Über die Instandsetzung von Haus Witten.

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Über die Instandsetzung von Haus Witten.
Eberhard Grunsky
Über die Instandsetzung von Haus Witten.
Sehr herzlich bedanke ich mich für die Einladung zum 10jährigen Jubiläum des neuen Hauses Witten
und für die Gelegenheit, über den Ausbau der Ruine aus der Sicht des Konservators etwas zu sagen –
ten years after. In den Räumen einer Musikschule mögen mir die Rock-Freunde diese Anspielung in
fremdem Zusammenhang als Sympathiebekundung für die Musik der Gruppe abnehmen.
Damals vor 10 Jahren hat mit dem abgeschlossenen Ausbau der Ruine von Haus Witten ein neues
Kapitel in der langen und wechselvollen Geschichte des Hauses begonnen. Für unvorbereitete
Betrachter des Ergebnisses mag sich heute immer noch die Frage stellen, ob nicht der Kontrast
zwischen dem Fragment des historischen Adelssitzes mit seinem rauen Bruchsteinmauerwerk einerseits
und den modernen Materialien, Konstruktionen und Formen der neuen Bauteile andererseits
Unvereinbares repräsentiert. Es könnte sich weiter die Frage stellen, ob es sich hier nicht um eines der
Beispiele handelt, bei denen die Belange der Denkmalpflege hinter die Interessen einer neuen Nutzung
und hinter die Interessen einer anspruchsvollen Neugestaltung zurücktreten mussten. Wem bekannt ist,
dass Haus Witten erst im Zweiten Weltkrieg zur Ruine geworden ist, der mag sich und vor allem die an
der Planung Beteiligten weiter fragen, warum man nicht die Gestalt des Denkmals wiederhergestellt hat,
die es vor seiner Zerstörung hatte. Diese Frage liegt besonders dann nahe, wenn man sich viele
Lösungen für die im 19. und noch im frühen 20. Jahrhundert weit verbreiteten Bauaufgabe des
Ruinenausbaus vergegenwärtigt. Die Burg Altena, 1909-1916 wieder aufgebaut, ist in unserer Region
das bekannteste Beispiel dafür. Auch die Wiederherstellung vieler kriegszerstörter Denkmäler nach 1945
drängt die Frage auf, warum hier in Witten nicht der Zustand vor dem Kriegsschaden wiederhergestellt
wurde. Als letztes und prominentestes Beispiel dafür wäre die Frauenkirche in Dresden zu nennen,
deren Weihe am 30. Oktober 2005 stattgefunden hat. Um den Blick nicht so weit schweifen zu lassen,
kann auch an den Hochaltar der ehemaligen Jesuitenkirche in Paderborn erinnert werden. Das barocke
Kunstwerk ist bei der weitgehenden Zerstörung der Kirche im Zweiten Weltkrieg vollständig
untergegangen. Mit der 2004 fertiggestellten Rekonstruktion des Altars wurde der Wiederaufbau der
Kirche etwa 60 Jahre nach der Zerstörung abgeschlossen.
Bevor ich darauf eingehe, warum das planerische Konzept für Haus Witten grundlegend anders
ausgesehen hat, muss als Voraussetzung dafür zunächst die Geschichte des Hauses, besonders die
jüngere Geschichte, in groben Zügen in Erinnerung gerufen werden.
Der Bestand des Denkmals geht in seinem Kern auf einen Neubau aus dem späten 15. Jahrhundert
zurück. Dieser erste Bau wurde um 1600 umgestaltet und ab 1671 bis 1702 in zwei Bauabschnitten zu
einer barocken Vierflügelanlage erweitert wurde. Wie viele andere Adelssitze im Ruhrgebiet wurde Haus
Witten im ausgehenden 18. und im frühen 19. Jahrhundert zu einem der Ausgangspunkte der
Industrialisierung: 1790 zog der Unternehmer Johann Friedrich Lohmann als Pächter in Haus Witten ein.
1815 wurde er Eigentümer des Hauses. In unmittelbarer Nachbarschaft entstand in der ersten Hälfte des
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19. Jahrhunderts eine Stahlfabrik. Ihre kontinuierliche Ausdehnung im Laufe des 19. Jahrhunderts führte
dazu, dass sie mit dem alten Adelssitz zusammenwuchs und der Westflügel von Haus Witten von der
industriellen Nutzung besetzt wurde. 1878/79 hat man das Haus durch den Umbau des Ostflügels der
damaligen Vorstellung von einem mittelalterlichen Rittersitz angeglichen. 1937 richtete sich die
Hitlerjugend in Räumen von Haus Witten ein. 1944 kaufte die Stadt das gesamte Anwesen von der
Erbengemeinschaft Lohmann. Im Dezember 1944 und im März 1945 fiel das Haus durch Bombentreffer
in Schutt und Asche.
In der Nachkriegszeit war die Ruine immer wieder Gegenstand von Überlegungen, wie angemessener
denkmalpflegerischer Umgang mit ihr auszusehen habe. Mit einem Schreiben vom 22. Juli 1947 teilte
der damalige Stadtbaurat Gebhardt dem Provinzialkonservator mit, "in allen beteiligten Kreisen" bestehe
Klarheit darüber, "dass dieses mit der Geschichte der Stadt Witten besonders verbundene Baudenkmal
aus alter Zeit in einer an seine Vergangenheit anklingenden Form im Laufe der Zeit wieder erstehen
soll." Nach einer Ortsbesichtigung durch den zuständigen Konservator beim Denkmalamt in Münster
bestätigte der im Januar 1948, dass der Bestand trotz der Bombenschäden noch so umfangreich sei,
"dass an eine Wiederherstellung gedacht werden kann." Vom Denkmalpfleger wurde vorgeschlagen, "ins
Auge zu fassen, hier einmal einen kulturellen Mittelpunkt für die Stadt Witten zu schaffen. Die Burg
könnte für das Märkische Museum, für eine moderne Galerie, für wechselnde Kunstausstellungen,
musikalische Veranstaltungen oder ähnliche Aufgaben dienstbar gemacht werden." Diese Überlegungen
wurden aber in der Folgezeit nicht weiter konkretisiert. Wegen der Notsituation der unmittelbaren
Nachkriegszeit ist das sicher nicht besonders erstaunlich.
Von 1949 an wurden Sicherungsarbeiten an der Ruine durchgeführt, einsturzgefährdete Mauerpartien
und Reste von ausgebrannten Dachstühlen wurden beseitigt. Zunehmender Verfall der Ruine führte
1963 zu einer erneuten Beschäftigung mit dem Erhaltungsproblem. Die Stadt Witten und das
Denkmalamt wurden sich einig, dass ein Wiederaufbau des ehemaligen Adelssitzes in seiner früheren
Gestalt kaum möglich sei. Zwar seien zahlreiche alte Ansichten der Anlage vorhanden, aber keine
Bauzeichnungen, die ausreichende Klarheit darüber schafften, welcher frühere Zustand des Hauses
wiederhergestellt werden könne. Man verständigte sich darauf, das Areal von Haus Witten in eine
Grünzone vom Bahnhof zum Helenenberg einzubeziehen, im damals bewohnten Ostflügel eine kleine
Gaststätte einzurichten und "die anderen Schlossreste... als gepflegte Ruine" vor weiterem Verfall zu
sichern, wie Dr. Eberhard Neumann von unserem Amt in einem Reisebericht festgehalten hat. Erste
Sicherungsarbeiten wurden bereits 1964 ausgeführt. 1971 mussten die frei stehende Giebel des
Südtraktes abgetragen werden, weil ihre Standsicherheit nicht mehr gewährleistet war.
Von 1975 bis 1988 wurde in neun Bauabschnitten das Mauerwerk der Ruine systematisch überarbeitet,
Maßnahmen zur statischen Sicherung wurden durchgeführt, besonders schadhafte Abschnitte partiell
erneuert und die Mauerkronen aus Sicherheitsgründen begradigt. Parallel zu diesen Sicherungsarbeiten
gab es auch immer wieder Überlegungen zu einem Ausbau der Ruine. 1979 hat sich u.a. der Kölner
Architekt Gottfried Böhm mit diesem Thema planerisch beschäftigt, der sich dafür durch den Ausbau der
Godesburg in Bonn-Bad Godesberg und des alten Schlosses in Bergisch Gladbach-Bensberg besonders
qualifiziert hatte. Auch ein Entwurf aus dem Jahre 1982, Haus Witten als zentrale Einrichtung für ein in
der Nachbarschaft zu errichtendes privates Senioren-Wohnheim auszubauen, wurden nicht realisiert.
Ausschlaggebend für die verschiedenen Projekte zum Ruinenausbau war die vernünftige Überlegung,
dadurch die laufenden Kosten für die bloße Mauerwerkssicherung nicht sozusagen auf
Nimmerwiedersehen in der Ruine versickern zu lassen.
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Eine neue Perspektive für Haus Witten zeichnete sich 1987 ab. Bei einem Besuch von Haus Herbede,
das 1985-1988 auf Initiative des Fördervereins Haus Herbede saniert wurde, hat Minister Dr. Christoph
Zöpel, damals verantwortlich für die Denkmalpolitik und die Denkmalförderung des Landes, eine
Förderung für den Wiederaufbau von Haus Witten in Aussicht gestellt. Bei der Einweihung von Haus
Herbede am 30 September 1988 wiederholte der Minister seine Förderangebot für Haus Witten.
Die Stadt Witten hat daraufhin ein Nutzungskonzept erarbeitet, das vorsah, das Haus für die
Musikschule, für die Verwaltung der Volkshochschule und für Veranstaltungen von kulturellen Vereinen
und Bürgergruppierungen auszubauen.
Bevor die Planung für den Ausbau der Ruine in Angriff genommen wurde, galt es zunächst zu klären,
was denn eigentlich den Denkmalwert des Bestandes ausmacht. Die Antwort darauf ist auf den ersten
Blick trivial. Wenn man allerdings zahlreiche Denkmalpflegemaßnahmen der letzten Jahrzehnte
betrachtet, ist sie keineswegs so selbstverständlich, wie es zunächst scheinen mag: Nach der
Regelungen unseres Denkmalschutzgesetzes von 1980 kann Gegenstand von Denkmalschutz und
Denkmalpflege immer nur das bestehende Objekt in seinem gegenwärtigen Bestand sein, nicht aber der
mehr oder weniger zuverlässig feststellbare ursprüngliche oder sonst ein früherer Zustand. Auf Haus
Witten bezogen heißt das: Mit der Eintragung in die Denkmalliste im Jahre 1983 war nicht der ehemalige
Adelssitz in seiner Gestalt vor dem Zweiten Weltkrieg oder in einem anderen früheren Abschnitt seiner
Biographie als Baudenkmal geschützt, sondern ganz einfach die damals vorhandene Ruine. Sie ist das
Ergebnis einer sehr wechselvollen Geschichte von zahlreichen Bauphasen, Umbauten, Zerstörungen,
Wiederaufbauten, Erweiterungen, Überformungen und schließlich auch Substanzeingriffen zur
Ruinensicherung. Vor dem Ausbau der Ruine war übrigens am erhaltenen Baubestand eine genaue
Zuordnung der Substanz zu den zahlreichen Bau-, Umbau- und Reparaturphasen im Detail nicht mehr
möglich, zumindest nicht mit vertretbarem Aufwand.
Vor diesem Hintergrund konnte die erneute Beschäftigung mit dem Denkmal zu keinem anderen
Ergebnis führen als 1963: Für eine auch nur annähernd zuverlässige Ergänzung des Vorhandenen zu
einem früheren Erscheinungsbild fehlte eine tragfähige Grundlage. Jeder Versuch, das Konglomerat von
vielfältigen, nicht mehr ausreichend zu entziffernden Spuren einer langen und wechselvollen Geschichte
so zu komplettieren, dass eine Rekonstruktion des früheren Erscheinungsbildes entstünde, wurde
deshalb von vornherein von allen Beteiligten verworfen. Gegen erste Überlegungen, für die neue
Nutzung den alten Bestand zurückhaltend so zu ergänzen, dass eine Paraphrase der früheren Gestalt
von Haus Witten entstünde, haben wir vom Denkmalpflegeamt des Landschaftsverbandes eingewendet,
dass dabei unvermeidbar notwendige umfangreiche Eingriffe in die überlieferte Substanz zwangsläufig
dazu führen würden, den alten Bestand als "Text" des Geschichtszeugnisses vollends unleserlich zu
machen.
In der Zeit der Vorplanung wurde vom Westfälischen Amt für Denkmalpflege auch die Frage eingebracht,
ob ein Ausbau für eine neue Nutzung überhaupt vertretbar sei, oder ob nicht die Ruine ohne jeden wie
auch immer gestalteten Zusatz erhalten werden müsse. Obwohl diese Betrachtungsweise für die Stadt
Witten zunächst überraschend war, weil sie bei früheren Überlegungen zum Ausbau für eine neue
Nutzung so nicht gestellt worden ist, wurde dieser Aspekt gemeinsam gründlich und vorurteilslos geprüft.
Die Stadt Witten als Eigentümerin und Untere Denkmalbehörde und das Denkmalamt des
Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe kamen einvernehmlich zu dem Ergebnis, dass die baulichen
Reste von Haus Witten nicht zwingend so zu behandeln sind wie viele ältere Ruinen, denen etwa durch
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die Ruinenromantik des 19. Jahrhunderts eine neue Bedeutungsschicht zugewachsen ist, die als
eigenständiger historischer Wert wesentlich für das Denkmal geworden ist.
Das gemeinsam entwickelte Fazit war also: Die denkmalpflegerische Zielsetzung, die historische
Substanz der Ruine möglichst unangetastet zu lassen, soll dadurch verwirklicht werden, dass die für die
künftige Nutzung notwendigen Neubauteile konstruktiv weitgehend als selbständige Einheiten
auszuführen sind, so dass Eingriffe in den überlieferten Bestand auf ein unumgängliches Minimum
beschränkt bleiben.
Daraus haben die Architekten Prof. Hans-Busso von Busse, Prof. Eberhard Carl Klapp und Arndt
Brüning ihren Entwurf entwickelt, bei dem im wesentlichen aus Stahl und Glas bestehende Neubauteile
nicht nur konstruktiv soweit wie möglich, sondern auch gestalterisch konsequent von der
Denkmalsubstanz abgesetzt sind. Ein so genanntes Fugenkonzept ist dabei gleichsam zum Leitmotiv
der Planung geworden. Zum Beispiel sind Fenster und Türen nicht in die Sandsteingewänden der alten
Maueröffnungen eingefügt, sondern liegen in einer neuen Ebene vor oder hinter ihnen; die Neuen
Stahlbeton-Kassettendecken werden nicht bis an das historische Mauerwerk der Raumwände
herangeführt, sondern sind durch um umlaufende glatt verputzte Friese abgesetzt. Aus der Sicht des
Konservators hat dises Konzept bei Haus Witten den großen Vorzug, dass der Fragmentcharakter des
Baudenkmals weiterhin anschaulich ist. Haus Witten ist damit eines der wenigen Geschichtszeugnisse,
an denen die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges weiterhin vergegenwärtigt werden. Es setzt sich
damit von dem Trend der jüngsten Vergangenheit ab, durch Rekonstruktionsversuche kriegszerstörter
Denkmäler das Rad der Geschichte zurück zu drehen.
Mit dem einmal festgelegten Grundkonzept und mit dem Beschluss der Stadt Witten, den Entwurf der
Architekten von Busse, Klapp und Brüning auszuführen, war die komplexe Aufgabe natürlich bei weitem
noch nicht gelöst. Ein Vergleich der 1991 veröffentlichten Pläne mit dem fertiggestellten Bauwerk zeigt,
dass einiges noch geändert und vieles im weiteren Planungsprozess und während der Ausführung noch
präzisiert werden musste.
Die intensive Beschäftigung aller Beteiligten mit den Anforderungen der Nutzung, mit technischen
Notwendigkeiten, mit Gestaltungsfragen, mit den Ergebnissen der archäologischen Untersuchungen und
mit den Belangen der Baudenkmalpflege hat verhindert, dass die Neubauteile beziehungslos dem
Denkmalbestand ein- und angefügt wurden. Die neue Architektur wurde nicht nur im großen und ganzen,
sondern bis in die Details in der Auseinandersetzung mit dem Denkmal und mit dem Erhaltungsauftrag
entwickelt. Diese Grundauffassung der Architekten hat das Denkmal davor bewahrt, nur als dekorativer
Relikt in den Neubau einbezogen zu werden. Der Part des Denkmalpflegers, mit Beharrlichkeit auf die
möglichst unversehrte Erhaltung der überlieferten Substanz hinzuwirken, die Gestaltungsabsichten der
Architekten und die Nutzungsanforderungen der Bauherrschaft haben beim Ausbau der Ruine von Haus
Witten zu einem fruchtbaren Dialog geführt. In diesem Dialog spielte auch der Zwang, die feststehende
Summe der Baukosten auf keinen Fall zu überschreiten, immer wieder eine wichtige Rolle.
In aller Kürze, wahrscheinlich in unangemessener Kürze, soll noch erwähnt werden, dass beim Ausbau
der Ruine wirklich schwierige technische Probleme zu lösen waren. Ein Blick auf diesen Raum hier
macht das deutlich. In wenigen Metern Entfernung von einer der am stärksten befahrenen
Eisenbahntrassen des Landes in einer alten Ruine einen funktionstüchtigen Konzertsaal einzurichten, ist
eine bewundernswerte Leistung der Architekten und der anderen beteiligten Ingenieure.
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Die damaligen Diskussionen können hier nicht, was durchaus lohnend wäre, ausführlich referiert und
analysiert werden. Stellvertretend für vieles andere sei deshalb nur auf den formalen Eigenwert eines
Details hingewiesen, mit dem es gelungen ist, an der Hofseite des Westflügels die originalen
Fensterstürze zu erhalten, obwohl die Kreuzstöcke entfernt werden mussten, um vom neuen Foyer aus
in beiden Geschossen die angrenzenden Räume erschließen zu können. Als Ersatz für die stützenden
Steinpfosten in der Mitte der Öffnungen werden die Stürze jetzt von einer Unterspannung aus dünnen
Zugstäben und Druckgliedern aus Winkelprofilen abgefangen. Durch diese einfallsreich einfache Lösung
haben sich umfangreiche Substanzeingriffe erübrigt.
Beim Ausbau von Haus Witten hat sich aus der speziellen geschichtlichen Bedeutung des konkreten
Denkmals ein großer Spielraum an Freiheit für die Gestaltung des Neuen ergeben. Diesen Spielraum
haben die Architekten durchaus zum Vorteil des Denkmals genutzt. Das Ergebnis kann übrigens auf eine
lange denkmalpflegerische Tradition zurückblicken. Georg Hager, der von 1908 bis 1928 bayerischer
Generalkonservator war, hat 1905 beim Tag für Denkmalpflege folgende Mahnung an die eigene Zunft
gerichtet: Denkmalpfleger sollten im Umgang mit historischen Bauten "weniger engherzig sein" und "der
lebenden Kunst auch in alten Bauten mehr Freiheit, mehr Luft gewähren. Wo es sich um neue Zutaten,
um Neuschöpfungen an und in alten Bauten handelt, hat die lebende Kunst das Recht, sich
mitzubetätigen, sie hat mindestens den Anspruch auf wohlwollende und vorurteilslose Prüfung der
Entwürfe; sie darf verlangen, nicht von vornherein nur deshalb ausgeschlossen zu werden, weil sie neue
Bahnen geht... Wir müssen verhüten, dass die Denkmalpflege eine Gefahr für die lebende Kunst wird."
Die fachliche Grundposition dafür ist die nach wie vor gültige Einsicht, dass Denkmäler
Geschichtszeugnisse sind. Geschichte aber ist ein laufender Prozess fortgesetzten Wandels, der sich an
den Denkmälern durch stattgefundene Veränderungen äußert. Deshalb muss sich Denkmalpflege mit
früherem und mit aktuellem Wandel auseinandersetzen, statt nur Veränderungen zu unterbinden, und
deshalb müssen sich Denkmalpfleger kritisch damit beschäftigen, dass ihre Arbeit selbst in die
Geschichte der geschützten Gegenstände eingeht. Der Hinweis darauf macht vielleicht deutlich, dass es
im Umgang mit Denkmälern keine einfachen Antworten gibt. Hier in Haus Witten kann man davon einen
ganz unmittelbaren Eindruck bekommen.
Wenn ich den Ausbau der Ruine von Haus Witten als beispielhaftes Ergebnis dargestellt habe, führt das
hoffentlich nicht zu dem Missverständnis, dass "Kontrastarchitektur" in jedem Fall das Richtige bei der
"Fortschreibung" von Denkmälern sei. Die Lösung für Haus Witten ist nicht deshalb beispielhaft, weil das
Neue im Kontrast zum Alten steht, sondern weil sie aus den individuellen Bedingungen des konkreten
Denkmals und aus den Anforderungen der neuen Nutzungen entwickelt worden ist. Nach meiner
Auffassung ist das Ergebnis auch deshalb beispielhaft, weil hier nicht der alten Vorstellung gefolgt
wurde, in der Denkmalpflege solle man über die Erhaltung und Sicherung realer historischer Substanz
hinaus den Traum von der Wiedergewinnung verlorener Zustände realisieren und sozusagen nach
rückwärts bauen.
Haus Witten, das 1997 mit dem Grand Prix Rhénan d'Architecture und 1998 mit dem BDA Preis
Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet wurde, hat auch in der Entwicklung der westfälischen
Denkmalpflege einen festen Platz. Der letzte Denkmalpflegebericht in der Zeitschrift Westfalen, der 1999
erschienen ist, zeigt auf dem Schutzumschlag ein Foto des Hauses. In der vor wenigen Tagen
erschienenen Veröffentlichung des Westfälischen Amtes für Denkmalpflege mit dem Titel "Weiterbauen
am Denkmal" ist auf den ersten beiden Abbildungen Haus Witten zu sehen.
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Zum Schluss erlaube ich mir zur heutigen Festveranstaltung noch eine persönliche Anmerkung
beizutragen. In meiner Tätigkeit seit 1987 beim Denkmalpflegeamt des Landschaftsverbandes
Westfalen-Lippe gehört der Ausbau der Kriegsruine von Haus Witten zu den Fällen, an die ich mich
besonders gerne erinnere. Das gilt nicht nur und vielleicht nicht einmal in erster Linie wegen des weithin
und allgemein anerkannten guten Ergebnisses. In erster Linie ist meine Feststellung begründet durch die
Art und Weise, in der das Ergebnis zustande kam. Mit dem Blick auf das Zusammenspiel von
historischer Substanz mit ausgeprägten Altersspuren mit dezidiert moderner Architektur wird es Sie
sicher nicht verwundern, wenn ich erwähne, dass am Anfang der Erörterungen unter den Beteiligten
keineswegs Konsens über die Zielsetzung und den richtigen Weg dorthin bestand. Wie aber schließlich
der Konsens in offenen, vertrauensvollen Gesprächen bei klarem Vertreten unterschiedlicher Positionen
erreicht wurde, begegnet einem nicht alle Tage. Das war im konkreten Fall vor allem deshalb
bemerkenswert, weil die Zahl der Beteiligten und damit auch die Zahl unterschiedlicher Positionen
wirklich nicht gering war. Die Moderation der Gespräche durch den damaligen Stadtbaurat Dorsch hat es
geschafft, bei den Beteiligten die üblichen Verständigungssperren zu überwinden, die darin bestehen,
eine eigene vorgefasste Position ganz oder wenigstens teilweise behaupten zu wollen.
Beim Blick auf das Denkmal zehn Jahre nach Abschluss der Bauarbeiten kann ich der Stadt Witten, den
Bürgerinnen und Bürgern, dem Rat, der Verwaltung, also als Stellvertreterin für alle zusammen Ihnen
Frau Bürgermeisterin, zu dem Ergebnis nur sehr herzlich gratulieren. Politik und Verwaltung ist es hier in
beispielhafter Weise gelungen, im Zusammenwirken mit dem bürgerschaftlichen Engagement des
Fördervereins Wittener Herrenhäuser unter dem Vorsitz von Bruno Sobotka das früher im Verborgenen
schlummernde Kapital eines Denkmals zu aktivieren.
Literatur:
Bruno J. Sobotka, Haus Berge zu Witten, Fünfter und letzter Gerichtsherrensitz in Witten, Witten 1991
Markus Sommer, Haus Witten. Die Ergebnisse der archäologischen Untersuchung an einem Profanbau
aus dem 15. bis 20. Jahrhundert (= Denkmalpflege und Forschung in Westfalen Bd. 29), Bonn 1995
Katja Dieckhoff, Zur Bau- und Restaurierungsgeschichte von Haus Berge zu Witten, in: Westfalen 76,
1998, S. 541-562
Richard Borgmann, Auferstanden aus Ruinen – Das Haus Witten, in: Denkmalkultur zwischen
Erinnerung und Zukunft (= Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz Bd. 70),
Bonn o.J. (2004), S. 82-84
Westfälisches Amt für Denkmalpflege, Weiterbauen am Denkmal. Historische und aktuelle Beispiele von
Erweiterungs- und Zusatzbauten an Baudenkmälern (1. Westfälischer Tag für Denkmalpflege 2.-3. Juli
2004), Münster 2006
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