Sollt ich meinem Gott nicht singen
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Sollt ich meinem Gott nicht singen
Predigt im Gottesdienst vom 3. August 2014, Pfr. Felix Marti Sollt ich meinem Gott nicht singen Nun singen wir aus dem Lied, das ich dann in der Predigt auslegen werde: Sollt ich meinem Gott nicht singen: RG 724,1-4 1. Sollt ich meinem Gott nicht singen? Sollt ich ihm nicht dankbar sein? Denn ich seh in allen Dingen, wie so gut er´s mit mir mein. Ist´s doch nichts als lauter Lieben, das sein treues Herze regt, das ohn Ende hebt und trägt, die in seinem Dienste sich üben. Alles Ding währt sein Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit. 2. Wie ein Adler sein Gefieder / über seine Jungen streckt, also hat auch hin und wieder / mich des Höchsten Arm bedeckt, alsobald im Mutterleibe, da er mir mein Wesen gab und das Leben, das ich hab / und noch diese Stunde treibe. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit. 3. Sein Sohn ist ihm nicht zu teuer, nein, er gibt ihn für mich hin, dass er mich vom ewgen Feuer / durch sein teures Blut gewinn. O du unergründter Brunnen, wie will doch mein schwacher Geist, ob er sich gleich hoch befleißt, deine Tief ergründen können? Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit. 4. Seinen Geist, den edlen Führer, gibt er mir in seinem Wort, dass er werde mein Regierer / durch die Welt zur Himmelspfort; dass er mir mein Herz erfülle / mit dem hellen Glaubenslicht, das des Todes Macht zerbricht / und die Hölle selbst macht stille. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit. Sollt ich meinem Gott nicht singen? "Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit." Das ist eine wunderschöne Aussage. Was würde mit uns geschehen, wenn wir sie behielten, nicht nur im Kopf, sondern so, dass sie mit uns ginge? Als vertraute Melodie, die nicht aufhört zu klingen, sondern immer wieder in uns aufsteigt, so dass wir sie summen und singen. Würde sie uns zu getrösteten Menschen machen? Keine Durststrecke, keine Leidensphase in unserem Leben würden wir noch für etwas Endgültiges halten. Wir wüssten: Solche Phasen haben ihre Zeit, und Gottes Liebe, die viel weiter reicht, hört nicht auf. Immer wieder geht es anders mit uns. Ein Tief, in dem wir stecken, eine Krankheit, die uns zu schaffen macht, eine politische Lage, die uns beschäftigt, eine Aufgabe, die uns zu schwer geworden ist, kommt uns vor, wie eine Ewigkeit. Eine schlaflose Nacht hört nie auf und wie lange dauert es für Schüler, bis die Ferien kommen. Paul Gerhardt hat in einer Leidensphase gesteckt, als er dieses Lied schrieb, leider wissen wir nicht in welcher der vielen, die er zu durchschreiten hatte. Denken wir nur an den Dreissigjährigen Krieg, der ausbrach, als Paul Gerhardt elf Jahre alt war, und der zu Ende ging, als er 41 war. Bis zu seinem 44. Lebensjahr musste er acht Jahre lang nach seinem theologischen Examen auf die Anstellung als Pfarrer warten. Später verlor er sein Amt, weil er für die Freiheit, die das Evangelium schenkt, einstand und sich nicht seinem Fürst in Glaubensdingen unterwerfen wollte. Sein erstes Kind lebte nur acht Monate lang, und es starben ihm und seiner Frau von fünf Kindern insgesamt vier im frühen Kindesalter. Nein, Paul Gerhardt hatte immer wieder wenig oder gar keinen Grund zu singen. Und doch verdanken wir ihm die schönsten Lieder in unserem Kirchgesagbuch. Sollt ich meinem Gott nicht singen? Sollt ich ihm nicht dankbar sein? Das Lied beginnt leise, verhalten, mit zwei Fragen. Doch sobald Paul Gerhardt an Gott denkt, verschwinden die Fragen und mit ihnen ändert sich auch die Richtung zu Gott hin. Nicht was ich für ihn tun könnte, kommt in den Blick, sondern das, was Er für uns tut. Es ist, wie wenn einer in einer engen, tristen Stube sich frägt, ob er nicht das Fenster auftun könnte. Kaum hat er das getan, bricht die Sonne herein und durchflutet das ganze Zimmer mit ihrem Licht. Nein, was wird da schon der Sonne gegeben, wenn wir das Fenster auftun – sie gibt alles. Gottes unaufhörliches, sonnengleiches Schenken entfaltet Paul Gerhardt nun in den Strophen 2-4 an den drei Artikeln des Apostolischen Glaubensbekenntnisses. Der dreieinige Gott schenkt uns darin aber nicht einfach so ein Geschenkli, losgelöst von sich, sondern viel mehr: Er schenkt sich selbst. Gott als Schöpfer von uns Menschen, von mir! Er hat mich geschaffen, mir mein Leben gegeben! Und wir hören hinter den Worten von Paul Gerhardt auch ganze Psalmen klingen – etwa: "Du hast meine Nieren bereitet und hast mich im Mutterleibe gebildet: Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin." (Ps 139,13f) Gott nicht nur als Schöpfer, sondern auch als Bewahrer: Das schöne Bild von den Adlersflügeln hat das alte Israel immer wieder gebraucht, um zu erzählen, wie Gott in der Geschichte erfahren wurde, wie er geführt und bewahrt hat. Adler sollen ja ihre kaum flügge gewordenen Jungen aus dem Nest stossen. Wenn die Jungen nach den ersten Flügelschlägen erschöpft sind und fallen, kommen die Eltern im Sturzflug herbei, fangen sie auf ihren Flügeln auf und tragen sie zurück in ihr Nest. Es heisst: Wie ein Adler seine Jungen ausführt und über ihnen schwebt, so bereitet Er seine Fittiche aus und nimmt ihn und trägt ihn auf seinen Flügeln." Und so spricht der Herr: "Hört mir zu, ihr vom Hause Jakob, und alle, die noch übrig sind vom Hause Israel, die ihr von mir getragen werdet vom Mutterleibe an und vom Mutterschosse an mir aufgeladen seid: Auch bis in euer Alter bin ich derselbe; und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet. Ich habe es getan; ich will heben und tragen und erretten." (Jes 46,3f) Freilich, auch unser Leben währt seine Zeit wie "alles Ding". "Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn's hochkommt, so sind's achtzig Jahre" (Ps 90,10), heutzutage oft sogar neunzig und mehr! Was ist, wenn ich's schlecht gelebt habe? Wenn ich Beziehungen zu anderen Menschen gemindert oder gar zerstört habe, und damit Lebensmöglichkeiten für alle Zeiten verunmöglicht habe? Wenn ich Schuld auf mich geladen habe und etwas von der Hölle erfahre, und sei es, dass ich das Feuer des schlechten Gewissens spüre? Wenn alles zu spät ist? Dann darfst du hören, dass es für Gott niemals zu spät ist. Seine Liebe währt in Ewigkeit. In der Taufe hat er sie dir zugesagt. In seinem Sohn Jesus Christus, in Kreuz und Auferstehung hat er uns mit sich versöhnt. Wir, du, ich darf neu beginnen ohne den Rucksack der Schuld; ich bin befreit. Das lässt Er mich spüren. Er gibt mir seinen Geist. Paul Gerhardt nennt ihn den "Edlen Führer", wie es im Psalm 143,10 heisst: "Du bist mein Gott, dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn." Da, wo ein Mensch droht, festzusitzen und aus der Verzweiflung nicht mehr herauszufinden, da ist Gott in seiner Nähe. Das gibt Mut zum Weitergehen. Es ist wie Paulus es vom ersten Schöpfungsmorgen schreibt – stellen Sie sich das bitte vor: "Gott, der da sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben..." (2. Kor 4,6) Nicht das Sichtbare soll uns gefangen nehmen, sondern Gottes Liebe. So geht unser Weg weiter. Und weil wir in der unsichtbaren Liebe Gottes geborgen sind, entdecken wir auch seine Wohltaten im Sichtbaren. Davon singen die Strophen RG 724, 5-7 5. Meiner Seele Wohlergehen / hat er ja recht wohl bedacht; will dem Leibe Not entstehen, nimmt er's gleichfalls wohl in Acht. Wenn mein Können, mein Vermögen nichts vermag, nichts helfen kann, kommt mein Gott und hebt mir an / sein Vermögen beizulegen. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit. 6. Himmel, Erd und ihre Heere / hat er mir zum Dienst bestellt; wo ich nur mein Äug hinkehre, find ich, was mich nährt und hält: Tier und Kräuter und Getreide; in den Gründen, in der Höh, in den Büschen, in der See, überall ist meine Weide. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit. 7. Wenn ich schlafe, wacht sein Sorgen / und ermuntert mein Gemüt, dass ich alle liebe Morgen / schaue neue Lieb und Gut. Wäre mein Gott nicht gewesen, hätte mich sein Angesicht / nicht geleitet, war ich nicht / aus so mancher Angst genesen. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit. Wahrscheinlich haben Sie sich jetzt beim Singen überlegt, wo Sie Ähnliches erlebt haben. Vielleicht sind Situationen in Ihnen aufgetaucht, wo Sie mit ihrer Kunst am Ende waren und erfahren haben, wie ihnen geholfen wurde. Zu Gottes Vermögen, zu dem, was er für uns tut, gehört auch alles, was wir draussen wahrnehmen: "Wo ich nur mein Aug hin kehre, find ich, was mich nährt und hält." Das erinnert uns an die Schöpfungsgeschichte, wo der Mensch zuletzt kommt, und alles vorfindet, was er zum Leben braucht. Das was wir so bei einem gemütlichen Sonntagspaziergang heute Nachmittag erfahren können, gilt dann auch, wenn wir die Augen schliessen und schlafen: Er sorgt für mich, wacht über mir. "Siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht." heisst es im Ps 121,4. Auch unsere Sorgen haben wie alles Ding ihre Zeit. Wir dürfen sie jeden Abend aus der Hand geben und uns im Sorgen Gottes bergen. – "Den Seinen gibt der Herr Schlaf." heisst es wortwörtlich im Psalm – das bekanntere "Den seinen gibt's der Herr im Schlaf, ist Luthers Verständnis davon. "Den Seinen gibt der Herr Schlaf." Der Schlaf als Geschenk Gottes, wie es auch im Abendgebet heisst: "Ich liebe und schlafe ganz im Frieden, denn Du, Herr, hältst mich, dass ich sicher wohne." (Ps 4,9) Und wenn ich wieder erwache, lässt Gott mich wieder Seine Gaben sehen, die ich nicht gemacht habe: Neues Licht und "neue Lieb und Güt". Das ausgeschlafene Gesicht unserer Jüngsten, ihre Freude an unserem Hund, der ein Guten Morgen – Streicheln erheischt, die Freundlichkeit meiner Frau, den Genuss eines feinen Joghurts. Was aber ist mit denen, die das alles nicht mehr so sehen können, weil sie von Schlägen getroffen wurden, wie Hiob, wie Paul Gerhardt selber? Achten wir nur noch darauf, wie er in den Strophen 8 – 10 von diesen Schlägen spricht, von Ereignissen, die er sich nicht aussuchen konnte, von Erlebnissen, die er nicht verstehen kann, und die ihn tief erschüttern. Er nennt sie nicht Schicksalsschläge, sondern "Seine Schläge", "seine Strafen" und zählt sie hinzu zu all dem vielen, was uns von Gott gegeben wird. Nun müssen es ja nicht Strafen sein, für persönlich zu verantwortende Taten – wobei anzumerken wäre, dass im Alten Testament Strafe meistens so verstanden wird, dass Gott Menschen den Folgen ihrer Taten überlässt, also nicht dass er etwas zusätzliches auferlegt. Wer, wie Paul Gerhardt, in einer Kriegssituation lebt, der weiss auch, wie sehr Unschuldige immer wieder leiden. Wie Hiob versucht er nun dieses so unverständlich Schwere, Leidvolle in seinem Leben, wahrscheinlich gehören auch gerade die an Krankheiten verstorbenen Kinder dazu, wie Hiob versucht er das nicht auf irgend ein anderes Prinzip, sei es den Teufel oder das Böse oder was auch immer, zurückzuführen, sondern er wagt es, auch das Unverstehbare aus Gottes Hand entgegenzunehmen. Dabei erfährt er einerseits, dass auch das ihn nur näher zu Gott bringt und andererseits erlebt er, dass auch wenn es so aussieht, als ob das auferlegte Kreuz unendlich schwer und ewig dauernd sei, auch seine Zeit hat: "Christenkreuz hat seine Masse". Der Winter geht zu Ende, und es wird Sommer. So wird der Refrain: Alles Ding hat seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit noch einmal zum Wahlspruch – dazu möchte ich ihnen zum Schluss eine Anekdote erzählen. Am Hof des Herzogs Karl von Württemberg ging es nicht fair zu; nein, eine Intrige ging in das nächste Ränkespiel über, so dass ein ehrenwerter Mann verdächtigt wurde, und beim Herzog in Ungnade fiel – Amt und Brot verlor. Er sah sich genötigt in sein Heimatdorf zurückzukehren, wo ihm die Verwandten aus Barmherzigkeit das Amt des Nachtwächters überliessen. Jedes Mal nach dem Stundenschlag sang er nun unseren Refrain, sich selbst und seinen Dorfgenossen zum Trost: "Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit." Jahre später muss ein hochgestellter Beamter des Herzogs wegen eines Reiseunfalls im Dörflein übernachten. Er hört die Stundenrufe in der Nacht und jedes Mal auch den Reim von den Dingen der Welt, die ihre Zeit haben und von der Liebe Gottes, die alle Zeit überdauert. Er erkundigt sich nach den Hintergründen dieses nicht alltäglichen Brauches und erfährt die Geschichte des ehrenwerten Nachtwächters. In einer guten Stunde erzählt er die Sache dem Herzog und macht sich zu seinem Fürsprecher. Der Herzog gibt einer guten Regung seines Herzens Raum, lässt den Fall überprüfen, stellt die Unschuld des Mannes fest und setzt ihn wieder in sein Amt ein. Der Slogan erfüllt sich einmal mehr: Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit. Und so kehrt sich das Lied in der letzten Strophe ins Lob. Jetzt ist nicht mehr die Rede, was Gott für uns tut, sondern was wir für ihn tun dürfen und zwar in der Form der Bitte: Jetzt, wo ich ahne und hoffentlich auch aus meinem eigenen Leben weiss, dass alles Ding seine Zeit hat, kann ich bitten: Stärke mich, dass ich Dich nicht lasse, so lange nicht, bis ich Dir geben kann, was Deiner Liebe ganz entspricht: ein Lob, das nicht mehr aufhört, ein Dank, der nicht mehr unterbrochen wird durch Murren und Unzufriedenheit, durch Klagen und Weinen wie in unserem zeitlichen Leben. Ein Lob, das wie deine Liebe in alle Ewigkeit währt. Wir singen die Strophen RG 724 8-10 8. Seine Strafen, seine Schläge, ob sie mir gleich bitter seind, dennoch, wenn ich's recht erwäge, sind es Zeichen, dass mein Freund, der mich liebet, mein gedenke / und mich von der schnöden Welt, die uns hart gefangen hält, durch das Kreuze zu ihm lenke. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit. 9. Das weiß ich fürwahr und lasse / mir's nicht aus dem Sinne gehn: Christenkreuz hat seine Maße / und muss endlich stille stehn. Wenn der Winter ausgeschneiet, tritt der schöne Sommer ein; also wird auch nach der Pein, wer's erwarten kann, erfreuet. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit. 10. Weil denn weder Ziel noch Ende / sich in Gottes Liebe findt, ei so heb ich meine Hände / zu dir, Vater, als dein Kind, bitte, wollst mir Gnade geben, dich aus aller meiner Macht / zu umfangen Tag und Nacht / hier in meinem ganzen Leben, bis ich dich nach dieser Zeit / lob und lieb in Ewigkeit. Amen Pfr. Felix Marti