Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen

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Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen
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Sexueller Missbrauch von Kindern und
Jugendlichen – Pädagogische
Konsequenzen für die Grundschule
Helena Ahmann
© 2009
Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das
Lehramt an Grund-, Haupt und Realschulen
Hochschulort:
Osnabrück
Erstgutachter:
Dr. phil. Dipl.-Päd. Ekkehard Ossowski
:
1
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung .............................................................................................. 3
2. Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen....................... 5
2.1.
Geschichtlicher Hintergrund .............................................................................5
2.2.
Definition ..........................................................................................................6
2.2.1.
Formen des sexuellen Missbrauchs .........................................................11
2.3.
Zum Ausmaß sexuellen Missbrauchs ..............................................................12
2.4.
Die Täter ..........................................................................................................15
2.4.1.
2.5.
Strategien der Täter .................................................................................16
Die Opfer .........................................................................................................17
3. Ursachen des Missbrauchs ................................................................ 18
3.1.
Erklärungsansätze ............................................................................................18
3.1.1.
Der feministisch-gesellschaftliche Erklärungsansatz ..............................18
3.1.2.
Der familientheoretische Erklärungsansatz .............................................19
3.1.3.
Das Vier-Faktoren-Modell nach Finkelhor .............................................21
4. Hinweise des Kindes – Folgen ........................................................... 23
4.1.
Körperliche Verletzungen ...............................................................................24
4.2.
Psychosomatische und psychische Folgen ......................................................25
4.3.
Soziale Auffälligkeiten ....................................................................................26
4.4.
Emotionale Folgen/ Auswirkungen auf das Sexualverhalten..........................27
5. Pädagogische
Konsequenzen
für
die
Arbeit
an
Grundschulen ............................................................................................ 28
5.1.
Sexueller Missbrauch – Ein Thema für die Schule .........................................28
5.2.
Prävention von sexuellem Missbrauch ........................................................30
5.2.1.
5.2.1.1.
Zum Präventionsbegriff...........................................................................30
5.2.2.
Traditionelle und neuere Präventionsansätze ................................. 32
5.2.2.1.
Präventionsprojekt CAPP der USA.........................................................35
Kritik an CAPP............................................................................... 38
1
5.2.3.
Präventionsmöglichkeiten in der Grundschule........................................40
5.2.4.
Prävention durch Elternarbeit ..................................................................43
5.2.4.1.
Planung eines Elternabends ............................................................ 43
5.2.4.2.
Tipps für einen Elternabend ........................................................... 44
5.2.5.
5.2.5.1.
Lehrerausbildung .....................................................................................47
SchiLF – Ein Modell zur Lehrerfortbildung für die
Prävention von sexuellem Missbrauch in Nordrhein-Westfalen ........................ 48
5.3.
5.2.6.
Die Wirksamkeit von Präventionsprogrammen ......................................53
5.2.7.
Unterrichtsideen für die Schule ...............................................................55
Intervention....................................................................................................67
5.3.1.
Voraussetzungen der Intervention ...........................................................68
5.3.2.
Mögliche Hinweise..................................................................................70
5.3.2.1.
5.3.3.
Kinderzeichnungen ......................................................................... 71
Interventionsschritte im Einzelnen – Was tun im Verdachtsfall? ...........75
5.3.3.1.
Situation der Lehrkräfte als Vertrauensperson des Kindes ............ 76
5.3.3.2.
Zusammenarbeit mit Institutionen.................................................. 78
5.3.3.3.
Kontaktaufnahme mit dem Opfer ................................................... 80
5.3.3.4.
Das soziale Umfeld - Situation der Eltern ...................................... 83
5.3.4.
5.3.4.1.
Rechtliche Regelungen bei sexuellem Missbrauch .................................85
5.3.5.
Das Strafverfahren.......................................................................... 87
Zusammenfassender Überblick der Intervention ....................................89
6. Ausblick / Schlusswort ....................................................................... 89
7. Quellenverzeichnis ............................................................................. 92
8. Anhang ................................................................................................ 99
8.1.
Auszüge aus den Gesetzbüchern .....................................................................99
8.2.
Anhang zur Prävention in der Grundschule
2
1. Einleitung
Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen ist eine Angelegenheit, die
heute fast täglich in den Medien auftaucht und von Fällen missbrauchter
Kinder berichtet wird. Das war aber nicht immer so. Bis zu den 80er Jahren
war das Thema absolut tabu. Aus diesem Grund werde ich zunächst auf den
geschichtlichen Hintergrund dieses Themas eingehen.
Im weiteren Verlauf möchte ich die Frage: „Was ist sexueller Missbrauch?“
klären und einige Definitionen vorstellen. Die Frage nach der Definition ist
nicht einfach und Wissenschaftler sind sich besonders in der Frage, wo
sexueller Missbrauch anfängt und wo er aufhört uneinig. Nach der Frage, wo
sexueller Missbrauch aufhört und wo er anfängt, lässt sich feststellen, dass es
unterschiedliche Formen des Missbrauchs gibt. Diese möchte ich nach der
Klärung der Definition vorstellen.
„Ein Kind wird "entführt, missbraucht, ermordet" – die Angst davor erschreckt
und beunruhigt Eltern zutiefst. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind
Opfer eines derartigen Verbrechens wird, ist äußerst gering.“1 Weitaus häufiger
hingegen sind die unerkannten, verschwiegenen Fälle innerhalb des
Bekannten- oder Verwandtenkreises der Kinder. Die Dunkelziffer der
Missbrauchsfälle ist sehr hoch. Im zweiten Kapitel möchte ich einen Einblick
in das Ausmaß gewähren und dabei klären, wer die Opfer und wer die Täter
sind. Dabei stellt sich mir die Frage: „Gibt es Kinder, die besonders gefährdet
sind?“ „Wie gehen die Täter vor?“
Die Ursachen des Missbrauchs hängen eng zusammen mit den Auffälligkeiten
des Täters, die ich im zweiten Kapitel erläutert habe. Daher möchte ich mich
im dritten Kapitel auf die Ursachen des Missbrauchs konzentrieren. Im Bezug
darauf werde zwei Erklärungsansätze der Wissenschaftler Helmut Koch und
Marlene Kruck vorstellen. Auch der Wissenschaftler Finkelhor hat sich mit der
1
http://www.polizei-beratung.de/rat_hilfe/opferinfo/sexueller_missbrauch_von_kindern/
3
Ursachenanalyse auseinander gesetzt und ein Integrationsmodell verschiedener
Erklärungsansätze entwickelt, dieses möchte ich im Anschluss erläutern.
Sexueller Missbrauch ist immer ein schlimmes Erlebnis für ein Kind, die
Folgen sind gravierend, können aber sehr unterschiedlich sein. Im vierten
Kapitel werde ich die möglichen Folgen, die nach einem Missbrauch entstehen
können aufzeigen.
Für mich als angehende Lehrerin in der Grundschule ist das Thema sehr
wichtig. Obwohl das Thema Sexueller Missbrauch auch in den Schulen immer
häufiger auftaucht, ist es noch ein schwieriges Thema, über das nicht gerne
gesprochen wird. Sexualität allgemein ist eine Angelegenheit, die in unserer
Gesellschaft noch immer tabuisiert wird. Daher sind viele Lehrer2 überfordert
und verunsichert.
Missbrauchsfälle jedoch gibt es überall, auch wenn wir sie nicht sehen. Ich
möchte meinen Schwerpunkt der Arbeit auf die pädagogischen Konsequenzen
für
die
Grundschule
legen
und
dabei
die
Präventions-
und
Interventionsmöglichkeiten für Lehrer an Schulen darstellen. Statistisch
gesehen kommt auf jede Klasse ein sexuell Missbrauchtes Kind, diese Tatsache
erschreckt mich sehr. Da das Thema immer noch ein Tabuthema ist und nicht
zur Lehrerausbildung gehört, sind viele Lehrkräfte ahnungslos und unsicher
was sie tun würden oder wie sie in einem Verdachtsfall handeln sollten. Da
mich das Thema sehr berührt und gleichermaßen erschreckt, ist es mir wichtig,
zu wissen wie ich im Falle eines Missbrauchs richtig handele. In meiner Arbeit
möchte ich daher ein besonders Augenmerk darauf legen: Was kann ich tun,
um sexuellen Missbrauch vorzubeugen, zum einen in der Schule mit den
Kindern, zum anderen mit den Eltern? Aber auch, woran kann ich ein
missbrauchtes Kind erkennen und was kann ich tun, wenn ich Missbrauch
vermute?
2
Zur besseren Lesbarkeit wurde in dieser Arbeit auf eine geschlechtliche Differenzierung
verzichtet und nur die männliche Geschlechterform verwendet. Die weibliche Form ist dabei
immer mit eingeschlossen. Bei erforderlichen signifikanten Differenzen wird die weibliche
Form verwendet.
4
2. Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen
2.1. Geschichtlicher Hintergrund
In der Geschichte finden wir schon früh Anhaltspunkte, die man heute als
sexuellen Missbrauch bezeichnen würde. Erste Hinweise
auf sexuellen
Missbrauch an Kindern fand man in der Antike auf einer 5000 Jahre alten
Tontafel der Göttin Ninlil: „Enlil sprach zu Ninlil von Beischlaf. Sie will nicht.
meine Vagina ist zu klein. Sie versteht den Beischlaf nicht. Meine Lippen sind
zu klein. Sie verstehen nicht zu küssen.“3 Leider gibt es kaum Überlieferungen
aus dieser Zeit, da dieses Thema in den Quellen nicht thematisiert wurde,
dennoch ist bekannt, dass zur Zeit der Antike sexuelle Übergriffe auf Kinder in
Rom und Griechenland als normales Verhalten angesehen und kaum bestraft
wurde, insbesondere die „Knabenliebe“. Erlaubt waren sexuelle Beziehungen
von Männern und Jungen ab dem 12.Lebensjahr, sexuelle Kontakte mit
jüngeren Kindern wurden hoch bestraft, sofern sie aufgedeckt wurden.
Die Vergewaltigung eines Mädchens galt in der Rechtssprechung dieser Zeit
als Diebstahlsdelikt. Bestraft wurden die Täter nicht aufgrund der zugefügten
seelischen und körperlichen Verletzungen, sondern aufgrund der Verletzung
der Eigentumsrechte des Vaters. Besonders die Mädchen wurden als Eigentum
der Eltern angesehen, ein entjungfertes Mädchen minderte den Brautpreis
beträchtlich. Der Täter musste das Mädchen dann heiraten und dem Vater den
Brautpreis zahlen. Zwischen heiraten und Vergewaltigung bestand für die
Mädchen also kaum ein Unterschied.4
Auch im Mittelalter wurde der Missbrauch an Kindern hart bestraft, sofern er
überhaupt bekannt wurde. Das Problem war, dass sich viele, aufgrund ihres
guten Rufes, nicht trauten den Täter anzuzeigen. Zudem gibt es überzeugende
Belege, dass Mädchen und Frauen im Zuge der Hexenverbrennung vernichtet
wurden, um sexuellen Missbrauch zu vertuschen. 5
Ende des 13 Jahrhunderts wurden in England zum Schutz der Kinder Gesetze
erlassen, die sexuellen Missbrauch von Mädchen unter 12 Jahren unter Strafe
3
Deegener, G. (1998): S.43
vgl. Bange, D./ Deegener, G. (1996): Sexueller Missbrauch an Kindern. Ausmaß –
Hintergründe – Folgen. S.11f
5
vgl. a.a.O., S.14
4
5
stellten. 150 Jahre später wurde ein Gesetz, das auch die Jungen schützen sollte
aufgesetzt, dieses fand allerdings kaum Beachtung.
Erst im 18. und 19. Jahrhundert wurde sexueller Missbrauch an Kindern
zunehmend mehr als schädlich und unmoralisch betrachtet. Die Kindheit und
Jugend sollte als Lebensabschnitt des besonderen Schutzes gesehen werden.
Voraussetzung dafür war die in der Renaissance entwickelte Vorstellung von
Kindheit, denn bis dahin wurden Kinder als „kleine Erwachsene“ gesehen. Erst
durch diese neue Sichtweise war es überhaupt möglich, den Kindern einen
besonderen Schutz zu gewährleisten. Sexuelle Übergriffe auf Kinder, egal
welchen Alters, galten nun als sündhaft und verletzend und wurden zunehmend
kriminalisiert und bestraft. 6
Betrachtet man die letzten 100 Jahre, offenbart sich ein Wechselspiel zwischen
dem Versuch, sexuellen Missbrauch an Kindern auf der einen Seite zu
thematisieren und zu problematisieren und auf der anderen Seite unter den
Teppich zu kehren.
Im 20. Jahrhundert wurden vergewaltigte Opfer häufig einfach als geistig und
seelisch gestört, sowie sexuell hemmungslos betrachtet. Viele wurden aufgrund
dessen unfruchtbar gemacht. 1982 brachen betroffene Frauen ihr Schweigen
und wandten sich an die Öffentlichkeit. Dadurch berichteten immer mehr
Medien über sexuellen Missbrauch an Kindern. Es erschienen Aufsätze in
Fachzeitschriften und Bücher, die das Thema behandelten.7
2.2. Definition
Um klären zu können, was wir gegen sexuellen Missbrauch tun können und
wie wir unsere Kinder davor schützen können, möchte ich zunächst der Frage
nachgehen: Was genau verstehen wir unter sexuellem Missbrauch an Kindern?
Wo genau fängt er an und wo hört er auf? Wo ist die Grenze zwischen
normaler Zärtlichkeit zwischen Erwachsenen und Kindern und sexuellem
Missbrauch?
6
7
vgl. Bange, D./ Deegener, G. (1996): S. 16
vgl. a.a.O., S.32ff
6
Obwohl das Thema heute viel diskutiert wird, gibt es keine allgemein gültige
Definition von „sexuellem Missbrauch“. Sogar in Fachkreisen bestehen
Unsicherheiten und Verwirrungen darüber, was sexuelle Ausbeutung ist. Die
Unklarheit über die Definitionen hat zum einen unterschiedliche kulturelle und
historische
Gründe,
zum
anderen
liegt
die
Schwierigkeit
in
den
unterschiedlichen Forschungs- und Erklärungsansätzen. Je nach Einstellung
des Autors werden sehr unterschiedliche Definitionen zugrunde gelegt. Es gibt
aber einige Kriterien, die in den meisten Definitionen übereinstimmend
angeführt werden. Als besonders bedeutsam haben sich erwiesen: die Art der
sexuellen Handlung, der Machtmissbrauch, das Alter von Opfer und Täter, der
Geheimhaltungszwang und die wissentliche Zustimmung bzw. gegen den
Willen des Kindes.8
Das erste Kriterium: die Art der sexuellen Handlung, die für einen Missbrauch
vorhanden sein muss. Hier stellt sich die erste Schwierigkeit dar, da keine
Einigkeit darüber besteht, was genau unter einer sexuellen Handlung zu
verstehen ist. Die Bandbreite reicht von Blicken, über Worte bis hin zur
gewaltsam erzwungenen Vergewaltigung. Einige Wissenschaftler legen in ihrer
Definition die Art der sexuellen Handlung fest und es werden nur Handlungen
berücksichtigt bei denen es zu Körperkontakt kommt. Andere Wissenschaftler
lehnen diese Einschränkung ab, da sie einige missbräuchliche Situationen
ausschließt, die die Kinder durchaus als belastend erleben.9
Wenn in der Öffentlichkeit die Rede von sexuellem Missbrauch ist, dann wird
fast ausschließlich auf den Geschlechtsverkehr Bezug genommen. Studien, in
denen Eltern, sowie Männer und Frauen, die beruflich mit Kindern zu tun
haben, befragt wurden welche Handlungen ihrer Ansicht nach zu sexuellem
Missbrauch zählen, ergaben ein sehr breites Spektrum. Dazu zählen vor allem
Geschlechtsverkehr, sowie Manipulation an den Geschlechtsteilen, aber auch
verbale Übergriffe und das Benutzen des Kindes als Photografie. 10
Auch die Absicht des Täters wird als Kriterium in Definitionen genannt, denn
sexueller Missbrauch passiert nie zufällig, sondern ist immer eine geplante
8
vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): „Ich werd´s trotzdem weitersagen!“. Prävention gegen
sexuellen Missbrauch in der Schule. S.3
9
vgl. ebd. S.3
10
vgl. Brockhaus, U./ Kohlshorn, M. (1993): Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen.
Mythen, Fakten, Theorien. S.21f
7
Handlung des Täters. Problematisch ist, dass diese Absicht nicht leicht zu
erfassen ist. Betroffene können die Übergriffe häufig aufgrund ihres jungen
Alters
noch
nicht
beurteilen.
Manche
Kinder
schaffen
sich
eine
Überlebensstrategie, indem sie selbst glauben, sie hätten die sexuellen
Handlungen auch gewollt, um von den verletzenden Handlungen und der
Machtlosigkeit abzulenken und das Verhalten des Täters umzudeuten. Gerade
bei sexuellem Missbrauch sind die Täter häufig sehr geschickt darin ihre
Absichten hinter vermeintlichen Zärtlichkeiten und Fürsorge zu verstecken. 11
Uneingeschränkte Einigkeit besteht darüber, dass alle sexuellen Handlungen,
die gegen den Willen des Kindes geschehen, sexueller Missbrauch sind.
Problematisch ist allerdings, dass Kinder kaum in der Lage sind, sich gegen
sexuelle Handlungen zu wehren oder überhaupt ihren Widerwillen zu
benennen. Kinder sind durch ihren Entwicklungsstand, die Machtabhängigkeit
und damit verbundenen Drohungen häufig nicht in der Lage ihre Gefühle
auszudrücken. Kinder sind also nicht in der Lage sexuellen Handlungen
wissentlich oder willentlich zuzustimmen. Aus diesem Grund müssen bewusst
geplante sexuelle Handlungen von Erwachsenen als Missbrauch gewertet
werden.12
Der Erwachsene nutzt seine Machtposition dem Kind gegenüber aus. Das Kind
ist von dem Erwachsenen abhängig, es vertraut ihm und hat ein Erwachsener
ein Kind zu sexuellen Handlungen überredet, weiß das Kind im Normalfall gar
nicht, was da auf es zukommt. Häufig geht es dem Erwachsenen nicht alleine
um die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse, sondern vor allem auch
darum, seine Machtposition auszuspielen und zu befriedigen. Zudem sehnt er
sich
nach
Körperkontakt
und
Anerkennung,
die
er
mit
diesem
Machtmissbrauch befriedigen kann.13 Nicht weit von dem herrschenden
Machtungleichgewicht entfernt und der damit verbundenen Abhängigkeit des
Kindes, ist der Alterunterschied zwischen Opfer und Täter. Meist wird ein
Altersunterschied von fünf Jahren vorausgesetzt, um von sexuellem
Missbrauch sprechen zu können. Schwierig daran ist, dass der Missbrauch
11
vgl. Brockhaus, U./ Kohlshorn, M. (1993): S.22f
Marquardt-Mau, B. (1995): Schulische Prävention gegen sexuelle Kindesmisshandlung. S.32
13
vgl. Koch, H./ M. Kruck, M. (2000): S.3f
12
8
unter Gleichaltrigen und Behinderten damit nicht erfasst ist. Daher verzichten
viele Forscher auf diese Festschreibung.
Physische Gewalt und Bedrohung sind ein ganz wichtiger Aspekt des sexuellen
Missbrauchs. Sobald Erwachsene ihre Kinder zur Geheimhaltung zwingen,
weil sie das Gefühl haben, andere dürfen nicht sehen was sie mit ihrem Kind
machen, ist das ein Anzeichen für sexuelle Gewalt. Der Geheimhaltungszwang
geht einher mit Drohungen, Erpressungen und Mitschuldzuweisungen. Das
Kind wird so verängstigt und hilflos, dass es sich nicht traut etwas zu sagen
oder sogar glaubt selbst daran Schuld zu sein. In vielen Definitionen wird
daher auch der Gewaltaspekt angeführt.14 Der Geheimhaltungszwang kann
auch anders ausgedrückt werden, indem der Täter dem Kind „Unser kleines
Geheimnis“ einredet. Das Kind verspricht vom „kleinen Geheimnis“ nichts zu
erzählen. Dies löst beim Kind so etwas wie eine Komplizenschaft und
Mitverantwortung aus. Somit hat das Kind keine Möglichkeit über den
Missbrauch zu reden, denn es hat das Versprechen gegeben nichts über das
Geheimnis zu verraten.
Ein einzelnes Kriterium reicht kaum aus, um alle Fälle sexueller Gewalt zu
erfassen. Durch eine Kombination der Kriterien können die meisten Fälle
erfasst werden, doch auch dann wird es immer noch Grenzfälle geben, die nicht
eindeutig geklärt werden können.
„Die bundesdeutsche Rechtssprechung stützt sich zur Beschreibung und
Verfolgung sexueller Gewalttaten an Kindern auf folgende Paragraphen:
§ 173 StGB stellt den vollendeten Beischlaf unter Verwandten unter Strafe.
§ 174 - §184 StGB beschäftigen sich mit allen anderen sexuellen Handlungen
an Kindern.
§ 176 StGB (sexueller Missbrauch von Kindern) ist der am häufigsten
angewandte Paragraph.“15 (Auszüge aus den Gesetzbüchern: siehe Anhang)
14
15
vgl. Koch, H./ M. Kruck, M. (2000): S.5
a.a.O.: S.7
9
Einige Beispiele von Definitionen zu sexuellem Missbrauch:
Adams & Fay (1989) geben eine kindgerechte Definition von sexuellem
Missbrauch:
„Sexueller Missbrauch das ist, wenn dich jemand berührt oder dazu bringt, ihn
zu berühren, und dich damit ganz durcheinanderbringt oder wenn du die
Berührung vielleicht gar nicht gewollt hast. (…) Vielleicht versucht jemand,
dich gegen deinen Willen an der Scheide zu berühren oder dich gegen deinen
Willen dazu zu bringen, seinen Penis zu berühren.“16.
"Sexueller Missbrauch an Kindern ist jede sexuelle Handlung, die an oder vor
einem Kind entweder gegen den Willen des Kindes vorgenommen wird oder
der das Kind aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher
Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Der Täter nutzt seine Machtund Autoritätsposition aus, um seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten des
Kindes zu befriedigen".17
„Ein Mädchen oder Junge wird sexuell missbraucht, wenn sie/er zu
körperlichen oder nicht körperlichen sexuellen Handlungen durch ältere oder
Erwachsene veranlasst oder ihnen ausgesetzt wird. Aufgrund des bestehenden
Kompetenzgefälles, vor allem in der psychosexuellen Entwicklung, können die
Handlungen nicht angemessen verstanden und eingeordnet werden, das
Mädchen oder der Junge kann deshalb auch nicht verantwortlich entscheiden.
Der Täter befriedigt aufgrund des Macht- und Generationsgefälles und der
Abhängigkeit des Kindes sein Machtbedürfnis unter Zuhilfenahme sexueller
Handlungen.
Sexueller
Missbrauch
von
Mädchen
und
Jungen
ist
Machtmissbrauch verbunden mit der psychischen und/oder physischen
Verletzung der Integrität (Unversehrtheit). Er ist ein Ausdruck von
Geschlechtshierarchie und Dominanzkultur.“18
16
Adams, C. & Fay, J. (1989): Ohne falsche Scham. Wie Sie Ihr Kind vor sexuellem
Missbrauch schützen können: S.35f
17
Bange, D.; Deegener, G. (1996): S.18
18
May, A. (1997): Nein ist nicht genug. aus: (http://www.missbrauch-opfer.info)
10
2.2.1.
Formen des sexuellen Missbrauchs
Die Grenze zwischen sexuellem Missbrauch und dem nötigen, förderlichen
Körperkontakt zu einem Kind zu ziehen, kann in einigen Fällen sehr schwierig
sein. Es gibt vielfältige Formen, in denen sexueller Missbrauch vorkommen
kann. Zunächst einmal unterscheidet man den intrafamiliären von dem
extrafamiliären Missbrauch. Innerhalb dieser Formen kann der sexuelle
Missbrauch bei feinen Grenzüberschreitungen dem Kind gegenüber liegen,
aber auch bis hin zu erzwungenem Geschlechtsverkehr. 19
„Sexueller
Missbrauch
ist
eine
die
geltenden
Generationsschranken
überschreitende sexuelle Aktivität eines Erwachsenen oder Jugendlichen mit
Minderjährigen in Form von Belästigung, Masturbation, oralen, analen oder
genitalen Verkehrs oder sexueller
Nötigung bzw. Vergewaltigung sowie sexueller Ausbeutung durch Nötigen
von Minderjährigen zu pornographischen Aktivitäten und Prostitution.(…)“20
H. Saller unterscheidet drei Bereiche der sexuellen Gewalt gegen Kinder:
1. „Formen sexuellen Missbrauchs, die unmissverständlich sind:
-
genital-oraler Verkehr (Cunnilingus, Fellatio)
-
Eindringen in den After des Kindes mit Finger(n), Penis oder
Fremdkörper(n)
-
Eindringen in die Scheide des Kindes mit Finger(n), Penis oder
Fremdkörper(n)
2. Andere ausbeutende Formen sexueller Handlungen an einem Kind sind:
-
Berührung oder Manipulierung der Genitalien des Kindes
-
Veranlassung der Kindes, die Genitalien des Erwachsenen zu berühren
oder zu manipulieren
-
Masturbation bei Anwesenheit des Kindes
-
Veranlassung des Kindes, im Beisein des Erwachsenen zu masturbieren
19
vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.7f
Maywald, J.: Kinder in Krisen. Teil 4 – Sexueller Missbrauch. Wenn Erwachsene Grenzen
missachten. In: Kindergarten heute. Fachzeitschrift für Erziehung, Bildung und Betreuung von
Kindern (1/2008), S. 39
20
11
-
Reiben des Penis am Körper des Kindes
-
Zeigen von pornographischen Abbildungen
3. Grenzwertige Verhaltensweisen, die in der Retroperspektive oft zu Beginn
sexueller Ausbeutung festgestellt werden, sind:
-
Der Erwachsene zeigt sich nackt vor dem Kind
-
Der Erwachsene zeigt dem Kind seine Genitalien
-
Der Erwachsene möchte den Körper des Kindes „begutachten“
-
Beobachtung des Kindes beim Ausziehen, Baden, Waschen, auf der
Toilette; eventuell „Hilfsangebote“ dazu
-
Küssen des Kindes auf intime Weise („Zungenküsse“)
-
Altersunangemessene Aufklärung des Kindes über Sexualität, die nicht
dem kindlichen Interesse entspricht, sondern dem exhibitionistischen
und/oder voyeuristischen Bedürfnis des Erwachsenen dient.“21
2.3. Zum Ausmaß sexuellen Missbrauchs
Das Ausmaß sexuellen Missbrauchs gegen Kinder und Jugendliche war lange
kein Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Lange Zeit wurde das
Thema sexueller Missbrauch verschleiert und tabuisiert. Erst als das Thema vor
ca.20 Jahren langsam öffentlich wurde, rückte das Interesse nach der Frage des
Ausmaßes ins Blickfeld. Kavemann und Lohstöter veröffentlichten 1984 das
Buch „Väter als Täter“ und schätzten darin die Zahl der missbrauchten Kinder
auf ca. 300.000 jährlich. Diese Schätzung beruhte auf der Polizeilichen
Statistik, sowie Michael Baurmann, der beim Bundeskriminalamt arbeitete.
1989 ließ Baurmann verlauten, diese Zahl wäre falsch, beruhe auf
Rechenfehlern und reduzierte die Zahl auf 50.000 bis 60.000 Kinder jährlich. 22
Dennoch müssen diese Ergebnisse vorsichtig gehalten werden, da die
Dunkelziffer von Fällen, die nicht bekannt wurden, sehr hoch geschätzt wird.
So sehen Experten die Dunkelziffer bei 1:12 und 1:15. Das bedeutet, auf einen
bekannten Fall kommen bis zu 15 unbekannte Fälle. Die Bundesregierung gab
21
Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.8f
vgl. Bange, D./ Deegener, G. (1996): Sexueller Missbrauch an Kindern. Ausmaß –
Hintergründe – Folgen. S. 41
22
12
1985 die Zahl von 150.000 missbrauchten Kindern jährlich an, der deutsche
Kinderschutzbund 1991 eine geschätzte Zahl von 80.000 jährlich.
Das Bundeskriminalamt hat 2007 Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik im
Bezug auf den Themenbereich „Gewalt gegen Kinder und Jugendliche/ Gewalt
durch Kinder und Jugendliche dargestellt. Demnach wurden 2007 insgesamt
6.330 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, 19.371 Fälle sexuellen
Missbrauchs und 233 Fälle Ausnutzung sexueller Neigungen bekannt. Hierbei
handelt es sich nur um erfasste Fälle; die Dunkelziffer ist unklar. Die
Gesamtzahl der in der Polizeilichen Kriminalstatistik 2007 ausgewiesenen
Delikte sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche beträgt 25.934 Fälle.23
Fallentwicklung
und
Aufklärung
beispielhaft
aufgezählt
nach
Straftatengruppen (Auswahl, nur bezogen auf Gewalt gegen Kinder und
Jugendliche)
Aus:
http://www.dksb.de/upload/dksb/downloads/Internet_Endfassung_PKS2007_051108_
Internetversion.pdf
23
vgl. Deutscher Kinderschutzbund. Gewalt gegen Kinder. Gewalt von Kindern in
Deutschland. (2007): S.6
13
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unter Gewaltanwendung oder
Ausnutzen eines Abhängigkeitsverhältnisses
Aus:
http://www.dksb.de/upload/dksb/downloads/Internet_Endfassung_PKS2007_051108_
Internetversion.pdf
Durch die hohe Dunkelziffer herrscht unter den Wissenschaftlern nach wie vor
Uneinigkeit über das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs und die Ergebnisse
der Studien sind uneinheitlich. Lässt man die extrem hohen Zahlen und die
extrem niedrigen außer Acht, so kann man sagen, dass etwa jedes fünfte
Mädchen und jeder 12. Junge in Deutschland sexuelle Misshandlungen erfährt.
Allerdings müssen diese Statistiken im Hinblick auf Häufigkeit, verschiedene
Arten und Dauer des sexuellen Missbrauchs stets differenziert betrachtet
werden.24 Für Lehrer bedeutet das, dass statistisch gesehen ein missbrauchtes
Kind auf eine Klasse kommt, daher sollte das Interesse eines jeden Lehrers auf
dieser Thematik liegen.
„In Bezug auf die Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs im Einzelfall wird
geschätzt, dass ungefähr zwei Drittel der Opfer einmalig und ein Drittel
mehrmalig
missbraucht
werden.
Dieses
Verhältnis
ist
von
dem
Bekanntschaftsgrad zwischen Täter und Opfer abhängig: Fremde missbrauchen
ihre Opfer in über 90% der Fällen einmal, während es sich bei den Tätern aus
24
vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.9ff
14
dem Bekannten- oder Freundeskreis nur noch in zwei Dritteln der Fälle um
einmaligen Missbrauch handelt.“25
2.4. Die Täter
Wie im letzten Kapitel bereits erläutert, sind die Täter am häufigsten
Familienmitglieder, der Onkel, der große Bruder, der Partner der Mutter oder
der eigene Vater oder aber Bezugspersonen, wie Freunde der Familie, Lehrer,
Erzieher, Trainer, Babysitter, Nachbarn und andere vertraute Personen, die das
Kind eigentlich schützen müssten.
Die Täter sind meist „ganz normale Männer“, sie haben keine besonderen
Persönlichkeitsmerkmale, woran wir sie erkennen könnten.26 In 80 bis 90% der
Fälle, sind die Täter männlich, ganz unabhängig vom Geschlecht des Opfers.
Nach einer Studie von Russel und Finkelhor, ist der Anteil der Frauen als Täter
sehr gering. Die Täter, sind nicht, wie so oft vermutet abartige, gestörte,
asoziale Gewaltverbrecher, nein Täter kommen aus allen sozialen Schichten,
sie sind nicht besonders auffällig, sondern führen ein „unauffälliges“ Leben, so
dass sie sich in der Öffentlichkeit nicht von anderen unterscheiden. Häufig
handelt es sich sogar um besonders liebe und hilfsbereite Menschen, aller
Altersstufen, denen wir so etwas nie zutrauen würden.27
Sexueller Missbrauch wird nicht nur von Erwachsenen ausgeübt. Das Bild, des
„dirty old man“, der Kindern auf dem Spielplatz auflauert, ist überholt.
Untersuchungen zeigen, dass das Durchschnittsalter der Täter zwischen 24 und
27 Jahren liegt. Diese Untersuchungen ergeben, dass ein wesentlicher Teil der
Täter Jugendliche sind. Nach einer amerikanischen Studie von Groth (1986) ist
der Großteil (80%) der Täter, als Kind selbst missbraucht worden. Dies darf
allerdings
nicht
dazu
führen,
in
jedem
missbrauchten
Kind
einen
Sexualstraftäter zu vermuten, umgekehrt gibt es auch genügend Täter, die
selbst keine sexuelle Gewalt erlitten haben.28
25
Deegener, G. (1998): Kindesmissbrauch – erkennen, helfen, vorbeugen. S.37
vgl. http://www.stoppkindsmissbrauch.li/bilder/330.pdf. S.3
27
vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.
Handeln Statt Schweigen. Informationen und Hilfe bei sexueller Gewalt gegen Kinder und
Jugendliche (2006). S. 11
28
vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.12f
26
15
2.4.1.
Strategien der Täter
Täter planen ihre Übergriffe und bereiten sie genau vor. Sexueller Missbrauch
passiert nicht zufällig. Die Täter suchen sich ihre Opfer genau aus, sie achten
darauf, dass sie den Alltag des Opfers kennen und Tatort- und Zeit bestimmen
können, ohne entdeckt zu werden. Meist beginnen sie mit besonderer
Zuwendung, häufig wird das Kind als Lieblingskind bezeichnet. Gerne sucht
der Täter sich Kinder, die leicht zu beeinflussen sind, Kinder, die sich unsicher
fühlen und zuhause wenig Aufmerksamkeit bekommen. Nach und nach
erschleicht der Täter sich das Vertrauen des Kindes, indem er dem Kind, wie
schon gesagt, besondere Aufmerksamkeit zukommen lässt, bei Problemen
berät oder Geschenke macht. Ganz langsam und unmerklich verwandelt der
Täter die freundschaftliche Beziehung in eine sexuelle Beziehung. In die Spiele
oder das Zusammensein mit dem Kind werden immer mehr zufällige, zaghafte
Berührungen eingebaut, die Schritt für Schritt zu massiven sexuellen
Übergriffen führen.29
Nach bzw. während dieser sexuellen Übergriffe, spüren die Kinder, dass etwas
nicht stimmt und sind verwirrt. Spätestens jetzt erzählen die Täter ihrem Opfer
von ihrem kleinen „Geheimnis“, von dem nur er und das Kind wissen und das
natürlich nicht weitererzählt werden darf. Um dies zu sichern, überhäufen sie
das Opfer mit Geschenken oder anderen Privilegien. „Oftmals reden die Täter
den Kindern Schulgefühle ein: „Du willst es doch auch! Du hast dich nicht
gewehrt.“ Sie erpressen mit Sätzen, wie: „Wenn du mich nicht lieb hast, werde
ich ganz traurig.“ (..) Sie drohen: „Wenn du was sagst, kommst du ins Heim.“
oder machen Angst: „Wenn du etwas sagst, dann stirbt deine Mami.“30 Je näher
der Täter das Opfer kennt, desto eher weiß er, wo er beim Kind ansetzen muss,
um sensible Bereiche mit seinen Drohungen zu treffen. Reicht die Erklärung
des gemeinsamen Geheimnisses nicht mehr aus, wenden die Täter durchaus
auch körperliche Gewalt an, drohen oder quälen ihre Opfer. Sie schlagen,
treten die Kinder oder fügen ihnen Verbrennungen oder andere Verletzungen
zu.
29
30
vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S. 13f
http://www.stoppkindsmissbrauch.li/bilder/330.pdf S.4
16
2.5. Die Opfer
Wer sind die Opfer? Sexuelle Gewalt kann jedes Kind betreffen, egal ob
Säugling oder Schulkind, egal ob besonders hübsch oder unauffällig, egal ob
Junge oder Mädchen.
Auffällig ist allerdings, dass besonders gefährdet Kinder sind, die sich
isolieren, extrem angepasste Kinder und Kinder mit wenigen Bezugspersonen.
Zu den besonders gefährdeten Kindern gehören auch behinderte Kinder, da sie
sich nicht wehren können.
Durch wissenschaftliche Untersuchungen gehen die meisten Autoren davon
aus, dass etwa 80% der Opfer Mädchen und etwa 20% der Opfer Jungen sind.31
In der Studie des Bundeskriminalamtes von 1982 sind 45% der Opfer noch
keine 10 Jahre alt. Kinder sind in keinem Alter vor sexuellen Übergriffen
geschützt. Statistische Angaben zeigen, dass Kinder zwischen 7 und 13 Jahren
am gefährdetsten sind.32 Jedoch ist die Dunkelziffer der Fälle, die in jüngerem
Alter stattfinden und nicht aufgedeckt werden, vermutlich sehr hoch, da die
Kinder in dem Alter noch nicht in der Lage sind, die erlebte Gewalt
auszudrücken.33
Jungen wurden lange Zeit in der Öffentlichkeit im Bezug auf sexuellen
Missbrauch kaum wahrgenommen. Inzwischen weiß man, dass Jungen genauso
betroffen sind, wie Mädchen. Diese Tatsache ist besonders wichtig, da es
Jungen besonders schwer fällt, sich als Opfer zu zeigen. Jungen werden auch
heute noch zur „Stärke“ erzogen, sie sollen sich wehren, Jungen weinen nicht
und gehören nach sozialer Sicht nicht in die Opferrolle. Diese ist ganz klar den
Mädchen zugeteilt. Jungen haben meist nicht gelernt mit Gefühlen, wie Angst,
Ohnmacht oder Hilflosigkeit umzugehen. Jungen schämen sich also extrem für
solche Übergriffe und fürchten nicht ernst genommen zu werden oder als
homosexuell betrachtet zu werden, wenn sie etwas sagen.34
Viele Opfer entwickeln Überlebensstrategien, um sich mit dem Missbrauch
abzufinden. „Josephine Rijnaarts beschreibt dies in ihrem Buch „Lots
31
vgl. Koch. H./ Kruck, M. (2000): S.20
vgl. Braecker, S./ Wirtz-Weinrich, W. (1994): Sexueller Missbrauch an Mädchen und
Jungen. S.14
33
vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.20
34
vgl. Born, M. (1994): Sexueller Missbrauch – ein Thema für die Schule? S.38f
32
17
Töchter“. Die meisten Inzestopfer machen sich, um das Leben ertragen zu
können, ein bisschen tot. Sie machen sich, während der Missbrauch vonstatten
geht, gefühllos, um sich gegen das Geschehen abzuschirmen und um extreme
emotionale Beschädigung abzuwehren, indem sie ihr inneres Ich gleichsam
unverwundbar machen. Mit ihrer Haltung bringen sie zum Ausdruck: Er kann
mit meinem Körper machen, was er will, ich bin nicht da, ich habe damit nichts
zu tun.“35
3. Ursachen des Missbrauchs
Die Ursachen für sexuellen Missbrauch können vielseitig sein und in
Kombination auftreten. Es gibt keine eindeutigen Ursachen, warum
Erwachsene oder Jugendliche so etwas machen. Die Ursachen sind individuell
vom Täter abhängig. „Typisch sind ein schwaches Selbstwertgefühl, soziale
Isolation sowie Störungen in der psychosexuellen Entwicklung des
missbrauchenden
Erwachsenen.
(…)
Nicht
selten
spielen
eigene
Gewalterfahrungen eine Rolle.“36
Koch und Kruck (2000) unterscheiden und beschreiben in ihrem Buch zwei
Erklärungsansätze
hinsichtlich
der
Ursachen
sexueller
Gewalt.
Den
feministisch – gesellschaftliche Erklärungsansatz und der familientheoretische
Erklärungsansatz.
3.1. Erklärungsansätze
3.1.1.
Der feministisch-gesellschaftliche Erklärungsansatz
Die feministische Analyse sexueller Gewalt hat ihren Ursprung schon zu
Beginn der 70er Jahre in den USA und wird seitdem ständig weiterentwickelt.
Der
feministisch-gesellschaftliche
Erklärungsansatz
setzt
bei
den
gesellschaftlichen Machtstrukturen zwischen Mann und Frau an. Frauen
bleiben aufgrund ihres Geschlechts dem Mann auch heute noch in der
35
36
Bauernfeind, Y./ Schäfer, M. (1992): Die gestohlene Kindheit. S.40
Maywald, J. (2008): S. 39
18
Gesellschaft untergeordnet und somit leichter ausbeutbar. Diese Faktoren
begünstigen den Einfluss sexueller Gewalt. 37
Feministinnen verstehen den sexuellen Missbrauch als Bestandteil patriarchaler
Gesellschaften.38 „Zentraler Bedingungsfaktor sexueller Gewalt ist nach dem
feministischen Ansatz, wie bereits erwähnt, das Ungleichgewicht der
Machtverteilung unter den Geschlechtern. Die feministische Sicht weist darauf
hin, dass Männer aufgrund patriarchaler Strukturen in unserer Gesellschaft eine
doppelte Machtstellung haben; sie sind sowohl gegenüber Frauen, als auch
gegenüber Kindern in einer Machtposition.“39 Hierbei muss natürlich gesagt
werden, dass diese Machtposition nicht immer zu sexuellem Missbrauch führt.
Somit definiert der feministisch-gesellschaftliche Erklärungsansatz nicht nur
ein sexuelles Problem, sondern mehr ein Machtproblem der Gesellschaft. Nach
diesem Ansatz, geht es bei dem sexuellen Missbrauch nicht um die
Befriedigung sexueller Bedürfnisse, sondern um die Befriedigung nach Macht,
Überlegenheit oder Gewalt. Der sexuelle Missbrauch dient eigentlich nur als
Mittel zum Zweck.40
Zu kritisieren an diesem Ansatz ist, dass er den sexuellen Missbrauch an
Jungen völlig ausschließt, zudem erklärt er nicht, warum einige Männer zu
Tätern werden und andere nicht. Das Fehlen einer ausführlich und differenziert
dargestellten Ursachenanalyse ist ein großer Mangel, denn erst auf der
Grundlage einer solchen Analyse können gesellschaftliche Forderungen
nachvollziehbar gemacht werden.41
3.1.2.
Der familientheoretische Erklärungsansatz
Der familientheoretische Erklärungsansatz sieht die Ursachen des sexuellen
Missbrauchs in einer Dysfunktion des individuellen Familiensystems, in der
vor allem zwischen den Eltern ein ungelöster Sexualkonflikt herrscht. Er kann
also nur als Erklärungsversuch für innerfamiliären Missbrauch angesehen
37
vgl. Brockhaus, U. (1993): S.216
vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.15f
39
Woltereck, B (1994): S.50. In: H. Koch/ M. Kruck (2000): S.16
40
vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.16
41
vgl. Born, M. (1994): Sexueller Missbrauch – ein Thema für die Schule? S.31
38
19
werden. Auf den extrafamiliären Missbrauch lässt er sich nur sehr begrenzt
übertragen.
Der Vater schein dominant auf der einen Seite, ist aber emotional unreif und
abhängig auf der anderen, zudem ist er nicht in der Lage sich von seiner Frau
zu trennen, um andere Sexualbeziehungen eingehen zu können. Die Frau
hingegen kann oder will die sexuellen Bedürfnisse des Mannes nicht erfüllen.
Dadurch kommt es zu dem Sexualkonflikt zwischen den Eltern, der zum
Missbrauch der Kinder führen kann.42
Missbrauchsbegünstigend wird auch eine gestörte Mutter-Tochter Beziehung
gesehen. Fürniss beschreibt, dass langfristiger Inzest bei einer guten MutterTochter Beziehung unwahrscheinlich ist, während kurzfristige Misshandlungen
auch bei einem guten Verhältnis anzutreffen sind.43
Der sexuelle Missbrauch kann hier der Konfliktvermeidung dienen, indem das
Thema tabuisiert wird, es wird nicht darüber gesprochen und die
Familienmitglieder müssen sich den Problemen nicht stellen. Es kann aber
auch zur Konfliktregulierung dienen, hierbei wird der sexuelle Missbrauch als
Spannungsabbau und Lösung der Probleme gesehen. Die Familienmitglieder
versuchen alles, um die Familie unter allen Umständen zusammen zu halten.44
Diese Ursachenanalyse ist stark umstritten und kritisiert. Geschieht sexueller
Missbrauch
innerhalb
Familiendynamik
im
familientheoretischen
der
Familie,
Grunde
ist
eine
vorausgehende
selbstverständlich.
Erklärungsansatz
eine
Zudem
gestörte
wird
Konstellation
im
dreier
gleichberechtigter Familienmitglieder - Vater, Mutter, Kind – angenommen.
Koch
und
Kruck
(2000)
schreiben
dazu
in
ihrem
Buch:
„Die
Familienmitglieder sind alle daran interessiert, das System Familie aufrecht zu
erhalten und angeblich über ein gleiches Maß an Wissen und Macht zu
verfügen.“45 In diesem Fall haben alle Mitglieder einen „Nutzen“ von dem
Missbrauch und sind sogar in gewisser Weise an dessen Fortbestand
interessiert, selbst das missbrauchte Kind. Allen Beteiligten wird somit eine
42
vgl. Born, M. (1994): S.29f
vgl. a.a.O. S.30
44
vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.17f
45
a.a.O.. (2000): S.18
43
20
gewisse Verantwortung für den Missbrauch zugeschrieben. Diese Tatsache ist
meiner Meinung nach völlig absurd und nicht tragbar.
Dem Kind wird damit der Opferstatus aberkannt, zudem wird dem
missbrauchten Kind unterstellt, es profitiere von dem Rollentausch und im
Gegenzug dazu wird dem „willensschwachen“ Vater der Opferstatus des Täters
zuerkannt. 46
Weiterhin ist zu kritisieren, dass bei dieser Ursachenanalyse weder nach den
Ursachen
von
extrafamiliären
Missbrauch
geforscht
wird,
noch
gesellschaftliche Gründe berücksichtigt werden.47
3.1.3.
Das Vier-Faktoren-Modell nach Finkelhor
Finkelhor
hat
ein
Integrationsmodell
verschiedener
Erklärungsansätze
entwickelt. An diesem Modell erkennt man vier Ansatzpunkte zur Prävention
gegen sexuellen Missbrauch.
Finkelhors zentrale Frage richtete sich danach, „Woran liegt es denn nun, dass
es zu sexuellem Missbrauch kommt?“ Nach Finkelhor hängt es im
Wesentlichen von der Bereitschaft des Täters ab. Hierzu nennt er vier primäre
Faktoren, die zu einem sexuellen Missbrauch beitragen können. Es müssen
dabei aber nicht immer alle Faktoren erfüllt sein. Es handelt sich lediglich um
mögliche, den Missbrauch begünstigende Faktoren, die man bei der
Ursachenanalyse berücksichtigen sollte.48
Dazu zählen:
1. „Emotionale Kongruenz: Die zum Täter werdende Person erlebt
sexuellen Kontakt als emotional befriedigend.
2. Sexuelle Erregung: Die Person verspürt Kindern gegenüber sexuelle
Erregung.
3. Blockade: Die Person ist blockiert, eine partnerschaftliche und alters
angemessene Beziehung zu leben.
46
vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S. 18f
vgl. Born, M. (1994): S.30
48
vgl. a.a.O.: S.33
47
21
4. Enthemmung: Die sozialen Regeln (Inzesttabu,…), die eine sexuelle
Beziehung mit Kindern verbieten, verlieren ihre hemmende Wirkung“49
Diese Faktoren setzt Finkelhor nun in Beziehung zu individuellen und
soziokulturellen Erlärungshypothesen:
49
vgl.Born, M. (1994): S.33
22
„Die auf der rechten Seite genannten Erklärungshypothesen für die vier
verschiedenen prädisponierenden Faktoren können nun als mögliche Ursachen
bei
der
Analyse
berücksichtigt
werden,
dass
der
Einfluss
der
Kinderpornographie und erotischer Darstellung von Kindern in der Werbung
(Sexuelle Erregung, soziokulturelle Erklärungsebene) unter Umstanden bei
Personen, die zu einer narzisstischen Identifikation mit einem Kind neigen
(Emotionale Kongruenz, individuelle Erklärungsebene) einen sexuellen
Übergriff begünstigt usw.“50
4. Hinweise des Kindes – Folgen
Sexueller Missbrauch hat in den meisten Fällen ganz gravierende Folgen für
die körperliche und seelische Entwicklung des missbrauchten Kindes. Dennoch
sind die Folgen sehr unterschiedlich und nicht alle missbrauchten Kinder sind
gleichen Maßes geschädigt.
Durch den Missbrauch wird das Vertrauen des Kindes, besonders zu den
Menschen, die es liebt und von denen es abhängig ist, auf tiefste Weise
geschädigt und zerstört. Gerade den Menschen, denen das Kind am meisten
vertraut, in der Umgebung, in der es sich wohl und geborgen fühlen sollte, wird
es benutzt, verletzt und gedemütigt. „Je enger die Beziehung zwischen Opfer
und Täter war, desto traumatischer sind die Folgen. Je mehr ein Kind dem
Erwachsenen vertraut hat und auf dessen emotionale Unterstützung angewiesen
war, desto größer ist der Vertrauensverlust, der Verrat, die Enttäuschung, die
gefühlsmäßige Zerrissenheit und Verwirrung des Kindes über die erlittene
Gewalt.“51 Läuft der Missbrauch über längere Zeit, verlieren die Kinder nicht
nur das Vertrauen zu anderen Menschen, sondern auch das Vertrauen in ihre
eigene Kraft. Aus diesem Grunde fühlen sie sich allein, isoliert, wehr- und
wertlos. Dadurch, dass die Kinder sich selbst die Verantwortung zuschreiben,
entstehen Schuldgefühle, Scham und Selbsthass. Kinder, die sich selbst die
Schuld für den Missbrauch geben, erhalten sich damit die „guten Eltern“.
50
Born, M (1994): S.34
Lache, A. (2008): Stern-Artikel: Sexueller Missbrauch „Er hat meine Kindheit zerfetzt“ Heft
45/2008
51
23
Sexueller Missbrauch im Kindesalter kann oft bis ins Erwachsenenalter nicht
verarbeitet werden, so tief sitzen die Wunden. Es kann zu lebenslangen
psychiatrischen Krankheitsbildern kommen. So leiden manche Kinder noch
Jahre später unter Depressionen bis hin zur Suizidgefährdung. 52
Der Trauma-Experte Andreas Krüger, Kinder- und Jugendpsychiater vom
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf nennt mögliche Langzeitfolgen im
Stern wie folgt: „Wenn ein Kind oder Jugendlicher eine Situation als
traumatisch erlebt, entsteht traumatischer Stress und in dessen Folge eine
seelische Wunde. Woran man arbeiten kann, ist die Wundheilung. Aber es wird
auf jeden Fall immer eine seelische Narbe bleiben.“53
Im Weiteren möchte ich explizit auf die einzelnen Folgen, die entstehen
können eingehen.
4.1. Körperliche Verletzungen
Es gibt eine Menge körperlicher Anzeichen/ Verletzungen, die auf sexuellen
Missbrauch deuten können.
Entstehen können Verletzungen an der Oberschenkelinnenseite, wie Hämatome
oder Quetschungen. Verletzungen der Genitalien, Fremdkörper in der Scheide
oder im After, Risse oder blaue Flecken am After oder in der Vagina, sowie
Geschlechtskrankheiten und Aids.
Genauso können durch den Geschlechtsverkehr innere Verletzungen, wie
Entzündungen und Infektionen hervorgerufen werden, die zu dauerhaften
Verwachsungen im Bauch führen können.
Aber nicht nur im unteren Körperteil können Verletzungen entstehen, genauso
können auch Entzündungen im Hals- und Rachenraum, im Mund und an den
Augen durch orale Vergewaltigungen ausgelöst werden.
Häufig werden bei Verdacht selbst vom Arzt keine physischen Schäden
festgestellt, das heißt aber nicht, dass auch kein Missbrauch statt fand!
52
vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.
(2006): S.16f
53
Krüger, A. (2008): Stern-Artikel: Sexueller Missbrauch „Eine Narbe wird immer bleiben“
S.1
24
Umgekehrt, muss nichts passiert sein, wenn das Kind eventuelle Verletzungen
an diversen Körperteilen aufweist.54
Mit den Anzeichen muss also sehr behutsam umgegangen werden und es darf
nicht vorschnell gehandelt werden.
4.2. Psychosomatische und psychische Folgen
Einige Studien unter anderem die von John Conte, John Schuerman und Lucy
Berliner (1988) zeigt, dass sexuell missbrauchte Kinder psychosomatische
Beschwerden zeigen. Da sie ihr Übel nicht wörtlich aussprechen mögen, zeigen
sie es durch Symptome wie Kopf-, Hals-, Magen- und Unterleibsschmerzen
ohne
erkennbare
organische
Ursachen,
hinzu
können
Essstörungen,
Schlafstörungen, Erstickungsanfälle und Sprachstörungen kommen. Die
Untersuchung ergab, dass sexuell missbrauchte Kinder innerhalb der Familie
besonders schwer unter Schlafstörungen und Albträumen litten, da hier der
Missbrauch meist nachts passiert.55 Sprachstörungen treten vor allem dadurch
auf, dass sich das Kind nicht mehr äußern mag und vom Täter zur
Geheimhaltung gezwungen wird.
Diese Situation des Reden-Wollens und
Nicht-Reden-Könnens kann zu unterschiedlichsten Sprachstörungen führen. In
einigen Untersuchungen tauchen neben diesen Symptomen noch eine Reihe
anderer auf, wie z.B. Hauterkrankungen, Legasthenie, Asthma, Hormon- und
Menstruationsstörungen. Hauterkrankungen können eine unbewusste Reaktion
des Kindes sein, um sich unattraktiv zu machen. 56
Kinder, die sexuell missbraucht werden schämen sich dafür, fühlen sich
schuldig und schmutzig. Oft reagieren diese Kinder mit Zwängen auf ihre
Erlebnisse, wie z.B. mit einem Waschzwang. Außerdem können sie große
Ängste unterschiedlichster Art entwickeln. Wie in etwa Angst vor Männern,
Angst vor Dunkelheit, Angst vor geschlossenen Räumen, Angst, dass der Täter
seine Drohungen wahrmacht.57 Hinzu kommen Ängste, dass man ihnen nicht
glaubt, wenn sie etwas sagen, dass sie verspottet werden oder sogar von Eltern
54
vgl. Rensen, B. (1992): Fürs Leben geschädigt. S.131f
vgl.. Bange, D./ Deegener, G. (1996): S.80
56
vgl. Born, M. (1994): S.44
57
vgl. ebd. S.44
55
25
und Geschwistern getrennt werden. Diese Aussagen und noch schlimmere
seien gar nicht so selten der Fall, bestätigte mir der Hypnotherapeut und
Ausbilder in therapeutischer Hypnose, Elmar Woelm (Leiter des Instituts für
Hypnotherapie und Hypnosystemische Lösungen in Osnabrück) in einem
Gespräch. Er nannte ein Beispiel aus der psychologischen Praxis, wo eine
Mutter ihrer Tochter sogar Vorwürfe machte, wie: „Du Hure!“, als die Tochter
bei ihr Hilfe suchte und ihr den Missbrauch durch den Vater anvertraute. Es
lässt sich leicht vorstellen, welchen extremen psychischen Schaden solche
Reaktionen bei einem Kind anrichten können.
Einige Kinder zeigen plötzlich für ihre Umwelt unerklärliche Symptome.
Ältere Kinder nässen eventuell wieder ein, leiden unter Depressionen oder
extremen Minderwertigkeitskomplexen. Kleinere Kinder hingegen zeigen auf
einmal ein ausgesprochenes sexualisiertes Verhalten, indem sie sich Zwanghaft
masturbieren oder extrem häufig mit anderen Kindern experimentieren, hierbei
fügt das missbrauchte Kind dem anderen Kind Schmerzen zu oder äußert
Bemerkungen, die nicht zu seinem Alter passen. Zudem können merkwürdige
Phobien entstehen, wie in etwa gegen Joghurt, weil der Joghurt Sperma ähnlich
sieht, sie könnten auch große Angst vor Bienen entwickeln, weil der Stich der
Biene weh tut, genauso wie der Penis weh tut. Die Kinder erzählen so die
Wahrheit ohne es selbst zu merken. 58
Natürlich weist nicht jedes Symptom sofort auf sexuellen Missbrauch hin, es
sind Folgen, die hinsichtlich auf sexuellen Missbrauch auftreten können, sie
können aber auch auf anderen Problemen des Kindes aufgebaut sein.
4.3. Soziale Auffälligkeiten
Viele Studien zeigen die sozialen Auffälligkeiten sexuell missbrauchter Kinder
auf, wie z.B. auch die von John Conte (1988). So belegt die Studie von Conte,
dass 25% der missbrauchten Kinder ein Jahr nach der Aufdeckung des
Missbrauchs Leistungsprobleme und 22% der Kinder Verhaltensauffälligkeiten
in der Schule zeigten. Diese und andere Untersuchungen zeigen, dass viele
Kinder auch unter Konzentrationsstörungen bzw. hyperaktivem Verhalten
58
vgl. Rensen, B. (1992): S.132
26
leiden. Jungen entwickeln eher als Mädchen durchaus auch aggressive
Verhaltensweisen, sie fühlen sich nicht mehr als „richtige“ Jungen, sie werden
vor allem jüngeren, schwächeren Kindern gegenüber aggressiv: so können sie
ihre Wut auslassen; hier sind sie der Stärkere und fühlen sich wieder als
„richtige“ Jungen. Mädchen hingegen ziehen sich eher zurück und entwickeln
depressive und gegen sich selbst gerichtete Verhaltensweisen. 39% der Eltern
in der Studie von Conte gaben an, dass sich die Kinder nach dem Missbrauch
anschrien, schlugen oder Sachen zerstörten, was sie vorher nicht so getan
haben.59 Wie Kinder- und Jugendpsychologe Andreas Krüger im SternInterview schon ansprach, kann es bis zu Suizidgedanken bei sexuell
missbrauchten Kindern kommen, sie wollen nicht mehr leben, um die immer
wiederkehrenden zermürbenden Erinnerungen nicht mehr ertragen zu müssen
oder wenn die Missbrauchssituation schon vorbei ist, den immer noch
währenden Schmerz zu beenden. Kinder verletzen sich selbst, um auf sich
aufmerksam zu machen oder um sich selbst zu bestrafen. So beschreiben Eltern
von einer Reihe ungeklärter Unfälle, wie z.B. Autounfälle oder Stürze von
Dächern.60
4.4. Emotionale Folgen/ Auswirkungen auf das Sexualverhalten
Missbrauchte
Kinder
können
im
Kindesalter
ganz
unterschiedliches
Sexualverhalten entwickeln. Wie ich bereits erwähnt habe, kann es zur
zwanghaften Masturbation kommen oder auch zu kindlichem Exhibitionismus,
bis hin zur Prostitution. Andere Kinder aber ziehen sich ganz zurück und
verhalten sich auf den ersten Blick ganz normal. Die meisten jedoch fallen
durch altersunangemessenes sexualisiertes Verhalten auf.
Sexuell missbrauchte Opfer verlieren das Vertrauen in andere Menschen. Sie
haben gelernt: Nähe bedeutet Gefahr. Somit entwickeln missbrauchte Kinder
ein tiefes misstrauen in ihre Umwelt.
61
59
Viele Kinder entwickeln auch Angst
vgl. Bange, D. (1996): S.85ff
vgl. Krüger, A. (2008): S.1
61
vgl. Böhmer, A.; Eggert, M.; Krüger, A. (1995): Fühlen, Wahrnehmen, Handeln. S.19
60
27
vor sexuellen Dingen, denn sie mussten erleben, dass Sexualität etwas
Gewalttätiges ist, das weh tut und verbinden damit negative Gefühle. 62
Trotz alledem muss festgehalten werden, dass nicht alle altersunangemessenen
sexuellen Verhaltensweisen sofort auf sexuellen Missbrauch hinweisen und es
wird von einer Überinterpretation von z.B. diversen „Doktorspielen“ gewarnt.
Auch provokante nicht altersgemäße Wörter finden sich immer wieder bei
nicht missbrauchten Kindern.
Sexueller Missbrauch im Kindesalter kann, wie schon gesagt, lange nach dem
Missbrauch noch Folgen haben, so häufig besonders im eigenen sexuellen
Verhalten. Sexuell missbrauchte Kinder sind oft nicht in der Lage eine intime
Beziehung zu einem Partner aufzubauen. Versuchen sie sich auf eine
Partnerschaft einzulassen, kommen schnell verdrängte negative Gefühle wieder
hoch. Sie schaffen es nicht vertrauen in den Partner aufzubauen, sehen sich
lediglich als Lustobjekte und können nicht entspannen. Es kann aber auch das
gegenteilige
Verhalten
aufgebaut
werden:
Frauen
werden
regelrecht
sexsüchtig, sie versuchen damit sämtliche Bedürfnisse zu befriedigen. Sie
sehnen sich nach Liebe und Geborgenheit, die sie in Wirklichkeit gar nicht
zulassen können.63 Sie entfernen sich von ihrem Körper und lassen keine
Gefühle mehr zu. Sie haben gelernt, ihren Kopf von dem abzuspalten, was mit
ihrem Körper passiert, so dass es kein Problem darstellt, ihren Körper an
Fremde zu verkaufen und dadurch geraten viele missbrauchte Kinder später in
die Prostitution.64
5. Pädagogische Konsequenzen für die Arbeit an Grundschulen
5.1. Sexueller Missbrauch – Ein Thema für die Schule
Prävention sollte eine politische Auffassung werden, die in den täglichen
erzieherischen Umgang mit Kindern integriert wird. Kindergärten und Schulen
62
vgl. Bange, D. (1996). S.90
vgl. Böhmer, A.; Eggert, M.; Krüger, A. (1995): S.19
64
vgl. Brockhaus, U. (1993): S.156
63
28
erhalten dabei eine besonders wichtige Rolle. Da hier in Deutschland jedes
Kind die Schule besuchen muss, kann sich diese zum einzigen Zufluchtsort der
Kinder entwickeln. Werden sie zu Hause missbraucht, können sie sich in der
Schule sicher fühlen und sich ihrem Lehrer anvertrauen.65
Die Schule sollte ihrem Erziehungsauftrag nachkommen und die Chancen, die
sich ihr zu präventiven Maßnahmen bieten, wahrnehmen und nutzen. Dies
fordert allerdings eine erzieherische Grundhaltung, in der die Schüler
selbstverständlich Grenzen setzen dürfen und ihre Bedürfnisse ernst genommen
werden. Neu erlerntes Verhalten muss geübt werden und in den Alltag in der
Schule integriert werden. Ein paar Einheiten zum Thema „Missbrauch“ reichen
nicht aus, um präventives Verhalten umsetzten zu können.
Kritisch sehe ich in der Schule das schon bestehende Machtverhältnis zwischen
Lehrern und Schülern. Wie können sie ihnen beibringen, dass sie Grenzen
setzen dürfen und „nein“ sagen dürfen, wenn sie zugleich von den Schülern
erwarten dass sie das tun, was die Lehrkräfte ihnen sagen. Hinzu kommt die
körperliche Unterlegenheit, durch die sich Kinder Erwachsenen gegenüber
kaum wehren können.
In der Schule müssen langfristige Lösungen gefunden werden, denn zum einen
kann sie Zufluchtsort für bereits missbrauchte Kinder sein, zum anderen kann
er aber auch Ort des Missbrauchs sein. Immer noch gibt es viele Mädchen und
Jungen, die in der Schule sexuelle Gewalterfahrungen machen müssen, indem
sie durch Mitschüler, Lehrer, Hausmeister oder Trainer sexuell missbraucht
werden. Dies kann von unangenehmen Berührungen über sexistische Witze bis
hin zur Vergewaltigung reichen.66 Es trifft vor allem die Mädchen und die
haben meist keinen Mut etwas zu sagen, da man ihnen nachsagen könnte, sie
würden lügen oder hätten es doch selbst gewollt. Durch diese Weise lernen die
Jungen zu dominieren und die Mädchen sich unterzuordnen. In der Schule gibt
es zahlreiche Situationen, die sehr gut geeignet sind, um sie in den präventiven
Maßnahmen zu Wort zu bringen. Durch Übungen können Alternativen
aufgezeigt werden und positive Ansätze gefördert werden.67
65
vgl. Böhmer (1995): S.24
vgl. Scheele, U.: In: Kavemann,B. u.a. (1996): Nur keine Panik! Missbrauch – Ein Thema
für die Schule. S. 90f
67
vgl. a.a.O. S.92#
66
29
Auch wenn die Umsetzung präventiver Maßnahmen in der Schule schwierig
sind, sollten sie in jedem Fall in der Schule zur Grundhaltung der Lehrer
gehören, da hier, wie schon gesagt, alle Kinder erreicht werden und die Schule
einen großen Beitrag leisten kann, Missbrauch zu verhindern oder zumindest
aufzudecken und dadurch den betroffenen Schülern zu helfen.
Wie dies konkret in der Schule aussehen kann, erläutere ich im weiteren
Verlauf dieser Arbeit. Zunächst möchte ich im Folgenden Kapitel die
Begrifflichkeit zur Prävention klären.
5.2. Prävention von sexuellem Missbrauch
5.2.1.
Zum Präventionsbegriff
Wir alle kennen die warnenden Worte: „Gehe nie mit einem fremden Mann
mit, auch nicht wenn er dir Bonbons verspricht, erzählt, er habe eine
Katze/Hund im Auto oder behauptet, er solle dich abholen. Er könnte
schlimme Dinge mit dir tun, die dir weh tun!“ Hiermit warnen wir unsere
Kinder vor bösen fremden Männern.
Was aber wenn die Gefahr im nahen Umfeld des Kindes lauert? Davor warnen
die meisten Eltern ihre Kinder nicht. Kommt es dann zu sexuellen Übergriffen
innerhalb der Familie oder des nahen Bekanntenkreises, sind die Kinder
verwirrt, weil sie ausgerechnet von den Personen bedrängt werden, vor denen
sie nicht gewarnt worden sind, von denen, denen sie vertrauen, in einem
Umfeld in dem sie sich sicher und wohl fühlen sollten. Tritt diese Art von
Übergriffen ein, die weitaus häufiger sind, als die von einem fremden Mann,
wissen die Kinder sich nicht zu wehren.68 Um dies zu verhindern muss
Prävention von sexuellem Missbrauch betrieben werden. Prävention bedeutet
in erster Linie sexuelle Gewalt durch präventive Maßnahmen zu verhindern.
Eine sichere Methode, ein Kind vor sexuellem Missbrauch zu schützen, gibt es
nicht, aber es gibt im Sinne der Vorbeugung günstige Erziehungseinflüsse.
68
vgl. Born, M. (1994): S.80
30
Bezüglich des sexuellen Missbrauchs an Mädchen und Jungen werden drei
Arten der Prävention unterschieden.
1. Primäre Prävention
Aufgabe der primären Prävention soll sein, dass sie im Vorfeld so wirkt, dass
es gar nicht erst zu sexuellem Missbrauch kommt: oberstes Ziel ist also das
Verhindern sexueller Übergriffe.69 In der primären Prävention werden alle
gesellschaftlichen Strukturen, die sexuellen Missbrauch überhaupt erst
ermöglichen, verändert.70 Somit richtet sich die primäre Prävention an
Familien, die Schule, an das soziale Umfeld wie z.B. dem Sportverein und an
die Politik.71 Auch Tätertherapieprogramme, die weiteren Missbrauch
verhindern sollen, gehören zur primären Prävention.72
In erster Linie wendet sich die primäre Prävention an Mädchen und Jungen mit
dem Ziel, „die Kinder dazu zu befähigen sich selbst vor sexuellen Übergriffen
zu schützen.“73
2. Sekundäre Prävention
Möglichst frühzeitige Aufdeckung und Beendigung des bestehenden
Missbrauchs ist Ziel der sekundären Prävention. Interventionen tragen zur
Beendigung
oder
langfristig
zur
Aufarbeitung
der
sexuellen
Missbrauchserlebnisse bei. Auf diese Weise soll fortdauernder sexueller
Missbrauch unterbrochen werden.74
3. Tertiäre Prävention
Bei der tertiären Prävention geht es um die Minderung der Folgeschäden.
Kinder, die bereits Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden sind, sollen
ihre gewaltsamen Erlebnisse aufarbeiten und therapeutisch behandelt werden.
69
vgl. Fey, E. (1991): Möglichkeiten und Grenzen von Prävention – Bedeutung und
Hintergründe von sexuellem Missbrauch. In: Büscher, U. u.a. (Hrsg.): Sexueller Missbrauch
von Kindern und Jugendlichen. Beiträge zu Ursachen und Prävention. S.45
70
vgl. Koch, H.H./ Kruck, M. (2000): S.33
71
vgl. Rensen, B. (1992): S.194
72
vgl. Koch, H.H./ Kruck, M. (2000): S.33
73
Born, M. (1994): S.79
74
vgl. Fey, E. (1991): In: Büscher, U. u.a. S.45
31
Nicht selten wird die tertiäre Prävention mit zur sekundären Prävention
gerechnet.75
Im eigentlichen Sinne des Wortes Prävention (lat. = Vorbeugen) ist nur die
primäre Prävention eine Vorbeugemaßnahme. Alle Präventionsprogramme und
Unterrichtsreihen, die an Kindergärten und Schulen zur Verhinderung von
sexuellem Missbrauch durchgeführt werden, zählen demnach zur primären
Prävention.
Die drei genannten Formen der Prävention lassen sich jedoch nur selten streng
voneinander trennen. Da es durch primäre Präventionsmaßnahmen durchaus zu
einer Aufdeckung eines Missbrauchs kommen kann, sollte der Aspekt der
sekundären und tertiären Prävention immer mit berücksichtigt werden. Wichtig
sind vorhandene Hilfsangebote, um eventuell bekannt werdende Fälle von
Missbrauch entsprechend verantwortungsvoll weiterleiten zu können.76
5.2.1.1.
Traditionelle und neuere Präventionsansätze
Traditionelle Prävention:
Wie bereits im letzten Abschnitt beschrieben, treiben viele Eltern „Prävention“
von sexuellem Missbrauch, oder meinen es zumindest, indem sie ihr Kind vor
fremden Männern schützen wollen, die böse Dinge mit ihnen tun könnten.
Hannelore Kastner beschreibt dieses Phänomen in ihrem Buch als (…) „eine
Farce, solche Ermahnungen Präventionsmaßnahmen zu nennen, da es fast
immer die vom Kind am meisten geliebten und ihnen am nächsten stehenden
Menschen sind, die ihnen sexuelle Gewalt antun.“77 Und nicht der „böse“
fremde Mann.
In der traditionellen Prävention werden dem Kind keine Informationen über
mögliche Täter im engeren Verwandten- und Bekanntenkreis gegeben und
auch keine Informationen über die möglichen Formen des Missbrauchs.
Durch Sätze wie: „Bleib nicht zu lange weg! oder: Zieh dich nicht so reizend
an!“ wird den Kindern ihre Selbstständigkeit und Entscheidungsfreiheit
75
vgl. Koch, H.H./ Kruck,M. (2000): S.33
vgl. ebd.: S.33
77
Kastner, H.(1998): Sexueller Missbrauch erkennen – helfen – vermeiden. S.30
76
32
genommen. Außerdem suggerieren solche Sätze indirekt zusätzlich eine
Mitschuld an dem Missbrauch. Statt Kinder zu informieren und zu stärken, zu
ermutigen sich zu wehren, vermittelt die traditionelle Prävention zwar, sich vor
fremden Tätern in Acht zu nehmen, zugleich vermittelt sie dem Kind aber
Angst vor fremden Menschen, verschleiert Tatsachen und weist den Kindern
eine Mitschuld zu.78
Neuere Präventionsansätze:
Die neueren Präventionsansätze wollen weg von den Vermeidungsstrategien,
da sich diese als wenig sinnvoll herausgestellt haben. Kinder sollen in ihren
Rechten und Kompetenzen gestärkt und selbstbewusst gemacht werden.79 Es
gibt einige Regeln, die im Hinblick auf Prävention in der Erziehung
berücksichtigt werden sollten und dem Kind vermittelt werden sollten, um es
zu befähigen, sich vor sexuellem Missbrauch zu schützen, diese Regeln möchte
ich im folgenden Absatz erläutern.
Sinnvolle Prävention setzt bei den Gefühlen der Kinder an:
• „Höre auf dein Gefühl!
Das Kind hat ein gutes Gefühl und spürt eigentlich genau, wenn etwas
nicht stimmt.
• Vertraue deinem Gefühl!
„Deine Gefühle sind wichtig, sie sind nämlich deine Gefühle. Wenn dir
etwas seltsam vorkommt, hast du ein Recht so zu fühlen. Erzähle uns, wenn
du traurig, ängstlich, glücklich oder verunsichert bist.“80
• Dein Körper gehört dir!
Das Kind hat ein Recht auf Selbstbestimmung über seinen eigenen Körper.
Das Kind bestimmt wann von wem und wo es berührt wird.
• Sag nein zu ungewollten Berührungen!
Es gibt schöne und unangenehme Berührungen. Das Kind soll lernen, diese
angenehmen, zärtlichen Gefühle von unangenehmen, komischen und
verwirrenden zu unterscheiden.
• Erzähle von Ereignissen, bei denen es dir nicht gut geht!
78
vgl. Koch, H.H./ Kruck,M. (2000): S.36
vgl. a.a.O.: S.40
80
Born, M. (1994): S.83
79
33
• Hole dir Hilfe bei einem anderen Menschen!
• Du bist nie Schuld, wenn ein Erwachsener dir etwas antut!“81
• Es gibt gute und schlechte Geheimnisse
Das Kind sollte lernen, dass es über Angst machende Geheimnisse jederzeit
reden darf!
Dirk Bange (1995) fasst die grundlegenden Ziele neuerer präventiver Ansätze
in der Arbeit mit Kindern folgendermaßen zusammen:
- „Kinder sollen so selbstbewusst und autonom werden, dass sie in der Lage
sind, gefährliche Situationen und sexuelle Übergriffe zu erkennen.
- Kindern soll das Gefühl und das Wissen vermittelt werden, dass sie sich
wehren können und dürfen.
- Kinder sollen Widerstandsformen beigebracht werden, die ihnen helfen
können, einen sexuellen Missbrauch zu vermeiden und einen laufenden
aufzudecken.“82
Ganz wichtig ist meiner Meinung nach, dass den Kindern ausdrücklich
vermittelt wird, dass sie nicht an dem Missbrauch Schuld sind, sondern die
Verantwortung bei dem Täter liegt. Genauso ein wichtiger Aspekt ist die
Vermittlung, dass nicht nur Fremde als Täter in Frage kommen, sondern auch
Bekannte und Verwandte Täter sein können.
Zusammengefasst möchte ich noch einmal sagen: Kinder müssen so in ihrer
Entwicklung
unterstützt
eigenverantwortlichen
werden,
und
dass
sie
konfliktfähigen
sich
zu
selbstbewussten,
Persönlichkeiten
entwickeln
können. Denn alles was die Selbstsicherheit der Kinder stärkt, vermindert die
Gefahr, dass sie Opfer von sexuellem Missbrauch werden.
Für Kinder und auch häufig für uns Erwachsene ist es nicht einfach über
Gefühle zu sprechen. Um sexuellem Missbrauch vorzubeugen, ist es aber
besonders wichtig, dass Kinder genau das lernen. Haben Kinder gelernt, mit
Erwachsenen darüber zu sprechen, welche Berührungen angenehm sind und
welche nicht, können wir Erwachsenen den Kindern auch vermitteln, dass sie
81
82
Kastner, H. (1998): S.31
Bange,D. in: AJS (1995): S.12 in: Koch, H.H./ Kruck,M. (2000): S.41
34
ein Recht haben, zu unangenehmen Gefühlen „nein“ zu sagen. In diesem
Zusammenhang können wir den Kindern vermitteln, dass es Erwachsene gibt,
die dieses Recht missachten. Das Kind ist aber niemals Schuld daran!
Ich möchte noch einmal zurückkommen auf das Thema der Geheimnisse. Wie
schon gesagt, gibt es gute und schlechte Geheimnisse. Den Kindern muss der
Unterschied erklärt werden und deutlich gemacht werden, dass schlechte
Geheimnisse, die erzwungen werden, weh tun oder Angst machen,
Geheimnisse sind, die sie erzählen dürfen und auch sollten, auch wenn es ihnen
schwer fällt.
Wenn sich Eltern genügend Zeit für ihre Kinder nehmen, ihnen ausreichend
Aufmerksamkeit und Zuwendung geben und ihnen zuhören, haben sie schon
einen wichtigen Schritt zur Prävention von sexuellem Missbrauch getan. Denn
Täter suchen sich zumeist Kinder, die nach Aufmerksamkeit und Zuwendung
streben.
Zudem ist altersangemessene Sexualerziehung ein ausschlaggebender Punkt in
der Prävention von Missbrauch. Ein unaufgeklärtes Kind ist ein leichteres
Opfer als ein aufgeklärtes. Nur wenn die Kinder aufgeklärt sind, können sie
einen Missbrauch erkennen und auf ihre Grenzen bestehen. Kleinere Kinder
sind in diesem Zusammenhang leichtere Opfer, da sie sich nicht erklären
können, was mit ihnen passiert. Ist Sexualität kein Tabuthema, haben Kinder
die Möglichkeit mit ihren Eltern zu sprechen und im Fall der Fälle Hilfe zu
suchen.83
5.2.2.
Präventionsprojekt CAPP der USA
Das Präventionsprojekt CAPP (Child Assault Prevention Project = Projekt zur
Vorbeugung von Übergriffen an Kindern) wurde vor 15 Jahren gegründet und
war das erste, und wohl auch in Deutschland bekannteste amerikanische
Präventionsprogramm zum Thema „Sexueller Missbrauch an Mädchen und
Jungen“.
83
vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.
(2006): S.19ff
35
Frauen der Vereinigung „Woman against Rape“ (Notruf für vergewaltigte
Frauen) entwickelten dieses Projekt, um Kinder vor Übergriffen zu schützen.84
CAPP besteht im Wesentlichen aus drei Komponenten: einem Workshop für
Kinder, einem für deren Eltern und einem für die Lehrer der Kinder. Das Motto
von CAPP ist: „Safe, strong, free!“ Hiermit soll deutlich werden, dass Kinder
stark gemacht werden sollen, damit sie sich selber schützen können und dass
sie Rechte auf Selbstbestimmung haben.85 Durchgeführt werden diese
Workshops von ausgebildeten CAPP-Trainern.
Um eine sinnvolle Prävention gegen sexuellen Missbrauch zu betreiben,
werden bei dem Projekt drei Schwerpunkte gesetzt:
1. Das Schweigen, über das immer noch haftende Tabu des Themas wird
gebrochen. Bewusstsein und Sprache für das bisher Unaussprechbare wird
geschaffen: Sexueller Missbrauch existiert! Es wird über Fakten und
Aufklärung informiert und diskutiert.
2. Die vermeintlich machtlose Situation der Kinder soll bewusst gemacht und
verändert werden. Die Kinder lernen ihre Rechte kennen und zu
verteidigen.86 „Den Schülern soll die eigene Stärke sichtbar gemacht
werden, indem ihnen Möglichkeiten der Gegenwehr aufgezeigt werden.“87
3. Die Isolation der Kinder wird aufgehoben, so dass die Kinder in der Lage
sind sich gegenseitig zu helfen, Freunde zur Hilfe zu holen und sich
jemandem anzuvertrauen. Zudem sollen sie wissen, dass sie im Falle eines
Missbrauchs niemals Schuld daran sind.88
Bevor diese Schwerpunkte mit den Kindern besprochen werden, finden die
Workshops für die Erwachsenen statt. Im Elternworkshop werden die Eltern
detailliert über die Zusammenhänge von sexuellem Missbrauch informiert. Im
Vordergrund sollen die Eltern eventuelle Skepsis verlieren und verstehen, dass
auch ihre Kinder informiert sein müssen, um sich in solchen Situationen richtig
verhalten und wehren zu können. 90% der Eltern geben nach diesen
Workshops den Kindern die Erlaubnis daran teilzunehmen.
84
vgl. Born, M. (1994): S.86f
vgl., Besten,B. (1995): S.69
86
vgl. ebd., S.69
87
Born, M. (1994): S.87
88
vgl. Besten, B. (1995): S.70
85
36
Im
zweistündigen
Lehrerworkshop,
wird
neben
den
grundlegenden
Kenntnissen über Kindesmisshandlung und sexuellem Missbrauch, der
Schwerpunkt auf die Folgen des Missbrauchs und den Umgang mit einem
missbrauchten Kind gelegt. Zudem wird der Ablauf des Kinderworkshops
aufgezeigt und erklärt. Zum Schluss werden rechtliche Fragen, die es zu
berücksichtigen gibt, geklärt.89
Der
Kinderworkshop
besteht
hauptsächlich
aus
Rollenspielen
und
anschließenden Gesprächen. In den Rollenspielen werden die Kinder mit
alltäglichen Situationen konfrontiert. Dazu entwickelten die CAPP-Mitarbeiter
drei Rollenspiele für die Kinder:
1. Übergriff eines älteren Kindes auf ein jüngeres. Das ältere Kind zwingt das
jüngere auf dem Schulweg, das Essensgeld herauszugeben. Für den
nächsten Tag wird das jüngere Kind an die gleiche Stelle bestellt und
verlangt, dass es nichts weitererzählt.
(Lösungsstrategien: Hilfe bei Gleichaltrigen holen, Nein-Sagen, Erwachsenen
von dem Übergriff erzählen)
2. Ein fremder Mann versucht ein Kind durch seine Naivität ins Auto zu
locken und zu entführen.
(Lösungsstrategien:
Selbstverteidigung,
Sicherheitsabstand
d.h.
Möglichkeiten
wahren,
sich
Formen
körperlich
zu
der
wehren,
Selbstverteidigungsschrei)
3. Im dritten Rollenspiel geht es um sexuellen Missbrauch durch einen
Verwandten. Der Onkel/Bruder/Babysitter oder Vater kommt zum Kind ins
Zimmer und versucht es auf unsanfte Weise zu küssen. Das Kind lässt es
über sich ergehen, danach sagt der Onkel: „Dafür bekommst du auch das TShirt was du dir so gewünscht hast. Und du erzählst keinem davon.“90
Es wird den Kindern erklärt, dass es sich um irgendjemanden handeln kann,
den sie gut kennen. Es wird erklärt, dass es vorkommen kann, dass diese
Personen sie anfassen, obwohl sie das gar nicht wollen und es kann Mädchen,
aber auch Jungen passieren.
89
90
vgl. Koch, H.H./ Kruck,M. (2000): S.44
vgl. Born, M. (1994): S.88
37
Hier wird vor allem das Thema gute und schlechte Geheimnisse angesprochen
und erklärt, dass sie schlechte Geheimnisse immer weitererzählen dürfen.
Die Rollenspiele werden zunächst von den Trainern vorgeführt, danach
erarbeiten die Kinder mit den Trainern zusammen Strategien, wie sie sich in
solchen Situationen verhalten könnten. Danach können die Rollenspiele mit
den Lösungsstrategien auch von den Kindern nachgespielt werden. Das Opfer
spielen aber immer die Trainer. Die Kinder spielen nur starke Rollen der
Unterstützungspersonen.91
In einem vierten Rollenspiel, das nur von den Trainern gespielt wird, spricht
eine betroffene Schülerin ihren Lehrer an und vertraut sich ihr an. Der Lehrer
hört der Schülerin zu und verspricht ihre Hilfe.
Das letzte Rollenspiel soll zum Sprechen auffordern. Daraufhin erhalten die
Kinder Listen mit Hilfseinrichtungen, an die sie sich im Fall der Fälle wenden
können.92
5.2.2.1.
Kritik an CAPP
Das CAP-Projekt ist sehr umstritten und das aus vielerlei Gründen. Daher ist
die Übertragung des Projektes in die Präventionsarbeit in Deutschland
schwierig.
Monika Born spricht in ihrem Buch vielerlei Kritikpunkte an, die ich im
Folgenden erläutern möchte.
Sowohl die Rahmenbedingungen, als auch dessen inhaltliches Konzept werden
mit klaren Begründungen kritisiert. Dies fängt bei der Ausbildung der Trainer
an, die Ausbildung weist erhebliche Mängel auf. In den USA können „besorgte
Eltern oder betroffene Bürgerinnen und Bürger“, sich in Wochenendseminaren
zu Trainer ausbilden lassen. Es ist sehr fraglich, ob innerhalb so kurzer Zeit aus
Eltern oder anderen Bürgern, die keine pädagogische Ausbildung haben,
qualifizierte Trainer ausgebildet werden können. Dabei ist gerade bei diesem
brisanten Thema mit Kindern besonders hohe Qualifikation notwendig.
91
92
vgl. Koch, H.H./ Kruck,M. (2000): S.45
vgl. Born, M. (1994): S.88
38
Die Ausbildung der Trainer ist regelrecht miserabel, genauso schlecht ist die
Vorbereitung der Lehrer auf dieses Thema. In einem zweistündigen Workshop
sollen die Lehrer auf das vielschichtige Thema vorbereitet werden. Ein
Versprechen, das im Grunde überhaupt nicht möglich ist: innerhalb von zwei
Stunden können die einzelnen Themenbereiche, der allgemeinen Kenntnisse
über sexuellen Missbrauch, die Folgen für die Opfer, grundlegende
Kriseninterventionsstrategien, rechtliche Aspekte, sowie Inhalte und Methoden
des Kinderworkshops, höchstens angerissen werden.
Es sollte damit gerechnet werden, dass sich betroffene Schüler nach einem
solchen Projekt im Vertrauen an den Lehrer wenden, dieser hingegen wurde
unzureichend auf eine solche Situation vorbereitet und weiß im ersten Moment
nicht, wie er richtig mit dieser Situation umgeht. All das kann ein
zweistündiger Vortrag nicht leisten und die Lehrkräfte sind unmöglich befähigt
adäquat mit betroffenen Schülern, die sich ihnen anvertrauen umzugehen.93
90% der Eltern, die den Workshop besucht haben, geben ihren Kindern die
Erlaubnis an dem Workshop teilzunehmen. Das hatte ich bereits erwähnt. Nicht
außer acht zu lassen sei aber hierbei, dass nur die Eltern an dem Workshop
teilnehmen, die Interesse daran haben. Dies bedeutet, dass die Kinder, die es
gerade nötig hätten, die Erlaubnis ihrer Eltern nicht erhalten und dadurch nicht
am Workshop teilnehmen dürfen, weil die Eltern selbst erst gar nicht an dem
Elternworkshop teilnehmen. Beachten wir dabei, dass 2/3 der Eltern nicht an
dem Workshop teilnehmen, reduziert sich die Zahl der teilnehmenden Kinder
beträchtlich.94
Gerade in den USA wird nicht offen über Sexualität gesprochen. Aus diesem
Grund wird in diesem Projekt auf die konkrete Benennung sexueller
Handlungen, sowie der Geschlechtsteile verzichtet und die Bereiche diskret
umschrieben. Die Geschlechtsorgane z.B. werden so lediglich als „private
zones“ bezeichnet. Durch solche unklaren Beschreibungen können statt
Aufklärung noch mehr Verwirrungen bei den Kindern entstehen. Hierbei
93
94
vgl. Born,M. (1994): S.89
vgl.ebd., S.89
39
komme ich wieder auf den Punkt, dass Prävention von sexuellem Missbrauch
nur mit einer grundlegenden erzieherischen Einstellung, die dem Kind ein
Selbstbestimmungsrecht zugesteht und Offenheit der Eltern, funktionieren
kann. Sind die Eltern selbst zu verklemmt, mit den Kindern über Sexualität zu
sprechen, können sie ihnen unmöglich erklären was sexueller Missbrauch
überhaupt ist. Durch die unklaren Bezeichnungen und die Tatsache, dass
sexueller Missbrauch etwas Unaussprechbares sei, etwas das man umschreiben
muss und nicht genau aussprechen darf, wird der Geheimhaltungsdruck und
das Redeverbot des Täters bestätigt und sogar verstärkt.95
Weiterhin muss gesagt werden, dass Kinder im Grundschulalter oder jünger
kaum in der Lage sind, die mit den Trainern nachgestellte Situation eines
Missbrauchs mit dem eines eventuellen zukünftigen eigenen Missbrauchs in
Bezug zu setzen und wieder zu erkennen.96 Zudem sollen die Kinder stark
gemacht werden, um sich zu wehren. Natürlich kann man Kinder mit solchen
Programmen stärken, aber die machtlose Situation innerhalb der Familie wird
damit nicht aufgehoben. Hierdurch können bei bereits missbrauchten Kindern
zusätzliche Schuldgefühle ausgelöst werden. Außerdem macht ein Kind das
eventuell zukünftig sexuell missbraucht wird, die Erfahrung, dass sein „nein“
und sein sich wehren nichts zählt und der Erwachsene trotzdem weitermacht.
Dadurch fühlt es sich noch hilfloser als vorher oder bekommt erst recht
Schulgefühle und fühlt sich verantwortlich, weil es doch „stark“ ist und sich
nicht
genug
gewehrt
hat.
„Saller
fordert
daher,
dass
sich
Präventionsprogramme an Erwachsene und nicht an Kinder richten sollten, da
die Verantwortung dafür, sexuellen Missbrauch zu verhindern, bei den
potentiellen Tätern und nicht bei den Opfern liege.“97
5.2.3.
Präventionsmöglichkeiten in der Grundschule
Lehrer können durch frühzeitige, langfristige und angemessene Erziehung,
sowohl im Hinblick auf eine mögliche Opfer- als auch Täterrolle, einen
95
vgl. May, A. (1997). Nein ist nicht genug. Prävention und Prophylaxe. Inhalte, Methoden
und Materialien zum Fachgebiet Sexueller Missbrauch. S.48
96
vgl. Koch, H.H./ Kruck,M. (2000): S.47
97
Born, M. (1994): S.91
40
wesentlichen Beitrag zur Prävention von sexueller Gewalt leisten. Wie schon
gesagt, bedeutet Prävention vor allem, Kindern deutlich zu machen, dass sie
ein Recht auf selbst gewählte physische und psychische Grenzen haben, die
auch Erwachsene in der Regel nicht zu durchbrechen haben. Sinnvolle
Prävention stärkt Jungen und Mädchen, ermutigt sie, ihrem Gefühl zu
vertrauen und Hilfspersonen von Übergriffen zu erzählen.98
Bevor aber in der Schule Prävention von sexuellem Missbrauch betrieben
werden kann, muss eine ausführliche Sexualerziehung erfolgen. Angefangen
mit den Körperteilen, Schwangerschaft und Geburt bis hin zu Zärtlichkeiten
und Gefühlen. Es muss eine vertrauensvolle Basis in der Klasse geschaffen
werden, da sich die Schüler sonst nicht öffnen können. Immerhin ist das Thema
Sexualität in unserer Gesellschaft immer noch ein heikles, sehr intimes Thema
und häufig noch ein Tabu Thema, über das in vielen Familien nicht oder
unangemessen gesprochen wird. Manche Eltern umgehen das Thema
Sexualität aus Unsicherheit oder reagieren mit Verlegenheit auf Fragen ihrer
Kinder. Kinder, die so aufgewachsen sind, können sexuelle Übergriffe nicht
einordnen, da sie zuwenig oder gar keine Informationen zu sexuellen
Vorgängen, Verhaltensweisen oder Körperfunktionen haben. Zudem können
sie sich niemandem anvertrauen, weil sie nicht gelernt haben über sexuelle
Dinge zu sprechen.99 Daher ist nicht nur die ausführliche Aufklärung der
Sexualität allgemein von enormer Bedeutung, sondern auch die Einbeziehung
des Elternhauses. Präventionsarbeit in der Schule kann nur funktionieren, wenn
Schule und Eltern miteinander kooperieren. Die Erziehungshaltung von Schule
und Eltern muss übereinstimmen. Denn was bringt es, wenn den Kindern in der
Schule beigebracht wird, dass sie „nein“ sagen dürfen, aber zu Hause dafür
Ärger bekommen.100
Nicht nur bei den Kindern und bei den Eltern müssen Vorbedingungen geklärt
werden, auch bei den Lehren, müssen im Vorfeld einige Dinge bewusst
werden. Lehrer stehen bei dem Thema vor einem Dilemma. Zum einen scheint
Präventionsarbeit wie gemacht als Thema für die Schule, da dort alle Kinder
98
vgl. Moers, E. (1998): S.31
vgl. Deegener, G.; Körner, W. (2005): Kindeshandlung und Vernachlässigung. S.834
100
vgl. Deegener, G. (1998): Kindesmissbrauch – erkennen, helfen, vorbeugen. S.201f
99
41
erreicht werden, zum anderen aber hat die Schule selbst eine hierarchische
Struktur. Angesetzt beim Lehrer, sollte die Präventionsarbeit damit beginnen,
diese Strukturen zu verändern und in die Richtung zu mehr Selbstbestimmung,
Eigenverantwortung, Kooperation, Individualität, Respekt kindlicher Stärken
und dem Abbau von Hierarchien gehen. Erziehung sollte dann nicht mehr
verstanden werden als Tun am Kind, sondern am Tun mit dem Kind. Diese
Veränderung der Strukturen stößt zwangsläufig an Grenzen, die selbst die
Lehrer nicht ändern können. Aber es ist trotzdem einiges möglich, z.B. die
Reflexion des eigenen Umgangsstils mit den Kindern.
Unabhängig von den institutionellen Bedingungen brauchen Lehrer ein
Fundament auf das die Präventionsarbeit aufbaut.
Sie brauchen:
-
„fundiertes und breites Hintergrundwissen über sexuelle Gewalt sowie
Materialien- und Methodenkenntnis;
-
eine emotionale Auseinandersetzung mit dem Thema, also eine Reflexion
eigener Ängste, Unsicherheiten, Abwehrmechanismen oder persönlicher
Betroffenheit;
-
die Bereitschaft, sich fachlich und emotional Unterstützung zu holen;
-
die Bereitschaft zu kontinuierlicher und interdisziplinärer Kooperation;
-
Interventionskompetenz! Da Prävention auch immer aufdeckende Wirkung
haben kann, muss Sicherheit über das weitere Vorgehen herrschen. Dazu
gehört auch die Kenntnis über das örtliche Hilfenetz, denn keine Person
oder Institution kann eine Intervention alleine durchführen;
-
die Bereitschaft, Mütter und Väter im Rahmen von Elternbildung aktiv an
der Präventionsarbeit zu beteiligen.“101
Sind die Vorbereitungen getroffen und kann mit der eigentlichen Prävention
begonnen werden, gibt es viele Themenbereiche, die durchgesprochen werden
sollten. Da ich diese im vierten Kapitel bereits erläutert habe, wiederhole ich
nur kurz zur Erinnerung wie Moers diese in ihrem Artikel der Zeitschrift
Grundschule beschreibt:
101
Deegener, G.; Körner, W. (2005): S.836f
42
„Die Rechte des Kindes auf körperliche Selbstbestimmung, Ich-Stärkung und
Förderung des Selbstbewusstseins, Mut zum Nein-Sagen, die unterschiedlichen
Qualitäten von Berührungen, Wahrnehmen und Mitteilen von Gefühlen und die
Entwicklung des Körpergefühls können in Schwerpunkten aufbereitet werden
und zur Sprache kommen. Der Lehrer sollte in Gesprächen unbedingt deutlich
machen, dass sexuelle Gewaltanwendung eine Straftat ist und dass nie das
Kind dafür verantwortlich ist.“102 Besonders wichtig sind die Gespräche mit
den Kindern, die Kinder sollen lernen sich ausdrücken zu können. Sie sollen
Gefühle als wichtig wahrnehmen und über sie reden können. Gefühle des sich
Wohlfühlens, aber auch Gefühle der Spannung und des Unbehagens sollen
ausgedrückt werden können.
Die Kinder in der Grundschule sind zwischen sechs und zehn Jahren alt. Das
bedeutet nach Vorkommen und Häufigkeit, dass Kinder in der Klasse sein
können, bei denen sexueller Missbrauch bereits begonnen hat oder sogar schon
wieder vorbei ist. Oder aber, dass in diesen Jahren der Grundschulzeit sexueller
Missbrauch beginnen könnte. Der Lehrer muss sich also darauf einstellen, dass
Schüler mit Missbrauchserfahrungen vor ihm sitzen könnten, nur dass den
betroffenen Schülerinnen das vielleicht gar nicht so bewusst ist, weil sie es
nicht ausdrücken können oder nicht aufgeklärt sind. Der Lehrer, der den
Schülern den Begriff „Misshandlung/Missbrauch“, die Worte oder Tatsache:
„Ich bin misshandelt worden“ gibt, hat daher sehr große Verantwortung.103
Wie Prävention konkret in der Schule aussehen kann, möchte ich im folgenden
Kapitel zeigen.
5.2.4.
5.2.4.1.
Prävention durch Elternarbeit
Planung eines Elternabends
Wenn die Absicht besteht, im Laufe des Schuljahres eine Einheit zum Thema
sexuellen Missbrauch mit den Schülern zu thematisieren, ist es sinnvoll, dieses
schon am Anfang des Schuljahres in einem der Elternabende kurz
102
Moers, E. (1998): S.31
vgl. Wegener, W. (1997): Misshandelte Kinder. Grundwissen und Arbeitshilfen für
pädagogische Berufe. S.230
103
43
anzusprechen. Auch wenn noch keine konkreten Stunden mit den Kindern
geplant sind, so wissen die Eltern Bescheid, können sich darauf einstellen,
Fragen entwickeln und diese an dem Elternabend kurz vor der Einheit
loswerden.
Wichtig zu betonen ist, damit die Eltern nicht schon im Vorfeld abgeschreckt
sind von dem Thema, dass es primär um die Prävention von Kindesmissbrauch
geht.
Zur Planung eines Elternabends sollte die Lehrkraft sich frühzeitig mit einer
Fachkraft in Verbindung setzen, mit ihr den Elternabend planen und sie zur
Mitgestaltung des Abends einladen. Mit der Schulleitung und den Kollegen
kann das Vorhaben in einer Lehrerkonferenz abgesprochen werden.
Grundsätzlich muss das Einverständnis der Schulleitung geholt werden, zudem
muss die Finanzierung der Fachkraft, Ort und Zeit des Elternabends geklärt
werden und die Einladung für den Elternabend mit den Eltern formuliert und
ausgeteilt werden.104 (Beispiel einer Einladung zum Elternabend zum Thema
„Sexueller Kindesmissbrauch“ Anhang Nr.1)
5.2.4.2.
Tipps für einen Elternabend
Sexualität allgemein ist kein einfaches Thema, sondern ein heikles, über das
nicht gern gesprochen wird. Viele Eltern wissen nicht, wie sie mit ihren
Kindern darüber sprechen sollen oder wie sie auf Fragen antworten sollen. Viel
schwieriger ist es also noch auf sexuelle Gewalt zu reagieren. Gerade Eltern
sollten Hinweise erkennen können, ihren Kindern als Schutz und
Ansprechpartner zur Verfügung stehen und zur Not auch wissen, wie sie im
Fall eines Missbrauchs richtig reagieren können. Die Schule kann Eltern in
entsprechenden Elternabenden Inhalte und Möglichkeiten einer sinnvollen
Präventionsarbeit aufzeigen.105
Ist eine Lehreinheit zum Thema sexuelle Gewalt geplant, müssen die Eltern
rechtzeitig informiert werden und das Thema vorher an mindestens einem
Elternabend besprochen werden. Sinnvoll sind mehrere Elternabende, da das
104
105
vgl.Lercher, u.a.; (1995): Missbrauch verhindern. S.148f
vgl. Kastner, H. (1998): S. 43
44
Thema sehr komplex ist und den Eltern an einem Abend nicht alles vermittelt
werden kann. Gut ist immer eine Fachperson als Referent zu diesem speziellen
Thema einzuladen, da diese eine neutrale Person den Eltern gegenüber ist.
Zudem ist sie spezialisiert auf den Themenbereich, hat Praxiserfahrungen und
kann einige Fragen der Eltern vielleicht besser beantworten.
Bevor darauf eingegangen wird, was genau mit den Schülern im Unterricht
geplant ist, sollten zunächst einige Hintergrundinformationen gegeben werden.
Die Eltern sollten also zunächst über aktuelle Daten des Ausmaßes von
sexuellem Missbrauch, sowie über potentielle Täter informiert werden. Um
auch hiermit deutlich zu machen, wie wichtig dieses Thema ist. Als weiteres ist
eine Begriffsbestimmung notwendig, wo fängt sexueller Missbrauch an, wo
hört er auf, gibt es eine allgemeingültige Definition? Während des
Elternabends zur Verfügung gestellte Fachliteratur, kann sehr hilfreich sein.
Auch Hinweise der Kinder auf sexuellen Missbrauch sollten mit den Eltern
durchgesprochen werden, wobei ganz deutlich gemacht werden muss, dass
nicht jedes Signal gleich ein zwingendes ein Zeichen für sexuelle Gewalt ist.
Trotzdem sollten in jedem Fall mögliche Maßnahmen bei Verdacht auf
sexuellen Missbrauch aufgezeigt werden. Da bei den Eltern häufig große
Unsicherheit herrscht, darf nicht außer acht gelassen werden, mit den Eltern
darüber zu sprechen, wie sie über sexuelle Gewalt mit ihren Kindern reden
können. Eine besonders gründliche Information liegt auf der Prävention in der
Schule und darauf, was konkret mit den SchülerInnen geplant ist.106 Hierbei ist
es auch ganz wichtig die Erziehungshaltung im Elternhaus zu besprechen.
Schule und Eltern sollten dabei übereinstimmen, denn was bringt es, wenn ich
den Kindern in der Schule beibringe, selbstbewusst sein zu dürfen und „nein“
sagen zu dürfen, wenn das im Elternhaus nicht auch gilt. Natürlich soll dies
nicht zu einem antiautoritären Erziehungsstil führen. Die Grenzen, die die
Eltern oder auch die Schule setzen, müssen trotzdem eingehalten werden. Hier
sind dann zu den Situationen konkrete Erklärungen notwendig, warum man als
Eltern oder Lehrer Dinge entscheidet, auch, wenn das Kind anderer Meinung
ist. Wie z.B., wenn das Kind abends ins gehen Bett soll, aber nicht will. Hier
zählt sein „nein“ nicht. Da die Kinder zum einen ihren Schlaf brauchen, um am
106
vgl. Staudinger, U. (1999): S.8
45
nächsten Tag ausgeschlafen zu sein und sich in der Schule konzentrieren
können und zum anderen die Eltern auch ein Recht auf Feierabend haben.
Weitere Punkte eines Elternabends können sein:
•
Situation betroffener Kinder; Dynamik des Missbrauchs
•
Prävention im Erziehungsalltag
•
Rechte der Kinder
•
Berührungen/Geheimnisse
•
Vertrauenspersonen
•
Adressen von Beratungsstellen107
Eltern erwarten von den Schulen häufig Patentrezepte, da sie die Thematik
unter Druck setzt. Zum einen ist das Thema für sie selbst schwer verdaulich
und unangenehm, zum anderen wollen sie ihren Kindern offen gegenüber
stehen und alles richtig machen. Daher sollten klare Aussagen gemacht
werden, eigene Grenzen aufgezeigt, und auf mögliche Beratungsstellen
hingewiesen werden.108
Der Lehrer sollte den Eltern deutlich machen, dass sie die Persönlichkeit der
Kinder stärken will, und sie sollte sie darauf vorbereiten, dass ihre Kinder
eventuell auch elterlichen Wünschen nicht zustimmen werden. Denn es gehört
zum Entwicklungsprozess auch „nein“ sagen zu können und sich eine eigene
Meinung zu bilden.
Wenn die Arbeit mit einem Bilderbuch oder Jugendbuch geplant ist, sollte
dieses auf dem Elternabend vorgestellt werden.109
Schwierig kann sein, dass auf dem Elternabend auch Eltern erscheinen, die ihr
eigenes Kind sexuell missbrauchen. Diese verschärfen dann eventuell den
Geheimhaltungsdruck auf ihre Kinder. Aus diesem Grund ist es wichtig auf
einem solchen Elternabend auch einen Hinweis auf Hilfen für Täter zu geben,
die z.B. der Kinderschutzbund anbietet.
107
vgl. Lercher,L. (1995): S.150f
vgl. Kastner, H. (1998): S.44
109
Moers, E. (1998): S.31
108
46
5.2.5.
Lehrerausbildung
Leider gehört das Thema „Sexueller Missbrauch“ bis heute nicht zu einem
unabdingbaren Bestandteil der Lehrerausbildung. Ähnlich wie bei anderen
Tabuthemen wie z.B. der Sexualerziehung ist es allein dem Lehrer überlassen
sich über die Themen zu informieren und sich Themenbereiche anzueignen.
Dabei hat gerade die Lehrkraft in der Grundschule in den meisten Fällen eine
so intensive persönliche Beziehung und gutes Vertrauensverhältnis zu seinen
Schülern, dass sich die meisten missbrauchten Kinder ihnen anvertrauen
würden und die Lehrkraft ihnen auch glauben schenkt.110 Hätten die Lehrer in
der Grundschule ausreichend Kenntnisse zu diesem Thema, hätten sie eine
große Chance bereits begonnen Missbrauch zu erkennen, aufzudecken und dem
Kind entsprechende Hilfe zukommen zu lassen und auch Möglichkeiten
sexuellen Missbrauch zu vermindern.
Wie schon gesagt, ist es kaum möglich, durch eine kurzfristige schulische
Präventionseinheit, sexuellen Missbrauch, besonders von Kindern in der
Familie zu verhindern. Dennoch können in der Schule Präventionsmaßnahmen
durchgeführt werden, indem in der Primärprävention durch eine frühzeitige,
langfristige und angemessene Erziehung, vorbeugend gehandelt wird, dies
bezieht sich auf eine mögliche Opferrolle, aber auch auf eine mögliche
Täterrolle. Die Sekundärprävention kann dazu beitragen, dass ein bereits
missbrauchtes Kind Hilfe erfährt.
Problematisch ist häufig in den Schulen, dass das Lehrerkollegium das Thema
nicht wahr haben will. Dabei spielen eigene Unsicherheiten, Mangel an
Sensibilität und Zivilcourage eine große Rolle. Da im Studium keinerlei
Wissen über sexualisierte Gewalt und mögliche Präventionsmaßnahmen
vermittelt wird, sind die Lehrkräfte zwar Fachleute in ihren Fächern, verfügen
aber
häufig
nicht
über
Fähigkeiten
Konflikte
zu
bewältigen
oder
Problemgespräche zu führen. Viele Lehrer beschäftigen sich erst mit dem
Thema, wenn ein Fall des Missbrauchs in ihrer Klasse offensichtlich wird. Sie
bemühen sich dann, dem betroffenen Kind zu helfen. Ohne fachliches
Hintergrundwissen und entsprechende Kompetenz ist dies aber zum scheitern
110
vgl. Marquardt-Mau, B. (1995): S.265
47
verurteilt. In Lehrerfortbildungen soll die Vermittlung persönliche Grenzen zu
erkennen und das Machbare zu akzeptieren, wesentlicher Bestandteil sein.
Lehrer brauchen für dieses Thema eine starke und zugleich sensible
Persönlichkeit. Sie werden aufgerufen im Sinne ihrer Vorbildfunktion, sich
eindeutig zu verhalten, klare Grenzen zu setzen und die eigene Integrität den
Schülern gegenüber zu wahren.
Leider mangelt es noch immer an Fortbildungsangeboten zu sexuellem
Missbrauch an Kindern und Jugendlichen sehr.111 Ein Fortbildungsangebot der
Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern stelle ich im
Folgenden vor.
5.2.5.1.
SchiLF – Ein Modell zur Lehrerfortbildung für die Prävention von
sexuellem Missbrauch in Nordrhein-Westfalen
SchiLF = Schulinterne Lehrerfortbildung
Es handelt sich um ein Konzept der Fortbildungsmaßnahmen für Lehrerinnen
und Lehrer. Hierbei sollen einzelne Schulen mit ihren je individuellen
Bedingungen und Möglichkeiten fortgebildet werden. Ganz gezielt setzt sich
das Lehrerkollegium einer Schule mit konkreten Themen in einem kollegialen
Arbeitsprozess auseinander und erweitert damit die Kenntnisse und
Kompetenzen, findet neue Lösungen und Konzepte für die eigene Schule.
Schulinterne Lehrerfortbildungen richten sich an das gesamte Lehrerkollegium
und finden nur statt, wenn sich alle Lehrer des Kollegiums während einer
Lehrerkonferenz dazu entscheiden. Mit diesem Beschluss, verpflichtet sich das
Kollegium an der Teilnahme der Fortbildung.
Die Bezirksregierung Münster bietet Lehrerfortbildungen zu verschiedenen
Themen an. Moderatoren beraten und informieren das Kollegium.
„Die an der schulinternen Lehrerfortbildung teilnehmenden Kolleginnen und
Kollegen
sollen
die
Möglichkeit
erhalten,
ein
einführendes
Orientierungswissen über den sexuellen Missbrauch bzw. die sexuelle Gewalt
an Mädchen und Jungen zu erlangen sowie für auffällige Kinder und deren
111
vgl. Kavemann, B. u.a. (1996): S. 93ff
48
Schwierigkeiten sensibler zu werden. Weiterhin sollen die teilnehmenden
Lehrerkollegien mit Interventions- und Präventionsmöglichkeiten der Schule
vertraut gemacht und ihnen ein Austausch untereinander zu diesem Thema
ermöglicht werden.“112
Die Fortbildung erstreckt sich auf 11/2 Tage.
Die Bezirksregierung Münster bietet nicht nur Schulinterne Fortbildungen an,
sondern auch erweiterte Fortbildungen. Ziele und Inhalte der Erweiterten
Fortbildung im Bereich „Sexueller Missbrauch“ sind:
„Sexueller
Missbrauch/sexuelle
Gewalt
ist
alltägliche
Gewalt
von
Erwachsenen gegenüber Heranwachsenden. Es ist kein Ausnahmedelikt,
sondern gehört zur Erfahrung vieler Kinder und Jugendlicher in allen
Bevölkerungsgruppen.
Dieses Fortbildungsangebot bietet die Möglichkeit, eigene Berührungen,
Berührungsängste, persönliche und berufliche Grenzen und Möglichkeiten des
Umgangs mit dieser Thematik zu erfahren und zu besprechen. Es zielt darauf
ab, in der Analyse und Beurteilung von Mädchen- und Jungenverhalten
sicherer zu werden und angemessener und kompetenter zu handeln.
In diesem Zusammenhang werden den Lehrern ein grundlegendes fachliches
Wissen sowie verstärkte Handlungskompetenz vermittelt.
Die
Veranstaltung
ist
keine
Selbsthilfegruppe
und
beinhaltet
kein
Therapieangebot.
Inhaltliche Elemente sind:
-
Das Problem sexistischen Verhaltens bis hin zu sexuellem Missbrauch bzw.
sexueller Gewalt im Spiegel empirischer Untersuchungen
-
Auffälliges Verhalten in seinem Kontext verstehen lernen
-
Interkulturelle Aspekte
112
http://www.lehrerfortbildung.bezreg-muenster.nrw.de/fortbildungen
49
-
Pädagogische Möglichkeiten, die Persönlichkeitsentwicklung und das
Selbstwertgefühl von Schülerinnen und Schülern zu stärken (“primäre
Prävention”)
-
Thematisierung von sexuellem Missbrauch, z. B. im Rahmen der
Sexualerziehung
-
Beratung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen bei aktuellen
Gefährdungen – Möglichkeiten und Grenzen der Krisenintervention
-
Rechtliche Hinweise
-
Formen und Beratung
-
Kooperation mit außerschulischen Einrichtungen
-
Medien und Materialien zum Thema
-
Täterstrategien
Die Maßnahme wird auf der Grundlage des Erlasses des Kultusministers vom
09. Dez. 1993 – IB 6.42.1/02.06 Nr. 159/93 – durchgeführt.“113
Leider handelt es sich hierbei um ein Angebot aus dem Jahre 2004 und wird
nicht jährlich von der Bezirksregierung wiederholt. Ein aktuelles Angebot der
Bezirksregierung liegt leider nicht vor. Ob und was derzeit angeboten wird,
muss die Lehrkraft zum gegebenen Zeitpunkt selber in Erfahrung bringen.
Wird von der Bezirksregierung nichts angeboten, bleibt nur die Möglichkeit
sich direkt an einen Verein gegen sexuellen Missbrauch zu wenden. Wie z.B.
Zartbitter e.V. aus Köln oder Profamilia.
Auf dem Niedersächsischen Bildungsserver (Nibis) werden Fortbildungen zu
verschiedenen Themen angeboten. Konkret bietet zum Thema „Missbrauch“
der Verein „Violetta“ aus Hannover Fortbildungen und Vorträge an. Es
handelt sich bei dem Verein „Violetta“ um eine Fachberatungsstelle gegen
sexuellen Missbrauch.114 Auf der Internetseite des Niedersächsischen
Bildungsserver wird die Fortbildung wie folgt beschrieben:
„Angesichts der erschreckenden Meldungen über Kindesentführungen und
sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen sind in den letzten Jahren
113
114
http://www.lehrerfortbildung.bezreg-muenster.nrw.de/fortbildungen
vgl. http://www.nibis.de/nibis.phtml?menid=1871
50
Forderungen nach mehr Schutz und Prävention immer lauter geworden.
Allerdings stellt sich für viele Lehrer die Frage, wie sie das Thema in den
Unterricht integrieren können. Die Fortbildung bietet Unterstützung in diesem
wichtigen Anliegen. Sie wird von einem erfahrenen Lehrer und einem
Mitarbeiter von Violetta durchgeführt. Viele praktische Ideen werden für den
pädagogischen Alltag hilfreich sein und eine ausgewogene Verbindung
zwischen
der
Theorie
und
der
Praxis
darstellen.
In der Fortbildung geht es zum einen um die Ursachen und die Dynamik
sexueller Gewalt sowie die Interventionsmöglichkeiten, zum anderen um die
Grundlagen der Präventionsarbeit mit Mädchen und Jungen. Die Grundlage für
die Prävention wird eine von Frau Riemann erstellte und erprobte
Unterrichtseinheit
sein,
welche
die
Themen
"Sexualerziehung,
Selbstbewusstsein, Gefühle, Berührungen, Grenzen und die altersgemäße
Aufklärung" über sexuellen Missbrauch zum Inhalt hat. Anhand vieler
praktischer Beispiele ist zu sehen, wie Prävention im schulischen Alltag
implementiert und umgesetzt werden kann. Prävention macht Spaß und kann
viele positive Entwicklungen in der Klasse initiieren.“115
Die Fortbildung umfasst zwei Tage a fünf Stunden, die aufeinanderfolgend
stattfinden sollen. Die Teilnehmerzahl ist auf 12 beschränkt, der Ort der
Fortbildung wird je nach Vereinbarung festgesetzt und kann auch die eigene
Schule sein. Bei Interesse können sich Lehrer, aber auch Erzieher, Eltern und
andere Interessierte direkt an den Verein wenden. Auf der Internetseite des
Vereins sind weitere Informationen über deren Angebote zu finden. Wie z.B.
ein komplettes Präventionspaket mit Lehrerfortbildung, Elternabend und
Nachbereitung.116
Die Kosten für die Lehrerfortbildungen vom Verein „Violetta“ werden von der
Landesschulbehörde Niedersachsen getragen.
Bei meiner Recherche im Internet habe ich außerdem den Verein AMYNA
aus München gefunden (Verein zur Abschaffung von sexuellem Missbrauch
und sexueller Gewalt e.V. Institut zur Prävention von sexuellem Missbrauch)
115
116
http://vedab.nibis.de/veran.php?vid=32814
vgl. http://www.violetta-hannover.de/5/Home_.html
51
Auch sie bieten verschiedene Fortbildungen und Vorträge in diesem Bereich
an. Eine wäre z.B. die:
„Fortbildung für Lehrerkollegien in Grundschulen“
„Das Problem des sexuellen Missbrauchs an Mädchen und Jungen gerät
zunehmend ins Bewusstsein.
Schule ist einerseits ein idealer Ort, um präventiv zu arbeiten, weil er alle
Mädchen und Jungen erreicht. Andererseits wird für Lehrer der Schulalltag
immer schwieriger: die Klassen werden wieder größer, die Kinder haben mehr
Probleme und die pädagogischen Anforderungen an Lehrkräfte erhöhen sich
damit. Sich auch noch um dieses schwierige Thema „sexueller Missbrauch" zu
kümmern, empfinden viele Lehrkräfte erst einmal als Überforderung.
Wir möchten Sie mit dieser schulinternen Fortbildung an das Thema
Prävention heranführen, Sie bei der Beantwortung der Frage unterstützen, wie
Sie Prävention in den Schulalltag integrieren können, ohne sich zu überfordern,
Ihnen
aber
auch
die
Grenzen
und
Schwierigkeiten
schulischer
Präventionsarbeit aufzeigen.
Die Themen:
•
Ziel und Ansatzpunkte der Präventionsarbeit:
Was soll Präventionsarbeit leisten?
Wie lässt sich sexuelle Gewalt verhindern?
Wo sind mögliche Ansatzpunkte dafür?
•
Bedingungen und Voraussetzungen für sinnvolle Präventionsarbeit:
Bei diesem Punkt geht es darum, welche Voraussetzungen in der Schule
nötig sind, um Präventionsarbeit zu leisten, die sich direkt an Mädchen und
Jungen richten.
•
Beispiele und Möglichkeiten der Präventionsarbeit, die sich direkt an
Mädchen und Jungen richtet:
Hier wird's konkreter: Es geht um gezielte Vorschläge, wie sich
„Prävention" in der pädagogischen Arbeit mit Mädchen und Jungen
umsetzen lässt und welche Themen dabei wichtig sind.
52
Wir arbeiten mit kurzen Informationseinheiten, Diskussion und
Kleingruppenarbeit. Außerdem bringen wir Bücher und Materialien, sowie eine
ausführliche Literaturliste zur Veranstaltung mit.
Ein Vorgespräch mit der Schulleitung ist obligatorisch.“117
Aber nicht nur diese Fortbildung wird angeboten. Weitere Themen sind z.B.:
„Elternarbeit zur Prävention von sexuellem Missbrauch“, „Behindert & sexuell
missbraucht = rechtlos?“ oder Vorträge wie z.B.: „Verdacht auf sexuellen
Missbrauch bei SchülerInnen“ oder „Sichere Orte für Kinder“. Auf der
Internetseite wird jedes Angebot gut beschrieben.
Allgemein für Fortbildungen ist das FIBS (Fortbildungen in bayrischen
Schulen) in Bayern zuständig. Hier finden sich zwei Fortbildungen zum Thema
„Sexueller Missbrauch“, die im November angeboten werden.
Das Thema „Sexueller Missbrauch“ rückt immer mehr in die Öffentlichkeit.
Ich habe mir drei Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland zu
Fortbildungsangeboten angesehen und stelle fest, dass das Angebot an
Fortbildungen zum Thema „Sexueller Missbrauch“ in Deutschland mäßig ist.
Bei genauem Suchen fand ich einige Angebote, aber in den Regierungen ist das
Thema noch nicht fester Bestandteil der Fortbildungsangebote. Über Vereine,
die sich auf das Thema spezialisiert haben, können bei Interesse aber
unterschiedliche Angebote gefunden werden.
5.2.6.
Die Wirksamkeit von Präventionsprogrammen
In den letzten Jahren sind viele Präventionsprogramme, sowie Materialien
gegen sexuellen Missbrauch entwickelt worden. Die meisten Lerninhalte der
Präventionsprogramme beinhalten: Selbstbestimmungsrecht über den eigenen
Körper, Unterscheidung von guten und schlechten Geheimnissen, Vertrauen in
die eigenen Gefühle und Bewertungen, Recht auf „nein“ sagen, sowie
117
http://www.amyna.de/institut/inst_bildung_teamfortbildungen.html#schulalltag
53
Informationen über Personen und Institutionen, die Hilfe bieten.118 Materialien,
die überwiegend in diesen Präventionsprogrammen verwendet werden, sind
z.B.: Videofilme, Theaterstücke, Malbücher, Arbeitsbücher, Puppen und
Arbeitsanregungen für LehrerInnen.119
Wissenschaftliche Forschungsergebnisse von z.B. Lohaus/ Eck (1993) und
Knappe/Selg (1993) stellten fest, dass sich zumindest das Wissen der Kinder
direkt
nach
Abschluss
von
Präventionsprogrammen
verbessert
hat.
Handlungsstrategien waren nur zu entwickeln, wenn die Projekte durch
Rollenspiele begleitet waren, die in regelmäßigen Abständen wiederholt
wurden. Bei späteren Befragungen ging das Wissen zurück. Grundsätzlich
schlossen ältere Kinder aufgrund ihrer höheren kognitiven und verbalen
Fähigkeiten besser ab als jüngere. Die jüngeren Kinder hatten vor allem
Schwierigkeiten beim Unterscheiden der guten und schlechten Berührungen.120
Zu alledem muss gesagt werden, dass das Messen, ob die Kinder ihr
erworbenes Wissen auch umsetzen können, sehr schwierig ist. Eine sogenannte
„Ernstfallerprobung“, in der die Kinder ohne ihr Wissen von einem Trainer
angesprochen oder angegriffen werden, ist aus ethischen Gründen nicht
zulässig. Es lässt sich auch nicht belegen, ob ein Kind nicht missbraucht wird,
weil es an einem Präventionsprogramm teilgenommen hat oder ob es an der
Persönlichkeit oder den Lebensumständen des Kindes liegt.
Wichtig ist aber, dass die Arbeit gegen sexuellen Missbrauch erreicht hat, dass
sexueller Missbrauch als nicht mehr tolerierbar wahrgenommen wird und in
den Studien ein klarer Wissenszuwachs der Kinder feststellbar ist. Gisela
Braun sieht einen weiteren positiven Aspekt in der Präventionsarbeit mit
Kindern, da es ihnen Spaß macht und entgegengesetzt der Befürchtungen der
Eltern nur ganz selten bei den Kindern Angst auslöst. Genauso positiv berichtet
sie die Tatsache, dass Kinder häufiger mit ihren Eltern über Sexualität sprechen
und mehr Fälle von sexuellem Missbrauch bekannt werden, da die Kinder
118
vgl. Deegener, G. (1998): S.180
vgl. Koch, H.; Kruck, M. (2000): S.47
120
vgl.ebd.: S.49f
119
54
durch die Präventionsprogramme so gestärkt wurden, dass sie über erfahrene
Misshandlungen sprechen können.
Dennoch sind auch die Grenzen dieser Präventionsprogramme gegen sexuellen
Missbrauch klar: sie können sexuellen Missbrauch an Kindern nicht
verhindern, denn zu glauben, Kinder könnten sich Erwachsenen gegenüber
durchsetzen indem sie „nein“ sagen, wäre reines Wunschdenken. Die Täter
sind immer stärker und haben mehr Macht, Kinder sind also auf die
Unterstützung der Erwachsenen angewiesen.121
Zusammengefasst
lässt
sich
sagen,
dass
die
Kinder
durch
Präventionsprogramme in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden und lernen
gefährliche Situationen besser einzuschätzen. Selbstbewusste und informierte
Kinder schrecken die Täter ab. Erfolgreich ist die Enttabuisierung des Themas,
die Diskussion bis in die Öffentlichkeit, veränderte Haltungen der Bevölkerung
und die stete Entwicklung neuer Konzepte und Materialien.
5.2.7.
Unterrichtsideen für die Schule
Bevor mit den Kindern in der Schule über Prävention von sexuellem
Missbrauch gesprochen werden kann, sollte ein Vertrauensverhältnis zu den
Schülern aufgebaut worden sein, da es sich hierbei um eine sehr intime
Thematik handelt.
Natürlich gibt es zur Prävention von sexuellem Missbrauch in der Schule sehr
viele Materialien und Unterrichtsvorschläge. Alle werde ich hier sicher nicht
vorstellen können, da das den Rahmen meiner Arbeit sprengen würde, aber ich
werde einige Möglichkeiten vorstellen, um einen Einblick zu bekommen, wie
der Unterricht in der Schule im Umgang mit dem Thema Missbrauch aussehen
könnte.
Im Folgenden werde ich zwei unterschiedliche Vorschläge zu einer
Unterrichtseinheit zur Prävention vorstellen. In keinem der Vorschläge wird
das Wort „Missbrauch“ erwähnt oder ausgesprochen. Vielmehr geht es darum,
121
vgl. Braun, G. in Deegener, G. (2005): S.844
55
die Kinder in ihrer Persönlichkeit zu stärken, zum „nein“ sagen aufzufordern
und ein gutes Körpergefühl zu entwickeln.
Iris Kiesewetter schlägt in ihrem Artikel der Zeitschrift Grundschule drei
Blöcke, die ohne zu lange Pausen behandelt werden sollten, vor. Sie sagt
Sexualerziehung zum Einstieg reicht alleine nicht aus. Die ersten beiden
Blöcke bereiten die Kinder auf das Thema vor. Erst im dritten Block kommt sie
zur Thematik der Prävention von sexuellem Missbrauch.
Im weiteren Verlauf möchte ich Kiesewetters Präventionsprojekt vorstellen.
Ihren ersten Block nennt sie:
„Mädchen und Jungen – Verständnis untereinander“
Die Lehrkraft solle die Schüler zunächst aufschreiben lassen, warum sie gerne
ein Junge bzw. ein Mädchen sind, man sei erstaunt, wie sehr sie in ihrer
typischen
Geschlechterrolle
aufgehen.
In
der
darauf
folgenden
Unterrichtseinheit hänge man Wortkärtchen an die Tafel. (Mädchen sind…;
Jungen sind…) Die Kinder bekommen Wortkarten mit Eigenschaften, die sie
zuordnen sollen. Die Mädchen hängen in der Regel die positiven Eigenschaften
zu sich und die negativen zu den Jungen, die Jungen machen es genau
umgekehrt. Am Ende kommen sie zu dem Schluss, dass alle Eigenschaften zu
beiden passen.
Im zweiten Block geht es um „Sexualerziehung“
Zur Sexualerziehung gibt es eine Menge Materialien, die ich hier nicht im
Einzelnen aufgreifen möchte, da die Sexualerziehung allgemein nicht Thema
meiner Arbeit ist und ich den Rahmen meiner Arbeit sprengen würde. Da ich
die Sexualerziehung, als Vorläufer zur Prävention aber unumgänglich sehe und
Kiesewetter, die Thematik mit in ihre Unterrichtsreihe nimmt, werde ich eine
kurze Möglichkeit, wie sie Kiesewetter vorschlägt ,darstellen.
Als Einleitung in die Sexualerziehung können die Kinder ihre Fragen zur
Sexualität zunächst anonym aufschreiben. Dadurch kann die Lehrkraft sehen,
was sie interessiert und die Kinder genau da abholen, wo sie in ihrer
Entwicklung gerade stehen. Zudem gibt er ihnen keine Informationen, für die
sie noch nicht die nötige Reife haben.
56
Zu Beginn der nächsten Stunde bietet sich der Film: „Wo komm ich eigentlich
her?“ an. Es handelt sich um einen kindgerechten Zeichentrickfilm, in dem
viele Fragen der Kinder vermutlich schon beantwortet werden. Gekicher
während des Films sind durch Unsicherheiten ganz normal und geben sich
nach einer Zeit. Im anschließenden Stuhlkreis werden die bereits
aufgeschriebenen Fragen der Kinder gemischt, laut vorgelesen und möglichst
von den Kindern gemeinsam beantwortet.
In ihrem dritten Block möchte Kiesewetter „ Die Persönlichkeit stärken“ und
kommt jetzt zu der eigentlichen Präventionsarbeit.
Kiesewetter schlägt vor, zur Einführung in die erste Stunde, das Buch „Das
große und das kleine Nein“ (Braun/Wolters 1991) im Sitzkreis vorzulesen.
Danach wird mit den Kindern besprochen, wann sie „nein“ sagen dürfen bzw.
müssen. Als Beispiel, wenn sie ein Fremder anspricht und fragt, ob sie
mitkommen wollen oder wenn sie jemand anfasst, ohne dass sie das möchten
oder an Stellen, die ihnen nicht gefallen. Genauso sollten aber Situationen, in
denen es nicht angebracht ist „nein“ zu sagen, z.B. bei der Zeit ins Bett zu
gehen oder Hausaufgaben zu machen, angesprochen werden. Als Abschluss
dürfen alle Schüler einmal laut „nein“ schreien. Auch die schüchternen Kinder
sollen dazu ermutigt werden, denn es wirkt sehr befreiend.
In der zweiten Stunde werden angenehme und unangenehme Berührungen
besprochen. Kiesewetter schlägt dazu die Geschichte der Katze Samira vor
(Anhang Nr.2) mit den Kindern zu lesen und anschließend über Berührungen
zu sprechen. Durch ein weiteres Spiel soll die bewusste Wahrnehmung von
Berührungen mit der Frage: „Wer darf mich wo anfassen?“ geklärt werden.
Die dritte Stunde beschäftigt sich mit guten und schlechten Geheimnissen.
Kiesewetter
spielt
den
Kindern
ein
Hörspiel
aus
dem
Lesestück
„Geheimniskrämerei“ (Anhang Nr.3) vor. Im Anschluss spricht sie ausführlich
über die Geschichte und unterscheidet dabei gute und schlechte Geheimnisse.
In der Geschichte wird ein Mädchen von ihrem Onkel unangenehm berührt und
ihr wird verboten etwas zu sagen oder weiterzuerzählen. Karin geht doch zu
ihren Eltern und erfährt Hilfe. Die Geschichte geht auf den Ansatz ein, wie
sexueller Missbrauch anfangen kann. Daher ist es wichtig schon hier
57
anzusetzen, wo und wie sich die Schüler in solchen Situationen Hilfe holen
können.
Das Lernspiel „Ich bin Ich“ bildet in dieser Reihe den Abschluss. Hier
bekommen die Schüler ein Spielfeld mit Ereignis- und Wissensfeldern, in dem
sie das Gelernte umsetzen können. (Spielanleitung im Anhang Nr.4)
Im Abschlussgespräch kann mit den Kindern geklärt werden, ob weiterer
Informationsbedarf da ist oder ob die Unterrichtsreihe beendet werden kann.122
Was mir in Kiesewetters Unterrichtsreihe sehr auffällt ist, dass sie sich
keinerlei Gedanken um die erzieherische Grundhaltung zur Förderung des
Selbstbewusstseins macht. Sie führt ihr Projekt durch und scheint damit der
Meinung zu sein, soweit kein weiterer Informationsbedarf der Schüler besteht,
dass ihre Präventionseinheit von vier bis fünf Unterrichtsstunden zuzüglich der
drei Einführungsstunden ausreicht, um erfolgreich Präventionsarbeit zu leisten.
Im Rückblick auf meine Arbeit erscheint mir das sehr fraglich.
In den letzten Jahren wurden immer mehr Bilderbücher und Jugendbücher, die
sich mit dem Thema „Sexueller Missbrauch“ auseinandersetzen, erschienen.
Zwei sind mir in meiner Recherche besonders gut aufgefallen. „Das große und
das kleine NEIN“ von Gisela Braun/ Dorothee Wolters (1991) und „Mein
Körper gehört mir“ von Pro Familia (1994).
In dem Buch „Das große und das
kleine NEIN“ werden die Kinder
ermutigt "nein" zu sagen, wenn ihnen
etwas
nicht
passt.
Denn
Kinder
erleben häufig, dass ihr kleines aber
ernst gemeintes „nein“ nicht gehört
wird,
122
vgl. Kiesewetter, I. (Grundschule2/2004): S.54
58
so
werden
die
kleinen
gestreichelt und geküsst, obwohl sie es vielleicht gar nicht wollen. Diese
Tatsache Kindern das „nein“ sagen beizubringen, ist für Eltern zu Hause mit
Sicherheit nicht immer bequem, aber der Spagat, zu Hause ein gehorsames
Kind zu haben, das sich in der Welt aber durchzusetzen weiß und "nein" sagt,
ist ohnehin so nicht realisierbar. Dieses Buch beugt vor, leistet wertvolle
Präventivarbeit. Man kann es Kindern auch alleine zu lesen geben, weil der
Bereich "sexueller Missbrauch" mit keinem Wort erwähnt wird und trotzdem
macht das Buch die Kinder stark. Problematisch könnte die Situation
möglicherweise bei missbrauchten Kindern werden und weitere Unsicherheit
erzeugen, weil diese den Eindruck gewinnen können, vielleicht nicht laut
genug "nein" gesagt zu haben und damit das Problem der vermeintlichen
"Mitschuld" aufkommt. Insgesamt bleibt mir jedoch der Eindruck, dass dieses
Buch, im Vergleich zu anderen Bilderbüchern, eines der wenigen wirklich
brauchbaren zu diesem problematischen Gebiet ist. (Text dazu im Anhang
Nr.5)
Das zweite Bilderbuch ist das Buch der Pro
Familia „Mein Körper gehört mir“:
Auch in diesem Buch finden sich keine
Darstellungen
von
sexuellem
Missbrauch,
vielmehr geht es in erster Linie darum, mit den
Kindern ins Gespräch über ihren Körper zu
kommen. Durch klare Bilder mit einfachen
Sätzen können die Kinder mit diesem Buch
eine selbstbewusste Einstellung zu ihrem
Körper bekommen, sich Gefühlen bewusst werden und erkennen, was sie
mögen und was sie nicht mögen. Zudem können sie lernen, sich gegen
Berührungen zu wehren, Grenzen zu setzen und „nein“ zu sagen.
Die Arbeitsmaterialien: „Ich sag Nein!“ liefern eine Reihe von Ideen zur
Prävention von sexuellem Missbrauch. Es wird eine komplette Unterrichtsreihe
aufgeführt, in der die Einheit in 5 Stunden aufgeteilt wird und unter anderem
mit den beiden oben vorgestellten Büchern gearbeitet wird. Auch hier wird
59
deutlich gesagt, dass alle präventive Arbeit nichts bringt, wenn die
Erziehungsgrundhaltung nicht stimmt.
Die Stunden der Präventionseinheit werden unterteilt in 1. Mein Körper gehört
mir, 2. Intuition, 3. Geheimnisse, 4. Berührungen, 5. Nein sagen. Die
Arbeitsmaterialien sind kindgerecht gestaltet und die Themen werden
spielerisch umgesetzt, zusätzlich sind einzelne Arbeitsblätter für die Kinder zur
Kopiervorlage ausgearbeitet. So bilden sie einen guten Leitfaden für eine
präventive Unterrichtseinheit. Die Kinder werden gestärkt, ohne dass
gewaltsame Übergriffe direkt angesprochen werden. Dies hat den Vorteil, dass
die Kinder grundsätzlich keine Angst vor Sexualität bekommen, betroffene
Kinder aber vielleicht den Mut aufbringen sich mitzuteilen, da sie erkennen,
dass es Erwachsene gibt, die ihnen helfen können.
Zur Einführung könnte die Lehrkraft mit ihren Schülern über Gefühle, Angst
und Mut sprechen. Im Folgenden möchte ich dazu einige Unterrichtsideen
vorstellen.
Spiele zu Gefühlen wären als Beispiel:
-
Gefühlsgedicht: Die Kinder werden in zwei Gruppen eingeteilt und sollen
die gegensätzlichen Gefühle darstellen und vorspielen, wie Angst und Mut,
Glück und Wut, Ernst und Schmerz und Lachen und Schmerz.
-
Lustige und traurige Gesichter: Jedes Kind formt sich aus Knete zwei
runde, flache Scheiben, denen Ohren angedrückt werden. Auf diese
Scheiben ritzen die Kinder nun traurige oder lustige Gesichter. Als Anreiz
können sie dies vorher vor dem Spiegel vormachen.
Ideen zum Thema Angst und Mut:
-
Angst- bzw. Mutbilder: Die Kinder malen ein Bild mit einem Motiv was
ihnen Angst macht, dabei sollte jedes Bild vorher besprochen werden.
Anschließend malen sie das Mutbild, was ihnen gegen die Angst hilft.
-
Eine Geschichte zum Vorlesen hänge ich in den Anhang Nr.6.
Die erste Unterrichtsstunde mit dem Thema „Mein Körper“, sollte für die
Kinder nur zur Wiederholung durchgesprochen werden und nicht zu
umfangreich sein, da ich vor der Unterrichtreihe zur Prävention, Sexualkunde
mit den Kindern erarbeiten würde und sie daher den Körper kennen sollten.
60
Trotzdem möchte ich sichergehen, dass die Schüler ihre Körperteile kennen
und benennen können. Dies ist besonders wichtig, damit sie sich im Falle eines
Übergriffs richtig äußern und mitteilen können.
Als Idee könnte der Lehrer mit den Schülern ein Tafelbild erstellen, auf dem
sie Begriffe für ihren Körper inklusive Geschlechtsteilen sammeln und ordnen.
Ordnen in zwei unterschiedliche Kategorien: Geschlechtsteile, die nur Jungen
bzw. Mädchen haben und Geschlechtsteile, die alle haben. Da von den Kindern
auch Begriffe für die Geschlechtsteile kommen können, die keine Fachbegriffe
sind, wie: Pipimann, Schwanz, Möse oder Muschi u. a. sollten diese direkt
unterteilt
werden
in
„Kindersprache“
oder
„Umgangssprache“
und
Fachbegriffe. Es ist Vorteilhaft, die Kinder darauf hinzuweisen, dass in der
Schule nur die Fachbegriffe verwendet werden.
Die zweite Unterrichtsstunde geht um das Thema „Berührungen“, mit dem
Lernziel: Die Kinder sollen angenehme und unangenehme Gefühle nennen und
sich dazu äußern können. Nach einer kurzen Wiederholung der letzten Stunde
zur Festigung des bereits Gelernten, könnte mit den Schülern Folgendes
erarbeitet werden:
-
Das Lied: „Mein Körper macht Musik“, der Cd: Nase, Bauch und Po
(erhältlich in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) mit den
Kindern erarbeiten. So kann den Kindern das Lied zunächst nur vorgespielt
werden und die Kinder zum genauen zuhören aufgefordert werden.
Anschließend mit den Kindern planen, was mit dem Lied gemacht werden
könnte. Z.B. das machen was im Lied gesungen wird. Danach die Dinge,
die wir mit unserem Körper machen können gemeinsam wiederholen und
an der Tafel festhalten. Durch ein Ordnen der Gefühle nach angenehmen
und unangenehmen Gefühlen kann ein Übergang zur nächsten Stunde
geschaffen werden.
In der dritten Unterrichtsstunde soll es um angenehme und unangenehme
Berührungen gehen. Mit dem Lernziel: Wer darf mich anfassen und wer nicht.
Dabei soll den Kindern bewusst werden, dass Berührungen nur dann in
Ordnung sind, wenn sie ihnen angenehm sind. Auch hier, wird erst nach einer
kurzen Wiederholung der letzten Stunde mit dem neuen Thema begonnen.
61
-
Vorstellung des Buches „Mein Körper gehört mir“, die Kinder bekommen
den Text des Buches ausgeteilt und werden aufgefordert ihn zu lesen. Die
Überschrift der Stunde „Nicht jeder darf mich berühren“ wird an die Tafel
geschrieben, dazu hängt der Lehrer das erste Bild des Buches an die Tafel.
(Bilder und Text Anhang 7 und 8) Nachdem die Schüler den Text gelesen
haben, treffen sie sich in einem gemeinsamen Halbkreis vor der Tafel, die
restlichen Bilder dürfen dann von den Schülern aufgehängt werden. So
haben die Schüler die Bilder zur Visualisierung vor sich und es kann mit
einem gemeinsamen Gespräch, was auf den Bildern zu sehen ist, begonnen
werden. Während des Gesprächs sollen die Bilder nach angenehmen und
unangenehmen Gefühlen sortiert werden. Dabei sollen die Schüler ihre
Entscheidung begründen.
-
Eine kurze Schüleraktivität mit Wortkarten, die im Klassenraum
aufgehängt werden, soll den Schülern Bewusstsein über ihre eigenen
Gefühle vermitteln „Was mag ich, was mag ich nicht?“ Der Lehrer hängt
z.B. eine Karte mit dem Satz: „Meine Oma darf mir ein Küsschen geben“,
oder „Jeder, der möchte darf mir über den Kopf streicheln“, auf. Wenn die
Schüler der gleichen Meinung sind, sollen sie sich zu der Karte stellen,
wenn nicht auf ihrem Platz bleiben. Anschließend gibt die Lehrkraft den
Impuls. „Nicht jeder hat sich zu jeder Karte gestellt. Wie ist das mit den
Berührungen, mag ich von jedem überall angefasst werden?“ In einem
gemeinsamen Gespräch erarbeiten und begründen die Schüler ihre
Meinungen wo sie angefasst werden mögen, wo nicht, von wem sie
überhaupt berührt werden mögen und von wem nicht und was sie sagen
können, wenn sie nicht berührt werden wollen.
In der vierten Unterrichtsstunde „Das große und das kleine NEIN“ sollen
die Kinder ihr bereits erworbenes Wissen vertiefen, „Neinsagen“ lernen und
spüren, was ihnen gut tut und was ihnen nicht gut tut.
-
Während der Wiederholung sammelt die Lehrkraft mit den Schülern das
Wichtigste aus der letzten Stunde, notiert diese an der Tafel und ergänzt
wenn nötig.
-
Der Lehrer liest das Buch: „Das große und das kleine NEIN“ vor und
erklärt den Schülern im Vorfeld, dass sie diese Geschichte nachher
62
nachspielen sollen. Danach wird die Klasse in Gruppen geteilt und jede
Gruppe erhält zum Proben ein Buch.
-
Vorführung mit anschließender Reflexion der anderen Schüler
! Was hat gut gefallen?
! Was hätte besser sein können?
-
Wichtig ist hier, auch das „Neinsagen“ klar zu thematisieren. Mit Impulsen
wie: Manchmal traut man sich nicht „Nein“ zu sagen, manchmal hört der
andere es einfach nicht, manchmal denke ich, ich habe sowieso keine
Chance " Wichtig: Es ist nicht deine Schuld – Suche dir jemanden, der dir
hilft!
Die fünfte Unterrichtsstunde: „Gute und schlechte Geheimnisse“ hat zum
Ziel, dass die Schüler den Unterschied zwischen guten und schlechten
Geheimnissen kennen lernen und wissen, dass sie sich mit schlechten
Geheimnissen an Erwachsene, denen sie vertrauen, wenden dürfen und sollen.
-
Die Lehrkraft gibt den Schülern Impulse zu guten und schlechten
Geheimnissen, die Schüler sollen Beispiele zu guten und schlechten
Geheimnissen äußern. Die Lehrkraft notiert diese an der Tafel.
-
Die Schüler bekommen in zweier Gruppen Geheimniskarten mit Sätzen
von guten oder schlechten Geheimnissen. Die Gruppen sollen sich zu zweit
beraten und sich entscheiden, ob ihre Karte in die Ablage gute oder
schlechte Geheimnisse kommt. Haben sich alle Schüler entschieden, geht je
ein Kind nach vorne und liest eine Karte vor, zusammen wird dann
besprochen, ob alle dieser Meinung sind und warum es sich um ein gutes
oder ein schlechtes Geheimnis handelt.
-
Als Abschluss der Unterrichtsreihe erhalten die Kinder ein Arbeitsblatt auf
dem sie darüber nachdenken sollen, wer sie berühren darf. (Anhang Nr.9)
Dadurch bekommen die Kinder noch einmal ein Gefühl, ob sie bei
Berührungen ein gutes oder ein schlechtes Gefühl haben und reflektieren,
dass es nicht egal ist, wer sie berührt.123
123
vgl. Braun, G. (2008): Ich sag NEIN! Arbeitsmaterialien gegen den sexuellen Missbrauch
an Mädchen und Jungen. S. 24ff
63
In einem letzten Abschlussgespräch sollten die erarbeiteten Ziele kurz
wiederholt werden und von der Lehrkraft Impulse gegeben werden, wo sie sich
Hilfe
holen
können.
Zudem
können
die
Kinder,
bei
weiterem
Informationsbedarf, Fragen stellen.
Zum Abschluss der beiden Unterrichtsvorschläge von Kiesewetter und Braun,
möchte ich reflektieren, dass die Reihe von Braun auf mich einen erheblich
besseren Eindruck macht. Ihre Unterrichtsreihe ist wesentlich ausführlicher, in
ihren fünf Teilgebieten greift sie alle wichtigen Themen auf. Dabei verwendet
sie sehr viele unterschiedliche Medien, mit denen sie immer wieder die
Aufmerksamkeit und Neugierde der Kinder weckt. Kiesewetter hingegen
erarbeitet in ihrer eigentlichen Präventionsarbeit „Die Persönlichkeit stärken“
lediglich das „nein“ sagen, angenehme und unangenehme Berührungen, sowie
gute und schlechte Geheimnisse.
Die beiden vorgestellten Unterrichtseinheiten sind Projekte, die lediglich über
einige wenige Unterrichtsstunden mit den Kindern erarbeitet werden. Auch
wenn der Begriff „Missbrauch“ mit keinem Wort erwähnt wird, sollen es
Projekte zur Prävention von Missbrauch sein. Andere Projekte setzen an
derselben Stelle an, verlaufen aber etwas anders. Wie z.B. das Projekt
„Faustlos“ für Kindergärten und Schulen. Es handelt sich hierbei nicht um ein
Projekt, das nur zur Prävention von sexuellem Missbrauch erarbeitet wurde,
sondern um ein Programm zur Prävention von aggressivem Verhalten. Meiner
Meinung nach ist das der Ansatz, an dem wir anfangen sollten. Denn durch
Förderung der sozialen und emotionalen Kompetenzen, können unsere Kinder
zu starken, selbstbewussten Persönlichkeiten heranwachsen.
Ich habe das Programm „Faustlos“ in meinem Fachpraktikum kennengelernt
und auch in dem Kindergarten meines Sohnes wird es praktiziert.
Das Grundschul-Programm beinhaltet 51 Lektionen. Diese werden über einen
Zeitraum von drei bis vier Jahren mit den Kindern erarbeitet. Im Unterricht
setzen sich die Kinder sowohl kognitiv als auch praktisch mit einer Reihe von
sozialen und emotionalen Kompetenzen auseinander und erweitern so nach und
nach ihr gewaltpräventives Verhaltensrepertoire.
64
Ausschließlich das Heidelberger Präventionszentrum ist vom Committee for
Children (Seattle) befugt, Fortbildungen für interessierte Erzieher und Lehrer
anzubieten.124
Mit diesem Projekt, das schuljahresbegleitend läuft, haben Schulen und
Kindergärten einen großen Anteil an Präventionsarbeit geleistet. Auf mich
macht dieses Projekt einen besonders guten Eindruck, da es nicht nach einigen
wenigen Stunden abgeschlossen ist, sondern über mehrere Jahre läuft und die
Kinder nach und nach ihre Kompetenzen erweitern können. Bei meinem Sohn
im Kindergarten werden wir Eltern regelmäßig über das Projekt informiert und
aufgefordert, das was derzeit im Kindergarten behandelt wird auch zu Hause
mit den Kindern zu üben. Dazu bekommen wir Informationen über Gespräche
oder Spiele, die wir mit den Kindern zu Hause durchführen können. Durch
diese Aufforderung und Informationen werden die Eltern in die präventive
Arbeit mit einbezogen und können auch zu Hause ihren Anteil dazu leisten.
Denn die alleinige Präventionsarbeit in Schule oder Kindergarten reicht nicht
aus, sondern muss auch im Elternhaus im Erziehungsalltag eingesetzt werden.
Da viele Eltern nicht mehr wissen, wie sie ihre Kinder zu selbstbewussten,
starken Persönlichkeiten erziehen können, werden zur Unterstützung der Eltern
mehr und mehr Elternkurse angeboten. Ein sehr bekannter Kurs zu diesem
Thema ist das Seminar: „Starke Eltern – Starke Kinder“. Hier sollen Eltern in
ihrer Erziehung unterstützt werden
Inhalte dieser Kurse sind z.B.: Eltern darin zu unterstützen eine Familie zu
sein, in der alle gerne leben, in der Meinungen ausgetauscht werden können,
ohne dass jemand verletzt wird und in der alle Familienmitglieder, sowie
Grenzen respektiert werden.
Bei der Behandlung des Themas gibt es Folgendes zu bedenken.
Wie heute aus vielerlei Sicht bekannt ist, sind positiv formulierte Ziele
wirksamer als negativ formulierte. Wohin würden wir kommen, wenn wir am
Bahnhof eine Fahrkarte bestellen würden mit den Worten: "Bitte nicht nach
Hamburg"? Wie Seneca es ausdrückte: Wer seinen Hafen nicht kennt, in den er
124
vgl. http://www.faustlos.de/faustlos/index.asp
65
segeln will, für den ist kein Wind der richtige. Oder versuchen Sie sich einmal
auf keinen Fall einen rosaroten Elefanten vorzustellen! Es wird Ihnen nicht
gelingen, ohne eine Vorstellung von einem rosaroten Elefanten zu erschaffen.
Und je mehr Sie sich anstrengen würden, sich einen solchen Elefanten nicht
vorzustellen, desto penetranter würde er sich Ihnen aufdrängen. Das ist die
Weise, wie unser Gehirn arbeitet.
Was genau ist das Ziel einer Präventionsarbeit mit Kindern? Auch wenn es
einem zunächst so scheinen mag, ist es nicht das eigentliche Ziel, Kinder vor
Missbrauch zu schützen und sie deshalb über das Thema zu informieren.
Das eigentliche Ziel ist es zu erreichen, dass Kinder sicher und geschützt
aufwachsen können, lernen, ihren Gefühlen zu trauen, Selbstvertrauen und
Selbstbewusstsein zu entwickeln und sich, wo es nötig ist, Hilfe und
Unterstützung zu suchen. Das ist in beiden Unterrichtsvorschlägen gut
gelungen.
Jedes Erleben wird durch die Art und Weise bestimmt, worauf wir unsere
Aufmerksamkeit richten. Es hat also Konsequenzen, auf welche Weise wir zur
Prävention Kindern das Thema Missbrauch nahe bringen. Je mehr wir auf den
möglichen Missbrauch selbst eingehen, desto mehr fokussieren wir die
Aufmerksamkeit der Kinder in die Richtung des Ungewünschten. Es werden
Themen und möglicher Weise Ängste aktiviert, die bislang für die meisten
Kinder nicht einmal Thema waren. Das bedeutet natürlich nicht, dass es nicht
sinnvoll sein könnte, auf eventuelle Gefahren hinzuweisen, sondern lediglich,
dass es wichtig ist achtsam zu sein, ob das, was ich als Lehrkraft anbiete,
wirklich den Zielen dient, die ich erreichen möchte. Aber welche Alternativen
haben wir? Wie können wir den Kindern die gewünschten Fähigkeiten und
Attribute vermitteln, ohne eine zu negative Fokussierung zu betreiben?
Zunächst fällt mir da der berühmte Satz von Saint Exupéry aus dem "Kleinen
Prinzen" ein:
"Quand tu veux construire un bateau, ne commence pas par rassembler du bois,
couper des planches et distribuer du travail, mais reveille au sein des hommes
le desir de la mer grande et large."
("Wenn du ein Schiff bauen willst, beginne nicht damit Holz zu beschaffen,
Planken zu sägen und Arbeiten zu verteilen, sondern erwecke im Herzen der
Menschen die Sehnsucht nach dem großen weiten Meer.")
66
Hypnotherapeut Elmar Woelm gab mir in unserem Gespräch eine mögliche
Antwort auf die Frage, wie man eine Botschaft am besten vermitteln kann,
ohne unnötiger Weise zu sehr auf unerwünschte Dinge zu fokussieren. Wir
finden diese vielleicht am ehesten im Bereich der modernen Hypnotherapie,
wie sie von dem amerikanischen Arzt und Psychiater Dr. Milton H. Erickson
ins Leben gerufen wurde. Die hohe Kunst Ericksons war es, dass er oft
gewünschte Veränderungen bei Menschen bewirken konnte, ohne, dass er über
das eigentliche Thema sprach. Stattdessen verwendete er Metaphern und
metaphorische Lehrgeschichten, die auf indirekte Weise Lösungen aufzeigten
und die Aufmerksamkeit so sehr auf gewünschte Möglichkeiten fokussierten,
dass Heilung und Veränderung für die betroffenen Menschen als kreative
Eigenleistung und durch Ausschöpfung ihrer Potentiale entstand.
Solche Prinzipien finden wir in den beiden Arbeitsmaterialien von Kiesewetter
und Braun. In beiden Unterrichtseinheiten, wählten sie Methoden, die das
Selbstvertrauen stärken, ohne das Thema Missbrauch zu benennen. Dies sind
Projekte, die gezielt bei der Behandlung des Themas: „Sexualkunde“ mit
einfließen sollten. Ganz wichtig sind meiner Meinung nach Projekte wie
„Faustlos“, die über die Schuljahre hinweg Unterrichtsbegleitend mitlaufen.
5.3. Intervention
Das Wort Intervention (lat. interveniere) bedeutet dazwischentreten, sich
einmischen, vermitteln.125
Die Übergänge der Prävention zur Intervention sind häufig fließend. Ziel der
Intervention soll die Beendigung der sexuellen Gewalt gegen das Kind und
sein Schutz vor weiteren Misshandlungen sein. Lercher u.a (1992). schreiben
dazu
in
ihrem
Buch,
dass
nachhaltige
Beendigung
sexueller
Gewaltanwendungen nur möglich ist, wenn der Täter keinerlei Gelegenheit
mehr bekommt, sich an dem Kind zu vergreifen. Dies setzt die dauerhafte
Trennung von Täter und Opfer voraus. Fachleute belegen, dass Täter ihren
Missbrauch
125
auch
nach
Bekanntwerden
und
vgl. Duden (Band5;2001): Das Fremdwörterbuch S.454
67
sogar
während
einer
Familientherapie fortsetzen. Dabei verschärfen sie den Druck über das
Stillschweigen des Opfers.126
Da das Thema seit einigen Jahren immer mehr in die Öffentlichkeit rückt, sind
immer mehr Menschen aufgeschreckt und sensibilisiert worden für dieses
Thema. Der Verdacht eines Missbrauchs taucht immer öfter auf. Leider fehlt
den meisten Menschen das Wissen über das richtige Vorgehen. In einem
solchen Fall haben sie den Drang möglichst schnell zu helfen. Dies kann dazu
führen, dass voreilig gehandelt wird oder dass das Problem noch verschlimmert
wird. Daher ist es wichtig für Personen, die im Umgang mit Kindern stehen, zu
wissen, wie sie in einem Verdachtsfall richtig handeln.127
5.3.1.
Voraussetzungen der Intervention
Kinder, die missbraucht werden, sind meist nicht in der Lage sich selbst aus
dieser Situation zu befreien. Erwachsene Personen aus dem Umfeld sind daher
gefordert einzugreifen. Auch bei bereits beendetem Missbrauch ist ihre Hilfe
dringend notwendig, damit die Kinder ihre Erfahrungen verarbeiten können
und die Folgen minimiert werden.
Intervention richtet sich nicht nur an die Opfer, sondern auch an die Täter. Es
muss zum einen überprüft werden, ob er noch andere Kinder missbraucht hat
und zum anderen muss er die Konsequenzen für seine Handlungen zu spüren
bekommen.128
„Unter Intervention verstehen wir somit alle Maßnahmen, die darauf abzielen:
• einen Verdacht auf sexuelle Ausbeutung abzuklären;
• eine Ausbeutungsbeziehung zu beenden;
• dem Opfer die Verarbeitung der Erfahrungen zu erleichtern;
•
andere potentielle Opfer des gleichen Täters ausfindig zu machen und
zu unterstützen;
• den Täter zur Rechenschaft zu ziehen und
126
vgl. Lercher, L. u.a. (1992): S.49f
vgl. Brockhaus, U./ Kolshorn, M. (1993): S.165
128
vgl. ebd.: S.165
127
68
• weitere sexuelle Gewalthandlungen durch den Täter zu verhindern.“129
Die Grundvoraussetzung für Intervention ist, dass andere Menschen etwas von
dem Missbrauch mitbekommen und ein Verdacht entsteht. Besonders wichtig
in diesem Fall ist, dass den betroffenen Opfern geglaubt wird. Schwierig stellt
sich hierbei heraus, dass betroffene Kinder nur selten klare Aussagen machen
wie: „Der Stefan hat mich an der Scheide angefasst“, sondern eher indirekte
Andeutungen, wie: „Der Stefan ist immer so komisch“ oder sogar nur: „Ich
will nicht mehr bei dem Stefan spielen.“ Diese Andeutungen können gekoppelt
sein mit plötzlichen Ängsten. Besonders kleine, jüngere Kinder wissen nicht
was geschehen ist und können sich nicht mit den richtigen Worten ausdrücken.
Eltern, Erzieher und Lehrer müssen daher lernen verschlüsselte Botschaften der
Kinder zu verstehen und darauf einzugehen.
Folgende Vorraussetzungen müssen für ein Eingreifen von außenstehenden
Personen erfüllt sein:
1. Die Person muss einen Verdacht haben, der sich als stark genug
bewertet, um
ihn weiter zu verfolgen.
2. die Person muss sich zuständig für sein Eingreifen fühlen – denn auch
gesellschaftliche Normen spielen hierbei eine Rolle. So kann eine
außenstehende Person z.B. verinnerlicht haben, dass man sich nicht in
die Angelegenheiten von anderen Leuten einmischt. Umgekehrt kann
sie aber christliche Wertvorstellungen verinnerlicht haben und sich
daher verantwortlich fühlen etwas zu unternehmen.
3. Die Person muss Interventionsmöglichkeiten kennen und sich in der
Lage fühlen, diese durchzuführen – sie muss wissen was sie tun kann
und sollte
4. Die Person muss den Nutzen des Eingreifens höher einschätzen, als
mögliche negative Folgen.130
Um sexuellen Missbrauch überhaupt wahrzunehmen und entsprechend
einzugreifen, muss er „erkannt werden wollen“ und „erkannt werden können“.
129
130
Brockhaus, U./ Kolshorn, M. (1993): S.166
vgl. Brockhaus, U./ Kolshorn, M. (1993): S.166ff
69
Das Problem ist, dass die Anerkennung von Missbrauch häufig das gesamte
Weltbild in Frage stellt: „Der Mann, den ich liebe, der Trainer, das
Kindermädchen, der Pfarrer … tut so etwas nicht!“ Besonders Frauen, deren
Mann das gemeinsame Kind missbraucht, stehen vor einer großen Bedrohung.
Die Bedrohung ihres emotionalen Haltes und die Bedrohung ihrer Existenz.
Kein Wunder also, dass viele Menschen mit Wahrnehmungsabwehr reagieren
und Verdachtsmomente beiseite schieben.
5.3.2.
Mögliche Hinweise
Die möglichen Hinweise, die Kinder bei sexuellem Missbrauch geben könnten,
habe ich im vierten Kapitel bereits ausführlich beschrieben. Dennoch möchte
ich hier noch einen kurzen Einblick im Blick auf das Berufsfeld des Lehrers
geben, Hinweise, bei denen Lehrer in der Schule aufmerksam werden sollten.
Wie ich schon sagte, gibt es keine absoluten Zeichen, die auf Missbrauch
hindeuten und jedes Kind reagiert anders auf sexualisierte Gewalt. Umso
wichtiger ist es, die Kinder zu beobachten und Veränderungen wahrzunehmen.
Allgemeine negative Veränderungen eines Kindes sind meistens ein Zeichen
dafür, dass das Kind Belastungen ausgesetzt ist, mit denen es nicht umgehen
kann, die es nicht bewältigen kann. Natürlich weist eine negative Veränderung
nicht zwangsweise auf sexuellen Missbrauch hin, dennoch sollte die Lehrkraft
dieses Verhalten und das Kind weiterhin beobachten und unbedingt ernst
nehmen. So kann ein lebhaftes, zufriedenes, ausgeglichenes Kind durch erlebte
sexuelle Gewalt plötzlich ganz verschlossen, bedrückt oder übernervös und
unruhig sein. Auch Konzentrationsschwierigkeiten und andere Probleme in der
Schule können dazu kommen.131 Aber nicht nur ein Leistungsabfall kann Folge
eines Missbrauchs sein. Kinder können auch mit Leistungsverbesserungen
reagieren, denn so lenken sie von den grausamen Erfahrungen ab und haben
keine Sorge, dass jemand etwas mitbekommen könnte.
Lehrer sollten auch hellhörig werden, wenn die Eltern dem Kind alle
außerschulischen Veranstaltungen, wie Klassenfahrten, Klassenparties oder
Freundschaften mit Klassenkameraden verbieten. Dies kann ein Versuch des
131
vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.
(2006):S.25
70
Täters sein, sein Opfer zu isolieren, um nicht entdeckt zu werden. Auch ein
Nicht-nach-Hause-gehen-wollen
und
Nicht-am-Sportunterricht/Schwimm-
unterricht-teilnehmen-wollen kann ein Anzeichen für sexuellen Missbrauch
sein, bei dem Lehrer aufmerksam werden sollten.132
Selbst wenn diese und weitere Anzeichen gehäuft vorkommen, muss das Kind
nicht missbraucht worden sein, es kann auch andere Gründe haben. Dennoch
ist es wichtig, dem Kind als Vertrauensperson zur Verfügung zu stehen, ihm
Zuwendung zu geben. Denn dies birgt die Chance, dass sich das Kind dem
Lehrer anvertraut und die Lehrkraft entsprechend helfen kann, egal welches
Problem das Kind belastet.133
Weitere Anzeichen können sein: Kinder laufen merkwürdig, drücken die Knie
aneinander. Sitzen auf der Stuhlkante, wippen oder reiten dort als Form der
Selbstbefriedigung.134
Nicht nur die Opfer senden mögliche Signale über einen Missbrauch aus,
sondern auch die Täter verhalten sich auffällig. So zwingen sie einem Kind
z.B. in der Öffentlichkeit Küsse auf, oder fassen einem Mädchen an die Brust.
Zudem kann es auffallen, dass ein potentieller Täter versucht ein Kind zu
isolieren oder besonders eifersüchtig ist.135
5.3.2.1.
Kinderzeichnungen
In Kinderzeichnungen geben Kinder wieder, was ihnen wichtig ist. Je größer
oder detaillierter ein Kind z.B. eine Person oder eine Sache aus seiner
Umgebung malt, desto wichtiger ist diese für das Kind. In einer Zeichnung
setzt sich das Kind mit seiner Umwelt auseinander. Je mehr Unterstützung
Kinder bei der Wahrnehmung ihrer Umwelt erhalten, desto differenzierter
werden sie es malen. Natürlich hängt es auch von der Entwicklungs- und
Altersstufe ab, wie Kinder zeichnen. Jedes Kind durchlebt verschiedene
Entwicklungsstufen des bildnerischen Gestaltens. So fangen Kinder in der
ersten Entwicklungsstufe mit der Kritzelphase an. Diese Phase beginnt in
132
vgl. Born, M. (1994): S.55
vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.
(2006):S.25
134
vgl. Rensen, B. (1992): S.131
135
vgl. Brockhaus, U./ Kolshorn, M. (1993): S.168
133
71
einem Alter von etwa einem Jahr und reicht bis ca. zum dritten Lebensjahr. In
dieser Phase kritzeln die Kinder aus Freude an der Bewegung von Armen und
Händen, sie entdecken, dass sie mit einem Stift Spuren hinterlassen. Erst später
in dieser Phase bekommen die Kritzeleien einen Sinn zugeordnet. Diese
Zuordnung ist für Betrachter des Bildes aber meistens noch nicht erkennbar.
Zudem kann es sein, dass das Kind die Benennung nach kurzer Zeit wieder
ändert.
Mit ca. drei Jahren kommt das Kind in die sogenannte Phase des KopffüßlerZeichnens. Bei diesen Zeichnungen malt das Kind einen Menschen nur mit
einem Kopf, von dem direkt die Arme und Beine ausgehen. Sobald das Kind
mehr Bewusstsein für seinen eigenen Körper erlangt, malt es differenzierter.
Vollständige Menschen zeichnet ein Kind erst zwischen dreieinhalb und vier
Jahren. In diesem Alter erhalten die Bilder insgesamt mehr Differenzierungen,
wie Blumen, Tiere, Bäume mit deutlichen Einzelheiten. Diese sind aber frei auf
dem Bild ohne räumliche Ordnung verteilt.
Erste szenische Darstellungen, wie z.B. ein Fußballspiel oder ein Frühstück
finden sich erst in Zeichnungen von Vierjährigen. Ab dem fünften Lebensjahr
in etwa malen Kinder nur noch Situationszeichnungen wie: eine Mutter, die
einkauft oder Kinder, die im Garten spielen. Dabei wird alles klar und
differenziert dargestellt.
Die
Art
wie
ein
Kind
malt,
kann
eine
Menge
über
seine
Konzentrationsfähigkeit, sein Temperament, sein Engagement, über seine
Rolle in der Familie und vieles mehr aussagen. Seit mehr als 40 Jahren dienen
Kinderzeichnungen als diagnostisches Mittel für Intelligenztests, zur
Feststellung von Entwicklungsstörungen oder Konflikten.
Kinder malen das, was für sie wichtig ist. Daher ist es nicht verwunderlich,
dass wir in den ersten Zeichnungen von Zwei- bis Vierjährigen hauptsächlich
Selbstdarstellungen finden und als erste Erweiterung Darstellungen von
Bezugspersonen. Erwachsene können in diesem Alter nur durch Befragen des
Kindes herausbekommen, was das Kind tatsächlich gemalt hat. Jedes Kind
entwickelt sich unterschiedlich. Während das eine vierjährige Kind noch
Kopffüßler malt, kann es sein, dass ein anderes schon detaillierte Menschen
malt. Nur eine Reihe von Bildern eines Kindes kann Auskunft darüber geben,
72
ob das Kind z.B. grundsätzlich nie Menschen mit Armen zeichnet oder ob es
diese erst neuerdings weg lässt.
Durch das Malen können Kinder Konflikte verarbeiten. Malt ein Kind eine
Serie von Bildern mit demselben Thema, dient das seiner Bewältigung. Stellt
ein Thema eine besonders große Belastung für ein Kind dar, kann es sein, dass
es sich auf kein anderes Thema einlässt und schon fast zwanghaft sein Thema
zu Papier bringt. Gerade im Falle von sexuellem Missbrauch hindert der
Geheimhaltungszwang die Mädchen und Jungen daran, über den Missbrauch
zu sprechen. Kinder wirken unkonzentriert, fahrig und wie besessen von dem
was sie beschäftigt. Kinderzeichnungen können hier durchaus ein Signal für
Missbrauch sein, dies kann aber nur mit dem Kind zusammen herausgefunden
werden, indem dem Kind Fragen zu dem Bild gestellt werden. In den
Darstellungen der Kinder ist der Inhalt des Geschehens nicht immer eindeutig
erkennbar, weil die Kinder die Verleugnungsstrategien des Täters und der
gesamten Umgebung mit übernehmen. Diese Tatsache macht es auch für
Fachleute
so
besonders
schwierig,
mit
herauszubekommen, was das Kind so sehr belastet.
Hilfe
der
Zeichnungen
136
Hier ein Beispiel von einem 5,9 jährigen Kind, deren Missbrauch unter
anderem durch ihre Zeichnungen aufgedeckt wurde.
Das Mädchen schenkt das Bild der Freundin ihrer Mutter mit den Worten:
“Das Bild ist für dich, du darfst es aber nicht der Mama zeigen, dann wird sie
böse. Auf die Frage was sie gemalt habe, antwortet sie: „Drei Männer, die sich
im hohen Gras versteckt haben.“ Sie malt drei Männer mit einem Penis, aber
ohne Arme. 137
136
137
vgl. Steinhage, R. (1992): Sexuelle Gewalt – Kinderzeichnungen als Signal. S.17ff
vgl. Steinhage, R. (1992): S. 106f
73
Bild aus: Steinhage, R. (1992)
Wichtig ist, dass Bilder alleine nie ein eindeutiger Beweis für einen
Missbrauch sind, auch dann nicht, wenn Geschlechtsorgane gemalt sind oder
das Bild sehr düster aussieht und vielleicht bereits gemalte Personen
überkritzelt werden. Bilder können aber durchaus einen Verdacht erhärten. Wie
bereits gesagt, zeigen uns Kinderbilder, was die Kinder gerade beschäftigt. Um
aber Kinderbilder verstehen zu können, muss man sich intensiv mit dem
Thema auseinander gesetzt haben.
74
5.3.3.
Interventionsschritte im Einzelnen – Was tun im Verdachtsfall?
Der Verdacht erhärtet sich, der Lehrer hat zunehmend das Gefühl mit dem
Kind stimmt etwas nicht. Jetzt gilt es dich der Verdachtsklärung zu widmen.
Was kann ich tun, um meinen Verdacht entweder aufzudecken oder
herauszufinden, was das Kind ansonsten bedrückt, dass es sich so verändert
hat.
Signale und auffällige Verhaltensänderungen sind nie ein eindeutiger Beweis
für einen sexuellen Missbrauch, sondern nur Indizien. Das Mädchen oder der
Junge kann auch ein anderes Problem haben, was sie/ihn schwer belastet.
Umso schwieriger ist es jetzt den richtigen Schritt einzuleiten.
Die Lehrkraft muss sehr geduldig versuchen, vertrauen zu dem Kind
aufzubauen bzw. bereits bestehendes Vertrauen zu intensivieren. Wichtig ist es,
dem Kind die Gesprächsbereitschaft zu zeigen. Fühlt das Kind sich geborgen
und hat ein gutes Vertrauensverhältnis zur Lehrkraft, kann es dazu führen, dass
sich das Kind anvertraut und sich der Verdacht entweder bestätigt oder ein
anderes Problem aufgedeckt wird. Egal was das Kind offenbart, es kann ihm
geholfen werden.
Gehen wir bei der Aufdeckung des Problems weiterhin von einem Missbrauch
aus.
Jede Auffälligkeit, jeder Inhalt eines Gesprächs sollte mit Datum notiert
werden, denn dies kann später eventuell eine wichtige Hilfe bei der
Unterstützung des Kindes sein. Berichtet ein Kind von Übergriffen, muss ihm
auf jeden Fall geglaubt werden, denn es erfordert sehr viel Mut vom Kind den
Missbrauch zu offenbaren.
Ruhe bewahren ist hier das wichtigste Stichwort. Dem Kind vermitteln, dass
man das Problem kennt und, dass sich das Problem benennen lässt. Dabei sollte
die Vertrauensperson die Dinge, die passiert sein könnten benennen, so dass
das Kind nur noch nicken muss, bei dem was vorgefallen ist. In jedem Fall,
sollte dem Kind deutlich gemacht werden, dass es über alles reden darf, ohne
dass ihm oder einer anderen Person etwas zustößt.138 In den Gesprächen mit
dem Kind versucht die Lehrkraft so genau wie möglich herauszufinden, was
138
vgl. Besten, B. (1995): S. 83f
75
genau passiert ist, ohne das Kind zu drängen oder ihm zu signalisieren, für
welch ein „armes“ Kind sie es hält. Auf keinen Fall voreilig die Polizei oder
das Jugendamt einschalten, denn diese sind rechtlich gezwungen ein
Strafverfahren einzuleiten. Genauso darf dem Kind aber nichts versprochen
werden, was nicht gehalten werden kann. Das Kind soll wissen, dass die
Lehrkraft versuchen möchte mit ihm gemeinsam Lösungen für sein Problem zu
finden. Dafür ist es nötig mit anderen Personen über den Missbrauch zu
sprechen. Über alle weiteren Schritte muss das Kind informiert werden und
nichts ohne sein Wissen entschieden werden, denn dies wäre ein massiver
Vertrauensbruch, der dazu führen könnte, dass sich das Kind in Zukunft ganz
verschließt und ihm nicht mehr geholfen werden kann139. „Der Schutz des
Kindes
geht
vor
einer
möglichen
Strafe
des
Täters,
weil
eine
Sekundärtraumatisierung nicht ausgeschlossen werden kann.“140
5.3.3.1.
Situation der Lehrkräfte als Vertrauensperson des Kindes
Wegner beteuert in seinem Buch, wie wichtig es ist, sich in einem
Verdachtsfall, nicht direkt an Fachleute oder die Eltern zu wenden. Das
betroffene Kind sei zu ihnen gekommen und habe sie als Vertrauensperson
ausgewählt und nicht die Mutter. Wende man sich direkt an eine
Beratungsstelle sei davon auszugehen, dass das Kind sich verschließe.
Beratungsstellen, so sagt er, dürfen erst miteinbezogen werden, wenn sich der
Verdachtsfall bestätigt.
Das bedeutet also für die Lehrkraft, die sich dazu entschließt einem Kind zu
helfen, dass sie in der Verdachtsphase alleine dasteht. Sie muss es ertragen,
dass das Kind zu Hause zunächst erst einmal weiter missbraucht wird.141
Werden Lehrer konkret mit einem Verdachtsfall konfrontiert, kommt häufig
ein Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht auf, selbst wenn die Lehrkraft gut
informiert ist und über gute Kenntnisse der Intervention verfügt. Im direkten
Verdachtsfall können sich auch Lehrkräfte kaum vorstellen, dass so etwas
139
vgl. Braecker, S. (1994): S.54ff
a.a.0: S. 57
141
vgl. Wegener, W. (1997): S.165ff
140
76
wirklich passiert, besonders dann nicht, wenn der potentielle Täter ein
angesehener, liebevoller Vater ist. Es entsteht eine Mischung aus Unglaube und
Bestürzung.
Die vorige bloße theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema bietet keine
Sicherheit für einen konkreten Fall. Wie gehe ich nun tatsächlich mit dem
Opfer/ mit den Eltern um? Ganz wichtig für eine Lehrkraft in einem
Verdachtsfall ist es, Ruhe zu bewahren und sich die Zeit zu nehmen, sich
Gedanken darüber zu machen, ob sie sich wirklich in der Lage fühlt, den
Schüler in dieser Situation zu begleiten und zu unterstützen. Dabei spielt auch
das eigene Verhältnis zu dem Schüler eine Rolle. Kann die Lehrkraft den
Schüler womöglich nicht so gut leiden, ist keine Basis für eine gute
Unterstützung gegeben.
Auch die realistische Einschätzung der eigenen zur Verfügung stehenden Zeit
sollte berücksichtigt werden. Hat eine ein Schüler ein Vertrauensverhältnis
aufgebaut und die Lehrkraft zieht sich dann zurück, weil sie an ihre eigenen
Grenzen kommt, kann das für den betroffenen Schüler sehr belastend sein.
Fühlt sich die Lehrkraft nicht in der Lage zu helfen, sollte sie sich darum
bemühen eine andere Lehrperson zu finden, die dies übernimmt.
Besonders Ruhe zu bewaren ist daher so wichtig, weil das Thema enorme
emotionale Reaktionen auslöst und Helfer so schnell wie möglich etwas tun
wollen, weil die Vorstellung was dem Kind gerade passiert unerträglich
erscheint. Häufig wird überstürzt reagiert, was eher Schaden anrichten kann,
als dass es dem betroffenen Kind hilft.142
Hat sich die Lehrkraft entschlossen dem Kind zu helfen und es zu unterstützen,
ist es von erster Notwendigkeit sich selbst Hilfe zu holen ohne dabei direkt das
Jugendamt mit der Vermutung zu konfrontieren. Denn das könnte, wie schon
gesagt, in einer übereilten Reaktion schlimme Folgen haben.
Da der konkrete Verdacht sehr viel Kraft fordert, sollte die Lehrkraft mit
Kollegen über ihre Gefühle sprechen. In Beratungsstellen, die sich auf das
Thema „Sexueller Missbrauch“ spezialisiert haben, wird Hilfe geboten. Zum
einen für die Lehrkraft selber, zum anderen aber auch Beratung, welche
142
vgl. Born, M. (1994): S.57ff
77
Schritte sinnvoll sind, um dem Kind zu helfen.143 Die Konfrontation mit dem
Thema stellt meistens eine sehr hohe Belastung dar, in der Fachleute eine
große Unterstützung bieten.
Gibt es vor Ort keine spezielle Beratungsstelle, kann man sich an andere
Beratungsstellen, wie z.B. Pro Familia, Erziehungsberatungsstellen oder den
Kinderschutzbund wenden. Wie diese Hilfe oder Zusammenarbeit aussehen
kann, möchte ich im nächsten Kapitel erläutern.
5.3.3.2.
Zusammenarbeit mit Institutionen
Zunächst sollte mit der Beratungsstelle ein ausführliches Gespräch stattfinden.
Dafür
sind
die
zuvor
gesammelten
Dokumentationen
von
Verhaltensaufälligkeiten, Bildern oder Gesprächen sehr nützlich. 144 Der Name
des Kindes bleibt zunächst anonym. Meiner Meinung nach bieten unabhängige
Beratungsstellen den Vorteil, dass sie nicht verpflichtet sind Strafanzeige zu
erstatten. Genauso sind sie nicht befugt, ein Kind aus der Familie
herauszunehmen. Beratungsstellen wie Violetta können beratend zur Seite
stehen und machen keine Angst. Denn viele Familien stehen dem Jugendamt
ängstlich gegenüber, weil sie Angst haben, man könnte ihnen die Kinder
wegnehmen.
Mit der gewählten Beratungsstelle werden weitere Schritte überlegt. Es kann
viel Zeit vergehen, ehe sich ein Verdacht bestätigt und das Kind sich der
Vertrauensperson anvertraut.
Wenn es zweifelsfrei feststeht, dass das Kind sexuell missbraucht wurde, muss
alles sofort geschehen und gut vorbereitet sein. Vor einer Aufdeckung des
Missbrauchs muss der Schutz des Kindes gewährleistet sein. Handelt es sich
um den Vater als Täter, ist es dringend erforderlich, das Kind aus der Familie
zu nehmen oder den Vater vom Kind zu trennen. Dafür muss das Jugendamt
miteinbezogen werden. Nur das Jugendamt ist schließlich berechtigt, das Kind
aus der Familie herauszunehmen. Der Einsatz der Aufdeckung wird vorher klar
koordiniert. Wer redet mit dem Kind, wer redet mit der Mutter, wer spricht mit
dem Täter? Wo kann das Kind untergebracht werden, wenn der Täter mit dem
143
144
vgl. Braecker, S. (1994): S.57
vgl. Born, M. (1994): S.61f
78
Kind unter einem Dach lebt? Die Mutter bekommt keine Informationen über
das Telefon, sondern wird gebeten in die Schule zu kommen. Da die Mutter
dem Kind unbewusst Botschaften vermitteln könnte, nicht darüber zu reden,
darf sie bei dem Aufdeckungsgespräch nicht dabei sein. Damit sie aber glauben
kann, was das Kind gesagt hat, bietet es sich an, das Gespräch über eine
Videokamera aufzunehmen. Nach dem Aufdeckungsgespräch müssen Mutter
und Kind zusammengebracht werden, damit das Kind weiß, dass die Mutter es
weiß und dadurch auch mit ihr reden kann.
Ganz wichtig ist, dass noch am selben Tag der Täter mit den Vorwürfen
konfrontiert wird. Dabei gibt es keine allgemeingültige Vorgehensweise. Die
Helfer der Beratungsstelle werden einen geeigneten Weg finden. Jeder
Missbrauch ist anders und jeder Täter hat einen anderen Charakter. Handelt es
sich
bei
dem
Täter
um
den
Vater,
ist
ein
letzter
Schritt
ein
Familienzusammentreffen als realitätsschaffendes Treffen. Denn hier darf das
Kind zum ersten Mal die Realität als Realität wahrnehmen und kann so
erfolgreich an einer Therapie teilnehmen.145 Nach einer Konfrontation mit dem
Täter sollte das Kind unbedingt außer Reichweite des Täters bleiben. Denn
dieser
könnte
ansonsten
das
Kind
dazu
zwingen,
seine
Aussage
zurückzunehmen.
Dem Täter können nun Therapievorschläge gemacht werden, denen er
nachkommen kann. Zeigt der Täter Therapiebereitschaft und unterzieht sich
dieser, ist ein Zusammenleben nach erfolgreich abgeschlossener Therapie nicht
ausgeschlossen. Während der Therapie muss aber die räumliche Trennung
zwischen Opfer und Täter gewahrt sein, denn es tauchen immer wieder Fälle
auf, in denen der Täter selbst während einer Therapie das Kind weiter
missbraucht und dabei seine Drohungen verschärft.
Widersetzt sich der Täter einer Therapie, besteht keine Möglichkeit die Familie
zu erhalten. Die Gefahr, dass der Missbrauch sich fortsetzt ist zu groß. In
diesem Fall hat die Mutter zwei Möglichkeiten: entweder trennt sie sich von
ihrem Partner und dieser verlässt die Familie oder den Eltern wird das
Sorgerecht für das Kind entzogen und dieses aus der Familie genommen. Die
letztere Möglichkeit wäre in jedem Fall die schlechtere, da das Kind das
145
vgl. Wegener, W.(1997): S.180ff
79
Gefühl bekommt, jetzt doch für den Missbrauch bestraft zu werden und in ein
Heim kommt, genauso wie es der Täter vielleicht vorher prophezeit hat, wenn
es etwas verrät. Hält die Mutter zu ihrem Kind, kann es in seiner gewohnten
Umgebung bleiben und soziales Umfeld, Mutter und eventuelle Geschwister
bleiben erhalten, was eine wesentlich bessere Voraussetzung für eine
erfolgreiche Therapie des Kindes darstellt.146
5.3.3.3.
Kontaktaufnahme mit dem Opfer
Vertraut sich das Kind nicht von sich aus der Lehrkraft an, sie sich aber sicher
ist, dass das Kind ein Problem plagt, kann sie auf den Schüler zugehen und das
Gespräch suchen. Hierbei ist leider nicht gegeben, dass das Kind sich der
Lehrkraft vollständig öffnet. Aber die Lehrkraft kann dem Kind ihr Vertrauen
entgegenbringen und ihm Mut machen. Sie sollte in dem Gespräch in jedem
Fall ruhig bleiben, sehr behutsam sein, das Kind zu nichts drängen und dem
Kind keine Worte in den Mund legen. Es ist wichtig, dem Kind zu vermitteln,
dass es darüber reden darf, dass man das Problem kennt, es benennen kann,
dass man ihm glaubt, dass es keine Schuld oder Verantwortung für das was
passiert ist, trägt und dass sie zusammen eine Lösung finden werden.147
Die Lehrkraft sollte sich darüber im Klaren sein, dass sie vielleicht Dinge von
dem Kind erfährt, die sie lieber nicht gewusst hätte und selber nicht wahrhaben
möchte. Dinge, die bei ihr Wut, Ekel oder Angst um die psychischen
Belastungen des Kindes auslösen.
148
Genauso muss sie sich darüber klar sein,
dass sie dabei an ihre eigenen Grenzen und Abwehrmechanismen stoßen
könnte.
So
kann
sie
diese
Abwehrmechanismen
und
das
Nichtwahrhabenwollen wahrnehmen und entsprechend darauf reagieren. Auf
keinen Fall aber darf sie ihre Gefühle vor dem Kind offenbaren. Denn dann
könnte es passieren, dass das Kind nicht mehr weitererzählt, um die Lehrkraft
zu schützen. Sie muss dem Kind die ganze Zeit das Gefühl geben, dass sie die
Situation unter Kontrolle hat. Das gibt dem Schüler Sicherheit.
146
vgl. Born, M. (1994).S: 73f
vgl. a.a.O: S.62
148
vgl. Bayrisches Staatsministerium (2006): S.28
147
80
Hat die Lehrkraft sich entschlossen das Kind anzusprechen, sollte sie sich im
Vorfeld genügend Zeit einräumen und einen geeigneten Raum suchen, in dem
sie sicher ungestört sind. Der Klassenraum eignet sich nicht gut, da jederzeit
jemand herein kommen könnte. Ein Elternberatungszimmer z.B. wäre ein
passender Raum. Die Lehrkraft könnte den Schüler zu sich bitten, mit den
Worten: „So, nun können wir beide ungestört miteinander reden. Hier wird uns
bestimmt niemand stören, so dass wir in Ruhe Zeit füreinander haben.“149 Das
eigentliche Gespräch könnte so eröffnet werden: „Du wunderst dich sicher,
warum ich dich hier her gebeten habe. Du wirkst in letzter Zeit so traurig. Ich
glaube, dass dich etwas bedrückt, worüber es dir schwer fällt zu sprechen.“150
Hier können jetzt auch beobachtete Äußerungen des Kindes oder
Verhaltensänderungen behutsam mit in das Gespräch eingebaut werden. Wie
z.B. „Du hast einmal die Bemerkung gemacht, dass (…). Daher vermute ich,
dass (…). Hat dir jemand verboten darüber zu sprechen?“ Nach jeder Frage ist
es wichtig darauf zu achten, dem Kind genügend Zeit zum antworten zu lassen.
Denn für das Kind ist es sehr schwierig zu antworten und kostet viel Mut, auch
wenn sie dem Lehrer vertraut und dieser sehr behutsam ist. Durch eine
mögliche Frage wie: „Was glaubst du wird passieren, wenn du mir erzählst was
dich bedrückt?“151 kann die Lehrkraft Informationen über den Schweregrad des
Missbrauchs erhalten und erfahren womit der Täter dem Opfer droht.
Viele Opfer glauben, dass nur ihnen so etwas passiert, daher ist es wichtig, dem
betroffenen Kind zu vermitteln, dass man das Problem kennt und er nicht der
einzige ist, dem so etwas passiert. Born (1994) geht in ihrem Buch darauf ein,
wie die Lehrkraft sich in dieser Situation verhalten könnte. Sie sagt die
Lehrkraft könnte erzählen, dass es Erwachsene gibt, die Kinder an Stellen
anfassen, wo sie es nicht möchten, dass sie sich aber nicht trauen etwas zu
sagen. Das Wissen, dass er nicht der einzige ist, dem so etwas passiert, macht
den Kindern Mut sich weiter zu öffnen. Auch die Tatsache, dass die Lehrkraft
die Dinge, die passiert sind benennen kann, kann für die den Schüler zur
weiteren Öffnung sehr hilfreich sein. Viele Schüler finden noch nicht die
richtigen Worte oder trauen sich nicht es auszusprechen, so kann die Lehrkraft
149
Born, M. (1994): S.63
ebd.: S.63
151
a.a.O.: S.64
150
81
durch Worte wie: „Du sagtest dein Vater fasst dich da unten an. Du meinst
also, er hat dich an deiner Scheide berührt? Musstest du ihn auch schon am
Penis berühren?“152 Der dem Schüler fällt es so leichter zu antworten und die
Lehrkraft erhält konkrete Aussagen. Diese konkreten Aussagen des Kindes
sind für die spätere Aufdeckung in der Zusammenarbeit mit Institutionen sehr
wichtig.
Ich allerdings sehe diese Vorgehensweise sehr kritisch. Die Lehrkraft legt dem
Kind so schnell Worte in den Mund, die vielleicht gar nicht passiert sind.
Gerade Kinder machen sich zu Fragen, die man ihnen stellt zunächst einmal
passende Bilder dazu im Kopf und können anschließend vielleicht nicht mehr
zwischen den Bildern im Kopf und der Realität unterscheiden. So könnte ein
Kind schnell „Ja“ sagen, zu der Frage, ob es den Penis des Vaters anfassen
musste, obwohl das vielleicht gar nicht der Fall war. Meiner Meinung nach,
sollten diese intimen Details in der Hand der Fachkräfte der Institutionen und
Therapeuten bleiben.
Es ist nicht immer leicht alles zu glauben, was uns das Kind erzählt. Trotzdem
ist genau dies ungeheuer wichtig. Die Kinder merken sofort, wenn man an
ihren Aussagen zweifelt und durch Antworten wie: „Das ist ja unglaublich.
oder Das musstest du wirklich machen?“ kann es sein, dass sich das Kind nicht
mehr traut weiter zu erzählen was passiert ist.
Steinhage (1989) macht auf einen weiteren Umstand aufmerksam, der es unter
Umständen. erschwert, dem Betroffenen zu glauben:
„So sind Jugendliche, die missbraucht werden nicht immer die lieben,
zurückhaltenden Mädchen, sie sind zum Teil widerborstig, frech und lügen.
Das sind ihre Überlebensstrategien, um die häusliche Situation durchstehen zu
können. Jugendliche Mädchen lügen aber nicht, wenn sie über sexuelle
Übergriffe durch Familienangehörige berichten.“153
Fast alle betroffenen Kinder haben Schuldgefühle. Hier gilt es diese auf keinen
Fall zu verstärken, sondern deutlich zu machen, dass das Kind niemals Schuld
an dem Missbrauch trägt. Mit Fragen wie: „Hast du den Penis in den Mund
genommen?“ wird dem Kind eine aktive Rolle in dem Missbrauch unterstellt.
152
153
vgl. Born, M. (1994): S.63f
Steinhage, R. (1989): Sexueller Missbrauch an Mädchen. S.71
82
Es muss darauf geachtet werden, dass so etwas nicht passiert. Diese Frage
müsste lauten: „Musstest du den Penis in den Mund nehmen?“ Fragen, wie sie
den Missbrauch so lange ausgehalten haben, oder warum sie sich denn nicht
gewehrt haben, verstärken die Schulgefühle zusätzlich. Denn es kann sein, dass
sie die Handlungen als angenehm empfunden haben oder den Täter trotz allem
noch lieben, sich aber wünschen, dass der Missbrauch endlich aufhöre. Daher
sollten Bewertungen über den Täter nicht ausgesprochen werden, sondern der
Schüler unterstützt werden mit Worten wie: „Es ist nicht in Ordnung, was er
mit dir macht und er hat kein Recht dazu.“154
Zum Ende des Gespräches macht der Lehrer dem Kind deutlich, dass sie
gemeinsam nach Lösungen suchen werden. Dabei ist es wichtig dem Kind
noch einmal zu versichern, dass nichts passieren wird, ohne dass das Kind
darüber vorher Bescheid weiß. Allerdings darf er ihr, wie schon gesagt auch
keine Versprechungen machen, die er nicht halten kann. Wichtig ist auch, dass
das Kind am Ende noch einmal erfährt, wie gut und mutig es war, sich
anzuvertrauen und das Geheimnis zu lüften. Der Lehrer muss in der folgenden
Zeit immer im Kontakt mit dem Kind bleiben und ihm zeigen, dass sie immer
für es da ist. 155
5.3.3.4.
Das soziale Umfeld - Situation der Eltern
Das soziale Umfeld spielt eine wichtige Rolle im Interventionsprozess, da die
meisten Kinder nach einer Aufdeckung trotzdem im gewohnten Umfeld
bleiben möchten. In Gesprächen mit dem Kind kann herausgefunden werden,
wer eventuell helfen könnte. (Großeltern, Verwandte, Freunde …) Diese
Tatsache stellt sich aber häufig gar nicht als so einfach heraus. Je nach der
Nähe zum Täter oder ob er eine Autoritätsperson ist oder ob die Familie unter
Umständen finanziell von ihm abhängig ist, sind die Reaktionen auf einen
Missbrauch unterschiedlich.156 „Eltern, die vom Missbrauch ihrer Kinder
erfahren, geraten meistens in eine schwere seelische Krise. Sie machen sich
schwere Vorwürfe, weil sie den Missbrauch nicht bemerkt und das Kind nicht
154
vgl., Born, M. (1994): S.65f
vgl. a.a.O.: S.67f
156
vgl. Bracker, S. (1991): S. 58
155
83
geschützt haben.“157 Am ehesten unterstützt eine Familie ein missbrauchtes
Kind, wenn der Täter nicht aus der Familie kommt oder gar nicht erst bekannt
ist. Es wird immer schwieriger, je näher die Familie mit dem Täter bekannt ist.
Angefangen bei dem Busfahrer, bis zum Hausmeister oder Stadtrat, machen
sich Eltern Gedanken:158 „Das ist ein angesehener Mann, wir kriegen nur
Schwierigkeiten, gegen den kommen wir sowieso nicht an, was sagen die
Nachbarn, wenn das bekannt wird? Das Kind hat doch schon genug
mitgemacht, wollen wir es lieber schnell vergessen.“159 Ist die Familie vom
Täter abhängig ist es noch schwieriger (Vermieter, Lehrer, Pastor…) Die
Familie muss dem Druck standhalten, egal welche Konsequenzen die Familie
davon tragen könnte. Am schwierigsten ist es, wenn der Täter aus dem engsten
Familienkreis stammt. (Vater, Onkel, Opa. Stiefvater, Bruder…) Die Familie
muss sich entscheiden und wird damit in einen inneren Konflikt gestürzt.
Beide, Opfer und Täter sind Familienmitglieder, die zusammenhalten sollten.
Hält die Familie zu dem Kind, ist ein Familienstreit unumgänglich und der
Täter muss seine Strafe erhalten. Andererseits ist der Täter auch ein
Familienmitglied und die Familie ist vielleicht sogar von ihm in irgendeiner
Form abhängig. Zudem kann es sein, dass sich die Familienmitglieder für den
Missbrauch schämen und unter keinen Umständen wollen, dass dieser in die
Öffentlichkeit gelangt. Erscheinen die Konsequenzen für die Familie zu
schwerwiegend, kann es sein, dass die Familie den Missbrauch verleugnet.
Verleugnet die Familie den Missbrauch, werden sie immer damit leben
müssen, dass die Familie ein Geheimnis plagt, über das in der Gesellschaft
nicht geredet wird.160
Die Situation ist für die Mutter besonders schlimm, wenn der Täter der eigene
Ehemann oder Partner ist. Mütter fühlen sich verletzt und betrogen. Sowohl
vom Täter, als auch vom Kind, das sich ihnen nicht anvertraut hat. Dazu
kommen Ängste, dass das Kind aus der Familie genommen wird und die
Familie zerbricht.161
157
Bayrisches Staatsministerium (2006): S.30
vgl. Braecker, S. (1991): S.36ff
159
a.a.O.: S.38
160
vgl. a.a.O.: S.38f
161
vgl. Bayrisches Staatsministerium (2006): S.30
158
84
Institutionen stellen sich ganz andere Fragen im Hinblick auf die Mutter, vor
allem, wenn der Missbrauch in der eigenen Familie stattfand. Wo liegt die
Schuld der Mutter? Warum lässt eine Mutter so etwas zu? Wie kann es sein,
dass sie den Missbrauch nicht bemerkte? Warum hat das Kind sich ihr nicht
anvertraut? Hat sie den Missbrauch vielleicht sogar gewollt oder unterstützt?
Viele Mütter haben Angst vor den Folgen, sie schauen weg, sie wollen kleine
Anzeichen nicht wahrhaben und gehen ihnen deswegen gar nicht erst nach. Sie
haben Angst um die Existenz ihrer Familie, erst recht, wenn sie vom Täter
emotional oder finanziell abhängig sind. Sie wollen den Traum einer heilen
Familie in einer heilen Welt nicht aufgeben und haben vielleicht sogar Angst
ihr Leben ohne ihren Partner nicht gestalten zu können.162
Das Gespräch mit der Mutter findet erst nach der Offenbarung des Kindes statt.
Dieses Gespräch sollte nicht von der Vertrauensperson des Kindes
durchgeführt werden, sondern von einer anderen Lehrkraft oder einer Fachkraft
der Beratungsstelle. Erfahrungen der Beratungsstellen zeigen, dass sich die
Lehrkraft überschätzt, wenn sie glaubt, sie könnte Kind und Mutter gleichzeitig
beraten und unterstützen. Denn die Gefühle des Kindes, vor allem gegenüber
dem Täter sind andere als die Gefühle der Mutter. Beide müssen aber in ihren
Gefühlen angenommen und akzeptiert werden. Im Vorfeld ist außerdem kaum
auszumachen, auf wessen Seite sich die Mutter stellt. Stellt sie sich auf die
Seite ihres Partners, kann die Lehrkraft unmöglich für beide Partei ergreifen
und diese beraten.
5.3.4.
Rechtliche Regelungen bei sexuellem Missbrauch
„Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) haben Kinder „ein Recht auf
gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und
andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“ (§ 1631 Abs.2
Strafgesetzbuch).“163 Sexueller Missbrauch gilt hierbei auch als Form von
Gewalt.
Sexueller
Missbrauch
von
Kindern
ist
strafbar
(§
176
Strafgesetzbuch). All diejenigen, die Verantwortung für Kinder tragen (Eltern,
Einrichtungen, Vereine etc.) haben eine Schutzpflicht für die Kinder
162
163
vgl. Braecker, S. (1991): S. 40f
Maywald, J. (2008): S.40
85
übernommen. Diese ist im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) unter
„Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung“ beschrieben. Damit verpflichten
sich alle Dienste und Einrichtungen für Kinder gewichtige Anhaltspunkte für
eine Gefährdung zu erkennen und eine erfahrene Fachkraft (z.B. aus
Erziehungs-
und
Familienberatungsstellen,
Jugendamt)
bei
Verdacht
hinzuzuziehen. Die Eltern sollen auf die Inanspruchnahme von Hilfe
hingewiesen werden. Bei einer Fachkraft des Jugendamtes sollte die Beratung
zunächst anonym erfolgen, um die Familie nicht vorschnell ohne dessen
Wissen dem Jugendamt zu melden. Nur wenn die von den Familien
angenommenen Hilfen nicht ausreichen um eine Gefährdung abzuwenden,
muss das Jugendamt eingeschaltet werden.164
Die UN-Kinderrechtskonvention ist eine Übereinkunft der Vereinten Nationen
über Kinderrechte und umfasst insgesamt 54 Artikel.
Die in der UN-Kinderrechtskonvention niedergelegten Mindeststandards haben
zum Ziel, die Würde, das Überleben und die Entwicklung aller Kinder auf der
Welt sicherzustellen. In Deutschland wird versucht den Kindern ihre Rechte
näher zu bringen.
Artikel 19:
„Der Staat hat die Pflicht, das Kind gegen jede Form der Misshandlung durch
seine Eltern oder andere Betreuungspersonen zu schützen sowie entsprechende
Vorbeugungs- und Behandlungsprogramme anzubieten.“165
Die Vereinten Nationen wollen die Verbesserung der Lebensverhältnisse der
Kinder, sie setzen sich ein, die Einhaltung der Kinderrechte zu überwachen.
Zum Schutz für Kinder gibt es konkrete abgestufte Maßnahmen die bei einem
Missbrauch
in
Betracht
gezogen
werden
können.
Dies
kann
von
Kontaktsperren und Umgangsverboten bis hin zum Entzug des Sorgerechts
gehen. Zuständig für solche Maßnahmen ist das Familiengericht. Bei getrennt
lebenden Elternteilen, und der Vermutung, dass der andere Elternteil das Kind
164
165
vgl. Maywald, J. (2008): S.40
Deegener, G. (1998): S.208
86
misshandelt, kann das alleinige Sorgerecht beantragt und das Umgangsrecht
entzogen werden.166
Strafanzeige: ja oder nein? Diese Frage stellen sich Eltern, die vom Missbrauch
ihres Kindes erfahren. Denn die Entscheidung fällt nicht immer leicht. Eltern
sorgen sich um ihr Kind und wollen es nicht zusätzlich belasten, andererseits
gibt es keine andere Möglichkeit als die Strafanzeige, um den Täter zur
Verantwortung zu ziehen. Die Strafanzeige kann bei jeder Polizeidienststelle
aufgegeben werden. Sie kann nach dem Aufgeben nicht zurückgezogen
werden, da Polizei und Staatsanwaltschaft ihrer uneingeschränkten Pflicht zur
Strafverfolgung nachkommen müssen. Bei einer Strafanzeige sei wohl
überlegt, ob das Kind den Belastungen des Verfahrens stand halten kann.
5.3.4.1.
Das Strafverfahren
Das Strafverfahren gliedert sich in Ermittlungsverfahren, Zwischenverfahren
und Hauptverfahren.
In dem Ermittlungsverfahren werden von der Staatsanwaltschaft alle
erforderlichen Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts in Angriff
genommen. Eingeleitet wird das Ermittlungsverfahren durch die Strafanzeige.
Danach wird das Kind zunächst verhört. Das Kind hat nur dann ein
Zeugnisverweigerungsrecht, wenn eine Verwandtschaft zum Täter besteht.
Verweigert das Kind aber seine Aussage, haben die Beamten meist keine
Beweismittel für den Missbrauch und das Verfahren würde eingestellt. Die
Vernehmung wird in der Regel durch die Polizeibeamten möglichst
kindgerecht, schonend und durch Spiele durchgeführt. Dennoch ist so eine
Anhörung für ein Kind nie leicht, da das Erlebte wieder in Erinnerung gerufen
wird und auch noch ausgesprochen werden muss. In der weiteren Ermittlung
werden sachliche Beweismittel gesichert. Der beschuldigte Täter und weitere
Zeugen werden vernommen. Je nach Fall, kann ein Haftbefehl für den Täter
beantragt werden. Um die Glaubhaftigkeit des Kindes zu ermitteln erfolgt ein
Gutachten eines Kinderpsychologen. Dieses Gutachten findet grundsätzlich in
166
vgl. Bayrisches Staatsministerium (2006): S.48
87
einer vertrauten Umgebung des Kindes statt. Der Kinderpsychologe hat so die
Möglichkeit herauszufinden, ob das Kind die Belastung im Hauptverfahren
überhaupt aushalten kann.
Ein positives Gutachten kann als Druckmittel gegen den Täter verwendet
werden. Gesteht er seine Tat, ist die Aussage des Kindes im Hauptverfahren
meistens nicht mehr notwendig. Bei einem positiven Gutachten wird eine
öffentliche Anklage erhoben und es kommt zum Gerichtsverfahren.
Ein negatives Gutachten führt meistens zu einer Einstellung des Verfahrens.
Im Zwischenverfahren geht die Verfahrensleitung auf das Gericht über, das bei
Bejahung des hinreichenden Tatverdachts das Hauptverfahren eröffnet.
Das Hauptverfahren ist der Kern des ganzen Strafverfahrens. Hier wird das
Urteil gesprochen und der Täter damit für schuldig oder unschuldig erklärt.
Sämtliche Beweise müssen im Hauptverfahren noch einmal aufgenommen
werden. Die vorangegangenen Ermittlungen müssen mündlich von den Zeugen
vorgetragen werden. Um dies dem Kind zu ersparen, wird es vor dem
Hauptverfahren regelmäßig von dem Ermittlungsrichter vernommen.167
„Die Hauptverhandlung gliedert sich in
-
den Aufruf der Sache (Belehrung des Zeugen etc.),
-
die Vernehmung des Angeklagten zur Person,
-
die Verlesung des Anklagesatzes,
-
die Vernehmung des Angeklagten zur Sache (Schweigerecht des
Angeklagten),
-
die Beweisaufnahme – hier findet die Vernehmung des Kindes (bis zum 14.
Lebensjahr nur durch den Vorsitzenden), der übrigen Zeugen und die
Erstattung etwaiger Gutachten statt,
-
die Plädoyers,
-
das Schlusswort des Angeklagten,
-
die Urteilsverkündung (nach Beratung)“168
167
168
vgl. Braecker, S.(1991): S.69ff
Braecker, S. (1991); S.73
88
5.3.5.
Zusammenfassender Überblick der Intervention
Es gibt sicherlich kein Patentrezept, wie man bei einem Verdacht auf einen
Missbrauch
vorgehen
sollte.
Dennoch
habe
ich
einige
wichtige
Verhaltensweisen an die man sich halten sollte, dargestellt. Da die Intervention
bei sexuellem Missbrauch sehr umfangreich ist, möchte ich im Folgenden
einen kurzen zusammenfassenden Überblick über die Vorgehensweise beim
sexuellen Missbrauch geben.
-
Der Verdacht entsteht – weiteres Beobachten, Vertrauen zu dem Kind
aufbauen
! -Der Verdacht verhärtet sich – Auffälligkeiten, Gespräche mit Datum
aufschreiben
-
Gesprächsbereitschaft zeigen – Kind kommt von sich aus oder Gespräch
suchen
! Ruhig bleiben, Kind zu nichts drängen, keine Worte in den Mund legen.
! Klar über eigene mögliche Abwehrmechanismen sein
-
Zusammenarbeit mit Institutionen
! Sich
beraten
lassen
im
Hinblick
auf
sich
selbst
und
auf
Hilfemöglichkeiten für das Kind
-
Kontaktaufnahme mit den Eltern
-
Kontaktaufnahme mit dem Täter
-
Rechtliche Schritte einleiten, wenn das Kind dazu in der Lage ist.
6. Ausblick / Schlusswort
Durch die intensive Beschäftigung mit dem Thema „Sexueller Missbrauch“
von Kindern und Jugendlichen ist mir dieses Problem mehr und mehr bewusst
geworden. Die Tatsache, dass viele Kinder und Jugendliche jährlich
missbraucht werden, erschreckt mich sehr. Sexueller Missbrauch ist eine der
schlimmsten Formen der Gewalt an Kindern. Die Opfer sind meist
zurückhaltende, schüchterne Mädchen mit wenig Selbstvertrauen und keinen
oder wenigen Bezugspersonen.
89
Die Ursachen, warum Erwachsene oder Jugendliche zum Täter werden, sind
nicht eindeutig geklärt. Kennzeichnend für den Täter sind aber ein schwaches
Selbstwertgefühl, soziale Isolation oder eigene Gewalterfahrungen. Diese
typischen Ursachen, die zu einem Missbrauch führen können, zeigen mir
wieder, wie wichtig der frühzeitige Beginn der Prävention in der Grundschule
ist, am besten sogar schon im Kindergarten bzw. noch früher im Elternhaus.
Wir müssen unsere Kinder in ihrer Persönlichkeit stärken und sie zu
selbstsicheren Persönlichkeiten erziehen.
Hinweise gibt es eine Reihe, auch wenn sie nicht immer auf einen Missbrauch
zurückzuführen sind und dementsprechend vorsichtig betrachtet werden
müssen. Die Folgen für die missbrauchten Opfer sind verheerend. Es gibt
Missbrauchsopfer, die lebenslang durch die Missbrauchserfahrungen geprägt
und damit auch geschädigt sind.
Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass über die Problematik nicht
geschwiegen werden darf. Viele Lehrer sind mit dieser Problematik und dem
Falle eines Missbrauchs in ihrer Klasse überfordert. Dies darf meiner Meinung
nach nicht so sein. Nach der Erkenntnis, dass statistisch gesehen auf jede
Klasse ein missbrauchtes Kind kommt, müsste das Thema „Sexueller
Missbrauch“ im Hinblick auf Intervention und Prävention ein zentrales Thema
der Lehrerausbildung sein. Die Frage danach, wie ich Missbrauch vorbeugen
kann oder was ich unternehmen kann, wenn ich Missbrauch vermute, sollte
von jedem Lehrer klar zu beantworten sein. Für solche, die ihr Studium bereits
abgeschlossen haben und über die Thematik nicht informiert sind, sollte das
Thema Prävention und Intervention von sexuellem Missbrauch ein zentraler
Bestandteil ihrer Fortbildungen sein, so dass auch diese Lehrkräfte informiert
sind. Zunächst müssten dazu natürlich die Fortbildungsangebote in diesem
Bereich ausgebaut werden.
Als besonders wichtig in der heutigen Zeit betrachte ich es, die Kinder zu
schützen, indem wir frühzeitig das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl
stärken, sowie die Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit fördern, wie z.B. in
dem Projekt „Faustlos“. Denn wie schon gesagt nutzen alle kurzfristigen
Präventionsprogramme
nichts,
wenn
90
nicht
durch
die
alltägliche
Erziehungshaltung vorbeugend gehandelt wird. Dies gilt im Bezug auf eine
mögliche Opfer- aber auch Täterrolle.
Zum Thema „sexueller Missbrauch“ reicht meiner Meinung nach eine kurze
Information darüber, dass es Menschen gibt, die Dinge mit uns machen
können, die wir nicht wollen, sowie die Information über „gute und schlechte“
Geheimnisse, und dass sie über alles mit uns Erwachsenen reden dürfen,
besonders dann, wenn sie sich nicht wohl fühlen. Dabei sollte vermieden
werden, den Kindern das Wort „Missbrauch“ in den Mund zu legen.
Durch
gezielte
Präventionsprogramme,
wie
„Faustlos“
und
Unterrichtseinheiten, wie die von Kiesewetter und Braun können unsere Kinder
zu starken Persönlichkeiten heranwachsen, die erkennen können, was richtig
und was falsch ist, was ihnen gut tut und was nicht.
Es ist meiner Meinung nach das Wesentliche für ein präventives Verhalten,
dass wir mit unseren Kindern offene Gespräche führen können und eine
Gemeinschaft darstellen, in der sich alle wohl und respektiert fühlen. Alle
präventiven Projekte in der Schule nutzen nichts, wenn die Werte und Normen
einer sich respektierenden Gesellschaft nicht auch im Elternhaus umgesetzt
werden.
91
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sexuelle
Bausteine
und
May, A. (1997): Nein ist nicht genug. Prävention und Prophylaxe. Inhalte,
Methoden und Materialien zum Fachgebiet Sexueller Missbrauch. Ruhnmark.
Donna Vita Verlag
Pro Familia (2008): Mein Körper gehört mir! Schutz vor Missbrauch für
Kinder ab 5. Bindlach. Loewe Verlag
Staudinger, U. (1999): Ich gehör nur mir. Sexuelle Übergriffe erkennen und
abwehren lernen. Linz. Veritas Verlag
Steinhage, Rosemarie. (1989): Sexueller Missbrauch an Mädchen: Ein
Handbuch für Beratung und Therapie. Reinbek bei Hamburg: Rowolt Verlag
Steinhage, Rosemarie (1992): Sexuelle Gewalt – Kinderzeichnungen als
Signal. Reinbek bei Hamburg, Rowolt Verlag
Ulonska, H.; Koch, H. (1997). Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen.
Ein Thema der Grundschule. Bad Heilbrunn: Klinkhardt Verlag
Wegener, Wolfgang. (1997): Misshandelte Kinder. Grundwissen und
Arbeitshilfen für pädagogische Berufe. Weinheim und Basel. Beltz Verlag
Wirtz, U. (1989): Seelenmord. Inzest und Therapie. Zürich. Kreuz-Verlag
Zeitschriftenartikel:
Kiesewetter, Iris. (2004). Sexuellem Missbrauch vorbeugen. Ein Artikel aus
Grundschule 2/2004, S.54-59
Krüger, A. (2008): Stern-Artikel: Sexueller Missbrauch „Eine Narbe wird
immer bleiben“ aus www.stern.de
95
Lache, A. (2008): Stern-Artikel: Sexueller Missbrauch „Er hat meine Kindheit
zerfetzt“ Heft 45/2008
Maywald, J.: Kinder in Krisen. Teil 4 – Sexueller Missbrauch. Wenn
Erwachsene Grenzen missachten. In: Kindergarten heute. Fachzeitschrift für
Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern (1/2008), S. 35-40
Moers, E. (1998). „Das kleine Drachenmädchen“. Präventionsarbeit zur
Thematik „Sexueller Missbrauch“ Praxis Grundschule Heft 3/1998, S.31-34
Informationsbroschüren:
Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und
Frauen. Handeln Statt Schweigen. Informationen und Hilfe bei sexueller
Gewalt gegen Kinder und Jugendliche (2006)
IGK Initiative gegen Kindesmissbrauch. Auch wir unterstützen den KAMPF
gegen Kindesmissbrauch. Oberhausen. (2008)
BZgA Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Über Sexualität
reden… Ein Ratgeber für Eltern zur kindlichen Sexualentwicklung zwischen
Einschulung und Pubertät. Köln (2007)
BZgA Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Über Sexualität
reden… Ein Ratgeber für Eltern zur kindlichen Sexualentwicklung in der
Pubertät. Köln (2008)
96
Internetadressen:
http://www.amyna.de/institut/inst_bildung_teamfortbildungen.html#schulalltag
http://www.aufrecht.net/utu/praevention.html (Stand 06.08.2009)
http://www.bka.de/profil/faq/recht.html (Stand: 31.08.2009)
http://bundesrecht.juris.de/sgb_8/__8a.html (Stand: 31.08.2009)
http://dejure.org/gesetze/BGB/1631.html (Stand: 31.08.2009)
.
www.dunkelziffer.de (Stand: 24.08.2009)
Bundeskriminalamt Wiesbaden (2007): Gewalt gegen Kinder. Gewalt von
Kindern in Deutschland. Zusammenstellung von Daten aus der polizeilichen
Kriminalstatistik. In:
http://www.dksb.de/upload/dksb/downloads/Internet_Endfassung_PKS2007_0
51108_Internetversion.pdf (Stand: 12.08.2009)
http://www.faustlos.de/faustlos/index.asp (Stand: 22.09.2009)
http://www.lehrerfortbildung.bezreg-muenster.nrw.de/fortbildungen
(Stand: 04.09.2009)
http://www.national-coalition.de/pdf/UN-Kinderrechtskonvention.pdf
(Stand: 31.08.2009)
http://www.nibis.de/nibis.phtml?menid=1871 (Stand: 04.09.2009)
http://www.polizeiberatung.de/rat_hilfe/opferinfo/sexueller_missbrauch_von_kindern/
(Stand: 20.07.2009)
97
www.profamilia.de (Stand: 24.08.2009)
http://www.sexuellermissbrauch.com/Themen/Sexueller%20Missbrauch/sexuel
ler_missbrauch_intervention.htm (Stand 05.08.2009)
http://www.starkeeltern-starkekinder.ch/2_Eltern/index.htm
(Stand:
22.09.2009)
http://www.stern.de/wissen/mensch/sexueller-missbrauch-eine-narb.e-wirdimmer-bleiben-643769.html (Stand 14.09.2009)
http://www.strohhalm-ev.de (Stand: 10.08.2009)
Fachgruppe gegen sexuellen Missbrauch
von Kindern und Jugendlichen
(2006) Informationsbroschüre: Häufige Fragen und Antworten zur sexuellen
Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen.
In: http://www.stoppkindsmissbrauch.li/bilder/330.pdf (Stand: 20.07.2009)
http://vedab.nibis.de/veran.php?vid=32814 (Stand: 04.09.2009)
http://www.violetta-hannover.de/5/Home_.html (Stand: 04.09.2009)
www.wildwasser.de (Stand: 01.08.2009)
www.zartbitter.de (Stand: 01.08.2009)
98
8. Anhang
8.1. Auszüge aus den Gesetzbüchern
§ 1631 Bürgerliches Gesetzbuch
Inhalt und Grenzen der Personensorge
(1) Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das
Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu
bestimmen.
(2) Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche
Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen
sind unzulässig.
(3) Das Familiengericht hat die Eltern auf Antrag bei der Ausübung der
Personensorge in geeigneten Fällen zu unterstützen.
(Aus: http://dejure.org/gesetze/BGB/1631.html)
§ 173 Strafgesetzbuch: Beischlaf zwischen Verwandten
(1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf
vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe
bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist.
Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf
vollziehen.
(3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift
bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren.
(Aus: http://dejure.org/gesetze/BGB/173.html)
§176 Strafgesetzbuch: Sexueller Missbrauch von Kindern
(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind)
vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe
von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.
99
(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle
Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich
vornehmen lässt.
(3) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr
zu erkennen.
(4) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer
1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt,
2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit
die Tat nicht nach Absatz 1 oder Absatz 2 mit Strafe bedroht ist,
3. auf ein Kind durch Schriften (§ 11 Abs. 3) einwirkt, um es zu sexuellen
Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder einem Dritten
vornehmen oder von dem Täter oder einem Dritten an sich vornehmen lassen
soll, oder
4. auf ein Kind durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder
Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder
durch entsprechende Reden einwirkt.
(5) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer
ein Kind für eine Tat nach den Absätzen 1 bis 4 anbietet oder nachzuweisen
verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.
(6) Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz 4 Nr. 3 und 4
und Absatz 5.
(Aus: http://www.bka.de/profil/faq/recht.html)
Auszug aus dem Kinder- und Jugendschutzgesetz
§ 8a Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
(1) Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des
Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das
Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte abzuschätzen.
Dabei sind die Personensorgeberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche
einzubeziehen, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des
Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. Hält das Jugendamt zur Abwendung
der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig, so hat
es diese den Personensorgeberechtigten oder den Erziehungsberechtigten
anzubieten.
(2) In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, die
Leistungen nach diesem Buch erbringen, ist sicherzustellen, dass deren
Fachkräfte den Schutzauftrag nach Absatz 1 in entsprechender Weise
wahrnehmen und bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos eine insoweit
erfahrene Fachkraft hinzuziehen. Insbesondere ist die Verpflichtung
aufzunehmen, dass die Fachkräfte bei den Personensorgeberechtigten oder den
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Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, wenn
sie diese für erforderlich halten, und das Jugendamt informieren, falls die
angenommenen Hilfen nicht ausreichend erscheinen, um die Gefährdung
abzuwenden.
(3) Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich,
so hat es das Gericht anzurufen; dies gilt auch, wenn die
Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in
der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken.
Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Gerichts nicht
abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den
Jugendlichen in Obhut zu nehmen.
(4) Soweit zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwerden anderer
Leistungsträger, der Einrichtungen der Gesundheitshilfe oder der Polizei
notwendig ist, hat das Jugendamt auf die Inanspruchnahme durch die
Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten hinzuwirken. Ist
ein
sofortiges
Tätigwerden
erforderlich
und
wirken
die
Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten nicht mit, so
schaltet das Jugendamt die anderen zur Abwendung der Gefährdung
zuständigen Stellen selbst ein.
(Aus: http://bundesrecht.juris.de/sgb_8/__8a.html)
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