Einführung in die Geschichte der islamischen Länder II Gunpowder
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Einführung in die Geschichte der islamischen Länder II Gunpowder
Einführung in die Geschichte der islamischen Länder II Gunpowder Empires II: Die Safawiden in Iran (1501-1722) Gliederung 1 Was ändert sich um 1500? (Ergänzung) 2 Vorgeschichte: Iran von den Mongolen bis zu den Safawiden 3 Geschichte der Safawiden in vier Etappen 3.1 Vorgeschichte (ca. 1300-ca. 1500) 3.2 An der Macht: Šāh Ismāʿīl I (1501-1524) 3.3 Šāh ʿAbbās I (1587-1629) 3.4 Ende (1721-22) 4 Iran nach den Safawiden (bis ca. 1800) 1 Was ändert sich um 1500? Ergänzung Aus Sicht Irans ist im Zusammenhang mit dem Jahr 1500 von besonderer Bedeutung – und dies geht weit über Iran hinaus – dass durch die Thronbesteigung Ismāʿīls die Zwölferschia zur Staatsreligion in Iran erklärt wird, und dass damit zum ersten Mal in der Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens inner-islamische konfessionelle Grenzen sich territorial darstellen und als solche wahrnehmbar und ernst genommen werden. Vorher hatten sich wohl regionale Zentren für die Verbreitung gewisser Konfessionen gebildet, auch gab es konfessionell gebundene bzw. festgelegte Dynastien auch außerhalb der Sunna. Das Muster waren etwa die Fāṭimiden in Ägypten (909 bzw. 969 - 1171), die für die Verbreitung der 7-er Schia viel getan haben, aber die eigene Bevölkerung in Ägypten ließ man in Ruhe, die Ägypter konnten weiter Sunniten oder aber koptische Christen oder Juden sein. Manche andere Dynastie war persönlich der Zwölferschia zugetan, aber auch hier galt: Wohl konnten dadurch die Schiiten ihre besonderen Rituale öffentlich begehen, aber eine Verpflichtung der Bevölkerung auf dies Bekenntnis war ganz undenkbar. Seit der Zeit der miḥna (im 9. Jahrhundert) hatte es staatlicherseits keine oder nur sehr sporadisch Versuche gegeben, die Konfessionszugehörigkeit der Muslime in großem Stil zu beeinflussen oder gar anzuordnen, was man zu bekennen habe. Mit dem Ausrufen einer „Staatsreligion“ waren die Safawiden in Iran tatsächlich die ersten. Man besteht nun auf einer Übereinstimmung im Bekenntnis zwischen Herrscher und Untertanen, so dass der europäische Grundsatz cuius regio, eius 1 religio (der in Zentraleuropa seit 1550 gilt, also später als in Iran) sich nunmehr als Prinzip zugrunde legen lässt. Denn nach den Safawiden in Iran übernehmen auch die Osmanen im Westen und die Usbeken im Osten Irans diesen Grundsatz, allerdings natürlich wird dort die Sunna zum Staatsbekenntnis (noch enger: die ḥanafitische Rechtsschule wird zur staatlich geförderten). Die so entstehende Kulturgrenze rund um Iran ist aber relativ zu verstehen. Kulturaustausch und Reisetätigkeit wurden dadurch nicht völlig unterbunden. Jüngere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Grenzen rund um Iran, vor allem eben gegenüber dem Osmanischen Reich und den usbekisch dominierten Staaten Mittelasiens, doch durchlässiger waren, als man zuvor gedacht hatte. Ein anderer Aspekt der Grenze ist, dass das persisch-sprachige Schrifttum, bisher als „Persophonie“ in einem Raum von Anatolien bis Mittelasien und Indien verbreitet, sich nun nicht mehr einheitlich weiterentwickelt: einer schiitisch geprägten Literatur in Iran steht eine weiterhin der Sunna verpflichtete in Mittelasien und Afghanistan und auch in Indien gegenüber. 2 Vorgeschichte: Iran von den Mongolen bis zu den Safawiden Iran war in der Folge der mongolischen Eroberung und Herrschaft doch ziemlich gründlich verändert worden. Viele Städter und Dorfbewohner hatten in der Eroberung den Tod gefunden. Der wirtschaftliche Wiederaufbau brauchte viel Zeit, und in manchen Regionen kam er gar nicht voran. Die ethnische und religiöse Zusammensetzung der Bevölkerung hatte sich gleichfalls verändert: Durch den Zustrom der „Mongolen“ – die in Wirklichkeit ganz überwiegend türkische Sprachen mitbrachten oder solche rasch übernahmen – stieg der Anteil der turkophonen Bevölkerung in Iran auf reichlich 25%, in dieser Größenordnung bewegt er sich auch heute (bei geänderten Grenzen, unter anderem zählte damals ein Teil des östlichen Anatolien und das früher sowjetische Aserbaidschan zu Iran, beides massiv türkische Gegenden – es gibt also eine nachhaltige Tendenz zur Turkisierung). Man sagt auch, dass der Anteil der Hirtennomaden gestiegen sei. Darüber gibt es natürlich keine Statistik, und daher ist es nicht wirklich nachgewiesen, weil man über die Nomaden Irans vor der mongolischen Eroberung sehr wenig weiß. Die oft unterstellte räumliche Trennung von bäuerlichem Dorf und nomadischem Zeltlager ist in vielen Teilen Irans ohnehin nicht anzutreffen und kann auch für historisch weiter zurück liegende Epochen nicht vorausgesetzt werden. Der Islam hatte für etwa zwei bis drei Generationen seinen Status als Religion der Herrschenden eingebüßt. Das wirkte sich vor allem so aus, dass der gelehrte Islam viele Möglichkeiten der Förderung verlor. Es gab keine Gehälter und keine Stiftungen mehr für 2 islamische Gelehrte und einschlägige Einrichtungen; es gab Konkurrenz auf dem religiösen Marktplatz. Die neu nach Iran gekommenen Gruppen brachten ihre religiösen Vorstellungen, manchmal auch ihre eigenen politischen Ordnungsvorstellungen mit. Diese Vorstellungen kreuzten sich in vielfältiger Weise mit den bereits in vormongolischer Zeit entwickelten Systemen der islamischen Mystik, des Sufismus. Nach dem Ende der mongolischen Herrschaft (1336) ist das Land nur noch für jeweils kürzere Perioden politisch geeint gewesen, und dabei nicht immer als eigenständiges Land Iran, sondern vielmehr öfter so, dass Iran Teil eines größeren imperialen Komplexes war, etwa unter Timur (1370-1405). Dabei bildeten sich früh eigenständige Machtzentren sowohl im Osten wie auch im Westen Irans heraus, und die über weite Strecken der iranischen Geschichte anzutreffende Teilung des Landes (westlich und östlich der zentralen Wüstenregionen) greift auch hier wieder. Der westliche Iran bildete ein Kontinuum sowohl mit dem arabischen Irak als auch mit Ostanatolien und der Kaukasus-Region. Diese Großregion bot (und bietet teilweise heute noch) hervorragende Bedingungen für Weidewirtschaft, immer in Kombination mit Ackerbau und städtischem Leben in den Oasen. Auch für die mongolische Herrschaft in Iran war dies die zentrale Region. Im 14. und 15. Jahrhundert, sowohl vor als auch nach der kurzlebigen Herrschaft Timurs, war die gebirgige Region Westirans, Ostanatoliens und des Kaukasus das Zentrum für erst mongolische, später türkmenische Staaten, nacheinander denjenigen der mongolischen Ǧalāyir, später der Türkmenen vom „Schwarzen Hammel“ (Kara Koyunlu) und vom „Weißen Hammel“ (Ak Koyunlu – wieder verwende ich die geschriebene Form, die im heutigen Türkisch üblich ist, nicht die Umschrift der persischen Quellen). Städtische und kulturelle Zentren sind Bagdad und Tabrīz sowie die mongolische Neugründung Sulṭāniyya, Iṣfahān und Šīrāz, in Anatolien Diyarbakır, im Kaukasus Ganǧa, daneben gab es Zentren für Kleinstaaten, etwa das kurdische Bitlis. Im Osten bildet die Großregion Ḫurāsān das Herzstück, mit der Hauptstadt Herat, die sehr stark dominiert, daneben spielt Samarkand noch eine Rolle. Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts waren die „Weißen Hammel“ (Ak Koyunlu) im Westen die vorherrschende Macht, im Osten gab es noch das Reich der Timuriden von Herat, während in Mittelasien die timuridischen Staaten bereits in Auflösung begriffen waren. 3 Geschichte der Safawiden in vier Etappen 3.1 Vorgeschichte (ca. 1300 bis ca. 1500) Die Safawiden haben als eine sufische Familie wahrscheinlich kurdischen Ursprungs angefangen. Ihr Zentrum war (und blieb) das Provinzzentrum Ardabīl im iranischen Aserbaidschan. Ihre religiöse Ausrichtung war zunächst unauffällig: eher im sunnitischen mainstream, keine heterodoxen Experimente, keine Aufsehen erregenden Verstöße gegen 3 die šarīʿa. Damit bilden die frühen Safawiden, als sie noch sufische Scheiche waren, einen Bestandteil der sunnitischen Reaktion auf das Vordringen heterodoxer und heteropraktischer, ja anomischer Tendenzen in der islamischen Mystik, eine Tendenz, die im Kontext der mongolischen Herrschaft vor allem im westlichen Iran und in den angrenzenden turkophonen und arabophonen Regionen ganz unverkennbar ist. Der Gründer Ṣafī ad-dīn (1252-1334) verfügte dabei bereits über recht gute Beziehungen zu mongolischen Herrschern, Wesiren und Heerführern, wie es aus Erwähnungen in den Chroniken und auch aus Urkunden hervorgeht, die zu seinen Gunsten ausgestellt worden sind. (Im Fall der SufiScheiche von Ardabīl sind diese Urkunden als Original überliefert, jedenfalls einige davon, weil das Archiv der Scheiche erhalten geblieben ist.) Der Sohn und Nachfolger Ṣadr ad-dīn war, wie es relativ oft vorkommt, derjenige, der das Charisma seines Vaters in organisatorische Solidität und wirtschaftlichen Erfolg umsetzte. Die Begründung des Heiligtums in Ardabīl geht auf ihn zurück. Unter seiner Aufsicht wurde auch die HauptHagiographie über Ṣafī ad-dīn und seinen Lehrer verfasst, ein Buch, das später so überarbeitet wurde, dass es der neuen Ausrichtung der Gruppe entsprach. Immer noch war nichts Außergewöhnliches geschehen, die ersten Scheiche der Gruppe bewegten sich durchaus in den üblichen Bahnen, sie waren nur etwas erfolgreicher als andere. Noch einige Generationen blieb es dabei, die Safawiden waren in ihrer Region von großer Bedeutung, die regionalen Herrscher kamen an ihnen nicht vorbei, aber weiter gehenden Ehrgeiz kann man ihnen nicht nachweisen. Der Wechsel vollzog sich in der Mitte des 15. Jahrhunderts infolge eines Kampfes um die Position des Scheichs – des Oberhaupts der Familie. Der zunächst unterlegene Konkurrent Šaiḫ Ǧunaid (als Chef der Gruppe 1447-60 anerkannt) warf sich in ein anderes Tätigkeitsfeld, er suchte eine andere Gefolgschaft und entwickelte so ein ganz neues Profil. Er betonte die Notwendigkeit des Ǧihād, den er in eigener Person anführte. Gegner waren die christlichen Gegenden, die von den westiranisch-ostanatolisch-kaukasischen Bergen aus erreichbar sind, also die georgischen Fürstentümer und das verbliebene byzantinische RestReich Trapezunt (am Schwarzen Meer, heute Trabzon). Die Kämpfer waren türkmenische Gruppen, nicht unbedingt als Stammesverband, sondern in kleineren Gruppen junger Männer. Solche haben wir auch als Potenzial der osmanischen ġāzī- Unternehmungen kennengelernt. Mobilisierbar waren solche Gruppen außer für religiös motivierte Züge (in Ǧihād, als ġāzī-Kämpfer) auch für Beutezüge in tribalen Kontexten, dabei wandten sie sich offenbar immer den im Moment stärksten Anführern zu. Der schnelle Wechsel von den Kara Koyunlu zu den Ak Koyunlu und dann zu den Safawiden kann kaum anders als durch solche Übertragungen von Loyalität erklärt werden. Von den besiegten Konföderationen bleibt dann einfach nichts übrig, weil die gesamte Kämpferschar zum Sieger übergelaufen ist. Das Reservoir solcher türkmenischer Kämpfer muss recht groß gewesen sein, sie stammten aus 4 der gesamten eingangs beschriebenen Großregion, also Westiran, Ostanatolien, Teile des mesopotamischen Flachlandes, dem Kaukasus. Der Safawiden-Scheich-Anwärter Šaiḫ Ǧunaid war offenbar erfolgreich genug, um sich mit der herrschenden Familie der Ak-Koyunlu-Konföderation zu verbinden, durch Heirat mit einer Frau aus dieser Familie. Das wurde bei den Safawiden in dieser Periode üblich, man heiratete vorzugsweise Frauen aus diesem Clan, den Bayandır. Er konnte am Ende auch seinen Konkurrenten im Kampf um die Führung der Familie aus dem Feld schlagen und kam so nach Ardabīl. Wann genau die nunmehr militanten Sufis der Safawiden die extreme Schia für sich entdeckten, ist nicht feststellbar. Šaiḫ Ǧunaid und sein postum geborener Sohn Ḥaidar (1460-88) starben beide im Kampf, und zwar nicht gegen die Christen Georgiens oder Trapezunts, sondern gegen den – sunnitischen – Šīrwānšāh, einen Regionalherrscher im Kaukasus (in etwa entsprechend der heutigen unabhängigen Republik Azerbaidschan mit Zentrum in Ganǧa). Dieser Herrscher wollte nicht mehr gestatten, dass die Gazi-Gruppen durch sein Territorium zogen, wenn sie Krieg nach Georgien tragen wollten. (Er hat wahrscheinlich nicht länger einsehen können, dass er die Beziehungen zu den christlichen Nachbarn nicht selbst bestimmen konnte, sondern dies den Gazis überlassen sollte; auch werden die regelmäßig durchs Land ziehenden türkmenischen Haufen ihm wenig behagt haben.) Aber man weiß nicht, ob die Auseinandersetzung mit dem Šīrwānšāh schon durch den konfessionellen Gegensatz geprägt war – die späteren Chroniken stellen das so dar, aber das muss deswegen nicht stimmen. 3.2 An der Macht: Ismāʿīl (1487-1524, reg. ab 1501) Erst bei Ismāʿīl ist man sich sicher, dass er der extremen Schia angehörte. Er hatte, als er sich vor den Truppen der Ak Koyunlu verbergen musste, in seinem nordiranischen Versteck einen Lehrer, der Schiit war. Warum er nun aber deswegen extrem schiitisch war, geht daraus nicht hervor. Man kann auch davon ausgehen, dass es gar nicht die safawidische Führung war, die für den Wechsel der Konfession verantwortlich war, sondern die türkmenische Gefolgschaft. Diese Gefolgschaft ist unter dem Namen Kızılbaş bekannt (wieder die geschriebene Form des heutigen Türkisch), was „Rotmützen“ oder „Rotköpfe“ bedeutet, nach der Kopfbedeckung, die sie trugen. Diese war rot, und sie wies zwölf Zwickel auf, nach den zwölf Imamen der Schia, und sie war unter dem Namen „Ḥaidar-Krone“ bekannt (Ḥaidar ist einer der Beinamen ʿAlīs, aber natürlich spielt eine Rolle, dass Ismāʿīls Vater so hieß – er soll die Mütze erfunden haben, was aber nicht sicher ist). Die Kızılbaş sind keine Zwölferschiiten gewesen, jedenfalls in einem gelehrten Verständnis nicht. Ihre Verehrung für ʿAlī grenzte an Vergottung, und auch Ismāʿīl hat sich in der Nähe zu ʿAlī und zur Gottheit gesehen. Das 5 verraten die Verse, die er – schon als ganz junger Mann – geschrieben hat, auf Türkisch übrigens, während sein Zeitgenosse, der osmanische Sultan Selīm, auf Persisch gedichtet hat. Für seine Anhänger ist Ismāʿīl wohl (mindestens) der Mahdī gewesen, vor allem, nachdem sich Erfolge einstellten. Sie glaubten an seine Unfehlbarkeit und Unverwundbarkeit, und in seiner Gegenwart auch an die ihre; das hat nach der ersten großen Niederlage, die er persönlich zu verantworten hatte – 1514 gegen den eben genannten Selīm in der Schlacht von Čāldirān nicht weit von Tabrīz – sowohl Ismāʿīl selbst als auch seine Anhänger in tiefe Verwirrung gestürzt. Extrem ist auch, dass auf die Verfluchung der ersten drei Kalifen Abū Bakr, ʿUmar und ʿUṯmān der allergrößte Wert gelegt wurde – Menschen, die sich dem nicht anschließen konnten oder wollten, riskierten damit ihr Leben. Es gab einen eigenen Berufszweig: Leute, die damit beauftragt waren, dass diese Verfluchung auch überall stattfand. 1499 verließ Ismāʿīl sein Versteck, da war er erst zwölf, und begann, offen Anhänger um sich zu scharen. Das ist das „offene Auftreten“ (ar. und pers. ḫurūǧ), religiös gesagt das „Offenbarwerden“ (ar. und pers. ẓuhūr), mit dem er seine Konkurrenten herausforderte und seinen Anspruch auf die Herrschaft anmeldete. Er begann dann einen Zug durch die türkmenischen Sommerlager, wo er mit Begeisterung aufgenommen wurde, aber die ihm zuströmenden Mengen waren so groß nicht: Mehr als einige Tausend wird er zu Anfang nicht gewonnen haben, und wichtige Stammesgruppen standen noch beiseite. Das änderte sich nach zwei Schlachten gegen den damaligen Herrscher der Ak-Koyunlu-Konföderation, Alwand, die Ismāʿīl beide gewann. Damit stand ihm der Weg nach Tabrīz offen, wo er im Sommer 1501 den Thron bestieg. In den folgenden Jahren war er zunächst damit beschäftigt, sich zu konsolidieren, auch in seiner Eigenschaft als spiritueller charismatischer Führer, danach wandte er sich den restlichen Ak-Koyunlu-Herrschaften zu, die bis etwa 1507 erobert wurden; danach brach er nach Osten auf, und 1510 konnte er, nachdem er den Usbeken-Herrscher Šaibānī Ḫān, seinerseits Sieger über die letzten Timuriden in Mittelasien und im östlichen Iran, geschlagen und erschlagen hatte, die politische Einheit Irans wieder herstellen, die seither jedenfalls im Prinzip nicht wieder verloren gegangen ist. Erst 1512 konnten die Usbeken in Mittelasien sich wieder fangen und ein safawidisch-timuridisches Heer zurückwerfen. Seither gehört Ḫurāsān im wesentlichen zu Iran, während Mittelasien eigenständig ist. Allerdings hatten die usbekischen Herrscher noch bis weit ins 17. Jahrhundert Absichten, ihr Territorium nach Ostiran hin auszudehnen. Gleich bei der ersten Freitagspredigt in der Hauptmoschee von Tabrīz (also im Sommer 1501) ließ Ismāʿīl die Zwölferschia als Staatsreligion ausrufen. Das klang so: Quellentext 6 Dieser Erlass wurde militärisch durchgesetzt. Wie gesagt, lebten offene und versteckte Sunnis von nun an gefährlich. Die Durchsetzung der Schia als Staatsreligion war auf der Gelehrten-Ebene aber problematisch: Man hatte gar kein Personal dafür. Dies wurde in den kommenden Jahren und Jahrzehnten aus den alten schiitischen Gebieten der arabischen Welt nach Iran geholt, vor allem aus dem Libanon, dem südlichen Irak und Baḥrain. Es hat ziemlich lange gedauert, bis sich in Iran eine eigenständige schiitische Gelehrtenkultur herausgebildet hat. Vor dem 16. Jahrhundert war Qum das einzige nennenswerte Zentrum schiitischer Gelehrsamkeit in Iran gewesen. Es wurde jetzt ausgebaut und um Zentren in weiteren großen Städten Irans ergänzt, nach der Eroberung Ḫurāsāns spielte der Schrein des achten Imams der Zwölfer, das Heiligtum von Mašhad, eine bedeutende Rolle. Auf der anderen Seite verlor Iran natürlich eine Anzahl seiner sunnitischen Gelehrten, die nicht unter schiitisches Kommando geraten wollten. Diese gingen nach Indien, nach Mittelasien oder ins Osmanische Reich. Und überhaupt sind Abwanderungen von Gelehrten und Literaten aus Iran im 16. Jahrhundert nicht selten, Zielgebiet der Auswanderung ist vor allem Indien. Das muss nicht immer religiöse Gründe gehabt haben, auch die besseren Verdiestmöglichkeiten in Indien sind sicher ein wichtiger Faktor. Umgekehrt sind Wanderungen von Indien nach Iran ausgesprochen selten. Die Wende der Regierungszeit Ismāʿīls ist sicher die bereits erwähnte Schlacht von Čāldirān (1514). Im Ergebnis dieser Schlacht verloren die Safawiden alle Gebiete in Ostanatolien, teilweise sogar in Aserbaidschan; die Hauptstadt wurde später von Tabrīz weg nach Qazwīn, weiter weg von der osmanischen Bedrohung, verlegt, noch später nach Iṣfahān, das dann der glanzvolle Mittelpunkt von Šāh ʿAbbās und seinen unmittelbaren Nachfolgern war. Die Safawiden haben seither die direkte Konfrontation mit den Osmanen zu vermeiden versucht und sich mehr auf mobile Taktiken gestützt. Erst später bildete sich so etwas wie ein Gleichgewicht heraus. Gründe für den Ausgang der Schlacht: Die Kızılbaş kämpften wie immer mit sehr hoher Motivation, ja mit Todesverachtung; sie hatten bislang noch nahezu jede Schlacht so gewonnen (die Niederlage gegen die Usbeken, 1512, wird darauf zurückgeführt, dass sie mit ihrem Feldherrn nicht einverstanden waren und daher einen geringeren Einsatz zeigten). Sie waren sich der Unterstützung durch übersinnliche Mächte, insbesondere den Verborgenen Imam, sicher, und konnten sich nicht vorstellen, nicht zu siegen. Schlachtentscheidend war, das wird übereinstimmend so gesehen, die osmanische Feldartillerie: Hinter einer Wagenburg standen die Kanonen der Osmanen, mit denen sie die angreifende KızılbaşKavallerie dezimierten. Diese versuchten, die Artilleriestellungen zu stürmen, kamen aber nicht ans Ziel. Die Verluste auf beiden Seiten müssen sehr groß gewesen sein, denn die Osmanen konnten im Ergebnis zwar nach Tabrīz vorrücken, blieben dort aber nicht: Auch 7 wenn der Sultan gewollt hätte, die Truppen waren nicht bereit, den Kampf fortzusetzen. Čāldirān ist ein eindrucksvoller Beweis dafür, dass ein neues Zeitalter angebrochen war. 3.3 Šāh ʿAbbās I (1587 – 1629) Das weitere 16. Jahrhundert sah einen Vorgang, den man „Routinisierung des Charismas“ nennen könnte. Die hohe Stimmung war nach Čāldirān vorbei, die Kızılbaş wurden zunehmend zu einer tribalen Konföderation mit erheblichem inneren Konfliktpotenzial, das auch dadurch zunahm, dass die religiösen Bindungen an die Person des Schah zurückgingen. Der Bestand der Zentralgewalt scheint an manchen Stellen gefährdet zu sein: Einmal wegen der heftigen Konflikte innerhalb der Kızılbaş-Konföderation, zum andern auch wegen der mörderischen Praktiken, mit denen gelegentlich die Thronfolge geregelt wurde. Ähnlich wie bei den Osmanen war auch bei den Safawiden manchmal der physische Bestand der Dynastie gefährdet. Der wichtigste Herrscher der Dynastie, eben genannter ʿAbbās, ist derjenige, der am ehesten die Umstrukturierung des Staatswesens von einem tribal gestützten zu einem zentralisierten repräsentiert. Weil ihm diese Umstrukturierung weitgehend gelungen ist, weil er eine Zeit der inneren Stabilität und auch des Wohlstandes erreichen konnte, und natürlich wegen seiner prächtigen Bauwerke, ist er volkstümlicherweise in Iran derjenige, den man nennt, wenn gefragt wird, von wem eine glanzvolle Einrichtung herstammen möge. Richtig müssen diese Zuschreibungen nicht immer sein. Ziel der Politik des Schahs war es, die miteinander im Streit liegenden türkmenischen Kızılbaş-Fraktionen auszuschalten. Dafür brauchte er eine eigene Machtbasis. Wie im Osmanischen Reich auch setzte der Schah das Mittel der Palastsklaven ein, um diese Machtbasis aufzubauen. Die safawidischen qullar sind parallel zu den osmanischen kapıkulları (beide Ausdrücke sind tü. „Palastsklaven“) zu sehen. Ähnlich wie die osmanischen Palastsklaven kamen auch ihre safawidischen Pendants aus zum Staatsverband gehörenden Provinzen mit mehrheitlich nicht-muslimischer Bevölkerung, im osmanischen Fall sind das Balkanprovinzen, im safawidischen Fall ist das Georgien, das zumindest längere Zeit zum safawidischen Reich gehörte. Nun stammten manche der Militärführer georgischer Herkunft durchaus aus adligen Familien (anders als die osmanischen Palastsklaven) und schlossen sich der iranischen Armee freiwillig an. In diesen Fällen ist die Versklavung eher symbolisch, nicht juristisch zu sehen. Ähnlich wie die osmanischen Yeniçeri wurden auch die iranischen Palastsklaven mit Feuerwaffen ausgerüstet und kaserniert. Dies führte zu einem erheblichen Machtverlust der Kızılbaş. Parallel zur Umstrukturierung der Armee setzte ʿAbbās eine Neuordnung der Provinzialverwaltung durch. Waren bisher die meisten Provinzen an Kızılbaş-Führer 8 vergeben, die von den Steuereinnahmen sich und ihre Leute finanzierten (tiyūl-System, tiyūl ist ein Fachausdruck für diese Art von Zuweisung von Steuereinnahmen), so wurden nun viele dieser Provinzen zu Kronland, mit den Einnahmen wurde die neue Sklaventruppe bezahlt (ḫāṣṣa-Prinzip, ḫāṣṣa, ar. „Besonderes“, bedeutet in der Fachsprache der Verwaltung jener Zeit das Kronland). Das betraf so ausgedehnte Provinzen wie Fārs, Kirmān, die kaspischen Provinzen und den Kaukasus. Die Hauptstadt (seit 1598 Iṣfahān) wurde zu einem Schaustück imperialer Macht und Pracht ausgebaut. Auch hier ist wie im Osmanischen Reich die Privatwohnung des Herrschers das eigentliche Zentrum des Reichs. Noch eine Parallele zum Osmanischen Reich betrifft die Thronfolgeregelung. Auch hier gilt: Seit ʿAbbās haben die Prinzen der Dynastie keine Gelegenheit mehr, sich in Militärkommandos oder als Provinzgouverneure zu bewähren. Die Ausdünnung der männlichen Familienanteile durch Gift und Messer, im safawidischen Fall auch durch Blendung, spielte eine weitere Rolle. Im Ergebnis kamen nach ʿAbbās nur noch Männer auf den Thron, die außer der Welt des Harems nichts kennen. Der Harem wurde daher immer wichtiger. Anders als bei den Osmanen litt darunter ziemlich rasch auch die Armee, die finanziell immer kürzer gehalten wurde; schon in der Mitte des 17. Jahrhunderts heißt es, die Armee sei außer für Paraden für nichts zu gebrauchen, vor allem zum Kriegführen nicht. In der Tat hat die safawidische Dynastie in den letzten hundert Jahren ihres Bestehens nur noch selten und fast nie mehr erfolgreich Krieg geführt. Die wirtschaftliche Entwicklung Irans im 17. Jahrhundert verlief durchaus positiv. Die innere Stabilisierung machte sich auch wirtschaftlich bemerkbar. Weiter strebte der Schah, vor allem eben ʿAbbās, ganz ausdrücklich nach Verbesserung der Handelsbeziehungen. Zu diesem Zweck ließ er auch europäische Kaufleute nach Iṣfahān und in andere Städte kommen, von Bedeutung sind die iranischen Niederlassungen sowohl der britischen East India Company als auch der niederländischen VOC. Im Export aus Iran spielte Seide noch eine Rolle, daneben Teppiche und Naturprodukte. Importiert wurden zunehmend Manufakturwaren. Im 17. Jahrhundert war Iran aber außer für den Handel auch für Kulturkontakte offen, so durften sich mehrere christliche Orden in Iṣfahān niederlassen. Politisch pflegte der Hof in Iṣfahān Kontakte zu vielen Höfen, in Indien, dem Osmanischen Reich und in Europa, darunter dem Hof in Versailles. Die Reiseberichte europäischer Diplomaten, Kaufleute und Forscher sind nun zusammen mit den Archiven der europäischen Handelsniederlassungen eine ebenso wichtige Quelle für die iranische Geschichte wie die persischen Chroniken selbst. Dem Ausbau der Handelsbeziehungen und dem Glanz der neuen Hauptstadt diente auch die Umsiedlung einer großen Gemeinde von Armeniern aus den nordwestlichen Provinzen (teilweise aus Furcht, sie könnten den Osmanen in die Hände fallen) nach Iṣfahān, wo sie 9 einen eigenen Stadtteil, „Neu-Ǧulfā“, zugewiesen bekamen. Bald konnten die dort zentrierten armenischen Handelshäuser weit ausgreifende Netze spannen, deren Stützpunkte unter anderem Amsterdam, Venedig und später St. Petersburg waren; sie unterhielten aber auch Niederlassungen in Indien. 3.4 Ende Wie gesagt schwächte sich im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts die safawidische Herrschaft immer mehr ab. Vor allem wurde die Armee – die nunmehr überwiegend aus georgischen Militärsklaven bestand – vernachlässigt. Die Verbindungen zwischen dem Hof und der Gesellschaft (einschließlich wichtiger Komponenten des Staatsapparates wie z.B. der Armee) wurden schwächer. Tribale Konglomerate erstarkten wieder. Seit 1639 bestand und hielt der Friede mit dem Osmanischen Reich (der geschlossen worden war, nachdem die Osmanen unter Murād IV. Bagdad wieder erobert hatten), das seinerseits in immer größere Schwierigkeiten geriet und dem safawidischen Iran daher nicht mehr gefährlich werden konnte. Im Osten des safawidischen Iran gab es einen Krisenherd, das war die Region um Qandahār (heute im südwestlichen Afghanistan). Auf diese Stadt und Region erhoben sowohl Indien (unter den Mogulkaisern militärisch und wirtschaftlich stark, in der Mitte des 17. Jahrhunderts auf dem Höhepunkt seiner Macht, s. folgende Stunde) als auch Iran Anspruch. Diesen Anspruch konnten bald die Iraner, bald die Inder durchsetzen. Anfang des 18. Jahrhunderts bildete sich im westlichen Afghanistan zwischen Herat und Qandahār die afghanische Ġilzāy-Konföderation heraus. Dabei handelt es sich um eine der beiden wichtigsten Konföderationen der Paschtunen (die Bezeichnung „Afghane“ wurde damals nur auf Paschtunen angewendet, und innerhalb Afghanistans ist es bis heute dabei geblieben, als Begriff für alle Staatsbürger Afghanistans ist es nicht gebräuchlich). Diese Konföderation war gegen die safawidischen Statthalter in beiden genannten Städten am Ende so erfolgreich, dass sie einen Vorstoß auf safawidisches Gebiet unternahmen. Erstaunlich leicht drangen die Afghanen vor, sie erreichten 1721 die Hauptstadt Iṣfahān, welche sie im folgenden Jahr einnahmen. 4 Iran nach den Safawiden (bis ca. 1800) Die Eroberung Iṣfahāns führte wieder zu einer Situation der politischen Zersplitterung Irans in mehrere Regionalherrschaften, unter denen die Afghanen selbst nur eine waren – sie hatten in Iran wenig Freunde. Turkmenische und andere tribale Gruppen konnten sich selbständig machen. Eine davon (die turkmenischen Afšār) trug den Militärführer und Eroberer Nādir Šāh an die Macht (1730/1736 - 1747), der zunächst im Namen eines safawidischen Prinzen herrschte, später aber auch nominell die Herrschaft übernahm. Unter 10 ihm gab es in Iran noch einmal eine autokratische Herrschaft mit zentralistischen Zügen und eine von Iran ausgehende Eroberungsbewegung. Nādir Šāh kam nach Mittelasien und nach Indien, von wo er den berühmten Pfauenthron mitbrachte. Zwar wird Nādir Šāh als der letzte große nomadische Eroberer angesehen, aber seine Armee war bereits nicht mehr im vollen Sinn nomadisch: Es gab Feuerwaffen und Artillerie, und die Organisationsformen waren durchaus an Verhältnisse angelehnt, die man aus dem Osmanischen Reich kennt. Man kann sogar die These vertreten, dass gerade der Kontakt mit der iranischen Armee unter Nādir Šāh etwa in Mittelasien (vor allem dem Emirat von Buchara) einen „Modernisierungsschub“ ausgelöst hat. Nach Nādir Šāh trat wieder der Zustand regionaler Zersplitterung Irans ein, der dann erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts von der aufstrebenden Dynastie der Qāǧār aufgehoben wurde (1796 Thronbesteigung des ersten qāǧārischen Herrschers, Āġā Muḥammad Ḫān). 11