Aischylos und seine Teppich-Szene

Transcription

Aischylos und seine Teppich-Szene
Leibniz Universität Hannover
Philosophische Fakultät
Historisches Seminar
Seminar im Hauptstudium:
Purpur und Seide: Kleiderluxus und politische Kultur in der Antike
Dozentin: Prof. Dr. B. Wagner-Hasel
Antike
Hausarbeit
Aischylos und seine Teppich-Szene Kritik an Kleiderluxus?
Benjamin Königshofen
LA Gym: Musik und Geschichte
2
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
3
2
Die Teppich-Szene: Aischylos Instrument politischer Erziehung?
4
2.1 Politische Bedeutung der Tragödie
4
2.2 Aischylos' Weltbild
5
2.3 Aischylos' Verarbeitung des Mythos von Agamemnons
6
Heimkehr
3
Deutung(en) der Teppich-Szene
8
3.1 Die Teppich-Szene als Symbol für Agamemnons Hybris
8
3.2 Die Teppich-Szene als Symbol für Klytaimestras
unheilvolles Verhalten in ihrer Rolle als Frau
14
3.3 Die Teppich-Szene als Symbol der Ablehnung von
archaischem Begräbnisaufwand
16
4
Politische Deutung der Teppich-Szene: Kritik an Kleiderluxus?
18
5
Zusammenfassung
20
6
Literaturverzeichnis
21
3
1 Einleitung
„Mägde! Was säumt ihr, deren Auftrag ist und Amt,
Des Weges Grund zu decken ihm mit Teppichen?
Sogleich entsteh ein purpurüberdeckter Pfad,“1
spricht Klytaimestra in Aischylos Tragödie „Agamemnon“. Damit beginnt der Teil dieser Szene,
durch den sie in der Forschung den Namen „Teppich-Szene“ erhalten hat. 2 Im Rahmen des
Seminars „Purpur und Seide: Kleiderluxus und politische Kultur in der Antike“ gehe ich der Frage
nach, inwiefern für Aischylos Teppiche Kleiderluxus sind oder repräsentieren, zu welchem Zweck
Aischylos diese Szene gestaltet hat und ob er damit Kleiderluxus kritisiert. Aischylos Tragödie
muss dabei in die politische Kultur seiner Zeit eingeordnet werden.
In Kapitel 2.1 erörtere ich, dass die Tragödie als Gattung politisch war. Anschließend führe
ich unter 2.2 Aischylos Ansichten aus, die für die politische Interpretation dieser Stelle relevant
sind, und unter 2.3 erläutere ich Aischylos Verarbeitung seiner mythischen Vorlage. In Kapitel 3
deute ich die Teppich-Szene in ihrem von Aischylos beabsichtigten Symbolcharakter.
Dies ordne ich nach den von der Forschung angenommenen textilen Bezugspunkten von
Aischylos Teppichen und der daraus folgenden Deutung. Unter 3.1 stelle ich die Deutung dar, dass
Agamemnon den Göttern gegenüber überheblich ist (hybris) und dass er in diesem Verhalten dem
persischen Großkönig ähnelt. Der textile Bezugspunkt ist dabei der persische Königsteppich.
Ähnlich sehen das Rainer Bernhardt, Gregory Crane und Everad Flinthoff in der neueren
Forschung. Unter 3.2 und 3.3 diskutiere ich abweichende Forschungsmeinungen. Lynda McNeil
identifiziert Aischylos Teppiche als Hochzeitsgewänder und Beate Wagner-Hasel interpretiert sie als
Leichentücher.
Die wichtigsten Quellen zur Interpretation von Aischylos Teppich-Szene sind neben
Aischylos Tragödien die mythischen und archaischen Bezüge, welche man bei Homer findet, und
die Bezüge aus der klassischen Zeit, d.i. v.a. Herodot, der aus den gleichen Gedanken und
Erzählungen wie Aischylos schöpft.
Vorab ist zu erwähnen, dass auch ich wie die Forschung diese Szene „Teppich-Szene“ nenne
und von „Aischylos Teppichen“ spreche. Diese Benennung folgt der Benutzung der Gewebe in der
Szene. Die neuere Forschung stellte aber fest, dass es sich nicht um Teppiche im herkömmlichen
Sinn handelt, also nicht um Gewebe, die zum Zweck des Beschreitens gefertigt wurden, und meint,
dass die Gewebe eher „Kleidung“ genannt werden sollten.
1 Aischyl. Ag. 908-910.
2 Die Szene erstreckt sich mit den Vorreden vor dem Teppichausbreiten von Vers 782 bis zu Vers 974.
4
2 Die Teppich-Szene: Aischylos' Instrument politischer Erziehung?
2.1 Politische Bedeutung der Tragödie
Die Tragödien wurden im klassischen Athen im Rahmen der Großen Dionysien aufgeführt.
Dieses religiöse Fest war keine Freizeitveranstaltung, sondern es diente dem sozialen
Zusammenhalt, erinnerte an die Kultmythen und deren gesellschaftliche Bedeutung.3 An drei Tagen
des Festes wurden Tragödien von drei Dichtern aufgeführt, die ein Jahr vorher eingereicht werden
mussten und vom Archonten ausgewählt wurden. Im 5. Jh. v. Chr. wurden wahrscheinlich rund
1000 Tragödien geschrieben, und es gab eine harte Konkurrenz bei der Auswahl der Dichter. Nach
den Aufführungen wurde eine als beste Tragödie ausgewählt und ihr Verfasser vor der
versammelten Bürgerschaft geehrt. Das Kunstwerk „Tragödie“ unterstand also einer starken
institutionalisierten Kontrolle der politischen Gemeinschaft.4
Vor der Aufführung der Tragödien, wenn das Theater schon mit athenischen Bürgern gefüllt
war, gab es drei rituelle Handlungen: Die zehn Strategen brachten dem Dionysos ein Trankopfer
dar,5 anschließend wurden die Beiträge bzw. Tribute der athenischen Bundesgenossen in Form von
Silberbarren in der Orchestra des Theaters aufgestapelt und danach zogen die erwachsenen
Kriegswaisen ins Theater ein, die von der Polis bis zu ihrer Volljährigkeit aufgezogen wurden und
in dieser Situation geehrt wurden6. „Hier choreographiert sich die militaristische Ideologie der
athenischen Demokratie.“7 Diese zeremoniellen Elemente zeigen deutlich die politische Semantik
der Inszenierung: Das Tributsilber steht einerseits für die Herrschaft Athens in seinem Seebund,
andererseits ist es Mittel für den Unterhalt der Flotte und die Errichtung von Bauten, d.h. für die
Finanzierung des Staates. Die Kriegswaisen stehen einerseits für die Opfer, die diese Herrschaft
bringt, andererseits zeigt die erfolgreiche Betreuung der Kriegswaisen durch die Polis, dass für die
Gemeinschaft nichts verloren ist: Sie stehen für die biologische Erneuerung und für den Zuwachs
an Macht. Sie verweisen auf den Ertrag: Den Ruhm für die Gefallenen und ihre Familien, die Macht
und das Ansehen für die Polis. Die Polis vermittelt dabei diesen symbolischen Tausch: Für Athen
opfert man sich und so gedeiht Athen und mit ihm alle Bürger.8 Dieser Rahmen rückte jede
Tragödie im klassischen Athen in einen unmittelbaren politischen Kontext, so dass eine Tragödie in
dieser Situation gar nicht anders als politisch vom Publikum rezipiert werden konnte.9
3
4
5
6
7
8
9
Flaig, Egon: Ödipus. Tragischer Vatermord im klassischen Athen. München 1998. S. 51.
Flaig, S. 51-52.
Plutarch, Kimon, 8.
Aischines, gegen Ktesiphon, 154. Vgl. Flaig, S. 53.
Flaig, S. 53.
Flaig, S. 54.
Flaig, S. 53-55.
5
Die Tragödie war politische Pädagogik. So formuliert es Aristophanes, wenn er im agon in
der Unterwelt Aischylos fragen lässt: „Nun denn, so gib mir auf eines Bescheid: was erwirbt dem
Poeten Bewunderung?“, und Euripides antwortet: „Talent und Geschick und moralischer Zweck,
begeisterter Eifer, die Menschen im Staate zu bessern.“10 Am Ende des Stückes erhält Aischylos
den Auftrag „die teuerste Stadt mit besonnenem Rat [zu retten]“.11
Diese politischen Maximen hat Aischylos angenommen und seine Tragödiendichtung sollte
und konnte keine unabhängige Kunst sein. Auf Aischylos Grabstein steht nur, dass er sich mit
Kampfesmut in Marathon ausgezeichnet habe12, seine Dichtung ist nicht erwähnt.13
2.2 Aischylos Weltsicht14
Wozu wollte Aischylos sein Publikum erziehen? In seiner Tragödie „Perser“, die sein
ältestes erhaltenes Werk (von 472) ist, erklärt Aischylos die Niederlage der Perser gegen die
Griechen. Zwar wirkt ein daimon15 bei der persischen Niederlage und wird als das persische Heer
zerstörend beschrieben,16 doch die Verantwortung für die Niederlage weist der ins Göttliche
gerückte Geist des Dareios17 seinem Sohn Xerxes zu. Xerxes verfiel in jugendlicher
Unbesonnenheit18 dem Hochmut, der Anmaßung, der hybris: Er legte dem Hellespont und damit
dem Meeresgott ein Joch an19 und sah sich als Mensch gottgleich.20 Seine Fehler sind auch die des
persischen Heeres.21 Die hybris zeigt sich als Überschreitung des vernünftigen Maßes beim Streben
nach Herrschaft und Reichtum und bringt Schuld und Strafe.22 Diese Anmaßung zeigt sich auch im
Niederbrennen von Tempeln23 und im Angriff der Landmacht Persien auf die Seemacht der
Griechen24. Hybris ist also der Grund für die Niederlage, der daimon vollzieht nur die dafür
festgesetzte Strafe und Dareios kann – weil er hybris gemieden hat – Xerxes verurteilen.25
10 Aristoph. Ran. 1008-1010.
11 Aristoph. Ran. 1501-1502.
12 Aischylos bios 11. In Werners Aischylos Gesamtausgabe S. 678-679. Vgl. Lossau, Manfred Joachim: Aischylos.
Hildesheim 1998. S. 11. „Jenes Epigramm muss dem Dichter aus der Seele gesprochen haben wie nur etwas.“ Ebd.,
S. 11.
13 Vgl. Flaig, S. 52-53.
14 Ich behandele nur die Aspekte dieses umfangreichen Themas, die für meine Untersuchung relevant sind.
15 Bei Aischylos unbestimmbare göttliche Mächte, die Missetäter bestrafen, aber auch für gutes Schicksal stehen
können (z.B. Aischyl. Pers. 601). Vgl. dazu: Johnston, Sarah Iles: Dämonen. V. Griechenland und Rom. DNP, Bd. 3,
1997, Sp. 261-264.
16 Aischyl. Pers. 345, 354, 472, 515, 724-25, 911, 942, 1005.
17 Vgl. Lossau, S. 38-39.
18 Aischyl. Pers. 744, auch schlechte Beratung (753) und Krankheit der Vernunft (750).
19 Aischyl. Pers. 745ff.
20 Aischyl. Pers. 80, 749.
21 Aischyl. Pers. 72.
22 Aischyl. Pers. 820ff.
23 Aischyl. Pers. 808ff.
24 Aischyl. Pers. 101-113.
25 Vgl. Lossau, S. 40.
6
„Die theologische Deutung menschlichen Lebens und Handelns durchzieht alle Stücke des
Aischylos.“26 Von außen wirken daimon (s.o.) und Geschlechterfluch27 unheilbringend auf die
Protagonisten. Die Götter sind neidisch28 und verführen den Menschen zu falschem Handeln. 29 Die
Menschen laden aber auch selber Schuld auf sich und befördern so das Unglück: „Doch ist einer
selbst zu eifrig, trägt ein Gott zu seinem Fall noch bei.“30 Zum Beispiel Eteokles in Aischylos Stück
„Sieben gegen Theben“: Seine hybris – entstanden aus verblendetem Handeln (ate) – ist, dass er
sich aus freien Stücken zum Bruderkampf entschließt.31 Agamemnons hybris ist das unmäßige
Verlangen nach der Opferung seiner Tochter.32 Auch Klytaimestra kann die Verantwortung am Mord
Agamemnons nicht von sich weisen. Der Geschlechterfluch gilt dem Chor nur als Mithelfer am
Mord, Klytaimestras Schuld bleibt.33
Übermut und Übermaß der Menschen wird von den Göttern gerächt. So betont Aischylos bei
der Erzählung des Falls Trojas auch nicht den Sieg der Griechen, sondern die Bestrafung des
Übermuts der Trojaner.34 Der Satz „Durch Leid Lernen“35 ist Aischylos theologische Erklärung:
Das Leid der Menschen soll sie zur vernünftigen Einsicht und zu Selbstbescheidung erziehen.36
2.3 Aischylos' Verarbeitung des Mythos von Agamemnons Heimkehr
Die klassische Tragödie ist ein Hybrid aus den (homerischen) Mythen und der Welt des 5.
Jh. v. Chr.37 Die Teile, die sich auf das 5. Jh. beziehen, sind vom Dichter neu geschaffen und somit
besonders auf seine Aussageabsicht hin gestaltet. Die Identifizierung von neu geschaffenen Teilen
und übernommenen mythischen Teilen der Tragödie ist damit für die Deutung von Stücken oder
einzelnen Szenen wichtig.
Der Mythos von Agamemnons Heimkehr ist uns aus der Zeit vor Aischylos überliefert. Bei
Homer finden sich zwei verschiedene Bilder von Klytaimestra in zwei verschiedenen Geschichten
über den Ablauf von Agamemnons Ermordung durch Aigisthos. In der ersten Erzählung (Nestor
erzählt Telemachos von den erfolgreichen und misslungenen Heimfahrten der homerischen Helden)
wird Klytaimestra von Aigisthos verführt und ist in seinem Haus anwesend, als Agamemnon getötet
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
Zimmermann, Bernhard: Aischylos. In: DNP. Bd. 1, 1996, Sp. 350-357. Hier Sp. 350.
Aischyl. Sept. 739ff., Ag. 1178ff.; 1468ff. und 1481ff. Geschlechterfluch und Daimon.
Aischyl. Pers. 362.
Aischyl. Pers. 93-100; Niobe Fragment 152 (Werner, S. 613): „...ein Gott erzeugt die Schuld den Sterblichen, will er
ins Unheil stürzen ganz und gar ein Haus.“
Aischyl. Pers. 742.
Aischyl. Sept. 653ff. Vgl. Zimmermann, Sp 350.
Aischyl. Ag. 215ff. Vgl. Lossau, S.84; Zimmermann, Sp. 350.
Aischyl. Ag. 1497ff., 1505ff.
Aischyl. Ag. 367ff. Vgl. Lossau, S 86.
Aischyl. Ag. 177. Zusätzlich mit Verweis auf dike 249-250.
Vgl. Zimmermann, Sp. 350.
Morrell, Kenneth Scott: The fabric of persuasion. Clytaemnestra, Agamemnon and the sea of garments. In: The
Classical Journal, Vol. 92, No. 2 (Dez. 1996 – Jan. 1997), S. 141-165. Hier S. 142, Fußnote 5.
7
wird. Sie ist nicht aktiv beteiligt.38 In der Zweiten erzählt Agamemnons Schatten Odysseus, dass
Klytaimestra den Mord geplant habe, Kassandra erschlagen habe und so ruchlos gewesen sei, dass
sie ihrem toten Gatten nicht Mund und Augen geschlossen habe. 39 In dieser zweiten Erzählung wird
der Treue Penelopes die Untreue Klytaimestras gegenübergestellt. Deshalb wird sie als
verachtenswert geschildert.40 In der ersten Erzählung ist Aigisthos der aktive Mörder, in der zweiten
werden Aigisthos und Klytaimestra gemeinsam als planend und ausführend geschildert.
Die Existenz einer dritten Variante vor Aischylos ist uns bekannt und literarisch in
Fragmenten von Stesichoros überliefert. In den Fragmenten zu seinem Gedicht mit dem Titel
„Oresteia“ finden sich der Traum Klytaimestras, die Erzählung, wie Elektra und Orestes sich am
Grab des Agamemnon wiedererkennen und die Szene, in der Apollo Orestes einen Bogen zur
Selbstverteidigung gibt.41 Wegen Übereinstimmungen dieser Elemente mit Stellen bei den
klassischen Tragikern wird Stesichoros' Gedicht als Vorlage dieser Stücke angenommen – oder
wenigstens als aus der selben Quelle schöpfend.42 Diese Version der Geschichte von Agamemnons
Heimkehr – auch die Ermordung von Aigisthos, auf die ich Bezug nehmen werde – wurde auf
Vasen dargestellt, die ebenfalls auf die Zeit vor Aischylos' Stück zu datieren sind. 43 Es ist
anzunehmen, dass sich die Darstellungen auf den Vasen und Stesichoros' Fragmente auf dieselbe
Erzählung gründen und dass sich ihr Inhalt ergänzt, da bei den Tragikern beide Elemente
miteinander verknüpft auftauchen.
Der Vergleich der Darstellung auf dem „Boston Oresteia krater“44 mit Aischylos Stück zeigt
nun, welche Elemente Aischylos übernommen hat und welche er abgeändert oder neu komponiert
hat. Auf dem krater wird Agamemnon in einem ihm übergeworfenen (durchschimmernden)
Gewebe gefangen, kein anderes Kleidungsstück bedeckt ihn. Er ist nackt als ob er gerade gebadet
wurde. Diese Ähnlichkeiten mit Aischylos ließen E. Vermeule vermuten, dass der krater erst nach
Aischylos Aufführung der Orestie 458 entstand, aber der Stil der Malerei lässt eine Produktion vor
470 annehmen.45 Des Weiteren stimmt der Inhalt der dargestellten Szenen nicht mit dem
Theaterstück überein. Auf dem krater wird Agamemnon von Aighistos getötet und nicht von
Klytaimestra. In beiden Versionen war sie aber daran beteiligt, Agamemnon in einem Gewand zu
fangen. Bei Aigisthos Ermordung durch Orestes schreitet sie – so die Szene auf dem krater – mit
38
39
40
41
42
43
44
45
Hom. Od. 3,195, 3,264 und 4,512.
Hom. Od. 11,409 und 24,97.
Bethe, Erich: Klytaimestra. In: RE, Bd. XI,1, 1921, Sp. 890-893.
West, M.L.: Greek Lyric Poetry. Oxford 1993. S. 93-94. Robbins, Emmet: Stesichoros. In: DNP, Bd. 11, 2001, Sp.
973-975.
Bethe, Klytaimestra, Sp. 892f.; Treu, Max: Stesichoros. In: RE, Suppl. XI, 1968, Sp. 1253-1256.
Vgl. Bethe, Klytaimestra, Sp. 892f.; Treu, Stesichoros, Sp. 1255f.
Benennung nach I. D. Jenkins; LIMC Bd. 1,2, 1981, S. 201, Agamemnon 89; LIMC Bd. 6,2, 1992, S. 36,
Klytaimestra 16.
Jenkins, I. D.: The Ambiguity of Greek Textiles. In: Arethusa, Bd. 18 (1985), S. 109-132. Hier S. 118-119.
8
einer Axt ein und versucht es zu verhindern – eine häufige Darstellung. 46 Im Stück dagegen ist sie
beim Tod Aigisthos nicht anwesend, verlangt erst nachher nach ihrem „männertötenden Beil“ 47 und
stirbt dann ohne (physischen) Kampf. Aischylos spielt damit auf die Darstellung der
axtschwingenden Klytaimestra an, ohne diese Darstellung auf die Bühne zu bringen.
Die oben genannten Fragmente von Stesichoros und die Elemente der Vasendarstellung sind
bei Aischylos verknüpft. Seine Vorlage veränderte er in einem wichtigen Punkt: Klytaimestra führt
die Ermordung Agamemnons alleine und ohne direkte Hilfe Aigisthos durch.
Klytaimestra nimmt bei Aischylos eine selbstständige Position ein. Sie zeigt machtvolles,
männliches Verhalten48 und übt Kontrolle über männliche „Handlungsfelder“ aus49. Auch in der
„Teppich-Szene“ ist Klytaimestra handelnd dargestellt und setzt sich sogar gegen Agamemnon
durch.50 Somit steht auch die Teppich-Szene im Gegensatz zu Aischylos Vorlage. Es ist also
anzunehmen, dass Aischylos die Teppich-Szene neu geschrieben hat und in ihr u.a. seine politischreligiöse Erziehungsbotschaft besonders ausdrücken wollte.
3 Deutung(en) der Teppich-Szene
3.1 Die Teppich-Szene als Symbol für Agamemnons Hybris
Agamemnon ist in Aischylos gleichnamiger Tragödie der Gute. Sein Tod wird vom Chor 51
und seinen Kindern52 bedauert. Bei seinem Auftreten erscheint Agamemnon als frommer Herrscher
und dankt den Göttern53. Der Chor versieht ihn mit dem positiven Titel basileus54 und sogar dem
demokratischen Titel strategos.55 Klytaimestras Herrschaft wird im Gegensatz dazu als tyrannis
bezeichnet.56 Wie erklärt Aischylos nun seinem Publikum, warum der Gute stirbt? Insbesondere:
Welche Schuld lud er auf sich?
46 LIMC Bd. 6,2, 1992, S. 36.
47 Aischyl. Choeph. 889.
48 Aischyl. Ag. 348, 351 (Klytaimestra redet weise, besonnen wie ein Mann); 611-612: Klytaimestra sagt, sie wisse –
wie es sich für eine treue Frau gehört – nichts vom „Erzes Bad“. Das ist gelogen, da sie Agamemnon mit eisernen
Waffen erschlägt (1125ff., 1149, 1262, 1384). Auch hier ist Klytaimestra machtvoll auf einem männlichen Gebiet.
49 Vgl. Hame, Kerri J.: Female Control in Funeral Rites in Greek Tragedy: Klytaimestra, Medea and Antigone. In:
Classical Philology, Vol. 103 (2008), S.1-15: Klytaimestra übernimmt die Planung von und die Kontrolle über
Agamemnons Totenriten, was nicht eine Aufgabe von Frauen ist.
50 Aischyl. Ag. 782-974.
51 Aischyl. Ag. 1410 (implizit), 1489-91, 1513-1515, 1536ff.
52 Aischyl. Choeph. passim.
53 Aischyl. Ag. 810ff.
54 Aischyl. Ag. 782, 1488, 1513.
55 Aischyl. Ag. 1627. In 1452 Agamemnon als „edelmütiger Wächter“.
56 Aischyl. Ag. 1354-55, 1365.
9
Die Opferung Iphigeneias57, die Bettgefährtin Kassandra58, einen daimon59 und einen
Fluchgeist60 nennt Klytaimestra als Motive und Ursachen für ihren Mord. Der Chor ergänzt dies und
nimmt darauf Bezug. Den Fluchgeist und den daimon konnte Agamemnon nicht beeinflussen.
Kassandra als Bettgefährtin war zwar eine Zumutung für Klytaimestra. Doch den Chor beschäftigt
das nicht, wenn er gleich darauf um den „edelmütigen Schützer“ der Polis trauert.61 Dieser Makel
beeinflusst seine Herrscherrolle nicht. Ist Agamemnon also nur ein Opfer der göttlichen Umstände?
Trägt er keine persönliche Schuld?
„[Tat] Iphigenien er recht, so geschah ihm auch recht!“62 Wenn Agamemnon nicht – vor
den Göttern – schuldig sei, sagt Klytaimestra, so gelte doch mindestens das Recht der Rache.
„Schwer ist im Streit Entscheidung.“63 sagt der Chor und unausweichlich scheint ihm die
Vergeltung des Schicksals (moira).64 Gilt letztlich: „Dies bleibt, solang bleibt auf seinem Throne
Zeus: Daß Leid der Tat folgt.“65 Nicht nur, denn schon bei der Opferung von Iphigeneia lädt
Agamemnon persönliche Schuld auf sich.66
Des Weiteren verursacht und beschleunigt Agamemnon seine göttliche Strafe durch sein
vermessenes Handeln in der Teppich-Szene. „Noch mache [...] mir neidvolle Bahn zurecht! Nur
Göttern ja ziemt solcher Ehre Zoll.“67 Agamemnon fürchtet hier den Neid der Götter und tut dies
auch noch, nachdem er in das Betreten der Gewebe eingewilligt hat. 68 Dennoch betritt er die
Gewebe und wird bald darauf ermordet. Seine Anmaßung (hybris), Würden anzunehmen, die nur
Göttern zustehen, wird ihm so zum Verhängnis. 69 Zwar hofft der Chor, dass die freiwillige
Reduzierung des Wohlstandes den Neid der Götter reduziere, aber Agamemnon verfehlt dieses
Ziel.70 Er erhöht mit dem Wandeln über die buntbebilderten und kostbaren Gewebe seine eigene
Person – dieses ruft Neid hervor.71 „Daß Götter um Menschen sich kümmern, die das Heiligste
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
Aischyl. Ag. 1417, 1432, 1522ff., 1555.
Aischyl. Ag. 1437ff.
Aischyl. Ag. 1468ff, 1483 (daimon wirkt im Haus). 1477 (daimon des Stammes).
Aischyl. Ag. 1500ff. Rachegeist für Atreus Frevel; 1509; 1565, 1569, 1577ff. Generationenschuld als Ursache des
Fluches in Beschreibung von Atreus Frevel.
Aischyl. Ag. 1452.
Aischyl. Ag. 1515.
Aischyl. Ag. 1561.
Aischyl. Ag. 1535.
Aischyl. Ag. 1563-64.
Aischyl. Ag. 220ff. Vgl. 2.2; Lossau, S.84; Zimmermann, Sp. 350.
Aischyl. Ag. 921-22.
Aischyl. Ag. 947.
Zum Neid der Götter bei Aischylos auch: Aischyl. Pers. 362.
Aischyl. Ag. 1008ff. Vgl. Flinthoff, Everad: The Treading of the Cloth. In: Quaderni urbitani di cultura classica, Nr.
25, S. 119-130, hier S. 126. Crane, Gregory: Politics of Consumption and Generosity in the Carpet Scene of
Agamemnon. In: Classical Philology, Vol. 88, No. 2 (April 1993), S. 117-136, hier S. 126.
Auch Klytaimestra möchte eine göttliche Strafe durch reduzierten Wohlstand abwenden (1573ff.). Ebenso die
Geschichte des Rings des Polykrates bei Hdt. 3, 39-42 und 120-126.
Aischyl. Ag. 937ff. Vgl. Flinthoff, S. 127.
10
reizverführt zertreten,“72 sollte man nicht leugnen. Denn Zeus führt die Strafe durch, wie er es
beschlossen hat.73 Der gute Herrscher Agamemnon verfällt der Hybris und deshalb ereilt ihn
göttliche Strafe.
Agamemnons Betreten der purpurfarbenen Gewebe ist das Symbol auf der Bühne, dass
seine hybris dem Publikum veranschaulicht. Dieser Schritt besiegelte sein Schicksal.74 Aischylos
war in der Antike für seine opulente visuelle Inszenierung bekannt.75 Es ist allerdings nicht
anzunehmen, das Aischylos seinem Publikum ein ausgebreitetes visuelles Symbol anbietet, sein
Publikum dazu aber nichts assoziieren kann. Somit ist zu klären, um was für Gewebe es sich
handelt, welche Assoziationen beim Publikum geweckt wurden und daraus folgend welchen textilen
Bezugspunkt der athenischen Erfahrungswelt die Gewebe hatten.
Wieso kommt Aischylos auf die Idee, Agamemnon über Gewebe laufen zu lassen? Gewebe,
die zum Betreten auf dem Boden liegen, nennt man gewöhnlich Teppiche. So übersetzt Oskar
Werner petasmata in Zeile 909 und heimata in Zeile 963. Auf die Probleme bei dieser Benennung
gehe ich später ein.
Es gibt ein anderes antikes Beispiel einer Teppichbenutzung dieser Art – nämlich durch den
persischen Großkönig. Zusammen mit der Parallele zu hybridem Verhalten von Agamemnon und
Xerxes in Aischylos Tragödien und den folgenden Hinweisen rückt Agamemnon in die Nähe der
östlichen Barbaren und die Gewebe erhalten als textilen Bezugspunkt den persischen
Königsteppich.76
Athenaios überliefert uns Quellen aus dem 4. Jh. v. Chr. zum Leben am Hofe des persischen
Großkönigs.77 So zitiert Athenaios Herakleides von Kyme und beschreibt ein Ritual, in dem der
persische Großkönig auf sardischen Teppichen (philotapidon sardianon) durch einen Innenhof an
seiner Leibgarde vorbei schritt. Wenn er den letzten Innenhof erreicht hatte, bestieg er einen
Kriegswagen, da er niemals außerhalb seines Palastes einen seiner Füße auf den Boden setzte.78
72 Aischyl. Ag. 370-371.
73 Aischyl. Ag. 367ff. Vgl. Eum. 539ff. (Altar des Rechts nicht schänden mit gottlosem Fuß. Vergeltung folgt darauf.);
534ff. (Gottlosigkeit trägt hybris. Gesundheit des Sinnes bringt Segen.).
74 Crane, S. 121.
75 Aischylos bios 14 (Werner S. 680-681). Mc Neil, Lynda: Bridal Cloths, Cover-Ups, and Kharis: The „Carpet Scene“
in Aeschylus Agamemnon. In: Greece & Rome. Vol. 52, No. 1 (2005), S. 1-17. Hier S. 13.
76 Textiler Bezugspunkt Persischer Königsteppich bei z.B. Crane, Flinthoff und Bernhardt, Rainer: Luxuskritik und
Auswandsbeschränkungen in der griechischen Welt. Stuttgart 2003. (= Historia Einzelschriften, Heft 168).
77 Vgl. Briant, Pierre: From Cyrus to Alexander. A History of the Persian Empire. Winona Lake 2002. S. 255.
Aus dem 5. Jh. ist uns zu diesem Aspekt (Persisches Hofzeremoniell) gar nichts überliefert, u.a. deshalb, weil sich
Herodot dafür nicht interessierte. Vielleicht verschweigt er dies, weil er als „Barbarenfreund“ (Vgl. Meister, Klaus:
Herodotos. In: DNP, Bd. 5, 1998, Sp. 469-475. Hier Sp.473. Meister, Klaus: Die Interpretation historischer Quellen
Schwerpunkt: Antike. Band 1: Griechenland. Paderborn u.a. 1997. S. 232.) etwas den Griechen so merkwürdiges
nicht erzählen wollte.
Die ältesten Quellen über das persische Hofzeremoniell sprechen also vom persischen Königsteppich.
78 Athen. 12, 514 b, c. Ebenfalls von Herakleides v. Kyme (Athen. 12, 517) stammt die Geschichte eines östlichen
Königs, der seinen Palast nicht verlässt.
11
„Nun aber [...] steig mir vom Wagen ab; doch nicht zur Erde setz, Herr, deinen Fuß,“79 heißt es bei
Aischylos. Agamemnon fährt im Wagen vor, betritt die Erde nicht und geht über die „Teppiche“ in
sein Haus. Dass der persische Großkönig nicht einfach die Erde betrat bzw. seinen Kriegswagen
verließ, beschreibt auch Dinon bei Athenaios. Immer wenn der König seinen Wagen verließ, wurde
ihm eine goldene Fußbank als (würdevolle) Steighilfe hingestellt. Es gab dafür den Fußbankträger
des Königs (diphrophoros).80 Herodot nennt hochstehende Perser diphrophoreymenoi. Entweder
hatten sie mit dieser Ehrung für den Großkönig zu tun oder erhielten selber eine Ehrung dieser Art.81
Herakleides von Kyme schreibt auch, dass der persische Großkönig auf einem goldenen
Thron saß, der von vier wertvoll verzierten Säulen umgeben war. Jede Säule war mit einem
buntgewebten oder gemusterten, purpurfarbenen Tuch bedeckt (himation poikilon porphyroyn).82
Die qualitative Beschreibung der Gewebe bei Aischylos passt dazu. Sie sind purpurfarben
(porphyros)83, bunt gemustert oder bebilderte Webereien (poikilon, poikilia)84 und damit sehr
wertvoll.85 Beide Qualitäten schließen sich nicht gegenseitig aus, wenn man annimmt, dass die
Gewebe u.a. mit purpurgefärbter Wolle bunt oder gemustert gewebt wurden.86 Der hohe Wert der
Gewebe ist eine Vorbedingung, damit das Beschreiten eine besondere Anmaßung wird. Gleichzeitig
passt diese Darstellung aber zu den Geweben des persischen Großkönigs. Insgesamt sahen die
griechischen Autoren der Klassik den Ursprung von Kleiderpracht und Teppichen bei ihren
östlichen Nachbarn.87
Agamemnon wird nicht nur damit in Aischylos' Stück in die Nähe der östlichen Barbaren
gerückt. Agamemnon sagt, Klytaimestra solle ihn nicht wie einen Barbaren behandeln88 und
Klytaimestra beschreibt ihn als Zerstörer Ilions89 und vergleicht ihn mit Priamos.90 Aischylos zieht
auch Parallelen zu seinen „Persern“. So habe Agamemnon Troja ein Joch umgeworfen, eben wie
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
Aischyl. Ag. 905-907.
Athen. 12, 514 b.
Hdt. 3, 146. Vgl. Crane, S. 122.
Athen. 12, 514 c.
Aischyl. Ag. 910, 946, 957, 959.
Aischyl. Ag. 923, 926, 936. Zur Bedeutung von poikilia s.a. Wagner-Hasel, Beate: Der Stoff der Macht –
Kleideraufwand, elitärer Konsum und Homerisches Königtum. In: Keimelion. Elitenbildung und elitärer Konsum
von der mykenischen Palastzeit bis zur Homerischen Epoche. Deger-Jalkotzy (Hg.), Wien 2007, S 325-337. (=
Veröffentlichungen der mykenischen Kommision, Bd. 27). Hier S. 330f.; McNeil, S. 5.
Aischyl. Ag. 949, 959. Vgl. Flinthoff, S. 121ff.; Crane, S. 131.
Vgl. Flinthoff S. 122.
Xen. Kyr. 8,8,16; Eur. Ion 1158-1165; Bernhardt, Rainer: Luxuskritik und Auswandsbeschränkungen in der
griechischen Welt. Stuttgart 2003 (= Historia Einzelschriften, Heft 168). S. 121ff. mit Quellenverweisen; Schroff,
Helmut: Tapes. In: RE, Bd. IV, A2, 1932, Sp. 2251-2253; Crane, S. 123: „Rolling out the red carpet for royalty“ war
eine alte Sitte des Nahen Osten. Vgl. Markusevangelium 11,8.
Aischyl. Ag. 919-920.
Aischyl. Ag. 906.
Aischyl. Ag. 935. Priamos wäre auf den Prunk getreten, was Agamemnon nachher auch ausführt. Vgl. auch Crane
122.
12
Xerxes dieses beim Hellespont tat.91 Klytaimestra sagt, dass es den Griechen gut ergehen würde,
wenn sie nicht Götter und Tempel schänden würden, welches die Perser taten.92
Die Erzählung von der Siegesnachricht durch ein Leuchtfeuer93 rückt Agamemnon ebenfalls
in einen barbarischen Kontext. Parallel dazu möchte der Perser Mardonios bei Herodot seinen Sieg
über die Athener mit Feuerzeichen dem König in Sardes bekannt geben.94 Parallelen zwischen
Herodot und Aischylos in seinem Stück „Perser“ zeigen sich auch bei Erzählungen zum Rückzug
der persischen Armee, dem zerlumpten Zustand der Kleider des Xerxes und der Nachricht der
Niederlage durch Boten.95 Herodot und Aischylos greifen zwar auf gleiche Topoi zurück, erzählen
sie aber unterschiedlich. Deshalb kann man davon ausgehen, dass Aischylos nicht Vorlage für
Herodot war, sondern beide aus einem reichen Quell von Erzählungen, die in Athen kursierten,
geschöpft haben.96 Eine Erzählung von Leuchtfeuern zur Übermittlung der Siegesnachricht über
große Entfernung verknüpfte das athenische Publikum also mit Erzählungen über die Perser.
Weitere parallele Topoi, die bei Herodot und Aischylos auftauchen, sind der Neid der
Götter97 und die Feststellung, dass man nur am Lebensende sagen könne, ob ein Mensch glücklich,
gesegnet, selig (olbios) sei oder nicht.98 Neben Aischylos kennt nur ein anderer klassischer Text
porphyrea heimata, nämlich Herodot. An allen drei Stellen werden solche Gewänder mit Fremden
aus dem Osten verbunden.99
Herodot überliefert uns auch die erste literarische Beschreibung eines Kontakts der Griechen
mit persischem Gewebeluxus. Die Griechen hatten unter dem Oberbefehl des Pausanias die Perser
bei Plaitaia besiegt. Als sie nach der Schlacht den Luxus im Zelt des persischen Heerführers
Mardonios betrachteten, sahen sie u.a. einen bunten gemusterten Wandteppich (parapetasmasi
poikiloisi).100 Die Perserkriege ereigneten sich nur zwanzig Jahre vor der Aufführung von Aischylos'
„Agamemnon“. Aischylos hatte dort mitgekämpft, könnte also Augenzeuge des persischen Luxus
gewesen sein.
Mit Pausanias haben wir ein zeitnahes Beispiel eines historischen siegreichen griechischen
91
92
93
94
95
Aischyl. Ag. 529f., Aischyl. Pers. 745ff.
Aischyl. Ag. 338-342, Aischyl. Pers. 808ff. Vgl. Lossau S. 40.
Aischyl. Ag. 1ff., 264ff.
Hdt. 9,3,1.
Zerstörung des Heeres beim Rückzug: Aischyl. Pers. 480-514; Hdt. 8,115,2, 8,117,2, 8,118-119, 8,129; Xerxes
Kleidungszustand: Aischyl. Pers. 1030; Hdt. 8,120; Botennachricht: Aischyl. Pers 249ff., Hdt. 8,54, 8,98,1, 8,99.
Vgl. Harrison, Thomas: The Emptiness of Asia. Aeschylus Persians and the history of the fifth century. London
2000. S. 53-54.
96 Harrison, S. 55.
97 Vgl. Fußnote 70.
98 Aischyl. Ag. 928-930; Solon und Kroisos über Lebensglück bei Hdt. 1,30,1, 1,32,6-7. Vgl. Crane S. 129-130.
99 Hdt. 1,50,1 (Kroisos opfert in Delphi solche Gewänder.), 1,152 (Der Phoker Pythermos spricht in dieser Kleidung
zu den Spartanern, die allerdings nicht auf ihn hören.), 3,22 (Kambyses schickt solche Gewänder dem äthiopischen
König als Geschenk, der diese aber ablehnt.); Vgl. Crane, S. 131-132.
100 Hdt. 9,82. Bei Feix als Teppich übersetzt. Vgl. zur Wortbedeutung parapetasma: Wagner-Hasel, Fußnote 43.
13
Feldherren, der nach seiner Rückkehr aus dem Osten, als er über Barbaren gesiegt hatte, später
barbarische Sitten annahm und persischem Luxus anhing.101 Das hätte Thukydides nicht schreiben
können, wenn sich nicht diese Vorstellung von Pausanias bei den Griechen durchgesetzt hätte.
Agamemnon war kein zweiter Pausanias, aber das Publikum verglich die beiden.102
Agamemnon verhielt sich den Göttern gegenüber anmaßend und wirkte auf das athenische
Publikum wie ein Perser, der der hybris verfallen war. Die Gewebe selber hatten als textilen
Bezugspunkt den persischen Königsteppich.
Die Funktionsbenennung „Teppich“ in der Übersetzung passt aber nicht zu den griechischen
Worten petasmata, heimata, poikila und hyphai, die die Gewebe beschreiben. In anderen
klassischen Kontexten haben sie die Bedeutung „Kleidung“. 103 Die Benutzung von Teppichen hat
sich bei den Griechen erst ab Alexander dem Großen verbreitet.104 Des Weiteren zeichnet sich ein
Teppich dadurch aus, dass man auf ihm laufen kann und ihn damit nicht zerstört. Agamemnon und
Klytaimestra sehen das Beschreiten aber als zerstörenden Akt.105
Nun ist die Benennung von Kleidung bei den Griechen keineswegs eindeutig. Die Griechen
hatten rechteckige, gewebte Stoffe, die als Kleidung dienen konnten, aber z. B. auch als Bedeckung
eines Möbelstücks.106 Ein peplos kann bei Homer Kleidung sein, aber auch Schmuck für einen
Streitwagen oder ein Tuch für die Toten.107 Eine spezielle Bedeutung der Namen von
Kleidungstypen ist in der Archaik und in der Klassik nicht zu fassen.108
Wenn Linda McNeil z.B. die Hochzeitskleidung und ihre Benutzung im Ritual in der Antike
beschreibt, spricht sie eindeutig von „bridal cloth“ - eine funktionale Benennung. Wir erwarten,
dass ein modernes, westliches Hochzeitskleid in der Form eines Kleides ist, lang ist, weiß ist und
dass viel Stoff verarbeitet ist. Die Funktionsbeschreibung enthält hier eine Erwartung der Gestalt
der Kleidung. Es gibt allerdings keinen klassisch-griechischen Terminus „Hochzeitskleid“.
Bestimmte Gewebe werden zu diesem Zweck benutzt, aber der Sprachgebrauch schreibt keine
eindeutige Gewebegestalt vor und legt ein Gewebe auch nicht auf diesen einen Zweck (Hochzeit,
Ehe) fest. Die Worte, die zur Beschreibung von „Hochzeitskleidern“ benutzt werden, werden auch
zur Beschreibung von normaler Kleidung benutzt.109 Die genaue Identität eines Kleidungsstücks
101 Thuk. 1,128, 1,130. Vgl. Crane S. 123ff. Pausanias auch bei Hdt. nicht ohne Vorbehalte: 5,32 (Geschichte, er strebe
Herrschaft über Hellas an und verbünde sich mit den Persern.), 8.3 (Überheblichkeit des Pausanias; hybris).
102 Vgl. Crane S. 125 und Fußnote 26.
103 Vgl. Jenkins S. 117; Crane S. 125; McNeil S. 1, Fußnote 2; Morrell, S. 155, Fußnote 20: Der LSJ hat die
Übersetzung rug, carpet für die Aischylos Stelle angegeben. Das sei aber falsch.
Petasmata hat mit homerischem Bezug die Bedeutung Ausgebreitetes (Wagner-Hasel, S.331, Fußnote 43).
104 Schroff, Helmut: Tapes. In: RE, Bd. IV, A2, 1932, Sp. 2251-2253.
105 Aischyl. Ag. 948-949, 958-965. Vgl. Crane S. 125.
106 Jenkins, S. 117.
107 Schmuck für Streitwagen: Hom. Il. 5.193ff.; Leichentuch: Hom. Il. 24,796 (porphyreois peploisi).
108 Jenkins, S. 117.
109 McNeil, S. 8. (chlaina, pharos, heima sowie als Symbol für Bett und eheliche Verbindung koite).
14
ergibt sich erst in seiner Benutzung, die Gestalt eines Kleidungsstücks ergibt nicht seine Identität.110
Wertvolle Gewebe waren zu Aischylos Zeit anscheinend nicht einem bestimmten Zweck
zugeordnet. So kann man annehmen, dass den Griechen das Konzept „Teppich“ – ein so
gearbeiteter Stoff, dass er beim Betreten keinen Schaden nimmt – unbekannt war. Ein solches
Gewebe wäre nicht vielseitig anwendbar (dicker, fester Stoff; liegt direkt auf dem Boden). 111 So
müsste seine Benennung eindeutiger sein, da die Gestalt (und Verschmutzung) des Gewebes seinen
Zweck erkennbar macht.
Die Griechen kannten im 5. Jh. noch keine Teppiche und ihre Gewebe konnten erst in ihrer
Benutzung eindeutig benannt werden. In den Perserkriegen könnten die Griechen den persischen
Königsteppich gesehen haben, interpretierten ihn aber so, dass diese Gewebe mit jedem Schritt
zerstört würden.112 Aischylos könnte den persischen Königsteppich oder dieses Zeremoniell
beschrieben haben ohne Teppiche zu kennen. Er konnte seine Teppiche nicht sprachlich eindeutig
als Teppiche beschreiben.
Die Forschung fand aber auch andere Lösungen des Problems der Nichtbeschreibung von
Teppichen, die hier diskutiert werden müssen. Vielleicht wollte Aischylos seine „Teppiche“ gar
nicht eindeutig beschreiben, sondern vieldeutig, so wie seine Charaktere auch immer mehrere
Motive für ihr Handeln haben und nicht nur eines.
3.2 Die Teppich-Szene als Symbol für Klytaimestras unheilvolles Verhalten in ihrer Rolle als
Frau
„Scholars [...] have overlooked the nuptial nuances of the 'carpet'.“113 Lynda McNeil
argumentiert, dass Aischylos Teppiche Hochzeitsgewänder seien. Präziser ausgedrückt Gewänder,
wie sie bei einer Hochzeit in Athen benutzt wurden und die als bebilderte, visuell stark wirkende
Gewebe symbolisch die Ehe und die ganze Gemeinschaft stabilisieren sollten.114 Klytaimestra
täusche mit diesen Geweben, die eine gute Beziehung zwischen Ehemann und Ehefrau herstellen
sollten, Agamemnon, und wiege ihn in Sicherheit, um ihn ermorden zu können. 115 Die TeppichSzene verweist in dieser Interpretation auf den Ehekonflikt zwischen Klytaimestra und
Agamemnon, da Klytaimestra eine nicht angemessene Rolle als Frau einnimmt und die Symbole
der ehelichen Verbindung zur Täuschung missbraucht. Auf die Gesellschaft übertragen verhandelt
110 Ebenso Jenkins, S. 117.
111 Vgl. Jenkins, S. 117.
112 Vgl. Crane, S. 125.
113 McNeil, S. 2.
114 McNeil, S. 2.
115 McNeil, S. 11-12.
15
die Teppich-Szene damit Geschlechterrollen und führt vor Augen, wie unheilvoll das Verlassen der
angemessenen Rollen ist.116 Lynda McNeil stellt zwar fest, dass Aischylos die Teppich-Szene für
sein Publikum schreibt,117 diskutiert aber nicht, welche Ziele er damit verfolgt.
Den Ehekonflikt (aus der mythischen Vorlage) zwischen Agamemnon und Klytaimestra lässt
Aischylos nicht weg. So ist Kassandra während der Teppich-Szene auf der Bühne 118 und
Klytaimestra nennt Agamemnons Untreue mit ihr als Mordmotiv (s.o.).
Ihre Identifizierung von Aischylos „Teppichen“ als Hochzeitsgeweben stützt sich nicht auf
eine (angenommene) Absicht des Autors, sondern (nur) auf Deutungen des Texts. So sollen
Aischylos Teppiche einem athenischen Hochzeitsgewand ähneln. Ein athenisches Hochzeitsgewand
war mehrdeutig.119 Es wurde als Kleidungsstück und als Decke benutzt, stand symbolisch für die
Ehe und den Reichtum des Hauses und war bunt gemustert oder trug Bilder.120 Die Gewebe bei
Aischylos wurden von der Forschung in unterschiedlicher Weise als Kleidung, Decke oder Teppich
gedeutet.121 Sie stehen für den Reichtum des Hauses 122 und sind gemustert gewebt. Wie oben
ausgeführt sind aber alle Gewebe in der griechischen Klassik nicht auf einen bestimmten Zweck
festgelegt und können somit mehrdeutig sein. Ein wertvolles Gewebe war ein besonderer Schatz des
Hauses und stand somit immer symbolisch für den Reichtum des Hauses. Diese Koinzidenz von
Aischylos' Schilderung und athenischen Hochzeitsgewändern ist also nicht stark. Herakleides von
Kyme beschreibt Stoffe des persischen Großkönigs als poikilon (s.o.), so dass diese Qualität in
klassischer Zeit – anders als McNeil annimmt – nicht nur Hochzeitsgewändern, Leichentüchern und
Geweben für Götter zukommt, sondern auch den Geweben des persischen Großkönigs.123
Die Handlung in der Tragödie weise nach McNeil darüber hinaus Ähnlichkeiten zu einem
athenischen Hochzeitsritual auf. Bei einem solchen Hochzeitsritual ging ein Fackelzug dem
Hochzeitspaar, welches in einem Wagen fuhr, voraus. Das Paar fuhr zum Haus des Bräutigams und
116 Kerri J. Hames Fazit ist u.a., dass Klytaimestra eine falsche und unheilvolle Rolle im Bestattungsritual einnimmt,
aber dass diese Rolle eine Reaktion auf „male hybris“ (hier: Iphigeneias Opferung durch Agamemnon) ist.
Aischylos Botschaft sei demnach, dass beide Geschlechter ihre Rollen verantwortungsvoll erfüllen sollen. Sie
beschäftigt sich nicht mit den Geweben der Teppich-Szene. Hame, Kerri J.: Female Control in Funeral Rites in
Greek Tragedy: Klytaimestra, Medea and Antigone. In: Classical Philology, Vol. 103 (2008), S.1-15, hier S. 12.
117 McNeil, S. 12ff.
118 Aischyl. Ag. 1039; Vgl. Meridor, Racanana: Aeschylus Agamemnon 944-957: Why does Agamemnon give in? In:
Classical Philology, Vol. 82, No. 1 (Jan. 1987), S. 38-43, hier S. 39. Meridor glaubt, dass Agamemnon den Disput
mit Klytaimestra gewinnt (931-943; ebenso Flinthoff S. 125) und nachgibt, damit Klytaimestra Kassandra
aufnimmt. Haruro Konishi meint dagegen, dass Agamemnon die schlechteren Argumente hat und deshalb
nachgeben muss. Konishi, Haruo: Agamemnons reasons for Yielding. In: The American Journal of Philology, Vol.
110, No.2 (Summer, 1989), S. 210-222.
119 McNeil, S. 2. Allerdings sind auch andere Kleidungsstücke mehrdeutig (s. o.).
120 McNeil, S. 1-2, passim.
121 McNeil, S. 1.
122 Aischyl. Ag. 948-49, 961ff.
123 McNeil, S. 6-7.
16
wurde dort von seiner Mutter begrüßt.124 In Aischylos Tragödie fahren Agamemnon und Kassandra
– diese symbolisieren das Hochzeitspaar – im Wagen vor und werden von Klytaimestra
empfangen.125 Die Leuchtfeuerkette deutet McNeil als Widerspiegelung des Fackelzug,126 Das
Feuerzeichen spielt aber auf die Perser an (s.o.).
Weitere Riten bei Hochzeiten sind das Bitten des Bräutigams um Aufnahme der Braut in den
Haushalt durch die Mutter und das Anlegen bestimmter Sandalen der Braut.127 Agamemnon bittet
Klytaimestra um die Aufnahme Kassandras und er legt selber seine Sandalen ab.128 Dieses
Aufnahmeritual ist aber bei Sklaven normal und Kassandra ist eine Sklavin. 129 Auch steht das
Ablegen eines Kleidungsstücks in Aischylos Agamemnon für den nahen Tod130 und den Verlust der
primären Eigenschaft des Charakters, so bei Kassandra für ihre Sehergabe131 und bei Agamemnon
für seine Kraft.132
Agamemnons Bad vor seiner Ermordung sei, so McNeil, in Parallele zu Hochzeitsriten eine
ironische Umkehrung des vorhochzeitlichen Selbstwaschens des Bräutigams.133 Diese Interpretation
ist jedoch nicht zwingend Beim Hochzeitsritus fand das Bad alleine und vor der Hochzeit statt,
Agamemnon wird dagegen von Klytaimestra gebadet und gewissermaßen nach der Hochzeit (dem
Betreten des Hauses). Dieses Ritual gleicht vielmehr der Waschung eines Toten.134
Die Parallelen der Handlung zu einem athenischen Hochzeitsritual und die Ähnlichkeit der
Gewebe mit einem Hochzeitsgewand sind nicht so zwingend wie von Lynda McNeil angenommen.
Es wurden wahrscheinlich beim athenischen Publikum keinen starken Assoziationen zu einem
Hochzeitsritual geweckt. Klytaimestra und Agamemnon sprechen in der Teppich-Szene eine solche
Qualität der Gewebe oder der Situation als Vertiefung der Ehe nicht an.
3.3 Die Teppich-Szene als Symbol der Ablehnung von archaischem Begräbnisaufwand
Aischylos „Teppiche“ werden auch als Leichentücher identifiziert, welche Bestandteil von
athenischen Begräbniszeremonien waren. Agamemnon ist dabei ein besonderes Todesopfer in der
klassischen Tragödie. Seine Begräbnisriten sind nämlich Hilfsmittel zu seiner Ermordung.
124 McNeil, S. 3.
125 Aischyl. Ag. 906, 1039, 1054, 1070.
126 McNeil, S. 3.
127 McNeil, S. 3.
128 Aischyl. Ag. 944ff.
129 McNeil, S. 3.
130 Griffith, R. Drew: Disrobing in the Oresteia. In: The Classical Quarterly, New Series, Vol. 38, No.2 (1988), S. 552554. Hier S. 553.
131 Aischyl. Ag. 1264ff.
132 Griffith, S. 554.
133 McNeil, S. 3.
134 Vgl. Seaford, Richard: The Last Bath of Agamemnon. In: The Classical Quarterly, New Series, Vol. 34, No. 2
(1984), S. 247-254. Passim.
17
Klytaimestra badet Agamemnon vor seiner Ermordung und wirft dabei ein Gewand über ihn, dass
ihn fesselt, so dass er hilflos ist und sie ihn ermorden kann.135 Im klassischen Athen wurde der
durchschnittliche Mann nur nach seinem Tod von einer Frau gebadet. Die Frau reinigte als Symbol
der Zuneigung den Leichnam.136 Der gebadete Leichnam erhielt anschließend ein langes Gewand,
dass die Füße bedeckt, gewissermaßen fesselt. 137 Agamemnon bemerkt nicht, dass das Bad und das
Gewand seine Totenehren sind und dass sie sogar helfen, seinen Tod zu bewirken. 138 Klytaimestra
dagegen rächt sich noch über seinen Tod hinaus, in dem sie nach der Ermordung nicht mehr die
angemessenen Rituale durchführt.139
Beate Wagner-Hasel identifiziert Aischylos „Teppiche“ als Leichentücher, als Gewebe, die
den Ruhm des Toten verkünden und nach seinem Tod über seine Bahre gebreitet werden.140 Auch in
Beschränkungen des Sepulkralaufwandes stehen dem Toten in der griechischen Antike drei
Leichentücher zu, eines auf dem er liegt, eines, in das er gekleidet ist und eines, das über in
gebreitet wird.141 Das Tuch, in dem Agamemnon ermordet wird, gleicht damit dem, in das ein Toter
gekleidet wird. Die „Teppich“-Leichentuche gleichen dann den Tüchern, auf dem der Tote liegt
oder die über ihn gebreitet werden.
Die Identifizierung als Leichentücher stützt sich auf homerische Bezüge. So wird
Klytaimestra oikonomos dolia142 (listenplanende Walterin des Hauses) bezeichnet. Penelopes List,
mit der sie die Freier hinhält, ist das Weben und nächtliche Aufknüpfen des Leichentuches für ihren
Schwiegervater Laertes143. Klytaimestras List bedient sich ebenfalls der Stoffe, sie täuscht ihren
Mann mit Geweben.144 Die List könnte sich allerdings auch nur auf das Tuch beziehen, in dem
Agamemnon ermordet wird.
Aischylos purpurfarbener Pfad spiele dann auf den purpurfarbenen Tod an, den die Helden
im Epos erleiden.145 Die Helden erhalten nach ihrem Tod gemusterte und purpurfarbene
Leichentücher und dieser funerale Aufwand verkündet gleichzeitig den Ruhm des Toten und des
Hauses.146 Agamemnons Einwand „Auch ohne [...] solch bunten Prunk tönt Ruhm mir weithin;“ 147
wird dann als Ablehnung dieses Totenrituals interpretiert.
135 Aischyl. Ag. 1109f., 1115f., 1126-29, 1380ff.; Vgl. Seaford, S. 248.
136 Seaford, S. 248.
137 Seaford, S. 249, 252.
138 Vgl. Seaford, S. 250.
139 Vgl. Seaford, S. 249; Hame S. 5-6.
140 Wagner-Hasel, S. 331-333.
141 Vgl. Bernhardt, S. 71-79.
142 Aischyl. Ag. 155.
143 Hom. Od. 24,141-154.
144 Wagner-Hasel, S. 332.
145 Wagner-Hasel, S. 332.
146 Hom. Il. 22,508-514; Vgl. Wagner-Hasel, S. 332.
147 Aischyl. Ag. 926-927.
18
Agamemnon erkennt (natürlich) nicht den symbolischen Gehalt der Gewebe, er lehnt ihr
Beschreiten u.a. ab, weil er das Beschreiten nicht für seinen Ruhm braucht. Da Agamemnon der
positiv konnotierte Charakter in dem Stück ist, ist seine Meinung ein erzieherisches Vorbild für die
Zuschauer. Aischylos führt seinem Publikum in dieser Interpretation vor Augen, dass archaischer
Begräbnisaufwand abgelehnt wird.
Warum aber ist archaischer Begräbnisaufwand abzulehnen? Weil er dem Volk nicht
gefällt?148 Agamemnons Strafe kommt nicht vom Volk, sondern von den Göttern und Klytaimestra
(s.o.), ebenso wie Klytaimestra auf göttlichen Auftrag hin von Orestes bestraft wird149. Aischylos
argumentiert also, dass der Verbrauch von wertvoller Kleidung durch die Götter bestraft werde.
Darauf spielen aber Leichentücher nicht an. Es wird kein konkreter Grund genannt, warum man
denn auf solchen Begräbnisaufwand verzichten sollte.
Die Interpretation von Aischylos mit (ausschließlich) homerischen Bezügen erscheint mir zu
kurz zu greifen, da Aischylos und Herodot so häufig auf gleiche Topoi zurückgreifen (s.o.). Viel von
Aischylos Denken scheint somit aus dem 5. Jahrhundert zu stammen und Herodot ähnlicher zu sein.
4 Politische Deutung der Teppich-Szene: Kritik an Kleiderluxus?
In allen drei Symbolinterpretationen verführt Klytaimestra Agamemnon zum Falschen.150 Sie nimmt
immer eine unheilvolle Rolle als Ehefrau ein. Klytaimestras unheilvolle Rolle gehört politisch
gedeutet zu der Diskussion von Männer- und Frauenrollen. Dies ist ein Thema für sich und wird
hier nicht behandelt, da auch Aischylos Teppiche als Gewebe unter diesem Aspekt nur ein Symbol
für die weibliche Sphäre sind.151
Agamemnon hingegen als positives Vorbild für das griechische Publikum verfällt der hybris, als er
die Teppiche beschreitet und beschädigt. Welche konkrete politische Erziehungsabsicht hatte
Aischylos dabei vor Augen? Ganz sicher kritisierte er nicht einen ostentativen Gebrauch von
Teppichen in der athenischen Gesellschaft.
Ökonomischer Reichtum wurde bei den Griechen als Mittel sozialer Anerkennung und sozialen
Einflusses benutzt – und nicht zur Kumulation weiteren ökonomischen Reichtums.152 Generosität –
so beschreibt es Crane – macht den Reichen dabei populär und sichert ihm Einfluss.153 Noch
Augustus hebt seine persönlichen Investitionen, die er zum Wohle der Gemeinschaft getätigt hat, in
148 Aischyl. Ag. 938.
149 Aischyl. Choeph. 269ff., 899.
150 Vgl. zur Verführung Loussau, S. 88-89; Flinthoff, S. 126.
151 Vgl. Jenkins, S. 117ff.
152 Vgl. Crane, S. 128ff.
153 Crane, S. 132ff.
19
seinen res gestae hervor. Crane glaubt aber, dass Aischylos Agamemnon die Einfluss bringende
Generosität verfehlt, da der Reichtum an Stoffen hier nur zur Erhöhung seiner Person benutzt
wird.154 Ein Blick auf die Beschränkungen des Sepulkralaufwands in der griechischen Welt zeigt
aber, dass dem nicht so ist.
So wurde in Gesetzen der Begräbnisaufwand in Form von Leichentüchern und wehklagenden
Frauen z.B. reglementiert.155 In Sparta mussten z.B. Privatbegräbnisse sehr spärlich sein, aber der
Aufwand für die Trauerfeier eines toten spartanischen König war sehr groß. Der Begräbnisaufwand
symbolisiert gewissermaßen staatliche Macht, die sich in der Antike in Personenbindungen
ausdrückt, also hier in der Verpflichtung aller Spartaner Trauer für den König zu leisten. 156 Reiche
Bürger und Familien Athens strebten prachtvolle Bestattungen an, wollten damit ihre herausragende
Stellung symbolisieren und durch die Teilnahme von Personen, die nicht zur Familie gehörten, diese
Personenverbindungen festigen und ihre Gefolgschaft, ihren Einfluss in der Gesellschaft damit
stärken. Deshalb sollten prächtige Bestattungen nur dem Staat, der Polis zustehen, also nur die
Bindungen zur politischen Polisgemeinschaft sollten so dargestellt werden.157
Die – für die Gemeinschaft nutzlose – Erhöhung der eigenen Person durch Luxusgüter wie in
Aischylos Beispiel wertvolle Gewebe verstärkt also durchaus den Status und den Einfluss der
eigenen Person, der eigenen Familie. So sagt auch Klytaimestra: „Wer keinen Neid weckt, der ist
nicht der Nacheifrung wert.“158
Aischylos erklärt nun seinem Publikum, dass derjenige, der Kleiderluxus zur Erhöhung der eigenen
Person gebraucht, der hybris verfallen ist und den Neid der Götter weckt. Er argumentiert religiös
und kritisiert den Kleiderluxus. Politisch vertritt er damit das Bild des freien, einfach gekleideten
und egalitär lebenden Hellenen mit dem Gegenbild des unfreien, unter einer (tyrannischen)
Alleinherrschaft lebenden, prächtig gekleideten Orientalen. Diese Abkehr von der archaischen,
prachtvollen Mode der Griechen orientierte sich am Vorbild Sparta und vollzog sich nach den
Perserkriegen.159 Monarchischer Pomp sei hybris, orientalische Gewänder wurden Attribute der
tyrannis und des Despotentums.160 Das Bild der unterschiedlichen Mode und Freiheitsgesinnung bei
Hellenen und Orientalen zeichnet Aischylos auch selber in seinen Persern.161
Aischylos Argumentation unterscheidet sich von der Luxuskritik der Moralisten des 4. Jh. Diese
154 Crane, S. 134f.
155 Vgl. Bernhardt, S. 71ff.
156 Bernhardt, S. 83ff., auch mit weiteren Beispielen für königliche Bestattungen.
157 Vgl. Bernhardt, S. 88ff.
158 Aischyl. Ag. 939.
159 Vgl. Bernhardt, S. 109ff., S. 190ff.
160 Vgl. Bernhardt, S. 134, 191.
161 Aischyl. Pers. 179-199. (Unterschiedliche Kleidung von Dorern und Persern); 23ff., 150ff., 211ff., 584ff.
(Unfreiheit und Unterordnung der Perser gegenüber ihrem König); 241ff. (Alle Griechen sind frei.); Vgl. Meister, S.
114ff.; Bernhardt, S. 125ff.
20
beschreiben jeden Orientalen und jeden Tyrannen als dem Übermaß im Luxus verfallen, was sich –
moralisch-weltlich argumentiert – auf die Untergebenen auswirkt, die durch Verwöhnung
verweichlicht und kriegsuntüchtig werden.162 Aischylos und seine Zeitgenossen schätzen hingegen
die Perser noch wert: Sie sind anders, aber auch mächtig und kriegerisch.163 Auch ist im 5. Jh. das
Tyrannenverständnis noch nicht so eng wie im 4. Jh. 164 Schließlich argumentiert Aischylos religiöstranszendental mit dem Wirken der Götter und nicht moralisch-immanent mit dem Wirken von
Verweichlichung durch Luxus oder dem schlechtem Vorbild des Herrschers.
5 Zusammenfassung
Aischylos Teppich-Szene ist als Bestandteil einer klassischen Tragödie Teil der politischen Kultur
Athens. Aischylos hat diese Szene geschrieben, um seinem Publikum mittels eines starken visuellen
Symbols Agamemnons Tod erzieherisch zu erklären. Agamemnon verfällt als guter (griechischer)
Herrscher der hybris und er ähnelt (nicht nur darin) dem persischen Großkönig. Menschen die der
hybris verfallen, werden letztlich von den Göttern bestraft und vernichtet.
Die Moral des Aischylos lautet: Monarchischer Pomp steht Menschen nicht zu und Griechen sollten
sich nicht wie Barbaren kleiden und verhalten. So stellt es Aischylos mit religiösen Argumenten fest
und argumentiert noch nicht weltlich wie die Moralisten des 4. Jh. Er kritisiert und brandmarkt
damit Kleiderluxus als ungriechisch und, da Merkmal des tyrannisch herrschenden Perserkönigs,
unfrei machend. Er richtet sich damit sowohl gegen den Kleiderluxus der östlichen Barbaren als
auch gegen die vergangene archaische Kleidungspraxis der Griechen.
Aischylos beschreibt mit seinen Worten keine Teppiche, sondern Kleidung. Er rückt Agamemnon
allerdings in die Nähe der Perser und viele Hinweise machen seine Gewebe den persischen
Königsgeweben in ihrer Benutzung ähnlich. Aischylos spielt mit seiner Teppich-Szene auf den
persischen Königsteppich an. Eine Erklärung, warum er dann sprachlich keine Teppiche beschreibt,
ist, dass den Griechen zu dieser Zeit das Konzept „Teppich“ unbekannt war. Genauso gut wäre
möglich, dass Aischylos seine Teppiche mehrdeutig gestalten wollte und sie deshalb auch
Leichentüchern ähneln, weil er sich auch gegen diese Praxis der Benutzung von Kleideraufwand
wandte.
162 Vgl. Bernhardt, S. 128ff., 160ff., 192ff.
163 Z.B. Aischyl. Pers. 25ff., 40, 48, 56-58, 81-92, 753-759. Vgl. Bernhardt, S. 126ff.
164 Bernhardt, S 195.
21
6 Literaturverzeichnis
6.1 Quelleneditionen
–
Aischines: The Speeches of Aischines. gr. u. eng., eingeleitet u. übers. v. Charles
Darwin Adams, London u. Cambridge 1919. (ND 1968).
–
Aischylos: Tragödien und Fragmente. Gr. u. dt., hg. u. übers. v. Oskar Werner, München 41988.
–
Aristophanes: Sämtliche Komödien. Übers. v. Ludwig Seeger, hg., eingel. und neubearbeitet v.
Hans-Joachim Newiger, München 1976.
–
Athenaeus: The Deipnosophists. Gr. u. en., übers. v. Charles Burton Gulick, London 1933. (ND
1963).
–
Euripides: Sämtliche Tragödien und Fragmente. Bd. 4, gr. u. dt., übers. v. Ernst Buschor, hg. v.
Gustav Adolf Seeck, München 1972.
–
Herodot: Historien. Bd. 1 u. 2, übers. u. hg. v. Josef Feix, München 1963.
–
Homer: Ilias. Gr. u. dt., übers. v. Hans Rupe, 2. Aufl., o.O. 1961 (ND 1970).
–
Homer: Odyssee. Gr. u. dt., übers. v. Anton Weiher, 4. neubearb. Aufl., o.O. 1974.
–
Plutarch: Große Griechen und Römer. Bd. 2, übers. u. erläutert v. Konrat Ziegler, München
1979.
–
Thukydides: Peloponnesischer Krieg. Bd. 1, übers. u. hg. v. Georg Peter Landmann, Zürich
1960. (ND 1973).
–
Xenophon: Kyrupädie. Gr. u. dt., hg. u. übers. v. Rainer Nickel, München 1992.
6.2 Sekundärliteratur
–
Bernhardt, Rainer: Luxuskritik und Auswandsbeschränkungen in der griechischen Welt.
Stuttgart 2003 (= Historia Einzelschriften, Heft 168).
–
Briant, Pierre: From Cyrus to Alexander. A History of the Persian Empire. Winona Lake 2002
(Histoire de l'Empire perse, Paris, 1996).
–
Crane, Gregory: Politics of Consumption and Generosity in the Carpet Scene of Agamemnon.
In: Classical Philology, Vol. 88, No. 2 (April 1993), S. 117-136.
–
Flaig, Egon: Ödipus. Tragischer Vatermord im klassischen Athen. München 1998.
–
Flinthoff, Everad: The Treading of the Cloth. In: Quaderni urbitani di cultura classica, Nr. 25, S.
119-130.
–
Griffith, R. Drew: Disrobing in the Oresteia. In: The Classical Quarterly, New Series, Vol. 38,
No.2 (1988), S. 552-554.
–
Hame, Kerri J.: Female Control in Funeral Rites in Greek Tragedy: Klytaimestra, Medea and
22
Antigone. In: Classical Philology, Vol. 103 (2008), S.1-15.
–
Harrison, Thomas: The Emptiness of Asia. Aeschylus Persians and the history of the fifth
century. London 2000.
–
Jenkins, I. D.: The Ambiguity of Greek Textiles. In: Arethusa, Bd. 18 (1985), S. 109-132.
–
Konishi, Haruo: Agamemnons reasons for Yielding. In: The American Journal of Philology, Vol.
110, No.2 (Summer, 1989), S. 210-222.
–
Lossau, Manfred Joachim: Aischylos. Hildesheim 1998.
–
McNeil, Lynda: Bridal Cloths, Cover-Ups, and Kharis: The „Carpet Scene“ in Aeschylus
Agamemnon. In: Greece & Rome, Vol. 52, No. 1 (2005), S. 1-17.
–
Meridor, Racanana: Aeschylus Agamemnon 944-957: Why does Agamemnon give in? In:
Classical Philology, Vol. 82, No. 1 (Jan. 1987), S. 38-43.
–
Meister, Klaus: Die Interpretation historischer Quellen Schwerpunkt: Antike. Band 1:
Griechenland. Paderborn u.a. 1997.
–
Morrell, Kenneth Scott: The fabric of persuasion. Clytaemnestra, Agamemnon and the sea of
garments. In: The Classical Journal, Vol. 92, No. 2 (Dez. 1996 – Jan. 1997), S. 141-165.
–
Seaford, Richard: The Last Bath of Agamemnon. In: The Classical Quarterly, New Series, Vol.
34, No. 2 (1984), S. 247-254.
–
Wagner-Hasel, Beate: Der Stoff der Macht – Kleideraufwand, elitärer Konsum und
Homerisches Königtum. In: Keimelion. Elitenbildung und elitärer Konsum von der
mykenischen Palastzeit bis zur Homerischen Epoche. Deger-Jalkotzy (Hg.), Wien 2007, S. 325337 (= Veröffentlichungen der mykenischen Kommision, Bd. 27).
–
West, M.L.: Greek Lyric Poetry. Oxford 1993.
–
Zimmermann, Bernhard: Aischylos. In: DNP, Bd. 1, 1996, Sp. 350-357.
Die Abkürzungen der Standardwerke und der Antiken Autoren folgen dem Neuen Pauly.

Documents pareils