Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen
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Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen
!"#$%&'()* !"#$%&'#()(* Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen – Pädagogische Konsequenzen für die Grundschule Helena Ahmann © 2009 Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Grund-, Haupt und Realschulen Hochschulort: Osnabrück Erstgutachter: Dr. phil. Dipl.-Päd. Ekkehard Ossowski : 1 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung .............................................................................................. 3 2. Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen....................... 5 2.1. Geschichtlicher Hintergrund .............................................................................5 2.2. Definition ..........................................................................................................6 2.2.1. Formen des sexuellen Missbrauchs .........................................................11 2.3. Zum Ausmaß sexuellen Missbrauchs ..............................................................12 2.4. Die Täter ..........................................................................................................15 2.4.1. 2.5. Strategien der Täter .................................................................................16 Die Opfer .........................................................................................................17 3. Ursachen des Missbrauchs ................................................................ 18 3.1. Erklärungsansätze ............................................................................................18 3.1.1. Der feministisch-gesellschaftliche Erklärungsansatz ..............................18 3.1.2. Der familientheoretische Erklärungsansatz .............................................19 3.1.3. Das Vier-Faktoren-Modell nach Finkelhor .............................................21 4. Hinweise des Kindes – Folgen ........................................................... 23 4.1. Körperliche Verletzungen ...............................................................................24 4.2. Psychosomatische und psychische Folgen ......................................................25 4.3. Soziale Auffälligkeiten ....................................................................................26 4.4. Emotionale Folgen/ Auswirkungen auf das Sexualverhalten..........................27 5. Pädagogische Konsequenzen für die Arbeit an Grundschulen ............................................................................................ 28 5.1. Sexueller Missbrauch – Ein Thema für die Schule .........................................28 5.2. Prävention von sexuellem Missbrauch ........................................................30 5.2.1. 5.2.1.1. Zum Präventionsbegriff...........................................................................30 5.2.2. Traditionelle und neuere Präventionsansätze ................................. 32 5.2.2.1. Präventionsprojekt CAPP der USA.........................................................35 Kritik an CAPP............................................................................... 38 1 5.2.3. Präventionsmöglichkeiten in der Grundschule........................................40 5.2.4. Prävention durch Elternarbeit ..................................................................43 5.2.4.1. Planung eines Elternabends ............................................................ 43 5.2.4.2. Tipps für einen Elternabend ........................................................... 44 5.2.5. 5.2.5.1. Lehrerausbildung .....................................................................................47 SchiLF – Ein Modell zur Lehrerfortbildung für die Prävention von sexuellem Missbrauch in Nordrhein-Westfalen ........................ 48 5.3. 5.2.6. Die Wirksamkeit von Präventionsprogrammen ......................................53 5.2.7. Unterrichtsideen für die Schule ...............................................................55 Intervention....................................................................................................67 5.3.1. Voraussetzungen der Intervention ...........................................................68 5.3.2. Mögliche Hinweise..................................................................................70 5.3.2.1. 5.3.3. Kinderzeichnungen ......................................................................... 71 Interventionsschritte im Einzelnen – Was tun im Verdachtsfall? ...........75 5.3.3.1. Situation der Lehrkräfte als Vertrauensperson des Kindes ............ 76 5.3.3.2. Zusammenarbeit mit Institutionen.................................................. 78 5.3.3.3. Kontaktaufnahme mit dem Opfer ................................................... 80 5.3.3.4. Das soziale Umfeld - Situation der Eltern ...................................... 83 5.3.4. 5.3.4.1. Rechtliche Regelungen bei sexuellem Missbrauch .................................85 5.3.5. Das Strafverfahren.......................................................................... 87 Zusammenfassender Überblick der Intervention ....................................89 6. Ausblick / Schlusswort ....................................................................... 89 7. Quellenverzeichnis ............................................................................. 92 8. Anhang ................................................................................................ 99 8.1. Auszüge aus den Gesetzbüchern .....................................................................99 8.2. Anhang zur Prävention in der Grundschule 2 1. Einleitung Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen ist eine Angelegenheit, die heute fast täglich in den Medien auftaucht und von Fällen missbrauchter Kinder berichtet wird. Das war aber nicht immer so. Bis zu den 80er Jahren war das Thema absolut tabu. Aus diesem Grund werde ich zunächst auf den geschichtlichen Hintergrund dieses Themas eingehen. Im weiteren Verlauf möchte ich die Frage: „Was ist sexueller Missbrauch?“ klären und einige Definitionen vorstellen. Die Frage nach der Definition ist nicht einfach und Wissenschaftler sind sich besonders in der Frage, wo sexueller Missbrauch anfängt und wo er aufhört uneinig. Nach der Frage, wo sexueller Missbrauch aufhört und wo er anfängt, lässt sich feststellen, dass es unterschiedliche Formen des Missbrauchs gibt. Diese möchte ich nach der Klärung der Definition vorstellen. „Ein Kind wird "entführt, missbraucht, ermordet" – die Angst davor erschreckt und beunruhigt Eltern zutiefst. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind Opfer eines derartigen Verbrechens wird, ist äußerst gering.“1 Weitaus häufiger hingegen sind die unerkannten, verschwiegenen Fälle innerhalb des Bekannten- oder Verwandtenkreises der Kinder. Die Dunkelziffer der Missbrauchsfälle ist sehr hoch. Im zweiten Kapitel möchte ich einen Einblick in das Ausmaß gewähren und dabei klären, wer die Opfer und wer die Täter sind. Dabei stellt sich mir die Frage: „Gibt es Kinder, die besonders gefährdet sind?“ „Wie gehen die Täter vor?“ Die Ursachen des Missbrauchs hängen eng zusammen mit den Auffälligkeiten des Täters, die ich im zweiten Kapitel erläutert habe. Daher möchte ich mich im dritten Kapitel auf die Ursachen des Missbrauchs konzentrieren. Im Bezug darauf werde zwei Erklärungsansätze der Wissenschaftler Helmut Koch und Marlene Kruck vorstellen. Auch der Wissenschaftler Finkelhor hat sich mit der 1 http://www.polizei-beratung.de/rat_hilfe/opferinfo/sexueller_missbrauch_von_kindern/ 3 Ursachenanalyse auseinander gesetzt und ein Integrationsmodell verschiedener Erklärungsansätze entwickelt, dieses möchte ich im Anschluss erläutern. Sexueller Missbrauch ist immer ein schlimmes Erlebnis für ein Kind, die Folgen sind gravierend, können aber sehr unterschiedlich sein. Im vierten Kapitel werde ich die möglichen Folgen, die nach einem Missbrauch entstehen können aufzeigen. Für mich als angehende Lehrerin in der Grundschule ist das Thema sehr wichtig. Obwohl das Thema Sexueller Missbrauch auch in den Schulen immer häufiger auftaucht, ist es noch ein schwieriges Thema, über das nicht gerne gesprochen wird. Sexualität allgemein ist eine Angelegenheit, die in unserer Gesellschaft noch immer tabuisiert wird. Daher sind viele Lehrer2 überfordert und verunsichert. Missbrauchsfälle jedoch gibt es überall, auch wenn wir sie nicht sehen. Ich möchte meinen Schwerpunkt der Arbeit auf die pädagogischen Konsequenzen für die Grundschule legen und dabei die Präventions- und Interventionsmöglichkeiten für Lehrer an Schulen darstellen. Statistisch gesehen kommt auf jede Klasse ein sexuell Missbrauchtes Kind, diese Tatsache erschreckt mich sehr. Da das Thema immer noch ein Tabuthema ist und nicht zur Lehrerausbildung gehört, sind viele Lehrkräfte ahnungslos und unsicher was sie tun würden oder wie sie in einem Verdachtsfall handeln sollten. Da mich das Thema sehr berührt und gleichermaßen erschreckt, ist es mir wichtig, zu wissen wie ich im Falle eines Missbrauchs richtig handele. In meiner Arbeit möchte ich daher ein besonders Augenmerk darauf legen: Was kann ich tun, um sexuellen Missbrauch vorzubeugen, zum einen in der Schule mit den Kindern, zum anderen mit den Eltern? Aber auch, woran kann ich ein missbrauchtes Kind erkennen und was kann ich tun, wenn ich Missbrauch vermute? 2 Zur besseren Lesbarkeit wurde in dieser Arbeit auf eine geschlechtliche Differenzierung verzichtet und nur die männliche Geschlechterform verwendet. Die weibliche Form ist dabei immer mit eingeschlossen. Bei erforderlichen signifikanten Differenzen wird die weibliche Form verwendet. 4 2. Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen 2.1. Geschichtlicher Hintergrund In der Geschichte finden wir schon früh Anhaltspunkte, die man heute als sexuellen Missbrauch bezeichnen würde. Erste Hinweise auf sexuellen Missbrauch an Kindern fand man in der Antike auf einer 5000 Jahre alten Tontafel der Göttin Ninlil: „Enlil sprach zu Ninlil von Beischlaf. Sie will nicht. meine Vagina ist zu klein. Sie versteht den Beischlaf nicht. Meine Lippen sind zu klein. Sie verstehen nicht zu küssen.“3 Leider gibt es kaum Überlieferungen aus dieser Zeit, da dieses Thema in den Quellen nicht thematisiert wurde, dennoch ist bekannt, dass zur Zeit der Antike sexuelle Übergriffe auf Kinder in Rom und Griechenland als normales Verhalten angesehen und kaum bestraft wurde, insbesondere die „Knabenliebe“. Erlaubt waren sexuelle Beziehungen von Männern und Jungen ab dem 12.Lebensjahr, sexuelle Kontakte mit jüngeren Kindern wurden hoch bestraft, sofern sie aufgedeckt wurden. Die Vergewaltigung eines Mädchens galt in der Rechtssprechung dieser Zeit als Diebstahlsdelikt. Bestraft wurden die Täter nicht aufgrund der zugefügten seelischen und körperlichen Verletzungen, sondern aufgrund der Verletzung der Eigentumsrechte des Vaters. Besonders die Mädchen wurden als Eigentum der Eltern angesehen, ein entjungfertes Mädchen minderte den Brautpreis beträchtlich. Der Täter musste das Mädchen dann heiraten und dem Vater den Brautpreis zahlen. Zwischen heiraten und Vergewaltigung bestand für die Mädchen also kaum ein Unterschied.4 Auch im Mittelalter wurde der Missbrauch an Kindern hart bestraft, sofern er überhaupt bekannt wurde. Das Problem war, dass sich viele, aufgrund ihres guten Rufes, nicht trauten den Täter anzuzeigen. Zudem gibt es überzeugende Belege, dass Mädchen und Frauen im Zuge der Hexenverbrennung vernichtet wurden, um sexuellen Missbrauch zu vertuschen. 5 Ende des 13 Jahrhunderts wurden in England zum Schutz der Kinder Gesetze erlassen, die sexuellen Missbrauch von Mädchen unter 12 Jahren unter Strafe 3 Deegener, G. (1998): S.43 vgl. Bange, D./ Deegener, G. (1996): Sexueller Missbrauch an Kindern. Ausmaß – Hintergründe – Folgen. S.11f 5 vgl. a.a.O., S.14 4 5 stellten. 150 Jahre später wurde ein Gesetz, das auch die Jungen schützen sollte aufgesetzt, dieses fand allerdings kaum Beachtung. Erst im 18. und 19. Jahrhundert wurde sexueller Missbrauch an Kindern zunehmend mehr als schädlich und unmoralisch betrachtet. Die Kindheit und Jugend sollte als Lebensabschnitt des besonderen Schutzes gesehen werden. Voraussetzung dafür war die in der Renaissance entwickelte Vorstellung von Kindheit, denn bis dahin wurden Kinder als „kleine Erwachsene“ gesehen. Erst durch diese neue Sichtweise war es überhaupt möglich, den Kindern einen besonderen Schutz zu gewährleisten. Sexuelle Übergriffe auf Kinder, egal welchen Alters, galten nun als sündhaft und verletzend und wurden zunehmend kriminalisiert und bestraft. 6 Betrachtet man die letzten 100 Jahre, offenbart sich ein Wechselspiel zwischen dem Versuch, sexuellen Missbrauch an Kindern auf der einen Seite zu thematisieren und zu problematisieren und auf der anderen Seite unter den Teppich zu kehren. Im 20. Jahrhundert wurden vergewaltigte Opfer häufig einfach als geistig und seelisch gestört, sowie sexuell hemmungslos betrachtet. Viele wurden aufgrund dessen unfruchtbar gemacht. 1982 brachen betroffene Frauen ihr Schweigen und wandten sich an die Öffentlichkeit. Dadurch berichteten immer mehr Medien über sexuellen Missbrauch an Kindern. Es erschienen Aufsätze in Fachzeitschriften und Bücher, die das Thema behandelten.7 2.2. Definition Um klären zu können, was wir gegen sexuellen Missbrauch tun können und wie wir unsere Kinder davor schützen können, möchte ich zunächst der Frage nachgehen: Was genau verstehen wir unter sexuellem Missbrauch an Kindern? Wo genau fängt er an und wo hört er auf? Wo ist die Grenze zwischen normaler Zärtlichkeit zwischen Erwachsenen und Kindern und sexuellem Missbrauch? 6 7 vgl. Bange, D./ Deegener, G. (1996): S. 16 vgl. a.a.O., S.32ff 6 Obwohl das Thema heute viel diskutiert wird, gibt es keine allgemein gültige Definition von „sexuellem Missbrauch“. Sogar in Fachkreisen bestehen Unsicherheiten und Verwirrungen darüber, was sexuelle Ausbeutung ist. Die Unklarheit über die Definitionen hat zum einen unterschiedliche kulturelle und historische Gründe, zum anderen liegt die Schwierigkeit in den unterschiedlichen Forschungs- und Erklärungsansätzen. Je nach Einstellung des Autors werden sehr unterschiedliche Definitionen zugrunde gelegt. Es gibt aber einige Kriterien, die in den meisten Definitionen übereinstimmend angeführt werden. Als besonders bedeutsam haben sich erwiesen: die Art der sexuellen Handlung, der Machtmissbrauch, das Alter von Opfer und Täter, der Geheimhaltungszwang und die wissentliche Zustimmung bzw. gegen den Willen des Kindes.8 Das erste Kriterium: die Art der sexuellen Handlung, die für einen Missbrauch vorhanden sein muss. Hier stellt sich die erste Schwierigkeit dar, da keine Einigkeit darüber besteht, was genau unter einer sexuellen Handlung zu verstehen ist. Die Bandbreite reicht von Blicken, über Worte bis hin zur gewaltsam erzwungenen Vergewaltigung. Einige Wissenschaftler legen in ihrer Definition die Art der sexuellen Handlung fest und es werden nur Handlungen berücksichtigt bei denen es zu Körperkontakt kommt. Andere Wissenschaftler lehnen diese Einschränkung ab, da sie einige missbräuchliche Situationen ausschließt, die die Kinder durchaus als belastend erleben.9 Wenn in der Öffentlichkeit die Rede von sexuellem Missbrauch ist, dann wird fast ausschließlich auf den Geschlechtsverkehr Bezug genommen. Studien, in denen Eltern, sowie Männer und Frauen, die beruflich mit Kindern zu tun haben, befragt wurden welche Handlungen ihrer Ansicht nach zu sexuellem Missbrauch zählen, ergaben ein sehr breites Spektrum. Dazu zählen vor allem Geschlechtsverkehr, sowie Manipulation an den Geschlechtsteilen, aber auch verbale Übergriffe und das Benutzen des Kindes als Photografie. 10 Auch die Absicht des Täters wird als Kriterium in Definitionen genannt, denn sexueller Missbrauch passiert nie zufällig, sondern ist immer eine geplante 8 vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): „Ich werd´s trotzdem weitersagen!“. Prävention gegen sexuellen Missbrauch in der Schule. S.3 9 vgl. ebd. S.3 10 vgl. Brockhaus, U./ Kohlshorn, M. (1993): Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen. Mythen, Fakten, Theorien. S.21f 7 Handlung des Täters. Problematisch ist, dass diese Absicht nicht leicht zu erfassen ist. Betroffene können die Übergriffe häufig aufgrund ihres jungen Alters noch nicht beurteilen. Manche Kinder schaffen sich eine Überlebensstrategie, indem sie selbst glauben, sie hätten die sexuellen Handlungen auch gewollt, um von den verletzenden Handlungen und der Machtlosigkeit abzulenken und das Verhalten des Täters umzudeuten. Gerade bei sexuellem Missbrauch sind die Täter häufig sehr geschickt darin ihre Absichten hinter vermeintlichen Zärtlichkeiten und Fürsorge zu verstecken. 11 Uneingeschränkte Einigkeit besteht darüber, dass alle sexuellen Handlungen, die gegen den Willen des Kindes geschehen, sexueller Missbrauch sind. Problematisch ist allerdings, dass Kinder kaum in der Lage sind, sich gegen sexuelle Handlungen zu wehren oder überhaupt ihren Widerwillen zu benennen. Kinder sind durch ihren Entwicklungsstand, die Machtabhängigkeit und damit verbundenen Drohungen häufig nicht in der Lage ihre Gefühle auszudrücken. Kinder sind also nicht in der Lage sexuellen Handlungen wissentlich oder willentlich zuzustimmen. Aus diesem Grund müssen bewusst geplante sexuelle Handlungen von Erwachsenen als Missbrauch gewertet werden.12 Der Erwachsene nutzt seine Machtposition dem Kind gegenüber aus. Das Kind ist von dem Erwachsenen abhängig, es vertraut ihm und hat ein Erwachsener ein Kind zu sexuellen Handlungen überredet, weiß das Kind im Normalfall gar nicht, was da auf es zukommt. Häufig geht es dem Erwachsenen nicht alleine um die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse, sondern vor allem auch darum, seine Machtposition auszuspielen und zu befriedigen. Zudem sehnt er sich nach Körperkontakt und Anerkennung, die er mit diesem Machtmissbrauch befriedigen kann.13 Nicht weit von dem herrschenden Machtungleichgewicht entfernt und der damit verbundenen Abhängigkeit des Kindes, ist der Alterunterschied zwischen Opfer und Täter. Meist wird ein Altersunterschied von fünf Jahren vorausgesetzt, um von sexuellem Missbrauch sprechen zu können. Schwierig daran ist, dass der Missbrauch 11 vgl. Brockhaus, U./ Kohlshorn, M. (1993): S.22f Marquardt-Mau, B. (1995): Schulische Prävention gegen sexuelle Kindesmisshandlung. S.32 13 vgl. Koch, H./ M. Kruck, M. (2000): S.3f 12 8 unter Gleichaltrigen und Behinderten damit nicht erfasst ist. Daher verzichten viele Forscher auf diese Festschreibung. Physische Gewalt und Bedrohung sind ein ganz wichtiger Aspekt des sexuellen Missbrauchs. Sobald Erwachsene ihre Kinder zur Geheimhaltung zwingen, weil sie das Gefühl haben, andere dürfen nicht sehen was sie mit ihrem Kind machen, ist das ein Anzeichen für sexuelle Gewalt. Der Geheimhaltungszwang geht einher mit Drohungen, Erpressungen und Mitschuldzuweisungen. Das Kind wird so verängstigt und hilflos, dass es sich nicht traut etwas zu sagen oder sogar glaubt selbst daran Schuld zu sein. In vielen Definitionen wird daher auch der Gewaltaspekt angeführt.14 Der Geheimhaltungszwang kann auch anders ausgedrückt werden, indem der Täter dem Kind „Unser kleines Geheimnis“ einredet. Das Kind verspricht vom „kleinen Geheimnis“ nichts zu erzählen. Dies löst beim Kind so etwas wie eine Komplizenschaft und Mitverantwortung aus. Somit hat das Kind keine Möglichkeit über den Missbrauch zu reden, denn es hat das Versprechen gegeben nichts über das Geheimnis zu verraten. Ein einzelnes Kriterium reicht kaum aus, um alle Fälle sexueller Gewalt zu erfassen. Durch eine Kombination der Kriterien können die meisten Fälle erfasst werden, doch auch dann wird es immer noch Grenzfälle geben, die nicht eindeutig geklärt werden können. „Die bundesdeutsche Rechtssprechung stützt sich zur Beschreibung und Verfolgung sexueller Gewalttaten an Kindern auf folgende Paragraphen: § 173 StGB stellt den vollendeten Beischlaf unter Verwandten unter Strafe. § 174 - §184 StGB beschäftigen sich mit allen anderen sexuellen Handlungen an Kindern. § 176 StGB (sexueller Missbrauch von Kindern) ist der am häufigsten angewandte Paragraph.“15 (Auszüge aus den Gesetzbüchern: siehe Anhang) 14 15 vgl. Koch, H./ M. Kruck, M. (2000): S.5 a.a.O.: S.7 9 Einige Beispiele von Definitionen zu sexuellem Missbrauch: Adams & Fay (1989) geben eine kindgerechte Definition von sexuellem Missbrauch: „Sexueller Missbrauch das ist, wenn dich jemand berührt oder dazu bringt, ihn zu berühren, und dich damit ganz durcheinanderbringt oder wenn du die Berührung vielleicht gar nicht gewollt hast. (…) Vielleicht versucht jemand, dich gegen deinen Willen an der Scheide zu berühren oder dich gegen deinen Willen dazu zu bringen, seinen Penis zu berühren.“16. "Sexueller Missbrauch an Kindern ist jede sexuelle Handlung, die an oder vor einem Kind entweder gegen den Willen des Kindes vorgenommen wird oder der das Kind aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Der Täter nutzt seine Machtund Autoritätsposition aus, um seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen".17 „Ein Mädchen oder Junge wird sexuell missbraucht, wenn sie/er zu körperlichen oder nicht körperlichen sexuellen Handlungen durch ältere oder Erwachsene veranlasst oder ihnen ausgesetzt wird. Aufgrund des bestehenden Kompetenzgefälles, vor allem in der psychosexuellen Entwicklung, können die Handlungen nicht angemessen verstanden und eingeordnet werden, das Mädchen oder der Junge kann deshalb auch nicht verantwortlich entscheiden. Der Täter befriedigt aufgrund des Macht- und Generationsgefälles und der Abhängigkeit des Kindes sein Machtbedürfnis unter Zuhilfenahme sexueller Handlungen. Sexueller Missbrauch von Mädchen und Jungen ist Machtmissbrauch verbunden mit der psychischen und/oder physischen Verletzung der Integrität (Unversehrtheit). Er ist ein Ausdruck von Geschlechtshierarchie und Dominanzkultur.“18 16 Adams, C. & Fay, J. (1989): Ohne falsche Scham. Wie Sie Ihr Kind vor sexuellem Missbrauch schützen können: S.35f 17 Bange, D.; Deegener, G. (1996): S.18 18 May, A. (1997): Nein ist nicht genug. aus: (http://www.missbrauch-opfer.info) 10 2.2.1. Formen des sexuellen Missbrauchs Die Grenze zwischen sexuellem Missbrauch und dem nötigen, förderlichen Körperkontakt zu einem Kind zu ziehen, kann in einigen Fällen sehr schwierig sein. Es gibt vielfältige Formen, in denen sexueller Missbrauch vorkommen kann. Zunächst einmal unterscheidet man den intrafamiliären von dem extrafamiliären Missbrauch. Innerhalb dieser Formen kann der sexuelle Missbrauch bei feinen Grenzüberschreitungen dem Kind gegenüber liegen, aber auch bis hin zu erzwungenem Geschlechtsverkehr. 19 „Sexueller Missbrauch ist eine die geltenden Generationsschranken überschreitende sexuelle Aktivität eines Erwachsenen oder Jugendlichen mit Minderjährigen in Form von Belästigung, Masturbation, oralen, analen oder genitalen Verkehrs oder sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung sowie sexueller Ausbeutung durch Nötigen von Minderjährigen zu pornographischen Aktivitäten und Prostitution.(…)“20 H. Saller unterscheidet drei Bereiche der sexuellen Gewalt gegen Kinder: 1. „Formen sexuellen Missbrauchs, die unmissverständlich sind: - genital-oraler Verkehr (Cunnilingus, Fellatio) - Eindringen in den After des Kindes mit Finger(n), Penis oder Fremdkörper(n) - Eindringen in die Scheide des Kindes mit Finger(n), Penis oder Fremdkörper(n) 2. Andere ausbeutende Formen sexueller Handlungen an einem Kind sind: - Berührung oder Manipulierung der Genitalien des Kindes - Veranlassung der Kindes, die Genitalien des Erwachsenen zu berühren oder zu manipulieren - Masturbation bei Anwesenheit des Kindes - Veranlassung des Kindes, im Beisein des Erwachsenen zu masturbieren 19 vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.7f Maywald, J.: Kinder in Krisen. Teil 4 – Sexueller Missbrauch. Wenn Erwachsene Grenzen missachten. In: Kindergarten heute. Fachzeitschrift für Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern (1/2008), S. 39 20 11 - Reiben des Penis am Körper des Kindes - Zeigen von pornographischen Abbildungen 3. Grenzwertige Verhaltensweisen, die in der Retroperspektive oft zu Beginn sexueller Ausbeutung festgestellt werden, sind: - Der Erwachsene zeigt sich nackt vor dem Kind - Der Erwachsene zeigt dem Kind seine Genitalien - Der Erwachsene möchte den Körper des Kindes „begutachten“ - Beobachtung des Kindes beim Ausziehen, Baden, Waschen, auf der Toilette; eventuell „Hilfsangebote“ dazu - Küssen des Kindes auf intime Weise („Zungenküsse“) - Altersunangemessene Aufklärung des Kindes über Sexualität, die nicht dem kindlichen Interesse entspricht, sondern dem exhibitionistischen und/oder voyeuristischen Bedürfnis des Erwachsenen dient.“21 2.3. Zum Ausmaß sexuellen Missbrauchs Das Ausmaß sexuellen Missbrauchs gegen Kinder und Jugendliche war lange kein Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Lange Zeit wurde das Thema sexueller Missbrauch verschleiert und tabuisiert. Erst als das Thema vor ca.20 Jahren langsam öffentlich wurde, rückte das Interesse nach der Frage des Ausmaßes ins Blickfeld. Kavemann und Lohstöter veröffentlichten 1984 das Buch „Väter als Täter“ und schätzten darin die Zahl der missbrauchten Kinder auf ca. 300.000 jährlich. Diese Schätzung beruhte auf der Polizeilichen Statistik, sowie Michael Baurmann, der beim Bundeskriminalamt arbeitete. 1989 ließ Baurmann verlauten, diese Zahl wäre falsch, beruhe auf Rechenfehlern und reduzierte die Zahl auf 50.000 bis 60.000 Kinder jährlich. 22 Dennoch müssen diese Ergebnisse vorsichtig gehalten werden, da die Dunkelziffer von Fällen, die nicht bekannt wurden, sehr hoch geschätzt wird. So sehen Experten die Dunkelziffer bei 1:12 und 1:15. Das bedeutet, auf einen bekannten Fall kommen bis zu 15 unbekannte Fälle. Die Bundesregierung gab 21 Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.8f vgl. Bange, D./ Deegener, G. (1996): Sexueller Missbrauch an Kindern. Ausmaß – Hintergründe – Folgen. S. 41 22 12 1985 die Zahl von 150.000 missbrauchten Kindern jährlich an, der deutsche Kinderschutzbund 1991 eine geschätzte Zahl von 80.000 jährlich. Das Bundeskriminalamt hat 2007 Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik im Bezug auf den Themenbereich „Gewalt gegen Kinder und Jugendliche/ Gewalt durch Kinder und Jugendliche dargestellt. Demnach wurden 2007 insgesamt 6.330 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, 19.371 Fälle sexuellen Missbrauchs und 233 Fälle Ausnutzung sexueller Neigungen bekannt. Hierbei handelt es sich nur um erfasste Fälle; die Dunkelziffer ist unklar. Die Gesamtzahl der in der Polizeilichen Kriminalstatistik 2007 ausgewiesenen Delikte sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche beträgt 25.934 Fälle.23 Fallentwicklung und Aufklärung beispielhaft aufgezählt nach Straftatengruppen (Auswahl, nur bezogen auf Gewalt gegen Kinder und Jugendliche) Aus: http://www.dksb.de/upload/dksb/downloads/Internet_Endfassung_PKS2007_051108_ Internetversion.pdf 23 vgl. Deutscher Kinderschutzbund. Gewalt gegen Kinder. Gewalt von Kindern in Deutschland. (2007): S.6 13 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unter Gewaltanwendung oder Ausnutzen eines Abhängigkeitsverhältnisses Aus: http://www.dksb.de/upload/dksb/downloads/Internet_Endfassung_PKS2007_051108_ Internetversion.pdf Durch die hohe Dunkelziffer herrscht unter den Wissenschaftlern nach wie vor Uneinigkeit über das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs und die Ergebnisse der Studien sind uneinheitlich. Lässt man die extrem hohen Zahlen und die extrem niedrigen außer Acht, so kann man sagen, dass etwa jedes fünfte Mädchen und jeder 12. Junge in Deutschland sexuelle Misshandlungen erfährt. Allerdings müssen diese Statistiken im Hinblick auf Häufigkeit, verschiedene Arten und Dauer des sexuellen Missbrauchs stets differenziert betrachtet werden.24 Für Lehrer bedeutet das, dass statistisch gesehen ein missbrauchtes Kind auf eine Klasse kommt, daher sollte das Interesse eines jeden Lehrers auf dieser Thematik liegen. „In Bezug auf die Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs im Einzelfall wird geschätzt, dass ungefähr zwei Drittel der Opfer einmalig und ein Drittel mehrmalig missbraucht werden. Dieses Verhältnis ist von dem Bekanntschaftsgrad zwischen Täter und Opfer abhängig: Fremde missbrauchen ihre Opfer in über 90% der Fällen einmal, während es sich bei den Tätern aus 24 vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.9ff 14 dem Bekannten- oder Freundeskreis nur noch in zwei Dritteln der Fälle um einmaligen Missbrauch handelt.“25 2.4. Die Täter Wie im letzten Kapitel bereits erläutert, sind die Täter am häufigsten Familienmitglieder, der Onkel, der große Bruder, der Partner der Mutter oder der eigene Vater oder aber Bezugspersonen, wie Freunde der Familie, Lehrer, Erzieher, Trainer, Babysitter, Nachbarn und andere vertraute Personen, die das Kind eigentlich schützen müssten. Die Täter sind meist „ganz normale Männer“, sie haben keine besonderen Persönlichkeitsmerkmale, woran wir sie erkennen könnten.26 In 80 bis 90% der Fälle, sind die Täter männlich, ganz unabhängig vom Geschlecht des Opfers. Nach einer Studie von Russel und Finkelhor, ist der Anteil der Frauen als Täter sehr gering. Die Täter, sind nicht, wie so oft vermutet abartige, gestörte, asoziale Gewaltverbrecher, nein Täter kommen aus allen sozialen Schichten, sie sind nicht besonders auffällig, sondern führen ein „unauffälliges“ Leben, so dass sie sich in der Öffentlichkeit nicht von anderen unterscheiden. Häufig handelt es sich sogar um besonders liebe und hilfsbereite Menschen, aller Altersstufen, denen wir so etwas nie zutrauen würden.27 Sexueller Missbrauch wird nicht nur von Erwachsenen ausgeübt. Das Bild, des „dirty old man“, der Kindern auf dem Spielplatz auflauert, ist überholt. Untersuchungen zeigen, dass das Durchschnittsalter der Täter zwischen 24 und 27 Jahren liegt. Diese Untersuchungen ergeben, dass ein wesentlicher Teil der Täter Jugendliche sind. Nach einer amerikanischen Studie von Groth (1986) ist der Großteil (80%) der Täter, als Kind selbst missbraucht worden. Dies darf allerdings nicht dazu führen, in jedem missbrauchten Kind einen Sexualstraftäter zu vermuten, umgekehrt gibt es auch genügend Täter, die selbst keine sexuelle Gewalt erlitten haben.28 25 Deegener, G. (1998): Kindesmissbrauch – erkennen, helfen, vorbeugen. S.37 vgl. http://www.stoppkindsmissbrauch.li/bilder/330.pdf. S.3 27 vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen. Handeln Statt Schweigen. Informationen und Hilfe bei sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche (2006). S. 11 28 vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.12f 26 15 2.4.1. Strategien der Täter Täter planen ihre Übergriffe und bereiten sie genau vor. Sexueller Missbrauch passiert nicht zufällig. Die Täter suchen sich ihre Opfer genau aus, sie achten darauf, dass sie den Alltag des Opfers kennen und Tatort- und Zeit bestimmen können, ohne entdeckt zu werden. Meist beginnen sie mit besonderer Zuwendung, häufig wird das Kind als Lieblingskind bezeichnet. Gerne sucht der Täter sich Kinder, die leicht zu beeinflussen sind, Kinder, die sich unsicher fühlen und zuhause wenig Aufmerksamkeit bekommen. Nach und nach erschleicht der Täter sich das Vertrauen des Kindes, indem er dem Kind, wie schon gesagt, besondere Aufmerksamkeit zukommen lässt, bei Problemen berät oder Geschenke macht. Ganz langsam und unmerklich verwandelt der Täter die freundschaftliche Beziehung in eine sexuelle Beziehung. In die Spiele oder das Zusammensein mit dem Kind werden immer mehr zufällige, zaghafte Berührungen eingebaut, die Schritt für Schritt zu massiven sexuellen Übergriffen führen.29 Nach bzw. während dieser sexuellen Übergriffe, spüren die Kinder, dass etwas nicht stimmt und sind verwirrt. Spätestens jetzt erzählen die Täter ihrem Opfer von ihrem kleinen „Geheimnis“, von dem nur er und das Kind wissen und das natürlich nicht weitererzählt werden darf. Um dies zu sichern, überhäufen sie das Opfer mit Geschenken oder anderen Privilegien. „Oftmals reden die Täter den Kindern Schulgefühle ein: „Du willst es doch auch! Du hast dich nicht gewehrt.“ Sie erpressen mit Sätzen, wie: „Wenn du mich nicht lieb hast, werde ich ganz traurig.“ (..) Sie drohen: „Wenn du was sagst, kommst du ins Heim.“ oder machen Angst: „Wenn du etwas sagst, dann stirbt deine Mami.“30 Je näher der Täter das Opfer kennt, desto eher weiß er, wo er beim Kind ansetzen muss, um sensible Bereiche mit seinen Drohungen zu treffen. Reicht die Erklärung des gemeinsamen Geheimnisses nicht mehr aus, wenden die Täter durchaus auch körperliche Gewalt an, drohen oder quälen ihre Opfer. Sie schlagen, treten die Kinder oder fügen ihnen Verbrennungen oder andere Verletzungen zu. 29 30 vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S. 13f http://www.stoppkindsmissbrauch.li/bilder/330.pdf S.4 16 2.5. Die Opfer Wer sind die Opfer? Sexuelle Gewalt kann jedes Kind betreffen, egal ob Säugling oder Schulkind, egal ob besonders hübsch oder unauffällig, egal ob Junge oder Mädchen. Auffällig ist allerdings, dass besonders gefährdet Kinder sind, die sich isolieren, extrem angepasste Kinder und Kinder mit wenigen Bezugspersonen. Zu den besonders gefährdeten Kindern gehören auch behinderte Kinder, da sie sich nicht wehren können. Durch wissenschaftliche Untersuchungen gehen die meisten Autoren davon aus, dass etwa 80% der Opfer Mädchen und etwa 20% der Opfer Jungen sind.31 In der Studie des Bundeskriminalamtes von 1982 sind 45% der Opfer noch keine 10 Jahre alt. Kinder sind in keinem Alter vor sexuellen Übergriffen geschützt. Statistische Angaben zeigen, dass Kinder zwischen 7 und 13 Jahren am gefährdetsten sind.32 Jedoch ist die Dunkelziffer der Fälle, die in jüngerem Alter stattfinden und nicht aufgedeckt werden, vermutlich sehr hoch, da die Kinder in dem Alter noch nicht in der Lage sind, die erlebte Gewalt auszudrücken.33 Jungen wurden lange Zeit in der Öffentlichkeit im Bezug auf sexuellen Missbrauch kaum wahrgenommen. Inzwischen weiß man, dass Jungen genauso betroffen sind, wie Mädchen. Diese Tatsache ist besonders wichtig, da es Jungen besonders schwer fällt, sich als Opfer zu zeigen. Jungen werden auch heute noch zur „Stärke“ erzogen, sie sollen sich wehren, Jungen weinen nicht und gehören nach sozialer Sicht nicht in die Opferrolle. Diese ist ganz klar den Mädchen zugeteilt. Jungen haben meist nicht gelernt mit Gefühlen, wie Angst, Ohnmacht oder Hilflosigkeit umzugehen. Jungen schämen sich also extrem für solche Übergriffe und fürchten nicht ernst genommen zu werden oder als homosexuell betrachtet zu werden, wenn sie etwas sagen.34 Viele Opfer entwickeln Überlebensstrategien, um sich mit dem Missbrauch abzufinden. „Josephine Rijnaarts beschreibt dies in ihrem Buch „Lots 31 vgl. Koch. H./ Kruck, M. (2000): S.20 vgl. Braecker, S./ Wirtz-Weinrich, W. (1994): Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen. S.14 33 vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.20 34 vgl. Born, M. (1994): Sexueller Missbrauch – ein Thema für die Schule? S.38f 32 17 Töchter“. Die meisten Inzestopfer machen sich, um das Leben ertragen zu können, ein bisschen tot. Sie machen sich, während der Missbrauch vonstatten geht, gefühllos, um sich gegen das Geschehen abzuschirmen und um extreme emotionale Beschädigung abzuwehren, indem sie ihr inneres Ich gleichsam unverwundbar machen. Mit ihrer Haltung bringen sie zum Ausdruck: Er kann mit meinem Körper machen, was er will, ich bin nicht da, ich habe damit nichts zu tun.“35 3. Ursachen des Missbrauchs Die Ursachen für sexuellen Missbrauch können vielseitig sein und in Kombination auftreten. Es gibt keine eindeutigen Ursachen, warum Erwachsene oder Jugendliche so etwas machen. Die Ursachen sind individuell vom Täter abhängig. „Typisch sind ein schwaches Selbstwertgefühl, soziale Isolation sowie Störungen in der psychosexuellen Entwicklung des missbrauchenden Erwachsenen. (…) Nicht selten spielen eigene Gewalterfahrungen eine Rolle.“36 Koch und Kruck (2000) unterscheiden und beschreiben in ihrem Buch zwei Erklärungsansätze hinsichtlich der Ursachen sexueller Gewalt. Den feministisch – gesellschaftliche Erklärungsansatz und der familientheoretische Erklärungsansatz. 3.1. Erklärungsansätze 3.1.1. Der feministisch-gesellschaftliche Erklärungsansatz Die feministische Analyse sexueller Gewalt hat ihren Ursprung schon zu Beginn der 70er Jahre in den USA und wird seitdem ständig weiterentwickelt. Der feministisch-gesellschaftliche Erklärungsansatz setzt bei den gesellschaftlichen Machtstrukturen zwischen Mann und Frau an. Frauen bleiben aufgrund ihres Geschlechts dem Mann auch heute noch in der 35 36 Bauernfeind, Y./ Schäfer, M. (1992): Die gestohlene Kindheit. S.40 Maywald, J. (2008): S. 39 18 Gesellschaft untergeordnet und somit leichter ausbeutbar. Diese Faktoren begünstigen den Einfluss sexueller Gewalt. 37 Feministinnen verstehen den sexuellen Missbrauch als Bestandteil patriarchaler Gesellschaften.38 „Zentraler Bedingungsfaktor sexueller Gewalt ist nach dem feministischen Ansatz, wie bereits erwähnt, das Ungleichgewicht der Machtverteilung unter den Geschlechtern. Die feministische Sicht weist darauf hin, dass Männer aufgrund patriarchaler Strukturen in unserer Gesellschaft eine doppelte Machtstellung haben; sie sind sowohl gegenüber Frauen, als auch gegenüber Kindern in einer Machtposition.“39 Hierbei muss natürlich gesagt werden, dass diese Machtposition nicht immer zu sexuellem Missbrauch führt. Somit definiert der feministisch-gesellschaftliche Erklärungsansatz nicht nur ein sexuelles Problem, sondern mehr ein Machtproblem der Gesellschaft. Nach diesem Ansatz, geht es bei dem sexuellen Missbrauch nicht um die Befriedigung sexueller Bedürfnisse, sondern um die Befriedigung nach Macht, Überlegenheit oder Gewalt. Der sexuelle Missbrauch dient eigentlich nur als Mittel zum Zweck.40 Zu kritisieren an diesem Ansatz ist, dass er den sexuellen Missbrauch an Jungen völlig ausschließt, zudem erklärt er nicht, warum einige Männer zu Tätern werden und andere nicht. Das Fehlen einer ausführlich und differenziert dargestellten Ursachenanalyse ist ein großer Mangel, denn erst auf der Grundlage einer solchen Analyse können gesellschaftliche Forderungen nachvollziehbar gemacht werden.41 3.1.2. Der familientheoretische Erklärungsansatz Der familientheoretische Erklärungsansatz sieht die Ursachen des sexuellen Missbrauchs in einer Dysfunktion des individuellen Familiensystems, in der vor allem zwischen den Eltern ein ungelöster Sexualkonflikt herrscht. Er kann also nur als Erklärungsversuch für innerfamiliären Missbrauch angesehen 37 vgl. Brockhaus, U. (1993): S.216 vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.15f 39 Woltereck, B (1994): S.50. In: H. Koch/ M. Kruck (2000): S.16 40 vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.16 41 vgl. Born, M. (1994): Sexueller Missbrauch – ein Thema für die Schule? S.31 38 19 werden. Auf den extrafamiliären Missbrauch lässt er sich nur sehr begrenzt übertragen. Der Vater schein dominant auf der einen Seite, ist aber emotional unreif und abhängig auf der anderen, zudem ist er nicht in der Lage sich von seiner Frau zu trennen, um andere Sexualbeziehungen eingehen zu können. Die Frau hingegen kann oder will die sexuellen Bedürfnisse des Mannes nicht erfüllen. Dadurch kommt es zu dem Sexualkonflikt zwischen den Eltern, der zum Missbrauch der Kinder führen kann.42 Missbrauchsbegünstigend wird auch eine gestörte Mutter-Tochter Beziehung gesehen. Fürniss beschreibt, dass langfristiger Inzest bei einer guten MutterTochter Beziehung unwahrscheinlich ist, während kurzfristige Misshandlungen auch bei einem guten Verhältnis anzutreffen sind.43 Der sexuelle Missbrauch kann hier der Konfliktvermeidung dienen, indem das Thema tabuisiert wird, es wird nicht darüber gesprochen und die Familienmitglieder müssen sich den Problemen nicht stellen. Es kann aber auch zur Konfliktregulierung dienen, hierbei wird der sexuelle Missbrauch als Spannungsabbau und Lösung der Probleme gesehen. Die Familienmitglieder versuchen alles, um die Familie unter allen Umständen zusammen zu halten.44 Diese Ursachenanalyse ist stark umstritten und kritisiert. Geschieht sexueller Missbrauch innerhalb Familiendynamik im familientheoretischen der Familie, Grunde ist eine vorausgehende selbstverständlich. Erklärungsansatz eine Zudem gestörte wird Konstellation im dreier gleichberechtigter Familienmitglieder - Vater, Mutter, Kind – angenommen. Koch und Kruck (2000) schreiben dazu in ihrem Buch: „Die Familienmitglieder sind alle daran interessiert, das System Familie aufrecht zu erhalten und angeblich über ein gleiches Maß an Wissen und Macht zu verfügen.“45 In diesem Fall haben alle Mitglieder einen „Nutzen“ von dem Missbrauch und sind sogar in gewisser Weise an dessen Fortbestand interessiert, selbst das missbrauchte Kind. Allen Beteiligten wird somit eine 42 vgl. Born, M. (1994): S.29f vgl. a.a.O. S.30 44 vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S.17f 45 a.a.O.. (2000): S.18 43 20 gewisse Verantwortung für den Missbrauch zugeschrieben. Diese Tatsache ist meiner Meinung nach völlig absurd und nicht tragbar. Dem Kind wird damit der Opferstatus aberkannt, zudem wird dem missbrauchten Kind unterstellt, es profitiere von dem Rollentausch und im Gegenzug dazu wird dem „willensschwachen“ Vater der Opferstatus des Täters zuerkannt. 46 Weiterhin ist zu kritisieren, dass bei dieser Ursachenanalyse weder nach den Ursachen von extrafamiliären Missbrauch geforscht wird, noch gesellschaftliche Gründe berücksichtigt werden.47 3.1.3. Das Vier-Faktoren-Modell nach Finkelhor Finkelhor hat ein Integrationsmodell verschiedener Erklärungsansätze entwickelt. An diesem Modell erkennt man vier Ansatzpunkte zur Prävention gegen sexuellen Missbrauch. Finkelhors zentrale Frage richtete sich danach, „Woran liegt es denn nun, dass es zu sexuellem Missbrauch kommt?“ Nach Finkelhor hängt es im Wesentlichen von der Bereitschaft des Täters ab. Hierzu nennt er vier primäre Faktoren, die zu einem sexuellen Missbrauch beitragen können. Es müssen dabei aber nicht immer alle Faktoren erfüllt sein. Es handelt sich lediglich um mögliche, den Missbrauch begünstigende Faktoren, die man bei der Ursachenanalyse berücksichtigen sollte.48 Dazu zählen: 1. „Emotionale Kongruenz: Die zum Täter werdende Person erlebt sexuellen Kontakt als emotional befriedigend. 2. Sexuelle Erregung: Die Person verspürt Kindern gegenüber sexuelle Erregung. 3. Blockade: Die Person ist blockiert, eine partnerschaftliche und alters angemessene Beziehung zu leben. 46 vgl. Koch, H./ Kruck, M. (2000): S. 18f vgl. Born, M. (1994): S.30 48 vgl. a.a.O.: S.33 47 21 4. Enthemmung: Die sozialen Regeln (Inzesttabu,…), die eine sexuelle Beziehung mit Kindern verbieten, verlieren ihre hemmende Wirkung“49 Diese Faktoren setzt Finkelhor nun in Beziehung zu individuellen und soziokulturellen Erlärungshypothesen: 49 vgl.Born, M. (1994): S.33 22 „Die auf der rechten Seite genannten Erklärungshypothesen für die vier verschiedenen prädisponierenden Faktoren können nun als mögliche Ursachen bei der Analyse berücksichtigt werden, dass der Einfluss der Kinderpornographie und erotischer Darstellung von Kindern in der Werbung (Sexuelle Erregung, soziokulturelle Erklärungsebene) unter Umstanden bei Personen, die zu einer narzisstischen Identifikation mit einem Kind neigen (Emotionale Kongruenz, individuelle Erklärungsebene) einen sexuellen Übergriff begünstigt usw.“50 4. Hinweise des Kindes – Folgen Sexueller Missbrauch hat in den meisten Fällen ganz gravierende Folgen für die körperliche und seelische Entwicklung des missbrauchten Kindes. Dennoch sind die Folgen sehr unterschiedlich und nicht alle missbrauchten Kinder sind gleichen Maßes geschädigt. Durch den Missbrauch wird das Vertrauen des Kindes, besonders zu den Menschen, die es liebt und von denen es abhängig ist, auf tiefste Weise geschädigt und zerstört. Gerade den Menschen, denen das Kind am meisten vertraut, in der Umgebung, in der es sich wohl und geborgen fühlen sollte, wird es benutzt, verletzt und gedemütigt. „Je enger die Beziehung zwischen Opfer und Täter war, desto traumatischer sind die Folgen. Je mehr ein Kind dem Erwachsenen vertraut hat und auf dessen emotionale Unterstützung angewiesen war, desto größer ist der Vertrauensverlust, der Verrat, die Enttäuschung, die gefühlsmäßige Zerrissenheit und Verwirrung des Kindes über die erlittene Gewalt.“51 Läuft der Missbrauch über längere Zeit, verlieren die Kinder nicht nur das Vertrauen zu anderen Menschen, sondern auch das Vertrauen in ihre eigene Kraft. Aus diesem Grunde fühlen sie sich allein, isoliert, wehr- und wertlos. Dadurch, dass die Kinder sich selbst die Verantwortung zuschreiben, entstehen Schuldgefühle, Scham und Selbsthass. Kinder, die sich selbst die Schuld für den Missbrauch geben, erhalten sich damit die „guten Eltern“. 50 Born, M (1994): S.34 Lache, A. (2008): Stern-Artikel: Sexueller Missbrauch „Er hat meine Kindheit zerfetzt“ Heft 45/2008 51 23 Sexueller Missbrauch im Kindesalter kann oft bis ins Erwachsenenalter nicht verarbeitet werden, so tief sitzen die Wunden. Es kann zu lebenslangen psychiatrischen Krankheitsbildern kommen. So leiden manche Kinder noch Jahre später unter Depressionen bis hin zur Suizidgefährdung. 52 Der Trauma-Experte Andreas Krüger, Kinder- und Jugendpsychiater vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf nennt mögliche Langzeitfolgen im Stern wie folgt: „Wenn ein Kind oder Jugendlicher eine Situation als traumatisch erlebt, entsteht traumatischer Stress und in dessen Folge eine seelische Wunde. Woran man arbeiten kann, ist die Wundheilung. Aber es wird auf jeden Fall immer eine seelische Narbe bleiben.“53 Im Weiteren möchte ich explizit auf die einzelnen Folgen, die entstehen können eingehen. 4.1. Körperliche Verletzungen Es gibt eine Menge körperlicher Anzeichen/ Verletzungen, die auf sexuellen Missbrauch deuten können. Entstehen können Verletzungen an der Oberschenkelinnenseite, wie Hämatome oder Quetschungen. Verletzungen der Genitalien, Fremdkörper in der Scheide oder im After, Risse oder blaue Flecken am After oder in der Vagina, sowie Geschlechtskrankheiten und Aids. Genauso können durch den Geschlechtsverkehr innere Verletzungen, wie Entzündungen und Infektionen hervorgerufen werden, die zu dauerhaften Verwachsungen im Bauch führen können. Aber nicht nur im unteren Körperteil können Verletzungen entstehen, genauso können auch Entzündungen im Hals- und Rachenraum, im Mund und an den Augen durch orale Vergewaltigungen ausgelöst werden. Häufig werden bei Verdacht selbst vom Arzt keine physischen Schäden festgestellt, das heißt aber nicht, dass auch kein Missbrauch statt fand! 52 vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen. (2006): S.16f 53 Krüger, A. (2008): Stern-Artikel: Sexueller Missbrauch „Eine Narbe wird immer bleiben“ S.1 24 Umgekehrt, muss nichts passiert sein, wenn das Kind eventuelle Verletzungen an diversen Körperteilen aufweist.54 Mit den Anzeichen muss also sehr behutsam umgegangen werden und es darf nicht vorschnell gehandelt werden. 4.2. Psychosomatische und psychische Folgen Einige Studien unter anderem die von John Conte, John Schuerman und Lucy Berliner (1988) zeigt, dass sexuell missbrauchte Kinder psychosomatische Beschwerden zeigen. Da sie ihr Übel nicht wörtlich aussprechen mögen, zeigen sie es durch Symptome wie Kopf-, Hals-, Magen- und Unterleibsschmerzen ohne erkennbare organische Ursachen, hinzu können Essstörungen, Schlafstörungen, Erstickungsanfälle und Sprachstörungen kommen. Die Untersuchung ergab, dass sexuell missbrauchte Kinder innerhalb der Familie besonders schwer unter Schlafstörungen und Albträumen litten, da hier der Missbrauch meist nachts passiert.55 Sprachstörungen treten vor allem dadurch auf, dass sich das Kind nicht mehr äußern mag und vom Täter zur Geheimhaltung gezwungen wird. Diese Situation des Reden-Wollens und Nicht-Reden-Könnens kann zu unterschiedlichsten Sprachstörungen führen. In einigen Untersuchungen tauchen neben diesen Symptomen noch eine Reihe anderer auf, wie z.B. Hauterkrankungen, Legasthenie, Asthma, Hormon- und Menstruationsstörungen. Hauterkrankungen können eine unbewusste Reaktion des Kindes sein, um sich unattraktiv zu machen. 56 Kinder, die sexuell missbraucht werden schämen sich dafür, fühlen sich schuldig und schmutzig. Oft reagieren diese Kinder mit Zwängen auf ihre Erlebnisse, wie z.B. mit einem Waschzwang. Außerdem können sie große Ängste unterschiedlichster Art entwickeln. Wie in etwa Angst vor Männern, Angst vor Dunkelheit, Angst vor geschlossenen Räumen, Angst, dass der Täter seine Drohungen wahrmacht.57 Hinzu kommen Ängste, dass man ihnen nicht glaubt, wenn sie etwas sagen, dass sie verspottet werden oder sogar von Eltern 54 vgl. Rensen, B. (1992): Fürs Leben geschädigt. S.131f vgl.. Bange, D./ Deegener, G. (1996): S.80 56 vgl. Born, M. (1994): S.44 57 vgl. ebd. S.44 55 25 und Geschwistern getrennt werden. Diese Aussagen und noch schlimmere seien gar nicht so selten der Fall, bestätigte mir der Hypnotherapeut und Ausbilder in therapeutischer Hypnose, Elmar Woelm (Leiter des Instituts für Hypnotherapie und Hypnosystemische Lösungen in Osnabrück) in einem Gespräch. Er nannte ein Beispiel aus der psychologischen Praxis, wo eine Mutter ihrer Tochter sogar Vorwürfe machte, wie: „Du Hure!“, als die Tochter bei ihr Hilfe suchte und ihr den Missbrauch durch den Vater anvertraute. Es lässt sich leicht vorstellen, welchen extremen psychischen Schaden solche Reaktionen bei einem Kind anrichten können. Einige Kinder zeigen plötzlich für ihre Umwelt unerklärliche Symptome. Ältere Kinder nässen eventuell wieder ein, leiden unter Depressionen oder extremen Minderwertigkeitskomplexen. Kleinere Kinder hingegen zeigen auf einmal ein ausgesprochenes sexualisiertes Verhalten, indem sie sich Zwanghaft masturbieren oder extrem häufig mit anderen Kindern experimentieren, hierbei fügt das missbrauchte Kind dem anderen Kind Schmerzen zu oder äußert Bemerkungen, die nicht zu seinem Alter passen. Zudem können merkwürdige Phobien entstehen, wie in etwa gegen Joghurt, weil der Joghurt Sperma ähnlich sieht, sie könnten auch große Angst vor Bienen entwickeln, weil der Stich der Biene weh tut, genauso wie der Penis weh tut. Die Kinder erzählen so die Wahrheit ohne es selbst zu merken. 58 Natürlich weist nicht jedes Symptom sofort auf sexuellen Missbrauch hin, es sind Folgen, die hinsichtlich auf sexuellen Missbrauch auftreten können, sie können aber auch auf anderen Problemen des Kindes aufgebaut sein. 4.3. Soziale Auffälligkeiten Viele Studien zeigen die sozialen Auffälligkeiten sexuell missbrauchter Kinder auf, wie z.B. auch die von John Conte (1988). So belegt die Studie von Conte, dass 25% der missbrauchten Kinder ein Jahr nach der Aufdeckung des Missbrauchs Leistungsprobleme und 22% der Kinder Verhaltensauffälligkeiten in der Schule zeigten. Diese und andere Untersuchungen zeigen, dass viele Kinder auch unter Konzentrationsstörungen bzw. hyperaktivem Verhalten 58 vgl. Rensen, B. (1992): S.132 26 leiden. Jungen entwickeln eher als Mädchen durchaus auch aggressive Verhaltensweisen, sie fühlen sich nicht mehr als „richtige“ Jungen, sie werden vor allem jüngeren, schwächeren Kindern gegenüber aggressiv: so können sie ihre Wut auslassen; hier sind sie der Stärkere und fühlen sich wieder als „richtige“ Jungen. Mädchen hingegen ziehen sich eher zurück und entwickeln depressive und gegen sich selbst gerichtete Verhaltensweisen. 39% der Eltern in der Studie von Conte gaben an, dass sich die Kinder nach dem Missbrauch anschrien, schlugen oder Sachen zerstörten, was sie vorher nicht so getan haben.59 Wie Kinder- und Jugendpsychologe Andreas Krüger im SternInterview schon ansprach, kann es bis zu Suizidgedanken bei sexuell missbrauchten Kindern kommen, sie wollen nicht mehr leben, um die immer wiederkehrenden zermürbenden Erinnerungen nicht mehr ertragen zu müssen oder wenn die Missbrauchssituation schon vorbei ist, den immer noch währenden Schmerz zu beenden. Kinder verletzen sich selbst, um auf sich aufmerksam zu machen oder um sich selbst zu bestrafen. So beschreiben Eltern von einer Reihe ungeklärter Unfälle, wie z.B. Autounfälle oder Stürze von Dächern.60 4.4. Emotionale Folgen/ Auswirkungen auf das Sexualverhalten Missbrauchte Kinder können im Kindesalter ganz unterschiedliches Sexualverhalten entwickeln. Wie ich bereits erwähnt habe, kann es zur zwanghaften Masturbation kommen oder auch zu kindlichem Exhibitionismus, bis hin zur Prostitution. Andere Kinder aber ziehen sich ganz zurück und verhalten sich auf den ersten Blick ganz normal. Die meisten jedoch fallen durch altersunangemessenes sexualisiertes Verhalten auf. Sexuell missbrauchte Opfer verlieren das Vertrauen in andere Menschen. Sie haben gelernt: Nähe bedeutet Gefahr. Somit entwickeln missbrauchte Kinder ein tiefes misstrauen in ihre Umwelt. 61 59 Viele Kinder entwickeln auch Angst vgl. Bange, D. (1996): S.85ff vgl. Krüger, A. (2008): S.1 61 vgl. Böhmer, A.; Eggert, M.; Krüger, A. (1995): Fühlen, Wahrnehmen, Handeln. S.19 60 27 vor sexuellen Dingen, denn sie mussten erleben, dass Sexualität etwas Gewalttätiges ist, das weh tut und verbinden damit negative Gefühle. 62 Trotz alledem muss festgehalten werden, dass nicht alle altersunangemessenen sexuellen Verhaltensweisen sofort auf sexuellen Missbrauch hinweisen und es wird von einer Überinterpretation von z.B. diversen „Doktorspielen“ gewarnt. Auch provokante nicht altersgemäße Wörter finden sich immer wieder bei nicht missbrauchten Kindern. Sexueller Missbrauch im Kindesalter kann, wie schon gesagt, lange nach dem Missbrauch noch Folgen haben, so häufig besonders im eigenen sexuellen Verhalten. Sexuell missbrauchte Kinder sind oft nicht in der Lage eine intime Beziehung zu einem Partner aufzubauen. Versuchen sie sich auf eine Partnerschaft einzulassen, kommen schnell verdrängte negative Gefühle wieder hoch. Sie schaffen es nicht vertrauen in den Partner aufzubauen, sehen sich lediglich als Lustobjekte und können nicht entspannen. Es kann aber auch das gegenteilige Verhalten aufgebaut werden: Frauen werden regelrecht sexsüchtig, sie versuchen damit sämtliche Bedürfnisse zu befriedigen. Sie sehnen sich nach Liebe und Geborgenheit, die sie in Wirklichkeit gar nicht zulassen können.63 Sie entfernen sich von ihrem Körper und lassen keine Gefühle mehr zu. Sie haben gelernt, ihren Kopf von dem abzuspalten, was mit ihrem Körper passiert, so dass es kein Problem darstellt, ihren Körper an Fremde zu verkaufen und dadurch geraten viele missbrauchte Kinder später in die Prostitution.64 5. Pädagogische Konsequenzen für die Arbeit an Grundschulen 5.1. Sexueller Missbrauch – Ein Thema für die Schule Prävention sollte eine politische Auffassung werden, die in den täglichen erzieherischen Umgang mit Kindern integriert wird. Kindergärten und Schulen 62 vgl. Bange, D. (1996). S.90 vgl. Böhmer, A.; Eggert, M.; Krüger, A. (1995): S.19 64 vgl. Brockhaus, U. (1993): S.156 63 28 erhalten dabei eine besonders wichtige Rolle. Da hier in Deutschland jedes Kind die Schule besuchen muss, kann sich diese zum einzigen Zufluchtsort der Kinder entwickeln. Werden sie zu Hause missbraucht, können sie sich in der Schule sicher fühlen und sich ihrem Lehrer anvertrauen.65 Die Schule sollte ihrem Erziehungsauftrag nachkommen und die Chancen, die sich ihr zu präventiven Maßnahmen bieten, wahrnehmen und nutzen. Dies fordert allerdings eine erzieherische Grundhaltung, in der die Schüler selbstverständlich Grenzen setzen dürfen und ihre Bedürfnisse ernst genommen werden. Neu erlerntes Verhalten muss geübt werden und in den Alltag in der Schule integriert werden. Ein paar Einheiten zum Thema „Missbrauch“ reichen nicht aus, um präventives Verhalten umsetzten zu können. Kritisch sehe ich in der Schule das schon bestehende Machtverhältnis zwischen Lehrern und Schülern. Wie können sie ihnen beibringen, dass sie Grenzen setzen dürfen und „nein“ sagen dürfen, wenn sie zugleich von den Schülern erwarten dass sie das tun, was die Lehrkräfte ihnen sagen. Hinzu kommt die körperliche Unterlegenheit, durch die sich Kinder Erwachsenen gegenüber kaum wehren können. In der Schule müssen langfristige Lösungen gefunden werden, denn zum einen kann sie Zufluchtsort für bereits missbrauchte Kinder sein, zum anderen kann er aber auch Ort des Missbrauchs sein. Immer noch gibt es viele Mädchen und Jungen, die in der Schule sexuelle Gewalterfahrungen machen müssen, indem sie durch Mitschüler, Lehrer, Hausmeister oder Trainer sexuell missbraucht werden. Dies kann von unangenehmen Berührungen über sexistische Witze bis hin zur Vergewaltigung reichen.66 Es trifft vor allem die Mädchen und die haben meist keinen Mut etwas zu sagen, da man ihnen nachsagen könnte, sie würden lügen oder hätten es doch selbst gewollt. Durch diese Weise lernen die Jungen zu dominieren und die Mädchen sich unterzuordnen. In der Schule gibt es zahlreiche Situationen, die sehr gut geeignet sind, um sie in den präventiven Maßnahmen zu Wort zu bringen. Durch Übungen können Alternativen aufgezeigt werden und positive Ansätze gefördert werden.67 65 vgl. Böhmer (1995): S.24 vgl. Scheele, U.: In: Kavemann,B. u.a. (1996): Nur keine Panik! Missbrauch – Ein Thema für die Schule. S. 90f 67 vgl. a.a.O. S.92# 66 29 Auch wenn die Umsetzung präventiver Maßnahmen in der Schule schwierig sind, sollten sie in jedem Fall in der Schule zur Grundhaltung der Lehrer gehören, da hier, wie schon gesagt, alle Kinder erreicht werden und die Schule einen großen Beitrag leisten kann, Missbrauch zu verhindern oder zumindest aufzudecken und dadurch den betroffenen Schülern zu helfen. Wie dies konkret in der Schule aussehen kann, erläutere ich im weiteren Verlauf dieser Arbeit. Zunächst möchte ich im Folgenden Kapitel die Begrifflichkeit zur Prävention klären. 5.2. Prävention von sexuellem Missbrauch 5.2.1. Zum Präventionsbegriff Wir alle kennen die warnenden Worte: „Gehe nie mit einem fremden Mann mit, auch nicht wenn er dir Bonbons verspricht, erzählt, er habe eine Katze/Hund im Auto oder behauptet, er solle dich abholen. Er könnte schlimme Dinge mit dir tun, die dir weh tun!“ Hiermit warnen wir unsere Kinder vor bösen fremden Männern. Was aber wenn die Gefahr im nahen Umfeld des Kindes lauert? Davor warnen die meisten Eltern ihre Kinder nicht. Kommt es dann zu sexuellen Übergriffen innerhalb der Familie oder des nahen Bekanntenkreises, sind die Kinder verwirrt, weil sie ausgerechnet von den Personen bedrängt werden, vor denen sie nicht gewarnt worden sind, von denen, denen sie vertrauen, in einem Umfeld in dem sie sich sicher und wohl fühlen sollten. Tritt diese Art von Übergriffen ein, die weitaus häufiger sind, als die von einem fremden Mann, wissen die Kinder sich nicht zu wehren.68 Um dies zu verhindern muss Prävention von sexuellem Missbrauch betrieben werden. Prävention bedeutet in erster Linie sexuelle Gewalt durch präventive Maßnahmen zu verhindern. Eine sichere Methode, ein Kind vor sexuellem Missbrauch zu schützen, gibt es nicht, aber es gibt im Sinne der Vorbeugung günstige Erziehungseinflüsse. 68 vgl. Born, M. (1994): S.80 30 Bezüglich des sexuellen Missbrauchs an Mädchen und Jungen werden drei Arten der Prävention unterschieden. 1. Primäre Prävention Aufgabe der primären Prävention soll sein, dass sie im Vorfeld so wirkt, dass es gar nicht erst zu sexuellem Missbrauch kommt: oberstes Ziel ist also das Verhindern sexueller Übergriffe.69 In der primären Prävention werden alle gesellschaftlichen Strukturen, die sexuellen Missbrauch überhaupt erst ermöglichen, verändert.70 Somit richtet sich die primäre Prävention an Familien, die Schule, an das soziale Umfeld wie z.B. dem Sportverein und an die Politik.71 Auch Tätertherapieprogramme, die weiteren Missbrauch verhindern sollen, gehören zur primären Prävention.72 In erster Linie wendet sich die primäre Prävention an Mädchen und Jungen mit dem Ziel, „die Kinder dazu zu befähigen sich selbst vor sexuellen Übergriffen zu schützen.“73 2. Sekundäre Prävention Möglichst frühzeitige Aufdeckung und Beendigung des bestehenden Missbrauchs ist Ziel der sekundären Prävention. Interventionen tragen zur Beendigung oder langfristig zur Aufarbeitung der sexuellen Missbrauchserlebnisse bei. Auf diese Weise soll fortdauernder sexueller Missbrauch unterbrochen werden.74 3. Tertiäre Prävention Bei der tertiären Prävention geht es um die Minderung der Folgeschäden. Kinder, die bereits Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden sind, sollen ihre gewaltsamen Erlebnisse aufarbeiten und therapeutisch behandelt werden. 69 vgl. Fey, E. (1991): Möglichkeiten und Grenzen von Prävention – Bedeutung und Hintergründe von sexuellem Missbrauch. In: Büscher, U. u.a. (Hrsg.): Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Beiträge zu Ursachen und Prävention. S.45 70 vgl. Koch, H.H./ Kruck, M. (2000): S.33 71 vgl. Rensen, B. (1992): S.194 72 vgl. Koch, H.H./ Kruck, M. (2000): S.33 73 Born, M. (1994): S.79 74 vgl. Fey, E. (1991): In: Büscher, U. u.a. S.45 31 Nicht selten wird die tertiäre Prävention mit zur sekundären Prävention gerechnet.75 Im eigentlichen Sinne des Wortes Prävention (lat. = Vorbeugen) ist nur die primäre Prävention eine Vorbeugemaßnahme. Alle Präventionsprogramme und Unterrichtsreihen, die an Kindergärten und Schulen zur Verhinderung von sexuellem Missbrauch durchgeführt werden, zählen demnach zur primären Prävention. Die drei genannten Formen der Prävention lassen sich jedoch nur selten streng voneinander trennen. Da es durch primäre Präventionsmaßnahmen durchaus zu einer Aufdeckung eines Missbrauchs kommen kann, sollte der Aspekt der sekundären und tertiären Prävention immer mit berücksichtigt werden. Wichtig sind vorhandene Hilfsangebote, um eventuell bekannt werdende Fälle von Missbrauch entsprechend verantwortungsvoll weiterleiten zu können.76 5.2.1.1. Traditionelle und neuere Präventionsansätze Traditionelle Prävention: Wie bereits im letzten Abschnitt beschrieben, treiben viele Eltern „Prävention“ von sexuellem Missbrauch, oder meinen es zumindest, indem sie ihr Kind vor fremden Männern schützen wollen, die böse Dinge mit ihnen tun könnten. Hannelore Kastner beschreibt dieses Phänomen in ihrem Buch als (…) „eine Farce, solche Ermahnungen Präventionsmaßnahmen zu nennen, da es fast immer die vom Kind am meisten geliebten und ihnen am nächsten stehenden Menschen sind, die ihnen sexuelle Gewalt antun.“77 Und nicht der „böse“ fremde Mann. In der traditionellen Prävention werden dem Kind keine Informationen über mögliche Täter im engeren Verwandten- und Bekanntenkreis gegeben und auch keine Informationen über die möglichen Formen des Missbrauchs. Durch Sätze wie: „Bleib nicht zu lange weg! oder: Zieh dich nicht so reizend an!“ wird den Kindern ihre Selbstständigkeit und Entscheidungsfreiheit 75 vgl. Koch, H.H./ Kruck,M. (2000): S.33 vgl. ebd.: S.33 77 Kastner, H.(1998): Sexueller Missbrauch erkennen – helfen – vermeiden. S.30 76 32 genommen. Außerdem suggerieren solche Sätze indirekt zusätzlich eine Mitschuld an dem Missbrauch. Statt Kinder zu informieren und zu stärken, zu ermutigen sich zu wehren, vermittelt die traditionelle Prävention zwar, sich vor fremden Tätern in Acht zu nehmen, zugleich vermittelt sie dem Kind aber Angst vor fremden Menschen, verschleiert Tatsachen und weist den Kindern eine Mitschuld zu.78 Neuere Präventionsansätze: Die neueren Präventionsansätze wollen weg von den Vermeidungsstrategien, da sich diese als wenig sinnvoll herausgestellt haben. Kinder sollen in ihren Rechten und Kompetenzen gestärkt und selbstbewusst gemacht werden.79 Es gibt einige Regeln, die im Hinblick auf Prävention in der Erziehung berücksichtigt werden sollten und dem Kind vermittelt werden sollten, um es zu befähigen, sich vor sexuellem Missbrauch zu schützen, diese Regeln möchte ich im folgenden Absatz erläutern. Sinnvolle Prävention setzt bei den Gefühlen der Kinder an: • „Höre auf dein Gefühl! Das Kind hat ein gutes Gefühl und spürt eigentlich genau, wenn etwas nicht stimmt. • Vertraue deinem Gefühl! „Deine Gefühle sind wichtig, sie sind nämlich deine Gefühle. Wenn dir etwas seltsam vorkommt, hast du ein Recht so zu fühlen. Erzähle uns, wenn du traurig, ängstlich, glücklich oder verunsichert bist.“80 • Dein Körper gehört dir! Das Kind hat ein Recht auf Selbstbestimmung über seinen eigenen Körper. Das Kind bestimmt wann von wem und wo es berührt wird. • Sag nein zu ungewollten Berührungen! Es gibt schöne und unangenehme Berührungen. Das Kind soll lernen, diese angenehmen, zärtlichen Gefühle von unangenehmen, komischen und verwirrenden zu unterscheiden. • Erzähle von Ereignissen, bei denen es dir nicht gut geht! 78 vgl. Koch, H.H./ Kruck,M. (2000): S.36 vgl. a.a.O.: S.40 80 Born, M. (1994): S.83 79 33 • Hole dir Hilfe bei einem anderen Menschen! • Du bist nie Schuld, wenn ein Erwachsener dir etwas antut!“81 • Es gibt gute und schlechte Geheimnisse Das Kind sollte lernen, dass es über Angst machende Geheimnisse jederzeit reden darf! Dirk Bange (1995) fasst die grundlegenden Ziele neuerer präventiver Ansätze in der Arbeit mit Kindern folgendermaßen zusammen: - „Kinder sollen so selbstbewusst und autonom werden, dass sie in der Lage sind, gefährliche Situationen und sexuelle Übergriffe zu erkennen. - Kindern soll das Gefühl und das Wissen vermittelt werden, dass sie sich wehren können und dürfen. - Kinder sollen Widerstandsformen beigebracht werden, die ihnen helfen können, einen sexuellen Missbrauch zu vermeiden und einen laufenden aufzudecken.“82 Ganz wichtig ist meiner Meinung nach, dass den Kindern ausdrücklich vermittelt wird, dass sie nicht an dem Missbrauch Schuld sind, sondern die Verantwortung bei dem Täter liegt. Genauso ein wichtiger Aspekt ist die Vermittlung, dass nicht nur Fremde als Täter in Frage kommen, sondern auch Bekannte und Verwandte Täter sein können. Zusammengefasst möchte ich noch einmal sagen: Kinder müssen so in ihrer Entwicklung unterstützt eigenverantwortlichen werden, und dass sie konfliktfähigen sich zu selbstbewussten, Persönlichkeiten entwickeln können. Denn alles was die Selbstsicherheit der Kinder stärkt, vermindert die Gefahr, dass sie Opfer von sexuellem Missbrauch werden. Für Kinder und auch häufig für uns Erwachsene ist es nicht einfach über Gefühle zu sprechen. Um sexuellem Missbrauch vorzubeugen, ist es aber besonders wichtig, dass Kinder genau das lernen. Haben Kinder gelernt, mit Erwachsenen darüber zu sprechen, welche Berührungen angenehm sind und welche nicht, können wir Erwachsenen den Kindern auch vermitteln, dass sie 81 82 Kastner, H. (1998): S.31 Bange,D. in: AJS (1995): S.12 in: Koch, H.H./ Kruck,M. (2000): S.41 34 ein Recht haben, zu unangenehmen Gefühlen „nein“ zu sagen. In diesem Zusammenhang können wir den Kindern vermitteln, dass es Erwachsene gibt, die dieses Recht missachten. Das Kind ist aber niemals Schuld daran! Ich möchte noch einmal zurückkommen auf das Thema der Geheimnisse. Wie schon gesagt, gibt es gute und schlechte Geheimnisse. Den Kindern muss der Unterschied erklärt werden und deutlich gemacht werden, dass schlechte Geheimnisse, die erzwungen werden, weh tun oder Angst machen, Geheimnisse sind, die sie erzählen dürfen und auch sollten, auch wenn es ihnen schwer fällt. Wenn sich Eltern genügend Zeit für ihre Kinder nehmen, ihnen ausreichend Aufmerksamkeit und Zuwendung geben und ihnen zuhören, haben sie schon einen wichtigen Schritt zur Prävention von sexuellem Missbrauch getan. Denn Täter suchen sich zumeist Kinder, die nach Aufmerksamkeit und Zuwendung streben. Zudem ist altersangemessene Sexualerziehung ein ausschlaggebender Punkt in der Prävention von Missbrauch. Ein unaufgeklärtes Kind ist ein leichteres Opfer als ein aufgeklärtes. Nur wenn die Kinder aufgeklärt sind, können sie einen Missbrauch erkennen und auf ihre Grenzen bestehen. Kleinere Kinder sind in diesem Zusammenhang leichtere Opfer, da sie sich nicht erklären können, was mit ihnen passiert. Ist Sexualität kein Tabuthema, haben Kinder die Möglichkeit mit ihren Eltern zu sprechen und im Fall der Fälle Hilfe zu suchen.83 5.2.2. Präventionsprojekt CAPP der USA Das Präventionsprojekt CAPP (Child Assault Prevention Project = Projekt zur Vorbeugung von Übergriffen an Kindern) wurde vor 15 Jahren gegründet und war das erste, und wohl auch in Deutschland bekannteste amerikanische Präventionsprogramm zum Thema „Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen“. 83 vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen. (2006): S.19ff 35 Frauen der Vereinigung „Woman against Rape“ (Notruf für vergewaltigte Frauen) entwickelten dieses Projekt, um Kinder vor Übergriffen zu schützen.84 CAPP besteht im Wesentlichen aus drei Komponenten: einem Workshop für Kinder, einem für deren Eltern und einem für die Lehrer der Kinder. Das Motto von CAPP ist: „Safe, strong, free!“ Hiermit soll deutlich werden, dass Kinder stark gemacht werden sollen, damit sie sich selber schützen können und dass sie Rechte auf Selbstbestimmung haben.85 Durchgeführt werden diese Workshops von ausgebildeten CAPP-Trainern. Um eine sinnvolle Prävention gegen sexuellen Missbrauch zu betreiben, werden bei dem Projekt drei Schwerpunkte gesetzt: 1. Das Schweigen, über das immer noch haftende Tabu des Themas wird gebrochen. Bewusstsein und Sprache für das bisher Unaussprechbare wird geschaffen: Sexueller Missbrauch existiert! Es wird über Fakten und Aufklärung informiert und diskutiert. 2. Die vermeintlich machtlose Situation der Kinder soll bewusst gemacht und verändert werden. Die Kinder lernen ihre Rechte kennen und zu verteidigen.86 „Den Schülern soll die eigene Stärke sichtbar gemacht werden, indem ihnen Möglichkeiten der Gegenwehr aufgezeigt werden.“87 3. Die Isolation der Kinder wird aufgehoben, so dass die Kinder in der Lage sind sich gegenseitig zu helfen, Freunde zur Hilfe zu holen und sich jemandem anzuvertrauen. Zudem sollen sie wissen, dass sie im Falle eines Missbrauchs niemals Schuld daran sind.88 Bevor diese Schwerpunkte mit den Kindern besprochen werden, finden die Workshops für die Erwachsenen statt. Im Elternworkshop werden die Eltern detailliert über die Zusammenhänge von sexuellem Missbrauch informiert. Im Vordergrund sollen die Eltern eventuelle Skepsis verlieren und verstehen, dass auch ihre Kinder informiert sein müssen, um sich in solchen Situationen richtig verhalten und wehren zu können. 90% der Eltern geben nach diesen Workshops den Kindern die Erlaubnis daran teilzunehmen. 84 vgl. Born, M. (1994): S.86f vgl., Besten,B. (1995): S.69 86 vgl. ebd., S.69 87 Born, M. (1994): S.87 88 vgl. Besten, B. (1995): S.70 85 36 Im zweistündigen Lehrerworkshop, wird neben den grundlegenden Kenntnissen über Kindesmisshandlung und sexuellem Missbrauch, der Schwerpunkt auf die Folgen des Missbrauchs und den Umgang mit einem missbrauchten Kind gelegt. Zudem wird der Ablauf des Kinderworkshops aufgezeigt und erklärt. Zum Schluss werden rechtliche Fragen, die es zu berücksichtigen gibt, geklärt.89 Der Kinderworkshop besteht hauptsächlich aus Rollenspielen und anschließenden Gesprächen. In den Rollenspielen werden die Kinder mit alltäglichen Situationen konfrontiert. Dazu entwickelten die CAPP-Mitarbeiter drei Rollenspiele für die Kinder: 1. Übergriff eines älteren Kindes auf ein jüngeres. Das ältere Kind zwingt das jüngere auf dem Schulweg, das Essensgeld herauszugeben. Für den nächsten Tag wird das jüngere Kind an die gleiche Stelle bestellt und verlangt, dass es nichts weitererzählt. (Lösungsstrategien: Hilfe bei Gleichaltrigen holen, Nein-Sagen, Erwachsenen von dem Übergriff erzählen) 2. Ein fremder Mann versucht ein Kind durch seine Naivität ins Auto zu locken und zu entführen. (Lösungsstrategien: Selbstverteidigung, Sicherheitsabstand d.h. Möglichkeiten wahren, sich Formen körperlich zu der wehren, Selbstverteidigungsschrei) 3. Im dritten Rollenspiel geht es um sexuellen Missbrauch durch einen Verwandten. Der Onkel/Bruder/Babysitter oder Vater kommt zum Kind ins Zimmer und versucht es auf unsanfte Weise zu küssen. Das Kind lässt es über sich ergehen, danach sagt der Onkel: „Dafür bekommst du auch das TShirt was du dir so gewünscht hast. Und du erzählst keinem davon.“90 Es wird den Kindern erklärt, dass es sich um irgendjemanden handeln kann, den sie gut kennen. Es wird erklärt, dass es vorkommen kann, dass diese Personen sie anfassen, obwohl sie das gar nicht wollen und es kann Mädchen, aber auch Jungen passieren. 89 90 vgl. Koch, H.H./ Kruck,M. (2000): S.44 vgl. Born, M. (1994): S.88 37 Hier wird vor allem das Thema gute und schlechte Geheimnisse angesprochen und erklärt, dass sie schlechte Geheimnisse immer weitererzählen dürfen. Die Rollenspiele werden zunächst von den Trainern vorgeführt, danach erarbeiten die Kinder mit den Trainern zusammen Strategien, wie sie sich in solchen Situationen verhalten könnten. Danach können die Rollenspiele mit den Lösungsstrategien auch von den Kindern nachgespielt werden. Das Opfer spielen aber immer die Trainer. Die Kinder spielen nur starke Rollen der Unterstützungspersonen.91 In einem vierten Rollenspiel, das nur von den Trainern gespielt wird, spricht eine betroffene Schülerin ihren Lehrer an und vertraut sich ihr an. Der Lehrer hört der Schülerin zu und verspricht ihre Hilfe. Das letzte Rollenspiel soll zum Sprechen auffordern. Daraufhin erhalten die Kinder Listen mit Hilfseinrichtungen, an die sie sich im Fall der Fälle wenden können.92 5.2.2.1. Kritik an CAPP Das CAP-Projekt ist sehr umstritten und das aus vielerlei Gründen. Daher ist die Übertragung des Projektes in die Präventionsarbeit in Deutschland schwierig. Monika Born spricht in ihrem Buch vielerlei Kritikpunkte an, die ich im Folgenden erläutern möchte. Sowohl die Rahmenbedingungen, als auch dessen inhaltliches Konzept werden mit klaren Begründungen kritisiert. Dies fängt bei der Ausbildung der Trainer an, die Ausbildung weist erhebliche Mängel auf. In den USA können „besorgte Eltern oder betroffene Bürgerinnen und Bürger“, sich in Wochenendseminaren zu Trainer ausbilden lassen. Es ist sehr fraglich, ob innerhalb so kurzer Zeit aus Eltern oder anderen Bürgern, die keine pädagogische Ausbildung haben, qualifizierte Trainer ausgebildet werden können. Dabei ist gerade bei diesem brisanten Thema mit Kindern besonders hohe Qualifikation notwendig. 91 92 vgl. Koch, H.H./ Kruck,M. (2000): S.45 vgl. Born, M. (1994): S.88 38 Die Ausbildung der Trainer ist regelrecht miserabel, genauso schlecht ist die Vorbereitung der Lehrer auf dieses Thema. In einem zweistündigen Workshop sollen die Lehrer auf das vielschichtige Thema vorbereitet werden. Ein Versprechen, das im Grunde überhaupt nicht möglich ist: innerhalb von zwei Stunden können die einzelnen Themenbereiche, der allgemeinen Kenntnisse über sexuellen Missbrauch, die Folgen für die Opfer, grundlegende Kriseninterventionsstrategien, rechtliche Aspekte, sowie Inhalte und Methoden des Kinderworkshops, höchstens angerissen werden. Es sollte damit gerechnet werden, dass sich betroffene Schüler nach einem solchen Projekt im Vertrauen an den Lehrer wenden, dieser hingegen wurde unzureichend auf eine solche Situation vorbereitet und weiß im ersten Moment nicht, wie er richtig mit dieser Situation umgeht. All das kann ein zweistündiger Vortrag nicht leisten und die Lehrkräfte sind unmöglich befähigt adäquat mit betroffenen Schülern, die sich ihnen anvertrauen umzugehen.93 90% der Eltern, die den Workshop besucht haben, geben ihren Kindern die Erlaubnis an dem Workshop teilzunehmen. Das hatte ich bereits erwähnt. Nicht außer acht zu lassen sei aber hierbei, dass nur die Eltern an dem Workshop teilnehmen, die Interesse daran haben. Dies bedeutet, dass die Kinder, die es gerade nötig hätten, die Erlaubnis ihrer Eltern nicht erhalten und dadurch nicht am Workshop teilnehmen dürfen, weil die Eltern selbst erst gar nicht an dem Elternworkshop teilnehmen. Beachten wir dabei, dass 2/3 der Eltern nicht an dem Workshop teilnehmen, reduziert sich die Zahl der teilnehmenden Kinder beträchtlich.94 Gerade in den USA wird nicht offen über Sexualität gesprochen. Aus diesem Grund wird in diesem Projekt auf die konkrete Benennung sexueller Handlungen, sowie der Geschlechtsteile verzichtet und die Bereiche diskret umschrieben. Die Geschlechtsorgane z.B. werden so lediglich als „private zones“ bezeichnet. Durch solche unklaren Beschreibungen können statt Aufklärung noch mehr Verwirrungen bei den Kindern entstehen. Hierbei 93 94 vgl. Born,M. (1994): S.89 vgl.ebd., S.89 39 komme ich wieder auf den Punkt, dass Prävention von sexuellem Missbrauch nur mit einer grundlegenden erzieherischen Einstellung, die dem Kind ein Selbstbestimmungsrecht zugesteht und Offenheit der Eltern, funktionieren kann. Sind die Eltern selbst zu verklemmt, mit den Kindern über Sexualität zu sprechen, können sie ihnen unmöglich erklären was sexueller Missbrauch überhaupt ist. Durch die unklaren Bezeichnungen und die Tatsache, dass sexueller Missbrauch etwas Unaussprechbares sei, etwas das man umschreiben muss und nicht genau aussprechen darf, wird der Geheimhaltungsdruck und das Redeverbot des Täters bestätigt und sogar verstärkt.95 Weiterhin muss gesagt werden, dass Kinder im Grundschulalter oder jünger kaum in der Lage sind, die mit den Trainern nachgestellte Situation eines Missbrauchs mit dem eines eventuellen zukünftigen eigenen Missbrauchs in Bezug zu setzen und wieder zu erkennen.96 Zudem sollen die Kinder stark gemacht werden, um sich zu wehren. Natürlich kann man Kinder mit solchen Programmen stärken, aber die machtlose Situation innerhalb der Familie wird damit nicht aufgehoben. Hierdurch können bei bereits missbrauchten Kindern zusätzliche Schuldgefühle ausgelöst werden. Außerdem macht ein Kind das eventuell zukünftig sexuell missbraucht wird, die Erfahrung, dass sein „nein“ und sein sich wehren nichts zählt und der Erwachsene trotzdem weitermacht. Dadurch fühlt es sich noch hilfloser als vorher oder bekommt erst recht Schulgefühle und fühlt sich verantwortlich, weil es doch „stark“ ist und sich nicht genug gewehrt hat. „Saller fordert daher, dass sich Präventionsprogramme an Erwachsene und nicht an Kinder richten sollten, da die Verantwortung dafür, sexuellen Missbrauch zu verhindern, bei den potentiellen Tätern und nicht bei den Opfern liege.“97 5.2.3. Präventionsmöglichkeiten in der Grundschule Lehrer können durch frühzeitige, langfristige und angemessene Erziehung, sowohl im Hinblick auf eine mögliche Opfer- als auch Täterrolle, einen 95 vgl. May, A. (1997). Nein ist nicht genug. Prävention und Prophylaxe. Inhalte, Methoden und Materialien zum Fachgebiet Sexueller Missbrauch. S.48 96 vgl. Koch, H.H./ Kruck,M. (2000): S.47 97 Born, M. (1994): S.91 40 wesentlichen Beitrag zur Prävention von sexueller Gewalt leisten. Wie schon gesagt, bedeutet Prävention vor allem, Kindern deutlich zu machen, dass sie ein Recht auf selbst gewählte physische und psychische Grenzen haben, die auch Erwachsene in der Regel nicht zu durchbrechen haben. Sinnvolle Prävention stärkt Jungen und Mädchen, ermutigt sie, ihrem Gefühl zu vertrauen und Hilfspersonen von Übergriffen zu erzählen.98 Bevor aber in der Schule Prävention von sexuellem Missbrauch betrieben werden kann, muss eine ausführliche Sexualerziehung erfolgen. Angefangen mit den Körperteilen, Schwangerschaft und Geburt bis hin zu Zärtlichkeiten und Gefühlen. Es muss eine vertrauensvolle Basis in der Klasse geschaffen werden, da sich die Schüler sonst nicht öffnen können. Immerhin ist das Thema Sexualität in unserer Gesellschaft immer noch ein heikles, sehr intimes Thema und häufig noch ein Tabu Thema, über das in vielen Familien nicht oder unangemessen gesprochen wird. Manche Eltern umgehen das Thema Sexualität aus Unsicherheit oder reagieren mit Verlegenheit auf Fragen ihrer Kinder. Kinder, die so aufgewachsen sind, können sexuelle Übergriffe nicht einordnen, da sie zuwenig oder gar keine Informationen zu sexuellen Vorgängen, Verhaltensweisen oder Körperfunktionen haben. Zudem können sie sich niemandem anvertrauen, weil sie nicht gelernt haben über sexuelle Dinge zu sprechen.99 Daher ist nicht nur die ausführliche Aufklärung der Sexualität allgemein von enormer Bedeutung, sondern auch die Einbeziehung des Elternhauses. Präventionsarbeit in der Schule kann nur funktionieren, wenn Schule und Eltern miteinander kooperieren. Die Erziehungshaltung von Schule und Eltern muss übereinstimmen. Denn was bringt es, wenn den Kindern in der Schule beigebracht wird, dass sie „nein“ sagen dürfen, aber zu Hause dafür Ärger bekommen.100 Nicht nur bei den Kindern und bei den Eltern müssen Vorbedingungen geklärt werden, auch bei den Lehren, müssen im Vorfeld einige Dinge bewusst werden. Lehrer stehen bei dem Thema vor einem Dilemma. Zum einen scheint Präventionsarbeit wie gemacht als Thema für die Schule, da dort alle Kinder 98 vgl. Moers, E. (1998): S.31 vgl. Deegener, G.; Körner, W. (2005): Kindeshandlung und Vernachlässigung. S.834 100 vgl. Deegener, G. (1998): Kindesmissbrauch – erkennen, helfen, vorbeugen. S.201f 99 41 erreicht werden, zum anderen aber hat die Schule selbst eine hierarchische Struktur. Angesetzt beim Lehrer, sollte die Präventionsarbeit damit beginnen, diese Strukturen zu verändern und in die Richtung zu mehr Selbstbestimmung, Eigenverantwortung, Kooperation, Individualität, Respekt kindlicher Stärken und dem Abbau von Hierarchien gehen. Erziehung sollte dann nicht mehr verstanden werden als Tun am Kind, sondern am Tun mit dem Kind. Diese Veränderung der Strukturen stößt zwangsläufig an Grenzen, die selbst die Lehrer nicht ändern können. Aber es ist trotzdem einiges möglich, z.B. die Reflexion des eigenen Umgangsstils mit den Kindern. Unabhängig von den institutionellen Bedingungen brauchen Lehrer ein Fundament auf das die Präventionsarbeit aufbaut. Sie brauchen: - „fundiertes und breites Hintergrundwissen über sexuelle Gewalt sowie Materialien- und Methodenkenntnis; - eine emotionale Auseinandersetzung mit dem Thema, also eine Reflexion eigener Ängste, Unsicherheiten, Abwehrmechanismen oder persönlicher Betroffenheit; - die Bereitschaft, sich fachlich und emotional Unterstützung zu holen; - die Bereitschaft zu kontinuierlicher und interdisziplinärer Kooperation; - Interventionskompetenz! Da Prävention auch immer aufdeckende Wirkung haben kann, muss Sicherheit über das weitere Vorgehen herrschen. Dazu gehört auch die Kenntnis über das örtliche Hilfenetz, denn keine Person oder Institution kann eine Intervention alleine durchführen; - die Bereitschaft, Mütter und Väter im Rahmen von Elternbildung aktiv an der Präventionsarbeit zu beteiligen.“101 Sind die Vorbereitungen getroffen und kann mit der eigentlichen Prävention begonnen werden, gibt es viele Themenbereiche, die durchgesprochen werden sollten. Da ich diese im vierten Kapitel bereits erläutert habe, wiederhole ich nur kurz zur Erinnerung wie Moers diese in ihrem Artikel der Zeitschrift Grundschule beschreibt: 101 Deegener, G.; Körner, W. (2005): S.836f 42 „Die Rechte des Kindes auf körperliche Selbstbestimmung, Ich-Stärkung und Förderung des Selbstbewusstseins, Mut zum Nein-Sagen, die unterschiedlichen Qualitäten von Berührungen, Wahrnehmen und Mitteilen von Gefühlen und die Entwicklung des Körpergefühls können in Schwerpunkten aufbereitet werden und zur Sprache kommen. Der Lehrer sollte in Gesprächen unbedingt deutlich machen, dass sexuelle Gewaltanwendung eine Straftat ist und dass nie das Kind dafür verantwortlich ist.“102 Besonders wichtig sind die Gespräche mit den Kindern, die Kinder sollen lernen sich ausdrücken zu können. Sie sollen Gefühle als wichtig wahrnehmen und über sie reden können. Gefühle des sich Wohlfühlens, aber auch Gefühle der Spannung und des Unbehagens sollen ausgedrückt werden können. Die Kinder in der Grundschule sind zwischen sechs und zehn Jahren alt. Das bedeutet nach Vorkommen und Häufigkeit, dass Kinder in der Klasse sein können, bei denen sexueller Missbrauch bereits begonnen hat oder sogar schon wieder vorbei ist. Oder aber, dass in diesen Jahren der Grundschulzeit sexueller Missbrauch beginnen könnte. Der Lehrer muss sich also darauf einstellen, dass Schüler mit Missbrauchserfahrungen vor ihm sitzen könnten, nur dass den betroffenen Schülerinnen das vielleicht gar nicht so bewusst ist, weil sie es nicht ausdrücken können oder nicht aufgeklärt sind. Der Lehrer, der den Schülern den Begriff „Misshandlung/Missbrauch“, die Worte oder Tatsache: „Ich bin misshandelt worden“ gibt, hat daher sehr große Verantwortung.103 Wie Prävention konkret in der Schule aussehen kann, möchte ich im folgenden Kapitel zeigen. 5.2.4. 5.2.4.1. Prävention durch Elternarbeit Planung eines Elternabends Wenn die Absicht besteht, im Laufe des Schuljahres eine Einheit zum Thema sexuellen Missbrauch mit den Schülern zu thematisieren, ist es sinnvoll, dieses schon am Anfang des Schuljahres in einem der Elternabende kurz 102 Moers, E. (1998): S.31 vgl. Wegener, W. (1997): Misshandelte Kinder. Grundwissen und Arbeitshilfen für pädagogische Berufe. S.230 103 43 anzusprechen. Auch wenn noch keine konkreten Stunden mit den Kindern geplant sind, so wissen die Eltern Bescheid, können sich darauf einstellen, Fragen entwickeln und diese an dem Elternabend kurz vor der Einheit loswerden. Wichtig zu betonen ist, damit die Eltern nicht schon im Vorfeld abgeschreckt sind von dem Thema, dass es primär um die Prävention von Kindesmissbrauch geht. Zur Planung eines Elternabends sollte die Lehrkraft sich frühzeitig mit einer Fachkraft in Verbindung setzen, mit ihr den Elternabend planen und sie zur Mitgestaltung des Abends einladen. Mit der Schulleitung und den Kollegen kann das Vorhaben in einer Lehrerkonferenz abgesprochen werden. Grundsätzlich muss das Einverständnis der Schulleitung geholt werden, zudem muss die Finanzierung der Fachkraft, Ort und Zeit des Elternabends geklärt werden und die Einladung für den Elternabend mit den Eltern formuliert und ausgeteilt werden.104 (Beispiel einer Einladung zum Elternabend zum Thema „Sexueller Kindesmissbrauch“ Anhang Nr.1) 5.2.4.2. Tipps für einen Elternabend Sexualität allgemein ist kein einfaches Thema, sondern ein heikles, über das nicht gern gesprochen wird. Viele Eltern wissen nicht, wie sie mit ihren Kindern darüber sprechen sollen oder wie sie auf Fragen antworten sollen. Viel schwieriger ist es also noch auf sexuelle Gewalt zu reagieren. Gerade Eltern sollten Hinweise erkennen können, ihren Kindern als Schutz und Ansprechpartner zur Verfügung stehen und zur Not auch wissen, wie sie im Fall eines Missbrauchs richtig reagieren können. Die Schule kann Eltern in entsprechenden Elternabenden Inhalte und Möglichkeiten einer sinnvollen Präventionsarbeit aufzeigen.105 Ist eine Lehreinheit zum Thema sexuelle Gewalt geplant, müssen die Eltern rechtzeitig informiert werden und das Thema vorher an mindestens einem Elternabend besprochen werden. Sinnvoll sind mehrere Elternabende, da das 104 105 vgl.Lercher, u.a.; (1995): Missbrauch verhindern. S.148f vgl. Kastner, H. (1998): S. 43 44 Thema sehr komplex ist und den Eltern an einem Abend nicht alles vermittelt werden kann. Gut ist immer eine Fachperson als Referent zu diesem speziellen Thema einzuladen, da diese eine neutrale Person den Eltern gegenüber ist. Zudem ist sie spezialisiert auf den Themenbereich, hat Praxiserfahrungen und kann einige Fragen der Eltern vielleicht besser beantworten. Bevor darauf eingegangen wird, was genau mit den Schülern im Unterricht geplant ist, sollten zunächst einige Hintergrundinformationen gegeben werden. Die Eltern sollten also zunächst über aktuelle Daten des Ausmaßes von sexuellem Missbrauch, sowie über potentielle Täter informiert werden. Um auch hiermit deutlich zu machen, wie wichtig dieses Thema ist. Als weiteres ist eine Begriffsbestimmung notwendig, wo fängt sexueller Missbrauch an, wo hört er auf, gibt es eine allgemeingültige Definition? Während des Elternabends zur Verfügung gestellte Fachliteratur, kann sehr hilfreich sein. Auch Hinweise der Kinder auf sexuellen Missbrauch sollten mit den Eltern durchgesprochen werden, wobei ganz deutlich gemacht werden muss, dass nicht jedes Signal gleich ein zwingendes ein Zeichen für sexuelle Gewalt ist. Trotzdem sollten in jedem Fall mögliche Maßnahmen bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch aufgezeigt werden. Da bei den Eltern häufig große Unsicherheit herrscht, darf nicht außer acht gelassen werden, mit den Eltern darüber zu sprechen, wie sie über sexuelle Gewalt mit ihren Kindern reden können. Eine besonders gründliche Information liegt auf der Prävention in der Schule und darauf, was konkret mit den SchülerInnen geplant ist.106 Hierbei ist es auch ganz wichtig die Erziehungshaltung im Elternhaus zu besprechen. Schule und Eltern sollten dabei übereinstimmen, denn was bringt es, wenn ich den Kindern in der Schule beibringe, selbstbewusst sein zu dürfen und „nein“ sagen zu dürfen, wenn das im Elternhaus nicht auch gilt. Natürlich soll dies nicht zu einem antiautoritären Erziehungsstil führen. Die Grenzen, die die Eltern oder auch die Schule setzen, müssen trotzdem eingehalten werden. Hier sind dann zu den Situationen konkrete Erklärungen notwendig, warum man als Eltern oder Lehrer Dinge entscheidet, auch, wenn das Kind anderer Meinung ist. Wie z.B., wenn das Kind abends ins gehen Bett soll, aber nicht will. Hier zählt sein „nein“ nicht. Da die Kinder zum einen ihren Schlaf brauchen, um am 106 vgl. Staudinger, U. (1999): S.8 45 nächsten Tag ausgeschlafen zu sein und sich in der Schule konzentrieren können und zum anderen die Eltern auch ein Recht auf Feierabend haben. Weitere Punkte eines Elternabends können sein: • Situation betroffener Kinder; Dynamik des Missbrauchs • Prävention im Erziehungsalltag • Rechte der Kinder • Berührungen/Geheimnisse • Vertrauenspersonen • Adressen von Beratungsstellen107 Eltern erwarten von den Schulen häufig Patentrezepte, da sie die Thematik unter Druck setzt. Zum einen ist das Thema für sie selbst schwer verdaulich und unangenehm, zum anderen wollen sie ihren Kindern offen gegenüber stehen und alles richtig machen. Daher sollten klare Aussagen gemacht werden, eigene Grenzen aufgezeigt, und auf mögliche Beratungsstellen hingewiesen werden.108 Der Lehrer sollte den Eltern deutlich machen, dass sie die Persönlichkeit der Kinder stärken will, und sie sollte sie darauf vorbereiten, dass ihre Kinder eventuell auch elterlichen Wünschen nicht zustimmen werden. Denn es gehört zum Entwicklungsprozess auch „nein“ sagen zu können und sich eine eigene Meinung zu bilden. Wenn die Arbeit mit einem Bilderbuch oder Jugendbuch geplant ist, sollte dieses auf dem Elternabend vorgestellt werden.109 Schwierig kann sein, dass auf dem Elternabend auch Eltern erscheinen, die ihr eigenes Kind sexuell missbrauchen. Diese verschärfen dann eventuell den Geheimhaltungsdruck auf ihre Kinder. Aus diesem Grund ist es wichtig auf einem solchen Elternabend auch einen Hinweis auf Hilfen für Täter zu geben, die z.B. der Kinderschutzbund anbietet. 107 vgl. Lercher,L. (1995): S.150f vgl. Kastner, H. (1998): S.44 109 Moers, E. (1998): S.31 108 46 5.2.5. Lehrerausbildung Leider gehört das Thema „Sexueller Missbrauch“ bis heute nicht zu einem unabdingbaren Bestandteil der Lehrerausbildung. Ähnlich wie bei anderen Tabuthemen wie z.B. der Sexualerziehung ist es allein dem Lehrer überlassen sich über die Themen zu informieren und sich Themenbereiche anzueignen. Dabei hat gerade die Lehrkraft in der Grundschule in den meisten Fällen eine so intensive persönliche Beziehung und gutes Vertrauensverhältnis zu seinen Schülern, dass sich die meisten missbrauchten Kinder ihnen anvertrauen würden und die Lehrkraft ihnen auch glauben schenkt.110 Hätten die Lehrer in der Grundschule ausreichend Kenntnisse zu diesem Thema, hätten sie eine große Chance bereits begonnen Missbrauch zu erkennen, aufzudecken und dem Kind entsprechende Hilfe zukommen zu lassen und auch Möglichkeiten sexuellen Missbrauch zu vermindern. Wie schon gesagt, ist es kaum möglich, durch eine kurzfristige schulische Präventionseinheit, sexuellen Missbrauch, besonders von Kindern in der Familie zu verhindern. Dennoch können in der Schule Präventionsmaßnahmen durchgeführt werden, indem in der Primärprävention durch eine frühzeitige, langfristige und angemessene Erziehung, vorbeugend gehandelt wird, dies bezieht sich auf eine mögliche Opferrolle, aber auch auf eine mögliche Täterrolle. Die Sekundärprävention kann dazu beitragen, dass ein bereits missbrauchtes Kind Hilfe erfährt. Problematisch ist häufig in den Schulen, dass das Lehrerkollegium das Thema nicht wahr haben will. Dabei spielen eigene Unsicherheiten, Mangel an Sensibilität und Zivilcourage eine große Rolle. Da im Studium keinerlei Wissen über sexualisierte Gewalt und mögliche Präventionsmaßnahmen vermittelt wird, sind die Lehrkräfte zwar Fachleute in ihren Fächern, verfügen aber häufig nicht über Fähigkeiten Konflikte zu bewältigen oder Problemgespräche zu führen. Viele Lehrer beschäftigen sich erst mit dem Thema, wenn ein Fall des Missbrauchs in ihrer Klasse offensichtlich wird. Sie bemühen sich dann, dem betroffenen Kind zu helfen. Ohne fachliches Hintergrundwissen und entsprechende Kompetenz ist dies aber zum scheitern 110 vgl. Marquardt-Mau, B. (1995): S.265 47 verurteilt. In Lehrerfortbildungen soll die Vermittlung persönliche Grenzen zu erkennen und das Machbare zu akzeptieren, wesentlicher Bestandteil sein. Lehrer brauchen für dieses Thema eine starke und zugleich sensible Persönlichkeit. Sie werden aufgerufen im Sinne ihrer Vorbildfunktion, sich eindeutig zu verhalten, klare Grenzen zu setzen und die eigene Integrität den Schülern gegenüber zu wahren. Leider mangelt es noch immer an Fortbildungsangeboten zu sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen sehr.111 Ein Fortbildungsangebot der Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern stelle ich im Folgenden vor. 5.2.5.1. SchiLF – Ein Modell zur Lehrerfortbildung für die Prävention von sexuellem Missbrauch in Nordrhein-Westfalen SchiLF = Schulinterne Lehrerfortbildung Es handelt sich um ein Konzept der Fortbildungsmaßnahmen für Lehrerinnen und Lehrer. Hierbei sollen einzelne Schulen mit ihren je individuellen Bedingungen und Möglichkeiten fortgebildet werden. Ganz gezielt setzt sich das Lehrerkollegium einer Schule mit konkreten Themen in einem kollegialen Arbeitsprozess auseinander und erweitert damit die Kenntnisse und Kompetenzen, findet neue Lösungen und Konzepte für die eigene Schule. Schulinterne Lehrerfortbildungen richten sich an das gesamte Lehrerkollegium und finden nur statt, wenn sich alle Lehrer des Kollegiums während einer Lehrerkonferenz dazu entscheiden. Mit diesem Beschluss, verpflichtet sich das Kollegium an der Teilnahme der Fortbildung. Die Bezirksregierung Münster bietet Lehrerfortbildungen zu verschiedenen Themen an. Moderatoren beraten und informieren das Kollegium. „Die an der schulinternen Lehrerfortbildung teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen sollen die Möglichkeit erhalten, ein einführendes Orientierungswissen über den sexuellen Missbrauch bzw. die sexuelle Gewalt an Mädchen und Jungen zu erlangen sowie für auffällige Kinder und deren 111 vgl. Kavemann, B. u.a. (1996): S. 93ff 48 Schwierigkeiten sensibler zu werden. Weiterhin sollen die teilnehmenden Lehrerkollegien mit Interventions- und Präventionsmöglichkeiten der Schule vertraut gemacht und ihnen ein Austausch untereinander zu diesem Thema ermöglicht werden.“112 Die Fortbildung erstreckt sich auf 11/2 Tage. Die Bezirksregierung Münster bietet nicht nur Schulinterne Fortbildungen an, sondern auch erweiterte Fortbildungen. Ziele und Inhalte der Erweiterten Fortbildung im Bereich „Sexueller Missbrauch“ sind: „Sexueller Missbrauch/sexuelle Gewalt ist alltägliche Gewalt von Erwachsenen gegenüber Heranwachsenden. Es ist kein Ausnahmedelikt, sondern gehört zur Erfahrung vieler Kinder und Jugendlicher in allen Bevölkerungsgruppen. Dieses Fortbildungsangebot bietet die Möglichkeit, eigene Berührungen, Berührungsängste, persönliche und berufliche Grenzen und Möglichkeiten des Umgangs mit dieser Thematik zu erfahren und zu besprechen. Es zielt darauf ab, in der Analyse und Beurteilung von Mädchen- und Jungenverhalten sicherer zu werden und angemessener und kompetenter zu handeln. In diesem Zusammenhang werden den Lehrern ein grundlegendes fachliches Wissen sowie verstärkte Handlungskompetenz vermittelt. Die Veranstaltung ist keine Selbsthilfegruppe und beinhaltet kein Therapieangebot. Inhaltliche Elemente sind: - Das Problem sexistischen Verhaltens bis hin zu sexuellem Missbrauch bzw. sexueller Gewalt im Spiegel empirischer Untersuchungen - Auffälliges Verhalten in seinem Kontext verstehen lernen - Interkulturelle Aspekte 112 http://www.lehrerfortbildung.bezreg-muenster.nrw.de/fortbildungen 49 - Pädagogische Möglichkeiten, die Persönlichkeitsentwicklung und das Selbstwertgefühl von Schülerinnen und Schülern zu stärken (“primäre Prävention”) - Thematisierung von sexuellem Missbrauch, z. B. im Rahmen der Sexualerziehung - Beratung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen bei aktuellen Gefährdungen – Möglichkeiten und Grenzen der Krisenintervention - Rechtliche Hinweise - Formen und Beratung - Kooperation mit außerschulischen Einrichtungen - Medien und Materialien zum Thema - Täterstrategien Die Maßnahme wird auf der Grundlage des Erlasses des Kultusministers vom 09. Dez. 1993 – IB 6.42.1/02.06 Nr. 159/93 – durchgeführt.“113 Leider handelt es sich hierbei um ein Angebot aus dem Jahre 2004 und wird nicht jährlich von der Bezirksregierung wiederholt. Ein aktuelles Angebot der Bezirksregierung liegt leider nicht vor. Ob und was derzeit angeboten wird, muss die Lehrkraft zum gegebenen Zeitpunkt selber in Erfahrung bringen. Wird von der Bezirksregierung nichts angeboten, bleibt nur die Möglichkeit sich direkt an einen Verein gegen sexuellen Missbrauch zu wenden. Wie z.B. Zartbitter e.V. aus Köln oder Profamilia. Auf dem Niedersächsischen Bildungsserver (Nibis) werden Fortbildungen zu verschiedenen Themen angeboten. Konkret bietet zum Thema „Missbrauch“ der Verein „Violetta“ aus Hannover Fortbildungen und Vorträge an. Es handelt sich bei dem Verein „Violetta“ um eine Fachberatungsstelle gegen sexuellen Missbrauch.114 Auf der Internetseite des Niedersächsischen Bildungsserver wird die Fortbildung wie folgt beschrieben: „Angesichts der erschreckenden Meldungen über Kindesentführungen und sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen sind in den letzten Jahren 113 114 http://www.lehrerfortbildung.bezreg-muenster.nrw.de/fortbildungen vgl. http://www.nibis.de/nibis.phtml?menid=1871 50 Forderungen nach mehr Schutz und Prävention immer lauter geworden. Allerdings stellt sich für viele Lehrer die Frage, wie sie das Thema in den Unterricht integrieren können. Die Fortbildung bietet Unterstützung in diesem wichtigen Anliegen. Sie wird von einem erfahrenen Lehrer und einem Mitarbeiter von Violetta durchgeführt. Viele praktische Ideen werden für den pädagogischen Alltag hilfreich sein und eine ausgewogene Verbindung zwischen der Theorie und der Praxis darstellen. In der Fortbildung geht es zum einen um die Ursachen und die Dynamik sexueller Gewalt sowie die Interventionsmöglichkeiten, zum anderen um die Grundlagen der Präventionsarbeit mit Mädchen und Jungen. Die Grundlage für die Prävention wird eine von Frau Riemann erstellte und erprobte Unterrichtseinheit sein, welche die Themen "Sexualerziehung, Selbstbewusstsein, Gefühle, Berührungen, Grenzen und die altersgemäße Aufklärung" über sexuellen Missbrauch zum Inhalt hat. Anhand vieler praktischer Beispiele ist zu sehen, wie Prävention im schulischen Alltag implementiert und umgesetzt werden kann. Prävention macht Spaß und kann viele positive Entwicklungen in der Klasse initiieren.“115 Die Fortbildung umfasst zwei Tage a fünf Stunden, die aufeinanderfolgend stattfinden sollen. Die Teilnehmerzahl ist auf 12 beschränkt, der Ort der Fortbildung wird je nach Vereinbarung festgesetzt und kann auch die eigene Schule sein. Bei Interesse können sich Lehrer, aber auch Erzieher, Eltern und andere Interessierte direkt an den Verein wenden. Auf der Internetseite des Vereins sind weitere Informationen über deren Angebote zu finden. Wie z.B. ein komplettes Präventionspaket mit Lehrerfortbildung, Elternabend und Nachbereitung.116 Die Kosten für die Lehrerfortbildungen vom Verein „Violetta“ werden von der Landesschulbehörde Niedersachsen getragen. Bei meiner Recherche im Internet habe ich außerdem den Verein AMYNA aus München gefunden (Verein zur Abschaffung von sexuellem Missbrauch und sexueller Gewalt e.V. Institut zur Prävention von sexuellem Missbrauch) 115 116 http://vedab.nibis.de/veran.php?vid=32814 vgl. http://www.violetta-hannover.de/5/Home_.html 51 Auch sie bieten verschiedene Fortbildungen und Vorträge in diesem Bereich an. Eine wäre z.B. die: „Fortbildung für Lehrerkollegien in Grundschulen“ „Das Problem des sexuellen Missbrauchs an Mädchen und Jungen gerät zunehmend ins Bewusstsein. Schule ist einerseits ein idealer Ort, um präventiv zu arbeiten, weil er alle Mädchen und Jungen erreicht. Andererseits wird für Lehrer der Schulalltag immer schwieriger: die Klassen werden wieder größer, die Kinder haben mehr Probleme und die pädagogischen Anforderungen an Lehrkräfte erhöhen sich damit. Sich auch noch um dieses schwierige Thema „sexueller Missbrauch" zu kümmern, empfinden viele Lehrkräfte erst einmal als Überforderung. Wir möchten Sie mit dieser schulinternen Fortbildung an das Thema Prävention heranführen, Sie bei der Beantwortung der Frage unterstützen, wie Sie Prävention in den Schulalltag integrieren können, ohne sich zu überfordern, Ihnen aber auch die Grenzen und Schwierigkeiten schulischer Präventionsarbeit aufzeigen. Die Themen: • Ziel und Ansatzpunkte der Präventionsarbeit: Was soll Präventionsarbeit leisten? Wie lässt sich sexuelle Gewalt verhindern? Wo sind mögliche Ansatzpunkte dafür? • Bedingungen und Voraussetzungen für sinnvolle Präventionsarbeit: Bei diesem Punkt geht es darum, welche Voraussetzungen in der Schule nötig sind, um Präventionsarbeit zu leisten, die sich direkt an Mädchen und Jungen richten. • Beispiele und Möglichkeiten der Präventionsarbeit, die sich direkt an Mädchen und Jungen richtet: Hier wird's konkreter: Es geht um gezielte Vorschläge, wie sich „Prävention" in der pädagogischen Arbeit mit Mädchen und Jungen umsetzen lässt und welche Themen dabei wichtig sind. 52 Wir arbeiten mit kurzen Informationseinheiten, Diskussion und Kleingruppenarbeit. Außerdem bringen wir Bücher und Materialien, sowie eine ausführliche Literaturliste zur Veranstaltung mit. Ein Vorgespräch mit der Schulleitung ist obligatorisch.“117 Aber nicht nur diese Fortbildung wird angeboten. Weitere Themen sind z.B.: „Elternarbeit zur Prävention von sexuellem Missbrauch“, „Behindert & sexuell missbraucht = rechtlos?“ oder Vorträge wie z.B.: „Verdacht auf sexuellen Missbrauch bei SchülerInnen“ oder „Sichere Orte für Kinder“. Auf der Internetseite wird jedes Angebot gut beschrieben. Allgemein für Fortbildungen ist das FIBS (Fortbildungen in bayrischen Schulen) in Bayern zuständig. Hier finden sich zwei Fortbildungen zum Thema „Sexueller Missbrauch“, die im November angeboten werden. Das Thema „Sexueller Missbrauch“ rückt immer mehr in die Öffentlichkeit. Ich habe mir drei Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland zu Fortbildungsangeboten angesehen und stelle fest, dass das Angebot an Fortbildungen zum Thema „Sexueller Missbrauch“ in Deutschland mäßig ist. Bei genauem Suchen fand ich einige Angebote, aber in den Regierungen ist das Thema noch nicht fester Bestandteil der Fortbildungsangebote. Über Vereine, die sich auf das Thema spezialisiert haben, können bei Interesse aber unterschiedliche Angebote gefunden werden. 5.2.6. Die Wirksamkeit von Präventionsprogrammen In den letzten Jahren sind viele Präventionsprogramme, sowie Materialien gegen sexuellen Missbrauch entwickelt worden. Die meisten Lerninhalte der Präventionsprogramme beinhalten: Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper, Unterscheidung von guten und schlechten Geheimnissen, Vertrauen in die eigenen Gefühle und Bewertungen, Recht auf „nein“ sagen, sowie 117 http://www.amyna.de/institut/inst_bildung_teamfortbildungen.html#schulalltag 53 Informationen über Personen und Institutionen, die Hilfe bieten.118 Materialien, die überwiegend in diesen Präventionsprogrammen verwendet werden, sind z.B.: Videofilme, Theaterstücke, Malbücher, Arbeitsbücher, Puppen und Arbeitsanregungen für LehrerInnen.119 Wissenschaftliche Forschungsergebnisse von z.B. Lohaus/ Eck (1993) und Knappe/Selg (1993) stellten fest, dass sich zumindest das Wissen der Kinder direkt nach Abschluss von Präventionsprogrammen verbessert hat. Handlungsstrategien waren nur zu entwickeln, wenn die Projekte durch Rollenspiele begleitet waren, die in regelmäßigen Abständen wiederholt wurden. Bei späteren Befragungen ging das Wissen zurück. Grundsätzlich schlossen ältere Kinder aufgrund ihrer höheren kognitiven und verbalen Fähigkeiten besser ab als jüngere. Die jüngeren Kinder hatten vor allem Schwierigkeiten beim Unterscheiden der guten und schlechten Berührungen.120 Zu alledem muss gesagt werden, dass das Messen, ob die Kinder ihr erworbenes Wissen auch umsetzen können, sehr schwierig ist. Eine sogenannte „Ernstfallerprobung“, in der die Kinder ohne ihr Wissen von einem Trainer angesprochen oder angegriffen werden, ist aus ethischen Gründen nicht zulässig. Es lässt sich auch nicht belegen, ob ein Kind nicht missbraucht wird, weil es an einem Präventionsprogramm teilgenommen hat oder ob es an der Persönlichkeit oder den Lebensumständen des Kindes liegt. Wichtig ist aber, dass die Arbeit gegen sexuellen Missbrauch erreicht hat, dass sexueller Missbrauch als nicht mehr tolerierbar wahrgenommen wird und in den Studien ein klarer Wissenszuwachs der Kinder feststellbar ist. Gisela Braun sieht einen weiteren positiven Aspekt in der Präventionsarbeit mit Kindern, da es ihnen Spaß macht und entgegengesetzt der Befürchtungen der Eltern nur ganz selten bei den Kindern Angst auslöst. Genauso positiv berichtet sie die Tatsache, dass Kinder häufiger mit ihren Eltern über Sexualität sprechen und mehr Fälle von sexuellem Missbrauch bekannt werden, da die Kinder 118 vgl. Deegener, G. (1998): S.180 vgl. Koch, H.; Kruck, M. (2000): S.47 120 vgl.ebd.: S.49f 119 54 durch die Präventionsprogramme so gestärkt wurden, dass sie über erfahrene Misshandlungen sprechen können. Dennoch sind auch die Grenzen dieser Präventionsprogramme gegen sexuellen Missbrauch klar: sie können sexuellen Missbrauch an Kindern nicht verhindern, denn zu glauben, Kinder könnten sich Erwachsenen gegenüber durchsetzen indem sie „nein“ sagen, wäre reines Wunschdenken. Die Täter sind immer stärker und haben mehr Macht, Kinder sind also auf die Unterstützung der Erwachsenen angewiesen.121 Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Kinder durch Präventionsprogramme in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden und lernen gefährliche Situationen besser einzuschätzen. Selbstbewusste und informierte Kinder schrecken die Täter ab. Erfolgreich ist die Enttabuisierung des Themas, die Diskussion bis in die Öffentlichkeit, veränderte Haltungen der Bevölkerung und die stete Entwicklung neuer Konzepte und Materialien. 5.2.7. Unterrichtsideen für die Schule Bevor mit den Kindern in der Schule über Prävention von sexuellem Missbrauch gesprochen werden kann, sollte ein Vertrauensverhältnis zu den Schülern aufgebaut worden sein, da es sich hierbei um eine sehr intime Thematik handelt. Natürlich gibt es zur Prävention von sexuellem Missbrauch in der Schule sehr viele Materialien und Unterrichtsvorschläge. Alle werde ich hier sicher nicht vorstellen können, da das den Rahmen meiner Arbeit sprengen würde, aber ich werde einige Möglichkeiten vorstellen, um einen Einblick zu bekommen, wie der Unterricht in der Schule im Umgang mit dem Thema Missbrauch aussehen könnte. Im Folgenden werde ich zwei unterschiedliche Vorschläge zu einer Unterrichtseinheit zur Prävention vorstellen. In keinem der Vorschläge wird das Wort „Missbrauch“ erwähnt oder ausgesprochen. Vielmehr geht es darum, 121 vgl. Braun, G. in Deegener, G. (2005): S.844 55 die Kinder in ihrer Persönlichkeit zu stärken, zum „nein“ sagen aufzufordern und ein gutes Körpergefühl zu entwickeln. Iris Kiesewetter schlägt in ihrem Artikel der Zeitschrift Grundschule drei Blöcke, die ohne zu lange Pausen behandelt werden sollten, vor. Sie sagt Sexualerziehung zum Einstieg reicht alleine nicht aus. Die ersten beiden Blöcke bereiten die Kinder auf das Thema vor. Erst im dritten Block kommt sie zur Thematik der Prävention von sexuellem Missbrauch. Im weiteren Verlauf möchte ich Kiesewetters Präventionsprojekt vorstellen. Ihren ersten Block nennt sie: „Mädchen und Jungen – Verständnis untereinander“ Die Lehrkraft solle die Schüler zunächst aufschreiben lassen, warum sie gerne ein Junge bzw. ein Mädchen sind, man sei erstaunt, wie sehr sie in ihrer typischen Geschlechterrolle aufgehen. In der darauf folgenden Unterrichtseinheit hänge man Wortkärtchen an die Tafel. (Mädchen sind…; Jungen sind…) Die Kinder bekommen Wortkarten mit Eigenschaften, die sie zuordnen sollen. Die Mädchen hängen in der Regel die positiven Eigenschaften zu sich und die negativen zu den Jungen, die Jungen machen es genau umgekehrt. Am Ende kommen sie zu dem Schluss, dass alle Eigenschaften zu beiden passen. Im zweiten Block geht es um „Sexualerziehung“ Zur Sexualerziehung gibt es eine Menge Materialien, die ich hier nicht im Einzelnen aufgreifen möchte, da die Sexualerziehung allgemein nicht Thema meiner Arbeit ist und ich den Rahmen meiner Arbeit sprengen würde. Da ich die Sexualerziehung, als Vorläufer zur Prävention aber unumgänglich sehe und Kiesewetter, die Thematik mit in ihre Unterrichtsreihe nimmt, werde ich eine kurze Möglichkeit, wie sie Kiesewetter vorschlägt ,darstellen. Als Einleitung in die Sexualerziehung können die Kinder ihre Fragen zur Sexualität zunächst anonym aufschreiben. Dadurch kann die Lehrkraft sehen, was sie interessiert und die Kinder genau da abholen, wo sie in ihrer Entwicklung gerade stehen. Zudem gibt er ihnen keine Informationen, für die sie noch nicht die nötige Reife haben. 56 Zu Beginn der nächsten Stunde bietet sich der Film: „Wo komm ich eigentlich her?“ an. Es handelt sich um einen kindgerechten Zeichentrickfilm, in dem viele Fragen der Kinder vermutlich schon beantwortet werden. Gekicher während des Films sind durch Unsicherheiten ganz normal und geben sich nach einer Zeit. Im anschließenden Stuhlkreis werden die bereits aufgeschriebenen Fragen der Kinder gemischt, laut vorgelesen und möglichst von den Kindern gemeinsam beantwortet. In ihrem dritten Block möchte Kiesewetter „ Die Persönlichkeit stärken“ und kommt jetzt zu der eigentlichen Präventionsarbeit. Kiesewetter schlägt vor, zur Einführung in die erste Stunde, das Buch „Das große und das kleine Nein“ (Braun/Wolters 1991) im Sitzkreis vorzulesen. Danach wird mit den Kindern besprochen, wann sie „nein“ sagen dürfen bzw. müssen. Als Beispiel, wenn sie ein Fremder anspricht und fragt, ob sie mitkommen wollen oder wenn sie jemand anfasst, ohne dass sie das möchten oder an Stellen, die ihnen nicht gefallen. Genauso sollten aber Situationen, in denen es nicht angebracht ist „nein“ zu sagen, z.B. bei der Zeit ins Bett zu gehen oder Hausaufgaben zu machen, angesprochen werden. Als Abschluss dürfen alle Schüler einmal laut „nein“ schreien. Auch die schüchternen Kinder sollen dazu ermutigt werden, denn es wirkt sehr befreiend. In der zweiten Stunde werden angenehme und unangenehme Berührungen besprochen. Kiesewetter schlägt dazu die Geschichte der Katze Samira vor (Anhang Nr.2) mit den Kindern zu lesen und anschließend über Berührungen zu sprechen. Durch ein weiteres Spiel soll die bewusste Wahrnehmung von Berührungen mit der Frage: „Wer darf mich wo anfassen?“ geklärt werden. Die dritte Stunde beschäftigt sich mit guten und schlechten Geheimnissen. Kiesewetter spielt den Kindern ein Hörspiel aus dem Lesestück „Geheimniskrämerei“ (Anhang Nr.3) vor. Im Anschluss spricht sie ausführlich über die Geschichte und unterscheidet dabei gute und schlechte Geheimnisse. In der Geschichte wird ein Mädchen von ihrem Onkel unangenehm berührt und ihr wird verboten etwas zu sagen oder weiterzuerzählen. Karin geht doch zu ihren Eltern und erfährt Hilfe. Die Geschichte geht auf den Ansatz ein, wie sexueller Missbrauch anfangen kann. Daher ist es wichtig schon hier 57 anzusetzen, wo und wie sich die Schüler in solchen Situationen Hilfe holen können. Das Lernspiel „Ich bin Ich“ bildet in dieser Reihe den Abschluss. Hier bekommen die Schüler ein Spielfeld mit Ereignis- und Wissensfeldern, in dem sie das Gelernte umsetzen können. (Spielanleitung im Anhang Nr.4) Im Abschlussgespräch kann mit den Kindern geklärt werden, ob weiterer Informationsbedarf da ist oder ob die Unterrichtsreihe beendet werden kann.122 Was mir in Kiesewetters Unterrichtsreihe sehr auffällt ist, dass sie sich keinerlei Gedanken um die erzieherische Grundhaltung zur Förderung des Selbstbewusstseins macht. Sie führt ihr Projekt durch und scheint damit der Meinung zu sein, soweit kein weiterer Informationsbedarf der Schüler besteht, dass ihre Präventionseinheit von vier bis fünf Unterrichtsstunden zuzüglich der drei Einführungsstunden ausreicht, um erfolgreich Präventionsarbeit zu leisten. Im Rückblick auf meine Arbeit erscheint mir das sehr fraglich. In den letzten Jahren wurden immer mehr Bilderbücher und Jugendbücher, die sich mit dem Thema „Sexueller Missbrauch“ auseinandersetzen, erschienen. Zwei sind mir in meiner Recherche besonders gut aufgefallen. „Das große und das kleine NEIN“ von Gisela Braun/ Dorothee Wolters (1991) und „Mein Körper gehört mir“ von Pro Familia (1994). In dem Buch „Das große und das kleine NEIN“ werden die Kinder ermutigt "nein" zu sagen, wenn ihnen etwas nicht passt. Denn Kinder erleben häufig, dass ihr kleines aber ernst gemeintes „nein“ nicht gehört wird, 122 vgl. Kiesewetter, I. (Grundschule2/2004): S.54 58 so werden die kleinen gestreichelt und geküsst, obwohl sie es vielleicht gar nicht wollen. Diese Tatsache Kindern das „nein“ sagen beizubringen, ist für Eltern zu Hause mit Sicherheit nicht immer bequem, aber der Spagat, zu Hause ein gehorsames Kind zu haben, das sich in der Welt aber durchzusetzen weiß und "nein" sagt, ist ohnehin so nicht realisierbar. Dieses Buch beugt vor, leistet wertvolle Präventivarbeit. Man kann es Kindern auch alleine zu lesen geben, weil der Bereich "sexueller Missbrauch" mit keinem Wort erwähnt wird und trotzdem macht das Buch die Kinder stark. Problematisch könnte die Situation möglicherweise bei missbrauchten Kindern werden und weitere Unsicherheit erzeugen, weil diese den Eindruck gewinnen können, vielleicht nicht laut genug "nein" gesagt zu haben und damit das Problem der vermeintlichen "Mitschuld" aufkommt. Insgesamt bleibt mir jedoch der Eindruck, dass dieses Buch, im Vergleich zu anderen Bilderbüchern, eines der wenigen wirklich brauchbaren zu diesem problematischen Gebiet ist. (Text dazu im Anhang Nr.5) Das zweite Bilderbuch ist das Buch der Pro Familia „Mein Körper gehört mir“: Auch in diesem Buch finden sich keine Darstellungen von sexuellem Missbrauch, vielmehr geht es in erster Linie darum, mit den Kindern ins Gespräch über ihren Körper zu kommen. Durch klare Bilder mit einfachen Sätzen können die Kinder mit diesem Buch eine selbstbewusste Einstellung zu ihrem Körper bekommen, sich Gefühlen bewusst werden und erkennen, was sie mögen und was sie nicht mögen. Zudem können sie lernen, sich gegen Berührungen zu wehren, Grenzen zu setzen und „nein“ zu sagen. Die Arbeitsmaterialien: „Ich sag Nein!“ liefern eine Reihe von Ideen zur Prävention von sexuellem Missbrauch. Es wird eine komplette Unterrichtsreihe aufgeführt, in der die Einheit in 5 Stunden aufgeteilt wird und unter anderem mit den beiden oben vorgestellten Büchern gearbeitet wird. Auch hier wird 59 deutlich gesagt, dass alle präventive Arbeit nichts bringt, wenn die Erziehungsgrundhaltung nicht stimmt. Die Stunden der Präventionseinheit werden unterteilt in 1. Mein Körper gehört mir, 2. Intuition, 3. Geheimnisse, 4. Berührungen, 5. Nein sagen. Die Arbeitsmaterialien sind kindgerecht gestaltet und die Themen werden spielerisch umgesetzt, zusätzlich sind einzelne Arbeitsblätter für die Kinder zur Kopiervorlage ausgearbeitet. So bilden sie einen guten Leitfaden für eine präventive Unterrichtseinheit. Die Kinder werden gestärkt, ohne dass gewaltsame Übergriffe direkt angesprochen werden. Dies hat den Vorteil, dass die Kinder grundsätzlich keine Angst vor Sexualität bekommen, betroffene Kinder aber vielleicht den Mut aufbringen sich mitzuteilen, da sie erkennen, dass es Erwachsene gibt, die ihnen helfen können. Zur Einführung könnte die Lehrkraft mit ihren Schülern über Gefühle, Angst und Mut sprechen. Im Folgenden möchte ich dazu einige Unterrichtsideen vorstellen. Spiele zu Gefühlen wären als Beispiel: - Gefühlsgedicht: Die Kinder werden in zwei Gruppen eingeteilt und sollen die gegensätzlichen Gefühle darstellen und vorspielen, wie Angst und Mut, Glück und Wut, Ernst und Schmerz und Lachen und Schmerz. - Lustige und traurige Gesichter: Jedes Kind formt sich aus Knete zwei runde, flache Scheiben, denen Ohren angedrückt werden. Auf diese Scheiben ritzen die Kinder nun traurige oder lustige Gesichter. Als Anreiz können sie dies vorher vor dem Spiegel vormachen. Ideen zum Thema Angst und Mut: - Angst- bzw. Mutbilder: Die Kinder malen ein Bild mit einem Motiv was ihnen Angst macht, dabei sollte jedes Bild vorher besprochen werden. Anschließend malen sie das Mutbild, was ihnen gegen die Angst hilft. - Eine Geschichte zum Vorlesen hänge ich in den Anhang Nr.6. Die erste Unterrichtsstunde mit dem Thema „Mein Körper“, sollte für die Kinder nur zur Wiederholung durchgesprochen werden und nicht zu umfangreich sein, da ich vor der Unterrichtreihe zur Prävention, Sexualkunde mit den Kindern erarbeiten würde und sie daher den Körper kennen sollten. 60 Trotzdem möchte ich sichergehen, dass die Schüler ihre Körperteile kennen und benennen können. Dies ist besonders wichtig, damit sie sich im Falle eines Übergriffs richtig äußern und mitteilen können. Als Idee könnte der Lehrer mit den Schülern ein Tafelbild erstellen, auf dem sie Begriffe für ihren Körper inklusive Geschlechtsteilen sammeln und ordnen. Ordnen in zwei unterschiedliche Kategorien: Geschlechtsteile, die nur Jungen bzw. Mädchen haben und Geschlechtsteile, die alle haben. Da von den Kindern auch Begriffe für die Geschlechtsteile kommen können, die keine Fachbegriffe sind, wie: Pipimann, Schwanz, Möse oder Muschi u. a. sollten diese direkt unterteilt werden in „Kindersprache“ oder „Umgangssprache“ und Fachbegriffe. Es ist Vorteilhaft, die Kinder darauf hinzuweisen, dass in der Schule nur die Fachbegriffe verwendet werden. Die zweite Unterrichtsstunde geht um das Thema „Berührungen“, mit dem Lernziel: Die Kinder sollen angenehme und unangenehme Gefühle nennen und sich dazu äußern können. Nach einer kurzen Wiederholung der letzten Stunde zur Festigung des bereits Gelernten, könnte mit den Schülern Folgendes erarbeitet werden: - Das Lied: „Mein Körper macht Musik“, der Cd: Nase, Bauch und Po (erhältlich in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) mit den Kindern erarbeiten. So kann den Kindern das Lied zunächst nur vorgespielt werden und die Kinder zum genauen zuhören aufgefordert werden. Anschließend mit den Kindern planen, was mit dem Lied gemacht werden könnte. Z.B. das machen was im Lied gesungen wird. Danach die Dinge, die wir mit unserem Körper machen können gemeinsam wiederholen und an der Tafel festhalten. Durch ein Ordnen der Gefühle nach angenehmen und unangenehmen Gefühlen kann ein Übergang zur nächsten Stunde geschaffen werden. In der dritten Unterrichtsstunde soll es um angenehme und unangenehme Berührungen gehen. Mit dem Lernziel: Wer darf mich anfassen und wer nicht. Dabei soll den Kindern bewusst werden, dass Berührungen nur dann in Ordnung sind, wenn sie ihnen angenehm sind. Auch hier, wird erst nach einer kurzen Wiederholung der letzten Stunde mit dem neuen Thema begonnen. 61 - Vorstellung des Buches „Mein Körper gehört mir“, die Kinder bekommen den Text des Buches ausgeteilt und werden aufgefordert ihn zu lesen. Die Überschrift der Stunde „Nicht jeder darf mich berühren“ wird an die Tafel geschrieben, dazu hängt der Lehrer das erste Bild des Buches an die Tafel. (Bilder und Text Anhang 7 und 8) Nachdem die Schüler den Text gelesen haben, treffen sie sich in einem gemeinsamen Halbkreis vor der Tafel, die restlichen Bilder dürfen dann von den Schülern aufgehängt werden. So haben die Schüler die Bilder zur Visualisierung vor sich und es kann mit einem gemeinsamen Gespräch, was auf den Bildern zu sehen ist, begonnen werden. Während des Gesprächs sollen die Bilder nach angenehmen und unangenehmen Gefühlen sortiert werden. Dabei sollen die Schüler ihre Entscheidung begründen. - Eine kurze Schüleraktivität mit Wortkarten, die im Klassenraum aufgehängt werden, soll den Schülern Bewusstsein über ihre eigenen Gefühle vermitteln „Was mag ich, was mag ich nicht?“ Der Lehrer hängt z.B. eine Karte mit dem Satz: „Meine Oma darf mir ein Küsschen geben“, oder „Jeder, der möchte darf mir über den Kopf streicheln“, auf. Wenn die Schüler der gleichen Meinung sind, sollen sie sich zu der Karte stellen, wenn nicht auf ihrem Platz bleiben. Anschließend gibt die Lehrkraft den Impuls. „Nicht jeder hat sich zu jeder Karte gestellt. Wie ist das mit den Berührungen, mag ich von jedem überall angefasst werden?“ In einem gemeinsamen Gespräch erarbeiten und begründen die Schüler ihre Meinungen wo sie angefasst werden mögen, wo nicht, von wem sie überhaupt berührt werden mögen und von wem nicht und was sie sagen können, wenn sie nicht berührt werden wollen. In der vierten Unterrichtsstunde „Das große und das kleine NEIN“ sollen die Kinder ihr bereits erworbenes Wissen vertiefen, „Neinsagen“ lernen und spüren, was ihnen gut tut und was ihnen nicht gut tut. - Während der Wiederholung sammelt die Lehrkraft mit den Schülern das Wichtigste aus der letzten Stunde, notiert diese an der Tafel und ergänzt wenn nötig. - Der Lehrer liest das Buch: „Das große und das kleine NEIN“ vor und erklärt den Schülern im Vorfeld, dass sie diese Geschichte nachher 62 nachspielen sollen. Danach wird die Klasse in Gruppen geteilt und jede Gruppe erhält zum Proben ein Buch. - Vorführung mit anschließender Reflexion der anderen Schüler ! Was hat gut gefallen? ! Was hätte besser sein können? - Wichtig ist hier, auch das „Neinsagen“ klar zu thematisieren. Mit Impulsen wie: Manchmal traut man sich nicht „Nein“ zu sagen, manchmal hört der andere es einfach nicht, manchmal denke ich, ich habe sowieso keine Chance " Wichtig: Es ist nicht deine Schuld – Suche dir jemanden, der dir hilft! Die fünfte Unterrichtsstunde: „Gute und schlechte Geheimnisse“ hat zum Ziel, dass die Schüler den Unterschied zwischen guten und schlechten Geheimnissen kennen lernen und wissen, dass sie sich mit schlechten Geheimnissen an Erwachsene, denen sie vertrauen, wenden dürfen und sollen. - Die Lehrkraft gibt den Schülern Impulse zu guten und schlechten Geheimnissen, die Schüler sollen Beispiele zu guten und schlechten Geheimnissen äußern. Die Lehrkraft notiert diese an der Tafel. - Die Schüler bekommen in zweier Gruppen Geheimniskarten mit Sätzen von guten oder schlechten Geheimnissen. Die Gruppen sollen sich zu zweit beraten und sich entscheiden, ob ihre Karte in die Ablage gute oder schlechte Geheimnisse kommt. Haben sich alle Schüler entschieden, geht je ein Kind nach vorne und liest eine Karte vor, zusammen wird dann besprochen, ob alle dieser Meinung sind und warum es sich um ein gutes oder ein schlechtes Geheimnis handelt. - Als Abschluss der Unterrichtsreihe erhalten die Kinder ein Arbeitsblatt auf dem sie darüber nachdenken sollen, wer sie berühren darf. (Anhang Nr.9) Dadurch bekommen die Kinder noch einmal ein Gefühl, ob sie bei Berührungen ein gutes oder ein schlechtes Gefühl haben und reflektieren, dass es nicht egal ist, wer sie berührt.123 123 vgl. Braun, G. (2008): Ich sag NEIN! Arbeitsmaterialien gegen den sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen. S. 24ff 63 In einem letzten Abschlussgespräch sollten die erarbeiteten Ziele kurz wiederholt werden und von der Lehrkraft Impulse gegeben werden, wo sie sich Hilfe holen können. Zudem können die Kinder, bei weiterem Informationsbedarf, Fragen stellen. Zum Abschluss der beiden Unterrichtsvorschläge von Kiesewetter und Braun, möchte ich reflektieren, dass die Reihe von Braun auf mich einen erheblich besseren Eindruck macht. Ihre Unterrichtsreihe ist wesentlich ausführlicher, in ihren fünf Teilgebieten greift sie alle wichtigen Themen auf. Dabei verwendet sie sehr viele unterschiedliche Medien, mit denen sie immer wieder die Aufmerksamkeit und Neugierde der Kinder weckt. Kiesewetter hingegen erarbeitet in ihrer eigentlichen Präventionsarbeit „Die Persönlichkeit stärken“ lediglich das „nein“ sagen, angenehme und unangenehme Berührungen, sowie gute und schlechte Geheimnisse. Die beiden vorgestellten Unterrichtseinheiten sind Projekte, die lediglich über einige wenige Unterrichtsstunden mit den Kindern erarbeitet werden. Auch wenn der Begriff „Missbrauch“ mit keinem Wort erwähnt wird, sollen es Projekte zur Prävention von Missbrauch sein. Andere Projekte setzen an derselben Stelle an, verlaufen aber etwas anders. Wie z.B. das Projekt „Faustlos“ für Kindergärten und Schulen. Es handelt sich hierbei nicht um ein Projekt, das nur zur Prävention von sexuellem Missbrauch erarbeitet wurde, sondern um ein Programm zur Prävention von aggressivem Verhalten. Meiner Meinung nach ist das der Ansatz, an dem wir anfangen sollten. Denn durch Förderung der sozialen und emotionalen Kompetenzen, können unsere Kinder zu starken, selbstbewussten Persönlichkeiten heranwachsen. Ich habe das Programm „Faustlos“ in meinem Fachpraktikum kennengelernt und auch in dem Kindergarten meines Sohnes wird es praktiziert. Das Grundschul-Programm beinhaltet 51 Lektionen. Diese werden über einen Zeitraum von drei bis vier Jahren mit den Kindern erarbeitet. Im Unterricht setzen sich die Kinder sowohl kognitiv als auch praktisch mit einer Reihe von sozialen und emotionalen Kompetenzen auseinander und erweitern so nach und nach ihr gewaltpräventives Verhaltensrepertoire. 64 Ausschließlich das Heidelberger Präventionszentrum ist vom Committee for Children (Seattle) befugt, Fortbildungen für interessierte Erzieher und Lehrer anzubieten.124 Mit diesem Projekt, das schuljahresbegleitend läuft, haben Schulen und Kindergärten einen großen Anteil an Präventionsarbeit geleistet. Auf mich macht dieses Projekt einen besonders guten Eindruck, da es nicht nach einigen wenigen Stunden abgeschlossen ist, sondern über mehrere Jahre läuft und die Kinder nach und nach ihre Kompetenzen erweitern können. Bei meinem Sohn im Kindergarten werden wir Eltern regelmäßig über das Projekt informiert und aufgefordert, das was derzeit im Kindergarten behandelt wird auch zu Hause mit den Kindern zu üben. Dazu bekommen wir Informationen über Gespräche oder Spiele, die wir mit den Kindern zu Hause durchführen können. Durch diese Aufforderung und Informationen werden die Eltern in die präventive Arbeit mit einbezogen und können auch zu Hause ihren Anteil dazu leisten. Denn die alleinige Präventionsarbeit in Schule oder Kindergarten reicht nicht aus, sondern muss auch im Elternhaus im Erziehungsalltag eingesetzt werden. Da viele Eltern nicht mehr wissen, wie sie ihre Kinder zu selbstbewussten, starken Persönlichkeiten erziehen können, werden zur Unterstützung der Eltern mehr und mehr Elternkurse angeboten. Ein sehr bekannter Kurs zu diesem Thema ist das Seminar: „Starke Eltern – Starke Kinder“. Hier sollen Eltern in ihrer Erziehung unterstützt werden Inhalte dieser Kurse sind z.B.: Eltern darin zu unterstützen eine Familie zu sein, in der alle gerne leben, in der Meinungen ausgetauscht werden können, ohne dass jemand verletzt wird und in der alle Familienmitglieder, sowie Grenzen respektiert werden. Bei der Behandlung des Themas gibt es Folgendes zu bedenken. Wie heute aus vielerlei Sicht bekannt ist, sind positiv formulierte Ziele wirksamer als negativ formulierte. Wohin würden wir kommen, wenn wir am Bahnhof eine Fahrkarte bestellen würden mit den Worten: "Bitte nicht nach Hamburg"? Wie Seneca es ausdrückte: Wer seinen Hafen nicht kennt, in den er 124 vgl. http://www.faustlos.de/faustlos/index.asp 65 segeln will, für den ist kein Wind der richtige. Oder versuchen Sie sich einmal auf keinen Fall einen rosaroten Elefanten vorzustellen! Es wird Ihnen nicht gelingen, ohne eine Vorstellung von einem rosaroten Elefanten zu erschaffen. Und je mehr Sie sich anstrengen würden, sich einen solchen Elefanten nicht vorzustellen, desto penetranter würde er sich Ihnen aufdrängen. Das ist die Weise, wie unser Gehirn arbeitet. Was genau ist das Ziel einer Präventionsarbeit mit Kindern? Auch wenn es einem zunächst so scheinen mag, ist es nicht das eigentliche Ziel, Kinder vor Missbrauch zu schützen und sie deshalb über das Thema zu informieren. Das eigentliche Ziel ist es zu erreichen, dass Kinder sicher und geschützt aufwachsen können, lernen, ihren Gefühlen zu trauen, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein zu entwickeln und sich, wo es nötig ist, Hilfe und Unterstützung zu suchen. Das ist in beiden Unterrichtsvorschlägen gut gelungen. Jedes Erleben wird durch die Art und Weise bestimmt, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Es hat also Konsequenzen, auf welche Weise wir zur Prävention Kindern das Thema Missbrauch nahe bringen. Je mehr wir auf den möglichen Missbrauch selbst eingehen, desto mehr fokussieren wir die Aufmerksamkeit der Kinder in die Richtung des Ungewünschten. Es werden Themen und möglicher Weise Ängste aktiviert, die bislang für die meisten Kinder nicht einmal Thema waren. Das bedeutet natürlich nicht, dass es nicht sinnvoll sein könnte, auf eventuelle Gefahren hinzuweisen, sondern lediglich, dass es wichtig ist achtsam zu sein, ob das, was ich als Lehrkraft anbiete, wirklich den Zielen dient, die ich erreichen möchte. Aber welche Alternativen haben wir? Wie können wir den Kindern die gewünschten Fähigkeiten und Attribute vermitteln, ohne eine zu negative Fokussierung zu betreiben? Zunächst fällt mir da der berühmte Satz von Saint Exupéry aus dem "Kleinen Prinzen" ein: "Quand tu veux construire un bateau, ne commence pas par rassembler du bois, couper des planches et distribuer du travail, mais reveille au sein des hommes le desir de la mer grande et large." ("Wenn du ein Schiff bauen willst, beginne nicht damit Holz zu beschaffen, Planken zu sägen und Arbeiten zu verteilen, sondern erwecke im Herzen der Menschen die Sehnsucht nach dem großen weiten Meer.") 66 Hypnotherapeut Elmar Woelm gab mir in unserem Gespräch eine mögliche Antwort auf die Frage, wie man eine Botschaft am besten vermitteln kann, ohne unnötiger Weise zu sehr auf unerwünschte Dinge zu fokussieren. Wir finden diese vielleicht am ehesten im Bereich der modernen Hypnotherapie, wie sie von dem amerikanischen Arzt und Psychiater Dr. Milton H. Erickson ins Leben gerufen wurde. Die hohe Kunst Ericksons war es, dass er oft gewünschte Veränderungen bei Menschen bewirken konnte, ohne, dass er über das eigentliche Thema sprach. Stattdessen verwendete er Metaphern und metaphorische Lehrgeschichten, die auf indirekte Weise Lösungen aufzeigten und die Aufmerksamkeit so sehr auf gewünschte Möglichkeiten fokussierten, dass Heilung und Veränderung für die betroffenen Menschen als kreative Eigenleistung und durch Ausschöpfung ihrer Potentiale entstand. Solche Prinzipien finden wir in den beiden Arbeitsmaterialien von Kiesewetter und Braun. In beiden Unterrichtseinheiten, wählten sie Methoden, die das Selbstvertrauen stärken, ohne das Thema Missbrauch zu benennen. Dies sind Projekte, die gezielt bei der Behandlung des Themas: „Sexualkunde“ mit einfließen sollten. Ganz wichtig sind meiner Meinung nach Projekte wie „Faustlos“, die über die Schuljahre hinweg Unterrichtsbegleitend mitlaufen. 5.3. Intervention Das Wort Intervention (lat. interveniere) bedeutet dazwischentreten, sich einmischen, vermitteln.125 Die Übergänge der Prävention zur Intervention sind häufig fließend. Ziel der Intervention soll die Beendigung der sexuellen Gewalt gegen das Kind und sein Schutz vor weiteren Misshandlungen sein. Lercher u.a (1992). schreiben dazu in ihrem Buch, dass nachhaltige Beendigung sexueller Gewaltanwendungen nur möglich ist, wenn der Täter keinerlei Gelegenheit mehr bekommt, sich an dem Kind zu vergreifen. Dies setzt die dauerhafte Trennung von Täter und Opfer voraus. Fachleute belegen, dass Täter ihren Missbrauch 125 auch nach Bekanntwerden und vgl. Duden (Band5;2001): Das Fremdwörterbuch S.454 67 sogar während einer Familientherapie fortsetzen. Dabei verschärfen sie den Druck über das Stillschweigen des Opfers.126 Da das Thema seit einigen Jahren immer mehr in die Öffentlichkeit rückt, sind immer mehr Menschen aufgeschreckt und sensibilisiert worden für dieses Thema. Der Verdacht eines Missbrauchs taucht immer öfter auf. Leider fehlt den meisten Menschen das Wissen über das richtige Vorgehen. In einem solchen Fall haben sie den Drang möglichst schnell zu helfen. Dies kann dazu führen, dass voreilig gehandelt wird oder dass das Problem noch verschlimmert wird. Daher ist es wichtig für Personen, die im Umgang mit Kindern stehen, zu wissen, wie sie in einem Verdachtsfall richtig handeln.127 5.3.1. Voraussetzungen der Intervention Kinder, die missbraucht werden, sind meist nicht in der Lage sich selbst aus dieser Situation zu befreien. Erwachsene Personen aus dem Umfeld sind daher gefordert einzugreifen. Auch bei bereits beendetem Missbrauch ist ihre Hilfe dringend notwendig, damit die Kinder ihre Erfahrungen verarbeiten können und die Folgen minimiert werden. Intervention richtet sich nicht nur an die Opfer, sondern auch an die Täter. Es muss zum einen überprüft werden, ob er noch andere Kinder missbraucht hat und zum anderen muss er die Konsequenzen für seine Handlungen zu spüren bekommen.128 „Unter Intervention verstehen wir somit alle Maßnahmen, die darauf abzielen: • einen Verdacht auf sexuelle Ausbeutung abzuklären; • eine Ausbeutungsbeziehung zu beenden; • dem Opfer die Verarbeitung der Erfahrungen zu erleichtern; • andere potentielle Opfer des gleichen Täters ausfindig zu machen und zu unterstützen; • den Täter zur Rechenschaft zu ziehen und 126 vgl. Lercher, L. u.a. (1992): S.49f vgl. Brockhaus, U./ Kolshorn, M. (1993): S.165 128 vgl. ebd.: S.165 127 68 • weitere sexuelle Gewalthandlungen durch den Täter zu verhindern.“129 Die Grundvoraussetzung für Intervention ist, dass andere Menschen etwas von dem Missbrauch mitbekommen und ein Verdacht entsteht. Besonders wichtig in diesem Fall ist, dass den betroffenen Opfern geglaubt wird. Schwierig stellt sich hierbei heraus, dass betroffene Kinder nur selten klare Aussagen machen wie: „Der Stefan hat mich an der Scheide angefasst“, sondern eher indirekte Andeutungen, wie: „Der Stefan ist immer so komisch“ oder sogar nur: „Ich will nicht mehr bei dem Stefan spielen.“ Diese Andeutungen können gekoppelt sein mit plötzlichen Ängsten. Besonders kleine, jüngere Kinder wissen nicht was geschehen ist und können sich nicht mit den richtigen Worten ausdrücken. Eltern, Erzieher und Lehrer müssen daher lernen verschlüsselte Botschaften der Kinder zu verstehen und darauf einzugehen. Folgende Vorraussetzungen müssen für ein Eingreifen von außenstehenden Personen erfüllt sein: 1. Die Person muss einen Verdacht haben, der sich als stark genug bewertet, um ihn weiter zu verfolgen. 2. die Person muss sich zuständig für sein Eingreifen fühlen – denn auch gesellschaftliche Normen spielen hierbei eine Rolle. So kann eine außenstehende Person z.B. verinnerlicht haben, dass man sich nicht in die Angelegenheiten von anderen Leuten einmischt. Umgekehrt kann sie aber christliche Wertvorstellungen verinnerlicht haben und sich daher verantwortlich fühlen etwas zu unternehmen. 3. Die Person muss Interventionsmöglichkeiten kennen und sich in der Lage fühlen, diese durchzuführen – sie muss wissen was sie tun kann und sollte 4. Die Person muss den Nutzen des Eingreifens höher einschätzen, als mögliche negative Folgen.130 Um sexuellen Missbrauch überhaupt wahrzunehmen und entsprechend einzugreifen, muss er „erkannt werden wollen“ und „erkannt werden können“. 129 130 Brockhaus, U./ Kolshorn, M. (1993): S.166 vgl. Brockhaus, U./ Kolshorn, M. (1993): S.166ff 69 Das Problem ist, dass die Anerkennung von Missbrauch häufig das gesamte Weltbild in Frage stellt: „Der Mann, den ich liebe, der Trainer, das Kindermädchen, der Pfarrer … tut so etwas nicht!“ Besonders Frauen, deren Mann das gemeinsame Kind missbraucht, stehen vor einer großen Bedrohung. Die Bedrohung ihres emotionalen Haltes und die Bedrohung ihrer Existenz. Kein Wunder also, dass viele Menschen mit Wahrnehmungsabwehr reagieren und Verdachtsmomente beiseite schieben. 5.3.2. Mögliche Hinweise Die möglichen Hinweise, die Kinder bei sexuellem Missbrauch geben könnten, habe ich im vierten Kapitel bereits ausführlich beschrieben. Dennoch möchte ich hier noch einen kurzen Einblick im Blick auf das Berufsfeld des Lehrers geben, Hinweise, bei denen Lehrer in der Schule aufmerksam werden sollten. Wie ich schon sagte, gibt es keine absoluten Zeichen, die auf Missbrauch hindeuten und jedes Kind reagiert anders auf sexualisierte Gewalt. Umso wichtiger ist es, die Kinder zu beobachten und Veränderungen wahrzunehmen. Allgemeine negative Veränderungen eines Kindes sind meistens ein Zeichen dafür, dass das Kind Belastungen ausgesetzt ist, mit denen es nicht umgehen kann, die es nicht bewältigen kann. Natürlich weist eine negative Veränderung nicht zwangsweise auf sexuellen Missbrauch hin, dennoch sollte die Lehrkraft dieses Verhalten und das Kind weiterhin beobachten und unbedingt ernst nehmen. So kann ein lebhaftes, zufriedenes, ausgeglichenes Kind durch erlebte sexuelle Gewalt plötzlich ganz verschlossen, bedrückt oder übernervös und unruhig sein. Auch Konzentrationsschwierigkeiten und andere Probleme in der Schule können dazu kommen.131 Aber nicht nur ein Leistungsabfall kann Folge eines Missbrauchs sein. Kinder können auch mit Leistungsverbesserungen reagieren, denn so lenken sie von den grausamen Erfahrungen ab und haben keine Sorge, dass jemand etwas mitbekommen könnte. Lehrer sollten auch hellhörig werden, wenn die Eltern dem Kind alle außerschulischen Veranstaltungen, wie Klassenfahrten, Klassenparties oder Freundschaften mit Klassenkameraden verbieten. Dies kann ein Versuch des 131 vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen. (2006):S.25 70 Täters sein, sein Opfer zu isolieren, um nicht entdeckt zu werden. Auch ein Nicht-nach-Hause-gehen-wollen und Nicht-am-Sportunterricht/Schwimm- unterricht-teilnehmen-wollen kann ein Anzeichen für sexuellen Missbrauch sein, bei dem Lehrer aufmerksam werden sollten.132 Selbst wenn diese und weitere Anzeichen gehäuft vorkommen, muss das Kind nicht missbraucht worden sein, es kann auch andere Gründe haben. Dennoch ist es wichtig, dem Kind als Vertrauensperson zur Verfügung zu stehen, ihm Zuwendung zu geben. Denn dies birgt die Chance, dass sich das Kind dem Lehrer anvertraut und die Lehrkraft entsprechend helfen kann, egal welches Problem das Kind belastet.133 Weitere Anzeichen können sein: Kinder laufen merkwürdig, drücken die Knie aneinander. Sitzen auf der Stuhlkante, wippen oder reiten dort als Form der Selbstbefriedigung.134 Nicht nur die Opfer senden mögliche Signale über einen Missbrauch aus, sondern auch die Täter verhalten sich auffällig. So zwingen sie einem Kind z.B. in der Öffentlichkeit Küsse auf, oder fassen einem Mädchen an die Brust. Zudem kann es auffallen, dass ein potentieller Täter versucht ein Kind zu isolieren oder besonders eifersüchtig ist.135 5.3.2.1. Kinderzeichnungen In Kinderzeichnungen geben Kinder wieder, was ihnen wichtig ist. Je größer oder detaillierter ein Kind z.B. eine Person oder eine Sache aus seiner Umgebung malt, desto wichtiger ist diese für das Kind. In einer Zeichnung setzt sich das Kind mit seiner Umwelt auseinander. Je mehr Unterstützung Kinder bei der Wahrnehmung ihrer Umwelt erhalten, desto differenzierter werden sie es malen. Natürlich hängt es auch von der Entwicklungs- und Altersstufe ab, wie Kinder zeichnen. Jedes Kind durchlebt verschiedene Entwicklungsstufen des bildnerischen Gestaltens. So fangen Kinder in der ersten Entwicklungsstufe mit der Kritzelphase an. Diese Phase beginnt in 132 vgl. Born, M. (1994): S.55 vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen. (2006):S.25 134 vgl. Rensen, B. (1992): S.131 135 vgl. Brockhaus, U./ Kolshorn, M. (1993): S.168 133 71 einem Alter von etwa einem Jahr und reicht bis ca. zum dritten Lebensjahr. In dieser Phase kritzeln die Kinder aus Freude an der Bewegung von Armen und Händen, sie entdecken, dass sie mit einem Stift Spuren hinterlassen. Erst später in dieser Phase bekommen die Kritzeleien einen Sinn zugeordnet. Diese Zuordnung ist für Betrachter des Bildes aber meistens noch nicht erkennbar. Zudem kann es sein, dass das Kind die Benennung nach kurzer Zeit wieder ändert. Mit ca. drei Jahren kommt das Kind in die sogenannte Phase des KopffüßlerZeichnens. Bei diesen Zeichnungen malt das Kind einen Menschen nur mit einem Kopf, von dem direkt die Arme und Beine ausgehen. Sobald das Kind mehr Bewusstsein für seinen eigenen Körper erlangt, malt es differenzierter. Vollständige Menschen zeichnet ein Kind erst zwischen dreieinhalb und vier Jahren. In diesem Alter erhalten die Bilder insgesamt mehr Differenzierungen, wie Blumen, Tiere, Bäume mit deutlichen Einzelheiten. Diese sind aber frei auf dem Bild ohne räumliche Ordnung verteilt. Erste szenische Darstellungen, wie z.B. ein Fußballspiel oder ein Frühstück finden sich erst in Zeichnungen von Vierjährigen. Ab dem fünften Lebensjahr in etwa malen Kinder nur noch Situationszeichnungen wie: eine Mutter, die einkauft oder Kinder, die im Garten spielen. Dabei wird alles klar und differenziert dargestellt. Die Art wie ein Kind malt, kann eine Menge über seine Konzentrationsfähigkeit, sein Temperament, sein Engagement, über seine Rolle in der Familie und vieles mehr aussagen. Seit mehr als 40 Jahren dienen Kinderzeichnungen als diagnostisches Mittel für Intelligenztests, zur Feststellung von Entwicklungsstörungen oder Konflikten. Kinder malen das, was für sie wichtig ist. Daher ist es nicht verwunderlich, dass wir in den ersten Zeichnungen von Zwei- bis Vierjährigen hauptsächlich Selbstdarstellungen finden und als erste Erweiterung Darstellungen von Bezugspersonen. Erwachsene können in diesem Alter nur durch Befragen des Kindes herausbekommen, was das Kind tatsächlich gemalt hat. Jedes Kind entwickelt sich unterschiedlich. Während das eine vierjährige Kind noch Kopffüßler malt, kann es sein, dass ein anderes schon detaillierte Menschen malt. Nur eine Reihe von Bildern eines Kindes kann Auskunft darüber geben, 72 ob das Kind z.B. grundsätzlich nie Menschen mit Armen zeichnet oder ob es diese erst neuerdings weg lässt. Durch das Malen können Kinder Konflikte verarbeiten. Malt ein Kind eine Serie von Bildern mit demselben Thema, dient das seiner Bewältigung. Stellt ein Thema eine besonders große Belastung für ein Kind dar, kann es sein, dass es sich auf kein anderes Thema einlässt und schon fast zwanghaft sein Thema zu Papier bringt. Gerade im Falle von sexuellem Missbrauch hindert der Geheimhaltungszwang die Mädchen und Jungen daran, über den Missbrauch zu sprechen. Kinder wirken unkonzentriert, fahrig und wie besessen von dem was sie beschäftigt. Kinderzeichnungen können hier durchaus ein Signal für Missbrauch sein, dies kann aber nur mit dem Kind zusammen herausgefunden werden, indem dem Kind Fragen zu dem Bild gestellt werden. In den Darstellungen der Kinder ist der Inhalt des Geschehens nicht immer eindeutig erkennbar, weil die Kinder die Verleugnungsstrategien des Täters und der gesamten Umgebung mit übernehmen. Diese Tatsache macht es auch für Fachleute so besonders schwierig, mit herauszubekommen, was das Kind so sehr belastet. Hilfe der Zeichnungen 136 Hier ein Beispiel von einem 5,9 jährigen Kind, deren Missbrauch unter anderem durch ihre Zeichnungen aufgedeckt wurde. Das Mädchen schenkt das Bild der Freundin ihrer Mutter mit den Worten: “Das Bild ist für dich, du darfst es aber nicht der Mama zeigen, dann wird sie böse. Auf die Frage was sie gemalt habe, antwortet sie: „Drei Männer, die sich im hohen Gras versteckt haben.“ Sie malt drei Männer mit einem Penis, aber ohne Arme. 137 136 137 vgl. Steinhage, R. (1992): Sexuelle Gewalt – Kinderzeichnungen als Signal. S.17ff vgl. Steinhage, R. (1992): S. 106f 73 Bild aus: Steinhage, R. (1992) Wichtig ist, dass Bilder alleine nie ein eindeutiger Beweis für einen Missbrauch sind, auch dann nicht, wenn Geschlechtsorgane gemalt sind oder das Bild sehr düster aussieht und vielleicht bereits gemalte Personen überkritzelt werden. Bilder können aber durchaus einen Verdacht erhärten. Wie bereits gesagt, zeigen uns Kinderbilder, was die Kinder gerade beschäftigt. Um aber Kinderbilder verstehen zu können, muss man sich intensiv mit dem Thema auseinander gesetzt haben. 74 5.3.3. Interventionsschritte im Einzelnen – Was tun im Verdachtsfall? Der Verdacht erhärtet sich, der Lehrer hat zunehmend das Gefühl mit dem Kind stimmt etwas nicht. Jetzt gilt es dich der Verdachtsklärung zu widmen. Was kann ich tun, um meinen Verdacht entweder aufzudecken oder herauszufinden, was das Kind ansonsten bedrückt, dass es sich so verändert hat. Signale und auffällige Verhaltensänderungen sind nie ein eindeutiger Beweis für einen sexuellen Missbrauch, sondern nur Indizien. Das Mädchen oder der Junge kann auch ein anderes Problem haben, was sie/ihn schwer belastet. Umso schwieriger ist es jetzt den richtigen Schritt einzuleiten. Die Lehrkraft muss sehr geduldig versuchen, vertrauen zu dem Kind aufzubauen bzw. bereits bestehendes Vertrauen zu intensivieren. Wichtig ist es, dem Kind die Gesprächsbereitschaft zu zeigen. Fühlt das Kind sich geborgen und hat ein gutes Vertrauensverhältnis zur Lehrkraft, kann es dazu führen, dass sich das Kind anvertraut und sich der Verdacht entweder bestätigt oder ein anderes Problem aufgedeckt wird. Egal was das Kind offenbart, es kann ihm geholfen werden. Gehen wir bei der Aufdeckung des Problems weiterhin von einem Missbrauch aus. Jede Auffälligkeit, jeder Inhalt eines Gesprächs sollte mit Datum notiert werden, denn dies kann später eventuell eine wichtige Hilfe bei der Unterstützung des Kindes sein. Berichtet ein Kind von Übergriffen, muss ihm auf jeden Fall geglaubt werden, denn es erfordert sehr viel Mut vom Kind den Missbrauch zu offenbaren. Ruhe bewahren ist hier das wichtigste Stichwort. Dem Kind vermitteln, dass man das Problem kennt und, dass sich das Problem benennen lässt. Dabei sollte die Vertrauensperson die Dinge, die passiert sein könnten benennen, so dass das Kind nur noch nicken muss, bei dem was vorgefallen ist. In jedem Fall, sollte dem Kind deutlich gemacht werden, dass es über alles reden darf, ohne dass ihm oder einer anderen Person etwas zustößt.138 In den Gesprächen mit dem Kind versucht die Lehrkraft so genau wie möglich herauszufinden, was 138 vgl. Besten, B. (1995): S. 83f 75 genau passiert ist, ohne das Kind zu drängen oder ihm zu signalisieren, für welch ein „armes“ Kind sie es hält. Auf keinen Fall voreilig die Polizei oder das Jugendamt einschalten, denn diese sind rechtlich gezwungen ein Strafverfahren einzuleiten. Genauso darf dem Kind aber nichts versprochen werden, was nicht gehalten werden kann. Das Kind soll wissen, dass die Lehrkraft versuchen möchte mit ihm gemeinsam Lösungen für sein Problem zu finden. Dafür ist es nötig mit anderen Personen über den Missbrauch zu sprechen. Über alle weiteren Schritte muss das Kind informiert werden und nichts ohne sein Wissen entschieden werden, denn dies wäre ein massiver Vertrauensbruch, der dazu führen könnte, dass sich das Kind in Zukunft ganz verschließt und ihm nicht mehr geholfen werden kann139. „Der Schutz des Kindes geht vor einer möglichen Strafe des Täters, weil eine Sekundärtraumatisierung nicht ausgeschlossen werden kann.“140 5.3.3.1. Situation der Lehrkräfte als Vertrauensperson des Kindes Wegner beteuert in seinem Buch, wie wichtig es ist, sich in einem Verdachtsfall, nicht direkt an Fachleute oder die Eltern zu wenden. Das betroffene Kind sei zu ihnen gekommen und habe sie als Vertrauensperson ausgewählt und nicht die Mutter. Wende man sich direkt an eine Beratungsstelle sei davon auszugehen, dass das Kind sich verschließe. Beratungsstellen, so sagt er, dürfen erst miteinbezogen werden, wenn sich der Verdachtsfall bestätigt. Das bedeutet also für die Lehrkraft, die sich dazu entschließt einem Kind zu helfen, dass sie in der Verdachtsphase alleine dasteht. Sie muss es ertragen, dass das Kind zu Hause zunächst erst einmal weiter missbraucht wird.141 Werden Lehrer konkret mit einem Verdachtsfall konfrontiert, kommt häufig ein Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht auf, selbst wenn die Lehrkraft gut informiert ist und über gute Kenntnisse der Intervention verfügt. Im direkten Verdachtsfall können sich auch Lehrkräfte kaum vorstellen, dass so etwas 139 vgl. Braecker, S. (1994): S.54ff a.a.0: S. 57 141 vgl. Wegener, W. (1997): S.165ff 140 76 wirklich passiert, besonders dann nicht, wenn der potentielle Täter ein angesehener, liebevoller Vater ist. Es entsteht eine Mischung aus Unglaube und Bestürzung. Die vorige bloße theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema bietet keine Sicherheit für einen konkreten Fall. Wie gehe ich nun tatsächlich mit dem Opfer/ mit den Eltern um? Ganz wichtig für eine Lehrkraft in einem Verdachtsfall ist es, Ruhe zu bewahren und sich die Zeit zu nehmen, sich Gedanken darüber zu machen, ob sie sich wirklich in der Lage fühlt, den Schüler in dieser Situation zu begleiten und zu unterstützen. Dabei spielt auch das eigene Verhältnis zu dem Schüler eine Rolle. Kann die Lehrkraft den Schüler womöglich nicht so gut leiden, ist keine Basis für eine gute Unterstützung gegeben. Auch die realistische Einschätzung der eigenen zur Verfügung stehenden Zeit sollte berücksichtigt werden. Hat eine ein Schüler ein Vertrauensverhältnis aufgebaut und die Lehrkraft zieht sich dann zurück, weil sie an ihre eigenen Grenzen kommt, kann das für den betroffenen Schüler sehr belastend sein. Fühlt sich die Lehrkraft nicht in der Lage zu helfen, sollte sie sich darum bemühen eine andere Lehrperson zu finden, die dies übernimmt. Besonders Ruhe zu bewaren ist daher so wichtig, weil das Thema enorme emotionale Reaktionen auslöst und Helfer so schnell wie möglich etwas tun wollen, weil die Vorstellung was dem Kind gerade passiert unerträglich erscheint. Häufig wird überstürzt reagiert, was eher Schaden anrichten kann, als dass es dem betroffenen Kind hilft.142 Hat sich die Lehrkraft entschlossen dem Kind zu helfen und es zu unterstützen, ist es von erster Notwendigkeit sich selbst Hilfe zu holen ohne dabei direkt das Jugendamt mit der Vermutung zu konfrontieren. Denn das könnte, wie schon gesagt, in einer übereilten Reaktion schlimme Folgen haben. Da der konkrete Verdacht sehr viel Kraft fordert, sollte die Lehrkraft mit Kollegen über ihre Gefühle sprechen. In Beratungsstellen, die sich auf das Thema „Sexueller Missbrauch“ spezialisiert haben, wird Hilfe geboten. Zum einen für die Lehrkraft selber, zum anderen aber auch Beratung, welche 142 vgl. Born, M. (1994): S.57ff 77 Schritte sinnvoll sind, um dem Kind zu helfen.143 Die Konfrontation mit dem Thema stellt meistens eine sehr hohe Belastung dar, in der Fachleute eine große Unterstützung bieten. Gibt es vor Ort keine spezielle Beratungsstelle, kann man sich an andere Beratungsstellen, wie z.B. Pro Familia, Erziehungsberatungsstellen oder den Kinderschutzbund wenden. Wie diese Hilfe oder Zusammenarbeit aussehen kann, möchte ich im nächsten Kapitel erläutern. 5.3.3.2. Zusammenarbeit mit Institutionen Zunächst sollte mit der Beratungsstelle ein ausführliches Gespräch stattfinden. Dafür sind die zuvor gesammelten Dokumentationen von Verhaltensaufälligkeiten, Bildern oder Gesprächen sehr nützlich. 144 Der Name des Kindes bleibt zunächst anonym. Meiner Meinung nach bieten unabhängige Beratungsstellen den Vorteil, dass sie nicht verpflichtet sind Strafanzeige zu erstatten. Genauso sind sie nicht befugt, ein Kind aus der Familie herauszunehmen. Beratungsstellen wie Violetta können beratend zur Seite stehen und machen keine Angst. Denn viele Familien stehen dem Jugendamt ängstlich gegenüber, weil sie Angst haben, man könnte ihnen die Kinder wegnehmen. Mit der gewählten Beratungsstelle werden weitere Schritte überlegt. Es kann viel Zeit vergehen, ehe sich ein Verdacht bestätigt und das Kind sich der Vertrauensperson anvertraut. Wenn es zweifelsfrei feststeht, dass das Kind sexuell missbraucht wurde, muss alles sofort geschehen und gut vorbereitet sein. Vor einer Aufdeckung des Missbrauchs muss der Schutz des Kindes gewährleistet sein. Handelt es sich um den Vater als Täter, ist es dringend erforderlich, das Kind aus der Familie zu nehmen oder den Vater vom Kind zu trennen. Dafür muss das Jugendamt miteinbezogen werden. Nur das Jugendamt ist schließlich berechtigt, das Kind aus der Familie herauszunehmen. Der Einsatz der Aufdeckung wird vorher klar koordiniert. Wer redet mit dem Kind, wer redet mit der Mutter, wer spricht mit dem Täter? Wo kann das Kind untergebracht werden, wenn der Täter mit dem 143 144 vgl. Braecker, S. (1994): S.57 vgl. Born, M. (1994): S.61f 78 Kind unter einem Dach lebt? Die Mutter bekommt keine Informationen über das Telefon, sondern wird gebeten in die Schule zu kommen. Da die Mutter dem Kind unbewusst Botschaften vermitteln könnte, nicht darüber zu reden, darf sie bei dem Aufdeckungsgespräch nicht dabei sein. Damit sie aber glauben kann, was das Kind gesagt hat, bietet es sich an, das Gespräch über eine Videokamera aufzunehmen. Nach dem Aufdeckungsgespräch müssen Mutter und Kind zusammengebracht werden, damit das Kind weiß, dass die Mutter es weiß und dadurch auch mit ihr reden kann. Ganz wichtig ist, dass noch am selben Tag der Täter mit den Vorwürfen konfrontiert wird. Dabei gibt es keine allgemeingültige Vorgehensweise. Die Helfer der Beratungsstelle werden einen geeigneten Weg finden. Jeder Missbrauch ist anders und jeder Täter hat einen anderen Charakter. Handelt es sich bei dem Täter um den Vater, ist ein letzter Schritt ein Familienzusammentreffen als realitätsschaffendes Treffen. Denn hier darf das Kind zum ersten Mal die Realität als Realität wahrnehmen und kann so erfolgreich an einer Therapie teilnehmen.145 Nach einer Konfrontation mit dem Täter sollte das Kind unbedingt außer Reichweite des Täters bleiben. Denn dieser könnte ansonsten das Kind dazu zwingen, seine Aussage zurückzunehmen. Dem Täter können nun Therapievorschläge gemacht werden, denen er nachkommen kann. Zeigt der Täter Therapiebereitschaft und unterzieht sich dieser, ist ein Zusammenleben nach erfolgreich abgeschlossener Therapie nicht ausgeschlossen. Während der Therapie muss aber die räumliche Trennung zwischen Opfer und Täter gewahrt sein, denn es tauchen immer wieder Fälle auf, in denen der Täter selbst während einer Therapie das Kind weiter missbraucht und dabei seine Drohungen verschärft. Widersetzt sich der Täter einer Therapie, besteht keine Möglichkeit die Familie zu erhalten. Die Gefahr, dass der Missbrauch sich fortsetzt ist zu groß. In diesem Fall hat die Mutter zwei Möglichkeiten: entweder trennt sie sich von ihrem Partner und dieser verlässt die Familie oder den Eltern wird das Sorgerecht für das Kind entzogen und dieses aus der Familie genommen. Die letztere Möglichkeit wäre in jedem Fall die schlechtere, da das Kind das 145 vgl. Wegener, W.(1997): S.180ff 79 Gefühl bekommt, jetzt doch für den Missbrauch bestraft zu werden und in ein Heim kommt, genauso wie es der Täter vielleicht vorher prophezeit hat, wenn es etwas verrät. Hält die Mutter zu ihrem Kind, kann es in seiner gewohnten Umgebung bleiben und soziales Umfeld, Mutter und eventuelle Geschwister bleiben erhalten, was eine wesentlich bessere Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie des Kindes darstellt.146 5.3.3.3. Kontaktaufnahme mit dem Opfer Vertraut sich das Kind nicht von sich aus der Lehrkraft an, sie sich aber sicher ist, dass das Kind ein Problem plagt, kann sie auf den Schüler zugehen und das Gespräch suchen. Hierbei ist leider nicht gegeben, dass das Kind sich der Lehrkraft vollständig öffnet. Aber die Lehrkraft kann dem Kind ihr Vertrauen entgegenbringen und ihm Mut machen. Sie sollte in dem Gespräch in jedem Fall ruhig bleiben, sehr behutsam sein, das Kind zu nichts drängen und dem Kind keine Worte in den Mund legen. Es ist wichtig, dem Kind zu vermitteln, dass es darüber reden darf, dass man das Problem kennt, es benennen kann, dass man ihm glaubt, dass es keine Schuld oder Verantwortung für das was passiert ist, trägt und dass sie zusammen eine Lösung finden werden.147 Die Lehrkraft sollte sich darüber im Klaren sein, dass sie vielleicht Dinge von dem Kind erfährt, die sie lieber nicht gewusst hätte und selber nicht wahrhaben möchte. Dinge, die bei ihr Wut, Ekel oder Angst um die psychischen Belastungen des Kindes auslösen. 148 Genauso muss sie sich darüber klar sein, dass sie dabei an ihre eigenen Grenzen und Abwehrmechanismen stoßen könnte. So kann sie diese Abwehrmechanismen und das Nichtwahrhabenwollen wahrnehmen und entsprechend darauf reagieren. Auf keinen Fall aber darf sie ihre Gefühle vor dem Kind offenbaren. Denn dann könnte es passieren, dass das Kind nicht mehr weitererzählt, um die Lehrkraft zu schützen. Sie muss dem Kind die ganze Zeit das Gefühl geben, dass sie die Situation unter Kontrolle hat. Das gibt dem Schüler Sicherheit. 146 vgl. Born, M. (1994).S: 73f vgl. a.a.O: S.62 148 vgl. Bayrisches Staatsministerium (2006): S.28 147 80 Hat die Lehrkraft sich entschlossen das Kind anzusprechen, sollte sie sich im Vorfeld genügend Zeit einräumen und einen geeigneten Raum suchen, in dem sie sicher ungestört sind. Der Klassenraum eignet sich nicht gut, da jederzeit jemand herein kommen könnte. Ein Elternberatungszimmer z.B. wäre ein passender Raum. Die Lehrkraft könnte den Schüler zu sich bitten, mit den Worten: „So, nun können wir beide ungestört miteinander reden. Hier wird uns bestimmt niemand stören, so dass wir in Ruhe Zeit füreinander haben.“149 Das eigentliche Gespräch könnte so eröffnet werden: „Du wunderst dich sicher, warum ich dich hier her gebeten habe. Du wirkst in letzter Zeit so traurig. Ich glaube, dass dich etwas bedrückt, worüber es dir schwer fällt zu sprechen.“150 Hier können jetzt auch beobachtete Äußerungen des Kindes oder Verhaltensänderungen behutsam mit in das Gespräch eingebaut werden. Wie z.B. „Du hast einmal die Bemerkung gemacht, dass (…). Daher vermute ich, dass (…). Hat dir jemand verboten darüber zu sprechen?“ Nach jeder Frage ist es wichtig darauf zu achten, dem Kind genügend Zeit zum antworten zu lassen. Denn für das Kind ist es sehr schwierig zu antworten und kostet viel Mut, auch wenn sie dem Lehrer vertraut und dieser sehr behutsam ist. Durch eine mögliche Frage wie: „Was glaubst du wird passieren, wenn du mir erzählst was dich bedrückt?“151 kann die Lehrkraft Informationen über den Schweregrad des Missbrauchs erhalten und erfahren womit der Täter dem Opfer droht. Viele Opfer glauben, dass nur ihnen so etwas passiert, daher ist es wichtig, dem betroffenen Kind zu vermitteln, dass man das Problem kennt und er nicht der einzige ist, dem so etwas passiert. Born (1994) geht in ihrem Buch darauf ein, wie die Lehrkraft sich in dieser Situation verhalten könnte. Sie sagt die Lehrkraft könnte erzählen, dass es Erwachsene gibt, die Kinder an Stellen anfassen, wo sie es nicht möchten, dass sie sich aber nicht trauen etwas zu sagen. Das Wissen, dass er nicht der einzige ist, dem so etwas passiert, macht den Kindern Mut sich weiter zu öffnen. Auch die Tatsache, dass die Lehrkraft die Dinge, die passiert sind benennen kann, kann für die den Schüler zur weiteren Öffnung sehr hilfreich sein. Viele Schüler finden noch nicht die richtigen Worte oder trauen sich nicht es auszusprechen, so kann die Lehrkraft 149 Born, M. (1994): S.63 ebd.: S.63 151 a.a.O.: S.64 150 81 durch Worte wie: „Du sagtest dein Vater fasst dich da unten an. Du meinst also, er hat dich an deiner Scheide berührt? Musstest du ihn auch schon am Penis berühren?“152 Der dem Schüler fällt es so leichter zu antworten und die Lehrkraft erhält konkrete Aussagen. Diese konkreten Aussagen des Kindes sind für die spätere Aufdeckung in der Zusammenarbeit mit Institutionen sehr wichtig. Ich allerdings sehe diese Vorgehensweise sehr kritisch. Die Lehrkraft legt dem Kind so schnell Worte in den Mund, die vielleicht gar nicht passiert sind. Gerade Kinder machen sich zu Fragen, die man ihnen stellt zunächst einmal passende Bilder dazu im Kopf und können anschließend vielleicht nicht mehr zwischen den Bildern im Kopf und der Realität unterscheiden. So könnte ein Kind schnell „Ja“ sagen, zu der Frage, ob es den Penis des Vaters anfassen musste, obwohl das vielleicht gar nicht der Fall war. Meiner Meinung nach, sollten diese intimen Details in der Hand der Fachkräfte der Institutionen und Therapeuten bleiben. Es ist nicht immer leicht alles zu glauben, was uns das Kind erzählt. Trotzdem ist genau dies ungeheuer wichtig. Die Kinder merken sofort, wenn man an ihren Aussagen zweifelt und durch Antworten wie: „Das ist ja unglaublich. oder Das musstest du wirklich machen?“ kann es sein, dass sich das Kind nicht mehr traut weiter zu erzählen was passiert ist. Steinhage (1989) macht auf einen weiteren Umstand aufmerksam, der es unter Umständen. erschwert, dem Betroffenen zu glauben: „So sind Jugendliche, die missbraucht werden nicht immer die lieben, zurückhaltenden Mädchen, sie sind zum Teil widerborstig, frech und lügen. Das sind ihre Überlebensstrategien, um die häusliche Situation durchstehen zu können. Jugendliche Mädchen lügen aber nicht, wenn sie über sexuelle Übergriffe durch Familienangehörige berichten.“153 Fast alle betroffenen Kinder haben Schuldgefühle. Hier gilt es diese auf keinen Fall zu verstärken, sondern deutlich zu machen, dass das Kind niemals Schuld an dem Missbrauch trägt. Mit Fragen wie: „Hast du den Penis in den Mund genommen?“ wird dem Kind eine aktive Rolle in dem Missbrauch unterstellt. 152 153 vgl. Born, M. (1994): S.63f Steinhage, R. (1989): Sexueller Missbrauch an Mädchen. S.71 82 Es muss darauf geachtet werden, dass so etwas nicht passiert. Diese Frage müsste lauten: „Musstest du den Penis in den Mund nehmen?“ Fragen, wie sie den Missbrauch so lange ausgehalten haben, oder warum sie sich denn nicht gewehrt haben, verstärken die Schulgefühle zusätzlich. Denn es kann sein, dass sie die Handlungen als angenehm empfunden haben oder den Täter trotz allem noch lieben, sich aber wünschen, dass der Missbrauch endlich aufhöre. Daher sollten Bewertungen über den Täter nicht ausgesprochen werden, sondern der Schüler unterstützt werden mit Worten wie: „Es ist nicht in Ordnung, was er mit dir macht und er hat kein Recht dazu.“154 Zum Ende des Gespräches macht der Lehrer dem Kind deutlich, dass sie gemeinsam nach Lösungen suchen werden. Dabei ist es wichtig dem Kind noch einmal zu versichern, dass nichts passieren wird, ohne dass das Kind darüber vorher Bescheid weiß. Allerdings darf er ihr, wie schon gesagt auch keine Versprechungen machen, die er nicht halten kann. Wichtig ist auch, dass das Kind am Ende noch einmal erfährt, wie gut und mutig es war, sich anzuvertrauen und das Geheimnis zu lüften. Der Lehrer muss in der folgenden Zeit immer im Kontakt mit dem Kind bleiben und ihm zeigen, dass sie immer für es da ist. 155 5.3.3.4. Das soziale Umfeld - Situation der Eltern Das soziale Umfeld spielt eine wichtige Rolle im Interventionsprozess, da die meisten Kinder nach einer Aufdeckung trotzdem im gewohnten Umfeld bleiben möchten. In Gesprächen mit dem Kind kann herausgefunden werden, wer eventuell helfen könnte. (Großeltern, Verwandte, Freunde …) Diese Tatsache stellt sich aber häufig gar nicht als so einfach heraus. Je nach der Nähe zum Täter oder ob er eine Autoritätsperson ist oder ob die Familie unter Umständen finanziell von ihm abhängig ist, sind die Reaktionen auf einen Missbrauch unterschiedlich.156 „Eltern, die vom Missbrauch ihrer Kinder erfahren, geraten meistens in eine schwere seelische Krise. Sie machen sich schwere Vorwürfe, weil sie den Missbrauch nicht bemerkt und das Kind nicht 154 vgl., Born, M. (1994): S.65f vgl. a.a.O.: S.67f 156 vgl. Bracker, S. (1991): S. 58 155 83 geschützt haben.“157 Am ehesten unterstützt eine Familie ein missbrauchtes Kind, wenn der Täter nicht aus der Familie kommt oder gar nicht erst bekannt ist. Es wird immer schwieriger, je näher die Familie mit dem Täter bekannt ist. Angefangen bei dem Busfahrer, bis zum Hausmeister oder Stadtrat, machen sich Eltern Gedanken:158 „Das ist ein angesehener Mann, wir kriegen nur Schwierigkeiten, gegen den kommen wir sowieso nicht an, was sagen die Nachbarn, wenn das bekannt wird? Das Kind hat doch schon genug mitgemacht, wollen wir es lieber schnell vergessen.“159 Ist die Familie vom Täter abhängig ist es noch schwieriger (Vermieter, Lehrer, Pastor…) Die Familie muss dem Druck standhalten, egal welche Konsequenzen die Familie davon tragen könnte. Am schwierigsten ist es, wenn der Täter aus dem engsten Familienkreis stammt. (Vater, Onkel, Opa. Stiefvater, Bruder…) Die Familie muss sich entscheiden und wird damit in einen inneren Konflikt gestürzt. Beide, Opfer und Täter sind Familienmitglieder, die zusammenhalten sollten. Hält die Familie zu dem Kind, ist ein Familienstreit unumgänglich und der Täter muss seine Strafe erhalten. Andererseits ist der Täter auch ein Familienmitglied und die Familie ist vielleicht sogar von ihm in irgendeiner Form abhängig. Zudem kann es sein, dass sich die Familienmitglieder für den Missbrauch schämen und unter keinen Umständen wollen, dass dieser in die Öffentlichkeit gelangt. Erscheinen die Konsequenzen für die Familie zu schwerwiegend, kann es sein, dass die Familie den Missbrauch verleugnet. Verleugnet die Familie den Missbrauch, werden sie immer damit leben müssen, dass die Familie ein Geheimnis plagt, über das in der Gesellschaft nicht geredet wird.160 Die Situation ist für die Mutter besonders schlimm, wenn der Täter der eigene Ehemann oder Partner ist. Mütter fühlen sich verletzt und betrogen. Sowohl vom Täter, als auch vom Kind, das sich ihnen nicht anvertraut hat. Dazu kommen Ängste, dass das Kind aus der Familie genommen wird und die Familie zerbricht.161 157 Bayrisches Staatsministerium (2006): S.30 vgl. Braecker, S. (1991): S.36ff 159 a.a.O.: S.38 160 vgl. a.a.O.: S.38f 161 vgl. Bayrisches Staatsministerium (2006): S.30 158 84 Institutionen stellen sich ganz andere Fragen im Hinblick auf die Mutter, vor allem, wenn der Missbrauch in der eigenen Familie stattfand. Wo liegt die Schuld der Mutter? Warum lässt eine Mutter so etwas zu? Wie kann es sein, dass sie den Missbrauch nicht bemerkte? Warum hat das Kind sich ihr nicht anvertraut? Hat sie den Missbrauch vielleicht sogar gewollt oder unterstützt? Viele Mütter haben Angst vor den Folgen, sie schauen weg, sie wollen kleine Anzeichen nicht wahrhaben und gehen ihnen deswegen gar nicht erst nach. Sie haben Angst um die Existenz ihrer Familie, erst recht, wenn sie vom Täter emotional oder finanziell abhängig sind. Sie wollen den Traum einer heilen Familie in einer heilen Welt nicht aufgeben und haben vielleicht sogar Angst ihr Leben ohne ihren Partner nicht gestalten zu können.162 Das Gespräch mit der Mutter findet erst nach der Offenbarung des Kindes statt. Dieses Gespräch sollte nicht von der Vertrauensperson des Kindes durchgeführt werden, sondern von einer anderen Lehrkraft oder einer Fachkraft der Beratungsstelle. Erfahrungen der Beratungsstellen zeigen, dass sich die Lehrkraft überschätzt, wenn sie glaubt, sie könnte Kind und Mutter gleichzeitig beraten und unterstützen. Denn die Gefühle des Kindes, vor allem gegenüber dem Täter sind andere als die Gefühle der Mutter. Beide müssen aber in ihren Gefühlen angenommen und akzeptiert werden. Im Vorfeld ist außerdem kaum auszumachen, auf wessen Seite sich die Mutter stellt. Stellt sie sich auf die Seite ihres Partners, kann die Lehrkraft unmöglich für beide Partei ergreifen und diese beraten. 5.3.4. Rechtliche Regelungen bei sexuellem Missbrauch „Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) haben Kinder „ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“ (§ 1631 Abs.2 Strafgesetzbuch).“163 Sexueller Missbrauch gilt hierbei auch als Form von Gewalt. Sexueller Missbrauch von Kindern ist strafbar (§ 176 Strafgesetzbuch). All diejenigen, die Verantwortung für Kinder tragen (Eltern, Einrichtungen, Vereine etc.) haben eine Schutzpflicht für die Kinder 162 163 vgl. Braecker, S. (1991): S. 40f Maywald, J. (2008): S.40 85 übernommen. Diese ist im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) unter „Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung“ beschrieben. Damit verpflichten sich alle Dienste und Einrichtungen für Kinder gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung zu erkennen und eine erfahrene Fachkraft (z.B. aus Erziehungs- und Familienberatungsstellen, Jugendamt) bei Verdacht hinzuzuziehen. Die Eltern sollen auf die Inanspruchnahme von Hilfe hingewiesen werden. Bei einer Fachkraft des Jugendamtes sollte die Beratung zunächst anonym erfolgen, um die Familie nicht vorschnell ohne dessen Wissen dem Jugendamt zu melden. Nur wenn die von den Familien angenommenen Hilfen nicht ausreichen um eine Gefährdung abzuwenden, muss das Jugendamt eingeschaltet werden.164 Die UN-Kinderrechtskonvention ist eine Übereinkunft der Vereinten Nationen über Kinderrechte und umfasst insgesamt 54 Artikel. Die in der UN-Kinderrechtskonvention niedergelegten Mindeststandards haben zum Ziel, die Würde, das Überleben und die Entwicklung aller Kinder auf der Welt sicherzustellen. In Deutschland wird versucht den Kindern ihre Rechte näher zu bringen. Artikel 19: „Der Staat hat die Pflicht, das Kind gegen jede Form der Misshandlung durch seine Eltern oder andere Betreuungspersonen zu schützen sowie entsprechende Vorbeugungs- und Behandlungsprogramme anzubieten.“165 Die Vereinten Nationen wollen die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Kinder, sie setzen sich ein, die Einhaltung der Kinderrechte zu überwachen. Zum Schutz für Kinder gibt es konkrete abgestufte Maßnahmen die bei einem Missbrauch in Betracht gezogen werden können. Dies kann von Kontaktsperren und Umgangsverboten bis hin zum Entzug des Sorgerechts gehen. Zuständig für solche Maßnahmen ist das Familiengericht. Bei getrennt lebenden Elternteilen, und der Vermutung, dass der andere Elternteil das Kind 164 165 vgl. Maywald, J. (2008): S.40 Deegener, G. (1998): S.208 86 misshandelt, kann das alleinige Sorgerecht beantragt und das Umgangsrecht entzogen werden.166 Strafanzeige: ja oder nein? Diese Frage stellen sich Eltern, die vom Missbrauch ihres Kindes erfahren. Denn die Entscheidung fällt nicht immer leicht. Eltern sorgen sich um ihr Kind und wollen es nicht zusätzlich belasten, andererseits gibt es keine andere Möglichkeit als die Strafanzeige, um den Täter zur Verantwortung zu ziehen. Die Strafanzeige kann bei jeder Polizeidienststelle aufgegeben werden. Sie kann nach dem Aufgeben nicht zurückgezogen werden, da Polizei und Staatsanwaltschaft ihrer uneingeschränkten Pflicht zur Strafverfolgung nachkommen müssen. Bei einer Strafanzeige sei wohl überlegt, ob das Kind den Belastungen des Verfahrens stand halten kann. 5.3.4.1. Das Strafverfahren Das Strafverfahren gliedert sich in Ermittlungsverfahren, Zwischenverfahren und Hauptverfahren. In dem Ermittlungsverfahren werden von der Staatsanwaltschaft alle erforderlichen Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts in Angriff genommen. Eingeleitet wird das Ermittlungsverfahren durch die Strafanzeige. Danach wird das Kind zunächst verhört. Das Kind hat nur dann ein Zeugnisverweigerungsrecht, wenn eine Verwandtschaft zum Täter besteht. Verweigert das Kind aber seine Aussage, haben die Beamten meist keine Beweismittel für den Missbrauch und das Verfahren würde eingestellt. Die Vernehmung wird in der Regel durch die Polizeibeamten möglichst kindgerecht, schonend und durch Spiele durchgeführt. Dennoch ist so eine Anhörung für ein Kind nie leicht, da das Erlebte wieder in Erinnerung gerufen wird und auch noch ausgesprochen werden muss. In der weiteren Ermittlung werden sachliche Beweismittel gesichert. Der beschuldigte Täter und weitere Zeugen werden vernommen. Je nach Fall, kann ein Haftbefehl für den Täter beantragt werden. Um die Glaubhaftigkeit des Kindes zu ermitteln erfolgt ein Gutachten eines Kinderpsychologen. Dieses Gutachten findet grundsätzlich in 166 vgl. Bayrisches Staatsministerium (2006): S.48 87 einer vertrauten Umgebung des Kindes statt. Der Kinderpsychologe hat so die Möglichkeit herauszufinden, ob das Kind die Belastung im Hauptverfahren überhaupt aushalten kann. Ein positives Gutachten kann als Druckmittel gegen den Täter verwendet werden. Gesteht er seine Tat, ist die Aussage des Kindes im Hauptverfahren meistens nicht mehr notwendig. Bei einem positiven Gutachten wird eine öffentliche Anklage erhoben und es kommt zum Gerichtsverfahren. Ein negatives Gutachten führt meistens zu einer Einstellung des Verfahrens. Im Zwischenverfahren geht die Verfahrensleitung auf das Gericht über, das bei Bejahung des hinreichenden Tatverdachts das Hauptverfahren eröffnet. Das Hauptverfahren ist der Kern des ganzen Strafverfahrens. Hier wird das Urteil gesprochen und der Täter damit für schuldig oder unschuldig erklärt. Sämtliche Beweise müssen im Hauptverfahren noch einmal aufgenommen werden. Die vorangegangenen Ermittlungen müssen mündlich von den Zeugen vorgetragen werden. Um dies dem Kind zu ersparen, wird es vor dem Hauptverfahren regelmäßig von dem Ermittlungsrichter vernommen.167 „Die Hauptverhandlung gliedert sich in - den Aufruf der Sache (Belehrung des Zeugen etc.), - die Vernehmung des Angeklagten zur Person, - die Verlesung des Anklagesatzes, - die Vernehmung des Angeklagten zur Sache (Schweigerecht des Angeklagten), - die Beweisaufnahme – hier findet die Vernehmung des Kindes (bis zum 14. Lebensjahr nur durch den Vorsitzenden), der übrigen Zeugen und die Erstattung etwaiger Gutachten statt, - die Plädoyers, - das Schlusswort des Angeklagten, - die Urteilsverkündung (nach Beratung)“168 167 168 vgl. Braecker, S.(1991): S.69ff Braecker, S. (1991); S.73 88 5.3.5. Zusammenfassender Überblick der Intervention Es gibt sicherlich kein Patentrezept, wie man bei einem Verdacht auf einen Missbrauch vorgehen sollte. Dennoch habe ich einige wichtige Verhaltensweisen an die man sich halten sollte, dargestellt. Da die Intervention bei sexuellem Missbrauch sehr umfangreich ist, möchte ich im Folgenden einen kurzen zusammenfassenden Überblick über die Vorgehensweise beim sexuellen Missbrauch geben. - Der Verdacht entsteht – weiteres Beobachten, Vertrauen zu dem Kind aufbauen ! -Der Verdacht verhärtet sich – Auffälligkeiten, Gespräche mit Datum aufschreiben - Gesprächsbereitschaft zeigen – Kind kommt von sich aus oder Gespräch suchen ! Ruhig bleiben, Kind zu nichts drängen, keine Worte in den Mund legen. ! Klar über eigene mögliche Abwehrmechanismen sein - Zusammenarbeit mit Institutionen ! Sich beraten lassen im Hinblick auf sich selbst und auf Hilfemöglichkeiten für das Kind - Kontaktaufnahme mit den Eltern - Kontaktaufnahme mit dem Täter - Rechtliche Schritte einleiten, wenn das Kind dazu in der Lage ist. 6. Ausblick / Schlusswort Durch die intensive Beschäftigung mit dem Thema „Sexueller Missbrauch“ von Kindern und Jugendlichen ist mir dieses Problem mehr und mehr bewusst geworden. Die Tatsache, dass viele Kinder und Jugendliche jährlich missbraucht werden, erschreckt mich sehr. Sexueller Missbrauch ist eine der schlimmsten Formen der Gewalt an Kindern. Die Opfer sind meist zurückhaltende, schüchterne Mädchen mit wenig Selbstvertrauen und keinen oder wenigen Bezugspersonen. 89 Die Ursachen, warum Erwachsene oder Jugendliche zum Täter werden, sind nicht eindeutig geklärt. Kennzeichnend für den Täter sind aber ein schwaches Selbstwertgefühl, soziale Isolation oder eigene Gewalterfahrungen. Diese typischen Ursachen, die zu einem Missbrauch führen können, zeigen mir wieder, wie wichtig der frühzeitige Beginn der Prävention in der Grundschule ist, am besten sogar schon im Kindergarten bzw. noch früher im Elternhaus. Wir müssen unsere Kinder in ihrer Persönlichkeit stärken und sie zu selbstsicheren Persönlichkeiten erziehen. Hinweise gibt es eine Reihe, auch wenn sie nicht immer auf einen Missbrauch zurückzuführen sind und dementsprechend vorsichtig betrachtet werden müssen. Die Folgen für die missbrauchten Opfer sind verheerend. Es gibt Missbrauchsopfer, die lebenslang durch die Missbrauchserfahrungen geprägt und damit auch geschädigt sind. Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass über die Problematik nicht geschwiegen werden darf. Viele Lehrer sind mit dieser Problematik und dem Falle eines Missbrauchs in ihrer Klasse überfordert. Dies darf meiner Meinung nach nicht so sein. Nach der Erkenntnis, dass statistisch gesehen auf jede Klasse ein missbrauchtes Kind kommt, müsste das Thema „Sexueller Missbrauch“ im Hinblick auf Intervention und Prävention ein zentrales Thema der Lehrerausbildung sein. Die Frage danach, wie ich Missbrauch vorbeugen kann oder was ich unternehmen kann, wenn ich Missbrauch vermute, sollte von jedem Lehrer klar zu beantworten sein. Für solche, die ihr Studium bereits abgeschlossen haben und über die Thematik nicht informiert sind, sollte das Thema Prävention und Intervention von sexuellem Missbrauch ein zentraler Bestandteil ihrer Fortbildungen sein, so dass auch diese Lehrkräfte informiert sind. Zunächst müssten dazu natürlich die Fortbildungsangebote in diesem Bereich ausgebaut werden. Als besonders wichtig in der heutigen Zeit betrachte ich es, die Kinder zu schützen, indem wir frühzeitig das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl stärken, sowie die Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit fördern, wie z.B. in dem Projekt „Faustlos“. Denn wie schon gesagt nutzen alle kurzfristigen Präventionsprogramme nichts, wenn 90 nicht durch die alltägliche Erziehungshaltung vorbeugend gehandelt wird. Dies gilt im Bezug auf eine mögliche Opfer- aber auch Täterrolle. Zum Thema „sexueller Missbrauch“ reicht meiner Meinung nach eine kurze Information darüber, dass es Menschen gibt, die Dinge mit uns machen können, die wir nicht wollen, sowie die Information über „gute und schlechte“ Geheimnisse, und dass sie über alles mit uns Erwachsenen reden dürfen, besonders dann, wenn sie sich nicht wohl fühlen. Dabei sollte vermieden werden, den Kindern das Wort „Missbrauch“ in den Mund zu legen. Durch gezielte Präventionsprogramme, wie „Faustlos“ und Unterrichtseinheiten, wie die von Kiesewetter und Braun können unsere Kinder zu starken Persönlichkeiten heranwachsen, die erkennen können, was richtig und was falsch ist, was ihnen gut tut und was nicht. Es ist meiner Meinung nach das Wesentliche für ein präventives Verhalten, dass wir mit unseren Kindern offene Gespräche führen können und eine Gemeinschaft darstellen, in der sich alle wohl und respektiert fühlen. Alle präventiven Projekte in der Schule nutzen nichts, wenn die Werte und Normen einer sich respektierenden Gesellschaft nicht auch im Elternhaus umgesetzt werden. 91 7. Quellenverzeichnis Literatur Adams, C. & Fay, J. (1989). Ohne falsche Scham. Wie Sie Ihr Kind vor sexuellem Missbrauch schützen können. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Bange, D.; Deegner, G. (1996): Sexueller Missbrauch an Kindern. Hintergründe, Ausmaß, Folgen. Weinheim Bange, D.: 19992): Die dunkle Seite der Kindheit. Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen. Ausmaß – Hintergründe – Folgen. Köln. Volksblatt Verlag Bauernfeind, Y.; Schäfer, M. (1992): Die gestohlene Kindheit. Sexueller Missbrauch an Kindern. Die Tatsachen und Wege zur Bewältigung. München. Droemersche Verlagsanstalt Besten, B. (1995): Sexueller Missbrauch und wie man Kinder davor schützt. München. Becks Verlag Born, M. (1994): Sexueller Missbrauch – ein Thema für die Schule? Präventions- –und Interventionsmöglichkeiten aus schulischer Perspektive. Pfaffenweiler. Centaurus-Verlagsgesellschaft Böhmer, A.; Eggert, M.; Krüger, A. (1995): Unterrichtsideen. Fühlen, Wahrnehmen, Handeln. Materialien zur Prävention von sexuellem Missbrauch. Leipzig. Klett Verlag Braecker, Solveig; Wirtz-Weinrich, Wirma (1994): Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen. Handbuch für Interventions- und Präventionsmöglichkeiten. 4.Auflage. Weinheim: Beltz Verlag Braun, Gisela und Wolters, Dorothee (1991): Das große und das kleine Nein. Mühlheim an der Ruhr. Verlag an der Ruhr. 92 Braun, Gisela (2008): Ich sag NEIN! Arbeitsmaterialien gegen den sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen. Mülheim an der Ruhr. Verlag an der Ruhr Brockhaus, U./ Kohlshorn, M. (1993): Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen. Mythen, Fakten, Theorien. Frankfurt am Main. Campus Verlag Burger, Edith/ Reiter, Karoline (1997): Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Intervention und Prävention. Band 140, Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer Verlag Deegener, G. (1998): Kindesmissbrauch – erkennen, helfen, vorbeugen. Weinheim und Basel. Beltz Verlag Deegener, G.; Körner, W. (2005): Kindesmisshandlung und Vernachlässigung. Ein Handbuch. Göttingen. Hogrefe Verlag Dörsch, Manuela und Aliochin, Karin (1997): Gegen sexuellen Missbrauch – Das Handbuch zur Verdachtsklärung und Intervention. Nürnberg: Pantona Verlag Duden (Band5;2001): Das Fremdwörterbuch. Mannheim – Leipzig – Wien – Zürich. Dudenverlag Enders, Ursula ((2003): Zart war ich, bitter war´s. Handbuch gegen sexuellen Missbrauch. Köln: Kiepenheuer & Wirsch Verlag Fey, E. (1991): Möglichkeiten und Grenzen von Prävention – Bedeutung und Hintergründe von sexuellem Missbrauch. In: Büscher, U. u.a. (Hrsg.): Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Beiträge zu Ursachen und Prävention. 93 Kastner, H. (1998): Sexueller Missbrauch erkennen – helfen – vermeiden. Braunschweig. Westermann Verlag Kavemann, B. u.a. (1996): Nur keine Panik! Schulische Prävention von sexualisierter Gewalt gegen Mädchen und Jungen. Beiträge zur LehrerInnenfortbildung. Kiel. Hansadruck Kavemann, B.; Bundesverein zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Mädchen und Jungen e.V. (Hg.) (1997): Prävention. Eine Investition in die Zukunft. Ruhnmark. Donna Vita Verlag Kiper, Hanna (1994) Sexueller Missbrauch im Diskurs. Eine Reflexion literarischer und pädagogischer Traditionen. Weinheim: Deutscher Studien Verlag Klees, Katharina/ Friedebach Wolfgang (1997):Hilfen für missbrauchte Kinder. Interventionsansätze im Überblick. Weinheim und Basel: Weltz Verlag Koch, Helmut und Kruck, Marlene (2000): „Ich werd´s trotzdem weitersagen!“ Prävention gegen sexuellen Missbrauch in der Schule (Klassen 1-10). Theorie, Praxisberichte, Literaturanalysen, Materialien. Band 2; Münster: Lit Verlag Lercher, Lisa; Derler, Barbara; Höbel, Ulrike (1995): Missbrauch verhindern. Handbuch zu präventivem Handeln in der Schule. Wien. Wiener Frauenverlag Marefka/ Nauck (1993): Handbuch der Kindheitsforschung. Berlin. Luchterhand Verlag Marquardt-Mau, B. Kindesmisshandlung. (1995): Schulische Grundlagen, Prävention Rahmenbedingungen, Modelle. Weinheim und München. Juventa Verlag 94 gegen sexuelle Bausteine und May, A. (1997): Nein ist nicht genug. Prävention und Prophylaxe. Inhalte, Methoden und Materialien zum Fachgebiet Sexueller Missbrauch. Ruhnmark. Donna Vita Verlag Pro Familia (2008): Mein Körper gehört mir! Schutz vor Missbrauch für Kinder ab 5. Bindlach. Loewe Verlag Staudinger, U. (1999): Ich gehör nur mir. Sexuelle Übergriffe erkennen und abwehren lernen. Linz. Veritas Verlag Steinhage, Rosemarie. (1989): Sexueller Missbrauch an Mädchen: Ein Handbuch für Beratung und Therapie. Reinbek bei Hamburg: Rowolt Verlag Steinhage, Rosemarie (1992): Sexuelle Gewalt – Kinderzeichnungen als Signal. Reinbek bei Hamburg, Rowolt Verlag Ulonska, H.; Koch, H. (1997). Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen. Ein Thema der Grundschule. Bad Heilbrunn: Klinkhardt Verlag Wegener, Wolfgang. (1997): Misshandelte Kinder. Grundwissen und Arbeitshilfen für pädagogische Berufe. Weinheim und Basel. Beltz Verlag Wirtz, U. (1989): Seelenmord. Inzest und Therapie. Zürich. Kreuz-Verlag Zeitschriftenartikel: Kiesewetter, Iris. (2004). Sexuellem Missbrauch vorbeugen. Ein Artikel aus Grundschule 2/2004, S.54-59 Krüger, A. (2008): Stern-Artikel: Sexueller Missbrauch „Eine Narbe wird immer bleiben“ aus www.stern.de 95 Lache, A. (2008): Stern-Artikel: Sexueller Missbrauch „Er hat meine Kindheit zerfetzt“ Heft 45/2008 Maywald, J.: Kinder in Krisen. Teil 4 – Sexueller Missbrauch. Wenn Erwachsene Grenzen missachten. In: Kindergarten heute. Fachzeitschrift für Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern (1/2008), S. 35-40 Moers, E. (1998). „Das kleine Drachenmädchen“. Präventionsarbeit zur Thematik „Sexueller Missbrauch“ Praxis Grundschule Heft 3/1998, S.31-34 Informationsbroschüren: Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen. Handeln Statt Schweigen. Informationen und Hilfe bei sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche (2006) IGK Initiative gegen Kindesmissbrauch. Auch wir unterstützen den KAMPF gegen Kindesmissbrauch. Oberhausen. (2008) BZgA Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Über Sexualität reden… Ein Ratgeber für Eltern zur kindlichen Sexualentwicklung zwischen Einschulung und Pubertät. Köln (2007) BZgA Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Über Sexualität reden… Ein Ratgeber für Eltern zur kindlichen Sexualentwicklung in der Pubertät. Köln (2008) 96 Internetadressen: http://www.amyna.de/institut/inst_bildung_teamfortbildungen.html#schulalltag http://www.aufrecht.net/utu/praevention.html (Stand 06.08.2009) http://www.bka.de/profil/faq/recht.html (Stand: 31.08.2009) http://bundesrecht.juris.de/sgb_8/__8a.html (Stand: 31.08.2009) http://dejure.org/gesetze/BGB/1631.html (Stand: 31.08.2009) . www.dunkelziffer.de (Stand: 24.08.2009) Bundeskriminalamt Wiesbaden (2007): Gewalt gegen Kinder. Gewalt von Kindern in Deutschland. Zusammenstellung von Daten aus der polizeilichen Kriminalstatistik. 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In: http://www.stoppkindsmissbrauch.li/bilder/330.pdf (Stand: 20.07.2009) http://vedab.nibis.de/veran.php?vid=32814 (Stand: 04.09.2009) http://www.violetta-hannover.de/5/Home_.html (Stand: 04.09.2009) www.wildwasser.de (Stand: 01.08.2009) www.zartbitter.de (Stand: 01.08.2009) 98 8. Anhang 8.1. Auszüge aus den Gesetzbüchern § 1631 Bürgerliches Gesetzbuch Inhalt und Grenzen der Personensorge (1) Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. (2) Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. (3) Das Familiengericht hat die Eltern auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge in geeigneten Fällen zu unterstützen. (Aus: http://dejure.org/gesetze/BGB/1631.html) § 173 Strafgesetzbuch: Beischlaf zwischen Verwandten (1) Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen. (3) Abkömmlinge und Geschwister werden nicht nach dieser Vorschrift bestraft, wenn sie zur Zeit der Tat noch nicht achtzehn Jahre alt waren. (Aus: http://dejure.org/gesetze/BGB/173.html) §176 Strafgesetzbuch: Sexueller Missbrauch von Kindern (1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. 99 (2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen lässt. (3) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen. (4) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt, 2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach Absatz 1 oder Absatz 2 mit Strafe bedroht ist, 3. auf ein Kind durch Schriften (§ 11 Abs. 3) einwirkt, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder einem Dritten vornehmen oder von dem Täter oder einem Dritten an sich vornehmen lassen soll, oder 4. auf ein Kind durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch entsprechende Reden einwirkt. (5) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach den Absätzen 1 bis 4 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet. (6) Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz 4 Nr. 3 und 4 und Absatz 5. (Aus: http://www.bka.de/profil/faq/recht.html) Auszug aus dem Kinder- und Jugendschutzgesetz § 8a Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung (1) Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte abzuschätzen. Dabei sind die Personensorgeberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche einzubeziehen, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. Hält das Jugendamt zur Abwendung der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig, so hat es diese den Personensorgeberechtigten oder den Erziehungsberechtigten anzubieten. (2) In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, die Leistungen nach diesem Buch erbringen, ist sicherzustellen, dass deren Fachkräfte den Schutzauftrag nach Absatz 1 in entsprechender Weise wahrnehmen und bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos eine insoweit erfahrene Fachkraft hinzuziehen. Insbesondere ist die Verpflichtung aufzunehmen, dass die Fachkräfte bei den Personensorgeberechtigten oder den 100 Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, wenn sie diese für erforderlich halten, und das Jugendamt informieren, falls die angenommenen Hilfen nicht ausreichend erscheinen, um die Gefährdung abzuwenden. (3) Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen; dies gilt auch, wenn die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken. Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen. (4) Soweit zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwerden anderer Leistungsträger, der Einrichtungen der Gesundheitshilfe oder der Polizei notwendig ist, hat das Jugendamt auf die Inanspruchnahme durch die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten hinzuwirken. Ist ein sofortiges Tätigwerden erforderlich und wirken die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten nicht mit, so schaltet das Jugendamt die anderen zur Abwendung der Gefährdung zuständigen Stellen selbst ein. (Aus: http://bundesrecht.juris.de/sgb_8/__8a.html) 101