christian curd tschinkel`s vita

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christian curd tschinkel`s vita
CHRISTIAN CURD TSCHINKEL’S
VITA
www.acousmonuments.net
CHRISTIAN CURD TSCHINKEL’S
VITA
Christian Curd Tschinkel
* 05.02.1973, Leoben / Österreich
lebt und arbeitet in der Dunkelheit
Hauptwohnsitz: Wien
Fotos @ Studio ACOUSMONUMENTS
(2011)
Tschinkel absolvierte das Studium der Musikwissenschaft an der KarlFranzens-Universität Graz und den dreijährigen Lehrgang für Computermusik und elektronische Medien an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Zudem zählt er diverse Kurs- und Seminarteilnahmen
in den Bereichen Tontechnik, Musiktherapie, Künstlerisches Selbstmanagement, Kapellmeisterausbildung, Filmmusik u.a. zu seiner musikalischen
Ausbildung. Als gelernter Trompeter war er jugendliches Mitglied lokal
ansässiger Blechbläserensembles und Blasorchester sowie Keyboarder
in einer Hardrockband. Eine Zeit lang versuchte er sich als „FusionTrompeter“ im lyrisch-rockigen Stil eines Miles Davis um sich anschließend wieder auf seine frühen Experimente mit Tonbandaufnahmen zu
besinnen. Seit jeher von der technischen Klangspeicherung fasziniert und
nach und nach von der Ideologie geleitet, originäre Musikwerke im Sinne
eines „Kinos für die Ohren“ abseits des Dokumentar- und Interpretationscharakters einer Tonaufnahme zu schaffen, beschäftigt er sich heute intensiv mit dem Themenkomplex der Musique acousmatique und ihren Parallelen in der Popkultur. Darin formuliert er derzeit seine Theorie der
„Popakusmatik“, die sich auf psychologischer und philosophischer Ebene
mit der Wahrnehmung des (alltäglichen) Lautsprecherklanges befasst
und wesentlichen Einfluss auf sein eigenes popakusmatisches Schaffen
(zu dem mitunter auch Klanginstallationen zählen) nimmt. Sowohl sein
Gedankengebäude als auch seinen musikalischen Output subsumiert er
dabei unter dem Begriff ACOUSMONUMENTS.
1
Persönliche Stellungnahme (allgemein)
Was mich musikalisch bewegt, ist die Suche nach dem Fantastischen,
welche sich allerdings meistens als eine Reise durch Abgründe entpuppt:
Wo Verstandes- und Vernunftgeleitetes oftmals an lebenstechnischem
Ungemach scheitert, formt ein „verlorener Verstand“ dennoch das Bewusstsein und schafft in kreativer Aufarbeitung dessen Erweiterung. Damit verfolge ich keinen therapeutischen Ansatz, welcher zum Ziel hätte,
einen Normalzustand (wieder) herzustellen, sondern strebe ganz im Gegenteil nach Ausnahmezuständen größtmöglicher Freiheit! Der Unterschied zwischen einem musikalischen Resultat und dem ursprünglich
Angestrebten entlarvt mich im besten Fall als „naive Versuchsperson“
und lässt mich auf staunende Weise vermutlich das wahre Wesen einer
Offenbarung erkennen. Innerhalb dieses Äquilibrationsprozesses verspüre ich ein „sinn-liches“ wie „sinn-volles“ Nutzen meiner zur Verfügung stehenden Lebensenergie, woraus sich mir ein moralisch richtiges Handeln
ableitet – nämlich in der Art, dass man auch bei einem NichtKonformgehen mit gesellschaftlichen Normen und anderen Hörweisen
durch das eigene Gestalten „korrekt“ handelt und in letzter Konsequenz
trotzdem einen verantwortbaren Beitrag zum Wertesystem leistet. Diese
ethische Komponente darf selbstverständlich angezweifelt werden, weil
selbst Kunstausübung immer mit einem „mut-willigen“ Verbrauch diverser
Ressourcen (auch menschlicher) korreliert, dem man sich gerade auch
als Elektroakustiker schlecht entziehen kann.
Unter partieller1 Kenntnis der Musique acousmatique habe ich mir für das
Unterfangen kompositorischen Tätigseins, das sich stärker als alle anderen Musikarten phänomenologisch mit dem zeitgenössischen Hören beschäftigen soll, gewissermaßen meine eigene Genre-Nische (oder ist es
ein Stil oder eine Kompositionsmethode?, womöglich auch nur eine
Denkfigur) erdacht, die mir die verkommenen Grenzen zwischen E- und
U-Musik ein für alle Mal ausradiert. Aufgrund der stärkeren Gewichtung
auf akusmatische als auf popmusikalische Aspekte möchte ich sie Pop2
akusmatik nennen und meine solchermaßen nicht „Akusmatik-Pop“, von
dem ich persönlich annehme, dass er spätestens seit Frank Zappas The
Chrome Plated Megaphone Of Destiny (1968) existiert und bis heute ohnehin im Sounddesign fast aller Pop-Produktionen präsent ist.
In ihrer Anlage ist Popakusmatik für mich der Inbegriff einer zeitgemäßen
Assimilation von Affirmation und Gegenhaltung, von Elitärem und Subversiven, von akustischer Realität und auditiver Phantasmagorie, von kausaler Wirkungskraft und synchronistischem Denken2, von unmittelbarem Alltag (Futurismus) und mittelbarer Flucht vor dem Leben (Romantik), letztendlich wohl auch von Apollon und Dionysos. In dynamischer Fluktuation
möchte ich in meiner Arbeit für all diese Dispositionen Raum und Zeit
schaffen, orte in den allumfassenden3 Klangbildern der Akusmatik indessen weniger einen Eklektizismus als vielmehr so etwas wie eine Schizophonie4 (in etwa eine schizoide Polyphonie) von gleichermaßen intrinsisch und extrinsisch motivierten Lautsprecherklängen, die sich durchaus
im Zeitgeist des Multimedialisierten widerspiegeln.
Im Sinn dieses popakusmatischen Konzepts gilt es für mich diese Art von
Musikproduktion zu verfolgen und im Lauf der Zeit zu perfektionieren.
detaillierte Informationen: siehe THEORIE
1
Es ist schwierig sich als wahrer Kenner der Musique acousmatique auszugeben, publiziert ihr
Begründer François Bayle doch stets über ihre aktuellen Gestaltungs- und Wirkungsprinzipien.
2
im Besonderen in meiner Dichotischen Musik
3
Innerhalb des Lautsprecherklanges ist jegliches Klanggestalten möglich geworden, das Christoph
von Blumröder im Kontext der Bayle’schen Acousmatique veranlasst von „akusmatischer Vielfalt“ oder
„allumfassender Polyphonie der Welt“ zu sprechen.
4
Der Begriff der„Schizophonie“ geht auf R. Murray Schafer zurück, der damit sowohl neurologische
als auch verstörende Aspekte in den mediatisierten (also von der Quelle abgespaltenen) Klang eingeflochten wissen will.
3
Persönliche Stellungnahme (spezifisch)
Im Lauf vieler Jahre habe ich mich auf den Bereich der Musique acousmatique spezialisiert, welcher die Wahrnehmung des mediatisierten Lautsprecherklanges in den Mittelpunkt meiner Arbeiten rückt. Pathetisch gesprochen betrachte ich den Lautsprecher als Spiegel der Seele, der mir
aber nicht nur Raum zur transzendental reflektierten Selbstbegegnung
bietet, sondern mir regelrecht kosmogonische Aspekte vorführt, wobei ich
präzisierend relativieren möchte, dass unter Einflussnahme der digitalen
Mediamorphose (vgl. Smudits 2002) die Audiosignalbearbeitung gleichermaßen einer Rationalisierung (vgl. Weber 1921) entspricht, welche in jenem
psychologischen Sinn „multiplizierte Ordnung“ (de la Motte-Haber 1991) ins
„elektroakustische Chaos“ (von Blumröder 2004) bringt, wie etwa die temperierte Stimmung einst das westliche Musikschaffen bis hin zur Zwölftönigkeit systematisiert hat. Jedoch lässt die Arbeit mit dem Tonstudio als Instrument die dem notenschreibenden Komponieren inhärente „Objektivation des Wir“ (vgl. Adorno 1958; Adorno zitiert nach Jauk 2005a) weit hinter
sich. Im Sinne des originären Ausdruckslautes (vgl. von Hausegger 1887)
sowie seiner kulturellen Überformungen, von der gestischen Gestaltung
bis zum willkürlichen Setzen von digitalen Codes (vgl. Jauk 2005b), ist mit
den Maximen der Acousmatique (vgl. Bayle 1993) die Möglichkeit zur allumfassenden (De-)Komposition (vgl. Stockhausen 1973) gegeben, die sich für
mich vor allem als eine hybride Form von experimentell generierter Klanggestalt(ung) und dem monumentalen Alltagssound der Popkultur definiert.
Dieser liegt mir sehr am Herzen, weswegen meine Kenntnis von akustischen Driving-Effekten und anderen psycho-physiologischen Reaktionsmustern (vgl. Harrer 1975) meine musikalischen Parameter in archetypischer Weise (bzgl. Lautstärke, Richtungshören, Exciter-Phänomene, etc.)
erheblich beeinflussen. Angesichts dessen sowie im Hinblick auf Erkenntnisse der Auditiven Szenenanalyse (vgl. Bregman 1994) ist Audiokompression eines meiner wichtigsten kompositorischen Werkzeuge, das mir gleichermaßen Monumentalität und ästhetischen Zusammenhang (vgl. (nicht)
Webern 1932) in meine Klangbilder bringt.
4
Unter dem Dachterminus ACOUSMONUMENTS hat sich meine theoretische Begriffs- und Kategorienwelt verwirklicht, an der meine Lautsprechermusik systematisch gemessen wird: Schwingung formt primär die
physikalische Welt und demnach wird die von einer acousmatique-affinen
Werthaltung abgeleitete Prämisse „loosing the body and gaining the
mind“ in meinem Konzept zugunsten einer bewusst forcierten Körperlichkeit in der Art eines „gaining the body and loosing the mind“ überwunden.
Durch die elektrifizierte und digitalisierte Überhöhung musikalischer Parameter gewinnt die psycho-physikalische Einheit von „Klangbildhauer“
(Mensch) und Studio oder Acousmonium (Maschine) in Abgrenzung zu
„den Robotern“ an Cyborg-Charakter.
Als theoretischen Beitrag zu einer akusmatischen Klangkunst im 21.
Jahrhundert postuliere ich ein dialektisches dynamisches Gefüge auditiver Welterfahrung, aus dem sich dergestalt ein Bewusstsein für Musik
und ihre Wahrnehmung bildet, indem sich (1) körperliches und (2) autonomes Hören einem (3) synästhetischen und (4) programmatischen Hören fluktuierend gegenüberstehen. Dem Konstrukt des „autonomen Klanges" schreibe ich derzeit besondere Bedeutung zu – aber wie gesagt, das
fluktuiert.
detaillierte Informationen: siehe THEORIE
5
Adorno, Theodor W. (1958): Philosophie der Neuen Musik, Frankfurt am Main.
Bayle, François (1993): Musique acousmatique. Propositions, positions, Paris.
Blumröder, Christoph von (2004): Francois Bayles Musique acousmatique, in: Kompositorische Stationen des 20. Jahrhunderts. Debussy, Webern, Messiaen, Boulez, Cage, Ligeti, Stockhausen, Höller,
Bayle, in: Signale aus Köln. Beiträge zur Musik der Zeit, Bd. 7, Münster.
Bregman, Albert S. (1994): Auditory Scene Analysis. The Perceptional Organisation of Sound, MIT
Press edition, Massachusetts.
Harrer, Gerhart (1975): Das „Musikerlebnis“ im Griff des naturwissenschaftlichen Experiments in:
Grundlagen der Musiktherapie und Musikpsychologie, hg. von Gerhart Harrer, Stuttgart.
Hausegger, Friedrich von (1887): Die Musik als Ausdruck, Studien zur Wertungsforschung, Band 50,
herausgegeben von Elisabeth Kappel und Andreas Dorschel, Wien 2010.
Jauk, Werner (2005a): Musik als modellbildendes Medium für eine Theorie der Medienkunst, in: Beiträge zur Elektronischen Musik, Sonderband zur Ringvorlesung „Die Klangwelt am Rand der Datenautobahn“, Bd. 12, Medienkunst, hg. von Robert Höldrich, Graz.
Jauk, Werner (2005b): Der musikalisierte Alltag der digital Culture, [Habilitationsschrift], Graz.
La Motte-Haber, Helga de (1991): Chaos: Die multiplizierte Ordnung, in Musikalische Gestaltung im
Spannungsfeld von Chaos und Ordnung, Studien zur Wertungsforschung, Band 23, hg. von Otto Kolleritsch, Graz.
Smudits, Alfred (2002): Mediamorphosen des Kulturschaffens. Kunst und Kommunikationstechnologien im Wandel, Wien.
Stockhausen, Karlheinz (1973): Die vier Kriterien der Elektronischen Musik, in: Selbstdarstellung.
Künstler über sich, hg. von W. Herzogenrath, Düsseldorf.
Weber, Max (1921): Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik, Tübingen.
Webern, Anton (1932): Der Weg zur Neuen Musik, Wien 1980.
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