Gefangenen mit Metall- oder Plastikhandschellen an seinen Knöchel fixiert werden, sodass dessen Körper
eingeknickt ist, während er entweder auf dem Boden liegt oder in einem Stuhl sitzt245. Das Stehen
in Stresspositionen verursacht entsetzliche Schmerzen, da die Knöchel bis zum Doppelten ihrer
Größe anschwellen und die Haut zu spannen und zu schmerzen beginnt; zudem führt es zur Bildung von Blasen, aus denen dann wässriges Serum sickert, die Herzfrequenz steigt, die Nieren
versagen und es können Wahnvorstellungen auftreten246. Angehörige des Militärs, die mit dieser
Praktik vertraut sind, beschreiben „short shackling“ als regelmäßig eingesetzte Methode in Guantánamo247. Aufgrund der Fesselungen des Gefangenen an Armen und Beinen mussten in regelmäßigen Abständen Kontrollen durch medizinisches Personal durchgeführt werden, um durch das
Wechseln der Verbände etwaigen Verletzungen vorbeugen zu können. Zudem hatte der Gefangene
mit Schwellungen an Armen und Beinen zu kämpfen, die zu Taubheit der Extremitäten führte248.
Durch die Fixierung des Gefangenen in einem starren Metalldrehstuhl während der langen Vernehmungsphasen musste auch der Rücken ständig hinsichtlich auftretender Hautabschürfungen untersucht werden.
Einen zum Teil geschwärzten Bericht zufolge konnte ein Gefangener beobachtet werden, der an
„Händen und Füssen in fötaler Position an den Fußboden gekettet war, ohne Stuhl, Essen oder
Wasser“249. Der Bericht führt weiter aus: „meistens hatten sie auf sich selbst uriniert oder gekotet
und wurden dort für 18 bis 24 Stunden belassen. Einmal wurde die Klimaanlage so weit heruntergefahren, und die Temperatur war so kalt …, dass der barfüssige Gefangene vor Kälte zitterte“250.
„Bei einer anderen Gelegenheit wurde die Klimaanlage vollständig ausgeschalten, sodass sich der
Raum, in dem sich kein Ventilator befand, auf mehr als 100 Grad (Fahrenheit) aufheizte“251. „Der
Gefangene lag fast bewusstlos auf dem Boden, neben sich ein Büschel Haare. Diese hatte er sich
offensichtlich während der Nacht ausgerissen.“252 „Bei anderen Gelegenheiten fand dieser Beobachter Gefangene in einer fötalen Position vor, die Hände an die Füsse gefesselt.“253
M.Q. wurde sowohl tagsüber als auch während der Nacht für längere Zeiträume mit sehr eng sitzenden Handschellen in einer äußerst schmerzhaften Stresshaltung gefesselt. Der Schmidt-Report
stellt dazu fest, dass M.Q. gezwungen wurde, für längere Zeiträume zu stehen254. Wie oben dargestellt, war er bei vielen Gelegenheiten solange gefesselt, dass er keine andere Möglichkeit hatte,
als auf sich selbst zu urinieren.
Um auf die Psyche des Gefangenen einzuwirken, wurden Methoden angewandt, die als „Pride & ego
down“-approach (Brechen seiner Persönlichkeit und seines Selbstwertgefühls), „Fear up“-approach
(Steigerung der Furcht) und „Futility“-approach (Aufzeigen der Sinnlosigkeit seines Verhaltens)
bezeichnet werden. Dabei sollte durch die Verschiedenartigkeit der Vernehmungsstrategien daraufhin gesteuert werden, den Häftling durch massiven psychischen Druck zu brechen (so u. a. geschehen am 29. Dezember 2002). Beispielsweise wurde M.Q. beim Versuch zu Sprechen angeschrieen und ihm befohlen, aufzustehen, wenn es schien, er verharre in einer für ihn angenehmen
Position255. Durch Drohungen, wie „Was glaubst Du, wie schlimm die Vernehmungen (noch) werden“, sollte dem Häftling zudem eingeschüchtert werden256. Auch war es an der Tagesordnung, ihm
Wasser, das er verweigerte, über den Kopf zu gießen oder vor ihm auf dem Boden zu entleeren
(„drink water or wear it“). Dies Behandlung wurde nicht nur aus dem Grund angewandt, den Häftling vor Dehydrierung zu schützen, sondern auch um die Kontrolle über ihn zu gewinnen257.
244
Emily Bazelon et al., What ist Torture? An Interactive Primer on American Interrogation, Slate,
May 26, 2005, at http://www.slatec.om/id/2119122/.
245
ebd.
246
ebd.
247
Neil A. Lewis, Broad Use Cited of Harsh Tactics at Base in Cuba, NY Times, Oct. 17, 2004
248
Interrogation log, 26. November 2002; 0645, 1600
249
Detainees materials 1760
250
ebd.; siehe auch: Interrogation log, 22. Dezember 2002; 1400
251
ebd.
252
ebd.
253
ebd.
254
Schmidt-Report, Seite 21
255
Interrogation log, 29. Dezember 2002; 0015-0200
256
Interrogation log, 17. Dezember 2002; 0545
257
„as a method of enforcing control and preventing the detainee from dehydration.“; Interrogation
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Zeigte sich der Häftling unkooperativ, wurde er gezwungen, sogenannte „dog-tricks“ vorzuführen.
Dabei musste er Kommandos wie „Steh!, „Komm!“ und „Bell!“ ausführen, die darauf gerichtet waren, ihm „Respekt zu lehren“ und zu zeigen, wen er zu beschützen und wen zu attackieren habe
(„Hunde können Richtig von Falsch unterscheiden“). Während ihm Fotos von 9/11-Opfern gezeigt
wurden, sollte er für diese „fröhlich bellen“, wogegen er die Fotos von Al-Qaida Terroristen anzuknurren hatte. Das Ziel dabei war, ihn auf eine Stufe mit einem Hund zu stellen. Zudem musste er
eine Art Burka tragen, die nur sein Gesichtsfeld freiließ, während er Tänze vorzuführen hatte258.
Um emotionale Reaktionen des Gefangenen hervorzurufen, wurde auch darauf zurückgegriffen, ihm
eine Maske aufzusetzen und mit einem aufgeblasenen Luftballon, dem sogenannten „sissy slapglove“, in regelmäßigen Abständen gegen sein Gesicht zu schlagen. Dabei erhielt er Anweisungen
des Teams, wie er zu tanzen habe259.
Die scheinbar ausweglose Situation des Gefangenen wurde von den Beamten mehrere Male mit der
von Ratten verglichen, wobei sie zu dem Schluss kamen, dass diese mehr Liebe und Freiheit genießen und zudem mehr umsorgt würden als er260. Wie am 21. Dezember 2002 geschehen, wurde der
Häftling auf dem Boden sitzend als Feigling und schwach an Intelligenz verspottet, der unschuldige
Frauen und Kinder umgebracht habe. Deshalb „verdiene er es auch nicht, wie ein menschliches
Wesen behandelt zu werden“261.
Diese Arten der Vernehmung führte dazu, dass der Gefangene aufgrund der Behandlung durch SGT
L. bekräftigte, Selbstmord begehen zu wollen. Er bat, seinen letzten Willen niederschreiben zu dürfen, um sicherzustellen, dass sein Leichnam sowie sein Pass nach seinem Tod in seine Heimat
überstellt und seine Mutter informiert würde. Dieses Testament wurde vor seinen Augen wieder
zerrissen262.
Eine andere Methode, auf M.Q. einzuwirken, war, ihm die Sinnlosigkeit seines Schweigens vor Augen zu führen. Es würde ihm sowieso niemand glauben263. Mit Rücksicht auf sein Alter und seine
Zukunft sowie die Ausweglosigkeit seiner Situation wäre es nun an ihm, die vollständige Wahrheit
zu sagen und die Taten zuzugeben, um Vergebung zu bitten und Wiedergutmachung zu leisten
(z.B. einen Brief an die Opfer von 9/11 zu schreiben), um in den Genuss einer Straferleichterung
zu gelangen oder vielmehr die Last der Einzelhaft nicht länger erdulden zu müssen264.
160 Tage seiner ersten beiden Jahre der Gefangenschaft in Guantánamo verbrachte M.Q. in strenger Isolationshaft, die es ihm nicht erlaubte, mit anderen Gefangenen zu sprechen. Zu dieser Zeit
wurde er in Zellen bzw. einem Teil des Gefängniscamps 5 bestehend aus Isolationszellen getrennt
von den anderen Gefangenen untergebracht. Die einzigen Personen, zu denen er Kontakt hatte,
waren die Vernehmungsteams und die Wachen des Militärs. Mit Ausnahme einiger weniger Briefe,
die er von seiner Familie durch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes erhielt, war M.Q. von
Januar 2002 bis September 2005 (zu diesem Zeitpunkt erhält er erstmals Besuch von seiner Anwältin) gänzlich von der Außenwelt und seiner Familie abgeschnitten. Bis dahin war M.Q., die Versorgung mit Informationen betreffend, vollständig von den Vernehmungsbeamten abhängig.
Im Schmidt-Report lässt sich ein Vorfall finden, bei dem ein Offizier in Gegenwart M.Q.s seinem
Hund befiehlt, „zu knurren, zu bellen und seine Zähne zu zeigen“. Auch der Einsatz von Hunden
während der Verhöre wurde von Verteidigungsminister D.R. ausdrücklich durch den First Special
Interrogation Plan265 autorisiert. In einem dokumentierten Fall kam es dabei zu einem „Streit zwischen der Militärpolizei und den Hundeführern“266.
Da muslimische und arabische Gefangene durch US-Personal in vielfältiger Art und Weise gedemütigt wurden, ist es schwierig, eine allgemeine und umfassende Beschreibung dessen zu geben, was
im Rahmen der US-Verhöre unter „Demütigung“ zu verstehen ist. Dies lässt sich am besten anhand
258
Interrogation log, 20. Dezember 2002; 1115-1300
Interrogation log, 13. Dezember 2002; 1115
260
Interrogation log, 11. Dezember 2002; 0100
261
„Human beings don´t kill 3000 innocent people.“; Interrogation log, 26. November 2002; 1045)
262
Interrogation log, 26. Dezember; 2030
263
„What would a judge do if he saw all the information that links you to Al-Qaida?”; Interrogation
log, 13. Dezember 2002; 0530
264
„life here [camp X-ray] vs. life with brothers in Cuba [camp Delta]“; Interrogation log, 12. Dezember 2002; 0515
265
Schmidt-Report, S. 13 f
266
Interrogation log, 7. Dezember 2002, 0120
259
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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einiger Beispiele erläutern:
1. Erzwungene Nacktheit (manchmal länger andauernd und in Stresspositionen),
2. Weibliche Vernehmungsbeamte, die sich auf die Gefangenen setzen, in die Intimsphäre der
Gefangenen eindringen oder diese auf andere Weise demütigen,
3. Anleinen der Gefangenen, während diese gezwungen werden, sich wie Hunde zu verhalten.
Beginnend mit dem 17. Dezember 2002 wurden dem Häftling Magazine spärlich bekleideter Damen
(Fitness- und Bikini-Modells) präsentiert. Auch nachdem er erklärte, dies würde gegen seine Religion verstoßen, wurde damit fortgefahren. Dabei kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit
der Militärpolizei, die er als „Tiere“ bezeichnete, da er sich geweigert hatte, diese Bilder anzusehen
und auf Fragen dazu Antworten zu geben (sog. „attention to detail“-approach). Es war offensichtlich, dass er vor diesen Abbildungen Abscheu verspürte267. In diesem Zusammenhang stellten Beamte Mutmaßungen hinsichtlich seiner etwaigen homosexuellen Neigung an, was ihn sichtlich emotional bewegte. Er pochte darauf, kein Homosexueller zu sein, und war zudem sehr verärgert darüber, dass seine Mutter und seine Schwester als Prostituierte und Huren bezeichnet wurden268.
Aus dem Bericht geht zweifelsfrei hervor, dass es dem Gefangenen größte Probleme bereitete, allzu
nahen Körperkontakt zu den vernehmenden Beamten zu halten. Äußerst unangenehm war ihm
zudem, im Beisein von Frauen verhört zu werden, wogegen er sich mit allen Mitteln zur Wehr zu
setzen versuchte. Er fand kein Gehör. Vielmehr wurde diese Möglichkeit als probates Mittel der
Erniedrigung eingesetzt. So geschehen am 20. Dezember 2002, als er für die Dauer von etwa 5
Minuten, auch in Anwesenheit weiblicher Beamter, komplett entkleidet einer Leibesvisitation unterzogen wurde269.
Dem Gefangenen M.Q. war es nicht gestattet, seine Religion frei auszuüben. Entweder wurde seine
Bitte, Beten zu dürfen, grundlos verweigert oder davon abhängig gemacht, inwieweit er zur Kooperation bereit war. Es wurden ihm zeitweise sogar die Hände gefesselt, sodass es ihm nicht möglich
war, religiöse Rituale durchzuführen270. Am 20. Dezember 2002 sollte der Gefangene, nachdem er
Auskunft über den Erhalt eines Visums erteilt hatte, gegen 5.00 Uhr die Möglichkeit zu Beten bekommen. Dazu wurde er in eine andere Verhörzelle geführt, in der ein Osama Bin Laden-Schrein
errichtet worden war. Er wurde angehalten nun zu „seinem“ Gott – Osama Bin Laden – zu beten271.
In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass M.Q. mehrmals während dieser Zeit die Haare und
der Bart mit einem elektrischen Rasierapparat geschnitten wurden, wogegen er sich zur Wehr zu
setzen versuchte oder aufgrund der Aussichtslosigkeit seines Vorgehens versprach, alles zu sagen,
sollten die Beamten nur die Hände von seinem Bart lassen. Ohne Erfolg272.
Sogar der offizielle Schmidt-Bericht kommt in seiner Untersuchung wiederholter Erniedrigungen zu
folgendem Schluss: „AR 15-6 ist in dem Sinne als missbräuchlich und demütigend anzusehen,
wenn die Zielperson des ersten Special Interrogation Plan angehalten wurde, sich an einer an seine
Fesseln gebundenen Leine führen zu lassen, einen Stringtanga auf seinem Kopf zu tragen, einen
BH anzuziehen, seine Mutter und Schwester zu beleidigen, gezwungen zu werden, fünf Minuten
nackt vor einer Beamtin zu stehen und Leibesvisitationen über sich ergehen zu lassen, insbesondere im Zusammenhang mit langen und intensiven Verhören während eines Zeitraumes von 48 Tagen .“
Die gegenüber dem Anzeigenerstatter M.Q. begangenen Handlungen verstossen in vielfältiger Weise gegen das absolute Folterverbot und das Verbot von grausamer, entwürdigender und unmenschlicher Behandlung, wobei auf die rechtliche Qualifikation einzelner Handlungen im Rahmen
der rechtlichen Würdigung eingegangen wird.
267
Interrogation
Interrogation
269
Interrogation
270
Interrogation
271
Interrogation
272
Interrogation
268
Log, 17. Dezember 2002; 0120
log, 17. Dezember 2002; 2100
log, 20. Dezember 2002; 2200
log, 14. Dezember 2002; 0001
log; 20. Dezember 2002; 0500
log, 11. Januar 2002; 0230
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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4.3.2. Die an den irakischen Gefangenen begangenen Misshandlungen
Elf Geschädigte von Gefangenenmisshandlungen im Irak haben erneut das Center for Constitutional
Rights, den Anzeigenerstatter zu 1), vertreten durch Rechtsanwalt M.R., beauftragt, zivilrechtlich
und strafrechtlich gegen ihre Schädiger vorzugehen.273 Die erteilte Vollmacht umfasst auch die
Vollmacht, in Deutschland strafrechtlich vorzugehen. Insoweit hat Rechtsanwalt M.R. dem Unterzeichnenden Untervollmacht erteilt.
Vorläufig werden folgende Namen von weiteren geschädigten ehemaligen Inhaftierten angegeben.
Die genannten Personen sind zur Zeugenaussage nach Absprache mit dem Unterzeichner und dem
Anzeigenerstatter zu 1) bereit:
A.S.H., Balad
A.K.M., Balad
A.M.J., Falluja
A.M.R., Bagdad
A.Q.J., Bagdad
A.A.R., Bagdad
A.H.J., Falluja
A.K.H., Balad
A.S.N., Hilla
A.K.J., Bagdad
B.K.M., Bagdad
H.M.A., Falluja
H.H.Z., Abu Ghraib
H.A.U., Hilla
I.J.M., Balad
M.M.A., Samarra
M.I.K., Bagdad
M.K., Najaf
M.H.J., Falluja
M.M.H., Bagdad
M.G.A., Falluja
R.H.J., Hilla
S.K.H. , Balad
S.N.J., Dhuloeya
S.J.J., Balad
S.K.M., Samarra
T.K.J., Bagdad
U.K.H., Balad
W.K.N., Hilla
Z.S.M., Samarra
273
Ein Teil der ursprünglichen Anzeigenerstatter 2004/ 2005 konnte aufgrund der anhaltenden
Kriegssituation im Irak nicht mehr ausfindig gemacht bzw. nicht mehr befragt werden.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Z.M.J., Falluja
1.) Der Anzeigenerstatter A.S.A. wurde am 01. Januar 1968 geboren und ist irakischer Staatsbürger aus Bagdad. Er ist von Beruf Händler und bezeichnet sich selbst als politisch unabhängigen
Moslem. Er wurde zu Hause von Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte verhaftet. Bei dieser
Gelegenheit wurde sein 80-jähriger behinderter Vater erschossen und es wurden Wertgegenstände
aus dem Haus gestohlen. Er wurde zunächst am Internationalen Flughafen von Bagdad festgenommen und dann nach Rehidwaniya, einem alten Gut von Saddam Hussein, verbracht. Dort wurde er geschlagen und ausgezogen. Es wurden ihm Schlaf und Nahrung entzogen, er durfte drei
Tage lang die Sanitäranlagen nicht benutzen. Während seiner Inhaftierung wurde er mit Vergewaltigung bedroht. Er wurde bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen. Es wurde ihm verboten, zu beten. Er
wurde mit kaltem Wasser übergossen. Soldaten injizierten ihm unbekannte Substanzen in die Genitalien. Ein amerikanischer Offizier hielt ihm ein Megaphon gegen die Ohren und schrie ihn an, so
dass der Anzeigenerstatter sein Gehör verlor. Während eines Verhörs mit einer weiblichen Übersetzerin war er nackt, nur sein Kopf war verhüllt. Während dieses Verhörs versuchten der Befrager
und die Übersetzerin, ihn sexuell zu belästigen. Als Resultat dieser Behandlung wurde er impotent.
Er wurde mit der Vergewaltigung seiner Familie und seiner Kinder bedroht. Als er freigelassen wurde, teilte man ihm mit, dass es ihnen leid täte, sie hätten falsche Informationen über ihn und seinen Vater erhalten.
2.) Der Anzeigenerstatter A.H.D. wurde am 01. Juli 1956 geboren und ist irakischer Staatsbürger
aus Balad. Er ist ehemaliger Offizier. Er war Anhänger der Baath Partei und bezeichnet sich jetzt als
unabhängigen Moslem. Er wurde an einem Morgen um 2.30 Uhr gemeinsam mit seinen Brüdern
durch CIA- und Militärangehörige festgenommen. Die Brüder wurden vermummt, geschlagen, gefesselt und beleidigt, während die amerikanischen Armeeangehörigen Gegenstände in dem Haus
zerstörten und eine Reihe von Gegenständen mitnahmen, darunter Geld und Dokumente. Bei seiner ersten Vernehmung war ein irakisch-turkmenischer Übersetzer, M.T., anwesend. Dieser ließ es
zu, dass der amerikanische Vernehmer ihn schlug. Er wurde beleidigt, gestoßen, angeschrieen und
mit Vergewaltigung bedroht. Während seiner Inhaftierung in Balad wurde der Anzeigenerstatter zu
2.) mit Hunden bedroht, sexuell belästigt und mit Vergewaltigung bedroht. Ihm wurde der Schlaf
entzogen. Er wurde mit kaltem Wasser übergossen und extremer Hitze ausgesetzt. Er wurde mit
Elektroschocks behandelt, wurde dazu gezwungen, sich wie ein Hund zu benehmen und in Stressposition gehalten. Er wurde bei kalten Außentemperaturen mit kaltem Wasser übergossen und war
dabei nackt. In der Folge erlitt er deswegen eine schwere Grippeerkrankung. Seine Extremitäten
wurden trocken und taub. Dennoch erhielt er einen Monat lang keine ärztliche Behandlung. Er hörte wie weibliche Gefangene in der Nacht von Armeeangehörigen mitgenommen und vergewaltigt
wurden. Er hörte davon, dass diese Frauen später von ihren Familien umgebracht wurden. Er hörte
ebenfalls davon, dass sich Kinder unter zehn Jahren in dem Gefängnis befanden und diese von
Amerikanern ebenfalls vergewaltigt worden waren. Es seien Kinder in der Folge umgekommen. Der
Anzeigenerstatter sprach mit einem anderen Gefangenen, der mehrfach vergewaltigt wurde und
dessen Genitalien mit Elektroschocks behandelt wurden. Dieser hatte jegliches Gefühl in seinen
Genitalien verloren. Der Anzeigenerstatter zu 2.) wurde niemals formell einer Straftat beschuldigt.
3.) Der Anzeigenerstatter F.A.A. wurde am 07. September 1958 geboren und ist irakischer Staatsbürger aus Bagdad. Er war Lehrer an einem technischen Institut und Angehöriger des Nachbarschaftsrates in Hay Al-Shaik-Maroof. Er ist Mitglied der Irakischen Islamischen Partei und Moslem.
Er war von US-Streitkräften während eines Nachbarschaftsratstreffens festgenommen worden. Von
dort wurde er zu seinem Haus verbracht, von wo die Soldaten Geld, Computer und Ausrüstung
mitnahmen. Er wurde dann zu dem ehemaligen Al-Muthana Flughafen in Bagdad verbracht, später
zum ehemaligen Präsidentenpalast, dann nach Abu Ghraib und zum Schluss nach Camp Bucca
transportiert.
Während seiner Haftzeit wurde der Anzeigenerstatter zu 3.) schlecht ernährt, ihm wurden Schlaf
und ausreichend Wasser verweigert. Er wurde beschimpft und körperlich misshandelt. Er wurde
damit bedroht, nach Guantánamo transportiert zu werden. Er wurde kalten Temperaturen ausgesetzt. Seine Genitalien wurden gequetscht, während man ihn durchsuchte. Mehrfach wurde eine
Waffe auf ihn gerichtet, er war vermummt und wurde kaltem Wasser ausgesetzt. Er wurde davon
abgehalten, sich für das Gebet zu reinigen. Er wurde an seinen gefesselten Händen aufgehängt.
Der Anzeigenerstatter zu 3.) beobachtete außerdem Folterungen und den Tod anderer Gefängnisinsassen. Er hörte, wie Hunde andere Inhaftierte attackierten. Er sah schwere körperliche Misshandlungen der Soldaten gegenüber anderen Inhaftierten. Von anderen Inhaftierten hörte er, dass sie
ausgezogen, schwer körperlich misshandelt, entwürdigt und vergewaltigt wurden. Bei einem solchen Anlass wurde ein männlicher Gefangener nackt dazu gezwungen, die Nahrung an weibliche
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Inhaftierte zu servieren. Als er versuchte, sich dabei zu verhüllen, wurde er geschlagen. Der Anzeigenerstatter zu 3.) wurde nie eines Verbrechens beschuldigt oder angeklagt.
4.) A.S.N., Anzeigenerstatter zu 4.) wurde am 08. August 1984 geboren und ist irakischer Staatsbürger aus Hilla. Er ist Bauer, politisch unabhängig und Moslem. Er wurde gemeinsam mit seinem
Bruder A. am 17. Mai 2004 durch Angehörige der polnischen Koalitionsstreitkräfte verhaftet. Die
Soldaten betraten sein Haus und hielten die dort anwesenden Frauen davon ab, ihre Schleier und
ihre Kleidung zu tragen und verletzten damit die Würde der Familie. Sie stahlen einen Goldring,
200 US-Dollar Bargeld und eine Pistole. A.S.N. und sein Bruder wurden vermummt, gefesselt und
zu einem Platz transportiert, der Civil Defense genannt wurde und sich in Al-Hashimmiya befand
und danach zur polnischen Basis in Hilla verbracht. Der Anzeigenerstatter zu 4.) und sein Bruder
wurden geschlagen, geschubst, beleidigt und mit den Armen hinter ihren Rücken gefesselt. Ihnen
wurde sehr wenig Nahrung gegeben und ihnen wurde der Schlaf teilweise entzogen. Gegen den
Anzeigenerstatter zu 4.) wurde ein Gewähr gerichtet und er wurde mit Hunden bedroht. Er musste
zusehen, wie sein Bruder geschlagen wurde. Er wurde durch einen amerikanischen Offizier und
einen kuwaitischen Übersetzer vernommen. Diese beleidigten ihn, schlugen und bedrohten ihn mit
Vergewaltigung. Sie enthielten ihm Nahrung und Wasser vor. Der Anzeigenerstatter zu 4.) wurde
zehn Tage später freigelassen und war keinerlei Straftat beschuldigt worden.
5.) A.H.M.
Der irakische Muslim A.H.M., geb. 01. Juli 1942, wurde von Angehörigen der amerikanischen
Streitkräfte am 14. September 2003 festgenommen und bis zum 26. September 2003 inhaftiert.
Ein weiteres Mal wurde er am 19. Juni 2004 bis zum 15. August 2004 inhaftiert. Er befand sich in
verschiedenen Haftanstalten. In der früheren irakischen Al-Quaddis Army Base, Balad Town, Tikrit,
Nummer 1710, in Sammarra und schließlich in Abu Ghraib, Camp 3, Zelt 8, Nummer 161915. Er
wurde nackt ausgezogen, verhüllt und misshandelt. Amerikanische Soldaten bedrohten ihn damit,
ihn zu vergewaltigen und ihn und seine Familie umzubringen. Sie hielten ihn für mehrere Tage
davon ab, zu schlafen und die sanitären Anlagen aufzusuchen. Sie setzten ihn extremer Hitze und
kalten Temperaturen aus. Mehrere Soldaten berührten ihn unsittlich an den Genitalien. Ihm wurde
verwehrt, seine Behandlung für seine Herzbeschwerden durchzuführen. Aufgrund dessen verlor er
das Bewusstsein. Er war Zeuge von Folter und Elektroschockbehandlungen von mehreren anderen
Gefangenen, einschließlich seines eigenen Sohnes I..
6.) U.A.H.
Der irakische Muslim U.A.H., geb. 26. Mai 1970, wurde am 10. September 2003 von Angehörigen
der amerikanischen Streitkräfte festgenommen und bis zum 05. Dezember 2004 in Balad Town,
Dihloeiya, Tikrit und Abu Ghraib, Camp 5, Zelt 19, Nummer 151519 festgehalten. Er wurde nackt
ausgezogen, verhüllt und mit Kalaschnikowgewehren geschlagen. Er wurde dazu gezwungen, längere Zeiträume in schmerzhaften Positionen zu sitzen bzw. zu stehen. Er wurde mit Hunden bedroht und von ihnen berührt. Er wurde von Soldaten dazu gezwungen, sich wie ein Hund zu verhalten und dabei fotografiert. Während seiner Haft in Tikrit wurde er elektroschockgefoltert. Amerikanische Soldaten bedrohten ihn und seine Familie mit Vergewaltigung und damit, sexuelle Handlungen an ihm zu vollziehen. Mehrere Male steckten ihm Personen ihre Finger in den After. Er wurde
davon abgehalten zu schlafen. Ihm wurde zwischenzeitlich verweigert zu beten. Er wurde extremer
Hitze und Kälte ausgesetzt.
7.) M.A.G.
Der irakische Muslim M.A.G., geb. 1950, wurde von Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte
am 07. September 2003 festgenommen und bis zum 05. Juli 2004 am Baghdad International Airport festgehalten. Seine Gefangenen-Nummer war 150847. Er wurde nackt ausgezogen, verhüllt
und von amerikanischen Soldaten geboxt. Er wurde dazu gezwungen, für längere Zeit in schmerzhaften Positionen zu sitzen oder zu stehen. Er wurde nackt fotografiert. Amerikanische Soldaten
drohten ihm und seiner Familie mit Vergewaltigung oder mit anderen sexuellen Handlungen. Ihm
wurde für mehrere Tage verweigert, Nahrung einzunehmen, zu schlafen, zu beten, Medizin einzunehmen sowie sanitäre Anlagen aufzusuchen.
9.) A.A.H.
Der irakische Muslim A.A.H., geb. 07. September 1978, wurde von Angehörigen amerikanischer
Streitkräfte am 10. September 2003 festgenommen und bis 04. Januar 2004 in Balad Town,
Dihloeiya, Tikrit, Camp 9-4, Zelt 21, Nummer 151484 sowie Abu Ghraib, Camp 5, Zelt 19, Nummer
15148 und schließlich in Camp Bucca festgehalten. Er wurde nackt ausgezogen und verletzt. Er
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wurde dazu gezwungen, für längere Zeit in schmerzhaften Positionen zu sitzen und zu stehen. Er
wurde mit Hunden bedroht und von ihnen berührt. Amerikanische Soldaten bedrohten ihn damit,
ihn und seine Familie zu vergewaltigen und umzubringen. Ihm wurde für fünf Tage der Schlaf entzogen. Über längere Zeit wurde ihm verweigert, zu beten. Er wurde extremer Hitze und Kälte ausgesetzt. Er musste die Folter seines Bruders I. beobachten. Er war Zeuge einer Beerdigung eines
Mitinhaftierten und sah mit an, wie amerikanische Soldaten auf den Kopf des Verstorbenen urinierten.
10.) A.H.H.
Der irakische Muslim A.H.H., geb. 1. Juli 1968, wurde von Angehörigen amerikanischer Streitkräfte
vom 4. September 2003 bis 15. September 2004 in Balad Town und in der früheren Al-Quaddis
Army Base festgehalten. Er wurde mit Händen geschlagen. Er wurde mit kaltem Wasser überschüttet. Er wurde dazu gezwungen, längere Zeit in schmerzhaften Positionen zu sitzen oder zu stehen.
Er wurde von amerikanischen Soldaten elektroschockgefoltert. Diese bedrohten ihn und seine Familie mit Vergewaltigung. Mehrfach steckten ihm Einzelpersonen ihre Finger in den After. Ihm wurde der Schlaf entzogen und verweigert zu beten. Er verlor das Bewusstsein, als er extremer Hitze
ausgesetzt war und ihm Wasser verweigert wurde. Der Anzeigenerstatter hat darüber hinaus beobachten können, wie Amerikaner zwei Inhaftierte, darunter seinen eigenen Bruder, zu Tode folterten.
11.) B.K.M.
Der irakische Muslim B.K.M., geb. 1. Juli 1945, wurde von Angehörigen amerikanischer Streitkräfte
am 3.Juli 2003 festgenommen. Er verbrachte drei Tage ohne Nahrung. Ihm wurde der Schlaf entzogen sowie verweigert zu beten und die sanitären Anlagen aufzusuchen. Er wurde dazu gezwungen, in schmerzhaften Positionen zu sitzen und zu stehen. Er wurde verletzt. Amerikanische Soldaten bedrohten ihn damit, seine Familie umzubringen. Einzelne Personen berührten seine Genitalien.
Er wurde Ohrenzeuge von Folterungen an seinem Sohn. Die Soldaten sollen seinen Sohn mit einem
Stock vergewaltigt haben und damit Blutungen verursacht haben. Der Sohn konnte für mehrere
Tage nicht sitzen.
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5. Materiell-rechtliche Würdigung
5.1. Die Häftlingsmisshandlungen als Folter und Kriegsverbrechen gemäß § 8 VStGB und
internationalem Recht
Die oben geschilderten Straftaten gegen inhaftierte Personen in Abu Ghraib sowie die Anzeigenerstatter M.Q. und A.H.M. stellen nach deutschem und internationalem Völkerstrafrecht Folter und
Kriegsverbrechen dar. Daher besteht der hinreichende Tatverdacht für eine Strafbarkeit nach § 8 I
Nr. 3, 9 VStGB.
Nachfolgend soll detailliert rechtlich analysiert werden, welche Verbotstatbestände des VStGB und
des internationalen Rechts durch die oben geschilderten Tathandlungen verletzt wurden. Zuvor soll
kurz auf den aus Sicht der Anzeigenerstatter aussagekräftigen Umgang zweier hochrangiger Mitglieder der US-Regierung mit den traditionsreichen Foltertechniken des „Water boarding“ und des
„Longtime Standing“ hingewiesen werden. Beide Regierungsmitglieder offenbaren mit ihren öffentlich dokumentierten Äußerungen einen kaum zu überbietenden Zynismus, gepaart mit einer Unkenntnis sowohl historischer wie rechtlicher und medizinischer Zusammenhänge.
„Water boarding“ und „Longtime Standing“
Am 24. Oktober 2006 gab der Vizepräsident der Vereinigten Staaten, R.C., im Rahmen eines Interviews auf die Frage des Radioreporters S.H., ob denn „das Unter-Wasser-Drücken eines Gefangenen nicht als Kinderspiel anzusehen ist, wenn dadurch Menschenleben gerettet werden“ könnten,
folgende Antwort: „Für mich ist das ein Kinderspiel. Trotzdem wurde ich eine Zeit lang als Vizepräsident ‚für Folter’ kritisiert. Wir foltern nicht und wir sind auch nicht in Folterhandlungen verwickelt.
Wir erfüllen unsere Verpflichtungen aus den internationalen Verträgen, denen wir beigetreten sind.“
R.C. hat zudem als erstes Mitglied der G.W.B.-Regierung zugegeben, dass im Falle des Gefangenen
K.S.M. und anderer hochrangiger al-Qaida Mitglieder „Water boarding“ angewendet wurde.
Dies widerspricht allen offiziellen Verlautbarungen, internationale Verbindlichkeiten einzuhalten.
Denn handelt es sich bei „Waterboarding“ um eine Foltertechnik, bei der Verhörbeamte den Kopf
des Gefangenen unter Wasser drücken oder ihm Mund und Nase verbinden und dann Wasser über
das Gesicht laufen lassen. Auf diese Weise wird dem Gefangenen jede Möglichkeit genommen, Luft
zu holen und folglich glaubt er, ersticken oder ertrinken zu müssen. Dies führt wie bei einer
Scheinexekution zu Verzweiflung, Panikzuständen und Todesangst. Die Anwendung solcher Methoden verursacht schwere physische Leiden und kann zu schweren körperlichen Schmerzen führen
sowie psychische Schäden über Jahre und sogar Jahrzehnte hervorrufen.
Schon im Jahre 1946 haben sich die Ankläger in Verfahren vor US-Militärgerichten und dem Internationalen Militärtribunal von Tokio klar für eine Ächtung dieser Verhörpraxis ausgesprochen und
die Bestrafung der Täter gefordert. Damit reagierten sie auf die während des 2. Weltkriegs von
Japanern an US-Soldaten und philippinischen Zivilisten angewendete Verhörmethode der „Water
cure“. Diese Ächtung sollte sich letztendlich auch in der Rechtsauffassung niederschlagen, die in
dieser Weise auch von anderen US-Militärgerichten im pazifischen Raum übernommen wurde.
Auch später fanden diese Techniken während des Korea-Krieges und des Vietnam-Krieges Anwendung. Speziell in den 70er und 80er Jahren wurde die auch als „submarino“ bekannte Methode von
den Handlangern der Militärdiktaturen in Zentral- und Mittelamerika eingesetzt, wobei sie schon
damals von nationalen Gerichten, gesetzgebenden Organen und von Menschenrechtsgerichtshöfen
als Folter eingestuft wurde, deren Zufügung Strafen nach sich ziehen und von einer Regierung oder
deren Repräsentanten nicht toleriert werden sollten. Im Verfahren gegen einen texanischen Sheriff
und dessen Hilfssheriffs im Jahre 1983 verurteilte Bezirksrichter James DeAnda die Angeklagten
wegen der „Verletzung der Bürgerrechte“ von Gefangenen (i.e. Anwendung von „Water treatment“)
zu langjährigen Haftstrafen und kommentierte dies folgendermaßen: „Sie, Sheriff, haben es zugelassen, dass die Strafverfolgung in die Hände einiger Gangster fallen konnte… Diese Vorkommnisse
würden selbst einen Diktator beschämen.“
Nichtsdestotrotz bezeichnete CIA-Direktor P.G. die Anwendung des „Water boarding“ noch im März
2002 als „professionelle Verhörtechnik“. J.Y., Rechtsprofessor an der Universität Berkeley und
ehemaliger Rechtsberater des Weißen Hauses, sagte vor dem US-Senat im Jahr 2005 aus, dass er
nicht gewusst habe, dass „Water-boarding“ den Tatbestand der Folter erfülle. Mit einem offenen
Brief an Generalanwalt A.G. vom 5. April 2006 haben mehr als 100 Rechtsprofessoren gegen diese
Meinung Stellung bezogen, indem sie „Water boarding“ eindeutig als Folter qualifizierten und bekräftigten, dass deren Anwendung eine nach US-Bundesrecht zu ahndende Straftat darstelle.
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Weitere Verhörtechniken wurden durch US-Verteidigungsminister D.R. am 2. Dezember 2002 auf
Anfrage von US-Beamten in Guantánamo autorisiert. Dabei handelte es sich u.a. um die Anwendung von so genannten Stresspositionen, wie dem sogenannten „Longtime standing“ für die Dauer
von vier Stunden. Dem Antwortschreiben fügte er handschriftlich hinzu: „Ich stehe zwischen acht
und zehn Stunden pro Tag. Warum ist das Stehen mit vier Stunden begrenzt?“
Damit griff er eine Verhörtechnik auf, die der Schriftsteller Aleksander Solschenizyn in seinem Tatsachenroman „Archipel Gulag“ wie folgt beschreibt:: „Bei dieser Methode wird der Häftling einfach
nur gezwungen, an einem Ort zu stehen.“ Neben der Anwendung anderer Techniken soll der Gefangene auf diese Weise gebrochen werden. Der Autor Robert Conquest geht in seinem Buch „Während des großen Terrors“ gleichfalls auf „forced standing“ und „sleep deprivation“ ein, wobei er
einen tschechischen Gefangenen zitiert: „Ich war 18 Stunden täglich auf den Beinen. 16 davon, um
verhört zu werden. Während der restlichen sechs Stunden, die als Ruhezeit gedacht waren, klopfte
der Wärter alle zehn Minuten an die Tür, woraufhin er Habt-Acht-Stehen’ und Meldung machen
musste: ‚Häftling 1473 meldet: Alles in Ordnung’. Auf diese Weise wurde er 30 bis 40 mal pro
Nacht geweckt. Wenn er nicht durch das Klopfen wach werden würde, dann durch einen Tritt des
Wärters. Nach zwei bis drei Wochen waren seine Füsse geschwollen und sein Körper schmerzte bei
jeder noch so leichten Berührung; sogar das Waschen wurde zur Qual.“
Im Jahr 2004 berichtete die Washington Times, dass nach Angaben von Überlebenden des Nordkoreanischen Gulag einige der am meisten gefürchteten Arten der Folter eigentlich ganz banal seien:
Dabei würden Wachen die Häftlinge zwingen, für mehrere Stunden ganz ruhig zu stehen oder sich
ständig wiederholende Übungen bis zur vollkommenen körperlichen Erschöpfung zu verrichten.
Die Anwendung des „Water boarding“ und „Longtime Standing“ steht in klarem Widerspruch zu den
Ausführungen des Feldhandbuchs (FM) 34-52 der US-Armee, die Folter und Nötigung von Gefangenen verbieten. Im Jahre 2004 hat der UN-Sonderberichterstatter zu Folter in seinem Bericht an die
Generalversammlung der Vereinten Nationen festgestellt, dass Vernehmungsmethoden wie Stressund Schmerzpositionen, der Entzug von Schlaf und Licht über längere Zeit, das Aussetzen extremer
Temperaturen, Licht und Geräuschen, das Entkleiden der Gefangenen und die Verwendung von
Hunden Anwendung finden, um wichtige Informationen von Terrorverdächtigen zu gewinnen. Gemäß der Rechtsprechung internationaler und nationaler Menschenrechtseinrichtungen verstoße dies
gegen das Verbot der Folter und unmenschlicher Behandlung.
Gerade die Anwendung solcher Techniken wurde von den Vereinigten Staaten von Amerika im Falle
Burmas (schmerzvolle Positionen für länger Zeit), Eritreas (Fesseln von Armen und Beinen für länger Zeit), Saudi-Arabiens (Schlafentzug) und der Türkei (lang anhaltendes Stehen, Isolationshaft),
um nur einige zu nennen, klar als Verstoß gegen das Folterverbot verurteilt, wobei das USAußenministerium einige dieser Staaten in einem Folterbericht aus dem Jahre 2004 auf das Heftigste kritisierte.
Das absolute Folterverbot nach nationalem und internationalem Recht
Wie Theo van Boven274 in seinem Artikel „The prohibition of torture in international law” feststellt,
ist das Recht, „frei von Folter oder unmenschlicher und erniedrigender Behandlung zu sein“ das
Herzstück einer hinreichenden Zahl an international anerkannten Menschenrechten.
Wie schon in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ vom 10. Dezember 1948 festgehalten wurde, „darf niemand der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden“. Diese fand in weiterer Folge entsprechenden Niederschlag in
den Internationalen Pakten über bürgerliche und politische Rechte (Artikel 7), der Europäischen
Menschenrechtskonvention (Artikel 3) sowie der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (Artikel 5). Auch die Genfer Konventionen aus dem Jahre 1949 verbieten „Folter und unmenschliche
Behandlung, einschließlich biologischer Experimente“ und „vorsätzliche Verursachung großer Leiden
oder schwere Beeinträchtigung der körperlichen Integrität der Gesundheit“.275 Das Folterverbot ist
mittlerweile als Völkergewohnheitsrecht anerkannt und hat den Rang zwingenden Rechts, also ius
cogens-Rang.276
274
Professor für Internationales Recht, Universität Maastricht; ehemaliger UN-Sonderbeauftragter
für Folter
275
Theo van Boven: The prohibition of torture in international law, S. 6 ff.
276
Siehe auch UN-Jugoslawien-Strafgerichtshof JStGH, Delalic und Mucic-Urteil vom 16.11.1998,
Rn. 454; Reinhard Marx: Folter: Eine zulässige polizeiliche Präventionsmaßnahme? Kritische Justiz
2004, S. 278, 280.
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Als in diesem Sinne „einzigartig“ gilt die Definition des Folterbegriffs durch das Übereinkommen
gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
(UN-Antifolterkonvention) vom 10. Dezember 1984; in Ergänzung der Verpflichtungen aus Art. 7
IPBPR277 stellt diese in Art. 1 fest:
„Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck „Folter" jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden,
zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie
für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder
um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem
Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden
Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich
aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.“
Nach innerstaatlichem Verfassungsrecht der Bundesrepublik ergibt sich das Verbot der Folter und
der grausamen und menschenunwürdigen Behandlung bereits aus der Verpflichtung aller Staatsorgane, die Menschenwürde zu achten und zu schützen (Art.1 GG), sowie der Gewährleistung des
Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG).278
Die Definition von Folter
Folter ist nach § 8 VStGB nicht definiert. Für eine Definition ist nach deutschem Recht daher auf die
Definitionen im internationalen Recht zurückzugreifen, wobei Ausgangspunkt Art. 1 des Übereinkommens gegen Folter sein muss. Des weiteren ist insbesondere die Rechtsprechung, insbesondere
des JStGH zu berücksichtigen, welche die Entwicklung und den heutigen Stand des Gewohnheitsrechts zu Folter als Kriegsverbrechen widerspiegelt.
Der Folterbegriff enthält damit folgende Tatbestandsmerkmale: Es muss eine dem Staat zurechenbare Handlung sein. Die Schmerzzufügung muss einen bestimmten Intensitätsgrad erreichen. Die
Handlung muss vorsätzlich begangen werden und sie muss einen bestimmten Zweck verfolgen.279
Dabei ist allerdings die Erforderlichkeit des ersten Elements im Rahmen von Kriegsverbrechen noch
nicht abschließend geklärt. (Während das Erfordernis der Zurechenbarkeit der Handlung zum Staat
in den JStGH-Urteilen Delalic (a. a. O.) und Furundzija vom 10.12.1998 noch als Voraussetzung für
Folter geprüft wurde, wurde dieses Voraussetzung im Kunarac Urteil vom 22.02.2001 fallengelassen.)
Zurechenbarkeit der Folterhandlung
Zu überlegen ist zunächst, ob die Verantwortlichkeit des Staates für die Folterhandlung überhaupt
Voraussetzung für Kriegsverbrechen i.S.d. § 8 VStGB ist, weil es hier – anders als im Bereich der
Menschenrechte – nicht um eine Verpflichtung des Staates, sondern um die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit der Folterer geht (JStGH, Kvocha, Urteil vom 02.11.2001, para. 139; Kunarac, a. a. O., para. 496). Allerdings sollen Misshandlungen von Mitgefangenen etc. nicht erfasst
sein. Insofern müsste es aber genügen, dass die Folterhandlung wie hier während der Gefangenschaft und von Personen begangen wurden, die allein Kraft ihres Amtes – z.B. als Dolmetscher –
Zugang zu den Gefangenen haben.
Darüber hinaus besteht hier aber auch eine Verantwortung der USA für die Vorfälle in Abu Ghraib
und Guantánamo. Denn soweit die Misshandlungen in Abu Ghraib und Guantánamo von Soldaten
begangen wurden (z.B. Vorfall 2, 3, 4 etc.), handelt es sich unproblematisch um Angehörige des
öffentlichen Dienstes im Sinne der Folterdefinition des Art. 1 des Übereinkommens gegen Folter.
Soweit die Misshandlungen von für die US-Streitkräfte arbeitenden Zivilisten begangen wurden
(z.B. Vorfall 16, 22), sind sie den USA zumindest als Unterlassen, die Gefangenen vor Misshandlungen durch private Täter zu schützen, zuzurechnen. Denn abweichend von der Definition in Art. 1
des Übereinkommens gegen Folter enthält das Folterverbot zumindest in der Auslegung des Aus-
277
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
Vgl. den Aufruf deutscher Verfassungsrechtler zur Verteidigung des Folterverbotes unter
http://www.amnesty.de/download/aufruf-verfassungsrechtler.pdf
279
Reinhard Marx: Folter: Eine zulässige polizeiliche Präventionsmaßnahme? Kritische Justiz 2004,
S. 278, 283.
278
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schusses für Menschenrechte zu Art. 7 IPbpR280 und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK281 auch die positive Verpflichtung, Folter von Dritten zu verhindern
und zu unterbinden. Diese weite Auslegung muss entweder Eingang in § 8 I Nr.3 VStGB finden
oder man nimmt eine separate Verpflichtung an, die sich u.a. aus der Verpflichtung ableitet, Folter
zu verhindern, zu verfolgen und zu bestrafen (Art. 2ff. UNFolterkonvention).
Grad der Schmerzzufügung
Der EGMR versteht Folter als besonders schwere unmenschliche Behandlung, grenzt also Folter von
unmenschlicher Behandlung danach ab, ob Leiden von besonderer Intensität und Grausamkeit verursacht werden. Dieser Rechtsprechung folgend sah auch der JStGH das Abgrenzungskriterium
zwischen Folter und unmenschlicher Behandlung in der Schwere der zugefügten Schmerzen.282
Dagegen wird teilweise auch der Zweck der Handlung als Abgrenzungskriterium verwendet,283 der
für unmenschliche Behandlung genauso wie für Folter „schwere“ Schmerzen und Leiden erfordert.
Zur Beurteilung der Ernsthaftigkeit der zugefügten Leiden und Schmerzen muss nicht nur die objektive Schwere der Verletzungshandlung berücksichtigt werden, sondern es müssen auch subjektive Kriterien in die Bewertung einfließen, wie die besonderen physischen und psychischen Folgen
in Abhängigkeit von den Umständen des konkreten Einzelfalles, z.B. der Dauer der Behandlung,
den körperlichen und seelischen Auswirkungen, und in einigen Fällen dem Geschlecht, Alter und
dem gesundheitlichen Zustand des Opfers.284
Angesichts des zunehmend hohen Standards im Bereich des Menschenrechtsschutzes ist heute im
Rahmen von Ermittlungen bei Misshandlungen, die dem Opfer gezielt Schmerzen zufügen, stets der
erforderliche Schweregrad der Folter als erreicht anzusehen.285 In der Menschenrechtsrechtsprechung wurden Schlagen, sexuelle Gewalt, längerer Entzug von Schlaf, Essen, Hygienemöglichkeiten
und medizinischer Versorgung sowie Bedrohungen mit Folter, Vergewaltigung und Tod, Scheinexekutionen und langes Stehenmüssen bereits als Folterhandlungen bewertetet.286 Zwar verursachen
solche Handlungen oft eine dauerhafte Gesundheitsbeschädigung des Opfers, dies ist aber keine
Voraussetzung für Folter. Körperliche und seelische Verletzungen werden allerdings bei der Bewertung der Schwere der zugefügten Schmerzen und Leiden berücksichtigt.287 Relevant ist zudem das
Zusammenwirken mehrerer Misshandlungen. Eine Vielzahl von Misshandlungen kann dazu führen,
dass Handlungen, die für sich genommen nicht notwendigerweise „große“ Schmerzen und Leiden
zufügen, auditiv als Folter zu qualifizieren sind.
Unter den Folterbegriff des § 8 VStGB fällt sowohl die körperliche als auch die psychische Misshandlung. Körperliche Misshandlung liegt zweifelsohne in den Fällen vor, in denen ein Gefangener
z.B. in schwerer Weise, unter anderem mit Werkzeugen oder bis zur Bewusstlosigkeit, geschlagen
wird. Ebenso sind körperliche Misshandlungen in den Fällen gegeben, in denen Soldaten auf einem
Gefangenen herumspringen bzw. sich auf ihn stellen, ihm so in das Ohr schneiden, dass es genäht
werden muss, in denen der Gefangene mit Schuhen getreten oder auf den Boden bzw. gegen eine
Wand geschleudert wird, ihm die Arme umgedreht werden etc. Durch all diese Handlungen werden
dem Gefangenen gezielt große körperliche Schmerzen zugefügt, die teilweise sogar physische Verletzungen hinterlassen. Damit ist der erforderliche Schweregrad einer Folterhandlung erreicht, insbesondere weil es sich um gezielte Zufügung von Schmerzen handelt.
Auch hat die Europäische Kommission für Menschenrechte den für die Folter erforderlichen Schweregrad der Schmerzzufügung als ausreichend angesehen, als die sich im Polizeigewahrsam befindlichen Personen über eine längere Zeit hindurch u.a. in unangenehmen Anspannungspositionen an
der Wand stehen mussten, zudem ununterbrochen ein lautes, pfeifendes Geräusch herrschte und
ihnen vor den Vernehmungen der Schlaf entzogen worden war. Im gegenständlichen Fall wurde der
Gefangene in ähnlicher Weise gezwungen, aufrecht in der Zelle zu stehen; es wurde Musik („white
280
Dr. Manfred Nowak: CCPR Commentary, 1993, Art. 7 Rn 6 ff.
ECHR, D. P. an J. C. v. UK, Nr. 3719/97, Entscheidung vom 10. Oktober 2002, § 109; ECHR, A.
O. UK, Reports 1998 – VI, § 22 ECHR, Z. et al v. UK, Nr. 29392/95, Entscheidung vom 10. Mai
2001, § 73
282
IStGH, Kvocka a.a.O. para. 161.
283
Vgl. z.B. Art. 8 II a ii 2 des Rom-Statuts
284
EGMR, Selmouni ./. France, Human Rights Law Report 1999, S. 238; Kvocka a.a.O., para. 143.
285
Reinhard Marx: Folter: eine zulässige polizeiliche Präventionsmaßnahme? Kritische Justiz 2004,
S.278-285.
286
Kvocka a.a.O., para. 144 m.w.N
287
Kvocka a.a.O., para. 148 f.
281
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noise“) abgespielt und Schlafentzug angeordnet.
Im Gegensatz dazu spricht man von psychischer Misshandlung, wenn keine körperlichen, sondern
seelische Leiden und Schmerzen verursacht werden. Dafür spricht die Genfer Konvention über die
Behandlung von Kriegsgefangenen, auf der § 8 VStGB letztlich basiert, und die in Art. 17 IV GK III
sowohl die seelische als auch körperliche Folter von Kriegsgefangenen verbietet. Der Ausschuss für
Menschenrechte288 sowie die Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK und der JStGH289 haben bereits anerkannt, dass Folter nicht zwingend körperliche Misshandlungen voraussetzt.
Nach EGMR-Rechtsprechung werden unter psychischen Foltertechniken Druckmittel gefasst, die
durch Zufügung seelischer und geistiger Leiden einen Angstzustand erzeugen290 oder die ohne unmittelbar in die körperliche Integrität einzugreifen, die Willensfreiheit aufheben, indem sie schwere
geistige und psychische Störungen verursachen.291 Insbesondere ist bei der Beurteilung, ob die
zugefügten Schmerzen so ernsthaft und grausam sind, dass sie den für die Qualifizierung als Folter
erforderlichen Schweregrad erreichen, das Zusammenwirken der angewandten körperlichen und
seelischen Gewalt zu berücksichtigen.292 Dabei kommt es auf die konkreten Umstände an, insbesondere hat der gesellschaftliche und religiöse Kontext in die Bewertung einzufließen.
Vorliegend handelt es sich bei der Benutzung von Isolation als Strafmaßnahme um eine Desorientierungs- und Sinnberaubungsmethode, bei der durch die Verursachung schwerer geistiger und
psychischer Störungen die Willensentscheidungsfreiheit aufgehoben werden soll.293 Denn durch
diese Methode soll der Gefangene sein Gefühl für Raum und Zeit verlieren und so hilflos und letztlich willensschwach gemacht werden. Daher handelt es sich bei diesen Desorientierungs- und Sinnberaubungsmethoden zumindest um psychische Folter i. S. d. § 8 I Nr.3 VStGB.
Die Herabwürdigung religiöser Symbole, die Zwangsrasur sowie die Errichtung eines Osama Bin
Laden-Schreins waren Praktiken, die darauf gerichtet waren, den Gefangenen zu erniedrigen und
zu demütigen und so letztlich seinen Willen zu brechen und ihn zur Kooperation zu bewegen. Nicht
zu vergessen, die Androhung möglicher schlimmer Verhöre, die intendierte Degradierung auf die
Stufe eines Hundes, das Vortanzenmüssen vor versammeltem Team oder die Verspottung der Mutter und der Schwester als Huren und Prostituierte. Weiter reichte das Spektrum der Verhörmethoden von der Fesselung des Gefangenen an Armen und Beinen, der Fixierung in einem aus Metall
bestehenden Drehstuhl für die Dauer der Vernehmungen und die Zwangsernährung durch intravenöse Lösungen über die Anwendung von Schlafentzug und Kälteeinwirkung bis hin zu Drohungen
sowie aufgezwungener Nacktheit. Die Gesamtheit der dem Gefangenen zugefügten Misshandlungen
waren zudem nicht auf einen engen zeitlichen Rahmen beschränkt, sondern wurden oftmals wiederholt und lange andauernd (50 Tage) angewandt.
In einem Urteil hatte der EGMR ähnliche Handlungen als Folter qualifiziert.294 In dem Fall war der
Beschwerdeführer gezwungen worden, durch ein Spalier von Polizeibeamten zu laufen, und war
dabei geschlagen worden. Er hatte sich vor einer jungen Frau hinknien müssen, zu der ein Beamter
sagte, „Schau, Du wirst gleich jemanden singen hören.“ Ein anderer Beamter hatte ihm seinen
Penis gezeigt und gedroht: “Schau, lutsch dies“, und hatte anschließend über seinen Körper uriniert. Schließlich war er mit einer Lötlampe und einer Spitze bedroht worden. Dabei stellte der
EGMR gerade auf die Vielzahl der inhumanen Handlungen ab, die unabhängig von ihrer gewaltsamen Natur, für jedermann abscheulich und erniedrigend seien. Betrachtet man die körperliche und
seelische Gewalt als Ganzes, hätte sie dem Beschwerdeführer ernsthafte Schmerzen zugefügt und
sei sie insbesondere ernsthaft und grausam gewesen. Eine solche Behandlung sei als Folter zu bezeichnen.
Dieser Argumentation folgend ist ein Großteil der psychischen Quälereien des Gefangenen in Guantánamo als Folter zu bewerten. Der Gefangene wurde zu inhumanen, für jedermann erkennbar
abscheulichen und erniedrigenden Handlungen gezwungen, so geschehen in den Fällen, in denen
288
Estrella v. Uruguay (74/1980), Report of the Human Rights Committee, supra n. 46, Annex XII,
para 1.6.; Nigel S. Rodley: The Treatment of Prisoners under International Law.1987, S. 82.
289
Kvocka a.a.O., para. 149.
290
The Greek Case, Yearbok 12, 461
291
Frowein, Art, 3 EMRK, Rn. 5.
292
Vgl. EGMR, Selmouni./.France, Human Rights Law Report 1999, S. 238; Tyrer v. UK, Serie A 26
§ 29-35, 1978.
293
Frowein, Art. 3 EMRK, Rn. 5 .
294
Selmouni ./. France, Human Rights Law Report 1999, S. 238.
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dem Gefangenen die Kleidung, teilweise in Anwesenheit von Frauen, weggenommen wurde, was
von muslimischen Männern als besonders peinigend und schmerzhaft empfunden wird und der
muslimischen Weltanschauung entgegensteht, sodass durch diese Tat die gesellschaftliche Ehre
des Gefangenen langfristig zerstört werden konnte.
Ebenfalls in diese Kategorie fallen die Vorfälle, in denen der Gefangene gezwungen wurde, sich
selbst zu erniedrigen, z.B. indem er wie ein Hund bellen musste, mit einer Art Burka bekleidet unter den Augen der Beamten Tänze aufführen musste oder gezwungen wurde, eine Maske aufzusetzen und sich mit einem Luftballon in regelmäßigen Abständen ins Gesicht schlagen zu lassen. Es
handelt sich um Handlungen, die unabhängig von ihrer gewaltsamen Natur, offensichtlich abscheulich und erniedrigend sind, und diese Vorgehensweise haben auch den Zweck, den Gefangenen zu
unterwerfen, zu erniedrigen und zu entmannen sowie dadurch seine menschliche Würde zu zerstören und seinen Willen zu brechen.
Obwohl bei all diesen Handlungen selbst keine oder nur geringe körperliche Gewalt im Spiel war,
erreichen sie den erforderlichen Schweregrad um als Folterhandlungen qualifiziert zu werden. Dabei ist zum einen darauf abzustellen, dass dem Misshandelten dadurch erhebliche seelische Verletzungen zugefügt wurden. Solche Verletzungen sind nicht per se als geringwertiger als körperliche
zu bewerten, insbesondere führen sie oftmals zu länger andauernden Leiden und Schmerzen als
das bei körperlichen Verletzungen der Fall ist. Zudem zielten diese – schon für jedermann abscheulichen und erniedrigenden – Handlungen in der Regel auf die besonders empfindlichen und erniedrigenden Stellen für Muslime ab, gerade durch sexuelle Erniedrigung und „Entmannung“. Schließlich fanden die Handlungen in der Regel nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel einer Reihe von
körperlichen und seelischen Misshandlungen statt.
In Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des EGMR im Fall Selmouni sind die vorgefallenen
physischen und psychischen Misshandlungen in ihrer Vielzahl und Intensität sowie die verursachten
großen Schmerzen und Leiden als Ganzes zu betrachten und aus diesem Grund als Folter i.S.d. § 8
I Nr. 3 VStGB zu werten.
Körperliche Misshandlungen
Nach dem oben Ausgeführten stellen zumindest alle die Fälle Folter i.S.d § 8 Nr.3 VStGB dar, in
denen die Gefangenen körperlich misshandelt wurden. Eine körperliche Misshandlung liegt in den
Fällen vor, in denen die Gefangenen in schwerer Weise geschlagen wurden (Vorfall 1, 6, 20, 23),
teilweise mit Werkzeugen (Vorfall 4, 8, 18) oder bis zur Bewusstlosigkeit (Vorfall 4, 5, 11) bzw. in
dem Fall, in dem der Gefangene aufgrund des Schlages verstarb (Vorfall 7). Gleiches gilt für den
Fall, in dem ein Gefangener angeschossen wurde (Vorfall 12). Ebenso sind körperliche Misshandlungen in den Fällen gegeben, in denen Soldaten auf einem Gefangenen herum sprangen (Vorfall 5,
11) bzw. sich auf ihn stellten (Vorfall 8), ihm so in das Ohr schnitten, dass es genäht werden
musste (Vorfall 5), in denen die Gefangenen mit Schuhen getreten wurden (Vorfall 1, 4, 23) oder
auf den Boden (Vorfall 1, 6, 16) bzw. gegen eine Wand (Vorfall 20, 23) geschleudert wurden, ihnen
die Arme umgedreht wurden (Vorfall 15) etc. Durch all diese Handlungen wurden den Gefangenen
gezielt große körperliche Schmerzen zugefügt, die teilweise sogar physische Verletzungen hinterließen. Damit ist der erforderliche Schweregrad einer Folterhandlung erreicht, insbesondere weil es
sich um gezielte Zufügung von Schmerzen handelt.
Auch das Festhalten über längere Zeiträume in stressvollen und schmerzhaften Positionen, wie es
in Abu Ghraib insbesondere durch das Festketten der Gefangenen mit Handschellen an Gegenständen praktiziert wurde (Vorfall 5, 8, 13, 18, 20, 23), ist eindeutig als Folterhandlung zu qualifizieren.
Es ist vergleichbar mit dem Zwang, lange Zeit an der Wand stehen zu müssen, wofür die Europäischen Kommission für Menschenrechte den für die Folter erforderlichen Schweregrad der Schmerzzufügung als erreicht ansah. Denn langes Verharren in einer bestimmten unnatürlichen und stressigen Position, wie es durch das Anketten mit Handschellen an der Tür etc. erreicht wird, verursacht erhebliche körperliche Schmerzen und wurde hier gezielt dazu eingesetzt – ganz abgesehen
von den psychischen Leiden, die durch diese erniedrigende Unterwerfungs- und Machtdemonstration hervorgerufen werden.
Schlafentzug und Stresspositionen
In Überprüfung eines Berichts des UN Special Rapporteur on Torture, der ausführte, dass ein Gefangener „gezwungen wurde mit Handschellen und verhüllt in einer Stressposition zu verharren,
gleichzeitig anhaltendem Schlafentzug ausgesetzt war und über drei Wochen hinweg geschlagen
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wurde“295, kam das CAT296 zu dem Ergebnis, dass der Einsatz von Stresspositionen Folter im Sinne
des Art. 1 der UN-Antifolterkonvention darstellt.297 In seinem Bericht beschreibt das Komitee, dass
die folgenden Verhörmethoden gemäß der UNAntifolterkonvention als Folter zu qualifizieren sind:
„(1) Das Erzwingen von sehr schmerzhaften Stresspositionen, (2) Verhüllen unter speziellen Bedingungen, (3) Das Spielen lauter Musik für längere Zeiträume, (4) Anhaltender Schlafentzug, (5)
Drohungen, einschließlich Todesdrohungen, (6) Gewaltsames Schütteln und (7) Aussetzen kalter
Temperaturen …“.298
Der UN Special Rapporteur on Torture hat ebenso festgestellt, dass der Einsatz von Stresspositionen nach der UN-Antifolterkonvention als Folter und unmenschlicher Behandlung zu qualifizieren
ist.299 Insbesondere führte er aus, dass „die Rechtsprechung von internationalen und regionalen
Einrichtungen eindeutig feststellt, dass solche Methoden“ einschließlich „dem Erzwingen schmerzhafter Stresspositionen“ und „das Aussetzen extremer Hitze oder Kälte gegen das Verbot der Folter
und der unmenschlichen Behandlung verstoßen“.300
In einem im Jahre 1997 erschienen Bericht über Verhörmethoden, wie sie beispielsweise die Israeli
Defense Forces angewendet hatten, kommt das CAT ohne weitere Erläuterungen zu dem Schluss,
dass anhaltender Schlafentzug als Folter im Sinne des Art. 1 der UN-Anti-Folterkonvention anzusehen ist.301
Daran anschließend unterzog das CAT den Einsatz von Schlafentzug durch die israelische Security
Agency im Jahre 2001 einer genaueren Überprüfung. Dabei folgte es der Ansicht des israelischen
Obersten Gerichtshofes, der die Anwendung bestimmter Verhörmethoden dann als verboten ansah,
wenn diese nicht im Rahmen der Vernehmung angewendet werden.302 Das Gericht sprach aus,
dass Verhöre sehr langwierig sein und als Nebenfolge dazu führen können, dass es einer Person
während des Verhörs nicht möglich ist, zu schlafen.303 In dem Fall, dass „Schlafentzug sich als
nicht mehr ein dem Verhör innewohnender Nebeneffekt darstellt, sondern nur Mittel zum Zweck ist,
wird dieser verboten. Wenn dem Verdächtigen der Schlaf absichtlich für einen länger dauernden
Zeitraum entzogen wird, dies mit dem Ziel, ihn zu ermüden oder ihn zu ‚brechen’, ist dies keine
faire und angemessene Untersuchung“.304 Der UN Special Rapporteur on Torture hat in dieser Weise ausgeführt, dass der anhaltende Entzug von Ruhephasen oder Schlaf eine Maßnahme darstellt,
die Leiden in einem solchen Ausmaße zufügt, dass sie als eine gegen die UN-Antifolterkonvention
verstoßende Foltertechnik qualifiziert werden muss.305
Die in Isolationshaft angewendeten Methoden der Sinnestäuschung und Hyperstimulation erfüllen
im Sinne der internationalen rechtlichen Standards den Tatbestand der Folter. Das CAT kam zu
dem Schluss, dass die Sinnestäuschung und die Isolation durch beinahe vollkommenes Versagen
der Kommunikationsmöglichkeiten ein „beständiges und ungerechtfertigtes Leiden, das der Folter
entspricht“ verursacht.306 In ähnlicher Weise listete der UN Special Rapporteur on Torture Fälle, die
als so schwer anzusehen sind, um als Folter qualifiziert zu werden: einschließlich Schläge, das Zie295
Report of the Special Rapporteur, Mr. Nigel S. Rodley, submitted to the UN Commission on Human Rights, E/CN.4/1998/38/Add. 1, Dec. 24, 1997.
296
UN Commitee Against Torture (CAT)
297
Dazu auch: Office of the High Commissioner for Human Rights, Concluding Observations of the
Committee against Torture: Israel. 09/05/97. A/52/44, para. 257.
298
Office of the High Commissioner for Human Rights, Concluding Observations of the Committee
against Torture: Israel. 09/05/97. A/52/44, para. 257.
299
Zitat Nr. 20.
300
Ebd.
301
Office of the High Commissioner for Human Rights, Concluding observations of the Committee
against Torture: Israel. 09/05/97. A/52/44, para 257.
302
Consideration of Reports Submitted by States Parties Unter Article 10 of the Convention, Committee against Torture, 2001, U.N. Doc. CAT/C/54/Add.1).
303
Public Committee Against Torture in Israel v. Israel. HCJ 5100/94. Sept. 1999.
304
Israel Report at para. 14 (viii) (quoting Israel Supreme Court decision at para. 31. Siehe auch
Republic of Korea, Committee against Torture, Nov. 13, 1996, para. 56. U.N. Doc. A/52/44.
305
UN Commission on Human Rights, Report of the Special Rapporteur on torture and cruel, inhuman or degrading treatment or punishment, Visit by the Special Rapporteur to Pakistan, U.N. Doc
E/CN.4/1997/7/Add.2 (1996) (Nigel Rodley, Special Rapporteur); See also Press Release, Special
Rapporteur on Torture Highlights Challenges at End of Visit to China (Dec. 2, 2005).
306
36th Session, Geneva, Mai 2006; Peru.
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hen von Nägeln, Zähnen, etc.; Verbrennen, elektrische Schocks, das Auslösen von Erstickungszuständen, das Aussetzen extremen Lichts oder Lärms, sexuelle Nötigung, das Verabreichen von
Drogen in Gefängnissen oder psychiatrischen Anstalten, anhaltendes Versagen von Ruhe oder
Schlaf, von Essen, ausreichender Hygiene oder medizinischer Versorgung, völlige Isolation und
Sinnesberaubung, das Halten in völliger Abwesenheit von Zeit und Raum, Drohungen, Verwandte
zu foltern oder zu töten und simulierte Exekutionen.307
Psychische Misshandlungen
Unter den Folterbegriff des § 8 VStGB fällt auch psychische Folter, d. h. Misshandlungen, die zwar
keine körperlichen, sondern seelische Leiden und Schmerzen verursachen. Dafür spricht die Genfer
Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen, auf der § 8 VStGB letztlich basiert, und die
in Art. 17 IV GK III sowohl die seelische als auch körperliche Folter von Kriegsgefangenen verbietet. Der Ausschuss für Menschenrechte308, die Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK und der JStG309 haben bereits anerkannt, dass Folter nicht zwingend körperliche Misshandlungen voraussetzt.
Nach EGMR-Rechtsprechung werden unter psychischen Foltertechniken Druckmittel gefasst, die
durch Zufügung seelischer und geistiger Leiden einen Angstzustand erzeugen310 oder die ohne unmittelbar in die körperliche Integrität einzugreifen, die Willensfreiheit aufheben, indem sie schwere
geistige und psychische Störungen verursachen.311 Insbesondere ist bei der Beurteilung, ob die
zugefügten Schmerzen so ernsthaft und grausam sind, dass sie den für die Qualifizierung als Folter
erforderlichen Schweregrad erreichen, das Zusammenwirken der angewendeten körperlichen und
seelischen Gewalt zu berücksichtigen.312 Bei der Bewertung des Grades der Schmerzen und Leiden
ist nicht allein auf das körperliche Schmerzempfinden abzustellen, sondern ebenso auf die zugefügten seelischen Leiden und Verletzungen, die den Gefolterten durch die Brechung ihres Willens und
der Zerstörung ihrer Würde zugefügt werden. Dabei kommt es auf die konkreten Umstände an,
insbesondere hat der gesellschaftliche und religiöse Kontext in die Bewertung einzufließen.
Auch die psychischen Misshandlungen in Abu Ghraib stellen deshalb Folter i.S.d. § 8 I Nr. 3 VStGB
dar. Bei vielen der angezeigten Taten ist ohnehin nur schwer abgrenzbar, ob sie lediglich psychische Auswirkungen haben oder ob nicht die erzielten Wirkungen wie Orientierungslosigkeit, Depressionen, Taubheit in den Extremitäten etc. als körperliche Folter angesehen werden muss.
Vorliegend handelt es sich sowohl bei der Benutzung von Isolation und Lichtentzug im „Loch“ als
Strafmaßnahme (Vorfall 4, 42, 43, 44) als auch bei der erzwungenen Orientierungslosigkeit
dadurch, dass den Gefangenen ohne berechtigten Anlass oder Interesse Tüten über den Kopf gezogen wurden, z.B. über einen längeren Zeitraum hinweg in ihren Zellen (Vorfall 5, 43) oder während
sie zusätzlich in erniedrigenden Positionen gezwungen wurden (Vorfall 6, 37) um solche Desorientierungs- und Sinnberaubungsmethoden, bei denen durch die Verursachung schwerer geistiger und
psychischer Störungen die Willensentscheidungsfreiheit aufgehoben werden soll.313 Denn durch
diese Methoden sollen die Gefangenen ihr Gefühl für Raum und Zeit verlieren und so hilflos und
letztlich willensschwach gemacht werden. Daher handelt es sich bei diesen Desorientierungs- und
Sinnberaubungsmethoden zumindest um psychische Folter i. S. d. § 8 Nr.3 VStGB.
Weiterhin sind solche Methoden als psychische Folter anzusehen, die gerade darauf abzielen, durch
Zufügung von geistigen und psychischen Störungen den Willen der Gefangenen zu brechen. Das ist
z.B. bei Schlafentzug (Vorfall 5, 18) der Fall, weil der Mensch ab einem gewissen Müdigkeitsgrad
physisch nicht mehr in der Lage ist, sich zu orientieren und zu denken. Diesem Ziel diente das Aussetzen der Gefangenen in Kältezustände, z.B. durch kalte Duschen bzw. Wasser (Vorfall 3, 8, 20)
oder die Wegnahme von Kleidung und Decken, teilweise über mehrere Tage hinweg (Vorfall 4, 5,
8).
307
Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, Report of the Special
Rapporteur, Mr. P. Kooijmans, appointed pursuant to Commission on Human Rights res. 1985/33
E/CN.4/1986/15, 19 Feb. 1986, par 119.
308
Estrella v. Uruguay (74/1980), Report of the Human Rights Committee, supra n. 46, Annex XII,
para 1.6.; Nigel S. Rodley, The Treatment of Prisoners under International Law, 1987, S. 82.
309
Kvocka a.a.O., para. 149.
310
The Greek Case, Yearbok 12, 461.
311
Frowein, Art, 3 EMRK, Rn. 5.
312
Vgl. EGMR, Selmouni./.France, Human Rights Law Report 1999, 238; Tyrer v. UK, Serie A 26 §
29-35 (1978).
313
Frowein, Art. 3 EMRK, Rn. 5.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Ebenso verhält es sich mit „Schein-Exekutionen“ bzw. Todesdrohungen, weil Todesangst in der
Regel den freien Willen verdrängt. Hier wurde den Gefangenen in vielfacher Weise mit dem Tode
gedroht, teils ausdrücklich (Vorfall 18, 23), teils implizit, z.B. indem ein Gefangener an simulierte
elektrische Drähte angeschlossen wurde (Vorfall 10) oder einem anderen durch Zuhalten von Mund
und Nase der Atem genommen wurde (Vorfall 15). Solche Methoden sind an sich schon als Folter
einzustufen. Dies gilt umso mehr, wenn sie wie in Abu Ghraib nicht nur vereinzelt und im Zusammenspiel mit weiteren Methoden verwendet werden.
Misshandlungen durch Zerstörung der Selbstachtung
In Abu Ghraib kam es insbesondere zu vielen Handlungen, mit denen die Gefangenen erniedrigt
und gedemütigt werden sollten, mit denen ihr Selbstwertgefühl und ihre Selbstachtung zerstört
werden sollten, um so letztlich ihren Willen zu brechen und sie zur Kooperation zu bewegen. In
einem Urteil hatte der EGMR ähnliche Handlungen als Folter qualifiziert.314 Betrachtet man die körperliche und seelische Gewalt als Ganzes, habe sie ernsthafte Schmerzen zugefügt und sei insbesondere ernsthaft und grausam gewesen. Eine solche Behandlung sei als Folter zu bezeichnen.
Dieser Argumentation folgend ist ein Großteil der psychischen Quälereien der Gefangenen in Abu
Ghraib als Folter zu bewerten. Die Gefangenen wurden zu inhumanen, für jedermann erkennbar
abscheulichen und erniedrigenden Handlungen gezwungen, wenn sie z.B. in simulierten sexuellen
Positionen miteinander posieren (Vorfall 3, 11) oder wenn sie Frauenunterwäsche auf dem Kopf
tragen mussten (Vorfall 5, 33), wobei sie z. T. noch fotografiert wurden. Hier spielt neben der Entwürdigung durch den Zwang an sich, die sexuelle Erniedrigung und die Gegenwart von Zuschauern
und Zuschauerinnen eine besondere Rolle, dass gleichgeschlechtlicher Sex der muslimischen Weltanschauung entgegensteht, so dass durch die Posen und deren fotografische Aufnahmen die gesellschaftliche Ehre der Gefangenen langfristig zerstört werden konnte. Genauso ist der Fall zu beurteilen, in dem ein Gefangener gezwungen wurde, Schweinefleisch zu essen und Wein zu trinken
und so gegen grundlegende Regeln seiner Religion zu verstoßen. Wenngleich dabei keine körperlichen Verletzungen zurückbleiben, so ist doch die religiöse Ehre und Selbstachtung des Gefangenen
dauerhaft beschädigt, wenn nicht gar zerstört.
Gleiches trifft für die Fälle zu, in denen den Gefangenen die Kleidung weggenommen wurde (Vorfall
4, 8, 20, 34, 35, 36, 39, 40), teilweise in Anwesenheit von Frauen (Vorfall 5, 8, 35). Dies wird von
muslimischen Männern als besonders peinigend und schmerzhaft empfunden.
Ebenfalls in diese Kategorie fallen die Vorfälle, in denen die Gefangenen gezwungen wurden, sich
selbst zu erniedrigen, z.B. indem ein Gefangener sich von einer Soldatin an einer Hundeleine um
den Hals geführt fotografieren lassen musste (Vorfall 9), indem ein anderer auf allen Vieren wie ein
Hund bellen musste (Vorfall 5), indem sie vor den Soldaten auf dem Bauch krabbeln (Vorfall 5, 6),
sich von ihren Peinigern bespucken bzw. auf sich urinieren lassen mussten (Vorfall 5, 18), indem
sie menschliche Pyramiden bauen (Vorfall 11), ihren Kopf in fremden Urin stecken (Vorfall 8), aus
der Toilette essen (Vorfall 4) oder sich gegenseitig schlagen mussten (Vorfall 11). Es handelt sich
um Handlungen, die unabhängig von ihrer gewaltsamen Natur, offensichtlich abscheulich und erniedrigend sind, und diese Vorgehensweise haben auch den Zweck, die Gefangenen zu unterwerfen, zu erniedrigen und zu entmannen und dadurch ihre menschliche Würde zu zerstören und ihren
Willen zu brechen.
Obwohl bei all diesen Handlungen selbst keine oder nur geringe körperliche Gewalt im Spiel war,
erreichen sie den erforderlichen Schweregrad, um als Folterhandlungen qualifiziert zu werden. Dabei ist zum einen darauf abzustellen, dass den Misshandelten dadurch erhebliche seelische Verletzungen zugefügt wurden. Solche Verletzungen sind nicht per se als geringwertiger als körperliche
zu bewerten, insbesondere führen sie oftmals zu länger andauernden Leiden und Schmerzen als
das bei körperlichen Verletzungen der Fall ist. Zudem zielten diese – schon für jedermann abscheulichen und erniedrigenden – Handlungen in der Regel auf die besonders empfindlichen und erniedrigenden Stellen für Muslime ab, gerade durch sexuelle Erniedrigung und „Entmannung“. Schließlich fanden die Handlungen in der Regel nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel mit einer Vielzahl
von körperlichen und seelischen Misshandlungen statt (z.B. Vorfall 3, 5, 11, 18 etc). Wie im Selmouni-Fall315 müssen auch hier die angewandte körperliche und seelische Gewalt sowie die zugefügten Leiden und Schmerzen als Ganzes betrachtet und eine derartige Behandlung als Folter bezeichnet werden.
314
315
Selmouni ./. France, Human Rights Law Report a.a.O.
EGMR, a. a. O.
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Drohungen
Einen weiteren Fallkomplex stellen die Drohungen dar. Den Gefangenen wurde teilweise ausdrücklich Folter, Vergewaltigung und schwere Körperverletzungen angedroht (Vorfall 18, 25), teilweise
nur implizit, wozu häufig die Präsenz von Wachhunden benutzt wurde (Vorfall 26, 28, 29, 30, 31,
32, 40). Schwere Drohungen können in der Regel als Folter qualifiziert werden, wobei es auch hier
auf eine Gesamtbetrachtung der Umstände ankommt.316 Dort wo die Drohungen mit einem empfindlichen Übel in Verbindung mit vergleichbaren inhumanen und erniedrigenden Handlungen standen, ist der für die Qualifizierung als Folter erforderliche Schmerzzufügungsgrad erreicht.317
Sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung
Unzweifelhaft fallen auch Vergewaltigung (Vorfall 22) und sexuelle Nötigung wie erzwungenen Massenmasturbation (Vorfall 11), anale Penetration mit einem Polizeistock (Vorfall 5, 8) und ähnliche
Fälle (Vorfall 2, 38) unter den Folterbegriff, da sie den Gefangenen neben körperlichen auch psychische Leiden zufügen. Der JStGH urteilte, dass Vergewaltigung und andere Formen sexueller
Gewalt grundsätzlich als Folter zu qualifizieren sind, sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt
sind, weil Vergewaltigung gerade den innersten Kern der menschlichen Würde und der physischen
Integrität trifft.318 Auch bei den meisten Vorfällen in Abu Ghraib wird das psychische Leiden der
Opfer von Vergewaltigung und sexueller Nötigung durch soziale und kulturelle Umstände verstärkt,
was dazu führt, dass die seelischen Schmerzen und Leiden gerade für muslimische Opfer besonders
schwer und lang andauernd sein können.319 Neben dem Tatbestand der Folter werden diese Fälle
der sexuellen Nötigung auch von § 8 I Nr. 4 VStGB erfasst.
Was die Verurteilung von Erniedrigung, insbesondere sexueller Erniedrigung anlangt, ist das internationale Recht eindeutig. Dies insbesondere dann, wenn die sexuelle Erniedrigung mit anderen
Verhörmethoden kombiniert wird, um eine Atmosphäre von Angst und Verwirrung zu schaffen, die
mit der Würde des Menschen unvereinbar ist. Ist die Intention dabei die Gewinnung von Informationen oder Geständnissen, handelt es sich um Folter. Verschiedentlich haben UN-Berichte die Anwendung sexueller Gewalt und Erniedrigung als Folter oder unmenschliche und entwürdigende Behandlung verurteilt. Insbesondere das CAT hat die USA in seinem 2006 Periodic Report über die
Vereinigten Staaten dazu aufgerufen, „von allen Verhörmethoden Abstand zu nehmen, die Folter
oder grausame, unmenschliche oder entwürdigende Behandlung oder Bestrafung darstellen, insbesondere Methoden, die sich der sexuellen Erniedrigung bedienen, „waterboarding“, „short shackling“ und der Einsatz von Hunden, um Angst zu verbreiten.320
Ebenso häufig verurteilen UN-Berichte die Anwendung sexueller Demütigung und erzwungener
Nacktheit im Zusammenhang mit kombinierten Verhörmethoden. So berichtete beispielsweise der
High Commissioner of Human Rights in Nepal von den „zutiefst schockierenden“ Vorfällen von Folter und grausamer, inhumaner und entwürdigender Behandlung in Nepal, wobei er erläuterte, dass
„sich in fast allen Fällen die Opfer dieser Folter, auch Frauen, zuerst ausziehen mussten und dann
mit obszönen und entwürdigenden Ausdrücken beleidigt wurden. Zusätzlich kam es zu Folterhandlungen, die sexuelle Erniedrigung von Frauen und Männern einschloss.321 Ebenso berichtete der UN
Special Rapporteur on Torture, dass ehemalige Inhaftierte ausgesagt hatten, dass Folter und grausame, unmenschliche und entwürdigende Behandlung in Spanien immer noch vorkommt und beschreibt die folgenden Methoden, die während der incomminicadoverwendet werden: Verhüllung,
erzwungene Nacktheit, körperliche Ertüchtigung, erzwungenes Stehen für länger andauernde Zeiträume gegen eine Wand, Schlafentzug, Desorientierung, die „bolsa“ (Ersticken mit einer Plastiktüte), sexuelle Erniedrigung, Bedrohung mit einer Vergewaltigung und der Drohung mit der Exekution.322
316
JStGH, Kvocka, a.a.O., para. 144.
Reinhard Marx, a.a.O., S. 286.
318
JStGH, Delalic, Urteil vom 16.11.1998, para. 495 f.
319
Vgl. JStGH, Delalic, a.a.O., para 495.
320
Second Periodic Report of the United Nations under the Convention Against Torture UN Doc
CAT/C/USA/2, 25 July 2006, para 24.
321
United Nations OHCHR In Nepal, Statement to the Press, Ian Martin, Representative of the HCHR
in Nepal, 26 May 2006
322
Civil and Political Rights, Including The Question Of Torture And Detention, Report of Special
Rapporteur on the question of torture, Theo van Boven, Visit to Spain, E/CN.4/2004/56/Add.2, 6
February 2004, para 27.
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Vorsätzliche Handlungsweise
Im Gegensatz zu den unmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen verlangt Folter eine vorsätzliche Begehungsform. Vorsatz ist hier unproblematisch zu bejahen, da die Misshandlungen wissentlich und willentlich erfolgten. Dass ist schon daraus ersichtlich, dass die meisten Taten einen
gewissen Grad an Vorbereitung erforderten und wiederholt begangen wurden. Die Soldaten wussten auch, was sie taten. Ob sie ihre Taten immer selbst auch als Folter einstuften, ist unerheblich.
Selbst wenn sie teilweise davon ausgegangen sein mögen, dass die Handlungen erlaubt seien, befanden sie sich allenfalls in einem vermeidbaren Verbotsirrtum i. S. d. § 2 VStGB i. V. m. § 17
StGB. Denn bei der nötigen Wissens- und Gewissensanstrengung hätten sie, wie andere Soldaten
auch, leicht einsehen können, dass es sich bei den Taten nicht um erlaubtes Tun, sondern um Verstöße gegen die Genfer Konvention handelte.
Zweckrichtung der Misshandlungen
Es werden nur solche Misshandlungen als Folter qualifiziert, die ausgeübt werden, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Fehlt es an einem solchen Zweck, liegt eine unmenschliche Behandlung oder Strafe vor. Dabei nennt Art. 1 des Übereinkommen gegen Folter eine weite Brandbreite
von möglichen Zweckrichtungen, die von der Aussageerpressung über Bestrafung bis zur Einschüchterung reicht. Der JStGH, dessen Urteile den jeweiligen Stand des völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts widerspiegeln, hat als weiteren Zweck Erniedrigung angefügt.323 Angesichts der
Schwierigkeiten gerade bei den nicht-körperlichen Methoden, Folter von unmenschlicher Behandlung anhand des Grades der zugefügten Leiden abzugrenzen, spielt heute der durch die Misshandlungen verfolgte Zweck für die Bewertung einer Maßnahme als Folter eine größere Rolle. Der verbotene Zweck muss aber weder der einzige noch der hauptsächliche Zweck der Leidenszufügung
sein.324
Aus dem Bericht geht hervor, dass die Misshandlungen zumeist erfolgten, weil der Gefangene nach
der Befragung für unehrlich bzw. unkooperativ gehalten wurde und für die nächste Befragung vorbereitet werden sollte (z.B. Vorfall 4) bzw. als Strafe für sein vorangegangenes Verhalten (z.B.
Vorfall 18). Aber auch in den Fällen, in denen sich der verfolgte Zweck nicht ausdrücklich aus dem
Bericht ergibt, ist davon auszugehen, dass die Misshandlungen im Kontext mit dem Druck aus dem
Weißen Haus, dem Pentagon und dem CIA standen, mehr und bessere Informationen von den Gefangenen zu erlangen325 und so alle der Dynamik folgten, alles zu versuchen, um den Anforderungen aus den Vereinigten Staaten gerecht zu werden und mehr Informationen durch Aussagen und
Geständnisse der Gefangenen liefern zu können. Letzlich ist die Anwendung von Folter und von
unmenschlicher Behandlung vor dem Hintergrund der von oben, von Washington nach Guantánamo
und Bagdad, nach unten, Abu Ghraib, angeordneten und kommunizierten Begehren einzuordnen,
mehr nachrichtendienstlich verwertbare Informationen aus den Inhaftierten herauszuholen. Die
Inhaftierten sollten gefügig gemacht werden. Die unmittelbar Handelnden haben diese Order auf
ihre Weise verstanden und in die Praxis umgesetzt.
Darüber hinaus genügt es für die Qualifikation als Folter, dass einzelne Handlungen ausschließlich
den Zweck verfolgten, die Gefangenen einzuschüchtern, zu bestrafen oder zu erniedrigen, weil
auch solche Motivationen nach dem heutigen Stand des Gewohnheitsrechts zum Folterbegriff das
verbotene Zwecke sind.
Grausame und unmenschliche Behandlung
Der Misshandlungstatbestand der grausamen und unmenschlichen Behandlung, der subsidiär zur
Folter ist, kommt ebenfalls zur Anwendung. Der Unterschied zur Folter ist graduell, d.h. es wird
eine geringere Intensität der zugefügten Schmerzen und Leiden vorausgesetzt.326 Zudem erfordert
grausame und unmenschliche Behandlung nicht, dass der Täter bei der Zufügung der Schäden oder
Leiden einen bestimmten Zweck verfolgt. Ebenfalls umfasst ist die Zufügung psychischer Leiden327
und schwerer Angriffe auf die Menschenwürde328. Nach einem Urteil des JStGH können z.B. psychischer Missbrauch, Erniedrigung, Belästigung und unmenschliche Gefängnisbedingungen schweres
323
JStGH, Furundzija, Urteil vom 10.12.1998, para. 162.
JStGH, Celebici, para. 470.
325
John Diamond, Blake Morrison: Pressure at Iraq Prison Detailed. USA Today unter
http://www.usatoday.cm/news/world/iraq/2004-06-17-prison-cover_x.htm
326
JStGH, Kvocka, a.a.O., para. 161.
327
Werle, a.a.O., Rn. 882 ff.
328
JStGH, Kvocka, a.a.O., para. 159.
324
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Leiden der Gefangenen verursachen.329
Insofern stellen die oben angeführten Fälle, wenn man sie partiell nicht als Folter einordnen möchte, weil sie – trotz einer Gesamtschau der Vielzahl der inhumanen Handlungen – in Teilen nicht die
erforderliche Schwere der körperlichen oder seelischen Schmerzen erreichen, jedenfalls eine grausame und unmenschliche Behandlung dar.
Entwürdigende oder erniedrigende Behandlung
Weiterhin ist auch der subsidiäre Misshandlungstatbestand der entwürdigenden und erniedrigenden
Behandlung i. S. d. § 8 I Nr. 9 VStGB einschlägig. Schutzgut ist dabei die persönliche Würde des
Menschen. Darunter fallen Handlungen, die grundsätzlich schwere Erniedrigungen und Demütigungen verursachen oder anderweitig als schwerer Angriff auf die menschliche Würde einzustufen sind.
Neben der objektiven Bewertung, was eine „vernünftige Person“ als erniedrigend, demütigend und
entwürdigend empfinden würde, müssen auch subjektive Kriterien in die Beurteilung einfließen –
einschließlich der besonderen Sensibilität des Opfers.330 Die Verursachung andauernder Leiden ist
dagegen keine Voraussetzung.331 Vom JStGH wurde beispielsweise öffentliche Nacktheit, andauernde Angst vor Misshandlungen und unmenschliche Bedingungen im Gefängnis als entwürdigende
und erniedrigende Behandlung anerkannt.332
Die Misshandlungen in Abu Ghraib sind jedenfalls als entwürdigende und erniedrigende Behandlungen i. S. d. § 8 I Nr. 9 VStGB zu qualifizieren, weil dadurch die Würde der Gefangenen verletzt und
ihr Selbstwertgefühl zerrüttelt wurde und werden sollte. Die Gefangenen – teilweise in Gegenwart
von Frauen – zu entkleiden (Vorfall 4, 5, 13, 8, 20, 34, 35, 36, 39, 40), aus ihnen menschliche
Pyramiden zu bauen (Vorfall 11), sie an der Hundeleine zu führen (Vorfall 9), wie ein Hund bellen
zu lassen (Vorfall 5) oder sie zu zwingen, auf dem Boden zu krabbeln, wobei sie sich teilweise bespucken lassen mussten (Vorfall 5, 6) etc., zielt auf eine Verletzung ihrer Würde und ihres Selbstwertgefühls und soll die amerikanische Überlegenheit demonstrieren333 . Dies umso mehr als die
Gefangenen gerade zu solchen Handlungen gezwungen wurden, die sich für Muslime als besonders
erniedrigend darstellen. Da die menschliche Würde der Gefangenen durch Unterwerfung und sexuelle Erniedrigung auch gezielt angegriffen wurde, die Erniedrigungen also vorsätzlich erfolgten,
wäre, sofern man partiell die Schwelle zu den spezielleren Tatbeständen der Folter und unmenschlichen Behandlung gem. § 8 I Nr.3 VStGB als nicht überschritten bewerten sollte, jedenfalls § 8 I
Nr. 9 VStGB erfüllt.
Abschliessend ist daher festzuhalten, die oben geschilderten Vorfälle mehrere Misshandlungstatbestände des § 8 I VStGB erfüllen, nämlich der grausamen und unmenschlichen Behandlung, insbesondere Folter, i.S.d. § 8 I Nr. 3, der sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung i.S.d Nr. 4 sowie der
entwürdigenden oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Nr. 9.
Die äusserst umfangreiche Debatte in den USA um den Einsatz von Folter und verbotenen Vernehmungsmethoden wurde bereits in ihren Grundzügen geschildert. Letzlich ist in den bisher offen
gelegten Memoranden der Versuch der Verfasser nachzuvollziehen, sowohl die Definition der Folterhandlung selbst als auch den diesbezüglichen Vorsatz in einer Weise einzuengen, die allen gängigen, Völkergewohnheitsrecht entsprechenden Definitionen internationalen Vereinbarungen,
Rechtsprechung der internationalen Gerichtshöfe und der Völkerstrafrechtsliteratur widerspricht.
Die Debatte ist daher politisch und rechtspolitisch als äußerst wichtig zu bewerten. Noch hat sich
aber der von Teilen der US-Administration propagierte Folterbegriff juristisch nicht durchgesetzt
(und wird sich hoffentlich nicht durchsetzen), so dass eine an der aktuellen Rechtslage orientierte
rechtliche Würdigung nicht näher auf diese Umdefinitionsversuche einzugehen hat.
Bestätigt wird diese rechtliche Würdigung der Vorfälle von Abu Ghraib durch nahezu sämtliche einschlägigen Berichte internationaler Institutionen und Menschenrechtsorganisationen. Statt einer
Vielzahl sei vorrangig der UN-Berichterstatter zu Folter, Theo van Boven, aus seinem aktuellen
Bericht vom 1. September 2004 an die UNGeneralversammlung zitiert. Van Boven geht in der Einleitung seines Berichtes unter anderem ausdrücklich auf einen Besuch in Guantánamo ein und verweist auf seine eigenen Presseerklärungen zu Abu Ghraib. Er weist auf die Absolutheit des Verbotes
329
JStGH, Kvocka, a.a.O., para. 164.
JStGH, Aleksovski, erstinstanzliches Urteil, para. 56.
331
JStGH, Kunarac, a.a.O., para. 507.
332
JStGH, Kvocka a. a. O. para. 170; Aleksovski a.a.O. para.184-210, Kunarac a.a. O. para.766774, Furundzija a. a. O. para. 272.
333
Vgl. Kvocka, a. a. O. para.173.
330
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von Folter, grausamer, inhumaner und entwürdigender Behandlung und Bestrafung hin, an der
auch die aktuellen Bedrohungen durch Terrorismus nichts änderte334. Keine exekutive, legislative,
administrative oder justizielle Maßnahme, die derartige Handlungen rechtfertige, könne nach internationalem Recht als rechtmäßig betrachtet werden. Jeder derartige Akt falle in die Verantwortlichkeit des Staates, der durch in offiziellen Funktionen handelnde Personen agiere. Das Argument,
dass Amtsträger so gehandelt hätten, weil Juristen oder Experten argumentiert hätten, die Handlungen seien erlaubt, sei nicht akzeptabel. Kein konkreter Umstand könne eine Verletzung des Verbotes der Folter rechtfertigen.335 Der Sonderberichterstatter habe kürzlich Meldungen über bestimmte Methoden erhalten, die eingesetzt worden sein, um Informationen von des Terrorismus
verdächtigten Personen zu erhalten. Dazu gehörten das Halten in schmerzhaften Positionen, das
Verhüllen, der Schlaf und Lichtentzug für längere Perioden, Bedrohungen mit Hunden, das Vorenthalten von Kleidung, das Nacktausziehen, das Aussetzen an extreme Temperaturen, Geräusche
und Licht. Die Rechtsprechung internationaler regionaler Menschengerichtshöfe ist einig in der Beurteilung dieser Methoden als Folter und Misshandlung, die verboten seien. Das Komitee gegen
Folter habe bereits 1997 Methoden wie das Halten in sehr schmerzhaften Positionen, das Verhüllen
unter bestimmten Umständen, das Abspielen von lauter Musik für längere Zeit, den Schlafentzug
für längere Perioden, Bedrohungen, einschließlich Drohungen mit dem Tode, das gewaltsame
Schütteln und den Gebrauch kalter Luft zur Abkühlung für Verstösse gegen Art. 16 und für Folter
im Sinne des Art. 1 der UN-Folterkonvention gehalten. Dieser Schluss liege besonders nahe, wenn
die Methoden in Kombination bei Befragungen eingesetzt würden.336 Es müsse daran erinnert werden, dass das Prinzip des Non-Refoulement in allen internationalen Menschenrechtspakten verankert sei, insbesondere in Art. 3 der UN-Folterkonvention. Keiner Vertragspartei sei es daher erlaubt, eine Person in ein Land zurückzuschieben oder auszuliefern, in der diese in die ernsthafte
Gefahr gerät, gefoltert zu werden.337
Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt
Der objektive Tatbestand des § 8 VStGB setzt voraus, dass nach dem humanitären Völkerrecht zu
schützende Personen im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt und im
zeitlichen und örtlichen Anwendungsbereich des Kriegsvölkerstrafrechts misshandelt wurden.
Bei dem „Irak-Krieg“ handelt es sich um einen internationalen bewaffneten Konflikt. Die „Allianz
der Willigen“, d.h. mehrere Staaten gemeinsam, setzten unmittelbar Waffengewalt gegen das irakische Territorium, also den völkerrechtlich geschützten Bereich des Iraks, ein.338
Bei dem „Afghanistan-Krieg“ handelt es sich um einen internationalen bewaffneten Konflikt. Basierend auf der Resolution 1368 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen setzen mehrere Staaten
gemeinsam unter Führung der USA unmittelbar Waffengewalt („Operation Enduring Freedom“)
gegen das afghanische Territorium, also den völkerrechtlich geschützten Bereich Afghanistans ein.
Zwar sollte die Kriegsgefangeneneigenschaft der Misshandelen zur Begründung des Kriegsvölkerstrafrechts ausreichen. Darüber hinaus ereigneten sich die Misshandlungen aber auch im zeitlichen
und örtlichen Anwendungsbereich des Kriegsvölkerstrafrechts. Voraussetzung dafür ist nicht notwendigerweise, dass sie am Ort und während der Kampfhandlungen geschehen, sondern dass sie
sich im funktionalen Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt ereignen.339 Zwar waren die
Kampfhandlungen zwischen den Armeen bereits beendet. Der funktionale Zusammenhang liegt
jedoch darin, dass die Täter den bewaffneten Kräften der USA als einer der Konfliktparteien angehören.340 Die Invasion in den Irak und die Besatzung schufen erst die Möglichkeiten für die Täter,
die Gefangenen zu misshandeln. Zudem wurden die Misshandlungen größtenteils begangen, um die
Gefangenen aussagebereit zu machen, also aus „professionellen“ Motiven. In der Gesetzesbegründung des VStGB wird als Beispiel für einen Fall, in dem Kriegsverbrechen selbst nach dem Ende der
Kriegshandlungen begangen werden können, die Behandlung von Kriegsgefangenen in Obhut der
Gewahrsamsmacht angeführt, gerade weil in diesem Fall die substantiellen Verhaltensvorschriften
des humanitären Völkerrechts fort gelten.341
334
Nr. 14 des Berichtes.
Nr. 15 des Berichtes.
336
Nr. 17 des Berichtes.
337
Nr. 26 des Berichtes.
338
Vgl. Ipsen, Völkerrecht, 5. Auflage 2004, § 66 Rn. 11.
339
Vgl. Werle, a.a.O., Rn. 836 f.
340
Vgl. RStGH, Urteil v. 21.05.1999, Kayishema u. Ruzindana, TC, para. 174 f
341
Gesetzesbegründung des BMJ, S. 53.
335
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Bei den Gefangenen handelt es sich um nach humanitärem Völkerrecht zu schützende Personen
i.S.d. § 8 VI VStGB. Die Insassen des Gefängnisses Abu Ghraib sind teilweise Kriegsgefangene
i.S.d. Art. 4 des III. Genfer Abkommens (GK III) , nämlich Angehörige der gegnerischen Streitkräfte, der Milizen, des Freiwilligenkorps oder Zivilisten, die freiwillig zu den Waffen gegriffen haben
und in die Hände der Feinde gelangt sind oder anderweitig geschützte Personen i.S.d. § 8 VI
VStGB. Teilweise sind sie anderweitig nach den Genfer Konventionen zu schützende Personen, insbesondere Zivilisten, die in die Hände der feindlichen Macht gefallen sind i.S.d. Art. 4 GK IV.
Es sind mehrere Misshandlungstatbestände des § 8 I VStGB erfüllt. In Betracht kommt hier grausame und unmenschliche Behandlung, insbesondere Folter, i.S.d. § 8 I Nr. 3, sexuelle Nötigung
oder Vergewaltigung iSd Nr. 4 sowie entwürdigende oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Nr. 9.
5.2 Die Tathandlungen der Beschuldigten und ihre strafrechtliche Verantwortung als Vorgesetzte
Gegen die Beschuldigten besteht zumindest ein Anfangsverdacht als Täter (Alleintäter und mittelbare Täter kraft Organisationsherrschaft) oder Teilnehmer der oben dargestellten Kriegsverbrechen
gemäß § 8 VStGB durch aktives Tun oder durch Unterlassen nach den insoweit ohne weiteres anwendbaren Vorschriften des Allgemeinen Teiles des StGB, also gemäß §§ 13, 25 Abs. 1 und 2, 26
und 27 StGB. Ein Teil der Beschuldigten ist weiterhin nach den Straftatbeständen der Vorgesetztenveranwortlichkeit im Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), §§ 4, 13 und 14 VStGB verdächtig. Es
würde den Rahmen einer Strafanzeige vollkommen sprengen, wenn man allein bezüglich der vierundvierzig im Fay/Jones-Bericht geschilderten Fälle von Gefangenenmisshandlung jeweils die Beteiligungsform der einzelnen Beschuldigten näher untersuchen würde. Es wird deswegen in Bezug auf
die einzelnen angezeigten Personen anhand der bereits vorgestellten Materialien in der gebotenen
Kürze ihre Rolle bei der Begehung der angezeigten Kriegsverbrechen dargestellt. Dies sind im wesentlichen die offiziellen Untersuchungsberichte von Generalmajor T. vom März 2004, der Mikolashek-Bericht vom Juli 2004, der Bericht der Untersuchungskommission unter Vorsitz des ehemaligen US-Verteidigungsministers James R. Schlesinger vom August 2004, der Fay/Jones-Bericht
vom 9. August 2004, der Bericht des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes vom Februar
2004, die Berichte der Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Human Rights First
sowie die wesentlichen Presseveröffentlichungen zu dem Thema, allen voran die Publikationen von
Seymour M. Hersh und Dana Priest. Die Unterlagen wurden der Strafanzeige vom 30.11.2004 als
Anlage beigefügt, es kann daher insoweit auf sie verwiesen werden.
Zur Thematik der Vorgesetztenveranwortlichkeit hat der Sachverständige Professor Jules Lobel in
dem als Anlage beigefügten Gutachten folgende Ausführungen gemacht worden, auf die wegen
ihrer grundsätzlichen Bedeutung hier bezug genommen werden soll:
Vorgesetztenveranwortlichkeit nach Völkerstrafgesetzbuch und Völkerstrafrecht
Die Verantwortlichkeit von militärischen und zivilen Vorgesetzten ist seit den Nürnberger und dem
Tokioter Kriegsverbrechertribunalen sowie den UNWCCProzessen völkergewohnheitsrechtlich anerkannt (vgl. Kai Ambos, Der allgemeine Teil des Völkerstrafrechtes, S. 666 ff, 97 ff m. w. N., Werle,
a.a.O., S. 178 ff). Die Lehre von der früher als Befehlsverantwortlichkeit („Command Responsibility“) bezeichneten Vorgesetztenverantwortlichkeit („Superior Responsibility“) wurde in der Entscheidung „In Re Yamashita“ begründet. Yamashita war ein japanischer Kommandant auf den Philippinen, der von einer US-Militärkommission 1945 zum Tode verurteilt wurde, weil er gegen zahlreiche Verbrechen seiner Truppe nicht eingeschritten war. Das Urteil wurde seinerzeit durch den
US-Supreme Court bestätigt. Das Prinzip der Vorgesetztenverantwortlichkeit ist danach durch die
internationalen Strafgerichtshöfe für Ruanda und Jugoslawien in zahlreichen Fällen bestätigt worden (vgl. Werle, a.a.o., S. 180 m.w.N. ).
Im römischen Statut des internationalen Strafgerichtshof wird die Materie in Artikel 28 wie folgt
geregelt:
„Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter
Neben anderen Gründen für die strafrechtliche Verantwortlichkeit aufgrund dieses Statuts für der
Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen gilt folgendes:
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a)
Ein militärischer Befehlshaber oder eine tatsächlich als militärischer Befehlshaber handelnde Person
ist strafrechtlich verantwortlich für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen,
die von Truppen unter seiner oder ihrer tatsächlichen Befehls- bzw. Führungsgewalt und Kontrolle
als Folge seines oder ihres Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über
diese Truppen auszuüben, wenn
i)
der betreffende militärische Befehlshaber oder die betreffende Person wusste oder aufgrund der zu
der Zeit gegebenen Umstände hätte wissen müssen, dass die Truppen diese Verbrechen begingen
oder zu begehen im Begriff waren, und
ii)
der betreffende militärische Befehlshaber oder die betreffende Person nicht alle in seiner Macht
oder ihrer Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriff, um ihre Begehung zu verhindern oder zu unterbinden oder die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur
Untersuchung und Strafverfolgung vorzulegen.“
Aufgrund des verfassungsrechtlich abgesicherten Schuldprinzips im deutschen Strafrecht regelt das
Völkerstrafgesetzbuch die Vorgesetztenverantwortlichkeit abweichend vom IStGH-Statut in drei
verschiedenen Normen, nämlich § 4, § 13 und § 14 VStGB. Die für die nachfolgenden rechtlichen
Erwägungen wichtigste Vorschrift des § 4 VStGB lautet wie folgt:
„Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter
Absatz 1:
Ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen
daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, wird wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat bestraft. § 13 Abs. 2 des StGB findet in diesem Fall keine Anwendung.
Absatz 2:
Einem militärischen Befehlshaber steht eine Person gleich, die in einer Truppe tatsächliche Befehlsoder Führungsgewalt und Kontrolle ausübt. Einem zivilen Vorgesetzten steht eine Person gleich, die
in einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle
ausübt.“
Im einzelnen setzt die Strafbarkeit nach § 4 VStGB ein Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis, ein
durch den Untergebenen begangenes Völkerrechtsverbrechen als Folge der Aufsichtsverletzung, die
Kenntnis dieses Völkerrechtsverbrechen sowie schließlich das Unterlassen der gebotenen Maßnahmen durch den Vorgesetzten voraus.
Das Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis erfordert bei militärischen Befehlshabern, dass sie innerhalb eines militärischen Verbandes Befehlsgewalt („command“) inne haben (vgl. Werle, a.a.O.,
S. 181 ff, Ambos, a.a.O., S. 673 ff). Entscheidend ist jedoch nicht die formale Befehlsgewalt.
„Vielmehr kann eine Einstufung als Vorgesetzter immer unter Berücksichtigung der tatsächlichen
Befehls- und Weisungsverhältnisse im konkreten Fall begründet werden“ (vgl. Werle, a.a.O.). Für
zivile bzw. nicht militärische Vorgesetzte ist kennzeichnend, dass sie effektive Kontrollmöglichkeiten über Personen ausüben. Ambos spricht von tatsächlicher Führungsgewalt und Kontrolle.
Die Voraussetzung des Grundverbrechens erfordert ein in Folge des Versäumnisses des Vorgesetzten begangenes Völkerrechtsverbrechen.
Der Vorgesetzte macht sich dann nach § 4 VStGB strafbar, wenn er die erforderlichen und angemessenen Maßnahmen unterlässt. Er muss über die tatsächlichen Möglichkeiten verfügen, das Völkerrechtsverbrechen zu verhindern oder Strafverfolgungsmaßnahmen einzuleiten. Weiterhin sind
die erforderlichen und angemessenen Gegenmaßnahmen durch ihn zu ergreifen.
Während es für eine Strafbarkeit nach Art. 28 IStGH genügt, dass der Vorgesetzte die Verbrechen
seiner Untergebenen hätte kennen müssen, setzt § 4 VStGB Vorsatz, also mindestens in Form des
dolus eventualis, voraus.
Im Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen vom 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) ist in Art. 86 Abs. 2 die strafrechtliche bzw. disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit eines Vorgesetzten für den Fall vorgesehen, wenn diese „wussten
oder unter den gegebenen Umständen aufgrund der ihnen vorliegenden Informationen darauf
schließen konnten, dass der Untergebene eine solche Verletzung beging oder begehen würde, und
wenn sie nicht alle in ihrer Macht stehenden, praktisch möglichen Maßnahmen getroffen haben, um
die Verletzung zu verhindern oder zu ahnden“.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Es ist daher nach Völkergewohnheitsrecht vollkommen unstreitig, dass sich Vorgesetzte unter den
genannten Voraussetzungen selbst strafbar machen, wenn ihre Untergebenen Kriegsverbrechen
begehen.
Die Würdigung der Rolle der Beschuldigten ist insoweit eine vorläufige, als dass sie nur auf die
bisher veröffentlichten Materialien zurückgreifen kann und wesentliche Informationen bisher der
Öffentlichkeit vorenthalten wurden. Völkerrechtsverbrechen342 werden typischerweise nicht durch
eine Einzelhandlung einer einzelnen Person, sondern durch eine Vielzahl von Einzelakten einer Vielzahl von Personen begangen. Die Verbrechenstatbestände des VStGB beschreiben ganze Tatkomplexe, die sich aus vielen einzelnen Tathandlungen zusammensetzen und meist über einen längeren Zeitraum hinweg begangen werden. Diese Komplexität kann sich nicht nur in der Verwirklichung einer Vielzahl von Tatbeständen des Besonderen Teils, sondern auch in der Verwirklichung
unterschiedlicher Formen der Beteiligung niederschlagen. Die folgende Darstellung der Strafbarkeit
der Beschuldigten kann daher zum jetzigen Zeitpunkt keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
Es soll daher zunächst auch zu der Frage der Konkurrenzen keine Stellung genommen werden. Es
geht um nicht mehr und nicht weniger als die fundierte Begründung des Anfangsverdacht gegen
die hier Beschuldigten.
Die Strafanzeige ist ausdrücklich gegen die namentlich genannten Beschuldigten gerichtet. Darüber
hinaus richtet sie sich gegen alle weiteren namentlich benannten und nicht benannten Beteiligten
an den geschilderten Straftaten. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass neben den Benannten viele weitere Personen an der Ausarbeitung der Memoranden und an den Anweisungen
zum Einsatz von Verhörtechniken mitgewirkt haben, die im Rechtssinne als Kriegsverbrechen und
Folter zu qualifizieren sind. Die von den Anzeigenerstattern getroffene Auswahl der Beschuldigten
ist vorläufig und versteht sich als nicht abschließend. Denn die bisherigen Untersuchungen haben
nur einen Teil der zwischen den verschiedenen Entscheidungsträgern zirkulierenden Memoranden
und nur einen Bruchteil der schriftlich oder mündlich erteilten Befehle zu Tage gefördert, die für die
Vorfälle in Abu Ghraib relevant sind. Es bleibt daher weiterer Vortrag sowohl zu den namentlich
bezeichneten Beschuldigten als auch zu weiteren Personen vorbehalten.
5.2.1. Zusammenfassende rechtliche Würdigung der Tathandlungen der Beschuldigten
Der Beschuldigte D.R. hat sich der Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft
kraft Organisationsherrschaft gem. §§ 8 VStGB, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht, in dem er
am 02. Dezember 2002 und in dem Zeitraum davor die Anwendung von illegalen Verhörmethoden
gegenüber von Gefangenen auf Guantánamo anordnete und persönlich ständig die grausame und
unmenschliche Behandlung des Geschädigten M.Q. beaufsichtigte.
Der Beschuldigte D.R. hat sich außerdem der Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gem. §§ 8 VStGB, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht,
in dem er als Verteidigungsminister dafür verantwortlich war, dass die in Guantánamo praktizierten
illegalen Vernehmungsmethoden auch bei Verhören von Kriegsgefangenen, die im irakischen Gefängnis Abu Ghraib inhaftiert waren, angewendet wurden.
Darüber hinaus ist der Beschuldigte D.R. zumindest aufgrund seiner Verantwortlichkeit als militärischer Befehlshaber gem. § 4 Abs. 1 VStGB strafbar, da er spätestens seit Mitte Januar 2002 von
der Begehung von Kriegsverbrechen Kenntnis erlangte, aber nichts dagegen unternahm, obwohl er
die Möglichkeit dazu hatte.
Der Beschuldigte G.T. hat sich als damaliger Chef der Central Intelligence Agency (CIA) der Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gem. §§ 8
VStGB, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht, da er die Begehung von Kriegsverbrechen durch
seine Untergebenen in der CIA angeordnet, betrieben, veranlasst, unterstützt, angestiftet und auch
offensichtlich entschuldigt hat.
Der Beschuldigte G.T. ist persönlich verantwortlich für Verstöße gegen § 8 VStGB im Rahmen einer
mittelbaren Täterschaft kraft Organisationshoheit. G.T. autorisierte Programme, innerhalb derer
CIA- Agenten Menschen rechtswidrig einsperrten, gewaltsam transferierten, folterten und in Einzelfällen sogar töteten. Die Autorisierung und Anweisung von Untergebenen, an derartigen Kriegsverbrechen teilzunehmen, stellt ihrerseits ein Kriegsverbrechen dar. Daneben ist er in mindestens
einem belegbaren Fall für die Verwahrung eines so genannten Geistergefangenen persönlich täter342
siehe dazu auch Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 505
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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schaftlich verantwortlich, § 8 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 6 VStGB.
Darüber hinaus ist der Beschuldigte G.T. gem. § 4 Abs. 1 VStGB zumindest aufgrund seiner Verantwortlichkeit als militärischer Befehlshaber strafbar, da er spätestens seit Mitte des Sommers
2003 von der Begehung von Kriegsverbrechen in Abu Ghraib Kenntnis erlangte, aber nichts dagegen unternahm, obwohl er als Chef der CIA die Möglichkeit dazu hatte.
Der Beschuldigte S.C. hat sich der Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft
kraft Organisationsherrschaft gem. §§ 8 VStGB, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht, in dem er
als Koordinator der geheimdienstlichen Aktivitäten im Verteidigungsministerium für die Organisation und Überwachung von Nachrichtenbeschaffungen im Irak verantwortlich war. Autorisiert von
dem Beschuldigten D.R. beauftragte der Beschuldigte S.C. den Beschuldigten G.M., die von diesem
in Guantánamo erprobten illegalen Verhörmethoden auch im Irak einzuführen.
Unabhängig von seiner Verantwortlichkeit als mittelbarer Täter ist der Beschuldigte auch gem. § 4
Abs. 2 VStGB als ziviler Vorgesetzter verantwortlich, da er es unterlassen, Kriegsverbrechen gegen
Personen gem. § 8 VStGB, die von seinen Untergebenen begangen wurden, zu unterbinden, obwohl ihm die dazu nötigen Möglichkeiten zur Verfügung standen. Für diese Handlungen und Versäumnisse hat er sich als mittelbarer Täter kraft Organisationsherrschaft und als verantwortlicher
Vorgesetzter für Verbrechen und Vergehen gemäß §§ 4, 8 VStGB, § 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB und
subsidiär nach §§ 13, 14 VStGB zu verantworten.
Der Beschuldigte R.S. hat sich als Kommandeur der Combined Joint Task Force Seven (CJTF-7) der
Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gem. §§
8 VStGB, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht, da er im Herbst 2003 die Anwendung grausamer
und unmenschlicher Verhörtechniken gegenüber Kriegsgefangenen im Irak autorisierte.
Der Beschuldigte ist außerdem der Kriegsverbrechen gegen Personen in Mittäterschaft gem. §§ 8
VStGB, 25 Abs. 2 StGB strafbar, da er als Oberkommandierender bei einer nicht genau bezifferbaren Anzahl von Verhören in Abu Ghraib, in dessen Rahmen es auch zu Misshandlungen der Gefangenen kam, anwesend war.
Darüber hinaus ist der Beschuldigte R.S. gem. § 4 Abs. 1 VStGB zumindest aufgrund seiner Verantwortlichkeit als militärischer Befehlshaber strafbar, da er durch seine ständigen Besuche in Abu
Ghraib Kenntnis von den dort begangenen Kriegsverbrechen erlangte, aber nicht seine ihm als
Kommandeur zustehenden Befugnisse einsetzte, um deren Begehung für die Zukunft zu unterbinden. Weiterhin ist er für subsidiär nach den §§ 13, 14 VStGB verantwortlich zu machen.
Der Beschuldigte G.M. hat sich der Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft
kraft Organisationsherrschaft gem. §§ 8 VStGB, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht. Er war
vom November 2002 bis April 2004 Kommandeur der Joint Task Force Guantánamo und ab August
2003 stellvertretender kommandierender General im Irak. Er war zuständig für sämtliche inhaftierten Personen im Irak. In dieser Position organisierte er die Einführung der von ihm erstellten und
unter seiner Leitung in Guantánamo erprobten taktischen Richtlinien und schuf die organisatorischen und räumlichen Voraussetzungen für Verhöre in Abu Ghraib.
Generalmajor G.M. ist direkt für Verstöße gegen § 8 VStGB verantwortlich, weil er persönlich gesetzeswidrige Verhörtechniken nicht nur zuließ, sondern seine Untergebenen zur Begehung dieser
Kriegsverbrechen explizit anwies, sie dabei unterstützte und dazu anstiftete. Er ist auch als militärischer Kommandeur gemäß § 4 VStGB für das Versäumnis zur Verantwortung zu ziehen, Kriegsverbrechen seiner Untergebenen in Guantánamo und Abu Ghraib, von denen er wusste, dass sie fortwährend verübt wurden oder verübt werden sollten, nicht verhindert zu haben.
Der Beschuldigte G.M. hat sich zudem wegen der zu den vorstehenden Taten in Subsidiarität stehenden Verstöße nach den §§ 13 und 14 VStGB strafbar gemacht. Denn es lässt sich belegen, dass
er es versäumte, die unter seinem Kommando stehenden Personen genügend zu überwachen und
die Kriegsverbrechen, von denen er wusste, an die entsprechenden Stellen zu melden.
Der Beschuldigte W.W. war als stellvertretender kommandierender Generalmajor der Combined
Task Force Seven (CJTF-7) verantwortlich für den Haftbetrieb im Irak. Er hat unmittelbar die Anwendung von grausamen und unmenschlichen Verhörpraktiken autorisiert und sich damit der
Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gemäß §
8 VStGB, § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB und subsidiär wegen Vergehen gem. §§ 13, 14 VStGB strafbar
gemacht.
Der Beschuldigte W.W. ist weiterhin gem. § 4 Abs. 1 VStGB strafbar, da er spätestens seit Novem-
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ber 2003 Kenntnis von den in Abu Ghraib begangenen Kriegsverbrechen gegen Personen gem. § 8
VStGB erlangte, aber nicht seine ihm als stellvertretenden kommandierenden General zustehenden
Befugnisse einsetzte, um deren Begehung für die Zukunft zu unterbinden.
Der Beschuldigte T.P. ist verdächtig, Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft
kraft Organisationsherrschaft gem. §§ 8 VStGB, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB als Kommandeur der Schutzund Sicherheitskräfte von Abu Ghraib begangen zu haben, in dessen Funktion er vom 19. November 2003 – 6. Februar 2003 die taktische Kontrolle über das Gefängnis übernahm und u. a. persönlich die Anwendung bestimmter grausamer und unmenschlicher Verhörpraktiken anordnete.
T.P. ist direkt verantwortlich für Verbrechen nach den §§ 8, 4 VStGB sowie subsidiär nach den §§
13, 14 VStGB, da er die Begehung von Kriegsverbrechen durch seine Untergebenen in der CIA angeordnet, betrieben, veranlasst, unterstützt, angestiftet, offensichtlich entschuldigt und zumindest
nicht untersagt und gemeldet hat.
Sowohl die aktive Beteiligung (wie etwa im Fall J.) als auch die wiederholten Versäumnisse seiner
Verantwortung als Vorgesetzter führten zur fortdauernden Begehung von Kriegsverbrechen, die
unter § 8 bzw. §§ 4, 8 VStGB fallen.
Subsidiär sind seine Handlungen als strafbares Unterlassen im Rahmen der §§ 13, 14 VStGB einzustufen. Denn es lässt sich belegen, dass er es versäumte, die unter seinem Kommando Stehenden
genügend überwacht zu haben und die Kriegsverbrechen, von denen er wusste, an die entsprechenden Stellen zu melden.
Der Beschuldigte T.P. hat es unterlassen, seine Untergebenen an der Begehung von Kriegsverbrechen zu hindern, und hat sich damit zumindest gem. § 4 VStGB strafbar gemacht.
Die Beschuldigte B.F. war als Senior Intelligence Officer Mitglied des Combined Joint Task Force
Seven (CJTF-7) und Mitglied des Detainee Release Board und aufgrund dieser Funktionen verdächtig, sich als Vorgesetzte gem. § 4 Abs. 1 VStGB strafbar gemacht zu haben, da sie es unterlassen
hat, Kriegsverbrechen gegen Personen gem. § 8 VStGB, die von ihren Untergebenen begangen
wurde, zu verhindern, obwohl sie aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung die Möglichkeit dazu
hatte.
Sie ist direkt für Verstöße gegen § 8 Abs. 3 Nr. 1 VStGB verantwortlich, weil sie persönlich dafür
sorgte, dass Personen, die unter § 8 Abs. 6 VStGB fallen, trotz zwingender Entlassungsgründe,
inhaftiert blieben und ferner andere zu diesen Kriegsverbrechen explizit anwies, sie dabei unterstützte und dazu anstiftete. Sie ist auch als Vorgesetzte gemäß § 4 VStGB für das Versäumnis zur
Verantwortung zu ziehen, Kriegsverbrechen ihrer Untergebenen in Abu Ghraib, von denen sie
wusste, dass sie fortwährend verübt wurden oder verübt werden sollten, nicht verhindert zu haben.
Subsidiär zu den vorstehend identifizierten Straftaten ist die Beschuldigte B.F. auch nach den §§ 13
und 14 VStGB strafbar. Denn es lässt sich belegen, dass sie es zumindest versäumte, die unter
ihrem Kommando stehenden Personen genügend zu überwachen und insbesondere die Kriegsverbrechen, von denen sie wusste, an die entsprechenden Stellen zu melden.
Der Beschuldigte M.W. ist verdächtig, während seiner Mitgliedschaft im Combined Joint Task Force
Seven (CJTF-7), in dessen Rahmen er die Funktion des Staff Judge Advocate ausübte, Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gem. §§ 8 VStGB,
25 Abs. 1 Alt. 2 StGB begangen zu haben, da der Beschuldigte persönlich dafür verantwortlich war,
die Anwendung von grausamen und unmenschlichen Verhörtechniken im Einzelfall zu autorisieren.
Der Beschuldigte M.W., hat sich außerdem zumindest gemäß § 4 Abs. 1 VStGB als Vorgesetzter
strafbar gemacht, da er spätestens im November 2003 von der Begehung von Kriegsverbrechen
gegen Personen gem. § 8 VStGB in Abu Ghraib Kenntnis erlangte, aber es unterließ, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Begehung weiterer Straftaten seiner Untergebenen zu verhindern.
Der Beschuldigte M.W., hat sich darüber hinaus zumindest der Beihilfe zu Kriegsverbrechen gegen
Personen gem. §§ 8 VStGB, 27 StGB strafbar gemacht, in dem er an der Erstellung einer Liste von
grausamen und unmenschlichen Verhörtechniken, die zur Anwendung in Abu Ghraib bestimmt waren, beteiligt war.
Er hat sich nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 VStGB strafbar gemacht wegen ungesetzlichem Festhalten von
Gefangenen bzw. ungerechtfertigtem Verzögern der Rückführung von nach § 8 Abs. 6 VStGB geschützten Personen. Denn als General Officer in der Vorprüfungsinstanz zur Beurteilung der Gefan-
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genen hatte er die Befugnis, aus Sicherheitsgründen verwahrte Personen freizulassen, gegen die
keine Sicherheitsbedenken mehr bestanden und die nicht (mehr) von irgendeinem nachrichtendienstlichen Wert waren.
Der Beschuldigte A.G. hat als damaliger Rechtsberater des Weißen Hauses die Erstellung des Folter-Gutachtens in Auftrag gegeben, dieses nach Fertigstellung an die entscheidenden Stellen in der
CIA weitergegeben und sich dadurch als mittelbarer Täter kraft Organisationsherrschaft gemäß § 8
VStGB, § 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB der Kriegsverbrechen gegen Personen strafbar gemacht.
Der Beschuldigte W.H. hat sich als damaliger General Counsel im Verteidigungsministerium als
mittelbarer Täter kraft Organisationsherrschaft gemäß § 8 VStGB, § 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB der
Kriegsverbrechen gegen Personen strafbar gemacht. Dokumentiertes Einzelschicksal ist dabei dasjenige des Gefangenen M.Q., da der Beschuldigte mit Datum 27.11.2002 ein Kurzgutachten für den
Beschuldigten D.R. erstellte, dass die Rechtmäßigkeit der Anwendung bestimmter unmenschlicher
und grausamer Verhörmethoden behauptete, woraufhin der Beschuldigte D.R. den Einsatz eben
dieser Verhörmethoden gegenüber M.Q. anordnen konnte. Der Beschuldigte W.H. hat sich darüber
hinaus Kriegsverbrechen gegen Personen gemäß § 8 VStGB zu schulden kommen lassen, in dem er
das von dem Beschuldigten J.Y. erstellte und vom Beschuldigten J.B. autorisierte Folter-Gutachten
als Grundlage für die Erstellung eines Leitfadens für die Durchführung von Verhören von Kriegsgefangenen im Irak in der Administration und beim Militär durchsetzte.
Der Beschuldigte D.A. hat sich als mittelbarer Täter kraft Organisationsherrschaft gemäß § 8
VStGB, § 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB der Kriegsverbrechen gegen Personen strafbar gemacht, da er als
Chief Councel und später Chief of Staff des Vize-Präsidenten R.C. maßgeblich an der Formulierung
und inneradministrativen Durchsetzung jener Rechtsauffassung beteiligt war, derzufolge grausame
und unmenschliche Behandlung und Folter nicht dem nationalen Recht der USA und dem Völkerrecht widersprechen sollen und nicht als Straftaten verfolgbar sind, wenn sie auf Anweisung des
Präsidenten erfolgen. Von den Beschuldigten D.A. mit dieser juristischen Absicherung ausgestattet
legten andere Täter Hand an ihre Opfer.
Der Beschuldigte J.Y. hat sich gemäß §§ 8 VStGB, 27 StGB der Beihilfe zu Kriegsverbrechen gegen
Personen strafbar gemacht.
Der Beschuldigte J.B., Assistant Attorney General des Office of Legal Counsel, hat sich ebenfalls
gemäß §§ 8 VStGB, 27 StGB der Beihilfe zu Kriegsverbrechen gegen Personen strafbar gemacht.
Aufgrund der Immunität, die US-Präsident G.W.B. zur Zeit noch genießt, soll sich die vorliegende
Strafanzeige nicht gegen ihn richten. Dennoch seien nachfolgend in Kürze Ausführungen zu einem
gegen G.W.B. bestehenden Anfangsverdacht wegen Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch
gemacht.
G.W.B. ist gegenwärtig der Präsident der Vereinigten Staaten und in dieser Funktion zugleich auch
der Oberbefehlshaber der US-amerikanischen Armee.
Eine Vielzahl von Indizien sprechen dafür, dass G.W.B. neben seinem Vize-Päsidenten R.C. und
seinem ehemaligen Verteidigungsminister D.R. eine entscheidende Rolle bei der systematischen
Durchsetzung von Folter als Vernehmungsmethode spielte. Nicht zuletzt war er es, der bestimmte
Präsidentenorder unterzeichnete. In seiner Rede vom 6. September 2006 räumte G.W.B. erstmals
öffentlich einen Teil der Vorwürfe ein. Er sagte, dass „unsere Regierung ihre Taktiken geändert hat“
und gab zu „alternative Behandlungsverfahren“ autorisiert zu haben und zwar bezogen auf Personen, die vom CIA gefangen gehalten worden, während er die genehmigten Techniken nicht weiter
erläuterte.343 In seiner Rede brachte G.W.B. auch die Angst zum Ausdruck, dass Mitglieder des USArmee, die Folterverdacht ausgesetzt sind, wegen Kriegsverbrechen verfolgt werden: „einige glauben, dass unser Militär und Geheimdienstpersonal, das in die Gefangennahme und Befragung von
Häftlingen involviert war, nun der Gefahr der Verfolgung wegen Kriegsverbrechen ausgesetzt ist,
einfach dafür, dass sie ihre Arbeit in professioneller Weise getan haben“ und betonte, dass er nicht
zulassen würde, dass dies geschähe. Dies würde eine komplette Immunität vor strafrechtlicher
Verfolgung für jeden Angehörigen der US-Armee bedeuten, der Häftlinge mißhandelte.
Als der höchstrangige zivile Befehlshaber der US-amerikanischen Streitkräfte ist G.W.B. zumindest
im Rahmen der Vorgesetztenverantwortlichkeit für die Kriegsverbrechen seiner Untergebenen verantwortlich, da er gewußt hat oder hätte wissen können, dass Verbrechen begangen wurde oder
würde und es versäumt hat, die notwendigen Schritte zur Verbrechensverhinderung oder Bestra343
Im Internet unter http://www.whitehouse.gov/news/releases/2006/09/20060906-3.html.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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fung zu unternehmen.
Ähnliches wie für Präsident G.W.B. gilt für R.C., den Vize-Präsident der Vereinigten Staaten von
Amerika. So berichten viele Journalisten, daß R.C. und nicht der Präsident, die Politik des Weißen
Hauses kontrolliert.344 L.W., der ehemalige chief-of-staff for the Secretary of State, sagte, dass
R.C. sich bewußt und verantwortlich für Zulassen von Folter und Häftlingsmißbrauch einsetzte.345
In einem Interview mit NPR sagte L.W., dass eine “erkennbare Spur” von Praktiken der Häftlingsmißhandlungen durch US-Soldaten direkt zu Vize-Präsident R.C. führt.346
Er vertrat agressive Vernehmungsmethoden öffentlich. Im Jahr 2001 sagte R.C. in einem Interview
„Meet the Press“, daß die Regierung möglicherweise die „dunkle Seite“ in der Behandlung verdächtiger Terroristen betreten muß, daß „ es lebenswichtig für uns ist, jedes uns zur Verfügung stehende Mittel zu nutzen“ und daß „wir klar machen müssen, daß wir nicht die Hände unserer Geheimdienste fesseln.347 Weiterhin plädiert R.C. für eine “harte Behandlung“ von Gefangenen.348
Sein Rechtsberater, der Beschuldigte D.A. spielte eine maßgebliche Rolle bei der Durchsetzung des
Folterprogrammes. So traf sich D.A. mehrfach mit den Beschuldigten A.G. und dem Rechtsberater
des Verteidungsministeriums W.H. und diskutierte spezielle Verhörmethoden, die die dann als akzeptabel erachteten, einschließlich „waterboarding“.349 D.A., R.C.s Rechtsberater entwarf das Memorandum vom 25. Januar 2002, das die Folter verdächtiger Subjekte erlaubte.350
5.2.2. Die Tathandlungen der angezeigten Personen
1. Der Beschuldigte D.R.
Der Beschuldigte D.R. hat unmittelbar persönlich und als Befehlshaber über das US-Militär als Vorgesetzter in mittelbarer Täterschaft und in Verantwortung für seine Untergebenen durch Unterlassen Kriegsverbrechen nach internationalem Recht und nach dem VStGB begangen. Die nachfolgenden Darlegungen stellen nur einen Ausschnitt der strafbaren Handlungen des Beschuldigten dar
und sollen und können eine abschließende Betrachtungsweise nicht begründen. Aus ihnen ergeben
sich eindeutige, konkrete und zureichende Anhaltspunkte für die Begründung zumindest eines Anfangsverdachtes, § 152 Abs. 2 StPO, und damit für eine zwingende Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird bezüglich weiterer Einzelheiten auf die Sachverhaltsschilderung unter 4.1. der Anzeige verwiesen.
Person und Kompetenzbereich
Der 1932 in Chicago, Illinois, geborene Beschuldigte D.R. ist seit 2000 Verteidigungsminister in der
Regierung von Präsident G.W.B. und ist am 08.11.2006 zurückgetreten. Zuvor hatte er bereits
verschiedene Regierungsfunktionen unter verschiedenen Präsidenten ausgeübt. So war er ab 1969
Berater unter Präsident Nixon, ab 1973 NATO-Botschafter in Brüssel, von 1975 bis 1977 Verteidigungsminister unter Präsident Gerald Ford. Danach wechselte er als Chef des Pharmaunternehmens Searle & Company in die Privatwirtschaft.
Als US-Verteidigungsminister war D.R. nach Präsident G.W.B. der zweithöchste zivile Befehlshaber
über das US-Militär. Er konnte sowohl im Allgemeinen als auch im konkreten Einzelfall spezifische
344
See, e.g., Editorial, Mr. Cheney's Imperial Presidency, NY Times, Dec. 23, 2005; Robert Kuttner,
The Cheney Presidency, The Boston Globe, Aug. 26, 2006.
345
CNN, Powell Aide: Torture ‘guidance from VP, Nov. 20, 2006, available at
http://www.cnn.com/2005/US/11/20/torture/; Steven R. Weisman, Ex-Powell Aide Moves From
Insider to Apostate, The New York Times, Dec. 24, 2005.
346
http://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=4987598
347
NBC News, “Meet the Press,” Sept. 16, 2001, available at
http://www.freerepublic.com/focus/fnews/525111/posts.
348
CNN, Cheney: Terror Suspects Deserve Harsh Treatment, Sept. 19, 2006, available at
http://www.cnn.com/CNN/Programs/situation.room/blog/2006/09/cheney-terror-suspectsdeserve-harsh.html.
349
Michael Hirsh, John Barry & Daniel Klaidman, A Tortured Debate, Newsweek, June 21, 2006,
available at http://www.msnbc.msn.com/id/5197853/site/newsweek/.
350
Dana Milbank, In Cheney’s Shadow, Counsel Pushes the Conservative Clause, Washington Post,
Oct. 11, 2004, available at http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/articles/A226652004Oct10.html.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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und verbindliche Anweisungen zu Inhaftierungen, Vernehmungen und letztlich Folterungen erteilen.
Es lag zudem in seiner ministeriellen Verantwortung, sicherzustellen, dass alle militärischen und
zivilen Mitarbeiter sich innerhalb des gesetzlichen und kriegsvölkerrechtlichen Rahmen bewegen.
Der Beschuldigte wurde durch die Militärdirektive des Präsidenten G.W.B. vom 13. November 2001
mit dem Titel „Haft, Behandlung und Verfahren für bestimmte Nicht- Staatsbürger im Krieg gegen
den Terrorismus" („Detention, Treatment and Trial of Certain Non-Citizens in the War Against Terrorism“) dazu autorisiert, „Individuen unter von ihm vorgeschriebenen Bedingungen festzuhalten
und entsprechende, dafür benötigte Befehle und Regeln zu erlassen.“351
Es oblag dem Beschuldigten D.R., die Beachtung des nationalen und internationalen Rechts in seinem Verantwortungsbereich sicherzustellen. Die Direktive 2310.1 des US-Verteidigungsministeriums, das Programm des US-Verteidigungsministeriums für Kriegsgefangene und andere
Häftlinge und Art 5100.77 des Gesetzes über das Kriegsprogramm des Verteidigungsministeriums
schreiben vor, dass die Angehörigen der US-Streitkräfte mit den Prinzipien, dem Geist und der
Absicht mit dem humanitären Völkerrecht übereinstimmen müssen, dass das USVerteidigungsministerium die Verpflichtungen desselben beachtet und durchsetzt, das Personal die
sich daraus ergebenden Pflichten kennt und Vorfälle sofort meldet, die humanitäres Völkerrecht
verletzen und dass diese Vorfälle gründlich untersucht werden.352
Vorwerfbares Verhalten
Der Beschuldigte D.R. hat in kontinuierlicher Weise als Kriegsverbrechen einzustufende Verhaltensweisen in die militärische und abwehrdienstliche Arbeitsweise eingeführt und diese letztlich
nicht nur als ziviler Befehlshaber nicht unterbunden, sondern aktiv gefördert und im Einzelfall täterschaftlich persönlich angeordnet und kontrolliert.
Zwar erkennen auch die US-Streitkräfte grundsätzlich die Standards des Kriegsvölkerrechts an und
verfügen über einen entsprechenden Apparat von Dienstanweisungen und Kontrollmechanismen.
Das Armee-Feldhandbuch FM 34-52 (Army Field Manual 34-52) mit seiner Liste von siebzehn zugelassenen Verhörmethoden ist seit langem das Standardwerk für Verhöre innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des US-Verteidigungsministeriums.
Das Weiße Haus hat – wie oben (unter 4.1.) näher dargestellt – eine Serie von Memoranden in
Auftrag gegeben, die bestimmte Verhörstechniken darstellen, welche von dem Beschuldigten D.R.
zum Gebrauch zugelassen worden sind. D.R. hat angeordnet, dass diese sowohl völkerrechtlich als
auch nationalen illegal einzustufenden Techniken bei Gefangenen angewandt wurden.353
Der erste bekannt gewordene Fall eines Terrorismus-Verdächtigen, bei dem die G.W.B.Administration die rechtlichen Grenzen überschritt, um an Informationen zu gelangen, ist der Fall
von J.W.L.. Als der 20-jährige, zum Islam konvertierte US-Amerikaner im Dezember 2001 in Afghanistan verhaftet wurde, wurde er nackt ausgezogen, mit Klebeband gefesselt und auf einer
Trage festgebunden. US-amerikanische Soldaten nahmen Fotos von ihm auf, die später in der Öffentlichkeit verbreitet wurden. Sie bedrohten ihn mit dem Tod durch Hängen und erzählten ihm,
dass diese Bilder später dazu dienen sollten, Geld für eine christliche Organisation zu sammeln.
Ihm wurde tagelang der Schlaf sowie Nahrung entzogen, seine Schussverletzung am Fuss wurde
zunächst nicht behandelt. Aus den später in den USA von seinem Verteidiger veröffentlichten Dokumenten des Justizministeriums geht hervor, dass der Kommandeur der Basis, auf der J.W.L.
gefangen genommen wurde, vom Rechtsberater des Verteidigungsministeriums, dem Beschuldigten W.H. autorisiert worden war „die (Samt-, Anmerkung WK) Handschuhe während J.W.L.s Befragung abzunehmen“ („to take the gloves off“).354 Unbestätigten Berichten zufolge soll D.R. den
mündlichen Befehl zur in vielfacher Hinsicht illegalen Behandlung von J.W.L. erteilt und W.H. diesen weitergegeben haben.
Nachdem am 16. Januar 2002 die ersten verdächtigen Al Quaida- und Taliban-Gefangenen auf dem
US-amerikanischen Militärstützpunkt in Guantánamo Bay auf Kuba eintrafen, begann eine intensive
Auseinandersetzung über ihre Behandlung. Am 19. Januar 2002 informierte der ehemalige Verteidigungsminister der USA, der Beschuldigte D.R., den Chef der Vereinigten Streitkräfte, R.M., dass
351
Siehe dazu den Fay-Jones-Bericht, a.a.O., S. 29f.
Fay-Jones-Bericht, a.a.aO., S. 20.
353
Human Rights First, a.a.O., S. 16.
354
Vgl. Human Rights Watch, a.a.O., S. 57, Hersh, a.a.O., S. 4; Richard Serrano: Prison Interrogators’ Gloves Off Before Abu Ghraib. The Los Angeles Times vom 22. Juni 2004.
352
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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die inhaftierten Al Quaida- und Taliban-Mitglieder keinen Kriegsgefangenenstatus gemäß den Genfer-Konventionen erhalten sollen. Diese bewusste Suspendierung bindenden internationalen Rechts
durch die Verantwortlichen in der US-Regierung brachte der Beschuldigte selbstbewusst zum Ausdruck, als er verlauten ließ, die Regierung würde die Gefangenen „größtenteils in einer Art behandeln, die sich einigermaßen in Übereinstimmung mit den Genfer Konventionen befindet, und zwar
in dem Ausmaße, wie es angemessen sei (to the extent appropriate).” Auch am 7. Februar 2002
relativierte D.R. öffentlich die Einhaltung der Genfer Konventionen in Hinsicht auf die seinerzeitigen
US-Militäroperationen: „Es ist eine Tatsache, dass die Umstände, die heute mit Al-Qaida und den
Taliban existieren, nicht notwendigerweise denjenigen entsprechen, die existierten, als die Genfer
Konvention beschlossen wurde.”355
Mit der Ausarbeitung des so genannten Folter-Memorandums vom 1. August 2002, auf das unten
ausführlich bei der Erörterung der Rolle der Beschuldigten J.Y. und J.B. eingegangen wird, wurden
der Leiter des beauftragten Office of Legal Counsel J.B. und der damalige Deputy Assistant Attorney General J.Y. beauftragt. J.Y., der von der besonderen Verbindlichkeit seiner Memoranden für
die US-Exekutive ausging,356 kannte die Diskussion um erfolglose Verhörmethoden und wusste,
dass die Exekutive und die politische Führung härtere Verhörmethoden wünschten.
Er machte sich in dem schließlich von J.B. für das OLC unterschriebenen Folter-Memorandum daran, den Folterbegriff in den Sektionen 2340-2340A des 18 Titel umfassenden US-Codes einer eigenen historischen und lexikalischen Wortlautauslegung zu unterziehen. So kam er für die Beantwortung der an das OLC herangetragenen Frage zu dem Ergebnis, die Strafvorschrift zur Ahndung
von Folter nach 18 U.S.C. Sec 2340-2340A sei auf die diskutierten härteren Verhörsmethoden nicht
anwendbar, weil diese nicht als Folter im Sinne des Gesetzes anzusehen seien. Auf das gewohnheitsrechtlich verankerte völkerstrafrechtliche Verbot unmenschlicher, grausamer und degradierender Behandlung ging er mit keinem Wort ein.
Die Argumentation des Folter-Memorandums bestimmte ab seinem Erscheinen im August 2002 die
politische und verwaltungstechnische Umsetzung der Verhörsfolter im Weißen Haus, im Verteidigungsministerium und bei der CIA, wie es bereits oben allgemein und bei der Darstellung des Falles
M.Q. (oben 4.3.1.) beschrieben wurde. Die administrative Bedeutung des Folter-Memorandums
lässt sich innerhalb des US-Verteidigungsministeriums und des US-Militärs belegen, wo das FolterMemorandum sich unmittelbar auf die militärischen Vorgaben zur Gestaltung der Verhöre auswirkte.
Das ursprünglich zur Brechung der Widerstände gegenüber illegalen Verhörmethoden innerhalb der
CIA für das Weiße Haus im Auftrage von Präsidentenberater A.G. erstellte Folter-Memorandum
wurde an das Pentagon weitergeleitet, wo es als Lösung für die „Frustration“ der politischen Spitze
mit den Vernehmungsergebnissen angesehen wurde.357 Im Januar 2002 wurde – auch aufgrund
des internen Drucks von Militärjuristen, die nicht mit den im Folter-Memorandum geäußerten
Rechtsansichten übereinstimmten – durch den General Counsel im Verteidigungsministerium W.H.
auf Anweisung von D.R. eine Arbeitsgruppe eingerichtet, der Militärjuristen und Vertreter sämtlicher Bereiche des US-Militärs angehörten. Aufgabe der Arbeitsgruppe war es, einen Leitfaden zur
Anwendung von Verhörtechniken in Guantánamo, Afghanistan und Irak zu erstellen. Der „Working
Group Report”358, der am 4. April 2003 von der vom Verteidigungsministerium eingesetzten Arbeitsgruppe veröffentlicht wurde, zählte im Anschluss an eine 60 Seiten umfassende Bestandsaufnahme auf der Grundlage des Folter-Memorandums die in Zukunft zulässigen Verhörmethoden auf.
Es wurden zunächst 26 Verhörtechniken geringerer Intensität genannt, die teilweise im Regelkodex
für Vernehmungen beim Militär359 genauer beschrieben wurden. Dann zählte der Report die Ziffern
27 bis 35 als so genannte „more aggresive counterresistance techniques“ auf, die zum Schutz aller
Beteiligter (gemeint wohl: auf Seiten der Verhörspersonen) ein spezielles Training und schriftliche
Fixierung voraussetzen würden. Als solche counter-resistance-Techniken wurden beschrieben: Iso355
Human Rights Watch, a.a.O., S. 5.
J.Y., Robert J. Delahunty, Memorandum für William H. Taft IV v. 14.01.2002, S. 1 unter
http://www.cartoonbank.com/newyorker/slideshows/02YooTaft.pdf
357
Lisa Hajjar: Torture and the Lawless “New Paradigm”. Middle East Report Online, 9.12.2005
unter www.merip.org/mero/mero120905.html
358
„Working Group Report on Detainee Interrogations in the Global War against Terrorism: Assessment of Legal, Historical, Policy, and Operational Considerations” Verfügbar unter
http://www.defenselink.mil/news/Jun2004/d20040622doc8.pdf
359
bekannt als Feldhandbuch 34-52 („Field Manual 34-52“)
356
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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lation; Dauervernehmungen von 20 Stunden täglich.; Zwangsrasuren; so genanntes non-stressDauerstehen in normaler Position bis zu 4 von 24 Stunden; Schlafentzug an bis zu 4 aufeinander
folgenden Tagen; Zwangsbelastung durch 15-minütigen Ausdauersport innerhalb von 2 Stunden;
schnelle Schläge ins Gesicht und auf den Bauch ohne Schmerz bzw. Verletzungsfolgen; vollständige
Zwangsentkleidung und erzwungenes Nacktsein; Angstszenarien ( z.B. Scheinangriff eines Hundes).
Im Jahr 2002 wurde der saudi-arabische Staatsbürger M.Q. nach der Invasion Afghanistans im
pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet festgenommen und auf den Marine-Luftwaffenstützpunkt
Guantánamo Bay, Kuba überführt, wo er seitdem gefangen gehalten und gefoltert wurde.
Im Oktober 2002 forderten die zuständigen Stellen in Guantánamo Bay die Zustimmung zu weitergehenden Verhörtechniken, um dem „hartnäckigen Widerstand“ der Gefangenen, darunter auch Al
M.Q., etwas entgegenzusetzen. Der Beschuldigte D.R. reagierte am 2. Dezember 2002 mit der
Entscheidung, 16 weitere Techniken zuzulassen, darunter Gesichtsverhüllung, Auskleiden, Einsatz
von Hunden und sog. milden, nicht verletzenden Kontakt.360 Am Ende jenes Memorandums über
die Zulassung zusätzlicher Techniken befindet sich eine handschriftliche Notiz D.R.s, die sich darauf
bezog, dass man Gefangene bis zu vier Stunden in einer Stressposition stehen ließ. Darin schreibt
er: „Ich stehe 8 - 10 Stunden täglich. Warum also ist es auf 4 Stunden begrenzt?"361
Im Fall M.Q. ordneten Verteidigungsminister D.R. und Generalmajor G.M. persönlich Praktiken an,
die für mindestens zwei Monate, wahrscheinlich aber länger, darauf abzielten, M.Q. mehr als 20
Stunden pro Tag wach zu halten.362 Seine Behandlung beinhaltete neben den Verhören von bis zu
zwanzig Stunden Dauer auch die Umkehrung der letzten verbliebenen Schlafgewohnheiten, die
Bartrasur und das dauerhafte Abspielen lauter Musik. M.Q. war damit einer Behandlung ausgesetzt,
die weit über das hinausging, als das, was den Regeln des Militärs entsprechend angesehen werden
kann. Im November 2002 teilte FBI Deputy Director T.H. der Armee in einem Schreiben mit, dass
er einen Gefangenen beobachten konnte, der Symptome eines „extremen psychischen Traumas“
aufwies. Später stellte sich heraus, dass es sich dabei um M.Q. handelte:
„Im September oder Oktober 2002 konnten FBI-Agenten beobachten, wie ein Hund in aggressiver
Weise eingesetzt wurde, um den Gefangenen [Name geschwärzt] einzuschüchtern. Im November
2002 bemerkten FBI-Agenten den Gefangenen [Name geschwärzt], der für mehr als 3 Monate einer ausgeweiteten Isolation ausgesetzt war. Während dieser Zeit wurde [Name geschwärzt] in
einer ständig hell erleuchteten Zelle isoliert (mit Ausnahme von gelegentlichen Verhören). Gegen
Ende November zeigte der Gefangene Verhaltensweisen, wie sie bei einem extremen psychischen
Trauma auftreten (er führte Gespräche mit nicht existierenden Personen, hörte angeblich Stimmen
und kauerte stundenlang nur mit einem Laken bedeckt in einer Ecke).“363
Am 16. April 2003 stimmte der Beschuldigte D.R. dann einer Liste von ungefähr zwanzig Verhörtechniken zu, die für den Gebrauch in Guantánamo Bay zugelassen waren und weiterhin sind. Sie
gestatten es Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums unter anderem, die normalen Schlafgewohnheiten von Inhaftierten umzukehren und sie Hitze, Kälte und „sensorischen Angriffen" (einschließlich lauter Musik und grellem Licht) auszusetzen. Der Gebrauch dieser Techniken muss als
„militärisch notwendig" gerechtfertigt und mit „angemessener medizinischer Überwachung" begleitet werden. Die Zustimmung von höheren Pentagon-Beamten und in manchen Fällen, wie beispielsweise bei M.Q., sogar des Beschuldigten D.R. persönlich war erforderlich.
Im August 2003 ordnete der Beschuldigte D.R. gegenüber seinem höchsten Mitarbeiter in nachrichtendienstlichen Fragen, dem Beschuldigten S.C., an, den Beschuldigen Generalmajor G.M. (der die
Aufsicht über die Vernehmungen in Guantánamo Bay hatte) in den Irak zu entsenden, um „die
Möglichkeit zu prüfen, im Irak Internierte schnell für verwertbare Informationen auszunutzen”.364
Generalmajor G.M. wurde damit beauftragt, die Verhörpraktiken im Irak denen in Guantánamo Bay
anzupassen (so genanntes gitmoizing), was direkt zu einer Übernahme der unzulässigen Verhör360
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 3f., Appendix E.
Siehe das Memorandum von William J. Haynes II, General Counsel of the Department of Defense, to Secretary of Defense D.R., Re: Counter-Resistance Techniques, 2. Dezember 2002.
362
Schmidt-Bericht, a.a.O. S. 18
363
Suspected Mistreatment of Detainees von T.J. Harrington, Deputy Assistant Director, Counterterrorism Division, FBI, an Major General Donald R. Ryder, Criminal Investigation Command, Department of the Army, 14. Juli 2006.
364
Vgl. Taguba-Bericht, a.a.O., S. 7.
361
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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methoden führte. Obwohl die G.W.B.-Administration einerseits verbal zu Ausdruck brachte, dass
die Genfer Konventionen im Irak „vollständig anzuwenden" seien, vertrat sie zugleich die Auffassung, dass dies nicht auf die Al-Qaida-Häftlinge in Guantánamo Bay zutreffe.365 Die für Guantánamo zugelassenen besonderen Techniken wurden auf diese Weise nach Afghanistan und in den
Irak exportiert, so etwa auch der Einsatz von Hunden und das Auskleiden.366 Der Beschuldigte D.R.
stimmte so einem Programm für die Anwendung der Gewalt bei Verhören von Gefangenen im Irak
zu, das ursprünglich als spezielles Zugriffsprogramm für Al-Qaida Verdächtige gedacht war.367 D.R.
entschied zudem, diese Maßnahme dem Kongress nicht bekannt zu geben.368
Der Beschuldigte D.R. „befahl Militärangehörigen im November 2003 im Irak, einen Gefangenen
nicht auf der Insassenliste zu führen, um das Internationale Komitee des Roten Kreuzes davon
abzuhalten, seine Behandlung zu überwachen“, was einen Verstoß gegen internationales Recht
darstellt. Außerdem werden Berichten zufolge „Gefangene in mindestens einem Dutzend Einrichtungen festgehalten, die im Geheimen operieren und vor der Überwachung des Roten Kreuzes versteckt sind.”369 Der Beschuldigte und ehemalige CIA-Direktor G.T., forderte im Oktober 2003, dass
D.R. die geheime Verwahrung von Hiwa Abdul Rahman H.R. anordne.370
Auch nachdem der Abu Ghraib-Skandal öffentlich geworden war, hielt D.R. an seiner Einstellung
zur lediglich fakultativen Anwendbarkeit der Genfer Konventionen fest. Am 5. Mai 2004 bemerkte
der Beschuldigte in einem Fernseh-Interview, dass die Genfer Konventionen im Irak „nicht genau
zutreffen" würden, sondern lediglich „Grundregeln" im Umgang mit Gefangenen seien.371
Der Beschuldigte D.R. wusste, dass Kriegsverbrechen begangen wurden. Zudem hat er persönlich
bestimmte illegale Handlungen ausdrücklich angeordnet. Daneben schuf er die Bedingungen, die
weitere Kriegsverbrechen begünstigten. Er hat es ferner unterlassen, (weitere) Kriegsverbrechen
zu unterbinden, nachdem er Kenntnis von den Misshandlungen hatte.
Beweislage
Im Schlesinger- Bericht wird festgestellt:
„Es ist klar, dass der Druck nach zusätzlichen Informationen und die aggressiveren Methoden, die
mit dem Memorandum des Verteidigungsministers geduldet wurden, zu härteren Verhörstechniken
führten, von denen man glaubte, dass sie nötig wären und bei der Behandlung von Häftlingen angemessen seien, die als ‚ungesetzliche Kämpfer’ bezeichnet werden".372
Es war in diesem regierungsamtlich geschaffenen Klima der Missachtung des Kriegsvölkerrechtes
für die jeweiligen Vernehmungspersonen nahe liegend, zwecks Erreichung der ausdrücklich vorgegebenen Informationsgewinnungsziele zu den nunmehr nicht weiter verpönten illegalen Methoden
zu greifen.
Nach Angaben des Abgeordneten A. während der Anhörung des Ausschusses für Armed Services
über militärische Erkenntnisse im Gefängnis von Abu Ghraib „ist es schlicht Tatsache, dass es im
Büro des Ministers und anderswo bekannt war, dass es (gemeint ist das Memorandum, durch welches die aggressiveren Verhörmethoden für Guantánamo zugelassen waren – WK) überall zirkulierte“. So steht es auch im Schlesinger Bericht. Ferner bestätigte auch Generalmajor F., dass dies
tatsächlich der Fall war.373
365
Human Rights Watch, a.a.O., S. 32.
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 14, 36; Fay-Jones-Bericht, a.a.O. S. 87f. zur Verbreitung von
Verhörtechniken von Guantánamo nach Afghanistan und Abu Ghraib.
367
Seymore Hersh: The Grey Zone. The New Yorker vom 25. Mai 2004.
368
Siehe den Artikel von Bart Gelman in der Washington Post vom Januar 2005.
369
Eric Schmitt und Tom Shanker: D.R. Issued an Order to Hide Detainee in Ira., The New York
Times vom17. Juni 2004; D.R., at G.T.’s Request, Secretly Held Suspect in Iraq. Wall Street Journal vom17. Juni 2004.
370
Defense Department Regular Briefing, 17. Juni 2004; Dana Priest: Memo Lets CIA Take Detainees out of Iraq. Washington Post vom 24. Oktober 2004.
371
Human Rights Watch, a.a.O., S. 7.
372
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 7f., 35; Fay-Jones-Bericht, S. 23 zu einer Liste mit einer
Auswahl der Techniken, die der Zustimmung bedurften; Memorandum des Verteidigungsministers
D.R. an den Befehlshaber des U.S. Southern Command (16. April 2003); Siehe auch WOHR 3.
373
House Armed Services Committee Hearing, 9 September 2004, S. 28.
366
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Die Zeugin und Ex-Brigadegeneralin J.K. hat im September 2003 ausgesagt, dass als Reaktion auf
die Order des Beschuldigten D.R. die Klassifikation „Sicherheitsverwahrung" für Häftlinge geschaffen wurde und ein Sicherheitsverwahrter noch weniger Rechte besäße als ein feindlicher Kriegsgefangener.374 Sie hat zudem anschaulich anhand eines ihres Besuches in Abu Ghraib geschildert, in
welch direkter Weise der Beschuldigte D.R., die von ihm eingeführten illegalen Vernehmungspraktiken nicht nur propagierte, sondern auch ihre fortdauernde Anwendung sicherstellte:
„Wir gingen durch den Bereich der Bataillons hinüber zum Zellenblock 1A. …Der Sergeant, mit dem
ich sprach, berichtete, dass die Unterlagen von den Ermittlern beschlagnahmt worden seien, aber
sie hätten ein neues Logbuch begonnen, um den Überblick über die Gefangenen zu behalten, sicherzustellen, dass sie ihre Mahlzeiten pünktlich erhalten würden und diese Dinge. Der Sergeant
zeigte mir das einseitige Logbuch, von dem er sprach. Dann wies er mich auf ein Memorandum hin,
das an einer Säule außerhalb ihres kleinen Verwaltungsbüros hing. Das Memorandum war von Verteidigungsminister D.R. unterzeichnet und beinhaltete „Autorisierte Vernehmungsmethoden“, darunter die Verwendung von lauter Musik und länger anhaltenden Stehpositionen, neben mehreren
anderen Methoden. Es bestand aus einer Seite. Das Memorandum erwähnte Stresspositionen, Lärm
und Verordnungen in Bezug auf Licht, die Verwendung von Musik, die Veränderung von Schlafgewohnheiten, diese Sorten von Methoden. Es gab außerdem noch eine handschriftliche Notiz draußen an der Seite in der gleichen Tinte und der gleichen Schrift wie die Unterschrift des Verteidigungsministers. Die Bemerkung, die am Rand stand, lautete: „Stellen Sie sicher, dass dies umgesetzt wird.“ Dieses Memorandum war eine Kopie; eine Fotokopie des Originals, nehme ich an.
…
Das war der Befehl von D.R. selbst, der über die spezifischen Vernehmungsmethoden sprach, die
er autorisierte. Und da gab es diese Notiz – die handschriftliche Notiz draußen an der Seite. Sie
lautete: „Stellen Sie sicher, dass dies umgesetzt wird.“ Und sie schien in der gleichen Handschrift
abgefasst zu sein, wie die Unterschrift. Und die Leute verstanden es so, dass sie von D.R. kam.“375
Human Rights Watch zufolge, „liegt kein Beweis vor, dass er [D.R.] jemals seine Amtsgewalt nutzte
und ermahnte, dass die Misshandlung von Gefangenen aufhören müsse.“ Hätte er dies getan, so
hätten viele Verbrechen, die von den US-Streitkräften begannen wurden, verhindert werden können.“376
Es gab zahlreiche Beschwerden in der Presse von Menschenrechtsorganisationen über die Bedingungen in Guantánamo. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz bemühte sich wiederholt
darum, dass sich die US-Administration mit dieser Problematik beschäftigt, bevor weitere Übergriffe stattfinden. D.R. war sich aufgrund dieser Berichte darüber im Klaren, dass die Möglichkeit weiterer Übergriffe bestand, und zwar auch über diejenigen hinaus, denen er ausdrücklich zugestimmt
hatte. Gleichwohl unternahm er nichts, um dies zu verhindern.
Das Pentagon selbst hat zugestanden, dass der Beschuldigte D.R. bei mindestens einem Häftling
persönlich angeordnet hat, dass er vor dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes geheim zu
halten sei. Auch der Schlesinger-Bericht notiert, dass der Beschuldigte D.R. öffentlich erklärt hat,
er habe auf Bitte des Direktors der CIA angeordnet, einen Häftling im Geheimen festzuhalten.377
Einem Bericht von Human Rights Watch zufolge, hat D.R. zudem zugegeben, dass es auch noch
andere Fälle gab, in denen Gefangene an geheimen Orten verwahrt worden.378
Der Beschuldigte D.R. sagte, von dem zuständigen Ausschuss dazu befragt, selbst aus, dass er
Mitte Januar 2004 auf die Misshandlungen in Abu Ghraib aufmerksam wurde und er von den Fotografien der Misshandlungen "irgendwann im Zeitraum Januar, Februar, März“ [gemeint: 2004 –
WK] erfahren habe. „Das erste Mal, dass ich darauf aufmerksam wurde, dass es Fotos gab, die im
Zusammenhang mit den Behauptungen von Misshandlungen in Gefängnissen standen, muss ir-
374
Human Rights First, a.a.O., S. 21.
Zeugenaussage der ehemaligen Brigadegeneralin J.K. v. 26.10.2005 unter
http://www.democacynow.org/article.pl?sid=05/10/26/1423248
376
Getting Away with Torture?: Command Responsibility for the U.S. Abuse of Detainees, Human
Rights Watch, April 2005 Vol. 17, No. 1(G), S. 29.
377
Human Rights First, a.a.O., S. 12; vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 87.
378
Getting Away with Torture? Command Responsibility for the U.S. Abuse of Detainees. Human
Rights Watch, April 2005 Vol. 17, No. 1(G), S. 39.
375
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gendwann zwischen dem 16. Januar und der ’60 minutes show’ (28. April 2004) gewesen sein.”379
D.R. gab in seiner Zeugenaussage vom 7. Mai 2004 vor dem Ausschuss für Armed Services zu,
dass er „nicht erkannt hat, wie wichtig es war, eine Angelegenheit von solcher Tragweite den
höchsten Ebenen zugänglich zu machen, einschließlich dem Präsidenten und den Vorsitzenden im
Kongress.”380 Sein Eingeständnis, das Ausmaß der Verbrechen nicht richtig erkannt zu haben, enthebt ihn nicht von seiner Aufsichts- und Informationspflicht.
D.R. hatte schon deswegen von den Zuständen und Vorkommnissen in seinem Verantwortungsbereich Kenntnis, weil er völkerrechtswidrigen Verhörtechniken generell durch Billigung der Memoranden und individuell bei bestimmten Gefangenen angeordnet hatte.
So gab der Leiter des U.S. Southern Command, General J.H., zu dessen Verantwortungsbereich
Guantánamo Bay gehört, im Juni 2004 an, D.R. habe unspezifizierten intensiven Verhörstechniken
bei zwei Gefangenen in Guantánamo persönlich zugestimmt.381
Ein Hauptinspektionsbericht der Armee vom 20. Dezember 2005, erschienen bei salon.com, enthält
eine eidesstattliche Aussage von Lt. Gen. R.S., die D.R. in die Misshandlungen des Gefangenen
M.Q. verstrickt. Auf der Grundlage von Befragungen, die er zu Beginn des Jahres 2005 unternahm
und die zwei Interviews mit D.R. beinhalteten, beschreibt Gen. R.S. den Verteidigungsminister als
„persönlich beteiligt“ in den M.Q.-Verhören.382
Basierend auf dem „Interrogation log/Detainee 063“ werden die dokumentierten Misshandlungen
an M.Q. zwischen dem 23. November 2002 und dem 11. Januar 2003 aufgezeigt. Dabei handelt es
sich um von den US-Behörden detailliert verfasste Aufzeichnungen des „Verhöralltags“ bzw. des
Tagesablaufs des Gefangenen. Es konnten unterschiedliche Arten der Gefangenenmisshandlung
festgestellt werden: Körperliche und psychische Misshandlung, demütigende und entwürdigende
Behandlung sowie der vorschriftswidrige Einsatz von Isolationsmaßnahmen und Schlafentzug. „Ein
Insasse wurde aufgeweckt, einem Verhör in einem Gebäude, das als goldenes Gebäude bezeichnet
wurde, unterzogen, danach in eine andere Zelle zurückgebracht. Sobald die Wachen feststellten,
dass der Insasse tief schlief, wurde er erneut für ein Verhör geweckt, nach dem er wiederum in
eine andere Zelle verbracht wurde. Dies konnte fünf oder sechs Mal pro Nacht geschehen. D.R. und
Generalmajor G.M. mussten damit rechnen, dass die Sinne oder die Persönlichkeit durch diese Verfahren schwerwiegend gestört werden würden.“383
Rechtliche Würdigung
Nach alledem ist der Beschuldigte D.R. im strafrechtlichen Sinne direkter Haupttäter im Rahmen
von § 25 Abs. 2 StGB i.V.m. dem VStGB zumindest im Fall M.Q. und des weiteren als mittelbarer
Täter von Kriegsverbrechen kraft seiner Organisationshoheit im Sinne des § 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB
i.V.m. dem VStGB einzustufen. Denn als Verteidigungsminister hat er im Widerspruch sowohl zu
nationalem als auch zu internationalem Recht Techniken und Handlungen persönlich im allgemeinen Rahmen, wie auch im konkreten Einzelfall angeordnet sowie zugelassen, die Kriegsverbrechen
darstellen.
Der Beschuldigte D.R. hat nicht nur persönliche Verantwortung für die völkerrechtlich unerträgliche
Sonderbehandlung bestimmter Gefangener übernommen und durch allgemeine Anweisungen die
Anwendung verbotener Praktiken zur Informationsgewinnung generell gebilligt. Er hat auch durch
weitere Verlautbarungen Verstöße gegen das Völkerrecht mittelbar veranlasst und möglich gemacht.
Die maßgeblich auf das Vorgehen des Beschuldigten D.R. zurückgehende Schaffung eines nahezu
rechtsfreien Raumes trug auch wesentlich zu den missbräuchlichen Verhörpraktiken in Abu Ghraib
bei. Sicherungen, welche die Einhaltung internationaler Standards garantieren sollen, um vor Miss379
Aussage vor dem Ausschuss für Armed Services am 7. Mai 2004, S. 16-17, 36, 41.
http://www.dod.gov/speeches/2004/sp/20040507-secdef0421.html.
380
http://www.dod.gov/speeches/2004/sp20040507-secdef0421.html.
381
Human Rights Watch, a.a.O., S. 14-16, FN 102; siehe auch News Transcript, Security of Defense. Interview with David Frost, BBC, 27. Juni 2004, S. 4;
http://www.defenselink.mil/transcripts/2004/tr20040713-secdef1001.html.
382
US: D.R. potentially liable for Torture Defense Secretary Allegedly Involved in Abusive Interrogation pg. 1., HRW, 14. April 2006, http://hrw.org/english/docs/2006/04/14/usdom13190_txt.htm
383
Neil A. Lewis: Broad Use of Harsh Tactics is Described at Cuba Base. New York Times vom 17.
Oktober 2004.
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brauch zu schützen, versagten sowohl aufgrund Aussagen und Anweisungen des Beschuldigten im
Rahmen der Politik der Regierung G.W.B. einerseits sowie aufgrund der bewussten Nichtfestlegung
auf verbindliche völkerrechtliche Regeln andererseits und des Versäumnisses, die Operationen angemessen zu überwachen.384 D.R.s Versagen bei der Aufstellung klarer politischer Richtlinien, sein
Druck auf seine Untergebenen, verwertbare Informationen zu beschaffen und seine öffentlich bekannte Missachtung der Genfer Konventionen sorgten für die Einstellung im militärischen und geheimdienstlichen Bereich, dass ‘alles möglich war’. Seine Handlungen und seine Einstellung zu den
Gefangenen ermöglichten und förderten die Begehung von Kriegsverbrechen.
Obwohl der Schlesinger-Bericht zu dem Ergebnis kommt, dass „befehlshabende Offiziere und ihr
Stab auf diversen Ebenen in ihrer Pflicht versagt hatten,” dass “solches Versagen direkt oder indirekt dazu beigetragen hat, dass Häftlinge misshandelt wurden,” und dass “militärische und zivile
Leiter im Verteidigungsministerium sich diese Verantwortungslast teilen,” und trotz D.R.s Eingeständnis von Fehlern und offensichtlichen Kriegsverbrechen, wurde bisher weder ein Ermittlungsverfahren und noch ein Disziplinarverfahren gegen den Beschuldigten D.R. eingeleitet.
Der Beschuldigte D.R. ist direkt verantwortlich für Verstöße nach § 8 VStGB, da er Kriegsverbrechen angeordnet, begangen, veranlasst, unterstützt und dazu angestiftet hat. Er ist jedenfalls nach
§ 4 VStGB als ziviler Befehlshaber über das Militär für die Taten Dritter haftbar, welche in seinem
Verantwortungsbereich Kriegsverbrechen in Afghanistan, Guantánamo und Irak begangen haben.
Er ist ferner subsidiär nach § 13 VStGB für Versäumnisse in seiner Aufsichtspflicht verantwortlich.
Angesichts des am 08.11.2006 erfolgten Rücktritts von D.R. als Verteidigungsminister kamen den
Äußerungen Joanne Mariners – Programmdirektorin für Terrorismus und Terrorismusbekämpfung
von Human Rights Watch – vom April 2006 fast prophetische Qualitäten zu, als sie ausführte, dass
es nicht darauf ankäme, ob die Vorwürfe den Verteidigungsminister D.R. zu einem Rücktritt bewegen, sondern vielmehr dass er angeklagt werden muss.385
2. Der Beschuldigte G.T.
Der Beschuldigte G.T. hat aktiv täterschaftlich, in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationshoheit
sowie im Rahmen seiner Vorgesetztenverantwortlichkeit auch durch Unterlassen Kriegsverbrechen
nach dem VStGB und nach internationalem Recht begangen. Die folgenden wesentlichen Punkte
stellen als Ausschnitt der strafbaren Handlungen eine nicht abschließende Betrachtungsweise dar.
Aus ihnen ergeben jedoch eindeutig konkrete zureichende Anhaltspunkte, die im Rahmen von §
152 Abs. 1 StGB zumindest einen Anfangsverdacht begründen, welcher die zwingende Aufnahme
des Ermittlungsverfahrens gebietet. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird bezüglich weiterer
Einzelheiten im Übrigen auf die Sachverhaltsschilderung unter 4.1. der Anzeige verwiesen.
Person und Kompetenzbereich
Der Beschuldigte G.T., war von 1997 bis zu seinem Rücktritt im Juni 2004 Direktor der Central
Intelligence Agency (CIA). Der 1953 geborene Beschuldigte studierte an der School of Foreign Service der Georgetown University sowie der School of International Affairs der Columbia Universität.
G.T. wurde 1996 geschäftsführender Direktor der CIA und nahm 1997 den Posten des Direktors
ein.386 Als Direktor der Central Intelligence Agency war er zuständig für die Koordination der nachrichtendienstlichen Aktivitäten der US-amerikanischen Dienste.
G.T. trat im Juni 2004 aus eigenem Antrieb zurück. Es wurden bisher weder disziplinarischen Maßnahmen oder strafrechtliche Schritte gegen ihn eingeleitet, noch wurden selbige auch nur geprüft.
Vorwerfbares Verhalten
Der Beschuldigte G.T. ist für Kriegsverbrechen direkt verantwortlich. Er war persönlich verantwortlich für die Verwahrung mindestens eines so genannten Geistergefangenen, was bereits für sich
genommen ein Kriegsverbrechen darstellt. G.T. autorisierte ferner Programme, innerhalb derer
CIA-Agenten Menschen rechtswidrig inhaftierten, gewaltsam von einem Staat in einen anderen
transferierten, folterten und in Einzelfällen sogar töteten. Die Autorisierung solcher Techniken und
384
Fay-Jones-Bericht, a.a.O., S. 8 f.
US: D.R. potentially liable for Torture Defense Secretary Allegedly Involved in Abusive Interrogation pg. 1., HRW, 14. April 2006, http://hrw.org/english/docs/2006/04/14/usdom13190_txt.htm
386
G.T. tritt als CIA- Direktor zurück, MSNBC, 3. Juni 2004
http://www.msnbc.msn.com/id/5129314/.
385
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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die Anweisung von Untergebenen, an derartigen Kriegsverbrechen teilzunehmen, stellen wiederum
ein selbständiges Kriegsverbrechen dar.
G.T. ist als ziviler Vorgesetzter auch für Kriegsverbrechen seiner Untergebenen zur Verantwortung
zu ziehen. Er hatte positive Kenntnis davon, dass Kriegsverbrechen von seinen Untergebenen verübt wurden und unternahm nichts, um diese Verbrechen zu verhindern. Er hat es zudem unterlassen, diejenigen zu überwachen, die ihm unterstanden und die zuständigen Stellen über die ihm
bekannt gewordenen Verbrechen zu informieren.
Die von der CIA-Mitarbeitern begangenen und der CIA-Führung angeordneten Tathandlungen sind
oben in den Kapiteln 4.2. und 4.3. detailliert beschrieben worden, so dass hier insoweit Bezug darauf genommen werden kann.
Unter der Führung der CIA "verschwinden" Menschen und werden an unbenannten Orten festgehalten, ohne Zugang zum Roten Kreuz. Ihre Behandlung kann nicht überwacht werden. Es erfolgt
keine Benachrichtigung der Familien und in den meisten Fällen nicht einmal eine Bestätigung, dass
sie überhaupt festgehalten werden. Außerdem hat die CIA geheime Vereinbarungen, die es ihr
gestatten, Orte in Übersee zu benutzen, die von außen nicht überwacht werden können.387 Bei
diesen Orten handelt es sich unter anderem um den Luftwaffenstützpunkt Bagram/Kabul und andere nicht näher bezeichnete Orte in Afghanistan; das Lager Camp Cropper in der Nähe des Bagdader
Flughafens, Abu Ghraib und Verwahrungszentren auf Diego Garcia im Indischen Ozean.388
Einige der Geistergefangenen in Abu Ghraib wurden in Schlafunterbrechungsprogrammen gehalten
und in Duschräumen und Treppenhäusern verhört.389
Die CIA verbrachte bis zu einem Dutzend nicht-irakische Inhaftierte zwischen April 2003 und März
2004 aus dem Irak. Diese Transfers wurden durch den Entwurf eines Memorandums des Justizministerium autorisiert, das von J.G., dem ehemaligen Direktor des Büros des „Legal Counsel“, verfasst wurde. Das Memorandum wurde an die Rechtsberater des Nationalen Sicherheitsrates, die
CIA und an das Außen- und Verteidigungsministerium geschickt. "Das Memorandum gab grünes
Licht", sagte ein Geheimdienstmitarbeiter. "Die CIA benutzte das Memorandum, um andere Leute
aus dem Irak herauszuholen." Die Regierung veröffentlichte weder die Namen noch die Nationalitäten der Gefangenen. Es ist unklar, ob die Gefangenen an verbundene Regierungen ausgehändigt
wurden oder an geheimen Orten unter amerikanischer Kontrolle festgehalten werden.390
Das Justizministerium und die CIA billigten ferner eine Reihe geheimer Regeln für Verhörtechniken,
die für zwölf bis zwanzig hochrangige Al-Qaida Gefangene angewendet werden sollten.391 Diese
„nötigenden Verhörstechniken“ zum Gebrauch in Afghanistan und im Irak verletzten das Verbot
von grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung und liefen auf die Anwendung
von Folter hinaus.
Gefangene in US-Gewahrsam, welche die Kooperation verweigerten, wurden häufig an ausländische Geheimdienste übergeben. Terrorismus-Abwehrexperten berichteten, dass die Personen an
dritte Länder übergeben wurden, um vernommen, exekutiert oder gefoltert zu werden.392 Die CIA
schickt dabei oft eine Liste mit Fragen herum, die ausländische Vernehmungsbeamte benutzen
sollen. Im Gegenzug erhält die CIA zumeist eine Zusammenfassung der Vernehmungsergebnisse.
CIA Agenten haben Verhöre ausländischer Geheimdienste durch einen einseitigen Spiegel beobachtet.393 „Eine Reihe von juristischen Memoranden, sagte der (CIA-) Mitarbeiter, empfiehlt Regierungsbeamten, wenn sie Verfahren in Erwägung ziehen, die Verstöße gegen amerikanische Statuten, die Folter oder entwürdigende Behandlung darstellen oder gegen die Genfer Konventionen
387
James Risen et al, Harsh CIA Methods Cited in Top Qaeda Interrogations, The New York Times,
13. Mai 2004.
388
Seymour M. Hersh, a.a.O., S. 14, 33; Dana Priest / Barton Gellman, U.S. Decries Abuse but
Defends Interrogations, The Washington Post, 26. Dezember 2002.
389
Josh White, Abu Ghraib Guards Kept a Log of Prison Conditions, Practices, Washington Post, 25.
Oktober 2004.
390
Vgl. Douglas Jehl, Prisoners: U.S. Action Bars Right of Some Captured in Iraq, New York Times,
26. Oktober 2004; Dana Priest, Memo Lets CIA Take Detainees out of Iraq, Washington Post, 24.
Oktober 2004.
391
James Risen et al, Harsh CIA Methods Cited in Top Qaeda Interrogations, The New York Times,
May 13, 2004.
392
Risen, a.a.O.
393
Priest and Gellman, U.S. Decries Abuse but Defends Interrogations.
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verstoßen, sie dann nicht verantwortlich gemacht werden könnten, wenn argumentiert wird, dass
sich die Gefangenen formal im Gewahrsam eines anderen Landes befinden”394 Inhaftierte, die auf
diese Weise in andere Staaten verbracht wurden, haben keinen Zugang zu Anwälten, Gerichten
oder ordnungsgemäßen Verfahren.
Unter der Leitung von G.T. führte die CIA ferner sogenannte Falsche-Flaggen-Operationen durch,
wobei die Agenten die Flagge eines anderen Landes im Vernehmungsraum aufhängen oder spezielle andere Techniken verwenden, um so den Gefangen in die Irre zu führen. Dieser solle die Vorstellung entwickeln, er sei in einem Land inhaftiert, das einen besonders brutalen Ruf hat.395
Über die persönliche Anordnung bestimmter Kriegsverbrechen hinaus wusste G.T. seit dem Sommer 2002 von den allgemein unmenschlichen Bedingungen für Häftlinge in Guantánamo. Ein CIAAgent, der dort einen Besuch abhielt und direkt an G.T. berichtete, fand Gefangene am Boden in
ihren eigenen Fäkalien liegend, ältere Gefangene in dementem Zustand und selbst inhaftierte Kinder vor. Der Agent lieferte einen vertraulichen Bericht ab, der höchste Regierungsstellen bis zu
C.R. sowie General J.G., den stellvertretenden nationalen Sicherheitsberater zur Bekämpfung des
Terrorismus, informierte.396
Führende CIA-Angestellte wussten, dass das Pentagon zur körperlichen Nötigung und sexuellen
Demütigung von irakischen Gefangenen ermutigte. CIA-Agenten und private Beauftragte verlangten oft, dass Aufseher in Abu Ghraib “körperliche und geistige Bedingungen schufen, die Vernehmungen begünstigten,” was bedeutete, dass sie den Willen von Gefangenen brechen sollten.397
Es kam zu zahlreichen Todesfällen von Gefangenen in CIA-Gewahrsam. Der Beschuldigte G.T. hatte
auch davon ausreichende Kenntnis. Er wusste um die Gefahr, dass diese Folgen eintreten können.
Er zog aus diesem Wissen jedoch weder die gebotenen Konsequenzen, noch sorgte er dafür, das
weitere Vorkommnisse dieser Art unterblieben. Zwar veranlasste der Beschuldigte G.T. Untersuchungen zu einigen Todesfälle von Gefangenen, doch kam es zu diese Untersuchungen erst lange
nachdem er hinreichende Kenntnisse über die Verhörstechniken der CIA und deren Risiken hatte.
Der Beschuldigte G.T. ordnete auch eine Untersuchung der Verhörtechniken der CIA an. Aber diese
Anordnung im Mai 2004 erfolgte erst Jahre, nachdem G.T. von den ersten Misshandlungen durch
CIA- Agenten erfahren hatte.
Beweislage
Der Beschuldigte G.T. und die CIA weigerten sich, Unterlagen aus ihrem Bestand für verschiedene
Untersuchungen, die vom Internationalen Roten Kreuz und dem Verteidigungsministerium durchgeführt wurden, zur Verfügung zu stellen. Es ist anzunehmen, dass diese Unterlagen (weitere)
Kriegsverbrechen enthüllen würden. Daher sind Beweise bisher nur für bestimmte einzelne Misshandlungen vorhanden. Die Generäle F., K. und S. hatten im Rahmen ihrer jeweiligen Untersuchungen die Herausgabe aller Unterlagen von der CIA verlangt, was wiederum von der CIA verweigert wurde. Später verlautbarten CIA-Mitarbeiter, sie würden eigene Untersuchungen durchführen.398
Der Beschuldigte G.T. bat im Oktober 2003 den Beschuldigte D.R. , die geheime Verwahrung des
festgenommenen H.R. anzuordnen.399
„Minister D.R. hat öffentlich zugegeben, dass er auf eine Anfrage von G.T. hin, dem damaligen CIADirektor, angeordnet hat, einen Iraker, der im Camp Cropper, einem Hochsicherheitsgefängnis im
Irak, einsaß, von den Gefangenenlisten fernzuhalten und nicht dem Internationalen Komitee des
Roten Kreuzes zu nennen… D.R. gab ebenfalls zu, dass es noch weitere Fälle gab, in denen Gefan-
394
Risen, a.a.O.
Priest and Gellman, U.S. Decries Abuse but Defends Interrogations.
396
Seymour M. Hersh, Chain of Command S. 2, 6.
397
Hersh, Chain of Command S. 46-47, 29, 59.
398
vgl. Hearing of the Senate Armed Services Committee, 9. Sept. 2004 S. 11, 13, 14; SchlesingerBericht, a.a.O., S. 6. “Das Gremium hatte keinen vollen Zugang zu Informationen, welche Rolle die
CIA in Verwahrungsoperationen spielte. …” und konnte deswegen keine näheren Informationen
über Geistergefangenen ermitteln; vgl. Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 78
399
Defense Department Regular Briefing, 17. June 2004; Dana Priest, Memo Lets CIA Take Detainees out of Iraq, Washington Post, 24. Oktober 2004.
395
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gene versteckt gehalten wurden.“400
G.T. ersuchte darum, dass der als “Triple X” bekannte und später dann als H.R. ermittelte Gefangene weder eine Identifizierungsnummer erhielt noch beim Internationalen Roten Kreuz registriert
wurde. H.R. wurde im Lager Cropper in der Nähe des Bagdader Flughafens über sieben Monate
gefangen gehalten, ohne registriert zu sein und ohne Kontakt nach außen zu haben. H.R. sollte von
der CIA verhört werden.401 Die CIA hatte H.R. anfangs zum Verhör nach Afghanistan gebracht,
verbrachte ihn jedoch in den Irak zurück, nachdem ein Memorandum des Justizministerium festgestellt hatte, dass er eine durch die Genfer Konventionen geschützte Person darstelle. Doch während
seiner Zeit im Lager Cropper verloren die Behörden "seine Spur".402
Die CIA internierte ferner drei saudische Staatsbürger, die im medizinischen Bereich für die Koalition im Irak arbeiteten. Mehrere Suchoperationen, einschließlich Suchaktionen von Botschafter B.
und Außenminister C.P., konnten die Gefangenen nicht aufspüren. Schließlich fand sie ein Mitarbeiter des JIDC und sie wurden freigelassen.403
Die Länder, in welche die CIA Gefangene überführt, sind bekannt dafür, dass dort gefoltert wird
und oft bewusstseinsverändernde Drogen angewendet werden.404 Häftlinge wurden an Syrien, Usbekistan, Pakistan, Ägypten, Jordanien, Saudi Arabien und Marokko ausgeliefert.405 Zur Zeit werden mindestens elf Menschen in Jordanien ohne Verbindung zur Außenwelt festgehalten, dazu gehören K.S.M., A.A.Z., H. und A.Z.. Andere, die ausgeliefert wurden, sind M.A., A.A., M.Z. und
M.H.Z..406 Die CIA schickt die Gefangen in diese Länder, obwohl das Außenministerium die Anwendung der Folter in Jordanien, Syrien und Marokko explizit dokumentiert hat und Saudi Arabiens
Zuverlässigkeit in Frage stellt.407
Die CIA ist bekannt dafür, bei ihren Renditions extrem harte Techniken anzuwenden. So lieferten
z.B. CIA-Agenten am 18. Dez. 2001 A.A. und M.Z. an Ägypten aus, Ägypter, die in Schweden um
Asyl nachgesucht hatten. A.A und M.Z. wurden gefangen und in Handschellen und Fußfesseln nach
Kairo geflogen. Sie wurden nackt ausgezogen, ihnen wurden Zäpfchen in den Anus eingeführt, und
sie wurden wieder angezogen, mit Gurten gefesselt, die Augen verbunden und ihnen wurde ein
Sack übergestülpt. In Ägypten wurden die Gefangenen mit Elektroschocks gefoltert, indem Elektroden an ihren empfindlichsten Körperteilen angebracht wurden.408
Unter der Leitung von G.T. gebrauchte die CIA bei Häftlingen Verhörtechniken, die Zwang beinhalteten. Es wird berichtet, dass G.T. D.R. um Zustimmung des Weißen Hauses für FolterVerhörstechniken bat.409 Die Haftbedingungen und Verhörmethoden der CIA führten zu weiteren
Misshandlungen.410
Laut dem Internationalen Komitee des Roten Kreuz war die schlechte Behandlung von Gefangenen
während der Verhöre nicht systematisch, außer bei Personen, deren Verhaftung in Zusammenhang
mit mutmaßlichen Sicherheitsdelikten stand oder von denen angenommen wurde, sie hätten 'geheimdienstlichen' Wert.411 “Die Methoden, die von der CIA angewendet wurden, waren so schwerwiegend, dass führende Mitarbeiter des FBI ihre Agenten anwiesen, sich aus vielen Verhören von
„hochrangigen Häftlingen“ herauszuhalten, weil sie befürchteten, dass die Techniken ihre Agenten
400
Getting Away with Torture?: Command Responsibility for the U.S. Abuse of Detainees written by
Human Rights Watch, April 2005 Vol. 17, No. 1(G) Pg. 39.
401
Hearing of the House Armed Services Committee, 9. September 2004; A Failure of Accountability, The Washington Post, 29. August 2004.
402
Eric Schmitt / Thom Shanker, D.R. Issued an Order to Hide Detainee in Iraq, The New York
Times, 17. Juni 2004.
403
Fay/ Jones-Bericht, a.a.O., S. 88.
404
Vgl. Hersh, Chain of Command.
405
Human Rights Watch, a.a.O., S. 10-11.
406
CIA Holds Top Al Qaeda Suspects in Jordan, Reuters, Oct. 13, 2004; Yossi Melman, CIA Holding
al-Qaida Suspects in Secret Jordanian Lockup, Haaretz, Oct. 13, 2004; Human Rights Watch,
a.a.O., S. 10-11.
407
Priest and Gellman, U.S. Decries Abuse but Defends Interrogations.
408
Hersh, Chain of Command, S. 53-55.
409
Cruelties Obscure the Truth, Sarasota Herald-Tribune, June 19, 2004.
410
Getting Away with Torture?: Command Responsibility for the U.S. Abuse of Detainees written by
Human Rights Watch, April 2005 Vol. 17, No. 1(G) Pg 49, citing Fay Report.
411
IKRK-Bericht, S. 3.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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derart kompromittieren würden, dass diese in Strafprozesse verwickelt werden könnten.412
Das IKRK gibt an, dass “wichtige Häftlinge” am Bagdader Internationalen Flughafen in strenger
Isolierhaft gehalten wurden, in Einzelzellen ohne Sonnenlicht, fast 23 Stunden am Tag, und dass
ihre fortwährende Haft einen "ernsten Verstoß gegen die III. und IV. Genfer Konvention darstellt".413
Im Falle von K.S.M., einem „hochrangigen Häftling“, der verdächtigt wird, an der Planung der Anschläge vom 11. September 2001 beteiligt gewesen zu sein, wandten CIA-Vernehmungsbeamte
abgestufte Ebenen der Gewalt an, einschließlich des „Waterboarding“ bekannt ist, wobei der Gefangene festgebunden und mit Gewalt unter Wasser gedrückt und im Glauben gelassen wird, er
könnte ertrinken.414
Mindestens ein CIA-Angestellter wurde dafür bestraft, dass er einen Gefangenen bei einer Vernehmung mit einer Schusswaffe bedrohte.415 Schmerzmittel für A.Z., einem weiteren Gefangenen, der
eine Schusswunde in die Lende erlitten hatte, wurden manipuliert, um seine Kooperation zu erreichen.416
Gefangengenommene vermeintliche Al-Qaida-Kämpfer und Taliban-Kommandeure wurden auf dem
Bagram-Luftwaffenstützpunkt in der Nähe des Gefangenenlagers in gestapelten metallenen Transportcontainern eingesperrt, umgeben von Stacheldraht-Verhauen.417 „Nötigende Verhörtechniken“
wurden gegen diese Gefangenen angewandt. Dazu gehörte, dass die Gefangenen während des
Verhörs ausgezogen wurden, dass sie extremer Hitze, Kälte, Lärm und Licht ausgesetzt wurden,
dass ihnen ein Sack über den Kopf gestülpt, ihnen der Schlaf entzogen wurde und sie in schmerzhaften Positionen gehalten wurden.418 Gefangene, welche die Kooperation verweigerten, werden,
so ein Geheimdienstspezialist, der mit den Verhörmethoden der CIA vertraut ist, „manchmal dazu
gezwungen, stundenlang kniend oder stehend, mit schwarzen Kapuzen über dem Kopf oder mit
angesprühten Taucherbrillen zu verharren. Gelegentlich werden sie in abartigen, schmerzhaften
Positionen gehalten und ihnen wird gleichzeitig durch ein 24-Stunden-Bombardement mit Licht der
Schlaf entzogen – was als 'Stress und Nötigungs'- Techniken bekannt ist.” Verhöre werden oft von
weiblichen Offizieren durchgeführt.419
Ein sogenannter hochwertiger Häftling bekam einen Sack über den Kopf gestülpt, Handschellen
angelegt und man zwang ihn, sich auf den Bauch auf eine heiße Oberfläche zu legen, während er in
ein Gefangenenlager verbracht wurde. Dadurch erlitt er schwere Verbrennungen, die einen dreimonatigen Krankenhausaufenthalt nach sich zogen. Der Gefangene musste sich mehreren Hauttransplantationen unterziehen, sein rechter Zeigefinger wurde amputiert. Er kann einen Finger an der
linken Hand dauerhaft nicht mehr gebrauchen. Er wurde im Oktober 2003, wenige Monate nach
seiner Entlassung aus dem Krankenhaus, vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes untersucht.420
CIA-Agenten drohten auch den Familienangehörigen der Gefangen bei den Vernehmungen. Laut
Berichten halten US-Behörden die sieben- und neunjährigen Söhne von K.S.M. in Haft, um K.S.M.
zum Sprechen zu bringen. Nach Angaben eines FBI-Agenten sagte ein CIA-Agent dem Gefangenen
I.S.L. bei seiner Festnahme, “bevor du (nach Kairo) kommst, finde ich deine Mutter und f---sie.”421 Diese Art von Bedrohung der Familienangehörigen ist eine CIA-Taktik, die scheinbar zu
Konflikten mit FBIPersonal geführt hat, weil dieses sich diesem Vorgehen nicht anschließen wollte.
Es ist ferner mehrfach zu belegbaren Tötungen von Inhaftierten in CIA-Gewahrsam gekommen, wie
bereits oben unter 4.2. ausgeführt wurde.
Der hochrangige CIA-Mitarbeiter M.S. sagte aus, dass G.T. sich sehr wohl darüber bewusst war,
was mit Gefangenen geschah, aber dennoch persönlich die Dokumente unterzeichnete. M.S. sagte,
412
Risen et al, Harsh CIA Methods Cited in Top Qaeda Interrogations.
Internationales Komitee des Roten Kreuzes, a.a.O, S.17 -18.
414
Risen, a.a.O.
415
CIA Worried about Al-Qaida Questioning, Pittsburgh Post-Gazette, May 13, 2004.
416
The CIA's Prisoners, The Washington Post, July 15, 2004.
417
Priest and Gellman, U.S. Decries Abuse but Defends Interrogations.
418
Human Rights Watch, a.a.O., S. 10, 19-20.
419
Priest and Gellman, U.S. Decries Abuse but Defends Interrogations.
420
IKRK Bericht, S. 10-11.
421
The United States’ “Disappeared”, 24-25, 37.
413
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dass er nie eine Menge von Vorgängen gesehen hätte, die genauer vom CIA-Direktor, dem Nationalen Sicherheitsrat und den Congressional Intelligence Committees geprüft worden seien und dass
diese dennoch wiederholt mitgeteilt haben, dass „die Gefangenen falsch behandelt werden könnten“. M.S. stellte klar: „Jede einzelne Operation ging, ich denke…entweder zum CIA-Direktor oder
zum stellvertretenden Direktor der CIA. So waren es im Grunde eine oder zwei Personen im Geheimdienst, die absegneten, unterzeichneten”.422
Die CIA initiierte eine Reihe von Untersuchungen zu diesen Todesfällen. Sie gab den Fall eines erfrorenen Afghanen an das Justizministerium weiter. Das Justizministerium beschloss jedoch, keine
Anklage zu erheben. Außerdem untersuchte der Generalinspektor der CIA den Tod von M.W. und
den eines nicht identifizierten weiteren Häftlings (wahrscheinlich J.) und übergab auch diese zur
Strafverfolgung an das Justizministerium. Tatsächlich gab es hingegen keine externen Ermittlungen
gegen Angestellte der CIA. Sogar eine zugesagte Ermittlung durch einen internen CIA Hauptinspektor wurde dem Kongress niemals vorgelegt423.
Der Beschuldigte G.T. hatte aufgrund dieser zahlreichen Untersuchungen Kenntnis insbesondere
von den Todesfällen.
Rechtliche Würdigung
Die obigen Tatsachen belegen G.T.s direkte Verantwortung für Verstöße nach den §§ 8, 4 sowie
subsidiär den §§ 13, 14 VStGB, da er die Begehung von Kriegsverbrechen durch seine Untergebenen in der CIA angeordnet, betrieben, veranlasst, unterstützt, angestiftet und auch offensichtlich
entschuldigt hat.
Der Beschuldigte G.T. ist persönlich verantwortlich für Verstöße gegen § 8 VStGB im Rahmen einer
mittelbaren Täterschaft kraft Organisationshoheit. G.T. autorisierte Programme, innerhalb derer
CIA-Agenten Menschen rechtswidrig einsperrten, gewaltsam transferierten, folterten und in Einzelfällen sogar töteten. Die Autorisierung und Anweisung von Untergebenen, an derartigen Kriegsverbrechen teilzunehmen, stellt ihrerseits ein Kriegsverbrechen dar. Daneben ist er in mindestens
einem belegbaren Fall für die Verwahrung eines so genannten Geistergefangenen persönlich täterschaftlich verantwortlich, § 8 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 6 VStGB.
Als Direktor der Central Intelligence hatte G.T. die letzte Autorität über alle Vorgänge in der CIA
und über alle ihre Angestellten. Ein “ziviler Vorgesetzter” oder “jede Person, die die tatsächliche
Befehlsgewalt und Kontrolle in einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen hat“, kann nach
§ 4 VStGB zur Verantwortung gezogen werden. Als Direktor der CIA übte G.T. Befehlsgewalt und
Kontrolle über alle Angestellten und Agenten aus, die in seiner Kenntnis und Billigung Kriegsverbrechen begangenen haben, wodurch er sich nach den §§ 4, 8 VStGB strafbar gemacht hat.
G.T. hatte Kenntnis davon, dass Kriegsverbrechen von seinen Untergebenen fortdauernd verübt
wurden und unternahm nichts, um diese Verbrechen zu verhindern. Er ist demnach subsidiär auch
nach den §§ 13 und 14 VStGB verantwortlich, weil er es unterließ, diejenigen zu überwachen, die
ihm unterstanden, und ferner, die zuständigen Stellen über Verbrechen zu informieren, von denen
er Kenntnis hatte.
422
Getting Away with Torture?: Command Responsibility for the U.S. Abuse of Detainees written by
Human Rights Watch, April 2005 Vol. 17, No. 1(G) Pg 61-62
423
A Future Investigation, The Washington Post, October 16, 2005, 1.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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3. Der Beschuldigte S.C.
Der Beschuldigte S.C. hat in mittelbarer Täterschaft und in Verantwortung für seine Untergebenen
durch Unterlassen Kriegsverbrechen nach internationalem Recht und nach dem VStGB begangen.
Die folgende Darstellung betrifft wiederum nur einen Ausschnitt der strafbaren Handlungen des
Beschuldigten, soll und kann eine abschließende Bewertung nicht begründen. Es ergeben sich jedoch konkrete und zureichende Anhaltspunkte für die Begründung zumindest eines Anfangsverdachtes, § 152 II StPO, und damit für eine zwingende Aufnahme eine Ermittlungsverfahrens. Um
Wiederholungen zu vermeiden, wird bezüglich weiterer Einzelheiten auf die Sachverhaltsschilderung unter 4.1. der Anzeige verwiesen.
Person und Kompetenzbereich
S.C. ist Unterstaatssekretär für Nachrichtendienst im USVerteidigungsministerium und seit dem 7.
März 2003 im Amt. Diese Position wurde von Verteidigungsminister D.R. geschaffen, als er das
Verteidigungsministerium umstrukturierte. S.C. berichtet direkt D.R. und ist für die nachrichtendienstlichen Aktivitäten des Verteidigungsministeriums zuständig.424
Seine Amtspflichten beinhalten die Koordination der nachrichtendienstlichen Informationen des
Verteidigungsministeriums und die Politik, Pläne, Programme, Anforderungen und Quellenfindung,
die Überwachung der Nachrichtenbeschaffung und Einbeziehung in Informationsoperationen mit
Konzentration auf Einschätzung zur Unterstützung von Operationen.425
S.C. hatte tatsächlich effektive Autorität und Kontrolle. Er ist dem Verteidigungsminister direkt
Rechenschaft für nachrichtendienstlich Operationen schuldig. S.C. war in einer Position, welche es
ihm ermöglichte, direkt über diejenigen militärischen Befehlshaber Kontrolle auszuüben, die für
Einheiten zuständig waren, welche Kriegsverbrechen begingen. Er hatte zudem aufgrund seiner
Position den Zugang und die Kontrolle über sämtliche Informationen bezüglich aller Inhaftierungen,
des Verbleibes und der Behandlung der Gefangenen in Militärgewahrsam weltweit.
S.C. ist auf seinem Posten als Untersekretär der Verteidigung für Nachrichtendienste verblieben. Es
sind weder disziplinarische Schritte gegen ihn eingeleitet worden, noch wird eine strafrechtliche
Untersuchung in den USA erwogen.
Vorwerfbares Verhalten
Als die Misshandlungen von irakischen Gefangene in Abu Ghraib aufgedeckt wurden, stand S.C. im
Zentrum der bürokratischen Kommandokette, die die Verhöre überwachte. Die Verhöre "waren Teil
eines streng vertraulichen Special Access Program (SAP) mit dem Kodenamen Copper Green, autorisiert von Verteidigungsminister D.R. und letztlich von dem Verteidigungsuntersekretär für Nachrichtendienste S.C. überwacht."426
Die von D.R. gebilligte und von S.C. ausgeführte Reaktion auf die sich ausbreitenden Aufstände im
Irak, war “hart gegen die Irakis im Militärgefängnissystem vorzugehen, die verdächtigt wurden, zu
den Aufständischen zu gehören.” Ein Pentagonberater, der einen großen Teil seiner Laufbahn damit
verbracht hatte und direkt mit Sonderzugangsprogrammen (special-access programs) zu tun hatte,
sagte „Das Weiße Haus hat diesen Auftrag an das Pentagon vergeben und das Pentagon beauftragte S.C.. Das ist S.C.s Deal, aber D.R. und M. haben das Programm gebilligt.“ Als die Sprache auf
die Vernehmungsoperation in Abu Ghraib kam, sagte er, D.R. hat S.C. die Einzelheiten überlassen.427
Beweislage
Es gibt Beweise, dass S.C. eine zentrale Rolle bei der Organisation geheimer Vernehmungsoperationen spielte, die gegen das VStGB verstoßen. Da er für die nachrichtendienstlichen Aktivitäten des
Verteidigungsministeriums zuständig ist, ist er direkt verantwortlich für die Anstiftung zu sowie die
Unterstützung von Verstößen gegen § 8 VStGB und unter dem Aspekt der Vorgesetztenverantwortlichkeit gemäß § 4 VStGB. Außerdem hat es S.C. versäumt, Misshandlungen durch Untergebene bei
Vernehmungen gemäß § 13 des VStGB zu verhindern.
“Obwohl keine direkten Verbindungen zwischen dokumentierten Misshandlungen und Befehlen aus
424
Seymore Hersh, The Grey Zone, The New Yorker, 15. Mai 2004.
Jason Vest, Implausible Denial, The Nation, 14. Mai 2004.
426
Jason Vest, Denial II, The Nation, May 17, 2004.
427
Seymour Hersh, “The Gray Zone,” The New Yorker, May 15, 2004.
425
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Washington gefunden wurden, sagen Pentagonmitarbeiter unter der Bedingung, dass sie nicht genannt werden, dass die Jagd nach Daten zu diesen beiden während dieses Zeitraums von Verteidigungsunterstaatssekretär S.C. koordiniert wurde, welcher der höchste US-Militärnachrichtenbeamte ist und lange einer der engsten Berater des Verteidigungsministers D.R. war.”428
Seymour Hersh deckte auf, dass, obwohl Copper Green in Afghanistan mit Personal aus geschulten
Sondereinsatzkommandos begonnen hatte, es sich im Irak mit Geheimdienstoffizieren und anderem Personal, welches nicht speziell für diese Rolle geschult war, weiterentwickelte. Nachdem sich
die CIA aus dem Programm zurückzog, beauftragte S.C. Berichten zufolge Generalmajor G.M., den
ehemaligen Guantánamo Bay Vernehmungschef, das irakische Gefängnissystem zu überwachen.429
Nach dem Besuch von Generalmajor G.M. in Abu Ghriab fanden einige der schwersten Misshandlungen statt.
S.C. hatte aufgrund seiner Position spezifische Kenntnis davon, dass die Straftaten begangen wurden. Er hat zudem bestimmte strafbare Verhaltensweisen selbst autorisiert. Außerdem wusste er,
dass wahrscheinlich mehr Verbrechen stattfinden würden, als er autorisiert hatte. Denn dies war
vorhersehbar. Er hat es versäumt, verhindernde Maßnahmen zu ergreifen.
Rechtliche Würdigung
Wie durch die obigen Fakten dargelegt, hat S.C. Kriegsverbrechen nicht nur mitorganisiert, sondern
er hat es auch versäumt, alles in seiner Macht stehende zu unternehmen, um zu verhindern, dass
die Kriegsverbrechen stattfanden. Wie alle anderen im Verteidigungsministerium hatte S.C. Zugang
zu den Berichten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes und den zahlreichen Beschwerden der Medien über Haftbedingungen. Trotzdem vernachlässigte er seine Pflicht, weitere Untersuchungen anzustellen und versäumte es, Maßnahmen zu ergreifen, bevorstehende Kriegsverbrechen
aufzuhalten. Für diese Handlungen und Versäumnisse hat er sich als mittelbarer Täter kraft Organisationsherrschaft und als verantwortlicher Vorgesetzter für Verbrechen und Vergehen gemäß §§ 4,
8 VStGB, § 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB und subsidiär nach §§ 13, 14 VStGB zu verantworten.
Die Fakten zeigen, dass S.C. nicht nur Aktionen angeordnet hat, die Kriegsverbrechen darstellen,
sondern auch aktiv dazu ermutigt, sie unterstützt und dazu angestiftet hat. Er hat die Bedingungen
geschaffen, die notwendig sind, damit weitere Kriegsverbrechen stattfinden. Dies macht ihn zusätzlich direkt für die Kriegsverbrechen nach § 8 VStGB verantwortlich.
4. Der Beschuldigte Generalleutnant R.S.
Der Beschuldigte R.S. hat in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationshoheit sowie im Rahmen
seiner Vorgesetztenverantwortlichkeit auch durch Unterlassen Kriegsverbrechen nach dem VStGB
und nach internationalem Recht begangen. Die folgenden wesentlichen Punkte stellen als Ausschnitt der strafbaren Handlungen eine nicht abschließende Betrachtungsweise dar. Aus ihnen ergeben sich jedoch eindeutig konkret zureichende Anhaltspunkte, die im Rahmen von § 152 Abs. 1
StGB zumindest einen Anfangsverdacht begründen, welcher die zwingende Aufnahme des Ermittlungsverfahrens gebietet. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird bezüglich weiterer Einzelheiten
im Übrigen auf die Sachverhaltsschilderung unter 4.1. der Anzeige verwiesen.
Person und Kompetenzbereich
Der Beschuldigte R.S. ist Generalleutnant der Armee der Vereinigten Staaten und nach letzten hier
vorliegenden Informationen Kommandeur des V. Army Corps mit Hauptquartier in Heidelberg,
Deutschland. Nach dem Fall von Bagdad im Frühjahr 2003 übernahm Generalleutnant R.S. das
Kommando der sog. Combined Joint Task Force Seven (CJTF-7), die alle US-Streitkräfte im Irak
umfasst, einschließlich jener in Haftanstalten. Er bekleidete diese Position vom 14. Juni 2003 bis
mindestens zum 28. Juni 2004.430 Die Streitkräfte, die er befehligte, waren in diesem Zeitraum
verantwortlich für die Begehung von zahlreichen Kriegsverbrechen, die auch eine Verantwortlichkeit nach dem VStGB nach sich zieht.
428
R. Jeffrey Smith, “Knowledge of Abusive Tactics May Go Higher,” Washington Post, 16. Mai
2004.
429
Seymore Hersh, Chain of Command, The New Yorker, May 17, 2004.
430
Siehe zur Biographie das Department of Defense unter
http://www.vcorps.army.mil/leaders/Biography-SanchezRicardoS.pdf
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Vorwerfbares Verhalten
Der Beschuldigte R.S. ist direkt verantwortlich für Verstöße gegen § 8 VStGB, weil er persönlich
illegale Vorgehensweisen bei Verhören zugelassen hat, welche den Tatbestand von Kriegsverbrechen erfüllen. Als militärischer Befehlshaber ist er auch gemäß § 4 VStGB für die Begehung von
Kriegsverbrechen, wie oben beschrieben, verantwortlich. Generalleutnant R.S. hat es in Kenntnis
von Kriegsverbrechen, die von seinen Untergebenen begangen wurden, unterlassen, diese Verbrechen zu verhindern. Er hat gegen die §§ 13 und 14 VStGB verstoßen, indem er nicht diejenigen,
die ihm unterstanden, beaufsichtigte und er die Verbrechen, von denen er Kenntnis hatte, nicht bei
den zuständigen Stellen zur Anzeige brachte.
Generalleutnant R.S. hat die illegalen Verhörmethoden im Herbst 2003 direkt autorisiert. Der
Schlesinger-Bericht führt dazu aus:
„Am 14. September 2003 unterschrieb Generalleutnant R.S. ein Memorandum mit dem Titel: CJTF7 Interrogation and Counter-Resistance Policy, das ein Dutzend Vernehmungstechniken zuließ, die
über diejenigen im (Army) Field Manual (FM) 34-52 hinausgingen – und zudem fünf mehr als in
Guantánamo bewilligte.“431
Generalleutnant R.S.’ Erlaubnis bestimmter Vorgehensweisen bei Vernehmungen überschritt die
Standarddoktrin der Armee und verstieß gegen die Genfer Konventionen, die unmenschliche Behandlung verbieten.432
Tatsächlich war General R.S. bekannt, dass andere Nationen einige dieser Techniken „als nicht mit
den Genfer Konventionen in Übereinstimmung“ ansehen könnten.433 Diese Methoden schlossen den
Gebrauch von Militärhunden, extremer Temperaturen, Schreien, laute Musik, Lichtkontrolle, Schlafanpassung, Sinnesberaubung, Stresspositionen, ausgedehnte Isolation und Manipulation der Nahrung ein Generalleutnant R.S. erklärte, dass er der Meinung war, die Anwendung von Geschrei,
lauter Musik und Lichtkontrolltechniken würden „Furcht auslösen, die Gefangenen verwirren und
einen lang anhaltenden Schockzustand hervorrufen“.434
Die World Organization for Human Rights USA (WOHR) dokumentierte diese Vernehmungstechniken. Sie “beinhalten den Einsatz von Militärhunden, extremen Temperaturen, die Umkehrung der
Schlafgewohnheiten, sensorische Angriffe, Stresspositionen, Fußfesseln, Entkleiden unter Zwang
und die Manipulation der Nahrung“.435
Einen Monat später, nachdem das Zentralkommando der Streitkräfte die im September erörterten
Techniken abgelehnt hatte, erließ der Beschuldigte R.S. in seinem Memorandum vom 12. Oktober
2003 eine Anzahl von Vernehmungstechniken.436 Laut der New York Times befanden bisher geheim
gehaltene Absätze des Fay-Jones-Berichtes, dass „die Vorgehensweise, welcher General R.S. am
14. September 2003 zustimmte, und deren Überarbeitung, die erfolgte, als das Zentralkommando
Fehler in der ursprünglichen Fassung fand, sowohl die Genfer Konventionen als auch die StandardArmeedoktrin überschritt“. Diese Vorgehensweisen beinhalteten auch Isolation über längere Zeit-
431
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 9; sowie Memorandum from R.S., Lieutenant General, to
Combined Joint Staff Force Seven, Baghdad, Iraq, and Commander, 205th Military Intelligence
Brigade, Baghdad, Iraq, “CJTF-7 Interrogation and Counter-Resistance Policy,” vom 14. September
2003 unter http://www.aclu.org/SafeandFree/SafeandFree.cfm?ID=17851&c=206
432
Human Rights Watch: Getting Away with Torture? April 2005, S. 64; Transcript: Senate Hearing
on Prison Abuse, Wahington Post vom 19: Mai 2004 unter http://www.washingtonpost.com/wpdyn/articles/A39851-2004May19_3.html
433
R.S., Memorandum, 14. September 2003.
434
Human Rights Watch: Getting Away with Torture? Command Responsibility for the U.S. Abuse of
Detainees. April 2005, Vol. 17, No. 1(G), S. 66.
435
Vgl. auch Seymour M. Hersh: The GrayZone. The New Yorker vom 24. Mai 2004; R. Jeffrey
Smith / Josh White: General Granted Latitude at Prison. Washington Post vom 12. Juni 2004; R.
Jeffrey Smith: General Is Said To Have Urged Use of Dogs. Washington Post vom 26. Mai 2004.
436
Memorandum from R.S., Lieutenant General, to Combined Joint Staff Force Seven, Baghdad,
Iraq, and Commander, 205th Military Intelligence Brigade, Baghdad, Iraq, “CJTF-7 Interrogation
and Counter-Resistance Policy,” vom 12. Oktober 2003 unter
http://www.aclu.org/FilesPDFs/october%20sanchez%20memo.pdf
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räume und den Einsatz von Militärhunden.437
Laut Human Rights Watch wurde in dem Memorandum des Beschuldigten R.S. vom 12. Oktober
2003 gefordert, dass „Vernehmungsbeamte in Abu Ghraib mit Militärpolizeiwachen zusammenarbeiten, um die ‚Emotionen und Schwächen der Internierten zu manipulieren’ und Kontrolle über das
Licht, die Heizung [...], das Essen, die Kleidung und die Unterkunft über die auszuüben, die sie
vernahmen.”
Der Human Rights Watch-Bericht listet eine Anzahl von Einsatzregeln auf.438 Dazu zählten:
− Negative Veränderung der Umgebung (Verlegung in eine kargere Zelle)
− Manipulation an der Nahrung
− Manipulation der Umwelt
− Schlafanpassung (Umdrehung des Tag-Nacht-Plans)
− Isolation für mehr als 30 Tage
− Anwesenheit von Militärhunden
− Schlafmanagement (höchstens 72 Stunden)
− Sensorische Angriffe (höchstens 72 Stunden)
− Stresspositionen (nicht mehr als 45 Minuten)
Der Beschuldigte R.S. selbst gibt zu, dass „er in fünfundzwanzig Einzelfällen befürwortet hatte,
dass irakische Gefangene mehr als dreißig Tage in Isolationshaft genommen wurden, eine der Methoden, die auf der ausgegebenen Liste standen.”439
„Richtlinien der CJTF-7 Direktive vom 14. September 2003 gestatteten den Einsatz von Hunden bei
Verhören als Vernehmungstechnik, welche die Zustimmung des CJTF-7 Kommandeurs hatte.“440 –
Diese Befugnis wurde mit dem Memorandum vom 14. Oktober 2003 aktualisiert, das die Anwesenheit von Hunden bei Verhören zuließ, solange sie einen Maulkorb trugen und unter ständiger Kontrolle des Hundeführers standen; allerdings war noch immer eine gesonderte Zustimmung notwendig. Die Taguba- und Fay-Jones-Untersuchungen benannten eine Anzahl von Misshandlungen bei
Verhören im Zusammenhang mit Hunden mit und ohne Maulkorb.441
Es ist unstreitig, dass US-Militärpersonal unter dem Kommando des Beschuldigten R.S. zahlreiche
Kriegsverbrechen beging.442 Der Schlesinger-Bericht listet im August 2004 ungefähr 300 Fälle auf,
von denen 155 untersucht worden sind. Bei 55 der im Irak stattgefunden Verbrechen handelt es
sich um Misshandlungen.443 Der Taguba-Bericht kommt zu dem Schluss, dass US-Soldaten „ungeheuerliche Taten“ und schwerwiegende Brüche internationalen Rechts in Abu Ghraib/ BCCF und im
Lager Bucca, ebenfalls Irak, begangen haben. Der Fay-Jones-Bericht dokumentiert 44 Kriegsverbrechen. Der Bericht des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes vom November 2004 besagt,
dass die schlechte Behandlung Gefangener durch Militärpersonal im Irak nicht außergewöhnlich
war, sondern im Hinblick auf bestimmte Personen systematisch erfolgte, wenn diese im Zusammenhang mit mutmaßlichen Sicherheitsverstößen verhaftet wurden oder einen „nachrichtendienstlichen Wert" besaßen und diese Praxis deshalb von den CF (Coalition Forces) toleriert werden konnte.444
Der Beschuldigte R.S. wusste von den Misshandlungen, die in Haftanstalten unter seinem Kommando auftraten; und zwar spätestens im Spätsommer 2003 durch den Ryder-Bericht und die Berichte des IKRK. Jedoch beendete er die Misshandlungen nicht und trug auch nicht dazu bei, die in
den Berichten enthaltenen Empfehlungen umzusetzen, was durch regierungsamtliche Untersuchun437
Army's Report Faults General in Prison Abuse. New York Times vom 27. August 2004,
http://www.wilmingtonstar.com/apps/pbcs.dll/article?AID=/20040827/ZNYT/408270390/1010/STA
TE.
438
Human Rights Watch: The Road to Abu Ghraib, Juni 2004, S. 33f.
439
Human Rights Watch, a.a.O., S. 34.
440
Memorandum from R.S., Lieutenant General, to Combined Joint Staff Force Seven, Baghdad,
Iraq, and Commander, 205th Military Intelligence Brigade, Baghdad, Iraq, “CJTF-7 Interrogation
and Counter-Resistance Policy, vom 14. September 2003 unter
http://www.aclu.org/SafeandFree/SafeandFree.cfm?ID=17851&c=206; Human Rights Watch: Getting Away With Torture?, April 2005, S. 66.
441
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 77.
442
Human Rights Watch: Getting Away With Torture? April 2005, S. 69.
443
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 12f.
444
IKRK -Bericht Nov. 2004, § 24 und Executive Summary.
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gen dokumentiert ist. Lange bevor der Beschuldigte R.S. eingriff, waren ihm als Kommandeur der
CJTF-7 mehrere Misshandlungsfälle zur Kenntnis gekommen oder hätten jedenfalls kommen müssen:
„Rückblickend waren Anzeichen und Warnungen auf CJTF-7-Ebene aufgetaucht, aufgrund derer
vermehrte Überwachung und ein Korrektiv hinsichtlich des Umgangs mit Häftlingen ab der Gefangennahme durch die zentralen Sammlungseinrichtungen einschließlich Abu Ghraib, notwendig gewesen wären. Beispiele dafür sind: die Untersuchung im Lager Cropper, die Berichte des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes über die Behandlung von Häftlingen in untergeordneten Einheiten, Rotkreuz-Berichte über die Haftbedingungen und die Häftlingsbehandlung in Abu Ghraib, CIDUntersuchung und Disziplinarmaßnahmen, die von Kommandeuren ergriffen wurden, der Tod eines
OGA-Häftlings in Abu Ghraib, der Mangel an einem angemessenen System zur Identifizierung und
Verfolgbarkeit von Häftlingen und die ständige Sorge der Divisionskommandeure, dass nachrichtendienstliche Informationen nicht zur taktischen Ebene zurückfanden, sobald die Häftlinge an die
zentrale Hafteinrichtung überstellt wurden.”445
Der Beschuldigte R.S. stattete Abu Ghraib im Jahre 2003 mehrere Besuche ab und hatte dabei
Gelegenheit, dort etwas über die Bedingungen aus erster Hand zu erfahren: „Durch den aktiven
Aufstand im Irak lag Druck auf den Vernehmungsbeamten, ‚verwertbare’ Informationen zu produzieren. Da Menschenleben auf dem Spiel standen, drückten ranghohe Führungsbeamte, manchmal
mit Nachdruck, ihren Bedarf nach besseren Informationen aus. Eine Reihe von führenden Beamten
besuchte Abu Ghraib, was zweifellos zu diesem empfundenen Druck beitrug. Sowohl der CJTF-7
Kommandeur (R.S.) als auch sein Aufklärungsoffizier, CJTF-7 C2, besuchten das Gefängnis bei
mehreren Gelegenheiten.446 Der Beschuldigte R.S. war angeblich sogar bei einigen Vernehmungen
und/oder Vorfällen von Gefangenenmisshandlung anwesend.447
Die im Zeitraum Januar 2004 für insgesamt 17 Haftzentren (u.a. das Gefängnis Abu Ghraib) zuständige Brigadegeneralin J.K. berichtet:
„Bei mehreren Gelegenheiten erhielten wir Anweisungen von der CJTF-7, durch Generalin B.F. oder
General R.S., durch Befehle, die im Pentagon entstanden, von Verteidigungsminister D.R., und wir
wurden angewiesen, Gefangene festzuhalten, ohne ihre Namen, Informationen oder Gefangenenregistrierungsnummer in die Datenbank aufzunehmen. Dies steht im Gegensatz zur Genfer Konvention. Oberst M.W., und Generalin B.F., der Nachrichtendienstoffizier von General R.S., sowie
General R.S. persönlich sagten uns, diese Befehlen seien von Verteidigungsminister D.R. erteilt
worden; sie würden für spezielle Individuen gelten und diese seien die Sonderfälle.“ 448
Obwohl der Beschuldigte R.S. von den Misshandlungen und seiner Verantwortung im Operationsradius von CJTF-7 wusste, unternahm er nichts, um die Misshandlungen zu beenden. Der Schlesinger-Bericht schreibt diese Misshandlungen der oberen Militärführung zu: „Sie [die Misshandlungen]
repräsentieren abweichendes Verhalten und ein Versagen der militärischen Führung und Disziplin.
Die Misshandlungen stellen nicht nur ein Versagen Einzelner bei der Einhaltung bekannter Standards dar, und sie sind mehr als das bloße Versagen von ein paar Führungspersönlichkeiten, die
notwenige Disziplin durchzusetzen. Es gibt institutionelle und persönliche Verantwortung auf höherer Ebene.”449 Außerdem hätten es der CJTF-7 Kommandeur und der stellvertretende Kommandeur
verabsäumt, die Überwachung des Personals bei Haft und Vernehmungen sicherzustellen. Ferner
hätten CJTF-7-Stabsangehörige nicht angemessen auf frühe Anzeichen und Warnungen reagiert,
die darauf hinwiesen, dass es Probleme in Abu Ghraib gab.450 „Wir glauben, Generalleutnant R.S.
hätte im November stärker durchgreifen sollen, als er merkte, welches Ausmaß die Führungsprobleme in Abu Ghraib angenommen haben. Wir stimmen mit den Erkenntnissen von Jones überein,
dass Generalleutnant R.S. und Generalmajor W.W. darin versagt haben, die angemessene Stabsaufsicht bei Haft- und Vernehmungsoperationen sicherzustellen.”451
445
Fay-Jones-Bericht, a.a.O., 12 § 6.a.
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 65.
447
Scott Higham,/ Joe Stephens / Josh White: Prison Visits by General Reported in Hearing: Alleged
Presence of R.S. Cited by Lawyer. Washington Post vom 23. Mai 2004.
448
Zeugenaussage der ehem. Brigadegeneralin der 800. Militärpolizeibrigade J.K., ehemals oberste
Befehlshaberin für das Gefängnis von Abu Ghraib vom 26. Oktober 2005.
449
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 5.
450
Fay-Jones- Bericht, a.a.O.,4 § 1.d.
451
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 15.
446
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In den offiziellen Militäruntersuchungen wird dem Beschuldigten R.S. vorgeworfen, dass er nichts
unternommen habe, um die Situation in Abu Ghraib zu verbessern: Die Reihe der verantwortungsbewussten Vorgesetzten, die eine Entwicklung in Richtung einer effektiveren, alternativen Handlungsweise in Gang hätten setzen können, gehe die ganze Kommandokette und den Stab hoch und
dazu gehörten der Kommandeur CJTF-7, Generalleutnant R.S., der Vorsitzende des Generalstabs
Joint Chiefs of Staff, General R.M.; und das Büro des Verteidigungsministers D.R..452
Anstatt disziplinarische oder strafrechtliche Schritte gegen den Beschuldigten R.S. einzuleiten,
wurde er nach Heidelberg in Deutschland versetzt und ihm das Kommando über das V. Army Corps
übertragen.453 James Schlesinger, ehemaliger US-Verteidigungsminister und Autor des SchlesingerBerichts, sagte kürzlich im US- Kongress: „R.S. hätte wahrscheinlich seinen vierten Stern bekommen, was aber jetzt unwahrscheinlich ist. Das ist eine Art von Kommentar dazu, dass er in seiner
Verantwortlichkeit versagt hat.”454
Rechtliche Würdigung
Die obigen Tatsachen belegen R.S.’ direkte Verantwortung für Verstöße nach den §§ 8, 4 sowie
subsidiär den §§ 13, 14 VStGB, da er die Begehung von Kriegsverbrechen durch seine Untergebenen angeordnet, betrieben, veranlasst, unterstützt, angestiftet und auch offensichtlich entschuldigt
hat.
Der Beschuldigte R.S. ist persönlich verantwortlich für Verstöße gegen § 8 VStGB im Rahmen einer
mittelbaren Täterschaft kraft Organisationshoheit. R.S. autorisierte Programme, innerhalb derer die
ihm Untergebenen Menschen rechtswidrig einsperrten, folterten, misshandelten und sogar töteten.
Die Autorisierung und Anweisung von Untergebenen, an derartigen Kriegsverbrechen teilzunehmen, stellt ihrerseits ein Kriegsverbrechen dar.
Als Kommandeur der sog. Combined Joint Task Force Seven (CJTF-7), die alle US-Streitkräfte im
Irak umfasst, einschließlich jener in Haftanstalten, hatte R.S. die letzte Autorität über alle Vorgänge in diesen Einrichtungen, begangen von US-Streitkräften. Ein militärischer Befehlshaber kann
nach § 4 VStGB zur Verantwortung gezogen werden. Als Kommandeur dieser sog. Combined Joint
Task Force Seven (CJTF-7) übte R.S. als militärischer Befehlshaber Befehlsgewalt und Kontrolle
über die ihm unterstehenden US-Streitkräfte aus, die in seiner Kenntnis und Billigung Kriegsverbrechen begangenen haben, wodurch er sich nach den §§ 4, 8 VStGB strafbar gemacht hat.
R.S. hatte Kenntnis davon, dass Kriegsverbrechen von seinen Untergebenen fortdauernd verübt
wurden und unternahm nichts, um diese Verbrechen zu verhindern. Er ist demnach subsidiär auch
nach den §§ 13 und 14 VStGB verantwortlich, weil er es unterließ, diejenigen zu überwachen, die
ihm unterstanden, und ferner, die zuständigen Stellen über Verbrechen zu informieren, von denen
er Kenntnis hatte.
452
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 47.
Jonathan Turley: Military Scapegoats Walk a Well-Worn Path. USA Today vom 7. Juni 2005 unter
http://www.usatoday.com/news/opinion/editorials/2005-06-06-turley-edit_x.htm
454
Artikel von Crawley/Gaudiano vom 27. September 2004 unter
http://www.marinetimes.com/story.php?f=1-MARINEPAPER-354556.php. Eine Beförderung erscheint anderen Insidern hingegen weiterhin als nicht ausgeschlossen. So John Hendren: Officer
Who Oversaw Iraq Prisons May Be Promoted. Los Angeles Times vom 15. Oktober 2004 unter
http://seattletimes.nwsource.com/html/nationworld/2002064012_sanchez15.html; Barbara Ehrenreich: Crime and Punishment. The Guardian vom 30. Juli 2005 unter
http://www.guardian.co.uk/weekend/story/0,,1537690,00.html.
453
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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5. Beschuldigter G.M.
Der Beschuldigte G.M. hat persönlich und in Verantwortung für seine Untergebenen als Generalmajor der Armee der Vereinigten Staaten von Amerika in Guantánamo und im Irak Kriegsverbrechen
nach dem VStGB und internationalem Recht begangen. Die nachfolgend dargelegten wesentlichen
Punkte stellen sich dabei nur als ein Ausschnitt der strafbaren Handlungen des Beschuldigten dar.
Aus den angegebenen Fakten ergeben sich jedoch konkrete zureichende Anhaltspunkte für die
zwingende Aufnahme des Ermittlungsverfahrens. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird bezüglich
weiterer Einzelheiten im Übrigen auf die Sachverhaltsschilderung unter 4.1. der Anzeige verwiesen.
Person und Kompetenzbereich
G.M. war Generalmajor der Armee der Vereinigten Staaten. Er war von November 2002 bis April
2004 Kommandeur der Joint Task Force-Guantánamo (JTF-Guantánamo) und wurde dann stellvertretender kommandierender General, zuständig für inhaftierte Personen im Irak. Inzwischen ist er
auf seinen Wunsch hin pensioniert worden.455 Als Kommandeur von JTF-Guantánamo hatte Generalmajor G.M. bis April 2004 die Aufsicht sowohl über den militärischen Nachrichtendienst als auch
über die Militärpolizei. Im Irak war G.M. verantwortlich für alle mit Inhaftierten zusammenhängenden Operationen. Das betrifft insbesondere auch die Vernehmungspraktiken und die damit einhergehenden rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben für die multinationalen Streitkräfte im Irak.456
Generalmajor G.M.s Mission in Guantánamo war es zuvor, „die nachrichtendienstlichen Funktionen
in die Haft zu integrieren, um verwertbare Informationen für die Nation zu produzieren
[…]operationale und strategische Informationen, die den USA helfen würden, den globalen Krieg
gegen den Terror zu gewinnen.”457 Generalmajor G.M. vereinigte das Kommando über die Einheiten des militärischen Nachrichtendienstes und die Militärpolizei-Einheiten, und hielt sie zur Zusammenarbeit an, um die Gefangenen für Vernehmungen „weich zu machen".
Vorwerfbares Verhalten
Sowohl in Guantánamo als auch im Irak hat Generalmajor G.M. Kriegsverbrechen an Gefangenen
durch seine Untergebenen begangen.
Als Kommandeur von Guantánamo hatte der Beschuldigte G.M. tatsächliche Autorität über das
gesamte untergebene Militärpersonal in Guantánamo von November 2002 bis April 2004.
Am 2. Dezember 2002, kurz nachdem Generalmajor G.M. Guantánamo übernommen hatte, stimmte der Beschuldigte D.R. zusätzlichen Vernehmungstechniken zu, die über das Army FieldHandbuch hinausgingen, darunter Gesichtsverhüllungen, Stresspositionen, Entkleiden, Zwangsrasur, Ausnutzen persönlicher und kultureller Phobien (z.B. Hunde), Isolation bis zu 30 Tagen, „milder“, nicht verletzender körperlicher Kontakt (z.B. Angrabschen, Sticheln und leichtes Stoßen) und
Entfernung aller Trost spendenden Gegenstände, wozu auch religiöse Gegenstände gehörten.458 In
der Folge führte Generalmajor G.M. eine Reihe von Techniken ein, um die Gefangenen „weich zu
machen“, damit diese spezifische Informationen lieferten. Dazu gehörten Schlafentzug, verlängerte
Isolation, simuliertes Ertränken sowie so genannte Stresspositionen, in welchen die Gefangenen
gezwungen wurden, zu stehen oder zu hocken und gleichzeitig extremer Hitze oder Kälte ausgesetzt waren.459
Generalmajor G.M.s Kenntnis, dass Kriegsverbrechen fortdauernd begangen wurden, wird durch
Art seiner Kommandoführung in Guantánamo deutlich. Er ließ spezifische völkerrechtswidrige
Techniken für den Einsatz in Verhören und für die Behandlung von Gefangenen zu. Spätestens, als
sich G.M. und das Internationale Komitee des Roten Kreuzes im Oktober 2003 trafen, mussten ihm
diese Umstände auch bewusst geworden sein. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes
machte Generalmajor G.M. darauf aufmerksam, dass der Einsatz vieler Techniken in Kombination
455
Thoma Shanker: General in Abu Ghraib Retires After Forced Delay. New York Times vom1. August 2006.
456
Jim Garamone: General ‘Guarantees’ Protection Under Geneva Conventions. American Forces
Press Service, 8. Mai 2004.
457
Zeugenaussage von General G.M. gegenüber Sen. Ben Nelson bei der Anhörung des Senatsausschusses für Armed Forces vom 19. Mai 2004.
458
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., Appendices E, F.
459
Trevor Royle: D.R.’s Soulmate at the Heart of Culture of Brutality. Sunday Herald vom 16. Mai
2004; Hersh, a.a.O., S. 14, Human Rights Watch, Getting Away With Torture, S. 71-73.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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miteinander oder direkt hintereinander einen „nachteiligen Effekt“ auf die Gesundheit der Gefangenen habe. Generalmajor G.M. machte jedoch explizit deutlich, dass es gerade seine Taktik war, den
Militärspolizisten zu erlauben, die Inhaftierten für Vernehmungen „weich zu machen“, und dass
Vernehmungstaktiken das Internationale Komitee des Roten Kreuzes nichts angingen. In der Tat
berichteten Soldaten in Guantánamo unter Generalmajor G.M.s Kommando, dass sie „harte Taktiken“ anwandten, um Inhaftierte in Angst zu versetzen und deren Verstand zu kontrollieren (mindcontrol). Diesen Soldaten war zu verstehen gegeben worden, dass Misshandlungen zumindest solange zulässig wären, solange die Medien keine Kenntnis davon erlangten.
G.M. war nicht nur über die Misshandlungen in Guantánamo informiert, sondern auch darüber, dass
die Bedingungen weitere Misshandlungen begünstigten. Trotzdem hat er es versäumt, Maßnahmen
zu ergreifen, um weitere Kriegsverbrechen zu verhindern. Nach seinem Treffen mit dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes gab es keine Anzeichen dafür, dass er seine Untergebenen anwies, den Sorgen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes nachzugehen oder dafür dass er
überhaupt etwas unternahm, um das Risiko weiterer Misshandlungen zu minimieren. Tatsächlich
verhielt er sich gegenüber dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes und dessen Anfragen
ablehnend und reagierte allein, indem er den Zugang des Internationalen Komitees des Roten
Kreuzes zu bestimmten Gefangenen begrenzte. So wie Generalmajor G.M. seine Untergebenen
zunächst zum Zermürben der Gefangenen ermutigt hatte, genehmigte er auch, dass weitere Misshandlungen stattfanden. Als das geschah, versäumte er es ferner, die angemessenen Maßnahmen
zu ergreifen und die Misshandlungen den entsprechenden Stellen zu melden. Dies führte zu einer
Kultur des Missbrauchs. Seine Untergebenen erkannten, dass sie nicht bestraft werden, wenn sie
Gefangene misshandeln und dieses Verhalten nicht nur entschuldigt, sondern auch gefördert wurde.
Generalmajor G.M. wurde im August 2003 von den Joint Chiefs of Staff in den Irak versetzt, um
dort „die Möglichkeiten zu erkunden, schnell von den Internierten verwertbare Informationen zu
erlangen.” Kurz nach diesem Besuch von Generalmajor G.M. folgten die schwersten Misshandlungen in Abu Ghraib.
Als Ergebnis seines Auftrages erstellte der Beschuldigte G.M. einen Bericht an den Beschuldigten
Generalleutnant R.S.. Dieser konzentrierte sich auf die Integration, Synchronisation bzw. Zusammenlegung, auf Verhöroperationen, Haftverfahren und Zuständigkeit von Vernehmungsbehörden.
Er sollte als Grundlinie im Irak gelten.460 G.M. exportierte damit D.R.s taktische Richtlinien für Guantánamo vom 16. April 2003 in den Irak und übergab diese Taktik an CJTF-7 als präferiertes Model für eine kommandoweite Politik. Er etablierte auf diese Weise die unzulässigen Vernehmungsmethoden im Irak und forderte in diesem Rahmen eine „starke und kommandoweite“ Verhörtaktik.461
Beweislage
Hinsichtlich der Vorgänge in Guantánamo ist offensichtlich, dass unter dem Kommando des Beschuldigten G.M. Folterpraktiken angeordnet und letztlich exzessiv angewandt wurden. Eine interne
Untersuchung über Folter in Guantánamo, die von dem Beschuldigten D.R., initiiert wurde, ergab
zwar angeblich nur acht Fälle von Missbrauch. Der beauftragte Offizier befragte jedoch keinen einzigen Gefangenen für seine Untersuchung.462 Die entlassenen Inhaftierten sagten aus, dass interne
Kameraaufnahmen, Fotos und Videobänder von den Verhören existierten, welche die Misshandlungen bestätigen können, da diese regelmäßig gefilmt wurden.463 Auch diese wurden offensichtlich
nicht in die interne Untersuchung mit einbezogen.
Am 15. April 2002 schickte amnesty international der US-Regierung ein 62-seitiges Memorandum
mit seinen Beschwerden über die Behandlung von Häftlingen in Guantánamo. Gerügt wurde die
Verletzung des Rechts, Zugang zu den Gefangenen zu haben sowie die Haftbedingungen.464 Ein
Anwalt der Armee-Reserve sagte, dass er und andere Anwälte Ende 2002 ein detailliertes Memorandum über die Verstöße gegen die Genfer Konventionen und das Anti-Folter-Bundesstatut an die
460
Article 15-6 Investigation of the 800. Military Police Brigade (Taguba-Bericht, a.a.O., S. 8).
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 9.
462
Human Rights Watch, a.a.O., S. 19.
463
Human Rights Watch, a.a.O., S. 19.
464
Katharine Seelye: A Nation Challenged: Prisoners; U.S. Treatment of War Captives is Criticized.
New York Times vom 15. April 2002.
461
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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führenden Offiziere in Guantánamo geschrieben, aber keine Antwort erhalten hätten.465 Außerdem
war gerade der Vorfall mit dem National Guardsman S.B. bekannt geworden, was Generalmajor
G.M. darauf aufmerksam machte, dass während seiner ersten Monate dort exzessive Gewalt gegen
Häftlinge in Guantánamo eingesetzt wurde.
Am 10. Oktober 2003 führte das Rote Kreuz mehr als 500 Interviews in Guantánamo, bevor sie
Generalmajor G.M. und seine höchsten Assistenten trafen. Das Internationale Komitee des Roten
Kreuzes gab seiner Sorge Ausdruck sowohl bezogen auf den Mangel an einem Rechtssystem für
Häftlinge, den fortwährenden Gebrauch von Stahlkäfigen, den „exzessive Gebrauch“ von Isolation
als auch die nicht vorgenommen Repatriierung von Häftlingen. Das Rote Kreuz hatte das Gefühl,
dass die Vernehmungsbeamten „zuviel Macht über die Grundbedürfnisse der Häftlinge hatten, […].
Die Vernehmungsbeamten hatten völlige Kontrolle über den Grad der Isolation, in der die Häftlinge
gehalten wurden, die Menge der Trostgegenstände, die die Häftlinge erhalten konnten, und den
Zugang zu Grundbedürfnissen der Häftlinge.” Generalmajor G.M. war aufgrund der Kritik aufgebracht und teilte dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes mit, dass die Verhörtechniken
dieses nichts angingen. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes erwiderte Generalmajor
G.M., dass die angewandten Methoden und die Länge der Verhöre nötigend wären und eine „kumulative Wirkung“ auf die geistige Gesundheit der Häftlinge hätten und dass die Stahlkäfige zusammen mit der Hochsicherheitseinrichtung und den Isolationstechniken eine harte Behandlung darstellten.466 Am nächsten Tag, dem 11. Oktober 2003, kritisierte der Chef des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes für die USA und Kanada aufgrund der unproduktiven Natur der Verhandlungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes mit der G.W.B.-Administration in einer für
das Rote Kreuz seltenen Vorgehensweise öffentlich Generalmajor G.M.s Versäumnis in Bezug auf
die Repatriierung der Häftlinge.467 Es sei eine politische Angelegenheit und „das Rote Kreuz erwartet auf allen Ebenen einer gegebenen Kommandokette Reaktionen auf die Belange, die es anspricht
– entweder mündlich oder schriftlich, in der Form von konkreten Veränderungen an den Orten der
Inhaftierung, die vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes besucht wurden. […] In Fällen, in
denen das Internationale Komitee des Roten Kreuzes zu dem Schluss kommt, dass seine Empfehlungen wiederholt nicht berücksichtigt werden, und die Bedingungen und die Behandlung sich trotz
der Berichte nicht verbessern, behält es sich als letztes Mittel das Recht vor, die Verstöße gegen
die in Frage kommenden rechtlichen Vorschriften durch die entsprechenden Behörden öffentlich
anzuprangern.”468
Nach den Ausführen des Schlesinger-Berichts ist zumindest in zwei Fällen eindeutig belegbar, dass
unter Generalmajor G.M. Regime in Guantánamo unzulässige Verhörtechniken eingesetzt wurden.469
Berichte von mehreren entlassenen Gefangenen sprechen hinsichtlich der praktizierten Methoden
eine deutliche Sprache. Sie beschreiben, dass sie in engen Fesseln in schmerzhaften ‚Stresspositionen' mehrere Stunden hintereinander verharren mussten, was tiefe Fleischwunden und dauernde
Vernarbung verursachte. Sie wurden von Hunden ohne Maulkorb bedroht, erlitten Zwangsentkleidung, wurden nackt fotografiert und waren wiederholten zwangsweisen Leibesvisitationen mit gewaltsamer Kontrolle der Körperhöhlen ausgeliefert. Sie wurden absichtlich extremer Hitze und Kälte
ausgesetzt, mit dem offensichtlichen Ziel, Leiden zu verursachen, 24 Stunden am Tag in schmutzigen Käfigen gehalten, ohne Bewegungsmöglichkeit und Hygieneeinrichtungen und unter Verwehrung jeglichen Zuganges zu medizinischer Hilfe. Angemessene Nahrung, Schlaf und Kontakt mit
Familie und Freunden wurde den Gefangenen dauerhaft vorenthalten. Sie hatten zudem keinerlei
Informationen über ihre Lage. Ferner wurden ihnen brutale Schläge von der so genannten Extreme
Reaction Force zugefügt.
Als Beispiel dafür, wie die Extreme Reaction Force operierte, ist der Bericht von National Guardsman S.B. anzuführen. S.B. wurde von der Extreme Reaction Force (ERF, auch bekannt als Internal
Reaction Force) im November 2002 misshandelt, als er undercover als Häftling eingeschleust wurde. S.B. wurde befohlen, einen orangefarbenen Overall anzuziehen und unter eine Koje in der Zelle
465
Hersh, a.a.O., S. 7.
Scott Higham: A Look Behind the ‘Wire’ at Guantánamo; Defense Memos Raise Questions About
Detainee Treatment as Red Cross Sought Changes. Washington Post vom13. Juni 2004.
467
Hersh, a.a.O., S. 13.
468
ICRC response; vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O. sowie
http://www.icrc.org/Web/Eng/siteeng0.nsf/html/64MHS7?OpenDocument.
469
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 8.
466
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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zu kriechen. „Sie [ERF-Mitglieder] ergriffen meine Arme und meine Beine und verdrehten mich.
Leider gelangte eine der Personen von hinten auf meinen Rücken und drückte mich nach unten,
während ich auf dem Bauch lag. Dann langte er – die selbe Person – um mich herum und begann,
mich zu würgen und meinen Kopf auf den Stahlboden zu drücken. Nach einigen Sekunden, zwanzig
oder dreißig Sekunden, was mir wie eine Ewigkeit erschien, weil ich nicht atmen konnte, verfiel ich
in Panik […]” S.B. wurde in ein Krankenhaus in Virginia evakuiert und später in ein Armeekrankenhaus gebracht, wo eine traumatische Hirnverletzung behandelt wurde. Er verblieb dort achtundvierzig Tage lang. Seitdem wird er von epileptischen Anfällen heimgesucht.470
Auch der Export seiner in Guantánamo entwickelten verbrecherischen Methoden in den Irak maßgeblich durch den Beschuldigten G.M. mit den bekannten Ergebnissen unter anderem in Abu Graib
ist hinreichend belegt.
Der Bericht von Taguba kritisiert diesbezüglich viele von Generalmajor G.M.s Empfehlungen. Kernpunkt der Kritik war, dass G.M.s Team Operationsverfahren und Vernehmungsbehörden aus Guantánamo als Grundlinien für seine Beobachtungen und Empfehlungen für den Irak verwendete.
Taguba hat herausgestellt, dass der nachrichtendienstliche Wert der Informationen von Guantánamo sich von denen im Irak unterscheidet. Es gäbe irakische Kriminelle, die in Abu Ghraib
festgehalten werden, von denen man nicht annimmt, dass sie internationale Terroristen oder Mitglieder von Al Qaida, Anwar Al Isalm und/oder der Taliban sind. Taguba merkt an, dass die Empfehlungen von Generalmajor G.M.s Team, dass „die Wachmannschaft aktiv in die Schaffung von
Bedingungen eingebunden ist, welche die erfolgreiche Ausbeute von Internierten fördern sollen“ „in
Konflikt mit [...] Armeevorschriften zu stehen (AR 190-8)“ scheint und dass die Militärpolizei nicht
an Vernehmungen teilnimmt, die vom militärischen Nachrichtendienst überwacht werden”. Taguba
schlussfolgert, „die Militärpolizei sollte nicht eingebunden werden, um günstige Bedingungen für
anschließende Befragung zu schaffen. Diese Aktionen […] stehen ganz klar einem reibungslosen
Ablauf in einer Haftanstalt entgegen.”471
Zu dem aus den Empfehlungen G.M.s für den Irak resultierendem Klima in den amerikanischen
Haftzentren gab ein dort stationierter Soldat an: „[G.M. und R.S. sind] die Einzigen, die den Ort
korrumpieren. Es gab eine kursierende Liste mit zusätzlichen Maßnahmen für die Verhöre, die sogar mit der ‚Genehmigung des Kommandierenden’, der General R.S. ist, versehen war.“472
Oberst T.P., damals Kommandeur der an vordersten Linie arbeitenden Basis in Abu Ghraib, sagte,
dass Generalmajor G.M. ihm in Guantánamo erzählt habe, dass sie Militärhunde einsetzten. Diese
Hunde seien effektiv darin gewesen, eine Atmosphäre für Befragungen zu schaffen. Er sagte auch,
dass G.M. angedeutet habe, dass der Einsatz von Hunden „mit oder ohne Maulkorb" in Zellen, wohin die Gefangenen zum Verhör gebracht wurden, „okay" sei.473 In einer Aussage vom 11. Februar
sagte Oberst T.P.: „Taktiken und Verfahren, die vom Gemeinsamen Verhör- und Einsatzzentrum
(Joint Interrogation and Debriefing Center [in Abu Ghraib – Anm. WK]) in Bezug auf Häftlingsoperationen festgelegt wurden, wurden als spezifisches Ergebnis nach einem Besuch von Generalmajor
G.M. erlassen“. Laut Generalmajor G.M. empfahl er seinem Team eine Strategie, den Operationszeitplan der Hundeteams so einzustellen, dass die Hunde immer dann zugegen waren, wenn auch
die Gefangen wach waren.474
Generalmajor G.M. erzählte Ex-Brigadegeneralin J.K., dass Häftlinge wie Hunde behandelt werden
sollten.475 Er sprach zu ihr ferner explizit von seinem Anliegen, die Haftbedingungen im Irak zu
„gitmorisieren“.476 Die Zeugin J.K. schilderte diese Vorgänge in ihrer Aussage vom 26.10.2005 wie
folgt:
470
David Rose: GUANTÁNAMO 72-74, 2004; “Report Details Guantánamo Abuses,” Associated Press
vom 4. November 2004; Center for Constitutional Rights, Report of Former Guantánamo Detainees, http://www.ccrny.org/v2/reports/docs/Gitmo-coMpositestatementFINAL23july04.pdf
471
Taguba-Report, a.a.O., S. 8.
472
Robert P. Laurence: PBS probes ‘Torture Question’ and provides many answers. The San Diego
Union-Tribune vom 18. Oktoberr 2005.
473
R. Jeffrey Smith: General Is Said to Have Urged Use of Dogs. Washington Post vom 26. Mai
2004.
474
Army Regulation Investigation of the Abu Ghraib Prison; vgl. Fay-Jones-Bericht, a.a.O., S. 58;
http://news.findlaw.com/hdocs/docs/dod/fay82504rpt.pdf.
475
Abu Ghraib General Says Told Prisoners ‘Like Dog’. Reutersvom 15. Juni 2004.
476
Getting Away With Torture?, a,a,O., S. 75.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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„Die Probleme begannen während des Besuchs von Generalmajor G.M. und verschlimmerten sich
mit der Ankunft der zivilen Verhörspezialisten. Zu einem späteren Zeitpunkt war ich es dann, die
zur Verantwortung gezogen wurde für die Misshandlungen und das Fehlverhalten der Soldaten, die
auf den Fotos zu sehen waren.
…
Im November 2002 erhielt G.M. das Kommando über die Joint Task Force Guantánamo Bay (Gemeinsame Führungsgruppe Guantánamo Bay), die die USGefangenenlager betreibt, die als Camp
X-Ray, Camp Delta und Camp Echo in Cuba bekannt sind. Während seiner Amtszeit wurde G.M.
zugute gehalten, dass er Ordnung und Disziplin in den Lagern durchgesetzt und die Verhörmethoden verbessert habe. G.M. erklärte später, dass zwei Drittel der 600 Gefangenen zugegeben hätten, in Terrorismus verstrickt gewesen zu sein und nun nachrichtendienstlich verwertbare Informationen von sich gaben. Jedoch wird davon ausgegangen, dass G.M.s verschärfte Führung zu Vorwürfen von Schlägen, Schlafentzug, Isolationshaft, dem Einsatz von Hunden und der Simulation
von Hundeangriffen, um Gefangene einzuschüchtern und anderen Misshandlungen in Guantánamo
Bay führte.
General G.M. wurde durch Verteidigungsminister D.R. und den Unterstaatsekretär für Geheimdienste, S.C., zu einem Besuch in den Irak entsandt. Generalmajor G.M. diente als Kommandeur
für Inhaftierungsnahmen in Guantánamo Bay in Kuba. Er wurde entsandt, um den Verhörspezialisten des Militärischen Nachrichtendienstes dabei zu helfen, ihre Methoden zu verbessern, um mehr
nachrichtendienstlich verwertbare Informationen zu sammeln. Er brachte ein „Tiger Team“ von
circa 20 bis 22 Leuten mit, um alle Aspekte von Vernehmungen zu diskutieren und Anleitungen zur
effektiven Verwendung von Vernehmungstechniken zu geben, die in Guantánamo Bay angewandt
wurden. Generalmajor G.M. führte im geschlossenen Zirkel ein Unterweisung durch und ich wurde
zur Teilnahme eingeladen. Er plante einen Besuch in Abu Ghraib und in einer Reihe von anderen
Gefängnissen, um zu entscheiden, welche Einrichtung er für die Vernehmungen nutzen würde. Aus
Höflichkeit wurde ich eingeladen, an der Unterweisung teilzunehmen, weil alle sanktionierten Maßnahmen in Bezug auf Haftzentren zu diesem Zeitpunkt meiner Kontrolle unterstanden. Generalmajor G.M. arbeitete während seines Besuchs fast ausschließlich mit den Leuten des Militärischen
Nachrichtendienstes und den Verhörspezialisten des Militärischen Nachrichtendienstes. Er hatte
kein Interesse daran, Unterstützung für die Routineabläufe des Haftzentrums zu leisten. Stattdessen konzentrierte er sich auf Vernehmungsoperationen und darauf, den Vernehmern härtere Methoden beizubringen als ein Mittel, um mehr nachrichtendienstlich verwertbare Informationen zu
erhalten.
Generalmajor G.M. verbrachte fast die gesamte Zeit mit (J2) Brigadegeneralin B.F. vom Militärischen Nachrichtendienst und dem Kommandeur der Militärischen Nachrichtendienst-Brigade,
Oberst T.P.. Während seiner einführenden Unterrichtung kurz nach seiner Ankunft dort mit seinem
Team antwortete er auf die Frage eines Vernehmungsspezialisten des Militärischen Nachrichtendienstes. Der Vernehmungsspezialist des Militärischen Nachrichtendienstes war ziemlich ranghoch
und hat vermutlich 10 bis 12 Jahre Erfahrung, weil er vom Rang her ein ranghöherer, erfahrener
Militär war. Er hatte der Unterrichtung beigewohnt, zugehört und insbesondere einige von Generalmajor G.M.s Kommentaren gehört: also die Kritik an der Art und Weise, wie die Verhörspezialisten die Vernehmungen durchführten und dass sie nicht wirklich wertvolle Informationen erhalten
würden und dass er daher hier sei, um ihnen mit verschiedenen Methoden zu helfen, Methoden, die
mehr nachrichtendienstlich verwertbare Informationen bringen würden.
Der Vernehmungsspezialist stellte einfach die Frage, was er (G.M.) empfehlen würde, was sie unmittelbar tun sollten, um ihre Maßnahmen zu verbessern, weil er eigentlich der Ansicht sei, dass sie
ziemlich gut darin seien, diejenigen Leute zu identifizieren, die einen zusätzlichen Wert für den
Militärischen Nachrichtendienst hätten oder mehr.
Der Vernehmungsspezialist des Militärischen Nachrichtendienstes sagte: „Sir, wir denken, dass wir
unsere Aufgabe gut erfüllen, es ist nicht so, dass wir nicht wüssten, was wir bei den Vernehmungen
machen, wir haben tatsächlich Erfahrung.“ Dann sagte Generalmajor G.M.: „Meine erste Beobachtung ist, dass Sie bei den Vernehmungen nicht die totale Kontrolle haben. Er sagte, dass sie zu nett
zu den Gefangenen seien. Der Generalmajor sagte, die Vernehmungsspezialisten seien nicht aggressiv genug. Er benutzte ein Beispiel aus Guantánamo Bay. Er sagte, dass wenn Gefangene ankämen, sie immer von zwei Militärpolizisten gehandhabt würden und dass sie überall, wo sie hingehen, von Personal eskortiert würden – mit Fußeisen, Handschellen und Bauchgurten. Er sagte,
die Gefangenen wüssten, wer das Sagen habe und dann sagte er: „Schauen Sie, Sie müssen Sie
wie Hunde behandeln. Wenn sie sich jemals besser als Hunde fühlen, dann haben Sie tatsächlich
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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die Kontrolle über die Vernehmung verloren.“ Laut dem Generalmajor haben die Gefangenen in
GITMO (Guantánamo Bay) immer gewusst, wer das Sagen hatte.
Er sagte: „Sie müssen wissen, dass Sie die Kontrolle haben, und wenn Sie sie zu nett behandeln,
werden sie nicht mit Ihnen kooperieren. In GITMO verdienen sich die Gefangenen jeden einzelnen
Gegenstand, den sie erhalten, einschließlich eine Änderung der Farbe ihres Overalls. Wenn sie ankommen, erhalten sie einen grellorangenen Overall. Sie werden in einer sehr aggressiven, energischen Weise behandelt und sie verdienen sich das Privileg zu einem weißen Overall zu wechseln,
wenn sie beweisen, dass sie kooperativ sind.“ Die Gefangenen wie Hunde zu behandeln scheint in
Einklang zu stehen mit den Fotos mit dem Hundehalsband, der Hundeleine und den Hunden ohne
Maulkorb. Die Verwendung dieser Methoden ist in mehreren Memoranden erwähnt, darunter in den
R.S.-Memoranden (September 2003) und durch ihn abgezeichnet. Dort wird der Einsatz von Hunden, sogar von Hunden ohne Maulkorb in Vernehmungsoperationen autorisiert.
Generalmajor G.M. entschied sich letztendlich dafür, Abu Ghraib zum Schwerpunkt seiner Bemühungen zu machen und er sagte mir, dass er Abu Ghraib „zum Verhörzentrum für den ganzen Irak“
machen würde; er würde die Operation „gitmoizen“ (an die Verhältnisse in Guantánamo Bay angleichen; Militärslang, Anm. d.Ü.) und dass er vorhabe, die Militärpolizisten einzusetzen, um den
Verhörspezialisten zu helfen, die Bedingungen zu schaffen, um effektive Vernehmungen durchzuführen. Seine Pläne verlangten von den Militärpolizisten die Vernehmungen zu intensivieren und
mehr nachrichtendienstlich verwertbare Informationen zu erhalten. Ich erklärte ihm, dass die Militärpolizisten für jegliche Vernehmungsmaßnahmen nicht ausgebildet seien, und Major General G.M.
sagte mir, dass ich mir keine Sorgen machen solle, weil er ihnen „alle Ausbildung, die sie brauchen,
um diesen Job zu machen“ geben würde. Er würde das Ausbildungsmaterial auf mehreren CDs bei
dem Kommandeur der Brigade des Militärischen Nachrichtendienstes (Oberst T.P.) hinterlassen,
„um sicherzustellen, dass die Militärpolizisten das richtige Training bekommen würden.“ Generalmajor G.M. sagte mir, er wolle, dass ich ihm „Abu Ghraib übergebe“, weil dies der Ort sei, den er
ausgewählt habe. Ich sagte Generalmajor G.M., dass es nicht an mir sei, ihm Abu Ghraib zu übergeben, dass Abu Ghraib nicht mir gehöre. Wir würden nur die Haftmaßnahmen dort durchführen.
Ich sagte ihm, dass ich nicht die Autorität hätte, ihm Abu Ghraib zu übergeben, da die Einrichtung
tatsächlich zum Bereich von Botschafter B. gehören würde. Wenn Botschafter B. mir jedoch sagen
würde, dass ich ihm Abu Ghraib übergeben solle, würde ich mich glücklich schätzen, dies zu tun.
Generalmajor G.M. sagte: „Schauen Sie, R.S. hat gesagt, ich könnte jegliche Einrichtung haben,
die ich will, und ich will Abu Ghraib.“ Er sagte weiterhin: „Schauen Sie, wir können das auf meine
Art und Weise machen oder wir können die harte Tour nehmen,“ so, als ob wir auf gegensätzlichen
Seiten stehen würden.
Es gab ein Vernehmungszentrum, das „Interrogation Facility Wood“ – Vernehmungszentrum Holz
genannt wurde und ein Vernehmungszentrum namens „Interrogation Facility Steel“ – Vernehmungszentrum Stahl. Auch wenn überall berichtet wurde, dass die Fotos während Verhörmaßnahmen gemacht wurden, ist es eine Tatsache, dass dies nicht während Verhöroperationen geschah.
Die Fotos wurden im Inneren der „Hard Site“ – des harten Trakts gemacht, in den Gängen von
Zellenblock 1A. Diese Fotos wurden inszeniert und orchestriert auf Anweisung von zivilen Verhörspezialisten, zur Verwendung bei zukünftigen Vernehmungen.
General G.M. sagte, er wolle die scharfe Trennlinie zwischen Militärpolizei und Militärischen Nachrichtendienst verwischen; die Militärpolizisten sollten die Gefangenen in den Verhörraum des Militärischen Nachrichtendienstes bringen und dann die Aufsicht den Vernehmungsspezialisten übergeben. Das war seine Vorstellung davon, wie die Militärpolizisten eingesetzt werden sollten, um die
Bedingungen für effektive Vernehmungen zu schaffen.“477
Im August 2004 befand eine unabhängige Untersuchungskommission, dass G.M.s Versetzung nach
Abu Ghraib zum Aufbau einer leistungsstarken Verhör-Polizei entscheidenden Anteil an der Durchsetzung von aggressiven Verhörmethoden, die über diejenigen des Armee-Handbuches hinausgehen, hatte.478
Im Januar 2006 beschloss G.M., sich vom Dienst zurück zu ziehen. Sein Gesuch für eine Pensionierung wurde von der Armee jedoch zunächst hingehalten, nachdem die Senatoren L. und W. baten,
es in der Schwebe zu halten, solange der Prozess vor dem Kriegsgericht gegen zwei Hundeführer
477
Zeugenaussage der ehemaligen Brigadegeneralin J.K. vom 26. Oktober 2005;
http://www.democracynow.org/article.pl?sid=05/10/26/1423248
478
Lawyers Nix Plea for Abu Ghraib Testimony .Associated Press vom3. März 2006, S. 1.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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aus Abu Ghraib, in welchem er Zeuge war, andauerte.479 Während G.M. zwar vom General Inspector für sein Verhalten in Guantánamo getadelt wurde, wurde er für seine Fehler im Irak nicht zur
Verantwortung gezogen.480 Strafrechtlich wurde er ohnehin zu keinem Zeitpunkt belangt.
G.M. hat seine Pflichten seit dem 31. Juli 2006 niedergelegt und ist inzwischen pensioniert. Dabei
mag von Bedeutung sein, dass laut Eugenie Fiedel, dem Präsidenten des Nationalen Instituts für
Militärrecht, die Verfolgung eines aktiven Offiziers leichter, als eines außer Dienstes ist.481
Rechtliche Würdigung
Die benannten Fakten zeigen, dass Generalmajor G.M. direkt für das Anordnen, Betreiben, Veranlassen, Unterstützen und Anstiften von Kriegsverbrechen verantwortlich ist.
Generalmajor G.M. ist direkt für Verstöße gegen § 8 VStGB verantwortlich, weil er persönlich gesetzeswidrige Verhörtechniken nicht nur zuließ, sondern seine Untergebenen zur Begehung dieser
Kriegsverbrechen explizit anwies, sie dabei unterstützte und dazu anstiftete. Er ist auch als militärischer Kommandeur gemäß § 4 VStGB für das Versäumnis zur Verantwortung zu ziehen, Kriegsverbrechen seiner Untergebenen in Guantánamo und Abu Ghraib, von denen er wusste, dass sie fortwährend verübt wurden oder verübt werden sollten, nicht verhindert zu haben.
Der Beschuldigte G.M. hat sich zudem wegen der zu den vorstehenden Taten in Subsidiarität stehenden Verstöße nach den §§ 13 und 14 VStGB strafbar gemacht. Denn es lässt sich belegen, dass
er es versäumte, die unter seinem Kommando stehenden Personen genügend zu überwachen und
die Kriegsverbrechen, von denen er wusste, an die entsprechenden Stellen zu melden.
6. Beschuldigter Generalmajor W.W.
Der Beschuldigte W.W. hat in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationshoheit sowie im Rahmen
seiner Vorgesetztenverantwortlichkeit und auch durch Unterlassen von Gegenmaßnahmen Kriegsverbrechen nach dem VStGB und nach internationalem Recht begangen. Die folgenden wesentlichen Punkte stellen als Ausschnitt der strafbaren Handlungen eine nicht abschließende Betrachtungsweise dar. Aus ihnen ergeben jedoch eindeutig konkrete zureichende Anhaltspunkte, die zumindest als Anfangsverdacht die zwingende Aufnahme des Ermittlungsverfahrens gebieten. Um
Wiederholungen zu vermeiden, wird bezüglich weiterer Einzelheiten im Übrigen auf die Sachverhaltsschilderung unter 4.1. der Anzeige verwiesen.
Person und Kompetenzbereich
Der Beschuldigte W.W. ist Generalmajor der US Armee, der stellvertretende kommandierende General (DCG) des Army Corps V (United States Army Europe) und der Combined Joint Task Force
Seven (CJTF-7), die alle US-Streitkräfte im Irak umfasst, einschließlich derer in den Haftanstalten.
Die CJTF-7-Verantwortlichkeit von Generalmajor W.W. konzentriert sich hauptsächlich auf die Unterstützung der Einrichtungen (so genannte „C4 Verantwortlichkeit”). W.W. hatte zudem direkt
Verantwortung und Aufsicht über die einzelnen Brigaden oder die „taktische Kontrolle“ (Tactical
Control, abgek. TACON), die der CJTF-7 zugeordnet sind.482 Insbesondere hat der Beschuldigte
R.S., der das Kommando über CJTF-7 übernahm, „die Verantwortung für den Haftbetrieb an seinen
Stellvertreter Generalmajor W.W. delegiert.”483
Vorwerfbares Verhalten und Beweislage
Der Beschuldigte W.W. und die Streitkräfte, über die er das Kommando hatte, waren verantwortlich für die Begehung von zahlreichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
die nach dem VStGB zu ahnden sind. W.W. ließ insbesondere rechtswidrige Verhörtechniken zu und
trug dafür als militärischer Befehlshaber die Verantwortung. Er verhinderte ferner wissentlich nicht,
dass seine Untergebenen solche Verbrechen begingen und unterließ es, den zuständigen Stellen
bzw. seinen Vorgesetzten Verbrechen anzuzeigen, von denen er Kenntnis erlangte.
479
US Senators to Probe General's Abu Ghraib Testimony . Reutersvom 8. Februar 2006, S. 1.
Mark Benjamin: Not so fast, General. Artikel vom 7. März 2006 unter
http://www.salon.com/news/feature/2006/03/07/major_general/]
481
Thoma Shanker: General in Abu Ghraib Retires After Forced Delay. New York Times vom 1. August 2006.
482
Fay/ Jones-Bericht, a.a.O., S. 14.
483
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 45.
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Der Beschuldigte W.W. hat direkt gesetzeswidrige Verhörtechniken autorisiert. Ein Bericht der
Washington Post vom 26. Mai 2004 hält fest: „T.P. [Angehöriger der 205. Militärnachrichtendienstbrigade] sagte unter anderem, dass die Verhörpläne, die den Einsatz von Hunden, Fußfesseln, ‘die
Häftlinge zum Entkleiden zu zwingen,’ oder ähnliche aggressive Maßnahmen vorsahen, zwar der
Politik von R.S. folgten, aber oft von R.S. Stellvertreter, Generalmajor W.W., oder von T.P. selbst
genehmigt wurden.”484 Generalmajor W.W.s Genehmigung von bestimmten Verhörmethoden überschritt nicht nur die Standarddoktrin der US-Armee, sondern verstieß unmittelbar gegen die Genfer
Konventionen.
Als stellvertretendem kommandierenden General der CJTF-7, also als Stellvertreter des Beschuldigten R.S. kann Generalmajor W.W.s allgemeine Verantwortlichkeit über alle US-Streitkräfte im Irak
und über die Befehlshaber dieser Streitkräfte nicht in Frage gestellt werden. Damit ist auch die
direkte Verantwortung für die 205. Military Intelligence Brigade (MI Brigade, dt.: Militärnachrichtendienstbrigade) und deren Kommandeur Oberst T.P. verbunden. Der Fay/Jones-Bericht stellt
fest, dass Generalmajor W.W. insoweit auch unmittelbar beratende Funktion für Oberst T.P. hatte.485 Brigadegeneralin J.K. sagte aus, sie glaubte, sie werde von Generalmajor W.W. geführt und
“er es war, von dem sie die ganze Zeit über, die sie im Irak war, Anweisungen erhielt”.486 Da der
Beschuldigte Oberst T.P., der direkt verantwortlich für diejenigen Angehörigen der US-Streitkräfte
war, welche die Verbrechen in Abu Ghraib begingen, an Generalmajor W.W. berichtete, gibt es
keinen Zweifel, dass die Ausführenden der Misshandlungen unmittelbar unter dem Kommando des
Beschuldigten W.W. standen.
Generalmajor W.W. wusste von den Misshandlungen, die in verschiedenen Einrichtungen unter
seinem Kommando stattfanden. Er hatte davon mindestens seit November 2003 Kenntnis, da er
auf den Bericht des IKRK aufmerksam wurde. Die Zeitung International Herald Tribune berichtete,
dass „J.K. sagte, ihr oberster Stellvertreter, Generalmajor W.W., sei bei einem Meeting im November anwesend gewesen, bei dem es zu einer ausgedehnten Diskussion über den Rotkreuz-Bericht
kam, der spezifische Fälle von Misshandlungen auflistete.”487 Außerdem hat die New York Times die
Tatsache bestätigt und behauptet, dass „einige höhere Armeeoffiziere spätestens im November
[2003] wussten, dass das Rote Kreuz sich über Probleme im Gefängnis beschwert hatte, dazu gehörten der Zwang, sich zu entkleiden und körperlicher und verbaler Missbrauch von Gefangenen.
(…) Zu denen, die sich dieser Kritiken bewusst waren, gehörte General R.S. erster Stellvertreter,
Generalmajor W.W..”488
Die positive Kenntnis des Beschuldigten steht im Übrigen hinsichtlich aller von ihm persönlich angeordneten oder genehmigten Fälle von Misshandlungen fest.
Generalmajor W.W. war für die Täter in Abu Ghraib verantwortlich und er hatte in der militärischen
Befehlskette zweifellos eine Position inne, aus der heraus er diese Misshandlungen hätte verhindern
können. Er hat es jedoch nicht getan. Alle Berichte stimmen darin überein, dass der Beschuldigte
W.W. in seiner Führungsrolle versagt hat, während er sich offensichtlich über das Muster der Misshandlungen im Klaren war, die von seinen Untergebenen begangen wurden. Nicht nur hat er es
versäumt, Misshandlungen zu verhindern, sondern er hat sie auch nicht gemeldet, womit er zugleich in strafbarer Weise seine Aufsichtspflicht über Untergebene vernachlässigt hat.
Der Schlesinger-Bericht unterstreicht deutlich das Versagen des Beschuldigten in Bezug auf seine
Führungsrolle und Aufsichtspflicht, die zu den Misshandlungen führte und konstatiert: „Das Gremium findet (, dass) der stellvertretende CJTF-7-Kommandant es versäumt hat, zusätzlich Militärpolizei für den Haftbetrieb anzufordern, nachdem klar wurde, dass im Irak nicht genügend zur Verfügung standen.”489 „Generalmajor W.W. und der Stab hätten dringende Forderungen nach Verstärkung an höhere Stellen richten sollen. (…) Generalmajor W.W. hat es versäumt, sicherzustellen,
dass der Stab ordnungsgemäß im Haft- und Verhörbetrieb beaufsichtigt wird.”490
484
“General is said to have urged use of dogs,” R. Jeffrey Smith, Washington Post, 26. Mai 2004.
Fay/Jones- Bericht, a.a.O., S. 31.
486
Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 110.
487
Douglas Jehl and Eric Schmitt “Officer cites bar on talk over abuses,” International Herald Tribune, 25. Mai 2004.
488
“U.S. Rules on Prisoners Seen as a Back and Forth of Mixed Messages to G.I.’s,” Douglas Jehl,
New York Times, 22. Juni 2004.
489
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 47.
490
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 15; vgl. ebenso Jones, a.a.O., S. 24.
485
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
- 161 -
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Da auf dem derzeitigen Stand der Beschuldigte R.S., Mitte Januar 2004 von den Misshandlungen
Kenntnis erhielt, während der ihm nachgeordnete Beschuldigte W.W. bereits Ende November 2003
davon wusste, ist daraus zu folgern, dass er es versäumt hat, seinen unmittelbaren Vorgesetzten
über die Misshandlungen zu informieren.
In den Berichten von Schlesinger, Fay/Jones und Taguba und der Zeugenaussage von General K.
vor dem Ausschuss für Armed Services des Repräsentantenhauses wurde herausgearbeitet, dass
der Beschuldigte W.W. es versäumt hat, für ordnungsgemäße Führung, Überwachung und Aufsicht
über den Haftbetrieb und den Stab zu sorgen.
Rechtliche Würdigung
Die benannten Tatsachen belegen die persönliche Verantwortung des Beschuldigten W.W. als mittelbarem Täter kraft Organisationsherrschaft und als verantwortlicher Vorgesetzter für Verbrechen
und Vergehen gemäß §§ 4, 8, 13, 14 VStGB, § 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB und nach internationalen
Recht.
Der Beschuldigte W.W. ist als Vorgesetzter für die Kriegsverbrechen seiner Untergebenen, welche
diese in voller Kenntnis des Beschuldigten und unter dessen militärischer Führung begangen haben, zur Verantwortung zu ziehen. Subsidiär sind seine Handlungen als strafbares Unterlassen im
Rahmen der §§ 13, 14 VStGB einzustufen. Denn es lässt sich belegen, dass er es versäumte, die
unter seinem Kommando Stehenden nicht genügend überwacht zu haben und die Kriegsverbrechen, von denen er wusste, nicht an die entsprechenden Stellen gemeldet zu haben.
Bisher wurden keine strafrechtlichen oder disziplinarischen Verfahren gegen den Beschuldigten
W.W. eingeleitet.
7. Der Beschuldigte T.P.
Der Beschuldigte T.P. hat aktiv täterschaftlich, in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationshoheit
sowie im Rahmen seiner Vorgesetztenverantwortlichkeit auch durch Unterlassen Kriegsverbrechen
nach dem VStGB und nach internationalem Recht begangen. Die folgenden wesentlichen Punkte
stellen als Ausschnitt der strafbaren Handlungen eine nicht abschließende Betrachtungsweise dar.
Aus ihnen ergeben jedoch eindeutig konkrete zureichende Anhaltspunkte, die zumindest einen Anfangsverdacht begründen, welcher die zwingende Aufnahme des Ermittlungsverfahrens gebietet.
Um Wiederholungen zu vermeiden, wird bezüglich weiterer Einzelheiten im Übrigen auf die Sachverhaltsschilderung unter 4.1. der Anzeige verwiesen.
Person und Kompetenzbereich
Der Beschuldigte T.P. ist Oberst der US Armee. Seit dem 1. Juli 2003 ist er Kommandeur der 205.
Military Intelligence Brigade (MI Brigade), die im Irak stationiert ist. Vom 19. November 2003 bis
6. Februar 2004 war Oberst T.P. vom Combined Joint Task Force Seven (CJFT-7) als Kommandeur
der Force Protection and Security of Detainees of Forward Operating Base (FOB) Abu Ghraib designiert und übernahm daher die Taktische Kontrolle (TACON) über das Gefängnis von Abu Ghraib
während dieser Zeit.491
Vorwerfbares Verhalten und Beweislage
Der Missbrauch von Hunden, um Vernehmungen zu unterstützen, indem Häftlingen eingeschüchtert
werden, wurden von Oberst T.P. persönlich autorisiert und angeordnet. Er sagte, Generalmajor
G.M. hätte ihm erzählt, dass der Einsatz von Hunden in Verhören akzeptabel sei und dass der Einsatz von Militärhunden sich in Guantánamo als nützlich erwiesen habe, um die angemessene Atmosphäre bei Verhören zu schaffen. Oberst T.P. bat um den Einsatz von Marinehunden, um Häftlinge
einzuschüchtern, was auch auf der Autorität beruhte, die er meinte von Generalleutnant R.S. diesbezüglich erhalten zu haben.492
Oberst T.P. hatte effektive Befehlsgewalt über diejenigen, die die Misshandlungen begingen.
Als Kommandeur der 205. MI Brigade und als Kommandeur von Abu Ghraib von November 2003
bis Februar 2004 kann die allgemeine Verantwortung von Oberst T.P. über die Streitkräfte, die die
491
Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 31, 37; Taguba-Bericht, a.a.O., S. 15-16.
Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 58, 83: “The dog teams were requested by Col. T.P., Commander,
205 MI BDE”, S. 87.
492
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Misshandlungen begingen, nicht in Frage gestellt werden. Viele Personen, die direkt in die Misshandlungen verwickelt waren, gehörten zur 800. Militärpolizeibrigade. Die Fragmentary Order
1108493, die am 19. November 2003 ausgegeben wurde, ordnete die 800. MP unter die Kontrolle
der 205. MI Brigade, so dass Oberst T.P. autorisiert war, ihnen legale Anordnungen zu erteilen.
Oberst T.P. hatte effektive Autorität über alle diese Truppen und war daher verantwortlich für die
Taten alle seiner Untergebenen, insbesondere weil er wusste, dass in Abu Ghraib Kriegsverbrechen
stattfanden.494
Es liegen Beweise dafür vor, dass Oberst T.P. über das Muster der Misshandlungen, die seine Untergebenen begingen, Kenntnis hatte.
Erstens hat Oberst T.P. kontinuierlich die Zahl seiner wöchentlichen Besuche in Abu Ghraib erhöht,
er blieb sogar gelegentlich, wie im September 2003, über Nacht, was dem erhöhten Nachdruck, der
auf den Verhören lag, entsprach. Ab 16. November 2003 wohnte er zeitweise in Abu Ghraib.495
Oberst T.P. kannte auch den Bericht des Internationalen Komitee des Roten Kreuzes, worin die
Misshandlungen in Abu Ghraib dokumentiert wurden. Mindestens zweimal verweigerte er Teams
des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes den Zugang zu bestimmten Häftlingen. Während
eines Besuchs in Abu Graib zwischen dem 4. und 8.01.2004 drückte das IKRK seine Besorgnis darüber aus, dass ihnen, - mitgeteilt durch die Beschuldigten T.P. und M.W.,, die sich dabei auf Artikel
143 der IV. Genfer Konvention beriefen -, der Zugang zu 8 Gefangenen der Verhörabteilung verweigert wurde. M.W., und T.P. bestätigten beide, dass sie dem IKRK den Zugang zu Gefangenen in
zwei Fällen (im Januar und März 2004) verweigerten (unter Berufung auf die oben angeführte Vorschrift).
T.P. erhielt den Abschlussbericht des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes zu den Misshandlungen, was ihn nicht daran hinderte, diese weiter anzuordnen bzw. seine Untergebenen anzuweisen entsprechende Praktiken zu unterlassen.496
Oberst T.P. erzählte Generalmajor T., dass Geheimdienstoffiziere manchmal Militärpolizisten anwiesen, die Häftlinge nackt auszuziehen und sie in Vorbereitung auf Verhöre zu fesseln, wenn es dafür
einen „guten Grund“ gab497, was seine Kenntnisse zu diesen Vorgängen belegt.
Oberst T.P. selbst wurde Zeuge des Todes eines Häftlings durch Misshandlungen. Am 4. November
2003 starb der irakische Häftling J. in Abu Ghraib, während er in Handschellen mit dem Gesicht
nach unten von einem CIA-Offizier und von Marinesoldaten befragt wurde. Die Autopsie zeigte,
dass der Tod aufgrund eines Blutgerinsels eintrat, welches er sich durch Verletzungen bei seiner
Festnahme zugezogen hatte.498 Hauptmann D.R., Kommandeur der 372. Militärpolizei-Kompanie,
sagte, er wäre eines Nachts im November in einen Duschraum in einem Zellenblock des Gefängnisses gerufen worden. Dort entdeckte er eine Gruppe von Geheimdienst-Mitarbeitern, die um den
Körper eines blutigen Gefangenen herumstanden und darüber sprachen, was zu tun sei. Er sagte,
Oberst T.P., der Kommandeur des militärischen Nachrichtendienstes im Gefängnis, wäre einer derjenigen gewesen, die dabei gewesen wären. Reese sagte aus, er hätte T.P. sagen hören: „Über den
hier werde ich nicht allein stolpern." D.R. sagte, es seien keine Sanitäter gerufen worden und die
Identität des Häftlings wurde nie eingetragen.499
Die Berichte von Taguba, Fay/Jones und Schlesinger stimmen in ihren Ergebnissen darüber überein, dass die Führungsqualitäten von Oberst T.P. schwach und ineffektiv sind, was wiederum zusätzlich die wiederholten Misshandlungen in besonderer Weise förderte.
493
“FRAGO 1108 is an abbreviated form of an operation order (verbal, written or digital) usually
issued on a day-to-day basis that eliminates the need for restarting information contained in a basic operation order.”; vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 98.
494
Taguba-Bericht, a.a.O., S. 38-39; vgl. ebenso General Kimmit, Coalition Provisional Authority
Briefing vom 12. Mai 2004, http://www.globalsecurity.org/military/library/news/2004/05/mil040512-dod01.htm.
495
Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 55.
496
Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 66-67.
497
Human Rights Watch, a.a.O., S. 27.
498
Fay/Jones, a.a.O., S. 53.
499
Details of Cover-Up in Detainee’s Death Emerge, Jackie Spinner, The Agonist, June 24, 2004,
http://scoop.agonist.org/story/2004/6/24/13850/9563).
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Im Fay/Jones-Bericht führt zu Oberst T.P. Versäumnissen bei Führungsqualitäten und seiner Aufsichtspflicht folgendes aus500:
„…
−
Versäumte sicherzustellen, dass JIDC seine Mission innerhalb der anzuwendenden
Regeln, Vorschriften und angemessenen Verfahren unter Ausnutzung seiner Fähigkeiten voll erfüllte.
−
Versäumte es, den JIDC ordentlich zu organisieren.
−
Versäumte es, die notwendigen Kontroll- und Überwachungsmechanismen anzuwenden, um die Misshandlungen zu verhindern bzw. aufzudecken.
−
Versäumte es, die für die Mission notwendige Schulung seiner Soldaten und Zivilisten durchzuführen.
−
Zeigte schlechtes Urteilsvermögen, indem er Oberstleutnant J. in den frühen kritischen Stadien des JIDC in der Zuständigkeit für den JIDC beließ.
−
−
−
−
−
−
−
Zeigte schlechtes Urteilsvermögen, indem Oberstleutnant J. im Nachspiel einer
Schießerei, die als Iraqi Police Roundup (IP Roundup) bekannt wurde, in der Zuständigkeit beließ.
Autorisierte unvorschriftsmäßig den Einsatz von Hunden während der Verhöre.
Versäumte es, den Einsatz von Hunden ordnungsgemäß zu überwachen, um sicherzustellen, dass diese einen Maulkorb trugen, nachdem er deren Einsatz unvorschriftsmäßig zugelassen hatte.
Versäumte es nach dem Bericht des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes
über Misshandlungen, die geeigneten Schritte zu ergreifen.
Versäumte es, entschlossene Maßnahmen gegen Soldaten zu ergreifen, die gegen
die Regeln für ICRP- und CJTF-7-Verhöre sowie gegen die Regeln der WiderstandsAbwehr-Taktik (Counter-Resistance Policy) und die Genfer Konventionen verstoßen
hatten.
Versäumte es, ordnungsgemäß an höhere Hauptquartiere weiterzuleiten, als seine
Brigade ihre Aufgaben wegen mangelnder Arbeitskräfte und/oder Ausstattung nicht
erfüllen konnte. Ließ zu, dass seine Soldaten und Zivilisten im JIDC übermässigem
Druck von Seiten höherer Hauptquartiere ausgesetzt waren.
Versäumte es, eine geeignete MI- und MP-Koordination auf Brigadeebene zu etablieren, was die Verwirrung vermindert hätte, die viel zur Schaffung einer dem
Missbrauch Vorschub leistenden Umgebung in Abu Ghraib beitrug.”
Auch besagt der Taguba-Bericht, dass Oberst T.P. es nicht gelang, „sicherzustellen, dass Soldaten
unter seinem direktem Kommando ordentlich in Vorschriften für Verhöre (Interrogation Rules of
Engagement) geschult wurden und sie befolgten; dass Soldaten unter seinem direkten Kommando
die Schutzvorschriften bezüglich Kriegsgefangener, die die Genfer Konventionen Häftlingen gewährten, kannten, verstanden und befolgten; es ferner versäumte, seine Soldaten, die in Block 1
der Hard Site in Abu Ghraib arbeiteten oder "besuchten", ordnungsgemäß zu überwachen.”501
Der Jones-Bericht deckte auf, dass T.P. „keiner spezifischen untergeordneten Einheit den Auftrag
erteilte, für die Verhöre in Abu Ghraib verantwortlich zu sein“, und dass er nicht stellte, „dass eine
Kommandokette des militärischen Nachrichtendienstes in Abu Ghraib etabliert wurde“. Die Abwesenheit effektiver Führung trug als ein Faktor mit dazu bei, dass sowohl die gewaltsamen/sexuellen
Missbrauchs-Vorkommnisse als auch die Missverständnisse/Verwirrungen nicht eher aufgedeckt
wurden und etwas dagegen getan wurde.”502
Einmal „beschloss eine Soldatin, einen männlichen Häftling als Strafe für unkooperatives Verhalten
auszuziehen – jedes Mal, wenn der Häftling einen Soldaten berührte, wurde ihm ein Kleidungsstück
500
Fay/Jones, a.a.O., S. 120
Taguba-Bericht, a.a.O., S. 45.
502
Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 5, 17.
501
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ausgezogen. (…) Die Soldatin zwang dann den Häftling, so durch das Lager zu gehen. Oberst T.P.
überliess es J., sich damit auseinander zu setzen und unternahm nichts gegen die Soldatin.”503
Der Schlesinger-Bericht besagt, dass er mit all diesen Ergebnissen des Fay/Jones-Berichts in Bezug
auf Oberst T.P. übereinstimmt.504
Rechtliche Würdigung
Die obigen Tatsachen belegen T.P. direkte Verantwortung für Verstöße nach den §§ 8, 4 VStGB
sowie subsidiär nach den §§ 13, 14 VStGB, da er die Begehung von Kriegsverbrechen durch seine
Untergebenen in der CIA angeordnet, betrieben, veranlasst, unterstützt, angestiftet, offensichtlich
entschuldigt und zumindest nicht untersagt und gemeldet hat.
Sowohl die aktive Beteiligung (wie etwa im Fall al-Jamadi) als auch die wiederholten Versäumnisse
seiner Verantwortung als Vorgesetzter führten zur fortdauernden Begehung von Kriegsverbrechen,
die unter § 8 bzw. §§ 4, 8 VStGB fallen.
Subsidiär sind seine Handlungen als strafbares Unterlassen im Rahmen der §§ 13, 14 VStGB einzustufen. Denn es lässt sich belegen, dass er es versäumte, die unter seinem Kommando Stehenden
genügend überwacht zu haben und die Kriegsverbrechen, von denen er wusste, an die entsprechenden Stellen zu melden.
Obwohl es außer Frage steht, dass Oberst T.P. eine Schlüsselrolle bei den Misshandlungen in Abu
Ghraib spielt, sind keinerlei disziplinarischen und keine strafrechtlichen Schritte gegen ihn eingeleitet worden.
8. Die Beschuldigte Generalmajorin B.F.
Die Beschuldigte B.F. hat in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationshoheit sowie im Rahmen
seiner Vorgesetztenverantwortlichkeit als auch durch Unterlassen Kriegsverbrechen nach dem
VStGB und nach internationalem Recht täterschaftlich begangen.
Die folgenden Ausführungen bilden einen Ausschnitt der strafbaren Handlungen ab und keine abschließende Betrachtungsweise. Aus ihnen ergeben jedoch konkrete und zureichende Anhaltspunkte, um im Rahmen von § 152 Abs. 1 StGB zumindest einen Anfangsverdacht festzustellen, welcher
die Aufnahme des Ermittlungsverfahrens zwingend gebietet. Um Wiederholungen zu vermeiden
wird bezüglich weiterer Einzelheiten im Übrigen auf die Sachverhaltsschilderung im Kapitel 4.1.
dieser Anzeige verwiesen.
Person und Kompetenzbereich
Die Beschuldigte B.F. ist Kommandierende des militärischen Nachrichtenzentrums in Fort Huachuca, Arizona.505 Sie bekleidet den Rang einer Generalmajorin der U.S. Army und war Senior
Intelligence Officer (C2) der Combined Joint Task Force Seven (CJTF-7) und als dessen Kommandeurin dem Beschuldigten Generalleutnant R.S. untergeordnet, dem Beschuldigten T.P. zeitweilig
übergeordnet
Vorwerfbares Verhalten und Beweislage
B.F. ist mitverantwortlich für die ungerechtfertigte Verzögerung der Freilassung von Gefangenen,
die ursprünglich wegen des Vorwurfs von Handlungen gegen die Koalitionstruppen festgehalten
wurden.506
Die Beschuldigte hatten den Auftrag, die Geheimdienstorganisation für die Wahrnehmung der Aufgaben von CJTF-7 im Irak aufzubauen. Sie orientierte sich dabei an den operativen Hauptaufgaben
des CJTF-7, dem Sammeln, Analysieren und Zusammenfügen von Geheimdienstinformationen. B.F.
unterließ es demgegenüber, die Verantwortlichen innerhalb des CJTF-7 ordnungsgemäß über Direktiven und Strategien, die für die JIDC Operationen, die Verhörtechniken und die entsprechende
Kontrolle anderer Nachrichtendienste der Regierung („OGAs“) innerhalb der „Joint Area of Operati503
Fay/Jones-Bericht, a.a.O., S. 91.
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 15.
505
Artikel: Army sticks by B.F. to lead Huachuca. The Arizona Daily Star vom 28.August 2004, im
Internet unter http://www.dailystar.com/dailystar/relatedarticels/36300,php.
506
Siehe Taguba-Bericht, a.a.O., S. 16.
504
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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ons“ nötig wurden, zu unterrichten.507
Der Fay-Bericht geht der Frage der Verantwortung eines Militärangehörigen mit der Bezeichnung
„CJ-2“ im CJTF-7 nach, der Captain Fitchs Memorandum zu den Vernehmungsstrategien zugeleitet
bekam. Dieses autorisierte die Verwendung von Hunden, von Stresspositionen, „Schlafmanagement“, Sinnesstörung, Anschreien, das Abspielen lauter Musik und die Lichtkontrolle während der
Vernehmung der Gefangenen. „CJ-2“ unternahm nichts, um die Beachtung dieses offenkundig auf
die Legalisierung rechtswidriger Praktiken zielenden Memorandums zu verhindern. Es nicht gesichert, wenngleich angesichts der offenkundigen Beteiligung an der Kommunikation von Memoranden in der Militärorganisation nahe liegend, dass mit „CJ-2“ die Beschuldigte B.F. als C-2 gemeint
ist508. Eindeutig nachgewiesen ist demgegenüber, dass B.F. Abu Ghraib mehrfach besuchte, was zu
dem ohnehin erheblichen Druck auf die dort eingesetzten Kräfte beitrug, „verwertbare“ Geheimdienstinformationen zu erlangen.509
B.F. hat nachweisbar Gefangene rechtswidrig gefangen halten lassen bzw. ihre Entlassung und
Heimschaffung ungerechtfertigt verzögert. Sie hat Empfehlungen der „Detainee Release Authority“
hinsichtlich der Entlassung von nunmehr als unbedenklich eingestuften Gefangenen, routinemäßig
verworfen. Die Zeugin J.K. hat bekundet, dass der äußerst langsame und ineffektive Überprüfungsprozess bezeichnenderweise auf die „überfüllten Einrichtungen“ zurückgeführt wurde.510
Da die Beschuldigte B.F. für die Einrichtung der Geheimdienstorganisation in Abu Ghraib verantwortlich war, hatte sie zugleich effektive Kontrolle über das dortige Geschehen, obwohl sie nicht die
direkte Vorgesetzte im Rechtssinne von jenen Militärangehörigen war, die die schweren Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begingen. Sie unterließ es, die Militärangehörigen in
ihrem Einflussbereich von der Begehung von (weiteren) Kriegsverbrechen abzuhalten. Im Range
eines „Senior Intelligence Officer“ hatte sie mit der Zuständigkeit für die Geheimdienstorganisation
jedenfalls Kenntnis von den in Abu Ghraib systematisch begangenen Straftaten.
Rechtliche Würdigung
Diese Fakten zeigen, dass die Beschuldigte B.F. zumindest für Kriegsverbrechen nach den §§ 8, 4,
13, 14 VStGB verantwortlich ist.
Sie ist direkt für Verstöße gegen § 8 Abs. 3 Nr. 1 VStGB verantwortlich, weil sie persönlich dafür
sorgte, dass Personen, die unter § 8 Abs. 6 VStGB fallen, trotz zwingender Entlassungsgründe,
inhaftiert blieben und ferner andere zu diesen Kriegsverbrechen explizit anwies, sie dabei unterstützte und dazu anstiftete. Sie ist auch als Vorgesetzte gemäß § 4 VStGB für das Versäumnis zur
Verantwortung zu ziehen, Kriegsverbrechen ihrer Untergebenen in Abu Ghraib, von denen sie
wusste, dass sie fortwährend verübt wurden oder verübt werden sollten, nicht verhindert zu haben.
Subsidiär zu den vorstehend identifizierten Straftaten ist die Beschuldigte B.F. auch nach den §§ 13
und 14 VStGB strafbar. Denn es lässt sich belegen, dass sie es zumindest versäumte, die unter
ihrem Kommando stehenden Personen genügend zu überwachen und insbesondere die Kriegsverbrechen, von denen sie wusste, an die entsprechenden Stellen zu melden.
507
Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 47.
Fay-Bericht, a.a.O., S. 25.
509
Schlesinger-Bericht, a.a.O.; S. 65.
510
Taguba-Bericht, a.a.O., S. 16; Jones-Bericht, a.a.O., S. 38, 39.
508
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9. Der Beschuldigte M.W.
Der Beschuldigte M.W., hat in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationshoheit sowie im Rahmen
seiner Vorgesetztenverantwortlichkeit auch durch Unterlassen aktiv täterschaftlich Kriegsverbrechen nach dem VStGB und nach internationalem Recht begangen. Die folgenden wesentlichen
Punkte stellen als Ausschnitt der strafbaren Handlungen eine nicht abschließende Betrachtungsweise dar. Aus ihnen ergeben jedoch eindeutig konkrete zureichende Anhaltspunkte, die zumindest
einen Anfangsverdacht begründen, welcher die zwingende Aufnahme des Ermittlungsverfahrens
gebietet. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird bezüglich weiterer Einzelheiten im Übrigen auf
die Sachverhaltsschilderung im Kapitel 4.1. dieser Anzeige verwiesen.
Person und Kompetenzbereich
Der Beschuldigte M.W. hat den Rang eines Colonels und war als Staff Judge Advocate der Combined Joint Task Force Seven (CJTF-7) unter der Leitung von Generalleutnant R.S. als Rechtsberater
zugeteilt. Seine Hauptaufgabe lag darin, R.S. hinsichtlich der Befugnisse bei Verhören sowie der
Übereinstimmung der bekannten Memoranden mit den Genfer Konventionen zu beraten.511
Vorwerfbares Verhalten und Beweislage
Der Beschuldigte M.W., hat gemeinsam mit der Brigadegeneralin J.K. und Generalmajorin B.F. (C2,
CJTF-7) das „Detainee Release Board“ gebildet. Dieser Ausschuss war für die Prüfung der Fälle von
Gefangenen zuständig, die beschuldigt wurden, Delikte gegen die Koalitionstruppen begangen zu
haben. Nach der Feststellung, dass die Gefangenen von keinem nachrichtendienstlichen Wert waren und keine ernste Gefahr für die Koalitionstruppen darstellten, sollten sie entlassen werden.512
Im September 2003 wurde Captain F., der der 205. Militärabschirmbrigade als Command Judge
Advocate zugeteilt war, von dem Beschuldigten M.W., beauftragt, gemeinsam mit Major D.K. und
Major F.R. eine Liste an Verhörregeln auszuarbeiten. F. übernahm fast wortgetreu das Memorandum des Verteidigungsministers vom 16. April 2003 und erweiterte es um einige Positionen, die
aus Richtlinien des u.a. für Abu Graib zuständigen 519. Militärbatallions stammten – der Einsatz
von Hunden, von Stresspositionen, „Schlafmanagement“, Sinnesstörungen sowie lautes Anbrüllen,
das Abspielen lauter Musik und Lichtkontrolle. Er übersandte das Strategiepapier an M.W,.
Das Memorandum und vor allem die darin enthaltenen zusätzlichen Verhörtechniken wurden anschließend auf höchster Eben im CJTF-7 beraten. Es wurde entschieden, dass Generalleutnant R.S.
im Einzelfall die Anwendung dieser weitergehenden Methoden bewilligen sollte.513 R.S. billigte am
14. September 2003 das Memorandum, das ein Dutzend Verhörmethoden autorisierte, die weit
über die Armeevorschriften hinausgingen und zudem eindeutig gegen die Genfer Konventionen
verstießen. Als das Zentralkommando der Streitkräfte diese sogenannte Septemberdirektive für zu
aggressiv und in Teilen nicht mit geltenden Grundsätzen vereinbar erklärten, hob R.S. diese auf
und erließ eine neue, nur unwesentlich entschärfte. R.S. vertraute auf Anraten seines Staff Judge
Advocate, dem Beschuldigten M.W., darauf, dass er die Befugnis habe, als Kommandierender an
einem Kriegsschauplatz eine solche Direktive zu erlassen und entscheiden, ob und wie die Gefangenen unter den Schutz der Genfer Konventionen zu stellen seien.
Am 15. August 2003 wurde das „Security Internee Review and Appeal Board” eingerichtet. Es sollte
entscheiden über die Freilassung von Gefangenen in Sicherheitsverwahrung und/ oder Personen,
die keine Sicherheitsbedrohung darstellten oder von keinem nachrichtendienstlichen Wert waren.
Es bestand aus drei stimmberechtigten Mitgliedern – der Beschuldigte Generalmajorin B.F., der
Brigadegeneralin J.K. und dem Beschuldigten M.W., sowie zwei nicht stimmberechtigten Mitgliedern. Trotz regelmäßiger Sitzungen konnte die Zahl der Entlassungen nicht mit der ständig steigenden Zahl an neuen Gefangenen Schritt halten. Nach Ansicht von J.K. hat die Beschuldigte B.F.
mehrfach Entlassungen von Gefangenen ohne Begründung abgelehnt.
Obwohl M.W., behauptete, dass weder er noch irgend jemand anders während des Besuchs des
Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in Abu Ghraib im Oktober 2003 anwesend war, hat er
den IKRK-Bericht erhalten – nach eigenen Angaben am 30.11.2003. M.W., erklärte, dass er seinen
Augen nicht traute, als er in diesem Bericht des IKRK entkleidete Häftlinge und Häftlinge mit Damenunterwäsche auf ihren Köpfen erblickte. Er bedauerte, den Bericht nicht früher an seine Vorge511
Siehe Jones-Bericht, a.a.O., S. 14.
Siehe Taguba-Bericht, a.a.O., S. 19.
513
Fay-Bericht, a.a.O., S. 25.
512
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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setzten R.S. oder W.W. weitergeleitet zu haben. Obwohl dies Misshandlungen nicht verhindert hätte (sie wurden schon im November 2003 begangen), hätte es zu Untersuchungen durch den CID
geführt.514 Der Schlesinger Report kommt zu dem Ergebnis: „Der CJTF-7 Staff Judge Advocate
unterließ es, eine angemessene Antwort auf den Bericht des IKRK vom November 2003 bezüglich
der Haftbedingungen in Abu Ghraib zu verfassen.“515
Zwei Militärquellen gaben an, dass M.W., ebenso wie der Beschuldigte Generalmajor W.W. im November 2003 an einer Sitzung teilgenommen hat, um über die Beantwortung des IKRK-Berichtes
zu beraten mit dem Ziel, die darin erhobenen Anschuldigungen zu entkräften. M.W., verneinte gegenüber dem Magazin Newsweek, dass sein Büro den Entwurf für die Replik entwarf, bestätigte
dies dann aber später unter Eid vor dem „Senate Armed Services Committee“.516
In einer Anhörung vor dem „Senate Armed Services Committee“ bestätigte Generalleutnant A.J.
am 9. September 2004 die Annahme, M.W., sei über die Misshandlungen und das Fehlverhalten als
Verletzung der Genfer Konventionen in Abu Ghraib unterrichtet gewesen.
Während eines Besuchs in Abu Graib zwischen dem 4. und 8. Januar 2004 drückte das IKRK seine
Besorgnis darüber aus, dass seinen Mitarbeitern - durch die Beschuldigten T.P. und M.W., die sich
dabei auf Artikel 143 der IV. Genfer Konvention beriefen -, der Zugang zu acht Gefangenen der
Verhörabteilung verweigert wurde. M.W., und T.P. bestätigten später, dass sie dem IKRK den Zugang zu speziellen Gefangenen in zwei Fällen (im Januar und März 2004) verweigert hatten.
Der Beschuldigte T.P. erklärte dazu, dass er sich beim zweiten Besuch des IKRK (März 2004) auf
den Artikel 143 berief, um die acht Gefangenen des Traktes 1A davon abzuhalten, mit dem IKRK zu
sprechen, während die Vernehmungen noch durchgeführt wurden. T.P.: wörtlich: „Colonel M.W.,
informierte mich, dass ich die Befugnis habe, dies zu tun.“
Rechtliche Würdigung
Während der Beschuldigte M.W., nicht unmittelbar an Misshandlungen von Gefangenen teilgenommen hat, kann er nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 VStGB verantwortlich gemacht werden für ungesetzliches
Festhalten von Gefangenen bzw. ungerechtfertigtes Verzögern der Rückführung von nach § 8 Abs.
6 VStGB geschützten Personen. Denn als General Officer in der Vorprüfungsinstanz zur Beurteilung
der Gefangenen hatte er die Befugnis, aus Sicherheitsgründen verwahrte Personen freizulassen,
gegen die keine Sicherheitsbedenken mehr bestanden und die nicht (mehr) von irgendeinem nachrichtendienstlichen Wert waren. M.W. ist ferner als Vorgesetzter gemäß § 4 VStGB für das Versäumnis zur Verantwortung zu ziehen, Kriegsverbrechen seiner Untergebenen, von denen er wusste, dass sie fortwährend verübt wurden oder verübt werden sollten, nicht verhindert zu haben.
Subsidiär zu den vorstehend identifizierten Straftaten ist der Beschuldigte M.W. auch nach den §§
13 und 14 VStGB strafbar. Denn es lässt sich belegen, dass er es zumindest versäumte, die unter
seinem Kommando stehenden Personen genügend zu überwachen und insbesondere die Kriegsverbrechen, von denen er wusste, an die entsprechenden Stellen zu melden.
514
Fay 65, 67]
Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 47.
516
Michael Hirsh and John Barry, The Abu Ghraib Scandal Cover-Up? G.W.B. insists that ´a few
American troops´ dishonoured the country. But prisoner abuse was more widespread , and some
insiders believe that much remains hidden., Newsweek, June 7,2004, 34, available at
http//www.msnbc.msn.com/id/5092776/site/newsweek/, last visited Oct. 26, 2004]
515
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10. A.G.
Der Beschuldigte A.G. ist unter den Beschuldigten einer der höchsten Beamten der G.W.B.- Administration. In seiner Eigenschaft als Chief White House Counsel war A.G. verantwortlich für die
Kommunikation zwischen dem Weißen Haus und dem OLC bei dem Justizministerium. Er war an
der Beauftragung aller größeren Memoranda, die das OLC an den Präsidenten richtete, ebenso beteiligt wir an ihrer Erstellung und Weiterverbreitung in der Administration. Er fungiert auch als Bindeglied zwischen dem Präsidenten und dem Secretary of State C.P. und dessen rechtlichen Berater
W.T. IV in den inneradministrativen Diskursen zu Fragen der (Nicht-) Anwendbarkeit der Genfer
Konventionen und der Reichweite der UN-Anti-Folterkonvention ebenso wie zur (Nicht-) Anwendbarkeit des War Crimes Act. In seinem eigenen Memorandum an den Präsidenten vom 25.01.2002
und auch im direkten Gespräch unterstützte A.G. diejenigen Rechtsmeinungen, welche die uneingeschränkte Rechtsmacht des Präsidenten, die rechtlichen Vorkehrungen zum Schutz vor Folter zu
beseitigen, zu begründen suchten und welche die Rechtsauffassung vertraten, dass völkerrechtliche
Verpflichtungen nicht bindend wären. Während er einerseits die Folter-Memos zwei Jahre später
öffentlich ablehnte und verlauten ließ, er beabsichtige, alle Verletzungen völkerrechtlicher und nationaler Standards im Umgang mit Gefangenen strafrechtlich zu verfolgen, hat er andererseits bis
heute trotz seines Amtes als General Attorney keinerlei Initiativen in diese Richtung unternommen.
Dem gegenüber war seine Politik der Negation der Anwendbarkeit der Genfer Konventionen eine
notwendige Voraussetzung für das Entstehen jenes rechtlichen Vakuums, dass die Anwendung von
Folter erst möglich machte.
Person und Kompetenzbereich
A.G. wurde im Januar 2001 zum Chief White House Counsel ernannt und hielt diese Position bis zur
Vereidigung als Attorney General am 03.02.2005 inne517.
Die Beteiligung des Beschuldigten A.G. an den zur Anzeige gebrachten Vorgängen ist bestimmt
durch diese Rolle als Chief Counsel des Weißen Hauses. In seine Amtszeit fallen sämtliche diesbezüglichen wesentlichen Entscheidungen in der G.W.B.-Administration. Durch sein Amt war der Beschuldigte gleichsam der Transmissionsriemen zwischen der Administration und dem Präsidenten,
soweit es die Kommunikation in rechtlichen Fragen betrifft. Denn als Chief White House Counsel
war A.G. verantwortlich für die Beratung des Präsidenten und des Weißen Hauses in allen rechtlichen Angelegenheiten518. Er war ferner verantwortlich für die Koordination der Kommunikation
zwischen dem Weißen Haus und dem Office of Legal Counsel (OLC) des Justizministeriums519. Das
Office of Legal Councel (OLC) ist eine eigenständige Behörde im US-Justizministerium und unter
anderem verantwortlich für die Erteilung von Rechtsrat an den Präsidenten sowie an die USAdministration. Die Rechtsgutachten sind verpflichtende juristische Stellungnahmen der Exekutive
und laut dem Judiciary Act von 1789 bindend für alle Ministerien und Agenturen, also auch für das
Department of Defense, das Verteidigungsministerium und die Central Intelligence Agency (CIA).
Für die Exekutive erteilt es Rechtsrat in Form von Memoranden, insbesondere zu verfassungsrechtlichen und zu sonstigen komplexen oder streitigen Rechtsfragen520. Solche Memoranden werden
vom OLC zwar als „opinions“ bezeichnet, haben aber große praktische Bedeutung und Verbindlichkeit. Sie sind keine akademischen Auskünfte zur Rechtslage, sondern – wie es die internationale
Rechtsexpertin Ruth Wedgewood ausdrückte – bestimmen die für die Exekutive maßgebende Auslegung des Verfassungsrechts.521 Vom Präsidenten oder vom Attorney General akzeptierte Memoranden des OLC werden in der Exekutive als bindend angesehen522 und haben dort eine Gerichtsur-
517
Siehe A.G., Attorney General (available at:
http://www.whitehouse.gov/government/gonzalesbio.html, last viewed on July 26, 2006).
518
Siehe “White House Offices” (available at: http://www.whitehouse.gov/government/offdescrp.html, last viewed on July 26, 2006).
519
Siehe, z.B., A.G.’ comments as to discussions on OLC memoranda in his own memorandum of
January 25th.
520
http://www.usdoj.gov/olc
521
Frank Davies, „Probe urged over ‚torture’ memos, The Miami Herald Tribune, 6. August 2004.
522
Harris, in: Journal of National Security Law & Policy, Vol. 1 [2006], S. 409 (424); Jane Mayer,
THE MEMO. How an internal effort to ban the abuse and torture of detainees was thwarted
(http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact).
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teilen vergleichbare Wirkung.523
Der Beschuldigte A.G. ist heute als Attorney General der Vereinigten Staaten am Dienstsitz
Washington, R.C. der ranghöchste Beamte der Justiz der Vereinigten Staaten und zuständig für die
Strafverfolgung von Regierungsverbrechen.
Vorwerfbares Verhalten
Da die Rolle des Beschuldigten A.G. nur vor dem Hintergrund der Dynamik der Ereignisse selbst
verständlich wird, seien seine Tatbeiträge anhand einer Chronologie der Ereignisse dargestellt:
Am Anfang des Weges nach Guantánamo und Abu Ghraib stehen informelle Briefings der Spitzen
der beteiligten Regierungsstellen. Diese Phase fällt in die Zeit der Ankunft der ersten Gefangenen
im Camp X-Ray, Guantánamo Bay, am 11.01.2002524. Davor bereits hatte Präsident G.W.B. „der
CIA vor dem FBI und dem Pentagon den Verzug bei der Behandlung wichtiger Al QuaidaGefangener“ eingeräumt.525 „Nach Angaben eines CIA-Mitarbeiters hielt G.T. Briefings zu den CIABefragungstechniken für Vizepräsident R.C. und eine kleine Gruppe von anderen Spitzenbeamten,
einschließlich des damaligen Chief White House Counsel [- dem hier beschuldigten A.G., WK]. Typischer Weise werden derartige hochsensible und streng geheime CIA-Aktivitäten durch besondere
Anordnungen des Präsidenten autorisiert. Beamte berichten demgegenüber, dass G.T. niemals eine
schriftliche präsidiale Befugnis für besondere Befragungstechniken angefordert hat. … Die wohl
herausragendste schriftliche Billigung, welche die CIA für ihre verschärften Vernehmungsmethoden
erhielt, finden sich in einer rechtlichen Stellungnahme des Office for Legal Counsel (OLC) des Jusitzministeriums. Diese – als Verschlusssache eingestufte – rechtliche Stellungnahme war speziell
für den Fall des Gefangenen A.Z. angefragt worden. Die CIA strebte den rechtlichen Schutz ihrer
Mitarbeiter, die in die Befragung von A.Z. eingebunden waren, an. … In mehrerlei Hinsicht war der
A.Z.-Fall der entscheidende Präzedenzfall für die spätere Behandlung von Gefangenen sowohl im
globalen Krieg gegen den Terror, als auch im Irak-Krieg. Die verschärften Befragungsmethoden der
CIA, die auf A.Z. angewandt wurden, stießen die erste breite rechtliche und politische Debatte in
der Administration an, die zu den Maßstäben für die Behandlung späterer Gefangener führte. „A.Z.s
Gefangennahme beeinflusste alles, was folgen würde“, erklärt eine CIA-Quelle“.526
Die ersten der für die zur Anzeige gebrachten Vorgänge so entscheidenden rechtlichen Stellungnahmen des OLC im Justizministeriums ergingen im Auftrag der Administration, nachdem in der
CIA Zweifel an der Legalität bestimmter, bereits laufender Befragungen fragte. Diese Stellungnahmen des Justizministeriums waren keine abstrakten intellektuellen Übungen, sondern betrafen die
rechtliche Verantwortlichkeit für Handlungen, die bereits durchgeführt wurden oder durchgeführt
würden, wenn sie rechtlich abgesichert wären. Zur selben Zeit, in der A.Z. „befragt“ wurde, war
A.G. verantwortlich für die Errichtung eben jener militärischen Kommissionen, welche im Umgang
mit den Gefangenen in Abu Ghraib die Genfer Konventionen systematisch verletzten; jene Kommissionen, die schließlich durch das US Supreme Court in dem Fall Hamdam vs. Rumsfeld verworfen wurden.527
18.01.2002 (Unterredung mit G.W.B.):
Im Vorgriff auf sein eigenes Memorandum vom 25.01.2002528 eröffnete A.G. G.W.B. am
18.01.2002 mündlich die Rechtsmeinung des OLC – wie sie aus dem Memorandum vom
09.01.2002 hervorgeht -, dass die dritte Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen auf Al Quaida-Gefangene nicht anwendbar sei und potentiell auch nicht anwendbar sei auf
523
David Luban, Legal Ethics and Human Dignity, Cambridge University Press, forthcoming, Chapter
6, 59; Scott Horton, Military Necessity, Torture an the Criminality of Lawyers, in: Kaleck, Ratner,
Singelnstein, Weiss (Hrsg.) International Prosecution of Human Rights, Berlin 2006.
524
James Risen, State of War 28, Free Press (2006) (hereinafter State of War).
525
State of War 28.
526
State of War 24-27. See also, Michael Duffy et al., The Torture Files, Time, Jan 17, 2005: “CIA
officials turned to Washington for guidance about how far interrogators could go against the new
terrorist enemy.”
527
Siehe Twist My Arm, The New Republic, Jan. 31, 2005 (describing A.G.’ role as a ‘chief architect’
of the military commissions).
528
Siehe A.G., Memo on “Decision Re Application of the Geneva Convention on Prisoners of War to
the Conflict With Al Qaeda and the Taliban” (hereinafter Memo of January 25th), available at
http://www.slate.com/features/whatistorture/LegalMemos.html (last viewed June 15, 2006) (hereinafter Slate)
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gefangene Taliban. Aus den folgenden Vorgängen ist zu schließen, dass der Präsident wohl bereits
daraufhin beschloss, dass die Konventionen auf diese Gruppen in Zukunft keine Anwendung finden
sollten.
(J.B. Memorandum):529
Auf den 22.01.2002 datiert530 ist das zu tragischer Berühmtheit gelangte Memorandum des damalige Assistant Attorney General und OLC- Leiters J.B. an den Beschuldigten A.G. und den Department of Defense Counsel W.H. in Beantwortung ihrer Anfrage nach einer Stellungnahme zu der
Frage, ob bestimmte Vorschriften der Genfer Konventionen (die mit dem War Crimes Act auch Bestandteil des nationalen Rechts der USA geworden waren) auf den Konflikt in Afghanistan Anwendung finden sollten. Das in der Eigenschaft J.B.s als Mitarbeiter des Office for Legal Counsel (OLC)
formulierte Memorandum kommt zu dem Ergebnis, dass die Genfer Konventionen und mit ihnen
der War Crimes Act keine Anwendung auf die Behandlung von Al Quaida-Gefangenen finden würden und das „schwerwiegende Gründe dafür sprechen, dass sie auch keine Anwendung finden auf“
die Behandlung gefangener Taliban. Diese für die folgende Tragödie grundlegende Position gründet
auf der gedanklichen Voraussetzung, das „die Rechtsmacht des Präsidenten zur Suspendierung der
Beachtlichkeit unserer vertraglichen Verpflichtungen nach dem internationalen Recht nicht durch
internationales Recht beschränkt wird“, welche auf dem Status Afghanistans als „failled state“ beruhe. OLC- Gutachten („legal oppinions“) haben im US- amerikanischen Regierungssystem eine
entscheidende Funktion: Sie formulieren, wie oben dargelegt, mit kanonischem Anspruch Antworten auf für die Regierung entscheidende Rechtsfragen.
A.G. übernahm die Prämissen J.B.s in sein drei Tage später verfasstes eigenes Memo für den Präsidenten.
25.01.2002 (A.G. Memorandum):
In seinem Memorandum vom 25.01.2002 greift A.G. die rechtliche Position auf, dass die Genfer
Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen auf gefangene Al Quaida-Mitglieder und
Taliban keine Anwendung fände und setzt sich mit Bedenken des Secretary of State C.P.531 gegen
die seiner eigenen Auffassung zugrunde liegenden, von J.B. förmlich formulierte Rechtsmeinung
des Justizministeriums auseinander. Auch A.G. betont die Rechtsmacht des Präsidenten, zu entscheiden, ob die Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen auf gefangene
Taliban Anwendung findet und wiederholt die Auffassung des OLC, dass die Genfer Konventionen
über die Behandlung von Kriegsgefangenen automatisch unanwendbar auf Al Quaida-Gefangene
sei. Er nimmt dabei Bezug auf frühere Diskussionen mit dem Präsidenten über die – von ihm als
„definitiv“ bezeichnete – Rechtsposition des OLC über die Behandlung von Taliban. Auch seine Position fußt in der Theorie vom „failed state“, welche voraussetzt, dass die Taliban keine Kontrolle
über ihr Territorium ausgeübt hätten, die sie in die Lage versetzt hätte, ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen und auch keine Regierung darstellten, sondern eine Terror-Organisation. Er
führt ferner aus, dass das „neue Paradigma“ des „War on Terror“ die Regeln der Konventionen “antiquiert“ erscheinen lasse und die strikten Beschränkungen der Befragung von feindlichen Gefangenen nunmehr obsolet seien. Er beschreibt hernach die Vorzüge seiner Lesart:
Wegfall der Erforderlichkeit der Feststellung des Kriegsgefangenenstatus im Einzelfall,
Offenhaltung von „options for the future“
Reduzierung des Risikos von Strafverfolgung des Befragungspersonals nach dem War Crimes Act, 18 U.S.C. § 2441.
529
Jay S. J.B., Memo on “Application of Treaties and Laws to al Qaeda and Taliban Detainees”,
available at: http://www.washingtonpost.com/wp-srv/nation/documents/012202J.B..pdf (last viewed July 26, 2006)
530
Although A.G. seems to indicate in his memo of January 25th that he spoke of this memo with
the President on January 18th.
531
A.G. may be referring to a more informal, or oral, communication. Powell’s January 26th Draft
Decision Memorandum for the President on the Applicability of the Geneva Convention to the Conflict in Afghanistan (available at Slate) lays out his central argument: if the U.S. intends to treat all
detainees as if the GPW applied, then there is no argument for determining, as a legal matter, that
they do not apply.
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A.G. verwirft die Gegenargumente aus den folgenden Erwägungen:
Die USA hätten sich bereits 1998 gegen die Anwendung der Konventionen auf den PanamaKonflikt entschieden, wenn auch aus politischen Gründen.
Die Sorge, dass im Gegenzug auch amerikanische Soldaten nicht mehr als durch die Genfer
Konvention zum Schutz von Kriegsgefangenen geschützt angesehen würden, weist er zurück. Das amerikanische Militär sei lediglich selbst von der Beachtung der Konventionen
freigestellt und Terroristen würden sie ohnehin nicht beachten.
Da andere Staaten noch feststellen würden, dass die amerikanische Politik eine humane
Praxis darstelle, sei auch die Sorge vor breiter öffentlicher Ablehnung unbegründet.
Ohne nähere Begründung verwirft A.G. auch die Bedenken
dass der War Crimes Act auch nicht auf andere Parteien im Konflikt angewandt werden
könnte,
dass andere Staaten ihrerseits versuchen würden, nach Schlupflöchern in den Konventionen zu suchen,
dass sich bei den handelnden Stellen Unsicherheit über den Status von Gegnern ausbreiten
könnte.
Die von J.B. und ihm folgend von A.G. unmittelbar gegenüber dem Präsidenten vertretenen
Rechtsbehauptungen seien im folgenden kurz auf ihre Vertretbarkeit untersucht:
These: „Das „neue Paradigma“ des „Krieg gegen den Terror“ lässt die strikten Beschränkungen der
Befragung feindlicher Gefangener als „obsolet“ erscheinen.“
Das Konzept eines neuen Paradigmas ist widerlegt durch die Tatsache, dass die Autoren der Genfer
Konventionen bereits Kenntnis von dem Phänomen des Terrorismus hatten532, und dass die Genfer
Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen bereits in der Vergangenheit durchgängig Anwendung auf Konflikte gefunden hatte, welche terroristische Elemente einschlossen. Noch deutlicher wird es widerlegt durch die Sprache der Konvention selbst, welche zwar zwischen verschiedenen Klassen von Kombatanten unterscheidet, aber ausdrücklich für alle Klassen grundlegende
Schutzvorkehrungen trifft533.
These:„Die Genfer Konvention ist automatisch unanwendbar auf Al Quaida-Gefangene.“
Diese Behauptung, erstmals von J.B. im Memorandum vom 22.01.2002 und sodann von A.G. im
Memorandum vom 25.01.2002 vertreten, wird von der Genfer Konvention über die Behandlung von
Kriegsgefangenen selbst widerlegt. Diese spricht von ihrer Anwendbarkeit auf Konflikte und Territorien, ohne dabei nach den Konfliktparteien zu differenzieren. Die Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen ist ihrem Wortlaut und Geist nach anzuwenden auf jeden Konflikt
532
Jordan J. Paust, Executive Plans and Authorizations to Violate International Law Concerning Treatment and Interrogation of Detainees, 43 Colum. J. Transnat'l L. 811, 829 (2005) (hereinafter
Paust): “International terrorism and terrorism in war are not new and clearly were contemplated
during the drafting of the treaties.”
533
Siehe William H. Taft, IV, The Law of Armed Conflict After 9/11: Some Salient Features, 28 Yale
J. Int'l L. 319, 321-22 (2003): “Certain minimum standards apply to the detention of even unprivileged belligerents – they are not "outside the law." Terrorists forfeit any claim to POW status under
the laws of armed conflict, but they do not forfeit their right to humane treatment - a right that
belongs to all humankind, in war and in peace. It is a general principle of civilized societies that
inhumane treatment is cruel and unacceptable under any circumstance. Such treatment degrades
the perpetrator even as it inflicts unjustifiable harm on the victim. The customary law of armed
conflict innovated a structure to deal with the situation of persons - like terrorists – who fall into
"enemy" hands without meeting the basic criteria of Article 4 of the GPW. Article 64 of the Fourth
Geneva Convention and articles which follow it reflect this system and the desire of states to ensure a protective "safety-net" for persons, including enemy combatants without POW status, in
occupied territory. More broadly, this customary law notion of fundamental guarantees found more
expansive expression in Article 75 of Additional Protocol I to the Geneva Conventions. While the
United States has major objections to parts of Additional Protocol I, it does regard the provisions of
Article 75 as an articulation of safeguards to which all persons in the hands of an enemy are entitled.”
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auf dem Territorium eines Vertragsstaates. Art. 3 stellt ausdrücklich fest, dass die Konventionen
Anwendung auf alle festgehaltenen Personen findet534. Die Konventionen sehen zudem auch besondere Regeln für alle Kategorien von Kombatanten vor535.
These: „Der Präsident der Vereinigten Staaten ist berechtigt, die Anwendbarkeit der Genfer Konventionen über die Behandlung von Kriegsgefangenen auf die Taliban zu suspendieren.“
A.G. stützt diese These auf zwei Argumente: Erstens, dass die Taliban keine Kontrolle über ihr Territorium erlangt hätten, die es ihnen erlaubt hätte, ihre internationalen Verpflichtungen zu erfüllen
und zweitens, dass die Taliban nicht eine Regierung, sondern eine terroristische Organisation darstellten. In der Sache geht es in beiden Fällen um die Indienststellung der politologischen “failed
state theory”536 für das Bedürfnis der G.W.B.-Administration nach rechtlicher Absicherung ihrer
operativen Vorstellungen. Die „failed state theory“ behauptet, dass die Einwohner eines Staates,
der nicht mehr zur Erfüllung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen in der Lage ist, auch durch
die Konventionen nicht mehr geschützt seien. Innerhalb der Administration widerlegte der Legal
Adviser to Secretary of State, W.T. IV, die „failed state“- Theorie bereits in seinem Memorandum
vom 11.Januar 2002537, indem er feststellt, ist das Konzept des „failed state“ kein rechtliches Konzept ist, sondern ein akademisches Denkspiel538. Die Kritik von W.T. spiegelt zugleich die ganz
herrschende Auffassung der US-amerikanischen wie der internationalen Völkerrechtswissenschaft
wieder und lässt die Position der G.W.B.-Administration als unhaltbare Extremposition erscheinen.
Es könne – so die zutreffende Kritik W.T.s – nicht übersehen werden, dass die Taliban- Regierung
unzweifelhaft ein erhebliches Territorium kontrolliert habe, wie eine Regierung gehandelt habe und
von der internationalen Gemeinschaft auch als solche angesehen worden sei. Unabhängig davon,
ob ein Staat anerkannt oder handlungsfähig sei, bestehe kein Prinzip im internationalen Recht,
welches einem handlungsunfähigen Staat die Staatsqualität abspreche539. Die von der „failed state
theory“ herangezogenen Überlegungen – Anerkennung und Handlungsfähigkeit des Staates – seien
nur entwickelt worden, um die Voraussetzungen der Anerkennung eines neuen Staates festzustellen, nicht um das Verschwinden eines bereits existierenden Staates festzustellen. Auch ein „failed
state“ sei mithin ein Staat. Hart fällt auch die Kritik an der Position des J.Y.- Memorandums vom 9.
Januar 2002 aus: in der Sache sei das von J.Y. entwickelte Konzept des Verlustes und späteren
Wiedererlangung der Staatseigenschaft Afghanistans dem Völkerrecht unbekannt. Diese in dem
J.Y.-Memorandum entwickelte These beruft sich auf Rechtsprechung des US- Supreme Courts, die
in der Sache nicht vergleichbar ist540.
Tatsächlich haben die USA jederzeit, wie die internationale Gemeinschaft, Afghanistan als Partei
völkerrechtlicher Verpflichtungen betrachtet541. Die Vereinigten Staaten haben die diplomatischen
Beziehungen zur Afghanistan auch selbst nie unterbrochen, ungeachtet der Nicht-Anerkennung der
Taliban-Regierung und verschiedener theoretischer Überlegungen542.
534
As William H. Taft, DOS counsel, wrote to A.G., “The structure of the paper [presumably the
January 25th memo] suggesting a distinction between our conflict with Al Qaeda and our conflict
with the Taliban does not conform to the structure of the Conventions. The Conventions call for a
decision whether they apply to the conflict in Afghanistan.” Taft, Memo of Feb. 2nd, at 2 (hereinafter Taft, Feb. 2nd), available at TK.
535
Siehe note 14, supra, and accompanying text.
536
This term appears first in J.Y.’s January 9th memo, and is reiterated in A.G.s January 25 memo.
537
hereinafter Taft, January 11.
538
Notably emerging from a literature that generally encourages the application of international
treaties to failed States. See Taft, January 11, n. 3.
539
Taft, January 11, p. 5.
540
Taft, January 11, p. 10
541
“Afghanistan continued to be recognized as a state and a party to the Geneva Conventions; the
Taliban regime had been recognized as a de jure and a de facto government engaged in war; the
United Nations Security Council had recognized that the laws of war "and in particular the Geneva
Conventions" applied to the war in Afghanistan before the U.S. military intervention and, after the
use of military force by the United States in 2001, the Security Council expressly called "on all Afghan forces ... to adhere strictly to their obligations under ... international humanitarian law;" and
although he initially followed the manifestly faulty advice of J.Y. and Delahunty, President G.W.B.
finally recognized that the Geneva Conventions apply to the war in Afghanistan. The International
Committee of the Red Cross and the international community more generally had also recognized
the obvious fact that Geneva law applied.” Paust at 833-834, internal citations omitted.
542
Taft, Jan. 11, n. 10.
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Die Frage, ob die Taliban eine Regierung waren oder nicht oder der Taliban-Staat ein „failed state“
war, erweist sich unter dem Blickwinkel des Völkerrechts als letztlich ohnehin irrelevant, da die
allgemeinen Regeln des Kriegsvölkerrechts und der Genfer Konventionen auch für den Konflikt in
Afghanistan die Geltung der dritten Konvention für die Gefangenen in Guantánamo erzwingen.
Denn die Auseinandersetzungen zwischen Taliban und Nordallianz setzten bereits die Beachtung
der allgemeinen Regeln im Kriege voraus und die Anwesenheit pakistanischer Truppen zeigt, dass
der Konflikt bereits vor dem Eintreffen der Amerikaner internationalisiert war und dass Kriegsgewohnheitsrecht Anwendung fand (welches die Genfer Konventionen einschließt)543. Ungeachtet
aller rechtstheoretischen Behauptungen über die Unanwendbarkeit der Konventionen auf dem afghanischen Schauplatz blieben die USA spätestens aus allgemeinen Regeln des Völkerrechts heraus
verpflichtet, sich so zu verhalten, als ob die Konventionen Anwendung fänden, da der gemeinsame
Artikel 1 der Konventionen ausdrücklich alle Vertragsstaaten verpflichtet, die Konventionen in voller
Gänze und unter allen Umständen zu respektieren. „Es ist allgemein anerkannt, dass der gemeinsame Art. 1, wie auch andere Vorschriften, sicherstellt, dass das Recht der Genfer Konventionen
nicht überwindbar ist. Auch eine empfundene Notwendigkeit kann keine Ausnahmen begründen,
solange nicht ein besonderer Artikel die Nichtanwendung einer Vorschrift zulässt. Artikel 1 sieht
ferner vor, dass die Pflicht, das Recht der Genfer Konventionen zu respektieren und seine Beachtung sicherzustellen, nicht auf gegenseitiger Beachtung, sondern auf einer gewohnheitsmäßigen
obligatio erga omnes („Verpflichtung Aller gegenüber Allen“). Diese gilt im gleichen Maße wie eine
ausdrückliche vertragliche Verpflichtung jedes Signatarstaats gegenüber jedem anderen Signatarstaat. Darüber hinaus bekräftigt Artikel 1, dass Repressionen in Reaktion auf eine Missachtung der
Konventionen durch den Gegner unzulässig sind. Jeder dieser Rechtsgedanken verdeutlicht, dass –
wie auch in Artikel 1 ausdrücklich festgestellt - das Recht und die Verpflichtungen aus den Genfer
Konventionen unter allen Umständen beachtet werden müssen544. Zudem hält Artikel 2 der dritten
Genfer Konvention zur Reichweite der Anwendung fest, dass selbst wenn eine der an dem Konflikt
beteiligten Kräfte nicht Partei der Konventionen ist, alle Beteiligten gleichwohl an diese gebunden
sind. (Vgl. zum Ganzen auch Kapitel 5.2.3)
These: „Ich stelle fest, dass Sie die verfassungsrechtliche Befugnis haben, festzulegen, dass die
Genfer Konventionen über die Behandlung von Kriegsgefangenen nicht auf Al Quaida und Taliban
Anwendung finden.“ (A.G. an US-Präsident G.W.B.)
Wenn auch nicht als förmlicher Rechtsrat zu verstehen, ist A.G.s Stellungnahme unterlegt mit seiner Vision präsidialer Macht. Diese Vision widerspricht unmittelbar Art. II der amerikanischen Verfassung, welche feststellt, dass der Präsident das Recht treu zu erfüllen hat. Der verfassungsrechtliche Auftrag des Präsidenten erfasst unzweifelhaft die Beachtung der vom Kongress erlassenen
Gesetze, wie etwa dem War Crimes Act, und bereits der Versuch ihrer Umgehung ist verfassungswidrig. Zudem hat auch die US- amerikanische Rechtsprechung herausgearbeitet, dass die Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträge weit auszulegen sind545.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Memoranden und Rechtsstandpunkte aus eigener
wie aus fremder Feder, die der Beschuldigte A.G. dem Präsidenten vortrug, zwei Dinge gemeinsam
haben: Sie legitimieren die Anwendung von Folter, unmenschlicher und entwürdigender Behandlung gegenüber Gefangenen in Guantánamo und sie stehen im eklatanten Widerspruch sowohl zum
Wortlaut der einschlägigen völkerrechtlichen Abkommen als auch zur ganz überwiegenden Auffassung der US-amerikanischen wie der internationalen Völkerrechtswissenschaft.
Die stürmische inner-administrative Debatte dauerte nachfolgend an: In seinem Memorandum vom
26. Januar 2002 fordert Secretary of State C.P. – im Gegensatz zur Linie des OLC - dass der Präsident die Anwendbarkeit der Konventionen jedenfalls im Zweifelsfall festlegen möge und sieht die
Möglichkeit, jedenfalls einzelfallweise gefangenen Taliban den Kriegsgefangenen-Status zuzuerken-
543
stellvertretend für die amerikanische Rechtswissenschaft Paust at 813.
Paust at 814-815.
545
See Paust, n. 76, (citing, among other cases: Hauenstein v. Lynham, 100 U.S. 483, 487 (1879)
("Where a treaty admits of two constructions, one restrictive as to the rights, that may be claimed
under it, and the other liberal, the latter is to be preferred"); Shanks v. Dupont, 28 U.S. (3 Pet.)
242, 249 (1830) ("If the treaty admits of two interpretations, and one is limited, and the other
liberal; one which will further, and the other exclude private rights; why should not the most liberal
exposition be adopted?"); Owings v. Norwood's Lessee, 9 U.S. (5 Cranch) 344, 348-49 (1809)
("Whenever a right grows out of, or is protected by, a treaty ... whoever may have this right, it is
to be protected.")).
544
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nen. In seinem Schreiben vom 1.02.2002 eröffnet Attorney General J.A.546 dem Präsidenten demgegenüber die Optionen, entweder festzustellen, dass die Konventionen nicht anwendbar sind, da
Afghanistan ein failed state sei (diese favorisiert er) oder festzustellen, dass die Konventionen nicht
anwendbar seien, da die Taliban „unlawful combatants“ seien (welche er mit dem Risiko belastet
sieht, dass amerikanische Truppen von Dritten ihrerseits als „unlawful combatants“ angesehen
würden).
Die von A.G. (mit)verfolgte Linie sah sich weiterhin auch aus dem Stab des Secretary of State Colin
Powell engagierter Kritik ausgesetzt: Die weitere Denkschrift des Legal Adviser to Secretary of State, W.T. IV, vom 2.02.2002 an A.G.547 drang darauf, dass die Regierung die Anwendbarkeit der
Konventionen auf den Konflikt in Afghanistan feststellen solle und sich damit auf die Argumentationslinie des Powell - Memorandum vom 26.01.2002 begeben solle.
7.02.2002 (weiteres J.B. Memorandum)548:
Das an A.G. gerichtete weitere J.B.- Memorandum vom 7. Feburar 2002 behauptete, dass die Taliban-Gefangenen nicht den Status von Kriegsgefangenen nach der Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen beanspruchen könnten, da sie als Angehörige einer „Miliz“ nicht
die die Voraussetzungen der Definition des Kriegsgefangenen erfüllten und sich selbst auch als Miliz
bezeichnet hätten. J.B. argumentierte daran anschließend erneut, dass der Präsident die Befugnis
habe, die Taliban als Gruppe vom Kriegsgefangenenstatus auszuschließen. Dieses Memorandum
übergeht damit auch ausdrücklich Art. 5 der dritten Genfer Konvention, welche im Zweifelsfall die
Behandlung von Gefangenen als Kriegsgefangene bis zur Entscheidung durch ein dazu berufenes
Tribunal anordnet549.
Auch diese Rechtsauffassung des Beschuldigten A.G. erweist sich als unhaltbar. Sie steht schon im
klaren Gegensatz schon zum Wortlaut der Konventionen, welche diese Tribunale zwingend anordnen. Abgesehen von der missratenen Auslegung der Konventionen selbst550 ist der einzige rechtliche Bezugspunkt, den J.B. für seine Blankett-Ermächtigung des Präsidenten anführen kann, dass
dieser die Befugnis habe, anstelle der Nation völkerrechtliche Verträge bindend auszulegen. Diese
Ansicht ist sowohl aus der Sicht des nationalen amerikanischen Rechts als auch aus der Sicht des
Völkerrechts als letztlich haltlose Mindermeinung erkannt worden; zuletzt in der bekannten
Hamdan- Entscheidung des US Supreme Court.
07.2.2002 (Der endgültige Durchbruch: das G.W.B. Memorandum)551:
A.G. setzte im Ergebnis die von ihm (mit)vertretene Linie in der Administration mit den Möglichkeiten seines Amtes durch. In einem an den Vizepräsidenten, den Secretary of State, den Secretary of
Defense, den Attorney General, den Chairman of the Joint Chiefs und andere gerichteten Memorandum vom 7.2.2002, dass aller Wahrscheinlichkeit nach von dem Beschuldigten A.G. selbst paraphrasiert wurde, bezieht sich der Präsident G.W.B. persönlich ausdrücklich auf A.G. Formel vom
„Neuen Paradigma“ und fordert von der Administration „neues Denken“.
Während er einerseits den Fortbestand der Bindung an die „Prinzipien“ der Konventionen behauptet, beansprucht er nun ausdrücklich die verfassungsrechtliche Befugnis, die Anwendung der Konventionen sowohl auf die Taliban als auch auf Al Quaida-Gefangene auszusetzen, wobei er an die
Logik des A.G.-Memorandums vom 25.01.2002 anschließt. Ausdrücklich auf der Grundlage des
Rechtsstandpunktes, den das Justizministerium im Memorandum vom 22.01.2002 und Attorney
546
Available at Slate.
Available at Slate.
548
J.B., Memo on “Status of Taliban Forces under Article 4 of the Geneva Convention”, available at
http://news.findlaw.com/wp/docs/torture/J.B.20702mem.html (last viewed June 15, 2006).
549
Third Geneva Convention of 1949, Art. 5, available at http://www.geneva conventions.org.
550
Die Argumentation des J.B.-Memorandums bleibt an dieser Stelle inkonsistent. J.B. scheint eine
Argumentationslinie zu verfolgen, nach der die Taliban nur nach jenem Absatz von Art. 4 behandelt
werden könnten, da sie sich selber als Miliz verstünden. Diese Position übergeht den Umstand,
dass Art. 4 seinem Wortlaut und seiner Teleologie nach als Auffangvorschrift für alle Personengruppen zu verstehen ist, die im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt festgesetzt werden.
Welche rechtlichen Konsequenzen J.B. überhaupt aus seiner Argumentation zu ziehen anstrebt,
bleibt offen, da der einzige nicht von den Konventionen gestützte Status derjenige des Zivilisten
ist, welcher einen erheblich weitergehenden völkerrechtlichen Schutz beanspruchen kann.
551
President G.W.B., Memo on “Humane Treatment of Al-Qaeda and Taliban Detainees”, available
at Slate.
547
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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General J.A. im Memorandum vom 01.02.2002 entwickelt hatten, suspendiert Präsident G.W.B.
unter Berufung auf die ihm angeblich durch Verfassungsrecht verliehene Befugnis die Anwendbarkeit der Konventionen auf den Konflikt mit Al Quaida. Der Präsident legt ferner dar, dass der gemeinsame Art. 3 der Konventionen auf Al Quaida oder Taliban-Gefangene nicht anwendbar sei und
erklärt die Taliban zu „unlawful combatants“, die den Kriegsgefangenenstatus nach Art. 4 der Konventionen nicht beanspruchen könnten, wobei die Konventionen auf Al Quaida-Gefangene ausdrücklich von vornherein nicht anwendbar sein sollen.
Die Linie, die das Weiße Haus in den nächsten Jahren verfolgen würde, hatte die höchsten exekutiven Weihen erhalten. Im Ergebnis hat der Beschuldigte A.G. einer extremen, außerhalb der Administration von niemandem vertretenen Rechtsauffassung zum praktischen Durchbruch verholfen
und sich dabei von nichts anderem als politischen Interessen leiten lassen.
01.08.2002 (weiteres J.B.-Memorandum)552:
Nachdem sich der Präsident die von dem Beschuldigten A.G. mit zu verantwortende Weichenstellung zu Eigen gemacht hatte, blieb ein gewisser Bedarf an Anleitung auf den unteren Ebenen weiterhin bestehen. Dieser resultierte aus verbliebenen verfassungsrechtlichen Fragen und wurde mit
weiteren Memoranden bedient.
Ein weiteres Memorandum vom J.B. mit Datum 1.08.2002 und dem Titel “Standards of Conduct for
Interrogation Under 18 U.S.C. §§ 2340-2340A,” bezieht sich Forderungen der Antifolterkonvention,
welche ihrerseits Eingang in das amerikanische Gesetzesrecht gefunden hatten. Das Memorandum
formuliert selbst, dass seine Fragestellung im Zusammenhang mit Befragungen außerhalb der Vereinigten Staaten aufgeworfen worden sei. Es wurde offensichtlich verfasst für und auch vertreten
von dem Beschuldigten A.G., bis es nach zwei Jahren widerrufen wurde. Insbesondere dieses Memorandum entwickelte einen engen Begriff der Folter und zielte im Wesentlichen darauf, Verteidigungsargumente für Verstöße gegen das Folterverbot zu liefern.
In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass bereits zuvor Unterredungen zwischen A.G. und
dem Berater des Verteidigungsministers W.H. sowie dem R.C.-Berater D.A. stattgefunden hatten,
bei denen es auch um die Befragungstechniken ging. Eine der Methoden, die allseits als akzeptabel
bewertet wurde, war das sog. „Water-Boarding“, bei welchem bei den Gefangenen der Eindruck
erzeugt wird, dass er ertränkt werde553. Bei der Ratifikation der Antifolterkonvention im Jahre 1994
definierte der Senat die grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne der
Konventionen als Handlungen, die gegen den 5., 8. oder 14. Zusatz zur amerikanischen Verfassung
(Amendment) verstießen. Die G.W.B.-Administration hat sich nie klar dazu geäußert, ob die CIAVernehmungstechniken nach diesem verfassungsrechtlichen Standard als legal zu betrachten seien
– was weitreichende Konsequenzen auch für die Behörden in den USA selbst haben würde. Das
Memorandum wich auf ein juristisches Schlupfloch aus: Da die Verfassung der Vereinigten Staaten
grundsätzlich keine Anwendung auf Amerikaner außerhalb des Staatsgebietes fände, dürfe die CIA
grausame und inhumane Methoden auf Gefangene außerhalb der Staatsgrenzen anwenden554.
A.G. zog auch nach Bekanntwerden der Gefangenenmisshandlungen und ihrer administrativen Deckung keine Konsequenzen. Die Aussetzung der Geltung des so genannten Folter-Memorandums
im Frühjahr 2004 war auch dem Umstand geschuldet, dass es die Berufung von A.G. zum Attorney
General behinderte – was nichts daran ändert, dass er als Chief Counsel des Weißen Hauses das
Memorandum befürwortet und seine maßgebliche Rolle durchgesetzt hatte555. A.G. behauptete auf
einer Pressekonferenz am 22.06.2004, dass „alle Befragungstechniken, die zur Anwendung durch
die Agentur [gemeint: CIA, WK] gegenüber Taliban und Al Quaida-Mitgliedern freigegeben worden
sind, dem Gesetz entsprechen und keine Folter darstellen“556. Die Regierung bemühte sich im Dezember 2004, die Richtlinien für die Behandlung und Vernehmung von Gefangenen Stück für Stück
im Sinne der Rückkehr zu rechtsstaatlich anmutenden Formulierungen zu ändern. Eine berühmt
gewordene Fußnote in diesem Reformprozess stellte bekanntlich zugleich klar, dass die durch das
Folter-Memorandum zugelassenen Methoden auch die nunmehr Standards nicht verletzen wür-
552
Available at Slate.
Michael Hirsh et al., A Tortured Debate, Newsweek, Jun. 21, 2004.
554
Director for Torture, Washington Post A18, Nov. 23, 2005.
555
Jane Mayer, A Deadly Interrogation, The New Yorker, Nov. 14, 2005
556
R. Jeffrey Smith, Interrogator Says U.S. Approved Handling of Detainee Who Died, The
Washington Post A07, Apr. 13, 2005.
553
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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de557. In der Anhörung als Kandidat für das Amt des Attorney General im Januar 2005 erklärte
A.G., dass missbräuchliche Praktiken durch die Regierung nicht toleriert werden würden. Er werde
dafür Sorge tragen, dass das Justizministerium alle Verantwortlichen für verabscheuungswürdige
Handlungen unnachgiebig verfolgen würden558.
Gleichzeitig leugnete er, dass die in den Memoranden entwickelte Position außerhalb des Rechts
stehe559. Auch behauptete er, dass er keinerlei Kenntnis davon gehabt habe, dass jemand in der
Exekutive die illegale Verbringung von Gefangenen zugelassen habe. Diese unter Eid getätigten
Aussagen stehen im Widerspruch zu als Verschlusssachen eingestuften Anordnungen des Präsidenten an die CIA, welche die „Rendition“-Praxis ausdrücklich erlauben; der Beschuldigte A.G. hat
einen Meineid geleistet560. Im CNN-Interview vom 04.03.2005 blieb A.G. bei der sog. „few bad
apples“-Theorie561 bezüglich der Misshandlungen in Abu Ghraib und wies jede Verantwortung für
eine systematische Praxis zurück: „Manchmal tun Menschen Dinge, die sie nicht tun sollten. Menschen sind nicht perfekt …“.
Bei einem öffentlichen Anlass in London am 07.03.2006562 erklärte A.G., dass die Regierung jede
Misshandlung von Menschen unterbinden und verfolgen werde, selbst wenn sie von eigenen Soldaten gegen feindliche Kämpfer begangen werde. Er behauptete ferner, dass der den Gefangenen in
Guantánamo zuteil werdende rechtliche Schutz historisch einmalig sei. Es sei in der Geschichte kein
Fall bekannt, in dem eine Nation feindlichen Gefangenen so viele Rechte und so viel Schutz zugestanden habe, wie schon allein daran ersichtlich würde, dass auf dem Schlachtfeld gefangen genommenen Personen der Zugang zu zivilen Gerichten offen stehe. Mit diesen irreführenden Behauptungen über den Status der Gefangenen in Guantánamo und das Maß der Verantwortlichkeit
seiner Behörden für die Gefangenen setzt A.G. die Konstruktion jener Legende fort, nach der die
Herrschaft des Gesetzes (rule of law) im Einklang mit der aktuellen Praxis des globalen „War on
Terror“ sei563.
Auch nach der Ernennung zum Attorney General am 3. Januar 2005 hat A.G. sich als absolut unwillig erwiesen, Straftaten im Zusammenhang mit Befragungen oder Gefangenenbehandlungen zu
verfolgen, von bedeutungslosen Ausnahmen abgesehen.
Beweislage
Im Gegensatz zu anderen Beteiligten in der G.W.B.-Administration ist die Rolle des Beschuldigten
A.G. anhand sowohl der Aufgaben und Zuständigkeiten seines Amtes als auch der von ihm unterzeichneten Dokumente564 ohne weiteres nachzuvollziehen. Der Beschuldigte hat sich im Verlauf des
Verfahrens zur Ernennung zum General Attorney zwar vehement gegen die gegen ihn erhobenen
Vorwürfe verteidigt. Die öffentliche Aufmerksamkeit für die Person des Beschuldigten und der Umstand, dass ihm gerade wesentliches öffentliches Verteidigungsvorbringen widerlegt werden konnte, haben eine Vielzahl von gesicherten Erkenntnissen zu Tage gefördert.
Rechtliche Würdigung
Die rechtlichen Besonderheiten der hier zur Anzeige gebrachten Regierungskriminalität, die unter
dem Deckmantel selbst hergestellter Rechtsförmigkeit begangen wurde, werden in dieser Strafanzeige an anderer Stelle ausführlich dargelegt (vgl. Kapitel 5.2.3.2.). Als Chief Counsel des Präsidenten selbst war der Beschuldigte A.G. an prominenter Stelle in die Produktion von Rechtsförmigkeit für die von dem Weißen Haus zu verantwortenden Politik des von US-Präsident G.W.B. ausgerufenen „Globalen Krieges gegen den Terror“ eingebunden. Er hält dieser Verpflichtung gegenüber
seinem früheren Vorgesetzen G.W.B. bis heute die Treue.
557
R. Jeffrey Smith, Interrogator Says U.S. Approved Handling of Detainee Who Died, The
Washington Post A07, Apr. 13, 2005.
558
Mark Benjamin, salon.com, Apr. 14, 2006.
559
Just a few bad apples?; Civil liberties, The Economist, Jan. 22, 2005. (hereinafter Bad Apples).
560
Matthew Rothschild, Stripping D.R. and G.W.B. of Impunity, The Progressive, Jul. 1, 2005.
561
This has been the central assertion of the G.W.B. Administration. See, Bad Apples.
562
R. Jeffrey Smith and Josh White, Soldier Who Reported Abuse Was Sent to Psychiatrist,
Washington Post A15, March 5, 2005
563
Prepared Remarks by Attorney General A.G. at the International Institute for Strategic Studies,
available at http://justice.gov/ag/speeches/2006/ag_speech_060307.html.
564
allen voran das Memo “Decision Re Application of the Geneva Convention on Prisoners of War to
the Conflict With Al Qaeda and the Taliban” vom 25. Januar 2002,
http://www.slate.com/features/whatistorture/LegalMemos.html (Stand: 15. Juni 2006)
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Nach § 2 VStGB findet der Allgemeine Teil des StGB Anwendung, soweit nicht in §§ 1, 3, 4 und 5
VStGB eine besondere Bestimmung getroffen ist. Für die mit dem angezeigten Sachverhalt aufgeworfenen Zurechnungsfragen bei dem Beschuldigten A.G. ist damit nichts gewonnen . Wegen der
von dem 30.06.2002, dem Datum des Inkrafttretens des VStGB begangenen Straftaten kommt
eine Strafbarkeit nach den Vorschriften des allgemeinen Teils des StBG in betracht und dort insbesondere die Vorschriften der Körperverletzung §§ 223 ff. StGB, der Freiheitsberaubung §§ 239 ff
StGB und die Tötungsdelikte §§ 211 ff. StGB. Bereits an anderer Stelle war ausgeführt worden,
dass insoweit strafanwendungsrechtlich keine Probleme bestehen (vgl. Kapitel 3. dazu). Wegen der
nach dem 30.06.2002 begangenen Taten hat sich der Beschuldigte A.G. der Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gem. § 8 VStGB, 25 Abs. 1,
2. Alt. StGB starfbar gemacht.
An der Schnittstelle von der „sozialen Tatherrschaft in organisatorischen Machtapparaten“565 zu den
durch die verantwortliche Produktion appologetischer Texte als Helfer eingebundenen Juristen und
Beschuldigten J.Y. und J.B. stehen die Rechtsberater (Counsel) der Spitzen der Administration. Sie
stehen – bildlich gesprochen - nicht in der formalen Befehlskette, sondern stellen das Bindeglied
zwischen den Stätten der administrativen Produktion von Rechtssicherheit und dem exekutiven
Apparat dar. Dadurch versorgen sie kraft ihres Amtes die Verantwortlichen in der Befehlskette mit
der notwenigen fachlich- juristischen Diginität, wohl wissend um den Effekt ihres Handelns und um
die rechtliche Unhaltbarkeit der von ihnen verbreiteten Texte. Der Beschuldigte A.G. ist Schreibtischtäter im buchstäblichen Sinne.
In dieser führenden Rolle hat der Beschuldigte sich mittäterschaftlicher Tatbegehung schuldig gemacht.
Während J.Y. und J.B. zur Anzeige gebracht werden, weil sie mit dem von ihnen verfassten FolterMemorandum die für Makro- bzw. Regierungskriminalität typische rechtliche Unanfechtbarkeit in
strafbarer Weise vertreten haben, ist die Verantwortung des Beschuldigten A.G. anders gelagert:
nicht nur die verantwortliche Produktion fataler Texte in Kenntnis ihrer Verwendung und Wirkung,
sondern die Steuerung des inneradministrativen Prozesses selbst und die Sicherstellung und fortwährende Kontrolle der (juristisch- semantischen) Bedingungen seiner Funktionsfähigkeit liegen
ihm zur Last. Die Rolle des Beschuldigten A.G. ist damit auf Seiten des Exekutive selbst angesiedelt, ohne dass er Teil der Befehlskette gewesen wäre oder je die hier verfahrensgegenständlichen
Maßnahmen angeordnet hätte.
Der Beschuldigte A.G. hat den von J.Y. und J.B. u.a. auf seine eigene Veranlassung erteilten
„Rechts“rat gezielt eingesetzt, um das ihm bekannte administrative und politische Konzept zur
Anwendung von Verhörsfolter dadurch zu fördern, dass er inneradministrative und später auch
parlamentarische Bedenken bekämpfte und die politische Führung in die Lage versetzte, aufkommende rechtliche Bedenken aus dem Apparat zu bezwingen. Als Counsel lag seine Aufgabe nicht
etwa nur in der Produktion scheinbar „neutralen“ und allein fachlichen Rates, sondern er lieferte
direkt Argumentationshilfe für die Regierung und hätte zugleich die Aufgabe gehabt, durch fachlichen Rat Fehlentscheidungen der Regierung zu verhindern.
Der Beschuldigte A.G. kann als einer der Architekten und Hauptorganisatoren der Verfügbarmachung und Verbreitung der offensichtlich das Recht beugenden Auftragsmemoranden des OLC angesehen werden. Er war maßgeblich an der Formulierung der Position des Weißen Hauses beteiligt
und vertrat die Auffassung von der Legalität der Folter in den hier zur Anzeige gebrachten Fällen
sowohl gegenüber dem Parlament als auch gegenüber der Öffentlichkeit.
Der Beschuldigte A.G. war vom frühestmöglichen Zeitpunkt an in die Planung und Ausführung der
hier zur Anzeige gebrachten Straftaten eingebunden. Es verbietet sich jeder Zweifel, dass er nicht
von den Plänen der anderen Mitglieder der Administration und den tatsächlichen Folgen der Praktiken, deren Anordnung er begründete und deren Legalität er absichern half, hatte.
565
vgl. Schlösser, Soziale Tatherrschaft, 2004
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11. Der Beschuldigte W.H.
Der Beschuldigte W.H. hat in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationshoheit Kriegsverbrechen
nach dem VStGB und nach internationalem Recht begangen. Die folgenden Ausführungen stellen
nur einen Ausschnitt der strafbaren Handlungen und keine abschließende Betrachtungsweise dar.
Aus ihnen ergeben jedoch konkrete zureichende Anhaltspunkte für strafbare und verfolgbare Handlungen, so dass der vorliegende Anfangsverdacht zwingend die Aufnahme des Ermittlungsverfahrens gebietet. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird bezüglich weiterer Einzelheiten im Übrigen
auf die Sachverhaltsschilderung unter 4.1. der Anzeige verwiesen.
Person und Kompetenzbereich
W.H. wurde am 30.03.1958 in Waco, Texas geboren566. Er schloss sowohl das Davidson College als
auch die Harvard Law School ab. Danach war er Mitarbeiter eines Richters in einem District Court
in Louisiana. Seit 1984 arbeitete er als Attorney im US-Verteidigungsministerium. Dort hatte er,
mit Ausnahme von 9 Monaten im Jahre 1989, verschiedene Positionen als juristischer Mitarbeiter
während der zweiten Amtsperiode von Ronald Reagan und während der Amtsperiode von George
Bush inne. Schließlich erlangte er die Position als Army General Counsel. Während der ClintonAdministration war er Partner der Großkanzlei Jenner & Block und Rechtsberater des Rüstungskonzerns General Dynamics Corporation. Nach dem Einzug von G.W.B. in das Weiße Haus übernahm
der Beschuldigte W.H. im Verteidigungsministerium das Amt des General Counsel, welches er trotz
des Wechsels an der Spitze des Bundesverteidigungsministeriums bis heute inne hat.
W.H. II ist Chief Legal Officer of the Department of Defense und zugleich Legal Advisor to the Secretary of Defense seit Mai 2001. Sein Office of the General Counsel ist verantwortlich für die Erteilung von rechtlichen Rat und Unterstützung für den Verteidigungsminister in Bezug auf alle rechtlichen Fragen und Angelegenheiten. Er war damit direkt oberster Rechtsberater des Beschuldigten
D.R.. General Counsel W.H. hatte und hat bis heute die Verantwortung als höchstrangiger Jurist im
amerikanischen Verteidigungsministerium.
Der Beschuldigte W.H. dient als General Counsel im US-Verteidigungsministerium seit Mai 2001. In
dieser Eigenschaft unterstützte und befürwortete er die Folterung von Beschuldigten und anderen
Gefangenen. Er nach zudem an Besprechungen mit den Beschuldigten A.G., D.A.und anderen teil,
auf denen Folterpraktien wie “waterboarding” allgemein genehmigt wurden und er war beteiligt an
der Genehmigung des sog. „Torture Memo” vom 1. August 2002. Mit Datum vom 27. November
2002 brachte er selbst ein Memorandum in Umlauf, in dem er dem Beschuldigten D.R. empfahl,
eine Anzahl von verschärften Befragungstechniken wie Stress- Positionen, Isolation und sensorische Abschottung, zwangsweise Entkleidung, den Einsatz von Hunden und Kapuzen und 20stündige Vernehmungen zu genehmigen. Der Beschuldigte D.R. genehmigte diese Methoden, von
denen viele auch tatsächlich angewandt wurden.
Als oberster Jurist des Ministeriums und direktem Rechtsberater des Ministers war W.H. einer der
Chefarchitekten und blieb bis heute einer der prominentesten Befürworter der von der G.W.B.Administration eingeführten Politik der Behandlung von militärischen Gefangenen.
Er empfahl die Anwendung verschärfter Vernehmungsmethoden bis hin zu grausamer unmenschlicher und erniedrigender Behandlung.
Er stand einer Gruppe des Verteidigungsministeriums vor, welche die Umgehung von rechtlichen Garantien für Gefangene befürwortete.
Er widerstand bis 2005 allen Versuchen, das Verbot von grausamer, unmenschlicher und
erniedrigender Behandlung (wieder) zur offiziellen Politik des Pentagons zu erklären.
Er verteidigte die Politik des Militärs zur unbegrenzten Festhaltung von Gefangenen als
„enemy combatants“, denen der Status des Kriegsgefangenen nach den Genfer Konventionen nicht zustehe.
Der Beschuldigte W.H. ist eine der zentralen Figuren der Rechtfertigung der Folter an Gefangenen
in US- amerikanischer Obhut in Abu Ghraib und anderswo.
566
Die biografischen Daten sind zu entnehmen dem “Report on the Nomination of William James
Haynes II to the U.S. Court of Appeals for the Fourth Circuit”, Alliance for Justice,
http://www.independendjudiciary.org/resources/docs/hayneslong.pdf
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Vorwerfbares Verhalten
Der Fall des 20-jährigen, zum Islam konvertierten US-Amerikaner J.W.L. ist der erste direkter Verantwortung des Beschuldigten W.H. für die an einer Person begangenen Folterungen.
Die ersten Medienveröffentlichungen über Folter an Gefangenen, also das, was oft fälschlicherweise
als Misshandlung oder Missbrauch von Gefangenen bezeichnet wurde, erschienen gegen Ende
2001. Als J.W.L. im Dezember 2001 in Afghanistan verhaftet wurde, wurde er nackt ausgezogen,
mit Klebeband gefesselt und auf einer Trage festgebunden. US-amerikanische Soldaten nahmen
Fotos von ihm auf, die später in der Öffentlichkeit verbreitet wurden. Sie bedrohten ihn mit dem
Tod durch Hängen und erzählten ihm, dass diese Bilder später dazu dienen sollten, Geld für eine
christliche Organisation zu sammeln. Ihm wurde tagelang der Schlaf sowie Nahrung entzogen, seine Schussverletzung am Fuss wurde zunächst nicht behandelt. Aus den später in den USA von seinem Verteidiger veröffentlichten Dokumenten des Justizministeriums geht hervor, dass der Kommandeur der Basis, auf der J.W.L. gefangen genommen wurde, vom Rechtsberater des Verteidigungsministeriums, dem Beschuldigten W.H. autorisiert worden war „die (Samt-, Anmerkung WK)
Handschuhe während J.W.L.s Befragung abzunehmen“ („to take the gloves off“).567 Damit handelt
es sich bei J.W.L.s Fall um den ersten bekannt gewordenen Fall eines Terrorismus-Verdächtigen,
bei dem die G.W.B.-Administration die rechtlichen Grenzen überschritt, um an Informationen zu
gelangen. Unbestätigten Berichten zufolge soll D.R. den mündlichen Befehl zur in vielfacher Hinsicht illegalen Behandlung von J.W.L. erteilt und W.H. diesen weitergegeben haben.
Auch im Sommer 2002 blieb W.H. Teilnehmer von Besprechungen mit u.a. dem damaligen Berater
des Weißen Hauses A.G. und Chief Counsel to the Vice President D.A., bei denen die Anwendung
bestimmter verschärfter Befragungstechniken erörtert wurde568. In diesen Besprechungen wurde
unter anderem das so genannte „Water-Boarding“ oder die Täuschung der Gefangenen über die
Überstellung an noch brutales ausländisches Befragungspersonal als zulässige Befragungstechnik
abgesegnet569.
W.H. hat die vom Weißen Haus favorisierte Politik der unbegrenzten Gewalt über „Enemy Combatants“ frühzeitig auch öffentlich vertreten570. In einem Vortrag vom 17.10.2002 vor der Washingtoner Federalist Society bestand W.H. darauf, dass die amerikanische Regierung über tatsächliche
Anhaltspunkte dafür verfüge, dass es sich bei den amerikanischen Staatsangehörigen Y.H. und J.P.
um „Enemy Combatants“ handele571. Als die Task Force der American Bar Association feststellte,
dass die Internierung von Y.H. und J.P. aus ihrer Sicht bedenklich sei und ernste Fragen betreffend
das Recht zu Zugang zu Rechtsberatung und einem fairen Verfahren aufwerfe, entgegnete W.H.
der Task Force schriftlich, dass sie sich im rechtlichen Irrtum befände572. Als General Counsel für
das Militär hatte W.H. es letztlich in der Hand, mittels seiner Definitionsmacht in juristischen Fragen die Politik gegenüber „Enemy Combatants“ zu bestimmen573.
567
vgl. Human Rights Watch, a.a.O., S. 57, Hersh, a.a.O., S. 4; Richard Serrano, Prison Interrogators’ Gloves Off Before Abu Ghraib, The Los Angeles Times, ): Juni 2004
568
Michael Hirsh, et al., A Tortured Debate, Newsweek, June 21, 2004,
http://www.msnbc.msn.com/id/5197853/site/newsweek/ (Stand 14 Juni 2006).
569
Michael Hirsh, et al., A Tortured Debate, Newsweek, June 21, 2004,
http://www.msnbc.msn.com/id/5197853/site/newsweek/ (Stand 14 Juni 2006).
570
See Letter to ABA President Alfred P. Carlton, September 23, 2002,
http://www.abanet.org/poladv/new/enemycombatantresponse.pdf. Siehe auch den “Report on the
Nomination of William James Haynes, II to the U.S. Court of Appeals for the Fourth Circuit”, Alliance for Justice, http://www.independentjudiciary.org/resources/docs/hayneslong.pdf (unter Wiedergabe von William J. Haynes, The War on Terrorism and the Rule of Law, Speech before the Federalist Society, Oct. 17, 2002 (on file with Alliance for Justice).
571
Report on the Nomination of William James Haynes, II to the U.S. Court of Appeals for the
Fourth Circuit, Alliance for Justice, available at:
http://www.independentjudiciary.org/resources/docs/hayneslong.pdf (citing William J. Haynes, The
War on Terrorism and the Rule of Law, Speech before the Federalist Society, Oct. 17, 2002 (on file
with Alliance for Justice).
572
Letter to ABA President Alfred P. Carlton, September 23, 2002, available at:
http://www.abanet.org/poladv/new/enemycombatantresponse.pdf.
573
Report on the Nomination of William James Haynes, II to the U.S. Court of Appeals for the
Fourth Circuit, Alliance for Justice, p. 15, available at:
http://www.independentjudiciary.org/resources/docs/hayneslong.pdf.
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Im November 2002, nachdem das J.B.-Memorandum des ULC vom August 2002 intern verbreitet
worden war, wandten sich drei hochrangige Militärangehörige – der Kommandeur des US-Southern
Command, General J.H., der Kommandant der Streitkräfte in Gutantanamo Bay, General M.D. und
das Mitglied des JAG-Corps in Guantánamo Bay, D.B. – an den Beschuldigten und erbaten die Genehmigung der Anwendung von Zwangsmethoden (Coercive Interrogation Techniques), von denen
zahlreiche bis hin zur Erfüllung des Folterbegriffs nach der UN-Anti-Folterkonvention reichen574.
Diese Verhörmethoden schlossen unter anderem ein: Der Einsatz von so genannten Stresspositionen, die Entkleidung, die zwangsweise Bedeckung des Gesichts beim Transport und der Befragung
„forced grooming“ (zwangsweise Entfernung der Körperbehaarung u.a.) und die Ausnutzung individueller Phobien – wie der Angst vor Hunden – zur Stresserzeugung575.
Die Anfrage aus Guantánamo stand in direktem Zusammenhang mit der Vernehmung des Gefangenen Al- Kathani, da die mit der Vernehmung betrauten Militärs die Anwendung von härteren
Verhörmethoden absichern wollten, um den angeblichen Widerstand der Verdächtigen gegenüber
den „normalen“ Verhörmethoden zu brechen. In der Sache beantragten Militärangehörige bei der
politischen Führung die Lizenz zum Foltern.
Bevor der Beschuldigte seinerzeitige Verteidigungsminister D.R. selbst die Genehmigung dazu erteilte, beauftragte er W.H. mit der Erstellung eines entsprechenden Gutachtens. W.H. erstattete
mit Datum vom 27.11.2002 dieses Memorandum betreffend Strategien und Techniken zur Brechung des Willens der Gefangenen. W.H. empfahl darin dem Verteidigungsminister D.R. die Zulassung des Gebrauchs der von den vernehmenden Militärs vorgeschlagenen Techniken sowie einer
Anzahl weiterer576. In diesem Memorandum legte W.H. dem Verteidigungsminister D.R. auch dar,
das erzwungenes Nacktheit oder die Erzeugung von Stress durch den gezielten Einsatz der Angst
vor Hunden rechtmäßige Methoden seien und empfahl, dass sie für den Gebrauch in Guantánamo
zugelassen würden. Im Gegensatz zu einer früheren Auffassung befürwortete er in jenem Memorandum nicht das „Water-Boarding“. W.H. schrieb, dass das Water-Boarding zwar eine rechtlich
zugängliche Maßnahme sein können, es zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber eine allgemeine Erlaubnis zu seiner Anwendung nicht angemessen sei. Am 02.12.2002 ließ Verteidigungsminister
D.R.die von W.H. empfohlenen Methoden sämtlich für den Gebrauch in Guantánamo zu577. Sie
wurden Schritt für Schritt insbesondere auf den Gefangenen M.Q. angewandt578.
Die Bedeutung von W.H.s „Action-Memo“ vom 27.11.2002 zu „Counter-Resistance Techniques” ist
erheblich. Das von W.H. in seiner Eigenschaft als General Counsel of Department of Defense an
D.R. als Verteidigungsminister gerichtete Memorandum beschäftigte sich mit drei Kategorien von
Befragungstechniken, die den Widerstand der Befragten brechen sollten:
574
Report on the Nomination of William James Haynes, II to the U.S. Court of Appeals for the
Fourth Circuit, Alliance for Justice, p. 5, available at:
http://www.independentjudiciary.org/resources/docs/hayneslong.pdf. See also James T. Hill, Memorandum to Chairman of the Joint Chiefs of Staff Re Counter-Resistance Techniques, October 25,
2002, available at: http://news.findlaw.com/hdocs/docs/dod/hill102502mem.html (last visited
June 14, 2006); Michael E. Dunavey, Memorandum to Commander, United States Southern Command Re Counter-Resistance Strategies, October 11, 2002, available at:
http://fl1.findlaw.com/news.findlaw.com/hdocs/docs/dod/dunlavey101102mem.pdf (last visited
June 14, 2006).
575
Report on the Nomination of William James Haynes, II to the U.S. Court of Appeals for the
Fourth Circuit, Alliance for Justice, p. 5, available at:
http://www.independentjudiciary.org/resources/docs/hayneslong.pdf. See also James T. Hill, Memorandum to Chairman of the Joint Chiefs of Staff Re Counter-Resistance Techniques, October 25,
2002, available at: http://news.findlaw.com/hdocs/docs/dod/hill102502mem.html (last visited
June 14, 2006); Michael E. Dunavey, Memorandum to Commander, United States Southern Command Re Counter-Resistance Strategies, October 11, 2002, available at:
http://fl1.findlaw.com/news.findlaw.com/hdocs/docs/dod/dunlavey101102mem.pdf (last visited
June 14, 2006).
576
William J. Haynes, II, Action Memo, Counter Resistance Techniques, November 27, 2002,
available at: http://www.slate.com/features/whatistorture/LegalMemos.html (last visited June 14,
2006).
577
Marty Lederman, Army Confirms: D.R. Directed Crimes, Balkinization, April 29, 2006, available
at: http://balkin.blogspot.com/2006_04_23_balkin_archive.html (last visited June 14, 2006).
578
Marty Lederman, Army Confirms: D.R. Directed Crimes, Balkinization, April 29, 2006, available
at: http://balkin.blogspot.com/2006_04_23_balkin_archive.html (last visited June 14, 2006).
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
- 181 -
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Kategorie 1 (zugelassen): Anwendung von milden und auf die Ängste der Betroffenen zielenden Befragungstechniken,
Kategorie 2 (zugelassen): Einsatz von Stresspositionen, gefälschten Ausweisen und Dokumenten, Isolation für bis zu 30 Tage, zwangsweise Entfernung von Kleidung, Erzeugung
starker Ängste (etwa durch Hunde), Befragung außerhalb der normalen Befragungsräume
„so lange kein ernsthafter psychischer Schmerz zugefügt oder längere Zeit nachwirkender
seelischer Schmerz beabsichtigt“ ist, Gebrauch von Kapuzen u. ä., 20stündige Vernehmungen,
Kategorie 3 (bedingt oder nicht zugelassen): Erzeugung von Todesangst oder der Angst vor
unmittelbaren physischen Schmerzen werden als nicht illegal, aber mit Vorsicht anzuwenden, bezeichnet. Der Einsatz von Kälte, Wasser oder von nassen Handtüchern zur Simulation von Erstickungssituationen wird nicht zugelassen.
Die begleitenden Rechtsausführungen des Beschuldigten bleiben in symptomatischer Art und Weise
krude. Sinngemäß heißt es, dass solange die eingesetzte Gewalt in denkbarer Weise notwendig in
einer bestimmten Situation sein kann, um ein legitimes Ziel zu erreichen und in treuem Glauben
und ohne sadistische Absichten eingesetzt werden, die vorgeschlagenen Techniken wahrscheinlich
mit der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika vereinbar seien.
Auch im Zuständigkeitsbereich des Beschuldigten W.H. blieb interner Widerstand nicht aus. Am
20.12.2002 konfrontierte der ehemalige General Counsel der US Navy, der Soldat und Jurist A.M.,
W.H. erstmalig – und erfolglos - mit seiner Einschätzung, dass das von D.R. gebilligte W.H.-Memo
Folter erlaube579. Am 09.01.2003, als Berichte über die Misshandlungen in Abu Ghraib in die Medien kamen, hatte A.M. eine zweite Unterredung mit W.H.. Ausweislich der Notizen von A.M. unterbreitete W.H., als A.M. ihn über seine fortdauernde Entrüstung darüber, dass zur Unterbindung von
Misshandlungen in Guantánamo nichts unternommen worden sei, die Position der Regierung: diese
gehe von aus, dass diese Techniken erforderlich zur Gewinnung von Informationen seien und die
Befragungen zukünftige Angriffe auf die Vereinigten Staaten und amerikanische Opfer vermeiden
könnten580. A.M. gestand W.H. zu, dass es außergewöhnliche „ticking bomb“-Situationen geben
könnte, in denen es unter Umständen zwar nicht legal, aber moralisch gerechtfertigt sein könnte,
einen Verdächtigen zu foltern. Er bezweifelte jedoch, dass in Guantánamo ein derartiges moralisches Problem auftreten könne, da die Masse der Gefangenen dort mehr als ein Jahr festgehalten
sei581. Am 15.01.2003 unterbreitete A.M. W.H. einen Entwurf eines Memos, welches die Verhöre in
Guantánamo als zumindest grausam und ungewöhnlich, im schlimmsten Falle als Folter bezeichneten582. A.M. teilte W.H. mit, dass er beabsichtige, sein Memo noch am gleichen Abend zu unterzeichnen („sign it out“), womit es ein offizieller Aktenbestandteil des Ministerium geworden wäre,
und sich an D.R. zu wenden, wenn nicht die verschärften Vernehmungstechniken eingestellt würden583 584 585. Noch am gleichen Abend rief W.H. A.M. mit den „good news“ an, dass D.R. seine
579
Jane Mayer, The Memo, How an Internal Effort To Ban the Abuse and Torture of Detainees Was
Thwarted, New Yorker, Feb. 27, 2006, available at:
http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact (last visited June 14, 2006).
580
See Jane Mayer, The Memo, How an Internal Effort To Ban the Abuse and Torture of Detainees
Was Thwarted, New Yorker, Feb. 27, 2006, available at:
http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact (last visited June 14, 2006).
581
See Jane Mayer, The Memo, How an Internal Effort To Ban the Abuse and Torture of Detainees
Was Thwarted, New Yorker, Feb. 27, 2006, available at:
http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact (last visited June 14, 2006).
582
See Jane Mayer, The Memo, How an Internal Effort To Ban the Abuse and Torture of Detainees
Was Thwarted, New Yorker, Feb. 27, 2006, available at:
http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact (last visited June 14, 2006).
583
See Jane Mayer, The Memo, How an Internal Effort To Ban the Abuse and Torture of Detainees
Was Thwarted, New Yorker, Feb. 27, 2006, available at:
http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact (last visited June 14, 2006).
584
quoting Alberto J. Mora Memorandum to Inspector General, Department of the Navy, Re:
Statement for the Record: Office of General Counsel Involvement in Interrogation Issues, July 7,
2004, available at: http://www.newyorker.com/images/pdfs/moramemo.pdf (last visited June 14,
2006).
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Genehmigung für die umstrittenen Techniken aussetze und eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung
neuer Richtlinien für die Befragung von Gefangenen einberufen wolle586 587. Noch im Januar 2003
gründete W.H. diese Arbeitsgruppe, welche ihm direkt unterstand und ernannte Air Force Counsel
General M.W. zur Vorsitzenden588. Ungeachtet der Tatsache, dass er nicht den Vorsitz der Arbeitsgruppe übernommen hatte, setzte sich W.H. entgegen der Meinung einer Vielzahl von Militärjuristen589 durch und die Arbeitsgruppe übernahm die von W.H. befürwortete Rechtsauffassung des
J.B.-Memorandums. Seine zentralen Aussagen schreiben die bis dahin von dem OLC formulierte
Linie ununterbrochen fort590:
Die Genfer Konventionen finden keine Anwendung auf Al Quaida-Mitglieder. Art. 4 der Genfer Konventionen findet keine Anwendung auf Taliban.
Die UN-Anti-Folterkonventionen von 1994 seien zwar grundsätzlich auf „unlawful combatant detainees“ anwendbar, jedoch nur nach Maßgabe der Auslegung durch die USA.
Völkergewohnheitsrecht bindet die US-Regierung nicht, da es sich nicht um USBundesrecht handelt.
18 USC Section 2340 (das Bundesgesetz über Folter) findet nur Anwendung auf Vorgänge
außerhalb der Vereinigten Staaten. Gutantanamo Bay sei aber bei der Anwendung des Gesetzes als Inland zu betrachten, so dass das Gesetz auf Maßnahmen des US-Personals in
Guantánamo Bay nicht anwendbar sei.
Die Strafbarkeit nach dem Gesetz setze voraus, dass der Täter bewusst beabsichtigte habe,
das Gesetz zu brechen.
Selbst wenn einem Täter bewusst gewesen sei, dass sein Handeln schwere Schmerzen verursache, liege diese besondere Absicht nicht vor, wenn die Schmerzzufügung nicht zugleich
auch sein Ziel gewesen sei.
Die Arbeit dieser Gruppe führte mithin nicht zu einer Verbesserung der Menschenrechtsstandards
im Einflussbereichs des Verteidigungsministeriums. Im Gegenteil: Der an den Memoranden des
OLC orientierte Abschlussbericht der Arbeitsgruppe vom 04.04.2003 („Working Group Report on
Detainee Interrogation In The Global War On Terrorism”) war direkt an den Beschuldigten D.R. als
Verteidigungsminister gerichtet und wurde von diesem autorisiert591. Damit segnete er die bisherige Folterpraxis ab592, hatte die Wirkung einer militärischen Anordnung und stellte in der Folgezeit
den rechtlichen Deckmantel für die kontinuierliche Misshandlung von Verdächtigen im USGewahrsam dar. Nach A.M. „fehlte [den Memoranden des OLC] jede Sprache, welche die grausame, entwürdigende und unmenschliche Behandlung von Gefangenen verbieten würde“ und es habe
eine extreme und letztendlich unbeschränkte Theorie der Macht des Präsidenten als Commander in
585
Dana Priest & R. Jeffrey Smith, Memo Offered Justification for Use of Torture; Justice Dept. Gave
Advice in 2002, Wash. Post, June 8, 2004, available at: http://www.washingtonpost.com/wpdyn/articles/A23373-2004Jun7.html (last visited June 15, 2006).
586
Dazu Jane Mayer, THE MEMO. How an internal effort to ban the abuse and torture of detainees
was thwarted (http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact).
587
See Jane Mayer, The Memo, How an Internal Effort To Ban the Abuse and Torture of Detainees
Was Thwarted, New Yorker, Feb. 27, 2006, available at:
http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact (last visited June 14, 2006).
588
William J. Hayden, II, Memorandum to the General Counsel of the Department of the Air Force,
January 17, 2003, available at: http://www.washingtonpost.com/wpsrv/nation/documents/011703haynes.pdf (last visited June 15, 2006).
589
Dana Priest & Bradley Graham, U.S. Struggled Over How Far to Push Tactics; Documents Show
Back-and-Forth on Interrogation Policy, Wash. Post, June 24, 2004, available at:
http://www.washingtonpost.com/wpdyn/articles/A756-2004Jun23.html (last visited June 15,
2006).
590
Zusammenfassung von Slate.com,
http://www.slate.com/features/whatistorture/LegalMemos.html (Stand 13. Juni 2006).
591
Dana Priest & Bradley Graham, Guantánamo List Details Approved Interrogation Methods, Wash.
Post, June 10, 2004, available at: http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/articles/A297422004Jun9.html (last visited June 15, 2006).
592
Jane Mayer, THE MEMO. How an internal effort to ban the abuse and torture of detainees was
thwarted (http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact).
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Chief vertreten593. A.M.s weitere Interventionen blieben erfolglos.
Die Misshandlungen in Guantánamo wurden mithin aufgrund des Protestes innerhalb der Administration nicht etwa eingestellt. Vielmehr muss festgestellt werden, dass gerade in jener Zeit, als die
Auseinandersetzungen zur nur vorgetäuschten Aussetzung der Folter und zur Einberufung der Arbeitsgruppe führten, der Gefangene M.Q. in Guantánamo nackt ausgezogen wurde, zwangsweise
seine Körperbehaarung entfernt wurde und er an die Kette gelegt wurde wie ein Hund. Er wurde
mit Popmusik in ohrenbetäubender Lautstärke beschallt, es wurde ihm der Schlaf entzogen und er
wurde in einem Raum bei schmerzhafter Kälte gefangen gehalten594. In Konsequenz dieser von
W.H. mitzuverantwortenden Handlungen wurden hunderte von Gefangene misshandelt und gefoltert in von US-Kräften betriebenen Gefangenenlagern. Denn der Bericht der Arbeitsgruppe wurde
unter anderem von General G.M. von Guantánamo in den Irak mitgebracht, um ab dem Jahr 2003
die Befragungsmethoden auch dort zu bestimmen595. Frauen und Männer, die niemals eines Verbrechens beschuldigt wurden, wurden die fundamentalen Rechte des humanitären Völkerrechts
aberkannt. Jene, die das Pech hatten, von den Vereinigten Staaten verdächtigt zu werden, wurden
ihrer Freiheit und ihrer Menschenwürde beraubt. Einige wurde zu Tode gefoltert.
W.H. vertrat auch später– wider besseres Wissen - gegenüber dem Kongress und gegenüber Human Rights Watch596 die Position, dass die US-Administration sich uneingeschränkt an das FolterVerbot hielten.597 Im März 2005 erklärte das Pentagon mit W.H. Zustimmung den Bericht der Arbeitsgruppe zwar als „non-operational historical document“598. Ungeachtet dessen blieb W.H. bei
der Behauptung, dass die Genfer Konventionen auf die Gefangenen nicht anwendbar sein sollten.
Ende 2005 berief der stellvertretende Verteidigungsminister G.E. ein Treffen höchstrangiger Militärs
und Angehöriger des Verteidigungsministeriums, einschließlich einer Anzahl von Militärjuristen.
Eingebracht wurde ein Vorschlag, nunmehr (wieder) als offizielle Pentagon-Politik die Beachtung
des gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen zu betrachten, jener Artikel verbietet grausame,
unmenschliche und erniedrigende Behandlung ebenso wie Übergriffe auf die Menschenwürde599.
Berichten zufolge sprach sich ein hochrangiger Militär nach dem anderen dafür aus, auf den sicheren Boden des Rechts zurückzukehren. Lediglich zwei Teilnehmer sprachen sich weiterhin dagegen
aus. Bei dem einen handelte es sich um S.C., under-secretary of defense for intelligence. Der andere war W.H.600. Der Widerstand beider reichte aus, um den Vorschlag vom Tisch zu wischen601.
W.H. wurde bisher keinen Straf- oder Disziplinarmaßnahmen unterworfen. Er ist bis heute der Ge593
William J. Hayden, II, Memorandum to the General Counsel of the Department of the Air Force,
January 17, 2003, available at: http://www.washingtonpost.com/wpsrv/nation/documents/011703haynes.pdf (last visited June 15, 2006).
594
See Jane Mayer, The Memo, How an Internal Effort To Ban the Abuse and Torture of Detainees
Was Thwarted, New Yorker, Feb. 27, 2006, available at:
http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact (last visited June 14, 2006).
595
Schlesinger Report, Slate.com, available at:
http://www.slate.com/features/whatistorture/MilitaryReports.html?http://www.slate.com/features/
whatistorture/SchlesingerReport.html (last visited June 13, 2006).
596
See Robin Wright and Glen Kessler, Rejection Of Prison Abuse Was Sought; Administration Was
Reluctant, Groups Say, May 16, 2004, available at: http://www.washingtonpost.com/ac2/wpdyn/A30214-2004May15?language=printer
597
Vgl. das Schreiben von Haynes an HRW v. 02.04.2003
(http://www.hrw.org/press/2003/04/dodltr040203.pdf) und Robin Wright and Glenn Kessler, Rejection Of Prison Abuse Was Sought Administration Was Reluctant, Groups Say, Washington Post,
16.05.2004 (http://www.washingtonpost.com/ac2/wp-dyn/A30214-2004May15?language=printer).
598
Jane Mayer, The Memo, How an Internal Effort To Ban the Abuse and Torture of Detainees Was
Thwarted, New Yorker, Feb. 27, 2006, available at:
http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact (last visited June 14, 2006).
599
Jane Mayer, The Memo, How an Internal Effort To Ban the Abuse and Torture of Detainees Was
Thwarted, New Yorker, Feb. 27, 2006, available at:
http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact (last visited June 14, 2006).
600
Jane Mayer, The Memo, How an Internal Effort To Ban the Abuse and Torture of Detainees Was
Thwarted, New Yorker, Feb. 27, 2006, available at:
http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact (last visited June 14, 2006).
601
Jane Mayer, The Memo, How an Internal Effort To Ban the Abuse and Torture of Detainees Was
Thwarted, New Yorker, Feb. 27, 2006, available at:
http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact (last visited June 14, 2006).
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neral Counsel im Verteidigungsministerium.
Am 29.09.2003 nominierte Präsident G.W.B. den Beschuldigten W.H. sogar als seinen Kandidaten
für das Amt eines Richters am U.S. Court of Appeals. Das zuständige Komitee des Senats veranstaltete am 19.11.2003 eine Anhörung zu dieser Nominierung und entschied am 11.03.2004, die
Kandidatur dem Senat vorzulegen602. Am 14.02.2005 wurde W.H. offiziell zum Richter am U.S.
Court of Appeals nominiert603.
Beweislage
Die Beweislage gegen den Beschuldigten W.H. ist außerordentlich gut. Er hat sich sowohl in eigenen internen Papieren, die öffentlich gemacht werden konnten, als auch in seinen schriftlichen
Antworten an die American Bar Association und Human Rights Watch und im Anhörungsverfahren
für seine Nominierung als Bundesrichter eindeutig positioniert. Wie auch anderen Verantwortlichen
kann ihm dabei nachgewiesen werden, dass er die Öffentlichkeit über die Politik des Weißen Hauses zu täuschten suchte.
Rechtliche Würdigung
W.H. ist einer der Chefarchitekten und zugleich bis weit über die Grenzen des beruflichen Ethos
hinaus engagierten Verfechter der von der G.W.B.-Administration eingeführten illegalen Behandlung von Gefangenen. Indem W.H. die Anwendung von grausamen, inhumane und entwürdigenden
Vernehmungstechniken forderte und ihre rechtliche Absicherung in der Administration gegen internen Widerstand durchsetzte, hat er sich als mittelbarer Täter kraft Organisationsherrschaft gem. §
8 VStGB, 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB an den hier zur Anzeige gebrachten Straftaten der Beschuldigten
D.R.u.a. beteiligt. Denn er hat, entsprechend den mit seiner Position verbundenen Einflussmöglichkeiten, die argumentativen Werkzeuge für die Administration beschafft und gezielt eingesetzt. Dabei hat er eine erhebliche Kreativität und taktisches Geschick an den Tag gelegt, indem er gezielt
internen Widerstand leer laufen ließ oder durch Täuschung paralysierte und andererseits den hausfremden Rechtsmeinungen des OLC im Verteidigungsministerium zu prominenter Beachtung verhalf. Schließlich konnte er über die „Legal Task Force“ der gewünschten Rechtsauffassung im gesamten Bereich des Verteidigungsministeriums zur vollen Geltung verhelfen und durch Vorlage an
den Vereidigungsminister den Widerstand in der Administration beenden.
602
Alliance for Justice,
http://www.independentjudiciary.org/nominees/nominee.cfm?NomineeID=73
603
Alliance for Justice,
http://www.independentjudiciary.org/nominees/nominee.cfm?NomineeID=73
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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12. Der Beschuldigte D.A.
Die politische Durchsetzung und rechtliche Absicherung der hier angezeigten Folterpraxis erfolgte
zwar überraschend zügig und effektiv, traf aber von Anfang an auch auf Widerstände. Die Behandlung der Gefangenen war und ist Gegenstand einer heftigen Auseinandersetzung innerhalb der USAdministration. Bestimmte Zirkel in der Präsidialadministration und dem Verteidigungsministerium
trieben dabei die Beseitigung rechtsstaatlicher und humanitärer Standards im so genannten „Krieg
gegen den Terrorismus“ gegen die Skrupel anderer Ressorts und Untergebener energisch voran.
Architekt und treibende Kraft dieser Entwicklung ist der Beschuldigte D.A.. Ohne ihn wäre die Geschichte von Abu Ghraib und Guantánamo anders verlaufen.
Person und Kompetenzbereich
D.A. gilt als Experte auf dem Gebiet des Internationalen Rechts und des USamerikanischen nationalen Sicherheitsrechts. Er graduierte an der Georgetown University School of Foreign Service und
der Duke University School of Law.604 Danach war er im general counsel’s office der CIA, als
Rechtsberater des Pentagon und in vier Kongresskomitees tätig, bevor er der rechtlicher Chefberater des Vize-Präsidenten wurde.605 Von ihm wird gesagt, dass er die „verwirrende Fähigkeit besitzt,
die letzen 25 Jahre der nationalen Sicherheitsrechtssprechung zu rekapitulieren.“606
D.A. wurde zum 28. Dezember 2000 der rechtliche Chefberater (chief counsel) von Vize-Präsident
R.C.. Der Beschuldigte D.A. hatte als Chief Counsel to the Vice President die Politik des VizePräsidenten rechtlich abzusichern und ihn umfassend in Rechtsfragen zu beraten, sofern sie politische Themen betrafen. Ferner war er verantwortlich für die Beratung des Vize-Präsidenten und
seiner Mitarbeiter in ethischen Fragen.607
D.A. wurde am 31. Oktober 2005 zum Chief of Staff ernannt und hat diese Position bis heute inne.
Als Chief of Staff ist der Beschuldigte D.A. verantwortlich für das politische Tagesgeschäft des VizePräsidenten und die Überwachung der Mitarbeiter sowie die Beobachtung der politischen Entwicklungen.608 In der Sache gehen alle Vorgänge, in die der Vize- Präsident eingebunden ist, direkt
über den Schreibtisch des Beschuldigten D.A..
Er arbeitet in Washington, D.C. und lebt in Alexandria, Virginia.
Vorwerfbares Verhalten und Beweislage
Nur wenige andere Personen im inneren Kreis des Weißen Hauses verfügen über substantielle
Kenntnisse des internationalen Rechts oder auch nur des nationalen Sicherheitsrechts der USA.
Präsident G.W.B., Vize-Präsident R.C., der ehemalige Verteidigungsminister D.R., der ehemalige
Außenminister C.P. und die frühere National Security Adviser und heutige Außenministerin C.R.
sind allesamt keine Juristen.609
D.A.s Einfluss dagegen wurde durch seine kraftvolle Persönlichkeit ebenso unterstützt wie durch
sein Geschick im bürokratischen Positionieren und Intrigieren.
Regierungs-Beamte beschreiben D.A. als Anführer einer politische Clique, zu der Attorney General
A.G., A.G.’ Deputies T.F. und D.L., Pentagon General Counsel W.H. sowie J.Y., Attorney for the
604
Siehe Whitehouse.gov, Personnel Announcement,
http://www.whitehouse.gov/news/releases/2005/10/20051031-2.html (Oct. 31, 2005); Mayer,
Hidden Power.
605
Ebd.
606
Jane Mayer, The Hidden Power: The Legal Mind Behind the White House’s War on Terror, The
New Yorker vom 3. Juli 2006. Hier Steve Berry, einen republikanischen Anwalt und Lobbyisten,
paraphrasierend.
607
Siehe das Profil von David Addington, Progressive Government Institute. Im Internet unter:http://www.progressivegovernment.org/appointee_data4.php?title=Counsel%20to%20the%20
Vice%20President-vp12.
608
Siehe das Profil von Scooter Libby, Progressive Government Institute, im Internet unter:
http://www.progressivegovernment.org/appointee_data4.php?title=Assistant%20to%20the%20Pre
sident%20and%20Chief%20of%20Staff%20to%20the%20Vice%20President-vp5.
609
Jane Mayer, The Hidden Power: The Legal Mind Behind the White House’s War on Terror, The
New Yorker vom 3. Juli 2006.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Office of Legal Counsel of the Department of Justice, zählen.610 Er verdankt seinen Einfluss einer
stillschweigenden Vereinbarung im Weißen Haus, dass er für den Vize-Präsidenten spricht.611 B.B.,
ein ehemaliger Anwalt des Weißen Hauses, sagt über D.A.: „Er ist einflussreich, weil die anderen
wissen, dass er für den Vize-Präsidenten spricht und weil er extrem raffiniert, kreativ und öffentlich
aggressiv ist. Einige nutzen Witze in bürokratischen Kämpfen. Andere benutzen Messer. D.A. fällt
unter die letztere Kategorie.“612 R.S., ehemaliger Pentagon Deputy General Counsel for Intelligence, nannte D.A. eine „unberechenbare Kraft”.613 Andere Personen – Freunde wie Gegner - beschreiben ihn als „eine Art Legende in der Bürokratie, als einen Mann mit großer Intelligenz, Leidenschaft, konservativen Ansichten und einer anhaltend aggressiven Art gegenüber denen, die ihm
öffentlich widersprachen.“614 Scott Horton schreibt dazu: „Die Menschen nehmen wahr, dass sie
[R.C. und D.A.] das wirkliche Machtzentrum sind und wenn man sich ihnen in den Weg stellt, werden sie einen zerstören.“615
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 beherrschte D.A. schnell die internen Debatten in
der Administration.616 Er war dabei von Anfang an klar positioniert und setzte die Sichtweise des
Weißen Hauses unnachgiebig und mit der ihm gegebenen Energie durch. Schon von den ersten
Debatten berichtet ein Teilnehmer, dass D.A. diejenigen, die eine Übereinstimmung mit dem Internationalen Recht bevorzugten, beschuldigte, „zu nachgiebig mit dem Terrorismus“ zu sein und
„sehr hartnäckig und sehr laut war.“617
R.S., der ebenfalls bei den Treffen anwesend war, berichtet: „Wir alle fühlten uns unter einem gewaltigen Druck, auch den außergewöhnlichsten Vorschlägen zuzustimmen. D.A. war besonders
dominant. Er würde dasitzen, zuhören und dann sagen, ’Nein, dass ist nicht richtig.’ Er war besonders doktrinär und ideologisch.“618 Nach zahlreichen übereinstimmenden Quellen wurde auch eine
interministerielle Arbeitsgruppe, welche die Möglichkeiten der Haft und Verfolgung von Gefangenen
untersuchte, mit der Hilfe von Mitarbeitern wie T.F. und B.B. heimlich durch D.A. usurpiert.619
D.A. spielte neben seinem direkten politischen Einfluss auch seine in der Administration beispiellose
Qualifikation als Jurist aus. Zusammengenommen machen ihn seine Rolle und seine Fähigkeiten zu
einem der Väter der Folter im „War on Terrorism“. Insbesondere auch die Memoranden, die nach
dem 11. September 2001 von J.Y. aus dem Rechtsbüro des Justizministeriums verfasst wurden,
waren sehr durch D.A. beeinflusst.620 Schon das erste Memorandum vom 25. September 2001
stellte fest, dass der Präsident in seiner Eigenschaft als oberster Befehlshaber nicht an den Kongress oder die Judikative gebunden sei und nicht die Regeln des Kongresses oder dessen Interpretationen der internationalen Vereinbarungen, die die USA ratifiziert hatten, beachten müsse.621
Diese Position legte den Grundstein für weitere Memoranden, die den Präsidenten von dem Folterverbot des nationalen und internationalen Rechts freigestellt sahen, „die Billigung der Folter, wenn
der Präsident es für notwendig hält“ als geltendes Recht betrachteten oder „beanspruchen, dass es
eigentlich keine gültigen rechtlichen Verbote gegen eine unmenschliche Behandlung von ausländischen Gefangenen im Gewahrsam der CIA außerhalb der USA gibt“.622 Mehrere Angehörige des
Justizministeriums berichten, dass D.A. J.Y. bei der Formulierung dieser für die anzeigegegenständlichen Vorgänge entscheidenden Rechtsauffassung half.623
610
Chivra Ragavan, Cheney’s Guy, U.S. News & World Report, vom 29. Mai 2006.
Daniel Klaidman et al., Palace Revolt, Newsweek vom 6. Februar 2006.Hier Flanigan zitierend.
612
Jane Mayer, The Hidden Power: The Legal Mind Behind the White House’s War on Terror, The
New Yorker vom 3. Juli 2006.
613
Ebd.
614
Douglas Jehl, In Cheney’s New Chief, a Bureaucratic Master, N.Y. Times vom 2. November 2005.
615
Chivra Ragavan, Cheney’s Guy, U.S. News & World Report, vom 29. Mai 2006.
616
Jane Mayer, The Hidden Power: The Legal Mind Behind the White House’s War on Terror, The
New Yorker vom 3. Juli 2006.
617
Ebd.
618
Ebd.
619
Jane Mayer, The Hidden Power: The Legal Mind Behind the White House’s War on Terror, The
New Yorker vom 3. Juli 2006.
620
Jane Mayer, The Hidden Power: The Legal Mind Behind the White House’s War on Terror, The
New Yorker vom 3. Juli 2006.
621
Ebd. Hier wird Bezug auf ein nicht veröffentlichtes Menorandum von J.Y. genommen.
622
Ebd.
623
Chivra Ragavan, R.C.’s Guy, U.S. News & World Report, vom 29. Mai 2006.
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Nach der Aussage gegenwärtiger und früherer Mitarbeiter von D.A., die eng mit ihm zusammenarbeiteten, war er auch der ursprüngliche Autor eines als „draft executive order“ bezeichneten und
von T.F. verantworteten Entwurfs, der den Verteidigungsminister ermächtigte, jene militärische
Kommissionen zu gründen, die sich mit den so genannten „ungesetzlichen Kämpfern“ befassten.624
Andere Quellen meinen, dass sogar sämtliche Memoranden von T.F. mit D.A.s Hilfe geschrieben
wurden.625
Auch das von dem Beschuldigten J.Y. verfasste und am 1. August 2002 erlassene, berüchtigte so
genannte Folter-Memorandum des OLC, welches die Verwendung von Folter in bestimmten Fällen
genehmigte626, ist von D.A. maßgeblich beeinflusst. Unbestreitbar war nach Aussage von Anwälten
und Regierungsbeamten der Text des Memorandums D.A. bekannt, der bei mindestens einem Treffen mit Anwälten des Justizministeriums seine Meinung dazu auch darlegte.627 D.A. war auch daran
beteiligt, dass das Memorandum einen Abschnitt enthielt, der feststellte, dass der Präsident Folter
autorisieren könne.628 Es handelt sich um jenen Abschnitt des Folter-Memorandums, in dem argumentiert wird, dass das gesetzliche und völkerrechtliche Folterverbot „nicht vom Präsidenten befohlene Festnahmen und Befragungen feindlicher Kämpfer betrifft“, wenn der Präsident in seiner
Funktion als oberster Befehlshaber handelt, und dass der Kongress „nicht die Befugnisse des Präsidenten zur Festnahme und Befragung feindlicher Kämpfer regulieren kann.“629 Auch andere Quellen
bestätigen, dass obwohl J.Y. das Memorandum schrieb, D.A. daran beteiligt war.630
Am 6. März 2003 wurde ein weiteres Memorandum erlassen, das Folter definierte, Fragen der nationalen Sicherheit des USA erörterte, inhaltlich das Folterverbot des nationalen und internationalen
Rechts negierte und feststellte, dass staatliche Agenten, die Folter unter der Anweisung des Präsidenten begingen, nicht vom Justizministerium verfolgt werden könnten.631 Auch dieses Memorandum zeigt, “dass D.A. … an den Beratungen beteiligt war.“632
L.W., C.P.s Chief of Staff, kann zusammenfassend für die Rolle D.A.s bei der Einführung und argumentativen Absicherung von Folter bei Verhören in Anspruch genommen werden, wenn er feststellt, dass “D.A.s Fingerabdrücke sich überall auf diesen Taktiken befinden.“633 Gemeint sind die
Foltertaktiken.
Das Weiße Haus hintertrieb nach Möglichkeit den Widerstand oder nur vorhergesehenen Widerstand anderer Stellen. Behörden und Agenturen, die, wie das State Department, traditionell auf der
Beachtung des internationalen Rechts bestehen, wurden bei der Einrichtungen der militärischen
Kommissionen nicht konsultiert.634 Am 13. November 2001 erließ der Präsident vielmehr den Befehl, Beschwerden von anderen Beamten zu ignorieren.635 Nach Angabe von Rear Admiral D.G., bis
Juni 2002 Direktor in der US-Navy, plante das Pentagon ursprünglich Gefangene in Übereinstimmung mit Artikel 5 der Genfer Konventionen zu behandeln, aber das Weiße Haus stoppte diese
Pläne.636 Auch ernsthafte Hinweise auf Fehlentwicklungen wurden konsequent ignoriert. So war im
Sommer 2002 ein Geheimdienstmitarbeiter nach Guantánamo entsandt worden, um heraus zu
finden, warum nicht mehr Informationen von den vielen dort gefangen gehaltenen Häftlingen ge-
624
Chivra Ragavan, Cheney’s Guy, U.S. News & World Report, vom 29. Mai 2006.
Chivra Ragavan, Cheney’s Guy, U.S. News & World Report, vom 29. Mai 2006.
626
im Internet unter http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB127/020801.pdf.
627
Dana Priest, CIA Puts Harsh Tactics on Hold; Memo on Methods of Interrogation Had Wide Review, Wash. Post, 27. Juni 2004.
628
Ebd.
629
Ebd.
630
Chivra Ragavan, Cheney’s Guy, U.S. News & World Report, vom 29. Mai 2006. Douglas Jehl, In
Cheney’s New Chief, a Bureaucratic Master, N.Y. Times vom 2. November 2005.
631
Neil A. Lewis et al., The Reach of War: Legal Opinions; Lawyers Decided Bans on Torture Didn’t
Bind G.W.B., N.Y. Times, 8. Juni 2004.
632
Ebd.
633
Jane Mayer, The Hidden Power: The Legal Mind Behind the White House’s War on Terror, The
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634
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sammelt wurden.637 Der Agent zog den Schluss, dass die Festnahme von mehr als der Hälfte der
Häftlinge ein Fehler gewesen sei und schrieb ein vernichtendes Memorandum an General J.G., den
Deputy National Security Adviser for Combating Terrorism.638 Nach Quellen, die Kenntnis von der
Erörterung des Memorandums in Regierungskreisen haben, warnten J.G., B. und andere Beamte
D.A. und A.G., dass die Möglichkeit bestand, dass Unschuldige in Guantánamo unbestimmt lange
festgehalten werden.639 D.A. erwiderte: „Es sind nichtgesetzliche Kämpfer. Bitte verwenden Sie
diese Bezeichnung. Sie durchliefen alle einem Screening-Prozess. Darüber gibt es nichts mehr zu
sagen.“640 Auch ein anderer Regierungsbeamter bestätigte, dass D.A. und A.G. die Beschwerde,
dass alte und kranke Menschen grundlos gefangen gehalten werden, abwiesen.641 Er sage, D.A. sei
„die dominante Stimme. Aus seiner Sicht waren [die Einwände] indiskutabel“ und „es gab kein
Unwissen oder Unverständnis“642.
Die Veröffentlichung von Fotografien im Frühjahr 2004, die Misshandlungen von Häftlingen zeigten,
änderte die politischen Bedingungen für die Behandlung von Gefangenen. Dennoch befürwortete
D.A. weiterhin die Rechtsmacht des Präsidenten, Folter zu autorisieren und bekämpfte Anstrengungen, die Verhörmethoden mit den Genfer Konventionen in Einklang zu bringen oder Standardanweisungen für Verhörsituationen zu schaffen. Dabei begannen Ende 2004 Anwälte des Pentagons
mit der Revision der Departments of Defense Directive 23.10, welche Befragungsstandards für das
Militär, wenn auch nicht für die CIA, formulieren soll.643 C.W., D.R.s Chief Adviser on Detainee
Issues, fügte Ausschnitte aus den Artikel 3 der Genfer Konventionen in den Entwurf ein.644 Mitte
September 2005, kurz bevor er selbst Chief of Staff des Vize-Präsidenten wurde, berief D.A. C.W.
in das Weiße Haus, um ihn und R.C.s damaligen Chief of Staff, S.L., über den neuen Entwurf zu
instruieren.645 Mehrere Beamte berichten, dass D.A. C.W. verbal angriff. Ein Angehöriger des Verteidigungsministeriums formulierte es so: C.W. „ging blutig und blessiert. Er hatte versucht, für
den Artikel 3 zu kämpfen und D.A. hatte ihn einfach zum Mittag verspeist.“646 D.A. hatte explizite
Verbote von grausamer Behandlung und Folter abgelehnt und Formulierungen wie „Verletzungen
der persönlichen Würde, insbesondere Mord, Verstümmlung, Demütigung und erniedrigende Behandlung“ wegen ihrer angeblichen Unbestimmtheit abgelehnt.647 Ein Beamter fügte hinzu, D.A.
habe argumentiert, dass Präsident G.W.B. den Artikel 3 zurückwies und die Formulierung „menschliche Behandlung“ vorziehe.648 Der Sprecher des Vize-Präsidenten, S.S., sagte, dass D.A. seine
Rolle in diesen politische Debatten nicht kommentiere.649 Zugleich weigerte sich der Sprecher des
Department of Defense, B.W., über C.W.s Rolle zu sprechen, mit der Ausnahme, das es „gewiss
eine Übertreibung sei“ zu sagen, dass C.W. von D.A. verbal zugerichtet worden sei.650 Einem ehemaligen Kollege aus dem Pentagon vertraute C.W. an, dass D.A. ihn beschuldigt habe, den Krieg
gegen den Terror auf seine und nicht auf die Weise des Präsidenten zu bekämpfen.651
Auch zwei Monate später - die interne Debatte über die Direktive dauerte an – behinderte D.A.
vehement weitere vorgeschlagene Änderungen.652 Die Direktive wurde aber zur Fertigstellung des
637
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638
Ebd.
639
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641
Ebd.
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Ebd.
643
Tim Golden et al., Detainee Policy Sharply Divides G.W.B. Officials, N.Y. Times, 2. November
2005.
644
Ebd.
645
Ebd.
646
Ebd.
647
Ebd. unter Berufung auf zwei Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, denen später über das
Treffen berichtet worden war.
648
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Ebd.
650
Ebd.
651
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Tim Golden et al., Detainee Policy Sharply Divides G.W.B. Officials, N.Y. Times, 2. November
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neuen Army Field Manual benötigt653 und die Beschuldigten D.A. und W.H. waren nach Aussagen
von Insidern die Haupthindernisse dabei.654 Scott Horton berichtet, „D.A. war der wesentliche
Grund, dass es kein Handbuch gab…Es war seine Weigerung, die Genfer Konventionen zu akzeptieren. Das ist gewiss.“655 Anfang März 2005 fand ein weiteres interbehördliches Treffen zur Gefangenenpolitik statt. Nach Aussagen von militärischen wie administrativen Teilnehmern bekräftigte
D.A., nachdem B. die Möglichkeit der Änderung der Abläufe in den militärischen Kommissionen
erwogen hatte: „Wir brauchen keine Veränderungen in den Kommissionen.“656
Im Januar 2006 hob die G.W.B.-Administration eine Maßnahme auf, welche die Verwertung erzwungener Aussagen in Militärkommissionen erlaubte, nachdem sogar die Militärangehörigen, die
die Kommissionen überwachten, diese Änderung unterstützt hatten.657 D.A. fuhr nach Angabe von
an den Konsultationen beteiligten Anwälten fort, die Revision der Vernehmungspraxis zu behindern
und bestand auf der weiteren Verwertbarkeit solcher Aussagen. Ein Senior Administration Adviser
sagte, dass D.A. „keine Veränderungen wolle. Er sagte, die Regeln wären gut und richtig von Anfang an” und beschuldigte die reformwilligen Kollegen, dass sie „dem Präsidenten die Privilegien
wegnehmen“ würden.658
Auch Anfang 2006, als der so genannte McCain-Gesetzentwurf, der Grausamkeiten, unmenschliche
und erniedrigende Behandlung verbieten wollte, im Kongress debattiert wurde, war R.C.s Büro tief
involviert in das inneradministrative Tauziehen mit dem Ziel, Veränderung zu verhindern oder –
alternativ - eine Ausnahme vorzusehen, die garantieren sollte, dass der Präsident nach Ermessen
Verhörende vor Verfolgung schützen und denjenigen Immunität verleihen konnte, die einen Missbrauch befohlen haben.659 Nach Scott Horton kamen diese Impulse „immer wieder von D.A.“.660
Nach Aussagen von ehemaligen Angehörigen des Weißen Hauses und des Justizministeriums war
D.A. der „führende Architekt“ der Linie des Weißen Hauses zur Folter im „War on Terrorism“. Sie
wird zuletzt auch erneut deutlich in dem Zusatz des Präsidenten zum McCain-Gesetz, der ihm das
Recht vorbehielt, zu bestimmen, was mit der Verfassung übereinstimmend ist.661
Quellen, die D.A. als entscheidenden Drahtzieher oder Autor hinter den für die Durchsetzung und
rechtliche Absicherung der hier zur Anzeige gebrachten Folterpraxis so entscheidenden Memoranden des Weißen Hauses identifiziert haben, sind darauf bedacht, nicht selbst identifiziert zu werden. Zwei bekannte Quellen – L.W. und Scott Horton – scheinen nicht über Informationen aus erster Hand zu verfügen. “[D.A.] hinterließ kaum eine öffentliche Spur und er spricht nicht mit der
Presse oder erlaubt, dass Fotos für einen Artikel aufgenommen werden. Er lehnte mehrere Interviewanfragen … ab.“662
Rechtliche Würdigung
Der Beschuldigte D.A. hat sich als mittelbarer Täter kraft Organisationsherrschaft der Kriegsverbrechen gegen Personen gemäß § 8 VStGB, 25 Abs. 1, 2. Alt StGB strafbar gemacht. Wegen der von
dem 30.06.2002, dem Datum des Inkrafttretens des VStGB, begangenen Handlungen kommt eine
Strafbarkeit nach den Vorschriften des StBG in Betracht, insbesondere der Körperverletzung, §§
223 ff. StGB, der Freiheitsberaubung, §§ 239 ff StGB und Tötungsdelikte, §§ 211 ff. StGB. Zu den
strafrechtsanwendungsrechtlichen Einzelheiten wurde bereits ausgeführt (vgl. Kapitel 3).
Die rechtlichen Besonderheiten der hier zur Anzeige gebrachten Regierungskriminalität, die unter
dem Deckmantel selbst hergestellter Rechtsförmigkeit begangen wurde, werden in dieser Strafan653
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Tim Golden et al., Detainee Policy Sharply Divides G.W.B. Officials, N.Y. Times, 2. November
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661
Charlie Savage, Cheney Aide Is Screening Legislation: Adviser Seeks to Protect G.W.B. Power,
Boston Globe, May 28, 2006.
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zeige an anderer Stelle ausführlich dargelegt (vgl. Kapitel 5.2.1. und 5.2.3.2). An der Schnittstelle
von den durch die verantwortliche Produktion appologetischer Texte als Beihelfer eingebundenen
Beschuldigten J.Y. und J.B. zu den Spitzen der Administration, deren Verantwortlichkeit in der Befehlskette und „sozialen Tatherrschaft in organisatorischen Machtapparaten“663 an anderer Stelle
ausführlich beleutet wird (vgl. Kapitel 5.2.3.2) stehen deren Rechtsberater (Counsel): die Beschuldigten D.A., W.H. und A.G..
Sie stehen – bildlich gesprochen - nicht in der formalen Befehlskette, sondern stellen das Bindeglied zwischen den Stätten der administrativen Produktion von Rechtssicherheit – allen voran das
OLC - und dem exekutiven Apparat dar. Dadurch versorgen sie kraft ihres Amtes die Verantwortlichen in der Befehlskette mit der notwenigen fachlich- juristischen Diginität, wohl wissend um den
Effekt ihres Handelns und um die rechtliche Unhaltbarkeit der von ihnen verbreiteten Texte. In
dieser führenden Rolle hat der Beschuldigte D.A. sich mittäterschaftlicher Tatbegehung schuldig
gemacht nicht nur die eigenhändige (Mit-) Produktion fataler juristischer Texte in Kenntnis ihrer
Verwendung und Wirkung, sondern vor allem durch die Steuerung des inneradministrativen Prozesses selbst und die Sicherstellung und fortwährende Kontrolle der (juristisch-semantischen) Bedingungen seiner Funktionsfähigkeit. Die Rolle des Beschuldigten ist damit auf Seiten des Exekutive
selbst angesiedelt, ohne dass er institutionell gesehen Teil der Befehlskette gewesen wäre oder je
die hier verfahrensgegenständlichen Maßnahmen persönlich angeordnet hätte.
5.2.3. Die juristischen Architekten des Folterprogramms: Die Strafbarkeit von J.Y. und
J.B. als Verfasser des Folter-Memorandums
5.2.3.1. Sachverhalt
Einführung
Im März 2004 veröffentlichte die US-Regierung eine Reihe von Rechtsgutachten, auf die sich die
hier angezeigten Folterpraktiken stützen. Darunter war auch die von den Beschuldigten J.Y. und
J.B. verfasste allgemein als „Folter-Memorandum“ bezeichnete Stellungnahme des Office of Legal
Counsel (OLC) vom 1. August 2002. Mit diesem Folter-Memorandum wurde die Grundlage gelegt
für eine politisch und administrativ gewünschte Schein-Legalisierung der Verhörsfolter.
J.B. unterzeichnete als damaliger Assistant Attorney General und verantwortlicher Leiter des bei
der US-Regierung angesiedelten Office of Legal Counsel das von J.Y. verfasste Folter-Memorandum
vom 1. August 2002 und leitete es an den Auftraggeber, den damaligen Berater des USPräsidenten und heutigen US-Justizminister, den Beschuldigten A.G., weiter. J.B. vertrat die in dem
Folter-Memorandum behauptete Rechtslage auch in der später vom US-Verteidigungsministerium
eingerichteten Arbeitsgruppe664) zu den Verhörstechniken während des von der zweiten G.W.B.Administration ausgerufenen „Globalen Krieges gegen den Terrorismus“. In deren „Working Group
Report“ vom 4. April 2003 wurden die juristischen Vorgaben des Folter-Memorandums in praktische
Handlungsanweisungen für Verhörsfolter umgesetzt. J.B. wurde im Jahr 2001 von Präsident G.W.B.
in das Amt des Assistant Attorney General berufen. Er ist heute Richter am 9. Circuit U.S. Court of
Appeal.
J.Y. hatte seit 2001 in verschiedenen Memoranden des Office of Legal Counsel die vom Weißen
Haus aufgegriffene Rechtsauffassung, die Formel von den „Alien Unlawful Combatants“, vertreten,
die Behandlung der im Irak, in Afghanistan und in Guantánamo gefangen gehaltenen TalibanKämpfer und Al Quaida-Mitglieder werde von der Genfer Konvention oder sonstigem internationalem Humanitären Völkerrecht nicht erfasst. In seinem an „Dear Judge A.G.“ gerichteten und an
„The Honorable A.G.“ adressierten Schreiben vom 1. August 2002 bezog er sich ausdrücklich auf
das von ihm mitverfasste Folter-Memorandum vom selben Tage und wies weitergehend darauf hin,
dass die dort beschriebene Verhörsfolter weder die US-Verfassung noch internationales Recht verletze und keine Maßnahmen internationaler Gerichtsbarkeit zu befürchten seien. J.Y. verfasste später für die vom US-Verteidigungsministerium eingesetzte Arbeitsgruppe zu den Verhörstechniken
das Memorandum „Military Interrogation of Alien Unlawful Combatants“ vom 14. März 2003, in
663
vgl. Schlösser, Soziale Tatherrschaft, 2004
„working group within the Department of Defense to assess the legal, policy, and operational
issues relating to the interrogations of detainees held by the United States Armed Forces in the war
of terrorism“
664
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dem er die Positionen aus dem Folter-Memorandum wiederholte.665 J.Y. war von 2001 bis 2003
Deputy Assistant Attorney General und ist heute Professor of Law an der Berkeley Hall School of
Law, University of California.
Das Office of Legal Councel (OLC) ist eine eigenständige Behörde im US-Justizministerium und
unter anderem verantwortlich für die Erteilung von Rechtsrat an den Präsidenten sowie an die USAdministration. Die Rechtsgutachten sind verpflichtende juristische Stellungnahmen der Exekutive
und laut dem Judiciary Act von 1789 bindend für alle Ministerien und Agenturen, also auch für das
Department of Defense, das Verteidigungsministerium und die Central Intelligence Agency (CIA).
Für die Exekutive erteilt es Rechtsrat in Form von Memoranden, insbesondere zu verfassungsrechtlichen und zu sonstigen komplexen oder streitigen Rechtsfragen666. Solche Memoranden werden
vom OLC zwar als „opinions“ bezeichnet, haben aber große praktische Bedeutung und Verbindlichkeit. Sie sind keine akademischen Auskünfte zur Rechtslage, sondern – wie es die internationale
Rechtsexpertin Ruth Wedgewood ausdrückte – bestimmen die für die Exekutive maßgebende Auslegung des Verfassungsrechts.667 Vom Präsidenten oder vom Attorney General akzeptierte Memoranden des OLC werden in der Exekutive als bindend angesehen668 und haben dort die Bedeutung
von Gerichtsurteilen.669
Bei dem ersten als Folter-Memorandum bezeichneten Dokument handelt es sich um das vom Office
of Legal Counsel herausgegebene „Memorandum for A.G., Counsel to the President, and W.H. II,
General Counsel of the Department of Defence“ zum Thema „Application of Treaties and Laws to al
Qaeda and Taliban Detainees“ mit Datum vom 22. Januar 2002.670 Es umfasst 37 Textseiten. Ein
vierseitiger Appendix listet 19 Kurzzusammenfassungen US-amerikanischer Gerichtsentscheidungen auf, in denen ein Verstoß gegen das Folterverbot angenommen wurde. Zwei Gerichtsentscheidungen werden referiert, in denen keine Folter angenommen wurde.
Das Folter-Memorandum enthält als Kernaussage, die von der Politik und der Exekutive gewünschten härteren Verhörsmethoden würden nicht den Folterbegriff der einschlägigen Vorschrift des USVölkerstrafrechts (18 U.S.C. Sec. 2340-2340A671) erfüllen und hätten deshalb für die Angehörigen
665
Michael Isikoff, Torture: G.W.B.`s Nominee may be DOA, Newsweek v. 21.03.2005
(http://www.msnbc.msn.com/id/7169452/site/newsweek).
666
http://www.usdoj.gov/olc
667
Frank Davies, „Probe urged over ‚torture’ memos, The Miami Herald Tribune, 6. August 2004.
668
Harris, in: Journal of National Security Law & Policy, Vol. 1 [2006], S. 409 (424); Jane Mayer,
THE MEMO. How an internal effort to ban the abuse and torture of detainees was thwarted
(http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact).
669
David Luban, Legal Ethics and Human Dignity, Cambridge University Press, forthcoming, Chapter
6, 59; Scott Horton, Military Necessity, Torture an the Criminality of Lawyers, in: Kaleck, Ratner,
Singelnstein, Weiss (Hrsg.) International Prosecution of Human Rights, Berlin 2006.
670
Abgedruckt in : The Torture-Papers. The road to Abu Ghraib. Hrsg. Von Karen J. Greenberg und
Joshua L. Drahtel, Cambridge 2005, Memo 14, 172ff.
671
Section 2340. Definitions
As used in this chapter (1) "torture" means an act committed by a person acting under the color of law specifically intended to inflict
severe physical or mental pain or suffering (other than pain or suffering incidental to lawful sanctions) upon
another person within his ustody or physical control;
(2) "severe mental pain or suffering" means the prolonged mental harm caused by or resulting from (A) the intentional infliction or threatened infliction of severe physical pain or suffering;
(B) the administration or application, or threatened administration or application, of mind-altering substances
or ther procedures calculated to disrupt profoundly the senses or the personality;
(C) the threat of imminent death; or
(D) the threat that another person will imminently be subjected to death, severe physical pain or suffering, or
the administration or application of mind-altering substances or other procedures calculated to disrupt profoundly the senses or personality; and
(3) "United States" includes all areas under the jurisdiction of the United States including any of the places
described in sections 5 and 7 of this title and section 46501(2) of title 49 Section 2340A. Torture
(a) Offense. - Whoever outside the United States commits or attempts to commit torture shall be fined under
this title or imprisoned not more than 20 years, or both, and if death results to any person from conduct prohibited by this subsection, shall be punished by death or imprisoned for any term of years or for life.
(b) Jurisdiction. - There is jurisdiction over the activity prohibited in subsection
(a) if –
(1) the alleged offender is a national of the United States; or
(2) the alleged offender is present in the United States, irrespective of the nationality of the victim or alleged
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der US-Streitkräfte und US-Behörden keine strafrechtlichen Folgen. Dafür werden drei Begründungen geliefert, nämlich der Folterbegriff nach 18 U.S.C. Sec. 2340-2340A erfasse nur gezielt angewandte extreme Maßnahmen („extreme acts“) mit massivster Schmerzzufügung, wodurch auch
grausame, unmenschliche und degradierende Behandlung keine verbotene Folter seien. Die von
der Entscheidungsgewalt des Präsidenten als dem militärischen Oberbefehlshaber gedeckte Verhörsfolter sei vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt und eine US-amerikanische Verhörsperson
könne sich auch individuell auf das Recht der USA berufen, sich gegen einen Angriffskrieg zu verteidigen.
Das Folter-Memorandum vom 22. Januar 2002 geht von der zutreffenden Prämisse aus, Folter stelle eine Steigerung der unwürdigen Behandlung dar. Unter extremer Ausschöpfung des Wortsinns
und ohne jede Reflexion oder Diskussion anderer Auffassungen wird sodann behauptet, für das
Folterverbot reiche das bloße Zufügung von Schmerz und Leiden nicht aus. Erforderlich sei eine
Intensität, wie sie bei schwersten körperlichen Verletzungen auftrete. Es müssten Schmerzen zugefügt werden, wie sie bei tödlichen oder solchen Verletzungen entstehen, die einen Organausfall
oder den Verlust einer wichtigen Körperfunktion zur Folge haben können. Schmerzen oder Leiden
psychischer Natur müssten ein Leiden mit langjährigen psychischen Schäden hervorrufen. Nach
dem US-Recht sei Folter nur strafbar, wenn solche Schmerzen zielgerichtet zugefügt würden. Entwürdigende, grausame und unmenschliche Behandlung sei dagegen per se noch keine Folter. Dass
das Völkerstrafrecht und auch das amerikanische Recht ausdrücklich auch die entwürdigende,
grausame und unmenschliche Behandlung verbietet, wird unterschlagen.
Zur weiteren Absicherung des Folter-Memorandums wird aus der Stellung des Präsidenten als militärischer Oberbefehlshaber abgeleitet, dieser könne aus eigener Machtvollkommenheit Gegner
festzunehmen, einsperren und vernehmen, um Informationen über die militärischen Planungen des
Feindes zu erlangen. Der Präsident sei in dieser Funktion nicht an die Gesetze gebunden. Der für
die Gesetzgebung zuständige Kongress könne daher genauso wenig in die Leitung der Vernehmungen von feindlichen Kämpfern durch den Präsidenten eingreifen, wie es dem Kongress untersagt
sei, dem Präsidenten strategische und taktische Entscheidungen auf dem Schlachtfeld zu diktieren.
So wie Gesetze, die es dem Präsidenten auferlegen, einen Krieg in einer bestimmten Art und Weise
oder für ein bestimmtes Ziel zu führen, verfassungswidrig sind, so seien auch Gesetze verfassungswidrig, die darauf abzielen, den Präsidenten abzuhalten, Informationen durch bestimmte Vernehmungstechniken zu erlangen, von denen er glaube, dass sie notwendig zur Kriegsführung sind.
Das Folterverbot aus dem Völkerstrafrecht in U.S.C. 18 Sec. 2340A könne also nicht die Rechte des
Präsidenten als militärischer Oberbefehlshaber beschränken.
Schließlich wird für alle Fälle aber ohne jede Absicherung der kruden These aus dem Recht der USA
auf Selbstverteidigung in dem von Al Quaida begonnenen Krieg des Terrors ein subjektives (Notwehr- und Notstands-) Recht des Vernehmungsbeamten zur Folter abgeleitet und diese Argumentation für die individuelle Verteidigung eines Folterers in einem –nicht gänzlich auszuschließendenStrafverfahren vorgeschlagen.
Die Situation vor dem Folter-Memorandum
Nach dem 11. September 2001 und vor allem im Zuge des Afghanistan-Krieges hatte die CIA eine
Vielzahl von Personen festgesetzt, die man für hohe Verantwortliche von Al Qaida hielt. Die mit den
Verhören dieser Gefangenen befassten CIA-Beamten konnten allerdings die in die Vernehmungen
gesetzten Erwartungen, vor allem seitens der politisch Verantwortlichen, nicht erfüllen. Als dann
auch noch das bis dahin kooperative hohe Al Qaida-Mitglied A.Z. die Zusammenarbeit mit der CIA
aufkündigte, verlangte die politische Führung mehr Ergebnisse und den Einsatz härterer Verhörmethoden.672 Hintergrund dieser Forderung waren die Befürchtungen von CIA-Mitarbeitern, dass sie
bei härteren Verhörmethoden wegen der Verletzung nationalen und internationalen Rechts verfolgt
werden könnten, und die Weigerung bestimmte Verhörmethoden weiter anzuwenden. Vizepräsident
R.C. und der Beschuldigte D.A. standen zu jener Zeit in engem Austausch und Kontakt mit dem
Rechtsberater der CIA, S.M., über die Gestaltung effektiver Verhörsmethoden bei so genannten
„high-value detainees“, also besonders bedeutsamen Gefangenen. In die Diskussion war auch das
US-Verteidigungsministerium eingebunden, weil Angehörige der US-Streitkräfte in die Verhörsfolter
einbezogen waren. S.M. berichtete dem verärgerten Vizepräsidenten R.C. von den rechtlichen Beoffender.
(c) Conspiracy. - A person who conspires to commit an offense under this section shall be subject to the same
penalties (other than the penalty of death) as the penalties prescribed for the offense, the commission of which
was the object of the conspiracy
672
Vgl. Kathleen Clarke, Journal of National Security Law & Policy, Vol 1, p. 455 (456 f.).
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Universität Hamburg
denken der CIA-Verhörsbeamten insbesondere hinsichtlich der UN-Anti-Folter-Konvention. R.C.
beauftragte seinen juristischen Berater, den Beschuldigten D.A. mit der Klärung dieser Angelegenheit.673
Auf diese Weise wurde das politische Ziel definiert, Verhörsfolter rechtlich unangreifbar zu machen
und damit politisch wie praktisch – auch gegen den Widerstand von CIAVernehmungsbeamten innerhalb des Sicherheitsapparates durchzusetzen. Bei einem Treffen zwischen dem Chefberater des
US-Verteidigungsministeriums, dem Beschuldigten W.H. III und dem damaligen Präsidentenberater, dem Beschuldigten A.G. sowie dem Beschuldigten D.A. als Berater des Vizepräsidenten im
Sommer 2002 wurden bereits härtere Verhörtechniken diskutiert und Methoden wie das „water
boarding“ oder die Drohung, das Verhör mit ausländischen, brutaleren Verhörspezialisten fortzusetzen, als akzeptabel angesehen.674
Zu diesem Zeitpunkt hatte die zweite G.W.B.-Administration ihr erstes Ziel mit einem von J.Y. verfassten und von J.B. gezeichneten Memorandum des OLC vom 22. Januar 2002 bereits erreicht. Mit
der dort erfundenen Formel der „Alien Unlawful Combatants“ wurde die Behauptung aufgestellt und
in der Exekutive durchgesetzt, die Genfer Konventionen, insbesondere die 3. Konvention zum
Schutz von Kriegsgefangenen seien auf die Behandlung der Taliban-Kämpfer und Ai QuaidaMitglieder nicht anwendbar. Bereits mit dieser rechtlich unhaltbaren, weltweit kritisierten und methodisch geradezu bizarr begründeten Formel von den „Alien Unlawful Combatants“ war der Weg
zur Verhörsfolter im Zuge des ausgerufenen Globalen Kriegs gegen den Terrorismus geebnet.
Der Auftrag zur Erstellung des Folter-Memorandums vom 1. August 2002
Zur weiteren Absicherung der Verhörspraxis von US-Militär und CIA veranlasste der Beschuldigte
D.A. im Sommer 2002 das Office of Legal Counsel (OLC) mit der Erstellung eines entsprechenden
Memorandums für den Präsidenten zu Händen von dessen Rechtsberater A.G.. Mit dem Auftrag
wurde bereits die Lösung des Problems vorgestellt, nämlich die Beschränkung des Folterverbots auf
die Zufügung von schwerstem Schmerz oder Leiden bei spezifischem Foltervorsatz.
Das Folter-Memorandum entsteht
Mit der Ausarbeitung des Folter-Memorandums wurde vom Leiter des beauftragten Office of Legal
Counsel, dem Beschuldigten J.B., der damalige Deputy Assistant Attorney General der Beschuldigte J.Y. beauftragt. J.Y.war seit 2001 im Amt und hatte bereits zuvor in zahlreichen Memoranden zu
den Rechten des Präsidenten in dem von diesem ausgerufenen „Globalen Krieg gegen den Terror“
Stellung genommen. Von ihm wurde unter anderem die auch politisch verwendete Formel vom
rechtlosen Status der gefangenen Taliban-Kämpfer und Al Quaida-Mitglieder geprägt675. In diesen
Memoranden wurde auch schon die Bedeutungslosigkeit internationalen Rechts für die USExekutive und den US-Präsidenten behauptet.
J.Y., der von der besonderen Verbindlichkeit seiner Memoranden für die US-Exekutive ausging676,
kannte die Diskussion um erfolglose Verhörmethoden und wusste, dass die Exekutive und die politische Führung härtere Verhörsmethoden wünschte.
Er machte in dem schließlich von J.B. für das OLC unterschriebenen Folter-Memorandum gar nicht
erst den Versuch, derartige härtere Verhörsfolter an den Grundsätzen des Völkerrechts zu messen
oder den völkerrechtlichen Meinungsstand zu den aufgeworfenen Fragen aufzuklären. Vielmehr
machte er sich daran, den Folterbegriff in den Sektionen 2340-2340A des 18. Titels des US-Codes
einer eigenen historischen und lexikalischen Wortlautauslegung zu unterziehen. So kam er für die
Beantwortung der an das OLC herangetragenen Frage zu dem Ergebnis, die Strafvorschrift zur
Ahndung von Folter nach 18 U.S.C. Sec 2340-2340A sei auf die diskutierten härteren Verhörsmethoden nicht anwendbar, weil diese nicht als Folter im Sinne des Gesetzes anzusehen seien. Auf
das gewohnheitsrechtlich verankerte völkerstrafrechtliche Verbot unmenschlicher, grausamer und
degradierender Behandlung ging er mit keinem Wort ein.
673
Johnston/Risen, Aides Say Memo backed Coercion for Qaeda Cases, New York Times, 27. Juni
2004.
674
Michael Hirsch u.a., A Tortured Debate, Newsweek, 21. Juni 2004
(http://www.msnbc.msn.com/id/5197853/site/newsweek/).
675
vgl. das Memorandum vom 22. Januar 2002 zur Application of Treaties and Laws to al Qaeda
and Taliban Detainees.
676
J.Y., Robert J. Delahunty, Memorandum für William H. Taft IV v. 14.01.2002, Seite 1
(http://www.cartoonbank.com/newyorker/slideshows/02YooTaft.pdf).
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Interessanter Weise beschäftigt sich J.Y. in seinem persönlich an den Präsidentenberater A.G. gerichteten Begleitbrief zum Folter-Memorandum vom 1. August 2002 über die Fragestellung des
Foltermemorandums hinaus mit der internationalen, insbesondere völkerrechtlichen Legitimität der
härteren Verhörsmethoden und dem Risiko der Strafverfolgung. Er geht dabei auch auf die Folterdefinition in Art. 1 Abs. 1 der UN-Antifolterkonvention („CAT“) ein und kommt dennoch zu keinem
anderen Ergebnis als im Folter-Memorandum.
Die Verwendung des Folter-Memorandums
Die Argumentation des Folter-Memorandums bestimmte ab seinem Erscheinen im August 2002 die
politische und verwaltungstechnische Umsetzung der Verhörsfolter im Weißen Haus, im Verteidigungsministerium und bei der CIA, wie es bereits oben allgemein und bei der Darstellung des Falles
M.Q. beschrieben wurde.
Die administrative Bedeutung des Folter-Memorandums lässt sich innerhalb des USVerteidigungsministeriums und des US-Militärs belegen, wo das Folter-Memorandum sich unmittelbar auf die
militärischen Vorgaben zur Gestaltung der Verhöre auswirkte.
Das ursprünglich auf Anfrage der CIA für das White House erstellte Folter-Memorandum wurde an
das Pentagon weitergeleitet, wo es als Lösung für die „Frustration“ der militärischen Vernehmungspersonen angesehen wurde.677 Im Januar 2002 wurde – auch aufgrund des internen Drucks von
Militärjuristen, die nicht mit den im Folter-Memorandum geäußerten Rechtsansichten übereinstimmten – durch den General Counsel im Verteidigungsministerium, dem Beschuldigten W.H., auf
Anweisung von D.R. eine Arbeitsgruppe eingerichtet, der Militärjuristen und Vertreter sämtlicher
Bereiche des US-Militärs angehörten. Aufgabe der Arbeitsgruppe war es, einen Leitfaden zur Anwendung von Verhörtechniken in Guantánamo, Afghanistan und Irak zu erstellen.
Der “Working Group Report”678, der am 4. April 2003 von der vom Verteidigungsministerium eingesetzten Arbeitsgruppe veröffentlicht wurde, zählte im Anschluss an eine 60 Seiten umfassende
Bestandsaufnahme auf der Grundlage des Folter-Memorandums die in Zukunft zulässigen Verhörmethoden auf679. Es wurden zunächst 26 Verhörstechniken geringerer Intensität genannt, die teilweise im Regelkodex für Vernehmungen beim Militär680 genauer beschrieben wurden. Dann zählte
der Report die Ziffern 27 bis 35 als so genannte „more aggresive counter-resistance techniques“
auf, die zum Schutz aller Beteiligter (gemeint wohl: auf Seiten der Verhörspersonen) ein spezielles
Training und schriftliche Fixierung voraussetzen würden. Als solche counter-resistance-Techniken
wurden beschrieben: Isolation; Dauervernehmungen von 20 Stunden täglich.; Zwangsrasuren; so
genanntes „nonstress“-Dauerstehen in normaler Position bis zu 4 von 24 Stunden; Schlafentzug an
bis zu 4 aufeinander folgenden Tagen; Zwangsbelastung durch 15-minütigen Ausdauersport innerhalb von 2 Stunden; schnelle Schläge ins Gesicht und auf den Bauch ohne Schmerz- bzw. Verletzungsfolgen; vollständige Zwangsentkleidung und erzwungenes Nacktsein; Angstszenarien ( z. B.
Scheinangriff eines Hundes).
Die Arbeitsgruppe sollte zwar ursprünglich eine eigene rechtliche Analyse vornehmen. Auf Druck
des General Counsel im US-Verteidigungsministerium W.H. wurden die Mitglieder der Arbeitsgruppe aber dazu gedrängt, die Ansichten von J.Y. und J.B. zu übernehmen, die J.Y. in einem extra für
die Arbeitsgruppe am 14. März 2003 erstellten, bislang allerdings nicht veröffentlichten Memorandum „Military Interrogation of Alien Unlawful Combatants“ formulierte. Dieses neue Memorandum
von J.Y. wiederholte die Positionen aus dem Folter-Memorandum.681 Die Arbeitsgruppe bezog sich
in dem Report ausdrücklich auf die juristische Analysen aus dem Folter-Memorandum682 und legte
677
Lisa Hajjar, Torture and the Lawless “New Paradigm”, Middle East Report Online, 9.12.2005
(www.merip.org/mero/mero120905.html).
678
„Working Group Report on Detainee Interrogations in the Global War against Terrorism: Assessment of Legal, Historical, Policy, and Operational Considerations”Verfügbar unter
http://www.defenselink.mil/news/Jun2004/d20040622doc8.pdf.
679
a.a.O., S. 61 ff.
680
bekannt als Feldhandbuch 34-52 („Field Manual 34-52“)
681
Michael Isikoff, Torture: G.W.B.`s Nominee may be DOA, Newsweek v. 21. 21.03.2003
(http://www.msnbc.msn.com/id/7169452/site/newsweek).
682
Auf Seite 65 des Reports wird ausgeführt:
„any decision whether to authorize a technique is essentially a risk benefit analysis that Generally
takes into account the expected utility of the technique, the likelihood that any technique will be in
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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diese auch dem Report zugrunde.683 Der Report baute daher in zentralen Teilen auf dem FolterMemorandum auf und übernahm fast vollständig und nahezu wortgleich dessen wesentliche Aussagen mit der Definition des spezifischen Folter-Vorsatzes, der Definition der schweren Schmerzen
und schweren Leiden, den Einschränkungen auf lang andauernde mentale Schäden, dazu die Ausführungen zur Reichweite der Macht des Präsidenten als militärischer Oberbefehlshaber und
schließlich die Ausführungen zur Anwendbarkeit der Rechtfertigungsgründe Notwehr und Notstand.684
Darüber hinaus wurde das Folter-Memorandum als Grundlage für eine Neudefinierung der Verhörrichtlinien des Verteidigungsministeriums herangezogen.685
Der Working Group Report und das Folter-Memorandum wurden zur offiziellen Grundlage der Verhörpolitik des Verteidigungsministeriums mindestens in der Zeit zwischen März und Dezember
2003.686 Das Memorandum bestimmte das Handeln von dem Beschuldigten Generalmajor G.M.,
dem Kommandanten von Guantánamo, und von General J.H., dem Kopf des Southern Command.687 Vier Monate, nachdem G.M. den Report erhielt, wurde er im Auftrag des Pentagon zusammen mit anderen Verhörspezialisten aus Guantánomo in den Irak geschickt, um die dortigen
Vernehmungspersonen über die Methoden, die in Guantánamo angewendet wurden, zu unterrichten.688
Juristische und politische Beurteilungen zum Folter-Memorandum
David Luban, ein anerkannter Professor für Rechtswissenschaften an der Universität von Gorgetown, berichtet von einer allgemeinen Auffassung der Fachwelt, dass die rechtliche Analyse des
Folter-Memorandums „bizarr“ sei.689
In der Tat wird das Memorandum von vielen US-amerikanischen Juristen als nicht vereinbar mit
der Verfassung sowie Recht und Gesetz angesehen.690 Exemplarisch dafür ist die als „Lawyer’s
Statement on G.W.B. Administration’s Torture Memos“ bezeichnete Erklärung, welche von 106
Juristen, darunter 12 ehemaligen Richtern, und 5 ehemaligen Mitgliedern des Kongresses unterzeichnet wurde. Darin wird der Vorwurf erhoben, dass „the Adiministration’s memoranda … ignore
and misinterpret the U.S. Constitution and law, international treaties and rules of international law“
und dass „the lawyers who prepared and approved these memoranda have failed to meet their
professional obligations” und “their high obligation to defend the constitution”691.
Professor Dean Harold Koh von der Yale Law School stellt als Beurteilung des Folter-Memorandums
fest692: Das Folter-Memorandum könne nicht als Berufsverhalten von Anwälten und Rechtsberatern
violation of domestic or international law, and various policy decisions. Generally, the legal analysis
that was applied is that understood to comport with the views of the Department of Justice.”
683
Siehe Lederman, Silver Linings (or, the Strange But True Fate of the Second (or was it the
Third?) OLC Torture Memo), Balkinization, 21.09.2005 (http://balkin.blogspot.com/2005/09/silverlinings-or-strange-but-true.html).
684
Vgl. die Gegenüberstellung bei Kathleen Clarke (a. a. O.), S. 472.
685
Vgl. dazu Kathleen Clarke (a. a. O.), S. 470.
686
Siehe das Schreiben von Daniel Levin an William J. Haynes II v. 04.02.2005 /
http://balkin.blogspot.com/Levin.Haynes.205.pdf).
687
Jane Mayer, THE MEMO. How an internal effort to ban the abuse and torture of detainees was
thwarted (http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact).
688
Jane Mayer, THE MEMO. How an internal effort to ban the abuse and torture of detainees was
thwarted (http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact).
689
„The near consensus in the legal community was that the legal analysis in the J.B. Memo was
bizarre”.
690
siehe die Nachweise bei Harris, in: Journal of National Security Law & Policy, Vol. 1 , 2006, S.
409, 416, Fn. 27.
691
http://www.afj.org/spotlight/0804statement.pdf
692
Koh, 43 Colum. J. Transnational L. S. 654: „The August 1 OLC memorandum cannot be justified
as a case of lawyers doing their job and setting out options for their client. If a client asks a lawyer
how to break the law and escape liability, the lawyer’s ethical duty is to say no. A lawyer has no
obligation to aid, support, or justify the commission of an illegal act.“ And further: „In sum, the
August 1, 2002 J.B. Opinion is a stain upon our law and our national reputation. A legal opinion
that is so lacking in historical context, that offers a definition of torture so narrow that it would
have exculpated Saddam Hussein, that reads the Commander-in-Chief power so as to remove
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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verstanden werden, das nur darauf ziele, für ihre Mandanten ihren Job zu erledigen und die Optionen darzustellen. Wenn vielmehr ein Mandant seinen Rechtsanwalt frage, wie er das Gesetz brechen und sich der Verantwortung entledigen könne, gebiete es dem Rechtsanwalt seine Berufsehre,
den Rat zu verweigern. Es gebe keine Pflicht des Anwalts, bei der Begehung einer Straftat mitzuwirken. Zusammengefasst sei das Folter-Memorandum eine Schande für die Rechtsordnung und
nationale Reputation der USA. In diesem Folter-Memorandum werde eine Rechtsauffassung ohne
jedes geschichtliche Verständnis vertreten und mit einer Definition von Folter operiert, die Saddam
Hussein straflos stellen würde. Das Folter-Memorandum stelle mit seiner Interpretation der Commander-in-Chief Power des Präsidenten die Nürnberger Prozesse auf den Kopf, schaffe den Kongress als Kontrollinstanz ab und gebe der Regierungsmannschaft die Lizenz zur Grausamkeit. Koh
bezeichnet das Folter-Memorandum als Desaster.
In der US-amerikanischen Fachwelt sieht man in dem Folter-Memorandum inzwischen einen inszenierten Freibrief, um in den Verhören so viel Zwang wie möglich anzuwenden693. Das FolterMemorandum sei niemals als Rechtsrat gemeint gewesen, sondern vielmehr als ein Persilschein,
der CIA-Mitarbeiter vor der strafrechtlichen Verfolgung ihrer Foltertaten schützen sollte694.
Der Working Group Report stellt nach Ansicht von Militärjuristen eine „kalkulierte Anstrengung zur
Schaffung einer Atmosphäre der rechtlichen Uneindeutigkeit“695 dar. Das Folter-Memorandum
selbst wurde durch das am 30. Dezember 2004 veröffentlichte „Levin-Memorandum“ des OLC ersetzt, das außer einer mehr oder weniger offen formulierten Kritik an der Methodik und der juristischen Qualität des Folter-Memorandums in der Sache nichts wesentlich Neues brachte, weil es
weder das Verbot der grausamen, unmenschlichen und entwürdigenden Behandlung nach der UNAnti-Folterkonvention noch das Verbot der unmenschlichen Behandlung nach der Genfer Konvention aufgriff. Der Working Group Report - und damit auch das Folter-Memorandum vom 1. August
2002 - wurde im März 2005 als „historisches Dokument“ und damit als nicht mehr verbindlich klassifiziert.696
Bezug des Folter-Memorandums zu den bislang beschriebenen Straftaten anderer Beschuldigter
Der Beschuldigte D.R. verwendete zunächst die von dem Beschuldigten J.Y. entworfene Formel von
den so genannten „ungesetzlichen Kämpfern“, den „unlawful combatants“, Er erklärte öffentlich,
die Gefangenen würden „überwiegend und ziemlich in Übereinstimmung mit den Genfer Konventionen behandelt, und zwar in dem Ausmaße, wie es angemessen“ sei. Unmittelbar vor Erscheinen
des Folter-Memorandums, nämlich am 7. Februar 2002, relativierte er die Bedeutung der Genfer
Konventionen erneut und erklärte: „Es ist eine Tatsache, dass die Umstände, die heute mit Al
Quaida und den Taliban herrschen, nicht notwendigerweise denjenigen entsprechen, unter denen
die Genfer Konventionen beschlossen wurden.”697
Nach Angaben des Abgeordneten Abercrombie während der Anhörung des Ausschusses für Armed
Services über militärische Erkenntnisse im Gefängnis von Abu Ghraib ist es eine Tatsache, dass das
Folter-Memorandum im Büro des US-Verteidigungsministers D.R. und anderswo bekannt war und
überall zirkulierte. Dies wird auch im Schlesinger Bericht beschrieben und von Generalmajor F.
Congress as a check against torture, that turns Nuremberg on its head, and that gives government
officials a license for cruelty can only be described--as my predecessor, Dean Eugene Rostow of
Yale Law School, described the Japanese internment cases--as a ´disaster´."
693
Clark, 1 J. National Security Law & Policy at 462: „The memorandum apparently became the
basis for the CIA’s use of extreme interrogation methods, including ‘waterboarding,’ and shaped
Defense Department interrogation policy. In fact, much of the memorandum was used verbatim in
an April 2003 Defense Department Working Group report on interrogation methods, which then
became the basis for Defense Department policy.“; “What G.W.B. Wants to Hear: A Consideration
of J.Y.’s The Powers of War and Peace: The Constitution and Foreign Affairs After 9/11”, David Cole, New York Review of Books, November 17, 2005.
694
Clark, 1 J. Nat’l Security L. & Pol’y at 468, see also David Luban, Liberalism, Torture, and the
Ticking Time Bomb, in The Torture Debate in America (Karen J. Greenberg ed., 2006) 55.
695
Siehe dazu Kreimer, Torture Lite, in: Journal of National Security Law & Policy, Vol. 1 (2006), S.
187 (193 f.) m. w. N.
696
Siehe Schreiben von Haynes an Judge Advocates General and the Staff Judge Advocate to The
Commandant v. 17.03.2005 (http://balkin.blogspot.com/Haynes.Jag.305.pdf).
697
Human Rights Watch, a.a.O., S. 5.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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bestätigt.698
Ausgestattet mit der Argumentation des Folter-Memorandums war der Beschuldigte D.R. unmittelbar in die Ausgestaltung der Verhörsfolter einbezogen und segnete im Dezember 2002 sechzehn
zusätzliche Verhörstechniken ab, darunter Gesichtsverhüllung, Auskleiden, Einsatz von Hunden und
so genannten „milden, nicht verletzenden Kontakt“.699 D.R.s Beteiligung ist insbesondere belegt
durch seine inzwischen allgemein bekannte handschriftliche Notiz auf dem DezemberMemorandum, das es zuließ, Gefangene bis zu vier Stunden in einer Stressposition stehen zu lassen: „Ich stehe 8 bis 10 Stunden täglich. Warum also ist es auf 4 Stunden begrenzt ?“, wie an anderer Stelle bereits mehrfach ausgeführt wurde, u.a. bei den Darlegungen zum Beschuldigten D.R..
Der Working Group Report geht auf eine Anordnung des Beschuldigten D.R. zurück, der zufolge der
General Counsel im Verteidigungsministeriums, W.H., die Arbeitsgruppe zur Untersuchung weiterer
Verhörsmethoden einrichtete und deren Ergebnisse in Übereinstimmung mit dem FolterMemorandum beeinflusste.700
Am 16.4.2003 billigte der Verteidigungsminister in seinem Memorandum vom 16.4.2003 die im
Working Group Report empfohlenen Verhörstechniken für den Einsatz in Guantánamo. Der Leiter
des U.S. Southern Command, General J.H., zu dessen Verantwortungsbereich Guantánamo Bay
gehörte, sagte im Juni 2004, D.R. habe unspezifizierten intensiven Verhörstechniken bei zwei Gefangenen in Guantánamo zugestimmt.701
Der Schlesinger-Bericht belegt, dass einerseits der Druck aus dem Verteidigungsministerium, in
den Verhören zusätzliche Informationen zu erlangen und andererseits die Freigabe härterer Vernehmungsmethoden im Dezember-Memorandum des Verteidigungsministers zu härteren Verhörstechniken bei den so genannten „unlawful combatants“ führten.702
Im August 2003 ordnete der Beschuldigte D.R. an, Generalmajor G.M., der bis dahin die Aufsicht
über die Vernehmungen in Guantánamo Bay hatte, in den Irak zu entsenden, um „die Möglichkeit
prüfen, im Irak Internierte schnell für verwertbare Informationen auszunutzen”.703 Generalmajor
G.M. wurde konkret damit beauftragt, die Verhörpraktiken im Irak denen in Guantánamo anzupassen.
Die zunächst für die „unlawful combatants“ in Guantánamo angeordneten besonderen Techniken
wurden auf diese Weise in den Irak und auch nach Afghanistan exportiert.704 D.R. entschied übrigens, diese Maßnahme vor dem Kongress geheim zu halten.705
698
House Armed Services Committee Hearing, 9 September 2004, S. 28.
Vgl. Schlesinger-Bericht a.a.O., Appendix E.
700
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 8.
701
Human Rights Watch, a.a.O., S. 14-16, FN 102; siehe auch News Transcript, Security of Defense. Interview with David Frost, BBC, 27. Juni 2004, S. 4;
http://www.defenselink.mil/transcripts/2004/tr20040713-secdef1001.html.
702
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 7-8, 35; Fay/ Jones- Bericht, S. 23 zu einer Liste mit einer
Auswahl der Techniken, die der Zustimmung bedurften; Memorandum des Verteidigungsministers
D.R. an den Befehlshaber des U.S. Southern Command (16. April 2003); Siehe auch WOHR 3.
703
Vgl. Taguba-Bericht, S. 7.
704
Vgl. Schlesinger-Bericht, a.a.O., S. 14, 36; Fay/Jones-Bericht S. 87-88 zur Verbreitung von Verhörtechniken von Guantánamo nach Afghanistan und Abu Ghraib. Seymore Hersh, The Grey Zone,
The New Yorker, 25. Mai 2004
705
Siehe den Artikel von Bart Gelman in der Washington Post vom Januar 2005.
699
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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5.2.3.2. Rechtliche Würdigung
Vorbemerkung
Die Strafanzeige richtet sich gegen Folter, die von der Regierung eines Staates veranlasst, organisiert und umgesetzt wurde, der als demokratischer Rechtsstaat verfasst ist. Die von den Vereinigten Staaten von Amerika eingesetzte Verhörsfolter war kein Versehen, kein Grenzgang, keine Geheimaktion. Die Verhörsfolter waren Exekutivmaßnahmen mit all ihren verwaltungsorganisatorischen und juristischen Komponenten.
Die Strafanzeige bezieht sich also auf Regierungskriminalität, die unter dem Deckmantel selbst
hergestellter Rechtsförmigkeit begangen wurde. Dies ist der Bezug zu J.Y. und J.B., die mit ihrem
Folter-Memorandum die „Rechtsförmigkeit“ der Folter behaupteten und die Legalisierung der Exekutive betrieben haben.
Solcherlei Regierungskriminalität wird kriminologisch - zurückgehend auf Jäger706 – als Makrokriminalität bezeichnet, in der die individuelle Tat nur als Teil des konformen Handelns organisierter
Großkollektive verstanden werden kann. Die bisherige Darstellung hat gezeigt, dass sich die hier
angezeigte Verhörsfolter erst unter den Bedingungen der vom Weißen Haus zu verantwortenden
Politik des vom US-Präsidenten ausgerufenen „Globalen Krieges gegen den Terror“ praktisch etablieren konnte.
Für die strafrechtliche Bewertung solcherlei Regierungskriminalität bietet die Bundesrepublik
Deutschland, deren Justiz durch diese Strafanzeige befasst wird, durchaus einen heterogenen, jeweils politisch determinierten Rechtsraum.
Die strafrechtliche Verantwortung nicht nur bei dem die Tat unmittelbar Ausführenden, also nicht
nur am Schluss der Hierarchiekette eines verbrecherisch handelnden Machtapparates zu suchen,
sondern auch die Hintermänner, die Schreibtischtäter, die Befehlsgeber, die Organisationsleitung
oder die politisch Verantwortlichen zu belangen, wurde erstmals durch das Internationale Militärtribunal in den Nürnberger Prozessen unternommen. In diesem Zusammenhang ist der in der USamerikanischen Diskussion um die Folter-Papiere oft rezipierte Fall „Die Vereinigten Staaten von
Amerika gegen Josef Altstötter u.a.“ im Rahmen der Nürnberger Juristenprozesse kurz abzuhandeln707. Das Verfahren gegen Altstötter u.a. wurde mit Urteil durch den Militärgerichtshof der Vereinigten Staaten Nr. III am 3. und Dezember 1947 in Nürnberg abgeschlossen. Die Angeklagten
wurden, soweit verurteilt, zu fünf Jahren Haft bis lebenslänglicher Haft verurteilt. Die wohl bekannteste Beschuldigung gegen die angeklagten Juristen „ist die der bewussten Teilnahme an einem
über das ganze Land verbreiteten und von der Regierung organisierten System der Grausamkeit
und Ungerechtigkeit und der Verletzung der Kriegsgesetze und der Gesetze der Menschlichkeit,
begangen im Namen des Rechts unter der Autorität des Justizministeriums mit Hilfe der Gerichte“708. Das vielleicht häufigste Zitat aus dem Verfahren lautet: „Der Dolch des Mörders war unter
der Robe der Juristen verborgen“709.
Dem Hauptangeklagten ehemaligen Justizminister Schlegelberger wurde vorgeworfen „die schmutzige Arbeit“ übernommen zu haben, „die die Staatsführer forderten, und das Justizministerium als
Werkzeug zur Vernichtung der jüdischen und polnischen Bevölkerung, zur Terrorisierung der Einwohner der besetzten Gebiete und zur Ausrottung des politischen Widerstand im Innern benutzen.
… Die Preisgabe des Rechtssystems eines Staates zur Erreichung verbrecherischer Ziele untergräbt
diesen mehr als ausgesprochene Greultaten, welche den Talar des Richters nicht besudeln.“710
So schwerwiegend die im Rahmen dieser Strafanzeige erhobenen Vorwürfe gegen die beteiligten
Beschuldigten auch sein mögen, soll an dieser Stelle ausdrücklich klargestellt werden, als deren
von US-amerikanischen Kollegen aufgegriffene Nürnberger Juristenfall ausschließlich deswegen hier
erwähnt wird, weil in der amerikanischen Diskussion eine Rolle spielt und weil dort insbesondere
706
Jäger, Makrokriminalität. Studien zur Kriminologie kollektiver Gewalt, 1989; ders. StV 1988,
172ff. ; ders. MschrKrim 1980, 358ff. und Makroverbrechen als Gegenstand des Völkerstrafrechts.
Kriminalpolitisch-kriminologische Aspekte, in: Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen. Zum
Völkerstrafrecht 50 Jahre nach den Nürnberger Prozessen, Gerd Henkel ua. (Hrsg.), 1995, S. 325ff.
707
vgl. Harton, a.a.O., 18. ff.
708
zitiert nach dem Schlussplädoyer von Kubuschek bei Ostendorf/ter Veen, Das Nürnberger Juristenurteil, Frankfurt/New York 1985, 241
709
vgl. Peschel-Gutzeit, a.a.O., 66
710
a.a.O., S. 143 f.
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hervorgehoben wird, das Juristen, die bewusst falsche Stellungnahmen über Rechte des bewaffneten Konfliktes erteilen und dies vorhersehbar zum Tod oder zur menschlichen Behandlung von Gefangenen Kriegsverbrecher sind, die wie Kapitalverbrecher zu bestrafen sind. Die von den Nationalsozialisten begangenen Massenverbrechen sollen in ihrer Einmaligkeit selbstredend nicht mit den
im Rahmen des Globalen Kriegs gegen den Terror begangenen Kriegsverbrechen gleichgesetzt und
in keiner Weise relativiert werden.
Die weitere Ahndung nationalsozialistischen Unrechts erfolgte nach Nr. 10 des Kontrollratsgesetzes
und knüpfte für eine Täterschaft an jeder Mitwirkung im Machtapparat an. Anschließend wandten
die bundesdeutschen Gerichte mit der streng subjektiven Täterschaftstheorie -nach Heine711- ein
ad hoc geschaffenes Strafrecht für systemische Makroverbrechen an und machten aus den NSGräueltaten auf der Ebene der Befehlsempfänger die Handlungen von Gehilfen712.
Mit der im Kalten Krieg angesiedelten Staschinskij-Entscheidung des Bundesgerichtshofes713 zu in
der Sowjetunion „auf Regierungsbasis“ angeordneten Attentaten wurde unter weiterer Verwendung
der streng subjektiven Theorie die täterschaftliche Verantwortung nicht beim angeklagten Attentäter Staschinskij, sondern bei seinen unerreichbaren Hinterleuten im sowjetischen KGB begründet.
Bei der Aufarbeitung von DDR-Unrecht und insbesondere in den so genannten Mauerschützenfällen
wurde schließlich mit der Figur der Organisationsherrschaft das Instrument auf der Zurechnungsebene geschaffen, um auch jene als Täter bestrafen zu können, die organisatorische Machtapparate beherrschen und mit ihren Entscheidungen unweigerlich die Straftat von Untergebenen veranlassen714.
Von diesen Zusammenhängen einer „sozialen Tatherrschaft in organisatorischen Machtapparaten“715 war die Strafbarkeit der bisher erörterten Beschuldigten beeinflusst, deren strafrechtliche
Verantwortung sich an ihrer Entscheidungs- oder Handlungsfunktion innerhalb der Exekutivgewalt
festmachen lies.
Mit J.Y. und J.B. kommen nun zwei Personen ins Blickfeld, die jedenfalls offiziell außerhalb der einschlägigen Befehls- und Hierarchielinie tätig waren. Organisatorisch bei dem Office of Legal Counsel
angesiedelt haben sie mit dem so genannten Folter-Memorandum ohne eigene Exekutivgewalt der
Form nach –lediglich - Rechtsrat erteilt. Bei ihnen geht es also nicht darum, die strafrechtliche Verantwortung innerhalb einer Hierarchie- oder Befehlskette nach oben zu verlagern. J.Y. und J.B.
werden hier zur Anzeige gebracht, weil sie mit dem von ihnen verfassten Folter-Memorandum die
für Makro- bzw. Regierungskriminalität typische rechtliche Unanfechtbarkeit behauptet haben. Sie
lieferten als Rechtsberater der zuständigen Exekutivgewalt die rechtliche Deutung für die als Regierungskriminalität systematisch praktizierte Verhörsfolter. Ihr zur Anzeige gebrachtes Verhalten ist
strafrechtlich daher unter den Gesichtspunkten des berufsbedingten Verhaltens, des Rechtsrats und
der Einbindung in Regierungsverhalten zu würdigen.
Dabei ist die Dogmatik des Allgemeinen Teils des StGB zugrunde zu legen. Nach § 2 VStGB findet
der Allgemeine Teil des StGB Anwendung, soweit nicht in §§ 1, 3, 4 und 5 VStGB eine besondere
Bestimmung getroffen ist. Für die mit dem angezeigten Sachverhalt aufgeworfenen Zurechnungsprobleme ist in diesen Vorschriften nichts geregelt. Art. 28 IStGH-Statut, der die Verantwortlichkeit
militärischer Befehlshaber für die Straftaten von Untergebenen regelt, und Art. 25 IStGH-Statut,
der auch eine Regelung zur mittelbaren Täterschaft enthält, wurden nicht in das VStGB übernommen716. Stattdessen regelt § 4 VStGB die Verantwortlichkeit des Befehlshabers und Vorgesetzten,
allerdings nur im Falle eines Unterlassens.
Daher sind die aufgeworfenen Zurechnungsfragen nach den allgemeinen Vorschriften des StGB
insbesondere zu Täterschaft und Teilnahme zu beurteilen.
711
Heine, Täterschaft und Teilnahme in staatlichen Machtapparaten, JZ 2000, 920, 922
BGHSt 8, 393 ff.; BGH DRiZ 1966, 59 (Täterwillen bei der Deportation und spätere Ermordung
von 300 000 Juden aus dem Warschauer Getto in das Vernichtungslager Treblinka lag allein bei
Himmler, nicht bei dem angeklagten SS-General Wolff; sehr kritisch dazu die Kommission des
Deutschen Juristentags JZ 1966, 714ff.
713
BGHSt 18, 87ff.
714
BGHSt 40, 218ff.; BGHSt 45, 270 ff. Inzwischen wird die dort entwickelte Rechtsfigur auch auf
wirtschaftliche Machtapparate angewandt, BGH StV 1998, 416f.
715
vgl. Schlösser, Soziale Tatherrschaft, 2004
716
Weigend, Zur Frage eines „internationalen“ Allgemeinen Teils, in: FS für Roxin, S. 1395ff.; Referentenentwurf zum VStGB Begründung zu § 2 -S. 36f.- und zu § 5 -S. 41-.
712
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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Strafbare Beihilfe
Der vorgetragene Sachverhalt wird als Beihilfe von J.Y. und J.B. insbesondere zu der oben dargestellten Haupttat des damaligen US-Verteidigungsministers D.R. angezeigt.
a. Die Haupttat
Für den Beschuldigten D.R. wurde oben festgestellt, dass er direkt verantwortlich ist für Verstöße
nach § 8 VStGB, da er Kriegsverbrechen angeordnet, begangen, veranlasst, unterstützt und dazu
angestiftet hat. Er ist nach § 4 VStGB als ziviler Befehlshaber über das Militär für die Taten Dritter
strafbar, und haftet für Kriegsverbrechen bei den Verhörsfolterungen in Afghanistan, Guantánamo
und Irak, weil sie in seinem Verantwortungsbereich begangen wurden. Wegen der von dem
30.06.2002, dem Datum des Inkrafttretens des VStGB begangenen Straftaten kommt eine Strafbarkeit nach den Vorschriften des allgemeinen Teils des StBG in Betracht und dort insbesondere die
Vorschriften der Körperverletzung §§ 223 ff. StGB, der Freiheitsberaubung §§ 239 ff StGB und die
Tötungsdelikte §§ 211 ff. StGB. Bereits an anderer Stelle war ausgeführt worden, dass insoweit
strafanwendungsrechtlich keine Probleme bestehen (vgl. Kapitel 3. dazu).
Der Beschuldigte D.R. hat sich der Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft
kraft Organisationsherrschaft gem. §§ 8 VStGB, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht, in dem er
u.a. am 02. Dezember 2002 die Anwendung von illegalen Verhörmethoden gegenüber von Gefangenen auf Guantánamo anordnete und persönlich ständig die grausame und unmenschliche Behandlung des Geschädigten M.Q. beaufsichtigte. Dies wird im einzelnen oben (5.3.2.) ausgeführt.
Der Beschuldigte D.R. hat sich außerdem der Kriegsverbrechen gegen Personen in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft gem. §§ 8 VStGB, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht,
in dem er als Verteidigungsminister dafür verantwortlich war, dass die in Guantánamo praktizierten
illegalen Vernehmungsmethoden auch bei Verhören von Kriegsgefangenen, die im irakischen Gefängnis Abu Ghraib inhaftiert waren, angewendet wurden.
Der Beschuldigte D.R. hat unmittelbar persönlich und als Befehlshaber über das US-Militär als Vorgesetzter in mittelbarer Täterschaft und in Verantwortung für seine Untergebenen durch Unterlassen Kriegsverbrechen nach internationalem Recht und nach dem VStGB begangen.
Als US-Verteidigungsminister war D.R. nach Präsident G.W.B. der zweithöchste zivile Befehlshaber
über das US-Militär. Er konnte sowohl im Allgemeinen als auch im konkreten Einzelfall spezifische
und verbindliche Anweisungen zu Inhaftierungen, Vernehmungen und letztlich Folterungen erteilen.
D.R. hat in kontinuierlicher Weise als Kriegsverbrechen einzustufende Verhaltensweisen in die militärische und geheimdienstliche Arbeitsweise eingeführt und diese letztlich nicht nur als ziviler Befehlshaber nicht unterbunden, sondern aktiv gefördert und im Einzelfall täterschaftlich persönlich
angeordnet und kontrolliert. D.R. war bekannt, dass diese sowohl völkerrechtlich als auch nationalen illegal einzustufenden Techniken bei Gefangenen angewandt wurden.
Der Beschuldigte D.R. stützte sich bei seiner Amtsführung vielmehr auf das Folter-Memorandum
und setzte die darin vorgegebene Definition von Folter für die Verhörspraxis im Irak und in Afghanistan durch.
Dies ist der Bezugspunkt für die angezeigte Beihilfehandlung von J.Y. und J.B.. Die Kriegsverbrechen des damaligen US-Verteidigungsministers D.R. sind die Haupttaten, an denen J.Y.und J.B.
teilgenommen haben.
b. Kein berufstypischer neutraler Rechtsrat
Das von J.Y. und J.B. verfasste und verantwortete Folter-Memorandum soll hier ungeachtet der
oben mitgeteilten Auffassung, dass es dabei nicht um objektiven Rechtsrat, sondern um Legalisierung einer strafbaren Verhörsfolter gegangen sei, zunächst als Rechtsberatung behandelt werden.
Dafür spricht die formale Seite. Das Folter-Memorandum vom 1. August 2002 wurde für das Weiße
Haus erstellt. Der entsprechende Antrag war vom Präsidentenberater A.G. an das für derartige
Rechtsgutachten zuständige Office of Legal Counsel beim US-Justizministerieum gerichtet.
J.Y. und J.B. gaben mit dem Folter-Memorandum also nicht ihre persönliche Meinung kund, sondern handelten als dafür bestellte Mitarbeiter des OLC. Der Text des Folter-Memorandums wurde
von Ihnen nicht als verbindliche Vorgabe oder Handlungsanweisung präsentiert, sondern als „the
office´s view“, also die Auffassung des OLC. Für eine Rechtsberatung spricht auch die Formulierung
von J.Y. am Ende seines unter dem Briefkopf des OLC gefassten Briefes an den Präsidentenberater
A.G., wo er für das OLC die sorgfältige Analyse der Entscheidungen zum internationalen Recht ga-
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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rantiert und die Vorhersage des Verhaltens internationalen Institutionen verweigert.
Der berufsmäßig erteilte Rechtsrat ist bei der strafrechtlichen Beurteilung privilegiert717. Für ihn gilt
die Vermutung, dass er auf die Informationserteilung abzielt und keine Förderung einer fremden
Haupttat bezwecken soll. Eine rechtliche Beratung hat vor allem das Ziel, den Mandaten umfassend
über sämtliche rechtliche Fragen aufzuklären, die mit dem von ihm geschilderten Sachverhalt zusammenzuhängen. Gerade wenn man Rechtsauffassungen vertritt, die sich von der herrschenden
Auffassung entfernen, ist es erforderlich, den Adressaten auch auf abweichende Auffassungen hinzuweisen. Deshalb kommt der formalen und inhaltlichen Substanz des Folter-Memorandums erhebliche Bedeutung zu.
Das Folter-Memorandum vom 1. August 2002 genügt sowohl formal wie auch inhaltlich in keiner
Weise dem Anspruch an eine qualifizierte objektive Rechtsberatung, die den Auftraggeber in den
Stand versetzt hätte, die rechtlichen Aspekte seiner politischen und militärischen Maßnahmen abzuwägen. Das Folter-Memorandum ist vielmehr oberflächlich, kurzschlüssig und manipulatorisch
abgefasst. Das Folter-Memorandum fällt fachlich weit hinter die im OLC geltenden Standards zurück. Noch im Guantánamo-Memorandum vom 28. Dezember 2001718 wurden nicht nur die Meinungen dargestellt, die eine Hoheit der amerikanischen Gerichte über die in Guantánamo Inhaftierten ablehnen, sondern auch die Gegenansichten. Darüber hinaus wurde auf die Risiken hingewiesen, die dabei auftreten können, wenn die US-amerikanischen Gerichte ihre Zuständigkeit für Guantánamo bejahen sollten. Im Folter-Memorandum fehlen dagegen jegliche abweichende Ansichten.
Es wurde die subjektive Ansicht der Verfasser so dargestellt, als ob es sich um die objektive
Rechtslage handeln würde.719 Ihre mit Hilfe höchst dubioser methodischer Ansätze gefundenen
Rechtsansichten stellen die Verfasser als geltendes Recht dar.
Die Verfasser unterlassen es z. B., den Torture Victims Protection Act (TVPA) für eine juristische
Definition von Folter heranzuziehen, obwohl dies nahe gelegen hätte.720 Statt dessen wird die Folter anhand medizinischer Leitlinien abgeleitet, die bestimmen, unter welchen Bedingungen Krankenhäuser medizinische Nothilfe leisten müssen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum auf diese Leitlinie abgestellt werden sollte, wenn man sich dem Begriff der Folter nähern will. Diese Richtlinie hat
keinerlei juristischen oder sonstigen Bezug zur Folter und ist zur Definition von Folter vollkommen
ungeeignet. Deswegen wird diese Sichtweise auch im so genannten Levin-Memorandum vom Dezember 2004, das ebenfalls vom OLC stammt, kategorisch abgelehnt.721
Dabei gehört es zu den Pflichten einer Rechtsberatung, dass in den Fällen, in denen zu der eigenen
Ansicht konträre Meinungen existieren, diese auch dargestellt werden müssen, damit dem Ratsuchenden auch die Risiken erkennbar sind, die sich aus der Befolgung des erteilten Rechtrates ergeben könnten. Die in dem Memorandum vorgenommene Darstellungsweise verstößt derart eklatant
gegen diese Grundsätze, dass sich der Eindruck aufdrängt, als wollten die Verfasser nicht geltendes
Recht darstellen, sondern das, was man gerne als geltendes Recht sehen würde.722
Exemplarisch zeigt sich dieses Vorgehen an der falschen Bezugnahme auf die Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Irland ./. Vereinigtes Königreich (Urt. V.
18.1.1978), mit der die Verfasser belegen wollten, dass ihre Interpretation des Folterbegriffs auch
in Einklang stehe mit dessen Auslegung des Folterbegriffs in Art. 3 Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). In dieser Entscheidung aus dem Jahr 1978 hat der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte zwar tatsächlich entschieden, dass die kumulative Anwendung spezifischer Vernehmungsmethoden (Gegen-die-Wandstehen; Überstreifen einer Kapuze; der Einsatz von Lärm;
der Entzug von Schlaf; die Herabsetzung der Nahrungsration) keine Folter i.S. von Art. 3 EMRK,
sondern eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung i.S. von Art. 3 EMRK darstelle. J.Y. und
J.B. referieren diese Gerichtsentscheidung ausführlich, jedoch ohne sie näher zu kontextualisieren
717
RGSt 37, 321ff; BGH NStZ 1993, 43; BGH NStZ 2000, 34; OLG Stuttgart NJW 1987, 2883; vgl.
umfassend Kudlich, Die Unterstützung fremder Straftaten durch berufsbedingtes Verhalten, 2004,
43ff., 476ff.; Wolff-Reseke, Berufsbedingtes Verhalten als Problem mittelbarer Erfolgsverursachung, 1995, 24, 41ff..
718
Zu finden unter http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB127/01.12.28.pdf .
719
Siehe Harris, in: Journal of National Security Law & Policy, Vol. 1 [2006], S. 409 (418 ff.)
720
Siehe Harris, in: Journal of National Security Law & Policy, Vol. 1 [2006], S. 409 (435)
721
Memorandum Levin-Comey December 30, 2004 Memo Re: Legal Standards applicable under 18
U.S.C. Sec. 2340-2340 A.Zitiert auch bei Harris, in: Journal of National Security Law & Policy, Vol.
1 [2006], S. 409 (434).
722
Kathleen Clarke (a. a. O.), S. 456 ff.
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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oder die Fortentwicklung der Bestimmung des Folterbegriffs durch den EGMR zu benennen. Nicht
nur die Kritik, die diese Entscheidung in der Literatur erfahren hat, wird unterschlagen723, vor allem
bleibt die für das aktuelle Verständnis des Folterbegriffs wesentliche Entwicklung unerwähnt.
Die in jener Entscheidung zugrunde gelegte Rechtslage hat sich inzwischen nämlich maßgeblich
geändert. Am 10. Dezember 1984, also 6 Jahre nach der so ausführlich zitierten Entscheidung des
EGMR, verabschiedeten die Vereinten Nationen das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. In dieser UNAntifolterkonvention, der auch die USA beigetreten sind, wurde der Folterbegriff in Art. 1 neu gefasst. Der Folterbegriff setzt seither nicht an den Folterwirkungen sondern an der Folterhandlung
an und hat zu einem völkerrechtlich bindenden , weit strengeren Folterverbot geführt. Die von J.Y.
und J.B. zitierte Rechtsprechung des EGMR ist also überholt. Sie hat allenfalls noch geschichtliche
Bedeutung, spiegelt aber das herrschende Rechtsverständnis des Gerichtshofs zur Folter nicht wieder.
So hat der EGMR bereits im Jahre 1999 in Selmouni ./. Frankreich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Konvention als „lebendes Instrument im Lichte der heutigen Verhältnisse“ ausgelegt
werden müsse mit der Folge, dass in vorangegangenen Entscheidungen nur als unmenschlich oder
erniedrigend eingestufte Behandlungen in der neueren Rechtssprechung als Folter angesehen werden könnten. Wörtlich heißt es weiter:
„Der Gerichtshof ist in der Tat der Ansicht, dass die zunehmend hohen Anforderungen an den
Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten entsprechend und unvermeidlich eine größere
Strenge bei der Bewertung der Verletzung von Menschenrechten und Grundfreiheiten der demokratischen Gesellschaften erfordern.“724
Gollwitzer hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass insbesondere Psychotechniken
wie Sinnesberaubungs- oder Desorientierungsmethoden bei entsprechender Schwere und Dauer als
Folter anzusehen sind725. Im Ergebnis sei daher nach dem heutigen Verständnis wohl jede zweckbezogene Quälerei als Folter erfassbar (Gollwitzer a.a.O).
J.Y. und J.B. manipulieren mit ihrem Zitat der überholten EGMR-Entscheidung ihre Darstellung
einer angeblichen aktuellen Rechtslage. Das Folter-Memorandum hat daher nicht die Substanz einer juristischen Beratung, sondern taugt nur als ein Dokument für die strafrechtliche Immunisierung derjenigen, die in der Verhörpraxis auf Folter oder ähnliche Methoden zurück greifen wollen.726
Das Ergebnis des Memorandums ist zudem derart unvollständig, dass es als Rechtsrat inhaltlich
geradezu falsch wäre. J.B. und J.Y. erwähnen nämlich nicht, dass durch unmenschliche und grausame Verhörmethoden und Folter auch weitere Straftatbestände erfüllt werden können. In Frage
kommen hier, neben den Straftatbeständen der Nötigung, der Körperverletzung und der Beleidigung, auch spezielle Militärdelikte wie der Uniform Code of Military Justice (UCMJ, Arts. 77-134),
wonach die Misshandlung von Gefangenen unter Strafe gestellt wird, oder The War Crimes Act of
1996 (18 U.S.C. § 2441), der Verstöße gegen die Genfer Konvention kriminalisiert. Eine mögliche
Strafbarkeit ist demnach nicht – wie es das Folter-Memorandum nahe legt – auf § 2340 A beschränkt.
Das Folter-Memorandum unterschlägt zudem die durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes aufgestellten Beschränkungen der Macht des Präsidenten und die Stellung des Kongresses im
Kriegs- und Krisenfall. Das maßgebende Urteil des Obersten Gerichtshofes – Youngstown Sheet &
Tube Co. vs. Sawyer – wurde gar nicht erwähnt, obwohl es der Präzedenzfall ist zur Bestimmung
der Reichweite der Macht des Präsidenten im Kriegsfall. In diesem Urteil gelangen die Richter zu
einer völlig anderen Beurteilung der Rechtslage als die Verfasser des Folter-Memorandums.
Die im Memorandum vertretene Ansicht verletzt die US-Verfassung, da nach den verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Präsident daran gebunden ist, die bestehenden Gesetze zu beachten und
auszuführen, wozu auch internationales Vertrags- und Gewohnheitsrecht gehören.727 Die UN-AntiFolterkonvention legt in Art 2-4 fest, dass außergewöhnliche Umstände wie Krieg oder Kriegsge723
vgl. Frowein/Peukert Europäische Menschenrechtskonvention Art. 3 Rn. 5 m.w.N.
Selmouni ./. Frankreich EGMR Urt. V. 28.7.1999 – 25803/94, Para.101
725
in: Menschenrechte im Strafverfahren, MRK und IPBPR , Art. 3 MRK, Art 7 IPBPR Rn. 18.
726
So David Luban, in: Greenberg, The Torture Debate in America, S. 57-59.
727
Memorandum von Sinan Kalayoglu v. 6-26-06, S. 13.
724
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fahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, nicht als Rechtfertigung
für Folter geltend gemacht werden dürfen. Eine von einem Vorgesetzten oder einem Träger öffentlicher Gewalt erteilte Weisung darf nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden.
Diese allgemein verbindliche und bekannte Rechtsnorm wird in den Memorandum überhaupt nicht
erwähnt oder gar diskutiert.728
Nun hat sich das Folter-Memorandum ausdrücklich nur mit der Auslegung des Folterbegriffs im 18
U.S.C. Sec 2340-2340A, also mit nationalem US-Recht beschäftigt. Die im Auftrag erkennbar angelegte Frage reduzierte sich aber nicht auf die Strafbarkeit nach dem US-Völkerstrafrecht in 18 Sec
2340-2340A, sondern betraf allgemein die strafrechtliche Verfolgbarkeit von Verhörsfolter. Dass
zumindest J.Y. dies erkannte, zeigt der Inhalt seines an A.G. gerichteten Begleitschreibens zum
Folter-Memorandum vom 1.8.2002, wo der Beratungsrahmen weiter gefasst ist und wo es allgemein um das – auch internationale - Strafbarkeitsrisiko geht. Aber auch in diesem weiteren Kontext werden die inhaltlichen und formalen Oberflächlichkeiten des Folter-Memorandums nicht etwa
korrigiert, sondern fortgesetzt. Jedenfalls bei der Analyse des geltenden Folterbegriffs nach Art. 1
der UNAntifolter-Konvention („CAT“) war eine Darstellung der neueren Rechtsprechung und des
insoweit einhellig vom Folter-Memorandum abweichenden Meinungsstandes erforderlich, um „the
best reading of international law on the merits“ zu leisten, wie J.Y. am Ende seines Briefes an A.G.
selbst versprach.
Und schließlich ist allgemein anerkannter nationaler und internationaler Standard, dass Folter und
grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung absolut abwägungsfest sind, dass dieses
Verbot also nicht nur für den Regelfall, sondern gerade auch für den Ausnahmefall gilt. Das aus
dem Völkerstaatsrecht abgeleitete Verteidigungsrecht des Staates gegen Angriffskriege kann schon
aus diesem Grund kein Einfallstor zur Aushebelung des Folterverbots sein. Auf die methodologisch
abenteuerliche Ableitung eines individuellen Notwehr- oder Notstandsrechts aus dem beim Staat
angesiedelten Verteidigungsrecht kommt es daher gar nicht mehr an.729
Das alles zeigt, dass wir es nicht mit einem üblichen Rechtsrat von dafür zuständigen Beamten in
einer dafür zuständigen Behörde zu tun haben, sondern mit einem üblen juristischen Machwerk,
das darauf angelegt war, die Rechtslage verzerrt und falsch darzustellen.
c. Die Beihilfehandlung
Nach den Kriterien der gefestigten BGH-Rechtsprechung liegt keine straflose neutrale Beihilfe vor,
wenn sich der Beratende mit dem tatgeneigten Auftraggeber solidarisiert730. Die Grenzen des
Rechtsberatungsprivilegs werden dort überschritten, wo das berufliche Handeln seinen neutralen
„Alltagscharakter“ verliert. Dies ist der Fall, wenn - für den Beauftragten ersichtlich - der Rechtsrat
einem „tatgeneigten“731. Auftraggeber zur Tatdurchführung dient.
Bei Würdigung der den Beschuldigten J.Y. und J.B. bekannten Umstände und der formalen und
inhaltlichen Fehler des Folter-Memorandums sind diese Voraussetzungen erfüllt. J.B. und J.Y. sind
mit ihrem einseitig und interessengeleiteten Folter-Memorandum von ihrer Rolle als institutionell
angesiedelte Rechtsberater abgewichen und haben die Position eines Verteidigers übernommen.732
Sie haben damit die ihnen im Rahmen des OLC gesetzten Grenzen des berufstypischen Verhaltens
überschritten.
J.Y. und J.B. haben vorsätzlich einen falschen Rechtsrat erteilt, weil nur dieser in das ihnen bekannte administrative und politische Konzept zur Anwendung von Verhörsfolter passte. Das FolterMemorandum diente nicht der objektiven Information über die Rechtslage, sondern bot der amtierenden G.W.B.-Administration geradezu unabhängig von der Rechtslage eine Argumentationskette,
die sich die geneigte Politik und Exekutive zu eigen machen konnte.
Das Folter-Memorandum hat einerseits den legalen Anstrich für die Anwendung bestimmter Folteroder anderer unmenschlicher und grausamer Verhörmethoden gegeben, indem die Verfasser den
Anwendungsbereich der Strafvorschrift für Folter einschränkend ausgelegt haben. Andererseits hat
es Rechtfertigungsmöglichkeiten für den Einsatz grundsätzlich strafbarer Foltermethoden konstruiert, die es tatsächlich nicht gibt. Das Folter-Memorandum erfüllte also die von den Auftraggebern
728
Dazu auch Harris, in: Journal of National Security Law & Policy, Vol. 1 [2006], S. 409 (440).
Vgl. zum absoluten Folterverbot und zur herrschenden Definition von Folter das Kapitel 5.1.
730
BGHNStZ 2000, 34;
731
BGH NJW 2001, 2410
732
bei Harris, in: Journal of National Security Law & Policy, Vol. 1 [2006], S. 409 (431 f.)
729
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vorgegebenen Erwartungen und formulierte den rechtlich geradezu absurden Freibrief, wonach die
Folterer in CIA und Militär auf jeden Fall straffrei ausgehen würden, egal welche harten Verhörmethoden sie anordnen oder anwenden.
Wenn ein offizielles Gutachten der Regierung und ein darauf aufbauender Leitfaden für die Anwendung von Verhörtechniken behauptet, dass unmenschliche, degradierende und grausame Behandlungen von Inhaftierten nicht strafbar sei, dann ist eine logische Folge, dass diejenigen, die in den
Verhörzentren arbeiten, diese Techniken auch anwenden werden.733 Damit haben J.Y. und J.B. die
Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erleichtert und gefördert. Nach der vom BGH aufgestellten Förderungstheorie liegt darin eine strafbare Beihilfehandlung.
Weil es für die Exekutive ohne Folter-Memorandum nicht möglich war, die Bedenken im CIA zu den
Folterverhören zu überwinden, kann sogar die kausale Verknüpfung von Beihilfehandlung und
Haupttat festgestellt werden. Jedenfalls wurde die Haupttat gefördert. An diesem Ergebnis ändert
sich nichts, wenn man anstelle der Dogmatik des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches die
Rechtsprechung und die Literatur zum internationalen und Völkerstrafrecht heranzieht.
Nach der Kommentierung von Werle734 genügt es, dass durch die Hilfeleistung die Haupttat erleichtert wurde oder die Beihilfehandlung eine sonstige substantielle Wirkung auf die Haupttat gehabt
habe. Dazu könne bereits die Ermutigung des Haupttäters oder die Gewährung sonstiger moralischer Unterstützung genügen. Dies ist hier der Fall, da dass Folter-Memorandum den Tätern die
Auffassung vermittelte, ihre Handlungen seien legal.
Ambos735 sucht bei der völkerstrafrechtlichen Beihilfe nach einer wesentlichen und spürbaren Auswirkung auf die Haupttat. Damit wird auf die Erfolgsverursachung abgestellt und eine irgendwie
geartete Kausalität zwischen Beihilfehandlung und Haupttat verlangt. Das Folter-Memorandum
wurde – teilweise sogar wortwörtlich – in den Working Group Report (s. o.) übernommen, der die
Zulässigkeit konkreter Verhörtechniken festgelegt hat und so zur Grundlage für den Einsatz im Irak
wurde.736 Eine Kausalität ist damit belegt.
d. Vorsatz
J.Y. und J.B. haben auch mit dem entsprechenden Gehilfenvorsatz gehandelt. Sie haben in dem
Bewusstsein gehandelt, dass sie durch ihre Taten die Begehung der Haupttat unterstützen und die
Verhörsfolter zumindest erleichtern. Sie hatten auch Vorsatz hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der
Haupttat, da sie wussten, dass die von ihnen im Folter-Memorandum dargelegte Rechtsaufassung
nicht mit der Verfassung und mit internationalen und nationalen Recht vereinbar ist.
Die Verfasser des Folter-Memorandums haben erkannt, dass die US-Administration darauf abzielte,
Verhörmethoden anzuwenden, die unter das Folterverbot fallen. Ihnen war die Forderung des Vizepräsidenten R.C. und seines Beraters D.A. bekannt. Dafür spricht insbesondere ein vom Newsweek
Magazine im Dezember 2004 veröffentlichtes Gespräch zwischen dem Beschuldigten A.G., J.B., J.Y.
u.A. im Juli 2002, in dem A.G. in Bezug auf das zentrale Thema, wie weit die CIA bei der Vernehmung von des Terrors verdächtigen Inhaftierten gehen kann, sagte: „Gehen wir denn weit genug ?
(„Are we forward-leaning enough on this?“)737. Damit wurde das Ziel des Folter-Memorandums in
Bezug auf die Anwendung von Verhörmethoden deutlich umschrieben. Ein weiteres Indiz für diese
Vorsätzlichkeit ergibt aus dem Umstand, dass das Folter-Memorandum auch Rechtfertigungs- und
Verteidigungsgründe aufzählt und J.Y. sich in seinem Brief an A.G. ausdrücklich mit dem Verfolgungsrisiko auseinandersetzt und bei der Prognose vorsichtig und zweifelnd wird.
Letztlich begründen die sachliche und formale Oberflächlichkeit, die rabulistische Argumentation
und die Ausblendung sich aufdrängender Aspekte den einschlägigen Tatverdacht. Bei J.Y. und J.B.
handelt es sich um höchstqualifizierte Juristen mit speziellen Kenntnissen gerade auf den im FolterMemorandum angesprochenen Rechtsgebieten. Sie konnten sich einer außerordentlich guten sach733
So auch Harold Koh, Jurapofessor und Dekan der Yale Law School in seinem Statement auf der
Anhörung vor dem Senate Judiciary Committee bezüglich der Ernennung von A.G. zum Attorney
General of The United States am 7.01.2005.
734
Werle, Völkerstrafrecht, 2003, S. 161 Rdn. 414 ff.
735
Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts S. 619 mit Nachweisen aus der Rspr.
736
Siehe das Schreiben von Daniel Levin an William J. Haynes II v. 04.02.2005 /
http://balkin.blogspot.com/Levin.Haynes.205.pdf).
737
Zitiert nach Harris, in: Journal of National Security Law & Policy, Vol. 1 [2006], S. 409 (442).
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lichen und personellen Ausstattung des OLC bedienen. Die geradezu absurd erscheinenden Verkürzungen und Fehler bei der Anwendung einfachster rechtswissenschaftlicher Methoden lässt nur den
Schluss zu, dass man es zwar besser gekonnt hätte aber nicht besser wollte. Weil man zudem eigene Rechtsgutachten unterschlagen hat, die bereits im einschlägigen Zusammenhang veröffentlicht und in denen das absolute Folterverbot bejaht wurde738, ist hinreichender Beweis erbracht,
dass J.Y. und J.B. vorsätzlich handelten.
Aber auch wenn man sich auf den Standpunkt stellte, dass man nicht auf das sichere Wissen der
Verfasser über die Motive der Auftraggeber des Folter-Memorandums schließen könne, so war für
J.Y. und J.B. doch zumindest das hohe Risiko erkennbar, die Empfänger des Memorandums würden
dieses als Grundlage für die administrative Umsetzung von Verhörsfolter nehmen.
J.Y. und J.B. waren sich auch bewusst, dass das Memorandum zur Begehung von Straftaten nach
dem VStGB führen wird. Ihnen war bekannt, dass das CIA darum ersucht hatte, härtere Verhörmethoden anwenden zu dürfen. Ihnen war somit auch bewusst, dass unter diesen Umständen ein für
die Exekutive verbindliches juristisches Gutachten zur Straflosigkeit von unmenschlicher, grausamer und erniedrigender Verhörsfolter zu genau solcher Verhörsfolter führen wird. Insbesondere J.Y.
hat seine Unterstützung von „härteren“ Verhörmethoden auch in der Öffentlichkeit betont,739 etwa
als er seine Auffassung verkündete, dass der Präsident die Macht habe, Folter als Verhörtechnik
anzuordnen.740
e. Kein Verbotsirrtum
Selbst wenn man auf der Ebene der in den §§ 17 und 35 StGB und § 3 VStGB angelegten Defektdogmatik zu Gunsten von J.Y. und J.B. annähme, dass sie in ihrem Handeln in ein hierarchisches
Machtsystem eingebunden waren, würde dies an der Strafbarkeit ihres Verhaltens nichts ändern.
Denn beide waren nicht in die militärische Befehlskette eingebunden (§ 3 1 Alt. VStGB) und selbst
für den Fall, dass sie sich durch Anordnungen gleicher Verbindlichkeit gebunden gefühlt hätten,
wäre ihrer exzellenten juristischen Kompetenz nicht verborgen geblieben, dass das an sie gerichtete Ansinnen rechtswidrig war. Deshalb scheidet auch ein Verbotsirrtum aus.
Mögliche Täterschaft
Die vorgelegte Strafanzeige geht von einem gesicherten Befund aus und kann Beweise für die ausgeführte Beihilfestraftat anführen, wonach sich J.Y. und J.B. selbst dann der Beihilfe strafbar gemacht haben, wenn ihre Handlung als – völlig aus dem Ruder gelaufener - externer Rechtsrat verstanden wird.
Darüber hinaus besteht aber durchaus Anlass, sich die Rolle von J.Y. und J.B. im Gesamtkontext
der beschriebenen Regierungskriminalität auch anders vorzustellen.
Möglicherweise waren sie aktive und gestaltende Teile eines ausgefeilten Planspiels mit einem auf
höchster Ebene der Exekutive angesiedelten Komplott, die Öffentlichkeit und die verantwortlichen
Verhörspersonen über den rechtlichen Kontext zu täuschen.
Ob das Folter-Memorandum als berufsbedingtes Verhalten durch Erteilung von Rechtsrat zu beurteilen ist, bestimmt sich in der Tat nicht nur nach der äußeren Form und wirft die Frage auf, ob J.Y.
und J.B. nicht eher Rechtshilfe gewährt haben. Während ein erteilter Rechtsrat der späteren Exekutivhandlung vorausgeht, wirkt die Rechthilfe unmittelbar auf die Verwaltung ein und gestaltet die
Exekutive mit. Solche „Exekutivhilfe mit Recht“ wäre strafrechtlich nicht anders zu beurteilen als
die Handlungen der Exekutive selbst.
Würden sich im Rahmen von weiteren Ermittlungen die vorhandenen Anhaltspunkte verstärken,
dass J.Y. und J.B. mit ihrem Folter-Memorandum von vorneherein ihren Teil zur Umsetzung der
Verhörsfolter beitragen sollten und wollten, sie also nicht als externe Berater, sondern von Beginn
an im Innern wirkten und ein Teil des Ganzen waren, ließe sich ihre Rolle nicht mehr angemessen
mit einer untergeordneten Teilnahme an Taten anderer beschreiben. Dann hätten auch J.Y. und
J.B. sich in die Reihe jener gestellt, die an den Schaltstellen der Exekutive die täterschaftliche Ver738
Siehe Harris, in: Journal of National Security Law & Policy, Vol. 1 [2006], S. 409 (418, 440 ff.).
Vgl. Interview mit Frontline, PBS, 19.07.2005.
740
Siehe Jane Mayer, THE MEMO. How an internal effort to ban the abuse and torture of detainees
was thwarted, The New Yorker, 27.02.2006
(http://www.newyorker.com/fact/content/articles/060227fa_fact); dies., Outsourcing Torture: The
secret History of America’s “extraordinary rendition” program, The New Yorker, 14.02.2005.
739
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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antwortung für die als Regierungskriminalität begangene systematische Verhörsfolter zu tragen
haben.
6. Mögliche Hindernisse der Strafverfolgung in Deutschland
6.1. Immunität
Es besteht bei keinem der hier Beschuldigten das Verfahrenshindernis der Immunität. Die Frage
stellte sich in der Vergangenheit ohnehin nur bei dem noch eine Übergangszeit amtierenden Beschuldigten D.R., dem am 08.11.2006 zurückgetretenen US-Verteidigungsminister und in stark
eingeschränktem Maße bei dem Beschuldigten A.G., dem Attorney General der Vereinigten Staaten
von Amerika.
In dem bei der Bundesanwaltschaft unter dem Aktenzeichen – 3 ARP 116/05-2 – geführten Verfahren gegen den usbekischen Innenminister Almatov hatte ich mit Schriftsätzen vom 20.12.2005 und
03.01.2006 ein für das dortige Verfahren erstelltes Rechtsgutachten von Prof. Dr. Antonio Cassese,
Professor für Internationales Recht an der Universität in Florenz und Berlin, früherer Richter und
Präsident des Internationalen Strafgerichtshofes für das frühere Jugoslawien (1993-2000) sowie
früherer Vorsitzender der UN-Untersuchungskommission für Darfur (2004-2005) mit dem Titel
„Immunität für ausländische Staatsfunktionäre bei Verdacht von Internationalen Verbrechen“ eingereicht. Hier soll ausdrücklich Bezug auf das damalige Gutachten genommen werden, das als Anlage hier nochmals zur Akte gereicht wird.
Die dortigen Ausführungen lassen sich auf den hiesigen Fall übertragen. Cassese führt nämlich aus,
dass alle staatlichen Vertreter hinsichtlich ihrer offiziellen Verhandlungen prinzipiell zur funktionellen Immunität oder Immunität rationae materie berechtigt seien. Die funktionelle Immunität finde
jedoch nicht auf internationale Straftaten Anwendung, die die Verantwortung des Landes und die
jeweilige strafrechtliche Verantwortlichkeit des betreffenden strafrechtlichen Vertreters nach sich
ziehen würden. Insbesondere erfreue sich ein Innenminister nach allgemeinem internationalen
Recht im Ausland keiner persönlichen Immunität und insbesondere keiner Immunität von strafrechtlicher Verfolgung für offizielle und private Handlungen. Zwar könne ihm unter bestimmten
Umständen persönliche Immunität gewährt werden, wenn er sich auf offizieller Mission im Ausland
befinde. Allerdings ist die Ausdehnung von persönlicher Immunität auf ausländische Vertreter gemäß dem Internationalen Recht vorzunehmen und unterliegt daher strengen Bedingungen. Eine
dieser von Cassese aufgestellten Bedingungen lautet, dass die Gewährung von persönlicher Immunität nicht zur Straffreiheit für internationale Straftaten führen kann. Gemessen an diesen Maßstäben käme eine persönliche Immunität nach dem allgemeinen internationalen Recht für den Beschuldigten A.G., den Attorney General der USA, ohnehin nicht in Betracht. Eine Gewährung von
persönlicher Immunität scheitert an den von Cassese dafür aufgestellten Bedingungen und insbesondere daran, dass es sich bei den Straftaten, die A.G. vorgeworfen werden, um Kriegsverbrechen
handelt.
Abgesehen, dass aus hiesiger Sicht, wie noch auszuführen sein wird, selbst amtierenden Verteidigungsministern keine persönliche Immunität nach dem allgemeinen internationalen Recht gewährt
würde, ist eine solche jedenfalls bei ehemaligen Verteidigungsministern beim Vorwurf von Kriegsverbrechen gänzlich abwegig. Nach Cassese ist „die persönliche Immunität nur für die Dauer der
Amtszeit anwendbar“.741 Dies entspräche internationalem Gewohnheitsrecht. Hinsichtlich Regierungsmitgliedern ist persönliche Immunität bisher nur für amtierende Regierungschefs und Außenminister anerkannt, weil sie den Staat fast ebenso wie das Staatsoberhaupt repräsentieren und ihre
Amtstätigkeit viele Auslandsreisen umfasst (Democratic Republic of the Congo v. Belgium Case,
ICJ- Urteil vom 14.Februar 2002, Rn. 53 ff ).
Auch Gropengießer und Kreicker vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales
Strafrecht stellen in ihrer Studie zum deutschen Recht (Eser/Kreicker (Hrsg.) Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, 1: Deutschland, Freiburg 2003, S. 350ff., 357f.) insoweit klar :
„Aus diesen Gründen für die Immunität ratione personae folgt aber auch zugleich, dass sie die
Amtszeit der jeweiligen Person nicht überdauern kann. Nach Beendigung ihrer Funktion genießen
Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder keine besondere Immunität mehr. Sie können sich
jedoch für ihr dienstliches, ihrem Staat zurechenbares Handeln Immunität ratione materiae der
allgemeinen Staatenimmunität berufen. Doch erfährt diese bei völkerrechtlichen Verbrechen – wie
741
Unveröffentlichtes Gutachten, S. 4
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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gezeigt- eine Ausnahme. Die Staatenpraxis bestätigt diese Feststellung … Für Deutschland bedeutet dies, dass amtierende Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Minister fremder Staaten in
Deutschland vollständige Immunität von strafrechtlicher Verantwortlichkeit genießen, die auch bei
völkerrechtlichen Verbrechen keine Ausnahme erfährt. Nach Beendigung ihrer Funktion jedoch genießen diese Personen keine besondere völkerrechtliche Exemtion von strafrechtlicher Verantwortlichkeit – auch wegen solcher, die sie während ihrer Amtszeit in amtlicher Funktion begangen haben – ohne Einschränkung durch völkerrechtliche Immunitäten zur Verantwortung gezogen werden.“
Im Einzelnen ist über das Cassese-Gutachten hinaus zur möglichen Immunität der Beschuldigten
A.G. und –zumindest zeitweilig- D.R. folgendes auszuführen: Die Staatenimmunität beruht auf zwei
Grundgedanken, nämlich der souveränen Gleichheit aller Staaten und der Aufrechterhaltung der
Funktionsfähigkeit des zwischenstaatlichen Verkehrs. Man unterscheidet zwei Arten von Immunität,
die Immunität ratione materiae und die Immunität ratione personae.742.
Die Immunität ratione materiae besteht für hoheitliche Handlungen von Amtsträgern in amtlicher
Eigenschaft. Dabei werden die hoheitlichen Handlungen allein dem Staat zugerechnet, d.h. völkerrechtlich verantwortlich ist ausschließlich der Staat, nicht der handelnde Amtsträger. Daher verhindert die Immunität ratione materiae bereits materiellrechtlich die Entstehung individueller (strafrechtlicher) Verantwortlichkeit; d.h. auch nach dem Ende seiner Amtstätigkeit kann der in amtlicher Eigenschaft handelnde Funktionsträger nicht persönlich zur Verantwortung gezogen werden.
Die Immunität ratione materiae ist also sachlich begrenzt – nur für hoheitliche Handlungen in amtlicher Eigenschaft – aber zeitlich unbegrenzt.
Die Immunität ratione personae dagegen wird bestimmten Personen, die den Staat repräsentieren,
für die Dauer ihrer Amtszeit für alle ihre Handlungen gewährt. Sie ist ein Verfahrenshindernis für
die Repräsentanten des Staates während ihrer Amtszeit, um so die Funktionsfähigkeit des Staates
selbst zu gewährleisten. Die Immunität ratione personae ist also zeitlich begrenzt – auf die Dauer
der Amtszeit –, wirkt aber absolut, d.h. für vor und während der Amtszeit begangene Handlungen
in amtlicher oder privater Eigenschaft. Die Immunität ratione personae wird nur einem begrenzten
Personenkreis gewährt, nämlich Staatsoberhäuptern, Diplomaten743, Regierungschefs und Außenministern744. Diesen Personen kommt daneben selbstverständlich auch die Immunität ratione materiae für ihre Handlungen in amtlicher Eigenschaft zugute, d.h. bei einer strafrechtlichen Verfolgung nach Ende der Amtszeit ist entscheidend, ob es sich um eine Tätigkeit in amtlicher oder privater Eigenschaft gehandelt hat745.
Hinsichtlich Regierungsmitgliedern ist persönliche Immunität bisher nur für die Regierungschefs
und Außenminister anerkannt, weil sie den Staat fast ebenso wie das Staatsoberhaupt repräsentieren und ihre Amtstätigkeit viele Auslandsreisen umfasst746. Daher ist es schon zur Aufrechterhaltung des Funktionieren des Staates unerlässlich, dass diese Personen nicht durch Haftbefehle etc.
im Ausland von der Ausübung ihrer Amtstätigkeit abgehalten werden747. Dem Beschuldigten und
baldigen Ex-Verteidigungsminister D.R. war dagegen zu keinem Zeitpunkt Immunität ratione personae zuzuerkennen. Denn Auslandsreisen gehören nicht zu den primären Aufgaben eines Verteidigungsministers, so dass er insofern nicht mit einem Außenminister gleichzustellen ist. Zudem repräsentieren grundsätzlich entweder der Regierungschefs oder Außenminister einen Staat im Ausland. Der Schwerpunkt der Tätigkeiten eines Verteidigungsministers liegt dagegen in der Oberaufsicht über die nationale Armee. Einem ordnungsgemäßen Funktionieren des Staates als solchem
stände es also nicht entgegen, wenn der Verteidigungsminister aufgrund eines ausländischen Haftbefehls in bestimmte Staaten nicht reisen könnte. Zudem wird dem Verteidigungsministern bei
amtlichen Auslandsaufenthalten in der Regel die Stellung eines Mitglieds einer Spezialmission zuzubilligen sein, d.h. er ist wie ein ad hoc- Diplomat zu behandeln748, so dass seinen Reisen in amtlicher Eigenschaft nicht die Gefahr einer Festnahme entgegenstünden. Eine Immunität ratione per742
Ipsen, a.a.O., § 26 Rn. 35 ff, Antonio Cassese, When may Senior State Officials be tried for International Crimes? Some Comments on The Congo v. Belgium Case, S.11 ff
743
Art. 31 Wiener Diplomatenrechtskonvention
744
Democratic Republic of the Congo v. Belgium Case, Urteil vom 14.Februar 2002, Rn. 51).
745
Cassese, a. a. O., S. 13
746
Democratic Republic of the Congo v. Belgium Case, Urteil vom 14. Februar 2002, Rn. 53 ff )
747
vgl. Albin Eser/Helmut Kreicker (Hrg.) Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen,
Deutschland, Freiburg 2003, S. 355ff.
748
Ipsen, a.a.O., § 26 Rn, 36
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sonae für Verteidigungsminister ist also nicht essentiell für das Funktionieren des Staates selbst
und daher nicht anzuerkennen.
Als Verteidigungsminister war der Beschuldigte D.R. jedoch Hoheitsträger und würde Immunität
ratione materiae genießen, sofern er in amtlicher Eigenschaft gehandelt hat. Seine Aufsichtspflichtverletzung wäre als Handeln in amtlicher Eigenschaft anzusehen. Denn er hat als Verteidigungsminister die Aufsichtspflicht über das Militär. Es ist allein sein offizieller Status, der es ihm ermöglicht,
die Völkerrechtsverbrechen zu verhindern, geschehen zu lassen oder zu fördern. Damit wäre er
grundsätzlich hinsichtlich dieser Taten immun, und zwar auch nach Ende seiner Amtszeit, weil es
sich um einen Völkerrechtsverstoß in amtlicher Eigenschaft handelt.
Aber es hat sich in neuerer Zeit eine völkergewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Immunität
ratione materiae für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord entwickelt749. Die Entstehung einer solchen völkergewohnheitsrechtlichen Regel durch opinio iuris und
Staatenpraxis zeigt sich anhand nationaler750 Rechtsprechung, welche die Entwicklung einer solchen Rechtsüberzeugung belegen. Zwar geht es bei den meisten der nationalen Entscheidungen
um die Immunität von Angehörigen des Militärs. Da auch Angehörige des Militärs Amtsträger sind
und ihnen somit Immunität ratione materiae zukommt, ist nicht ersichtlich, warum für Verteidigungsminister etwas anderes gelten sollte, weil diesem nach dem oben Gesagten auch nur Immunität ratione materiae zukommt.
Umstritten ist nur die Grundlage dieser völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme: Zum Teil wird
argumentiert, Völkerrechtsverbrechen seien stets „private Handlungen“; andere sagen, der notwendige Interessenausgleich zwischen individuellem Schutz und kollektiver Souveränität würde
angesichts der gewachsenen Bedeutung der Menschenrechte zu einer Einschränkung der Immunität führen751. Ein weiterer Ansatz ist die Anerkennung grundlegender Menschenrechte als ius cogens, deren Verletzung mit einer Repressalie – Verweigerung der Immunität – begegnet werden
kann bzw. deren Verletzung eine Verwirkung der Souveränitätsrechte zur Folge hat752. Insbesondere der heute oft vertretene Vorrang der Menschenrechte vor der Souveränität der Staaten (der sich
auch in humanitären Interventionen zeigt), der Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit bei
Völkerrechtsverbrechen und die Verankerung des Weltrechtsprinzips für Völkerrechtsverbrechen
spiegeln diese Rechtsüberzeugung wieder. Denn bei einer Fortwirkung der Immunität für ex-officioVerbrechen würde die Geltung des Weltrechtsprinzip weitgehend ins Leere laufen. Schließlich ist die
Ausnutzung des Staatsapparates zur Erfüllung der Mehrzahl der völkerrechtlichen Straftatbestände
unumgänglich – es ist kaum denkbar, wie etwa Völkermord ohne staatliche Rückendeckung begangen werden sollte -, so dass dann immer die Strafverfolgung wegen der Immunität ratione materiae zeitlich unbegrenzt ausgeschlossen wäre. Letztlich kann aber dahinstehen, warum genau sich
eine entsprechende Rechtsüberzeugung und Staatenpraxis entwickelt hat. Entscheidend für die
749
Cassese, a.a.O., S. 20; derselbe in International Criminal Law, 2003, S. 267; Werle a.a.O., Rn.
451, wohl auch Ipsen, a.a.O., § 26 Rn. 37 ff.
750
(vgl. Fall Eichmann, Urteil des israelischen Gerichtshofes vom 29.05.1962, 36 ILR, 277 ff; Fall
Barbie, 78 ILR, 125 ff, 100 ILR, 331 ff; Fall Kappler, Urteil des italienischen Obersten Militärgerichtshofes vom 25.10.1952, 36 Rivista di diritto internazionale (1953),193 ff; Fall Priebke, Urteil
des Römischen Militärberufungsgerichts vom 07.03.1998, L’Indice Penale (1999), 959 ff; Fall Rauter, Urteil vom 12.01.1949, Annual Digest 1949, 526 ff; Fall Albrecht, Urteil vom 11.04.1949,
Nederlands Jurisprudentie 1949, 747 ff; Fall Bouterse, Urteil des Amsterdamer Berufungsgerichts
vom 20.11.2000, http://www.icj.org/objectives/decision.html; von Lewiski, Annual Digest 1949,
523 f; Kesserling, Law Reports of Trials of War Criminals (1949), vol.8, at 9 ff; Fall Pinochet, Urteil
des House of Lords vom 24.03.1999, (1999) 2 All E.R. 97 ff; Fall Yamashita, Urteil des US Supreme
Court, L. Friedman, The Law of War, A Documentary History, vol.II, (1972) 1599 ff; Fall Buhler,
Urteil des Obersten Polnischen Gerichtshofes, Annual Digest 1948, 682; Fall Miguel Cavallo, Mexikanische Auslieferungsentscheidung vom 12.01.2001,
http://www.derechos.org/nizkor/arg/espana/mex.html) sowie internationaler (vgl. Fall Karadzic
and others, ICTY, Trial Chamber I, Urteil vom 16.05.1995, para 24; Furundzija, ICTY, Trial Chamber II, Urteil vom 10.12.1998, para 140; Fall Slobodan Milosevic, ICTY, Trial Chamber III, Urteil
vom 08.11.2001, para 26 ff)
751
Bothe, Die strafrechtliche Immunität fremder Staatsorgane, ZaöRV 31 (1971), 246 ff; Bröhmer,
State Immunity and the Violation of Human Rights, 1997
752
Kokott, Missbrauch und Verwirkung von Souveränitätsrechten bei gravierenden Völkerrechtsverstößen, FS Bernhardt, 1995, 135 ff; Ambos, Der Fall Pinochet und das anwendbare Recht, JZ 1999,
S. 16,22, m.w.N.
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Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht ist allein, dass sie existieren.
Der Umstand, dass der Täter in amtlicher Eigenschaft handelte, lässt nach dieser völkergewohnheitsrechtlichen Ausnahme von dem Grundsatz der materiellen Immunität seine persönliche Verantwortlichkeit nach Völkerstrafrecht vor internationalen sowie nationalen Gerichten unberührt.
Hinsichtlich in amtlicher Eigenschaft begangener Völkerrechtsverbrechen besteht also eine konkurrierende Verantwortlichkeit des Staates und des Amtsträgers selbst.
Danach steht das Handeln der Beschuldigten D.R. und A.G. in amtlicher Eigenschaft ihrer Strafverfolgung vor deutschen Gerichten nicht entgegen.
6.2. Das NATO-Statut (Statute of Forces Agreement - SOFA)753
Das NATO-Statut (Statute of Forces Agreement - SOFA) ist einer Strafverfolgung der angezeigten
Personen in Deutschland nicht hinderlich. Es wäre ohnehin nur ein Teil der Beschuldigten betroffen.
Grundsätzlich ist das SOFA nur auf Straftaten anwendbar, die im Staatsgebiet des Empfangsstaates
und nicht auf solche, die in Drittstaaten begangen wurden. Selbst wenn man dieser Begründung
nicht folgen mag, käme ein zweites Argument zum Tragen: da die USA die ihr nach SOFA zustehende vorrangige Gerichtsbarkeit gegen die beschuldigten Personen nicht ausüben, kann
Deutschland insoweit die Strafverfolgung übernehmen, ohne gegen SOFA zu verstoßen.
Das NATO-Statut (SOFA) ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil das Statut lediglich für die
Straftaten gültig sein sollte, die von Mitgliedern der Streitkräfte des entsendenden Staates im Empfangsstaat begangen werden. Da die angezeigten Straftaten im Irak begangen wurden, würde das
SOFA die deutsche Gerichtsbarkeit weder beschränken, noch würden die Angehörigen der USamerikanischen Streitkräfte, auf die es theoretisch anwendbar wäre, Immunität genießen.
Denn der Sinn und Zweck des SOFA ist es, das Problem der permanenten Stationierung ausländischer Truppen in souveränen Staaten in Friedenszeiten zu regeln, da diese Stationierung ansonsten
als Akt der Besatzung angesehen werden könnte. Die USA versuchten daher Rechtsgebiete wie
Zollrecht, Arbeitsrecht, Steuerrecht und nationale Strafverfolgung mit den Empfangsstaaten zu
verhandeln754. Internationale Strafverfolgung war von vornherein nicht Gegenstand der Verhandlungen. Die Vertragsparteien des SOFA wollten die nationale Strafverfolgung über die stationierten
Soldaten regeln, da internationales Recht während der Friedenszeit grundsätzlich vorsieht, dass der
Empfangsstaat volle Gerichtsbarkeit über alle Straftaten innerhalb seiner Grenzen hat755. Amnesty
International führt dazu aus:
„Aktuelle SOFA-Statute sind dafür vorgesehen, eine primäre Verantwortung zur Ermittlung und
Verfolgung von Staatenfällen konkurrierender Jurisdiktion zu regeln. Sie sind aber nicht dazu vorgesehen, Straflosigkeit für die Staatsangehörigen des Entsendestaates für Straftaten, die im Empfangsstaat begangenen wurden, dadurch zu reglementieren, dass US-Gerichten exklusive Gerichtsbarkeit zugestanden wird. Die Statute sind ursprünglich beschlossen worden, weil vorrangige Gerichtsbarkeit für in NATO-Staaten stationierte U-Streitkräfte geregelt werden sollte, um sicherzustellen, dass US-Gerichte Angehörige der US-Streitkräfte für militärische disziplinarische Vergehen
in den Empfangsstaaten bestrafen könnten, um weiterhin sicherzustellen, dass die Angehörigen der
US-Streitkräfte sich Ermittlungsverfahren und Strafverfahren stellen können mit bekannten Verfahrensregeln und einem bekannten Recht, um weiterhin sicherzustellen, dass Angehörige der USStreitkräfte in diesem Fall größere Verfahrensgarantien im Sinne des Fair Trial bekämen als bei
ausländischen Gerichten und um sicherzustellen, dass die von Angehörigen von US-Streitkräften
begangenen Straftaten gegen US-Staatsbürger strafverfolgt werden, da unter Umständen diese
Straftaten von geringerer Priorität für ausländische Gerichte hätten sein können.“ (International
Criminal Court, US Efforts to Obtain Impunity for Genocide, Crimes Against Humanity and War
Crimes, Amnesty International, http://www.amnesty.org.il/reports/US2.html.)
Es ist weiterhin zu berücksichtigen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs
in den USA ein souveräner Staat exklusive Gerichtsbarkeit bezüglich der Verletzungen des Rechts
ausübt, die innerhalb seiner eigenen Grenzen begangen wurden, zumindest aber insoweit aus753
Die folgende Darstellung weicht nur unmaßgeblich von der entsprechenden Passage der Strafanzeige von 30.11.2004 ab.
754
Oberst Richard J. Erickson, Status of Forces Agreements: A Sharing of Sovereign Prerogative, 37
A.F.L. Rev. 137, 139 (1994)
755
vgl. Erickson a. a. O.
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drücklich oder implizit Gerichtsbarkeit nicht übertragen wurde756. Nach einer anderen Entscheidung
soll die Gerichtsbarkeit einer Nation innerhalb ihres eigenen Territoriums notwendigerweise exklusiv und absolut sein. Sie sei keiner Begrenzung zugänglich757. Gerade aufgrund dieser generellen
Regeln entspricht es einer langen Tradition der US-Politik, durch Mechanismen wie das NATO- Statut Abhilfe zu schaffen758.
Es gibt jedenfalls im Text des SOFA keine Regelung, die die Ausübung von extraterritorialer oder
Gerichtsbarkeit nach dem Weltrechtsprinzip durch die deutschen Gerichte explizit ausschließen
würde. In der Einleitung des SOFA heißt es, dass das Ziel des Statuts sei, den Status der Streitkräfte zu regeln, während sie im Territorium einer anderen Partei aufhältlich sind. Diese Feststellung muss so interpretiert werden, dass SOFA lediglich die vorrangige Gerichtsbarkeit in dem Fall
dem Entsendestaat zugesteht, für bestimmte Straftaten, die innerhalb des Territoriums des Empfangsstaates begangen wurden. Wenn SOFA so interpretiert würde, dass auch die Straftaten, die in
dritten Staaten begangen wurden, davon umfasst wären, würde Deutschland davon abgehalten
werden, seine Gerichtsbarkeit beispielsweise im Falle des passiven Personalitätsprinzip auszuüben.
Damit wäre die Verfolgung von Straftaten, die von Angehörigen der US-Streitkräfte in Drittländern
gegenüber einem deutschen Staatsbürger begangen werden, ausgeschlossen. Amnesty International argumentiert daher, dass die Struktur von Art. VII SOFA sowohl nach Sinn und Zweck als auch
entsprechend der nachfolgenden Praxis deutlich machten, dass das SOFA nicht dafür vorgesehen
ist, den Angehörigen der Streitkräfte des Entsendestaates Straflosigkeit für Straftaten zu gewähren, sondern im Gegenteil eine Zuständigkeitszuweisung für die Ermittlung und Strafverfolgung
dieser Verbrechen gewährleisten wollte759.
Diese Auslegung des SOFA stimmt im übrigen mit dem Verhalten der deutschen Bundesregierung
bei den Verhandlungen um die Gewährung von Immunität für Angehörige von US-Streitkräften vor
dem Internationalen Strafgerichtshof überein. Deutschland war einer der drei Staaten, die sich bei
der ersten Abstimmung des Sicherheitsrates über die Ausdehnung der Immunität enthielten760.
Darüber hinaus hat Deutschland öffentlich erklärt, dass es sich jeder Vereinbarung widersetzen
würde, die von den USA vorgeschlagen würde, um den Angehörigen ihrer Streitkräfte Immunität
für die Strafverfolgung vor dem Internationalen Strafgerichtshof für Kriegsverbrechen zu gewähren761. Wenn Deutschland oder die USA glaubten, dass das SOFA Immunität für Menschenrechtsverbrechen gewährte, wären solche öffentlichen Verlautbarungen nicht notwendig762.
Wollte man dieser weitergehenden Auslegung nicht folgen, kommt man jedoch auch bei der Auslegung des SOFA zu dem Schluss, dass sich daraus kein Strafverfolgungshindernis für die Verfolgung
der hier angezeigten Straftaten gegen die in Betracht kommenden Personen ergibt.
Die Begründung deutscher Gerichtsbarkeit ergibt sich nicht aus dem SOFA. Nach Art. VII Nr.1 b
SOFA steht dem Empfangsstaat der ausländischen NATO-Truppen Jurisdiktion hinsichtlich der Taten
der entsandten Soldaten, die auf seinem Territorium begangen wurden, zu. Die Taten wurden zwar
zum Teil von amerikanischen NATO-Soldaten begangen, die in Deutschland stationiert sind, aber
nicht auf deutschem Territorium.
Allerdings ist durch das SOFA eine anderweitig bestehende Gerichtsbarkeit nicht ausgeschlossen.
Es handelt sich bei Art. VII Nr.1 b SOFA nicht um eine abschließende Zuständigkeitsregelung zwischen dem Entsende- und Empfangsstaat hinsichtlich im Rahmen der NATO stationierter Truppen.
Daher kann aus der Nichtanwendbarkeit des Art. VII Nr.1 b SOFA nicht der Umkehrschluss gezogen
werden, dass damit jede anderweitig bestehende deutsche Gerichtsbarkeit, nämlich hier nach §§ 1,
8 VStGB, ausgeschlossen wäre. Art. VII SOFA präzisiert lediglich die Zuständigkeitsverteilung zwischen der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates nach dem Territorialitätsprinzip im Verhältnis zur
Gerichtsbarkeit des Entsendestaates nach dem aktiven Personalitätsprinzip, weil zwischen diesen
beiden Prinzipien bei der Stationierung von Truppen im Ausland typischerweise Kompetenzkonflikte
756
Wilson v. Girard, 354 U.S. 524, 529, 77 S.Ct. 1409, 1411, 1 L.Ed. 1544 (1956)
The Schooner Exchange v. M’Faddon, 7 Cranch 116, 136, 3 L. Ed. 287 (1812)
758
vgl. Erickson, a.a.O.
759
Amnesty International, a.a.O.
760
U. S. Granted ICC Immunity, The Globe an Mail, June 13, 2003,
http://foi.missouri.edu/icc/usgranted.html.
761
Thomas Fuller,EU Deal Could Give U. S. Troops Immunity, International Herald Tribune, October
1, 2002, http://www.iht.com/articles/72280.html
762
(vgl. International Criminal Court, US Efforts to Obtain Impunity for Genocide, Crimes Against
Humanity and War Crimes, Amnesty International, http://www.amnesty.org.il/reports/US2.html.).
757
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auftreten. Es handelt sich also bei Art. VII Nr. 1 SOFA um eine rein deklaratorische Vorschrift. Sowohl dem Entsende- wie auch dem Empfangsstaat steht die Gerichtsbarkeit nämlich nach Völkergewohnheitsrecht zu.
Dass es sich bei Art. VII Nr.1 SOFA nicht um ausschließliche Zuständigkeiten handelt, ergibt sich
auch schon aus dem Wortlaut der Vorschrift. Hätten die Vertragsparteien des SOFA alle anderen
Zuständigkeiten durch Art. VII Nr. 1 SOFA ausschließen wollen, hätten sie den abschließenden Charakter durch das Einfügen eines „nur“ oder „ausschließlich“ kenntlich gemacht oder machen müssen. Zwar ist bei der Auslegung des SOFA auch der historische Kontext zu beachten, weil sich z.B.
die heutige Ausprägung des Weltrechtsprinzip erst nach Abschluss des SOFA entwickelte, zum damaligen Zeitpunkt somit noch kein Bedürfnis bestand, die universelle Jurisdiktion auszuschließen.
Es wurde aber schon damals die Strafgerichtsbarkeit völkergewohnheitsrechtlich aufgrund anderer
Prinzipien als dem Territorialitätsprinzip und dem aktiven Personalitätsprinzip anerkannt, z.B. aufgrund des passiven Personalitätsprinzips (Gerichtsbarkeit für den Staat, dessen Nationalität das
Opfer der Straftat hat) oder des Schutzprinzips (Gerichtsbarkeit für den Staat, dessen spezifische
Interessen durch die Tat verletzt wurde, z. B. Geldfälschung). Insofern wäre es bei Abschluss des
SOFA nicht überflüssig gewesen, einen intendierten abschließenden Charakter des Art. VII Nr.1
klarzustellen. Diese Intention bestand aber weder nach dem Wortlaut noch nach den travaux préparatoires, in denen sich kein Hinweis findet, dass das SOFA gerichtsbarkeitsbegründend sein
soll763.
Nach Art. VII Nr. 3 a ii SOFA ist die konkurrierende Jurisdiktion des Empfangsstaates als nachrangig ausgeschlossen, wenn die betreffende Tat durch eine Handlung oder Unterlassung eines NATOSoldaten in amtlicher Eigenschaft begangen wurde. Die entscheidende Frage ist also, ob die Misshandlung der Gefangenen eine hoheitliche oder private Handlung darstellt und wer diese Frage
entscheidet.
Nach den travaux préparatoires sollten die Militärautoritäten des Entsendestaates entscheiden dürfen, wann die Tat während einer hoheitlichen Tätigkeit begangen wurde764. Das entspricht der USamerikanischen Position und wird z.T. mit der Ähnlichkeit zur diplomatischen Immunität begründet,
bei der ebenfalls der Entsendestaat bestimme, wer Diplomat und damit Träger der diplomatischen
Immunität ist765. Dagegen wird angeführt, dass nach der Staatenpraxis das Gericht des Empfangsstaates über diese Frage entscheiden darf766. In Übereinstimmung mit der neueren Staatenpraxis767 ist davon auszugehen, dass deutsche Gerichte zu der Entscheidung befugt wären.
Die unmittelbaren Täter behaupten teilweise, aufgrund von Anordnungen ihrer Vorgesetzten gehandelt zu haben. Wird dies als wahr unterstellt, handelt es sich um eine Tat in Ausübung einer
hoheitlichen Tätigkeit. Dann handelten die Täter in amtlicher Eigenschaft, nämlich als Soldaten in
Ausführung eines militärischen Befehls, und nicht als Privatpersonen. Die Ausführung von Befehlen
der Vorgesetzten ist gerade Aufgabe eines Soldaten. Ohne das Vorliegen eines ausdrücklichen Befehls sind die Täter ausschließlich aufgrund ihrer amtlichen Eigenschaften als Soldaten und Gefängnisaufseher im Besatzungsgebiet in die Situation der Tat gekommen. Selbst ohne eine ausdrückliche Anweisung standen sie unter enormen Druck, die Gefangenen mit jedem möglichen Mittel zu
einer Aussage zu bewegen. Die Folterhandlungen standen daher im unmittelbaren Zusammenhang
mit den den Tätern übertragenen Aufgaben.
Fraglich ist, ob man annehmen kann, dass ein Verstoß gegen die Genfer Abkommen immer als
Handeln „ultra vires“ den Zurechnungszusammenhang unterbreche, weil ein Völkerrechtsverbre-
763
J. H. Rouse, G. B. Baldwin, „The Exercise of Criminal Jurisdiction under the Nato Status of Forces
Agreement, American Journal of International Law, vol. 512, 1957, S. 29, 34
764
A. Ciampi, s. u., der auf Joseph M. Snee & A. Kenneth Pye, „Status of Forces Agreements an
Criminal Jurisdiction“ 46-54 und Serge Lazareff, „Status of military forces under current international law, Leiden, Sijthoff, 1971 verweist; R. R. Baxter, „Criminal Jurisdiction in the Nato Status
Force Agreement“, International Comparative Law Quarterly, vol. 7, 1958, S. 72, 78
765
J.H. House, G.W.B. Baldwin, a. a. O., S. 41
766
D.S. Wijewardane, „Criminal Jurisdiction over Visiting Forces with Special Reference to International Forces“, British Yearbook of International Law, vol. 41, 1965-66, S. 122, 143
767
Public Prosecutor v. Ashby. Judgement No. 161/98. Court of Trento, Italien, Urteil vom 13. Juli
1998
Fall Abu Ghraib II / Guantánamo | Strafanzeige vom 14. November 2006
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chen nie zu den Aufgaben des Staates und der Nato-Soldaten gehöre768.
Dafür spricht, dass Art. VII SOFA als Ausnahme zu den allgemeinen Zuständigkeitsregelungen eng
interpretiert werden muss, d.h. vorrangige Gerichtsbarkeit nach Nr. 3 a ii nur vorliegen kann, wenn
die Handlung in Ausführung einer im NATO-Vertrag vorgesehenen Aufgabe erfolgte769. Diese Argumentation ist problematisch, weil Art. VII Nr. 3 a ii SOFA dann weitgehend ins Leere läuft, weil
eigentlich davon auszugehen ist, dass die im NATO-Vertrag vorgesehenen Aufgaben keine Strafrechtsverstöße darstellen. Zudem besteht kein so dringendes Bedürfnis an einer Ausnahme für
Völkerrechtsverbrechen wie bei der Immunität, da die Zurechnung der Handlungen zu den hoheitlichen Tätigkeiten der Soldaten eben nicht ihre Straflosigkeit nach sich zieht, sondern nur die vorrangige Gerichtsbarkeit des Entsendestaates begründet. Der Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit bei Völkerrechtsverbrechen und die gewachsene Bedeutung der Menschenrechte kann
deshalb nur schwer für die Unterbrechung des Zurechnungszusammenhanges angeführt werden.
Damit besteht hier wohl wegen Art. VII Nr. 3 a ii SOFA die vorrangige Zuständigkeit der USA.
Allerdings kann auch in einem solchen Fall nach Art. VII Nr. 3 c SOFA die nachrangige Jurisdiktion
des Empfangsstaates ausgeübt werden, wenn der Staat mit der vorrangigen Zuständigkeit – hier
also die USA – zum einen selbst keine Gerichtsbarkeit ausübt und zum anderen auf seine vorrangige Zuständigkeit verzichtet. Zudem ist der Empfangsstaat nicht von der Ausübung seiner zweitrangigen Gerichtsbarkeit ausgeschlossen, wenn der primär zuständige Staat seine primäre Gerichtsbarkeit entweder gar nicht ausübt oder sich auf disziplinarische Maßnahmen gegen seine Soldaten
beschränkt770. Denn ein Disziplinarverfahren kann nicht als mit einem Gerichtsverfahren vergleichbar angesehen werden, so dass das ne bis in idem Prinzip des Art. VII Nr. 8 SOFA nicht eingreift.
Bei einer anderen Auslegung würde Art. VII Nr. 3 SOFA nämlich nicht nur eine vorrangige, sondern
eine ausschließliche Gerichtsbarkeit regeln, was auch so zu kennzeichnen wäre. In einem solchen
Fall muss die USA wohl auch nicht um einen Verzicht auf seine vorrangige Gerichtsbarkeit ersucht
werden, sofern sie diese schon abschließend in Form von disziplinarrechtlichen Maßnahmen ausgeübt hat.
Da – wie an anderer Stelle ausgeführt – gegen die hiesigen Beschuldigten in den USA keine Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet wurden und die Einleitung solcher Maßnahmen nicht zu erwarten ist, wäre mithin selbst bei Anwendbarkeit des SOFA eine Strafverfolgung der Beschuldigten
durch deutsche Gerichte durch das SOFA nicht ausgeschlossen.
768
ähnlich hinsichtlich des Verstoßes gegen die Flughöhevorschrift: A. Ciampi, „Public Prosecutor v.
Ashby. Judgement No. 161/98. Court of Trento, Italy, July 13, 1998“, American Journal of International Law, vol. 934, 1999, 219, 221.
769
A. Ciampi, a.a.O., S. 221
770
A. Ciampi, a.a.O., S. 223; anders aber das italienische Gericht
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7. Schlussbemerkung
Es wird ausdrücklich um entsprechenden rechtlichen Hinweis und Gelegenheit zur ergänzenden
Stellungnahme sowie zur Einreichung von Gutachten bzw. Unterlagen gebeten, falls die Bundesanwaltschaft beabsichtigen sollte, selbst kein Ermittlungsverfahren einzuleiten oder die Ermittlungen
nicht selbst zu übernehmen. Vor einer abschließenden Entscheidung begehrt der Unterzeichner
Akteneinsicht
und bittet um Übersendung der Akte an seine Büroadresse.
Wenn die Bundesanwaltschaft - aus welchen rechtlichen Gründen auch immer – die Einleitung eines Ermittlungsverfahren wegen Kriegsverbrechen nach dem VStGB ablehnen sollte, wird - vorbehaltlich der Einleitung des Klageerzwingungsverfahrens - die Erwirkung von Entscheidungen nach §
13 a StPO in Verbindung mit § 6 Nr. 9 StGB bezüglich der aufgelisteten Foltereinzelfälle und der
vor dem 30.06.2002 begangenen Taten beantragt.
Eine solche Gerichtsstandbestimmung erübrigt sich nach hiesiger Auffassung bei Einleitung eines
Ermittlungsverfahren wegen Kriegsverbrechen nach dem VStGB, da die Folterstraftaten dann Annexstraftaten im Sinne der bekannten Rechtssprechung bundesdeutscher Obergerichte771 darstellen und die Bundesanwaltschaft insoweit für die Ermittlungsverfahren zuständig bleibt.
Schließlich wird um eine kurze Eingangsbestätigung und um Mitteilung des Aktenzeichens gebeten.
W.K.,
Rechtsanwalt
771
zu den Jugoslawienverfahren, vgl. BGH NStZ 1999, S. 396ff.
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