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Konfigurale Gesichtswahrnehmung im jüngeren und älteren Erwachsenenalter Configural face perception by younger and older adults Bachelorarbeit Johannes-Gutenberg Universität Mainz FB 02 – Sozialwissenschaften, Medien und Sport Psychologisches Institut, Abteilung Entwicklungspsychologie Vorgelegt von: Julia Katharina Müller Matrikelnummer: 2682015 E-Mail: [email protected] 1.Gutachterin: Dr. Bozana Meinhardt-Injac 2.Gutachterin: Annette Otto Ph.D. Mainz im Juli 2014 Abstract Die holistische Gesichtswahrnehmung über die Lebensspanne ist bislang relativ dürftig erforscht. Zudem kommen unterschiedliche Autoren zu konträren Ergebnissen. Aufgrund dessen ist die Frage wie sich die konfigurale Verarbeitung von Gesichtern über die Lebensspanne verändert Gegenstand dieser Bachelorarbeit. Zur Beantwortung wurden zwei Gruppen von Versuchsteilnehmern, jüngere Erwachsene (Altersdurchschnitt (Altersdurchschnitt 65,3 Jahre), 23,4 Jahre) miteinander und ältere verglichen. Versuchsteilnehmer Die Aufgabe des vorliegenden Experiments bestand darin, zwei hintereinander präsentierte Gesichter miteinander zu vergleich und zu entscheiden, ob sie bezüglich ihrer internen Merkmale (Augen, Augenbrauen, Nase, Mund) gleich oder ungleich waren. Die externen Merkmale (Haare, Kopf, Gesichtsform) konnten dabei gleich oder unterschiedlich sein, sollten aber von den Versuchsteilnehmern nicht beachtet werden. Zur Konzipierung des Experiments wurde das „Context-Congruency Paradigma“ (vgl. Meinhardt-Injac, 2013; Meinhardt-Injac, Persike & Meinhardt, 2010; 2011a; 2011b) angewandt. Außerdem wurde das Stimulusmaterial entweder unbearbeitet gezeigt oder so manipuliert, dass nur noch niedrige Ortsfrequenzen zu sehen waren. Bei niedriegen Ortsfrequenzen wird die merkmalsbasierte Verarbeitung minimiert während die holistische Verarbeitung verstärkt wird (Goffaux & Rossion, 2006). Es konnte ein Leistungsrückgang in der Gruppe der älteren Versuchsteilnehmer festgestellt werden, wobei dies keinen Einfluss auf die holistische Verarbeitung hat. Somit stellt dieses Defizit zwar einen allgemeinen Rückgang in der Effizienz von Verarbeitungsmechanismen dar, die holistische Verarbeitung ist aber altersinvariant nachweisbar. Es konnte zudem bei separater Analyse der einzelnen Altersgruppen gezeigt werden, dass die erwarteten Effekte bezüglich der Indikatoren für holistische Wahrnehmung (Kontext- und Orientierungseffekte) in beiden Gruppen auftreten. Ältere Erwachsene zeigen aber eine stärkere Anfälligkeit für Orientierungseffekte. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass mit steigendem Alter die merkmalsbasierte Verarbeitung fehleranfälliger wird. Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung .............................................................................................................................. 1 2. Methode ................................................................................................................................ 8 2.1. Untersuchungsdesign ..................................................................................................... 8 2.2. Versuchsteilnehmer ....................................................................................................... 10 2.3. Stimuli .............................................................................................................................. 10 2.4. Technische Ausstattung ............................................................................................... 10 2.5. Versuchsablauf............................................................................................................... 11 3. Ergebnisse ......................................................................................................................... 12 4. Diskussion .......................................................................................................................... 15 Quellenverzeichnis ................................................................................................................ 20 Erklärung für schriftliche Prüfungsleistungen .................................................................... 24 Bachelorarbeit von Julia Katharina Müller Im Spiegel des Wassers erkennt man sein Gesicht Im Spiegel seiner Gedanken erkennt der Mensch sich selbst. Bibelzitat 1. Einleitung Die Fähigkeit, menschliche Gesichter wahrzunehmen Emotionen, Alter, oder Geschlecht daraus zu und soziale Signale wie lesen, ist eine essentielle Voraussetzung zur sozialen Interaktion (Beauchchamp & Anderson, 2010). Die Expertise zur Gesichtserkennung wurde schon oft in experimentellen Studien gezeigt und gilt als spezifische menschliche Fähigkeit. In einer bekannten Studie konnten Bahrick, Bahrick und Wittlinger (1977) zum Beispiel nachweisen, dass Studienteilnehmer auch nach fünfzehn Jahren neunzig Prozent ihrer ehemaligen Klassenkameraden erkennen konnten. Damit ist die Fähigkeit zur Gesichtserkennung eine sehr stabile Eigenschaft. Sie ist nur marginal durch Veränderungen, die zum Beispiel aufgrund von Alterungsprozessen oder durch die Veränderung in einzelnen Merkmalen (z.B. Frisur oder Brille) beeinflussbar. Das Fusiforme Gesichtsareal, kurz FFA (fusiform face area), das im Fusiforme Gyrus (Brodmannareal 37) angesiedelt ist, kann als spezialisierte Region für die Verarbeitung von menschlichen Gesichtern in fMRI Studien lokalisiert werden (Puce, Allison, Gore, & McCarthy, 1995; Kanwisher, McDermott & Chun, 1997). Bei der Betrachtung von Gesichtern werden zudem für die Gesichtsverarbeitung spezialisierte Gehirnareale aktiviert. Die ERP Komponente N170 reagiert deutlich schneller und stärker auf Gesichtsstimuli im Vergleich zu anderen Objekten (Itier & Taylor, 2004). Der Mensch ist also ein Experte in der Wiedererkennung von Gesichtern (Diamond & Carey, 1986), was sich auch in der Nutzung spezialisierter Verarbeitungsmechanismen zeigt. Jedoch stellt sich die Frage, ob es in Bezug auf die Gesichtswahrnehmung zu Veränderungen über die Lebensspanne kommt. Die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigt sich genau Gesichtswahrnehmung in mit dieser jungen Frage: und was älteren sind die Lebensjahren? Merkmale Und der welche Mechanismen werden zur Verarbeitung von Gesichtern verwendet? Um diese Fragen zu beantworten, werden zunächst die weit anerkannten Fakten über die 1 Konfigurale Gesichtswahrnehmung bei jüngeren und älteren Erwachsenen Gesichtswahrnehmung diskutiert. Außerdem werden bisherige kontroverse Befunde über die Gesichtswahrnehmung im späten Erwachsenenalter erläutert. Die Wahrnehmung und Erinnerung von Gesichtern ist eine wichtige soziale Kompetenz. Dabei gilt die Veränderung der Leistung bei der Gesichtserkennung oder dem Vergleich von Gesichtern während der Kindheit und Adoleszenz als relativ gut exploriert ist, auch wenn die Befunde nicht unumstritten sind (siehe Review von Crookes & McKone, 2009). Es gilt als erwiesen, dass sich die Gesichtswahrnehmung mit steigendem Alter verbessert (Meinhardt-Injac et al., 2011).Der aktuelle Forschungsstand weist darauf hin, dass Kinder andere Informationen zur Verarbeitung von Gesichtern nutzen, als Erwachsene. Sie achten verstärkt auf einzelne Merkmale (z.B. Haarfarbe), wenn die Wiedererkennung von Gesichtern gefragt ist. Erwachsene dagegen werden kaum durch solche Details beeinflusst (Diamond & Carey, 1986; Campbell, Walker & Baron-Cohen, 1995). Die Veränderung über die gesamte Lebensspanne ist relativ dürftig erforscht (Hildebrandt, Sommer, Herzmann & Wilhelm, 2010). Mit steigendem Alter lassen sich zunächst generelle kognitive Defizite feststellen. So sinkt zum Beispiel die Fähigkeit zur selektiven Aufmerksamkeit (Nagel et al., 2011) oder es treten Defizite im Arbeitsgedächtnis auf (Strömer, Li, Heekeren & Lindenberger, 2013). Im Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Gesichtswahrnehmung lassen sich mit höherem Lebensalter Leistungseinbußen in Bezug auf die Fehleranfälligkeit und das Gesichtsgedächtnis feststellen (Hildebrandt et al., 2010; Hildebrandt, Wilhelm, Herzmann & Sommer, 2013). Die Fehleranfälligkeit älterer Erwachsener konnte durch die steigende „false alarm“ Quote nachgewiesen werden, bei der mit steigendem Alter die Anzahl der falsch positiv erkannten Gesichter in Identifikationsaufgaben ansteigt (Bartlett & Fulton, 1991). Grady und Craik (2000) weisen auf eine funktionale Plastizität der beteiligten Gehirnareale über die Lebensspanne hin und können nachweisen, dass selbst bei einfachsten Aufgaben ein Leistungsabfall im Alter feststellbar ist. Wilhelm et al. (2010) kommen dagegen zu dem Schluss, dass die Gesichtsverarbeitung, die in drei Bereiche eingeteilt wird: Gesichtswahrnehmung, Gesichtsgedächtnis und Geschwindigkeit der Gesichtskognition, altersinvariant bleibt. Insgesamt kann man daraus schlussfolgern, dass die Verarbeitungsmechanismen, die bei der Gesichtswahrnehmung relevant sind zwar über das Alter hinweg erhalten bleiben, aber weniger effizient werden. 2 Bachelorarbeit von Julia Katharina Müller Aufgrund der Vielzahl an Informationen, die ein Gesicht enthält, wie z.B. Alter, Aussehen, Geschlecht usw., trifft man eine Unterscheidung in merkmalsbasierte und konfigurale Informationen (Rhodes, 1988). Bei der merkmalsbasierten Verarbeitung werden die Merkmale des Gesichts als einzelne Komponenten wahrgenommen (Auge, Nase, Mund, Gesichtskontur etc.). Merkmalsbasierte Informationen werden zur Verarbeitung einfacher Objekte benötigt (z.B. „dieser Gegenstand ist ein Stuhl“), wohingegen konfigurale Informationen bei der Unterscheidung von komplexen Objekten herangezogen werden müssen, die alle die gleichen räumlichen Anordnungen haben (Diamond & Carey, 1986; Farah, Wilson, Drain & Tanaka, 1998). Um den Prozess der konfiguralen (holistischen) Wahrnehmung von Gesichtern näher zu explorieren, lassen sich drei Verarbeitungsstufen unterscheiden: „Verarbeitung erster Ordnung“, „holistische Verarbeitung“ und „Verarbeitung zweiter Ordnung“. Bei Verarbeitung erster Ordnung wird ein Gesicht aufgrund der spezifischen Anordnung der einzelnen Merkmale erkannt (zwei Augen über der Nase, die wiederum über dem Mund liegen). Im zweiten Schritt, der holistischen Verarbeitung, werden die einzelnen Gesichtsmerkmale zu einer einheitlichen Gestalt zusammengefügt. Als letztes werden bei der Verarbeitung zweiter Ordnung die spezifischen Abstände zwischen den einzelnen Gesichtsmerkmalen berücksichtigt. Diese subtilen Details und Unterschiede ermöglichen es, hunderte von Gesichtern voneinander zu unterscheiden (Maurer, Grand & Mondloch, 2002). Durch den Prozess der konfiguralen Verarbeitung wird die Extraktion einzelner Details deutlich erschwert, da das Gesicht als eine Gestalt wahrgenommen wird. Dieser Verarbeitungsmechanismus scheint bei der Wahrnehmung von Gesichtern für Erwachsene eine wichtige Rolle zu spielen. Eine überzeugende Demonstration dieses Phänomens bietet der „Composite Face Effect“ (Young, Hellawell & Hay, 1987). Beim Composite Effekt wird ein aus zwei unterschiedlichen Gesichtshälften zusammengefügtes Gesicht schlechter oder weniger fehlerfrei erkannt verglichen mit der Präsentation bei verschobenen Gesichtshälften oder alleine, ohne Distraktoren präsentierten Gesichtshälften. Dabei spielt die Beeinflussung durch die zuignorierenden Gesichtsmerkmale eine entscheidende Rolle (Young et al., 1987; Carey & Diamond, 1994; Hole, 1994). Young et al. (1987) schließen aufgrund dieses Phänomens, dass Gesichter über ihre einzelnen Merkmale hinaus zu einer Gestalt zusammengefügt werden und damit holistisch verarbeitet werden, wodurch es 3 Konfigurale Gesichtswahrnehmung bei jüngeren und älteren Erwachsenen schwierig wird, einzelne Teil zu ignorieren. Ein weiterer Nachweis für die holistische Gesichtswahrnehmung im Erwachsenenalter ist der „Part to Whole Effekt“, bei dem das ganze Gesichter (z.B. Larry) besser wiedererkannt wird, als isoliert präsentierte Teile eines Gesichts (z.B. Larry’s Nase). Somit gibt es einen Leistungsvorteil bei ganzheitlich präsentierten Gesichtern im Vergleich zu isoliert präsentierten Details. Dieser Effekt tritt allerdings nur auf, wenn die einzelnen Gesichtsmerkmale in der natürlichen Anordnung repräsentiert werden - sind sie durcheinander gewürfelt, sinkt die Leistung der Teilnehmer (Tanaka & Farah, 1993). Der Composite Effekt und der Part to Whole Effekt fungieren somit als Index für die holistische Verarbeitung (Konar, Bennet & Sekuler, 2013). Die geschilderten Leistungsunterschiede verschwinden jeweils, sobald die Gesichter invertiert präsentiert werden (Tanaka & Farah, 1993; Yin, 1969; Young et al., 1987). Dieses Phänomen wird „Face Inversion Effekt“ genannt. Es gilt als erwiesen, dass eine Erklärung dieses Phänomens die Änderung im Verarbeitungsprozesses ist. Bei auf dem Kopf stehenden Gesichtern wechselt die holistische zu einer merkmalsbasierten Verarbeitung (Freire, Lee & Symons, 2000; Yin, 1969; Young et al., 1987). Das bedeutet, dass die ganzheitliche Wahrnehmung von Gesichtsmerkmalen als eine Gestalt bei Inversion nicht mehr vorhanden ist und Gesichtsmerkmale als einzelne Teile verarbeitet werden, was zu einer erhöhten Fehleranfälligkeit und längeren Reaktionszeiten führt (Sinha & Poggio, 1996; Meinhardt-Injac et al., 2010). Zudem konnte nachgewiesen werden, dass bei Inversion vor allem die Verarbeitung zweiter Ordnung gestört ist (Leder & Bruce, 2000; Leder, Candrian, Huber & Bruce, 2001) Es stellt sich nun die Frage, ob der Unterschied in der Wahrnehmung von Gesichtern im Vergleich zu anderen Objekten gesichtsspezifisch ist oder aufgrund von Expertise zustande kommt. Diamond und Carey (1986) konnten zeigen, dass der Face Inversion Effekt bei Hundeexperten auch für Bilder von Hunden nachweisbar ist, was für Expertise sprechen würde. Als konträre Sichtweise sprechen die Ergebnisse von Tanaka und Farah (1993) dafür, dass die Gesichtswahrnehmung eine spezifische Eigenschaft ist. Sie konnten nachweisen, dass der Part to Whole Effekt nur bei Gesichtern und nicht bei Häusern auftritt. Insgesamt ist diese Debatte noch nicht endgültig geklärt, weshalb weitere Forschung notwendig sein wird. Ob nachgewiesenen Leistungseinbußen bei der Gesichtsverarbeitung im Alter auf einen allgemeinen altersbedingten Leistungsrückgang zurück zu führen sind oder 4 Bachelorarbeit von Julia Katharina Müller ob es sich um ein spezifisches Defizit in der holistischen Wahrnehmung handelt ist bislang noch nicht abschließend geklärt. Es gibt zwei Studien, die zu kontroversen Positionen kommen (Boutet & Faubert, 2006; Schwarzer, Kretzer, Wimmer & Jovancovic, 2010). Boutet und Faubert (2006) postulieren, dass holistische Gesichtswahrnehmung nicht durch zunehmendes Alter beeinträchtigt ist. Es wurden vergleichbare Gesichtsinversionseffekte in den Altersgruppen der jüngeren und älteren Erwachsenen gefunden. Dies lässt darauf schließen, dass die Verarbeitung zweiter Ordnung altersinvariant beeinträchtigt ist. Bei anderen Objekten konnte diese Stabilität nicht nachgewiesen werden, was für einen gesichtsspezifische Eigenschaft spricht. Zur Überprüfung der holistischen Gesichtswahrnehmungsleistung wurde das Composite Face Paradigma und das Part-Whole Paradigma angewandt. Für beide Altersgruppen konnte der Part-Whole Effekt nachgewiesen werden, während nur für die jüngeren Erwachsenen der Composite Effekt nchweisbar war (Boutet & Faubert, 2006). Auch wenn dies ein Hinweis auf ein Defizit in der holistischen Verarbeitung aufzeigen könnte, schließen die Autoren trotz der zweiseitigen Befunde und aufgrund methodischer Mängel insgesamt, dass die holistische Wahrnehmung von Gesichtern über das Alter hinweg stabil ist. Diese Ansicht steht im Gegensatz zu den Ergebnissen von Schwarzer et al. (2010). In der Studie wurde die merkmalsbasierte mit der holistischen Wahrnehmung über drei Altersgruppen (Kinder, jüngere und ältere Erwachsene) verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass die holistische Wahrnehmung über die Altersspanne zunächst von der Kindheit bis hin zum jüngeren Erwachsenenalter ansteigt und danach im älteren Erwachsenenalter wieder abnimmt. Komplementär zu diesem Befund steht die merkmalsbasierte Verarbeitung, die mit zunehmendem Alter weniger ausgeprägt ist und erst im höheren Erwachsenenalter wieder verstärkt genutzt wird. Außerdem zeigte sich, dass die präferierten Merkmale über die Altersspanne variieren. Während Kinder und jüngere Erwachsene mehr auf die internen Merkmale des Gesichts achten, verwenden ältere Erwachsene die externen Merkmale (Schwarzer et al., 2010). Die konträren Ergebnisse der beiden Studien erklären Schwarzer et al. durch die unterschiedlichen Aufgabentypen. Dabei schließen sie, dass bei älteren Erwachsenen die durchaus intakte holistische Verarbeitung bei anspruchsvolleren Aufgaben zu einer merkmalsbasierten Verarbeitung wechselt. Insgesamt kann kein allgemeiner Konsensus über den Prozess der Gesichtsverarbeitung gefunden werden. 5 Konfigurale Gesichtswahrnehmung bei jüngeren und älteren Erwachsenen Es wurde versucht dieses Defizit durch eine weitere Studie zu lösen. Meinhardt-Injac, Persike und Meinhardt (2014) untersuchten ebenfalls die Gesichtswahrnehmung über die Lebensspanne und setzten diese in Vergleich mit der Wahrnehmung anderer komplexer Objekte (Uhren). Die Ergebnisse der Studie stützen Boutet und Fauberts (2006) Schluss, dass die Verarbeitung von Gesichtern eine auf dieses Objekt beschränkte spezifische Eigenschaft ist, die über das Alter hinweg stabil bleibt (Meinhardt-Injac et al., 2014). Sie kommen zu diesem Ergebnis, da sie nachweisen konnten, dass es bei Uhren durchaus möglich war, irrelevante Informationen zu ignorieren – diese Fähigkeit bei Gesichtern aber versagte. In dem Experiment wurde das „Context-Congruency Paradigma“ verwendet (Meinhardt-Injac, 2013; Meinhardt-Injac, Persike & Meinhardt, 2010; 2011a; 2011b). Dadurch soll die perzeptuelle Interaktion zwischen externen (Haare, Ohren, Kopf und Gesichtskonturen) und internen (Auge, Augenbrauen, Nase, Mund) Gesichtsmerkmalen gemessen werden. Im Gegensatz zum bereits geschilderten Composite Face Paradigma werden die internen Gesichtsmerkmale nicht verändert, sodass die Stärke der Kontexteffekte zwischen äußeren und inneren Merkmale gemessen werden kann. Es gibt zunehmende Nachweise dafür, dass externe Merkmale einen starken Einfluss auf die Wahrnehmung interner Merkmale haben (Axelrod & Yovel, 2010; Meinhardt-Injac, Meinhardt & Schwaninger, 2009; Nachson, Moscovitch & Umilta, 1995; Veres-Injac & Schwaninger, 2009). Außerdem gilt es als erwiesen, dass die internen Merkmale für die holistische Verarbeitung salient sind (Henderson, Falk, Minut, Dyer & Mahadevan, 2001; Williams & Henderson, 2007). Meinhardt-Injac et al. (2010; 2011) konnten zudem nachweisen, dass der Context Congruency Effekt vor allem bei der Fokussierung interner Gesichtsmerkmale auftritt, was dafür spricht, dass diese vor allem für die holistische Gesichtswahrnehmung relevant sind. Nicht nur durch die Interaktion zwischen internen und externen Merkmalen lässt sich die holistische Wahrnehmung explorieren, sondern auch durch die Präsentation von Gesichtern mit verschiedenen Ortsfrequenzen. Gesichter werden beim Prozess der visuellen Wahrnehmung, als Luminanzgradienten verschiedener Ortsfrequenzen auf der Retina präsentiert (Hess, 2004). Es gibt Evidenz dafür, dass verschiedene Ortsfrequenzbereiche für unterschiedliche Gesichtsverarbeitungsprozesse relevant sind. Für den Prozess der holistischen Verarbeitung spielen niedrige Ortsfrequenzen (low spatial frequency, 6 Bachelorarbeit von Julia Katharina Müller LSF) zwischen 2-8 cycles per face width [c/fw] eine wichtige Rolle, wohingegen für die merkmalsbasierte Verarbeitung hohe Ortsfrequenzen (high spacial frequency, HSF) im Bereich von 8-32 c/fw relevant sind (Goffaux & Rossion, 2006; Goffaux, 2009). Auf Grundlage dieser Befunde wurde in dem vorliegenden Experiment der Vergleich zwischen Gesichtern mit niedrigen und vollen Ortsfrequenzen (full spatial frequency, FS) angetreten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die vorliegende Bachelorarbeit mit der Entwicklung der holistischen Gesichtswahrnehmung über die Lebensspanne beschäftigt. Für die Konstruktion des Experiments wurde das oben geschilderte Context Modulation Paradigma angewandt. Insgesamt ist mit einem Leistungsrückgang der älteren Versuchsteilnehmer zu rechnen. Außerdem ist anzunehmen, dass die Leistung in der Bearbeitung von LSFStimuli schlechter ist, als bei ungefilterten Gesichtern. Wenn die konfigurale Wahrnehmung von Gesichtern über das Alter hinweg stabil bleibt, ist anzunehmen, dass dieser Unterschied ebenfalls stabil nachweisbar ist. Dagegen kann ein Gruppenunterschied bezüglich der Stimulusbedingung einen Hinweis auf unterschiedlich starke holistische Verarbeitungsprozesse geben. Bezüglich der Indikatoren für holistische Wahrnehmung ist ein feststellbarer Inversions- und Kontexteffekt zu erwarten. Wenn die konfigurale Wahrnehmung von Gesichtern über das Alter hinweg stabil bleibt, ist anzunehmen, dass bei LSF-Stimuli die Leistung in den Bedingungen in denen die merkmalsbasierte Verarbeitung (inkongruenter Kontext und Inversion) die Wahrnehmung moduliert, stärker abfällt. Dabei sollte kein Unterschied zwischen den Altersgruppen feststellbar sein. Wenn es allerdings altersspezifische Unterschiede in der Gesichtswahrnehmung gibt, sollten sich die Ergebnisse zwischen jüngeren und älteren Erwachsenen unterscheiden. 7 Konfigurale Gesichtswahrnehmung bei jüngeren und älteren Erwachsenen 2. Methode 2.1. Untersuchungsdesign Für die Erhebung der Daten wurde ein Experiment mit unterschiedlichen Stimuli (Gesichter mit niedrigen Ortsfrequenzen / low spatial frequencies – LSF bzw. Gesichter mit vollen Ortsfrequenzen / full spatial frequencies – FS; siehe auch 2.3. Stimuli) durchgeführt, bei dem die Aufgabe jeweils darin bestand, auf die internen Merkmale des Gesichts zu achten. Interne Merkmale eines Gesichtes beziehen sich auf Augen, Augenbrauen, Nase und Mund, während externe Merkmale eines Gesichts Haare, Ohren, Kopf und Gesichtskontur beinhalten. Externe Merkmale sollten während des gesamten Experiments ignoriert werden. Das Experiment bestand aus zwei Teilen, wobei in einem FS und in dem anderen LSF Bilder präsentiert wurden. Den Teilnehmern wurden die Teile des Experiments in randomisierter Reihenfolge präsentiert. Jeder Teilnehmer durchlief alle Teile des Experiments. In beiden Teilen des Experiments wurde die kontextuale Übereinstimmung zwischen internen Übereinstimmung und externen bezieht sich Merkmalen dabei auf die manipuliert. Kontextuale Deckungsgleichheit zwischen beachteten und nicht beachteten Merkmalen in jedem Teil des Experiments (vgl. Axelrod & Yovel, 2010; 2011). Das bedeutet, dass in einem kongruenten Kontext (CC) zwei Stimuli eines Trials entweder vollkommen identisch (same-trial) oder vollkommen unterschiedlich (different-trial) waren. In diesen beiden Fällen macht es keinen Unterschied, ob der Teilnehmer auf die zu beachtenden internen Merkmale des Gesichts achtet oder auf die zu vernachlässigenden externen Gesichtsmerkmale. Die Ergebnisse sind im kongruenten Kontext identisch. Im inkongruenten Kontext (IC) sind die zwei Stimuli in den zu beachtenden internen Gesichtsmerkmale gleich und in den zu ignorierenden externen Gesichtsmerkmalen unterschiedlich (same-trial) oder umgekehrt, die zu beachtenden Gesichtsmerkmale sind Gesichtsmerkmale sind unterschiedlich gleich und (different-trial). die zu Daraus vernachlässigenden resultiert, dass im inkongruenten Kontext nur die zu beachtenden Merkmale anzeigen, ob es sich um einen gleich oder ungleich Trial handelt (siehe auch Fig. 1). 8 Bachelorarbeit von Julia Katharina Müller Beide Stimuli eines Trials werden entweder aufrecht oder invertiert (180° Rotation) präsentiert. Die Präsentationzeit der Stimuli betrug (D = {633} ms). Beide Stimuli-Typen (LSF, FS) wurden jüngeren und älteren Erwachsenen präsentiert. Für die Erhebung der Daten ergibt sich somit ein Messwiederholungsdesign, das zwei Altersgruppen (jüngere vs. ältere Erwachsene) x 2 Stimulus Typen (FS vs. LSF) x 2 Orientierungen (aufrecht vs. invertiert) x 2 Kontextbedingungen (CC vs. IC) beinhaltet. Als Gruppenfaktor fungiert die Altersgruppe, während Stimulus Typen, Orientierung und Kontextbedingungen Innersubjektfaktoren sind. Kongruenter Kontext Inkongruenter Kontext Fig.1. Abbildung zeigt Gesichtsstimuli der niedrigen Ortsfrequenzen (LSF) für kongruenten und inkongruenten Kontext. Im inkongruenten Kontext sind die Gesichter entweder komplett identisch (same trial) oder komplett unterschiedlich (different trial). Dahingegen sind im inkongruenten Kontext entweder nur die internen Merkmale (same trial) identisch oder die externen Merkmale (different trial). 9 Konfigurale Gesichtswahrnehmung bei jüngeren und älteren Erwachsenen 2.2. Versuchsteilnehmer Insgesamt haben 22 jüngere (7 männliche und 15 weibliche) Bachelor StudentInnen der Johannes-Gutenberg Universität Mainz an der Studie teilgenommen. Der Altersdurchschnitt lag bei 23,4 Jahren. Außerdem wurden für die Gruppe der älteren Erwachsenen 20 Personen (11 weibliche und 9 männliche) durch das ZWW Studieren 50+ an der Johannes-Gutenberg Universität rekrutiert. Dabei lag der Altersdurchschnitt bei 65,7 Jahren. Die Versuchsteilnehmer verfügten über normales oder korrigiertes Sehvermögen und berichteten einen unauffälligen neurologischen und psychischen Zustand. Die Teilnahme wurde nicht vergütet. Die Studenten/Innen erhielten eine Bescheinigung über abgeleistete Versuchspersonenstunden. 2.3. Stimuli Für die Gesichtsstimuli wurden vier männliche Schwarz-weiß-Fotografien verwendet, die unter standardisierten Bedingungen in einem Fotostudio aufgenommen wurden. Die Gesichter wurden in einem ¾ Winkel von der linken Gesichtshälfte aufgenommen. Um Bilder von der rechten Gesichtshälfte zu erhalten wurden anschließend die Bilder gespiegelt. Die Originale wurden mit Adobe Photoshop bearbeitet, um alle möglichen Kombinationen von internen und externen Merkmalen zu erhalten. Dafür wurden die internen Gesichtsmerkmale (Augen, Augenbrauen, Nase, Mund) in einem Oval ausgeschnitten und in die externen Gesichtsmerkmale der jeweils anderen Gesichter eingefügt. Durch die Erstellung aller möglichen Kombinationen von externen mit internen Merkmalen ergeben sich aus vier Originalbildern und 12 zusammengesetzten Bildern insgesamt 16 Gesichtsstimuli. Die zusammengesetzten Gesichter sind nicht als solche erkennbar und werden als natürliche Gesichter wahrgenommen. Für die Versuchsbedingung mit niedrigen Ortsfrequenzen wurden die 16 Stimuli so gefiltert, dass nur noch die Ortsfrequenzen von 9,8 c/fw vorhanden waren. 2.4. Technische Ausstattung Das Experiment wurde mit dem Programm Inquisit 3 runtime units durchgeführt. Die Stimuli wurden auf einem NEC Spectra View 2090 TFT Bildschirm mit einer Auflösung von 1280 x 1024 und einer Bildwiederholungsfrequenz von 60 10 Bachelorarbeit von Julia Katharina Müller Hz. präsentiert. Die Teilnehmer hatten einen Abstand von 70 cm zum Bildschirm, allerdings wurde keine Kinnstütze verwendet. Die Stimuli und auch die Masken hatten eine Auflösung von 300 x 400 Pixeln (Breite x Höhe). Dies entspricht einer Größe von 12 x 15 cm auf dem Bildschirm bzw. 9.7° x 12° Sehwinkel bei einer Blickdistanz von 70 cm. Die Teilnehmer gaben ihre Antworten mittels einer Computertastatur und erhielten über Kopfhörer akustisches Feedback. 2.5. Versuchsablauf Für das Experiment wurden die Teilnehmer instruiert, zwei nacheinander präsentierte Stimuli hinsichtlich ihrer internen Merkmale zu vergleichen und zu beurteilen, ob diese gleich oder ungleich waren. Zunächst wurde den Teilnehmern anhand von drei Beispiel Stimuli der Ablauf des Experiments erläutert. Außerdem durchliefen sie vor jedem Teil des Experiments einen Probedurchgang von 10 Trials. Nachdem sichergestellt wurde, dass der Teilnehmer die Aufgabe verstanden hatte, absolvierte er beide Teile des Experiments, die jeweils ca. 10 Minuten dauerten. Die Reihenfolge der Teilexperimente wurde randomisiert zugeteilt. Der zeitliche Ablauf eines Versuchstrials war wie folgt: Fixationsmaske (300 ms) – Blanko (100 ms) – erster Stimulus (633 ms) – Maske (350 ms) – Blanko (200 ms) – zweiter Stimulus (633 ms) – Maske (350 ms) – Blanko bis zur Eingabe der Antwort durch den Teilnehmer (siehe Fig.2). Nach jeder Antwort erhielt der Teilnehmer ein akustisches Feedback zur Selbsteinschätzung (vgl. Meinhardt-Injac et al., 2011a). Beide Teile des Experiments wurden mit einer kurzen Pause nacheinander absolviert. Fig.2. Zeitlicher Ablauf eines Versuchstrials. In diesem Fall wird eine inkongruente Bedingung (externe Merkmale gleich, interne Merkmale ungleich) mit FS Stimuli gezeigt. 11 Konfigurale Gesichtswahrnehmung bei jüngeren und älteren Erwachsenen 3. Ergebnisse Figur 3 zeigt die prozentuale Trefferrate für die zwei Ortsfrequenzbedingungen (FS vs. LSF) bei jüngeren und älteren Erwachsenen jeweils für kongruente und inkongruente Kontextbedingung und stellt somit einen Überblick über die aus der Studie gewonnenen Daten dar. Mittels einer ANOVA mit Messwiederholung wurden die erhobenen Daten in Statistica analysiert. Dabei dient das Alter (jüngere vs. ältere Erwachsene) als Gruppenfaktor, während die Variablen Kontextbedingung (inkongruent vs. kongruent), Orientierung (aufrecht vs. invertiert) und Stimulusmaterial (FS vs. LSF) als Innersubjektfaktoren fungieren. Alle vier Haupteffekte wurden höchst signifikant: Alter F(1,38) = 13,72, p < .001; Stimulusmaterial F (1,38) = 73,76, p < .001; Orientierung F (1,38) = 48,17, p < .001; Kontextbedingung F (1,38) = 188,65, p < .001. Jüngere Teilnehmer haben höhere Trefferraten als Ältere erreicht. Die Leistung in der Gesichtswahrnehmung ist insgesamt sowohl in der FS-Bedingung als auch bei aufrechter Präsentation besser. Weiterhin lassen sich signifikante Interaktionen zwischen: Orientierung und Alter: F (1,38) = 4,871, p < .05, Stimulusmaterial und Kontextbedingung: F (1,38) = 5,11, p < .05 und Orientierung und Kontextbedingung: F (1,38) = 20,201, p < .001 feststellen. Der Interaktionseffekt zwischen Stimulusmaterial und Alter wurde nicht signifikant: F (1,38) = 1,79, p > .5. Dies deutet darauf hin, dass ältere Erwachsene gleiche Informationen aus dem Gesicht enkodieren, wie jüngere Erwachsene. Es werden keine weiteren Interaktionen signifikant. Der LSD Fisher Post-Hoc Test hat gezeigt, dass der Gesichtsinversionseffekt in beiden Altersgruppen signifikant wird. Allerdings ist dieser Effekt im Vergleich zu der Gruppe der jüngeren Erwachsenen: p < .05, für die Gruppe der älteren Erwachsenen ausgeprägter: p < .001. Für jede Altersgruppe wurde zudem eine seperate einfaktoriellen ANOVA berechnet, um die einzelnen Effekte unabhängig von dem Alter zu betrachten. Dabei fungieren die Faktoren Stimulusmaterial (FS vs. LSF), Orientierung (aufrecht vs. invertiert) und Kontextbedingung (kongruent vs. inkongruent) als Innersubjektfaktoren. Tabelle 1 stellt einen Überblick über die gewonnen Ergebnisse dar. 12 Bachelorarbeit von Julia Katharina Müller Older adults Effekt Freiheitsgrade Younger adults F p Freiheitsgrade F p Stimulusmaterial Orientierung Kontext 1 (19) 1 (19) 1 (19) 29.271 32.334 96.213 .001*** .001*** .001*** 1 (19) 1 (19) 1 (19) 44.703 15.875 92.663 .001*** .001*** .001*** Stimulusmaterial x Orientierung 1 (19) 0.161 .693 1 (19) 0.062 .807 Stimulusmaterial x Kontext Orientierung x Kontext 1 (19) 1 (19) 0.513 10.419 .483 .004** 1 (19) 1 (19) 9.355 10.183 .006** .005** Stimulusmaterial x Orientierung x Kontext 1 (19) 4.437 .049* 1 (19) 0.010 .922 Tabelle 1. Ergebnisse der einfaktoriellen ANOVA jeweils für die Altersgruppe der jüngeren und älteren Erwachsenen. * statistisch signifikant (p < .05) ** statistisch hochsignifikant (p < .01) ***statistisch hochsignifikant (p < .001) Sowohl in der Gruppe der jüngeren als auch in der Gruppe der älteren Erwachsenen wurden alle Haupteffekte signifikant. Zudem ist die Interaktion zwischen Orientierung und Kontext vergleichbar. Daraus kann man schließen, dass sie beide Faktoren gegenseitig modulieren. Insgesamt kann man aufgrund der ähnlichen Ergebnisse beider Varianzanalysen sagen, dass die Effekte beider Altersgruppen vergleichbar sind. Zu beachten ist die Interaktion zwischen Stimulusmaterial und Kontext, die ausschließlich in der jungen Altersgruppe signifikant wird. Die Interaktion zwischen Stimulusmaterial, Orientierung und Kontext wird dagegen nur bei den älteren Versuchsteilnehmern signifikant. Der LSD Fisher Post-Hoc Test zeigt auf, dass sich die Verarbeitung sowohl von LSF- als auch von FS-Stimuli in der kongruenten Bedingung erwartungsgemäß signifikant zwischen invertierter und aufrechter Präsentation unterscheidet (p < .001). Im Gegensatz dazu kann nur für die LSFStimuli ein signifikanter Unterschied in der inkongruenten Bedingung zwischen invertierter und aufrechter Präsentation nachgewiesen werden (p < .001). Bei vollen Ortsfrequenzen lässt sich kein Unterschied bezüglich der Orientierung feststellen (p < .208). Bei der Einordnung dieser Ergebnisse in den Gesamtkontext ist zu beachten, dass sich die Leistung in der inkongruenten Bedingung unterhalb des Ratelevel von fünfzig Prozent befindet (vgl. Fig.3). 13 Konfigurale Gesichtswahrnehmung bei jüngeren und älteren Erwachsenen Fig. 3. Prozentuale Trefferrate für die zwei Ortsfrequenzbedingungen bei jüngeren und älteren Erwachsenen jeweils für kongruente und inkongruente Kontextbedingungen. 14 Bachelorarbeit von Julia Katharina Müller 4. Diskussion In der vorliegenden Bachelorarbeit sollte der Frage nachgegangen werden, wie sich die Gesichtswahrnehmung über die Lebensspanne verändert und ob die konfigurale Gesichtsverarbeitung über das Alter hinweg stabil bleibt. Dafür wurde mithilfe des Context-Congruency-Paradigmas (vgl. Meinhardt-Injac, 2013; MeinhardtInjac et al., 2010; 2011a; 2011b) ein Experiment konzipiert, bei dem die Versuchsteilnehmer jeweils zwei Gesichter anhand ihrer internen Merkmale als gleich oder ungleich beurteilen sollten. Die Bilder wurden entweder aufrecht oder invertiert präsentiert. Außerdem wurden die internen Merkmale des Gesichts entweder in einem kongruenten oder inkongruenten Zusammenhang zu den externen Gesichtsmerkmalen dargeboten. Die Versuchsteilnehmer, die in zwei Altersgruppen (jüngere Erwachsene, Altersdurchschnitt 23,4 Jahre vs. ältere Erwachsene, Altersdurchschnitt 65,7 Jahre) aufgeteilt wurden, durchliefen das Experiment zweimal, jeweils für Stimuli mit niedrigen Ortsfrequenzen und mit ungefilterten Gesichtern. Die Gruppe der jüngeren Erwachsenen schneidet unabhängig von den Ortsfrequenzbedingungen besser ab verglichen mit den älteren Erwachsenen. Insgesamt zeigen die Ergebnisse somit einen allgemeinen Leistungsrückgang über das Alter hinweg, was sich in der Anzahl der korrekten Antworten widerspiegelt. Aber ein altersinvarianter Haupteffekt des Stimulusmaterials weist darauf hin, dass im älteren Erwachsenenalter durchaus noch Informationen niedriger Ortsfrequenzen genutzt werden. Ein altersbedingter Unterschied in der Verarbeitung von niedrigen Ortsfrequenzen konnte somit widerlegt werden, was auf eine Stabilität der konfiguralen Verarbeitung über die Lebensspanne schließen lässt. Außerdem lassen sich bezüglich der Indikatoren holistischer Verarbeitung typische Effekte feststellen: schlechtere Leistung bei Inversion, im inkongruenten Kontext und in der LSF-Bedingung. Zudem kann festgehalten werden, dass sich die Indikatoren für holistische Verarbeitung, Kontext und Orientierung, gegenseitig modulieren, was in beiden Altersgruppen nachweisbar ist. Ein Hinweis auf einen vorhandenen Unterschied in der Nutzung von spezifischen Informationen zur Verarbeitung von Gesichtern lässt sich allerdings zwischen den Altersgruppen ausmachen. Jüngere Erwachsene weisen einen signifikanten Kontexteffekt bei Verarbeitung von Gesichtern unterschiedlicher 15 Konfigurale Gesichtswahrnehmung bei jüngeren und älteren Erwachsenen Ortsfrequenzen auf. Im Gegensatz dazu zeigen ältere Erwachsene eine stärkere Beeinflussbarkeit durch irrelevante Informationen in der LSF-Bedingung, die dazu führt, dass die Anzahl korrekter Antworten unterhalb des Ratelevels von fünfzig Prozent liegt. Mögliche Erklärungen für dieses Phänomen sollen im Folgenden diskutiert werden. Aufgrund des allgemeinen Leistungsrückgangs der älteren Versuchsteilnehmer ist zu diskutieren, ob dieser Befund durch schwindende Gesichtsverarbeitungsfähigkeiten zustande kommt oder durch eine verminderte kognitive Effizienz erklärt werden kann. Studien belegen, dass allgemeine kognitive Fähigkeiten im Alter sinken (vgl. Nagel et al., 2011; Strömer et al., 2013). Auch bei einfachen Gesichtsidentifikationsaufgaben lässt sich feststellen, dass die Fehleranfälligkeit zunimmt und die Gesichtsverarbeitungsgeschwindigkeit sinkt (Bartlett & Fulton, 1991; Hildebrandt et al., 2011; Hildebrandt et al., 2013). Hildebrandt et al. (2010), Gesichtswahrnehmung, Gesichtskognition die den Prozess Gesichtsgedächtnis einteilen, schließen der Gesichtsverarbeitung und aber, dass Geschwindigkeit die in der Gesichtsverarbeitung unabhängig vom Alter konstant bleibt. Die auftretenden Leistungsunterschiede spiegeln somit ein altersbedingtes Defizit in gesichtsspezifischen Verarbeitungsmechanismen wieder. Das vorliegende Experiment zeigt einen signifikanten Unterschied zwischen den Stimulusbedingungen, wobei ungefilterte Bilder fehlerfreier bearbeitet werden als LSF-Gesichter. Der Unterschied ist über das Alter hinweg stabil nachweisbar, weshalb geschlossen werden kann, dass die verfügbaren Informationen zur Verarbeitung von Gesichtern altersinvariant genutzt werden. In dem Zusammenhang ist es wichtig zwischen zwei Typen von Informationsverarbeitung zu unterscheiden. Niedrige Ortsfrequenzen, die die groben Konturen eines Gesichts darstellen sind dabei kritisch für die Verarbeitung konfiguraler Informationen, während HSF, die die feinen Details eines Gesichts abbilden für die merkmalsbasierten Informationen notwendig sind. Informationen niedriger Ortsfrequenzen werden im Gegensatz zu HSF im visuellen System sehr schnell verarbeitet (Goffaux & Rossion, 2006¸ Goffaux, 2009; Sergent, 1986). Obwohl bei der Verarbeitung konfiguraler Informationen LSF von Vorteil sind, enthalten sowohl HSF als auf LSF diese Informationen (Goffaux, Hault, Michel, Vuong & Rossion, 2005). 16 Bachelorarbeit von Julia Katharina Müller Der Befund von Goffaux et al. (2006), dass der holistische Verarbeitungsprozess in der LSF Bedingung durch Inversion stärker als bei ungefilterten Bildern gestört wird, wurde in der Literatur kritisch diskutiert und kann nicht bestätigt werden. Cheung, Richler, Palmeri und Gauthier (2008) bemerken in diesem Zusammenhang dass der in dieser Studie gefundene Unterschied in der Bewertung des Stimulusmaterials auch aufgrund von Antworttendenzen zustande gekommen sein könnte. Im vorliegenden Experiment konnte keine signifikante Interaktion zwischen Stimulusmaterial und Orientierung ausgemacht werden. Insgesamt ist daher zu schließen, dass die Verfügbarkeit von konfiguralen Informationen vergleichbar zwischen FS und LSF ist und LSF-Gesichter nicht stärker konfigural verarbeitet werden. Leistungsdefizite in der LSF-Bedingung im inkongruenten Kontext bzw. bei invertiert präsentierten Gesichtern sowohl bei jüngeren als auch bei älteren Erwachsenen deuten auf eine starke Beeinflussung durch externe Merkmale hin. Eine starke Modulation von externen auf interne Merkmale wurde schon oft demonstriert (Axelrod & Yovel, 2010; 2011; Nachson, Moskovitch & Umlita, 1995; Shina & Pogio, 1996). Dieser Effekt wurde in dem vorliegenden Experiment durch die LSF-Bedienung noch verstärkt. Da bei LSF nur noch grobe Konturen erkennbar sind, sind die Versuchsteilnehmer stärker auf die Verarbeitung externer Merkmale angewiesen, die lediglich eine globale Bewertung zulassen. Der derzeitige Forschungsstand deutet darauf hin, dass jüngere Erwachsene bei der Verarbeitung von Gesichtern den Fokus auf internen Gesichtsmerkmalen haben und sehr gut in der Lage sind, irrelevante Informationen auszublenden. Mit zunehmendem Alter verschiebt sich der Fokus mehr auf externe Merkmale (Meinhardt-Injac et al., 2014). Aufgrund dessen werden die älteren Erwachsenen durch den globalen Fokus (Daniel & Bentin, 2012) verglichen mit den jüngeren Erwachsenen besonders stark beeinflusst (Chaby, Narme & George, 2011). Die Bedeutung der externen Merkmale für die Gesichtswahrnehmung vor allem bei LSF kann im vorliegenden Experiment bestätigt werden. Mit zunehmendem Alter scheint diese zuzunehmen. Als weitere Indikatoren für die holistische Wahrnehmung wurden die Kontextund Orientierungseffekte in beiden Altersgruppen signifikant (vgl. Meinhardt-Injac et al., 2010; 2011a; 2011b). Beim Kontexteffekt werden Gesichter im inkongruenten Kontext (IC) schlechter wahrgenommen, als Gesichter im kongruenten Kontext (CC) (Axelrod & Yovel, 2010; 2011). Für den zweiten Indikator der holistischen 17 Konfigurale Gesichtswahrnehmung bei jüngeren und älteren Erwachsenen Verarbeitung ist gut belegt, dass die Wahrnehmung von Gesichtern erschwert ist, sobald diese invertiert präsentiert werden (Tanaka & Farah, 1993; Young et al., 1987; Yin, 1969). Die signifikante Interaktion der beiden Faktoren macht deutlich, dass sich irrelevante Informationen (IC) und Orientierungseffekte gegenseitig beeinflussen. Die schlechtere Leistung in der inkongruenten Kontextbedingung und bei invertiert präsentierten Gesichtern in dieser Studie spricht für eine konfigurale Verarbeitung. Dabei zeigt sich durch den Kontexteffekt ein altersunabhängiges Defizit darin, die irrelevanten externen Gesichtsmerkmale zu ignorieren, da das Gesicht holistisch, das heißt als eine Gestalt wahrgenommen wird. Der Inversionseffekt wird zwar für beide Altersgruppen signifikant, hat aber mit steigendem Alter noch an Stärke gewonnen. Das heißt, dass Orientierungseffekte tendenziell für ältere Erwachsene noch stärker auftreten. Zusammengefasst zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass holistische Verarbeitung im Alter erhalten bleibt oder sogar stärker ausgeprägt ist als im jüngeren Erwachsenalter. Damit stimmen die Ergebnisse mit neueren Befunden überein, die zum ähnlichen Schlussfolgerungen gekommen sind (Boutet & Faubert, 2006; Meinhardt-Injac et al. 2014, aber siehe Schwarzer et al, 2010). Alles in allem lässt sich auf Grundlage der vorliegenden Bachelorarbeit schließen, dass die holistische Verarbeitung von Gesichtern über das Alter hinweg stabil nachweisbar ist. Die allgemeine Verschlechterung in der Leistung die mit dem Alter gezeigt wurde, kann somit nicht auf eine geringere Nutzung von holistischen und konfiguralen Mechanismen zurückgeführt werden. Es gibt zunehmend Hinweise, dass sich ältere Erwachsene stärker auf globale Verarbeitungsprozesse verlassen, jedoch eine Schwäche für die merkmalsbasierte Verarbeitung zeigen (Daniel & Bentin; 2012¸ Meinhardt-Injac et al.; 2014; Roudaia, Bennet & Sekuler; 2008). Um diese Frage näher zu untersuchen, wäre eine Erweiterung des Experimentaldesigns um den Faktor hoher Ortsfrequenzen sinnvoll. Dadurch könnte noch genauer betrachtet werden inwiefern sich der Verarbeitungsmechanismus bei LSF (der eher merkmalsbasiert abläuft) im Vergleich zu HSF (der eher holistisch oder konfigural stattfindet) unterscheidet. Abschließend kann aber festgehalten werden, dass die konfiguralen Verarbeitungsprozesse für die Gesichtsverarbeitung essentiell sind und nur durch Expertise auftreten können (Carey & Diamond, 1986). Insgesamt kann man daher auf Grundlage der menschlichen Expertise für die Gesichtswahrnehmung die 18 Bachelorarbeit von Julia Katharina Müller Altersinvarianz holistischer Wahrnehmung Zusammenhangs ansehen. 19 als logische Konsequenz dieses Konfigurale Gesichtswahrnehmung bei jüngeren und älteren Erwachsenen Quellenverzeichnis Axelrod, A., & Yovel, G. (2010). External facial features modify the representation of internal facial features in the fusiform face area. Neuroimage, 52, 720–725. Axelrod, V., & Yovel, G. (2011). Nonpreferred stimuli modify the representation of faces in the fusiform face area. Journal of Cognitive Neuroscience, 23, 746756. Bahrick, H. P., Bahrick, P. O., & Wittlinger, R. P. (1975). Fifty years of memory for names and faces: A cross-sectional approach. 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S. 460 Hiermit erkläre ich, ___________________________________________________________________ Name, Vorname Martrikelnummer dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen oder Hilfsmittel (einschließlich elektronischer Medien und online-Quellen) benutzt habe. Mir ist bewusst, dass ein Täuschungsversuch oder ein Ordnungsverstoß vorliegt, wenn sich diese Erklärung als unwahr erweist. _____________________ Ort/Datum Unterschrift § 19 Abs. 3 habe ich zur Kenntnis genommen („Versucht die Kandidatin oder der Kandidat das Ergebnis einer Prüfung durch Täuschung oder Benutzung nicht zugelassener Hilfsmittel zu beeinflussen, oder erweist sich eine Erklärung gemäß § 13 Absatz 2 Satz 5 als unwahr, gilt die betreffende Prüfungsleistung als mit „nicht ausreichend“ (5,0) absolviert.“) 24