Sicherheit rund ums Pferd

Transcription

Sicherheit rund ums Pferd
Romo Schmidt
Sicherheit
rund ums Pferd
Inhalt
Mensch und Pferd – (nur) mit
Sicherheit ein gutes Team
1. Sicherheit fängt mit artgerechter Haltung an
Stabiles Nervenkostüm
durch Außenreizflutung
2. Der sichere Umgang
mit dem Pferd
Pferde sicher anbinden
Halfter und Stricklängen
Sicherheitsknoten und Panikhaken
Sicherheitsregeln für die Pferdepflege
Sicherheit beim Führen
5
6
8
10
12
14
15
17
19
Kleidung, Halfter und Führstrick
21
Sicherheit beim Pferdetransport
23
Das sichere Gefährt
Sicher Verladen und Entladen
Sicherheit durch umsichtige Fahrweise
23
25
28
Pferde sicher behandeln und beschlagen
29
Sicherheit durch Übung
Sicherheit durch Verständnis und Geduld
Sicherheit durch Ruhigstellen
30
30
32
Sicher aufs Pferd steigen
Sicherheit durch die Aufstieghilfe
Sicherheit durch korrektes Aufsitzen
3. Sicherheitsausrüstung
fürs Reiten
Helme
Reithelmtests
33
33
34
36
37
38
Reithandschuhe und -schuhe
Sicherheitssteigbügel
Sicherheitswesten
39
40
40
Airbagwesten: »Luftschutz«
beim Reiten
42
Reflektierendes Zubehör bei Nachtritten
und schlechter Sicht
4. Sicherheit für den
Reiternachwuchs
Das ideale Schulpferd für Kids
Kindgerechter Reitunterricht
Überforderung vermeiden!
Reitunfälle bei Kindern und Jugendlichen
46
48
50
51
52
54
5. Unfallverhütung im Stall, auf
der Weide und in der Reitbahn 55
Sicherheitsvorkehrungen im Stall und
auf der Weide
Sinnvolle Sicherheitsregeln
Bahnregeln
Benimm-Regeln für Stallhunde
56
57
57
58
Sichere Reitplatzeinfassungen
60
6. Sicher durch Gelände und
Straßenverkehr
62
Schwierige Geländeformationen und
ungünstige Bodenverhältnisse
Riskante Begegnungen, Wetterunbilden
Pferde verkehrssicher machen
Haftung bei Unfällen im Straßenverkehr
7. Sicherheitsrisiko
Rittigkeitsprobleme
Buckeln
Scheuen
Durchgehen
Steigen
63
65
68
70
71
75
75
76
77
8. Organisationen und Projektgruppen zur Reitersicherheit 78
Hamburger Arbeitsgruppe Reitsicherheit 79
Falltraining
80
Wie Reiter richtig vom Pferd fallen lernen 80
Hightechprojekt »Equisave« der
Europäischen Union
81
9. Verletzungen richtig
einschätzen
83
Richtiges Verhalten im Notfall
Erste-Hilfe-Maßnahmen
Hilfe holen
Auffinden der Unfallstelle
Personenortungsgeräte
Erste-Hilfe-Reiterstaffeln
84
85
86
88
88
89
10. Unfallversicherungen
90
Ausschließungsgründe
92
Autorenporträt
95
3
Vorwort
Mensch und Pferd
– (nur) mit Sicherheit
ein gutes Team
Mensch und Pferd – (nur) mit Sicherheit ein gutes Team
Mensch und Pferd
– (nur) mit Sicherheit ein gutes Team
Alle 17 Minuten verletzt sich in Deutschland ein
Mensch, weil ein Pferd da war. Und das sind nur die
offiziellen Zahlen. Man schätzt die Dunkelziffer mit
leichten bis mittleren Verletzungen, die nicht in die
Statistiken von Krankenhäusern, Versicherungen
und Krankenkassen eingehen, etwa um das
Zehnfache höher. So ist einer aktuellen Studie nach
das Unfallrisiko im Reitsport 20-mal höher als beispielsweise im Motorradsport. Diese Tatsache
begründet sich unter anderem darin, dass sich
Unfälle im Pferdesport im Gegensatz zu denen, die
aus anderen unfallträchtigen Sportarten resultieren, nicht nur während der Ausübung des eigentlichen Sports ereignen. Eine große Anzahl aller pferdesportbedingten Unfälle entstehen im bloßen
Umgang mit einem Pferd.
Diese hohe Verletzungsgefahr wird aber von den
meisten Pferdehaltern und Reitern nicht nur unterschätzt, sondern erst gar nicht thematisiert. Sicherlich ist jedem klar, der sich mit Pferden befasst, dass
ein vorwiegend instinktgeleitetes Tier auch ein ge-
wisses Risiko darstellt, präventives Denken und
Handeln erfolgt aber in der Regel daraus nicht oder
nur unzureichend. In ihrer 2013 erschienenen Dissertation »Unfallursachen, Unfallmechanismen, Verletzungsmuster und Behandlungsnotwendigkeit von
Reitunfällen« schreibt Dr. med. Victoria Christiane
Eckert: Äußerst »unbefriedigend sind die aktuellen
Sicherheitsstandards sowohl im Freizeit- als auch
im Turnierreitsport«. Deshalb seien entsprechende
Kenntnisse von großer Notwendigkeit, da diese zum
Rückgang von Unfällen im Reitsport sowie zur
Minderung der Schwere reitunfallbedingter Verletzungen beitragen könnten.
Dieser Ratgeber möchte Wissenslücken schließen,
ohne unnötig Ängste zu schüren. Denn auch zu
große Unsicherheit gegenüber dem Pferd kann
Unfälle heraufbeschwören. Vielmehr besteht die
Absicht darin, dem Leser praxiserprobte und alltagstaugliche Sicherheitstipps an die Hand zu geben,
mit deren Hilfe er potentielle Gefahren rechtzeitig
erkennen und abwenden kann.
5
1. Sicherheit fängt mit artgerechter Haltung an
1
Sicherheit fängt
mit artgerechter
Haltung an
1. Sicherheit fängt mit artgerechter Haltung an
1. Sicherheit fängt mit artgerechter
Haltung an
Um es gleich vorwegzunehmen: Von Pferden, die ihr
Leben in ausschließlicher Boxenhaltung verbringen
müssen, geht in der Regel eine größere Gefahr aus
als von solchen, die in einem pferdegerechten
Habitat untergebracht sind. Denn es ist mittlerweile wissenschaftlich untermauert, dass eine dauerhafte Einschränkung oder Behinderung der Triebauslebung zu Unausgeglichenheit beim Pferd und
damit zu Missverständnissen und Problemen zwischen Reiter und Pferd führen kann. Eine 2011 durch-
geführte wissenschaftliche Untersuchung ergab
nach Auswertung verschiedenster Verhaltensmuster übrigens Hinweise, dass sich Pferde auch in der
Einzelhaltung wohl fühlen können, wenn Haltungsund Stallmanagement auf hohem Niveau geführt
werden (Dr. med. vet. Marie Luise Wille: »Einzelhaltung versus Gruppenhaltung – ein Vergleich zweier
Pferdehaltungssysteme unter dem Aspekt des
Wohlbefindens«, Tierärztliche Fakultät der LudwigMaximilians-Universität München).
Offenstallpferde sind nachweislich nervenstärker und dadurch sicherer.
7
Stabiles Nervenkostüm durch Außenreizflutung
Stabiles Nervenkostüm durch
Außenreizflutung
Pferde sind von Natur aus auf eine multiplexe Reizanflutung angewiesen. Eine ständige Reizverarmung und Senkung der Reizschwelle durch Innenboxenhaltung ohne Auslaufmöglichkeit im Außenbereich können dann bei schlagartiger Reizanflutung (= Herausholen aus der Box, Führen zum
Anbindeplatz, Putzen, Satteln und Reiten im Gelände) mehr oder minder starke Verhaltensreaktionen
erzeugen, die sich im Extremfall zu sogenannten
Verhaltensabweichungen entwickeln: Die Pferdedecke auf der Hallenbande, die rote Bank am Waldrand oder noch viel banalere Dinge, die beim »normalen« Pferd als unterschwellige Reize empfunden
werden und daher kaum Reflexe auslösen, werden
durch fehlende kontinuierliche Sinneswahrneh-
mungen als sogenannte überschwellige Reize verarbeitet. Dann reicht ein minimales Reizmittel aus,
um die volle Reaktion zu erreichen (Alles-oderNichts-Prinzip). Jeder Pferdebesitzer kennt solche
Überreaktionen, die sich in Scheuen, Rückwärtsgehen, Steigen oder Stürmen ausdrücken können.
Zwar ist jedes Pferd ein Individuum und reagiert
unterschiedlich auf verschiedene Stimuli, insgesamt
gesehen geht es bei der Pferdehaltung aber eben
auch darum, die Reize zu trainieren, um die Reizschwellen zu erhöhen. Dies kann beispielsweise
eine entsprechend durchdachte Gruppenauslaufhaltung wie der Bewegungsstall bewirken, weil hier
unterschiedliche Reizanflutungen durch Sinneswahrnehmungen wie Sehen, Hören, Riechen, Tasten
und Schmecken weitestgehend ermöglicht werden.
Besonders speziell eingerichtete Kontakt- und
Großzügige Paddockboxen sind eine artgerechte Alternative zur Gruppenhaltung.
8
Stabiles Nervenkostüm durch Außenreizflutung
»Vorreiterin« Uta Gräf
Die deutsche Berufs- und S-Dressurreiterin
Uta Gräf hält ihre Turnier- und Ausbildungspferde so tiergerecht wie möglich:
Weide- und/oder Paddockhaltung im
Herdenverband, auch bei widrigem Wetter.
Ein Teil der Einzelboxen auf Uta Gräfs
Reitanlage Gut »Rothenkircher Hof« in
Kirchheimbolanden sind drei Meter breit
und 12 Meter lang. Daran schließen sich
sechs Meter breite und 60 Meter lange frei
zugängliche Paddocks an, die den Pferden
jederzeit freie Bewegung ermöglichen. Die
jungen und in der Grundausbildung stehenden Pferde leben in einem großen
Laufstall mit Futterständen. Zusätzlich sind
einige Pferde in Panel-Boxen direkt neben
dem Laufstall untergebracht. Ein Potpourri
an Habitaten mit viel Abwechslung und
individueller Ausrichtung auf jedes einzelne
Pferd.
Zusammen mit ihrem Lebensgefährten
Tierarzt Stefan Schneider heißt ihr Leitmotiv »Feines Reiten auf motivierten
Pferden«, gleichzeitig auch der Titel des
Buches, das mit Co-Autorin Friederike
Heidenhof im FN-Verlag erschienen ist. Zu
ihren aktuellen Erfolgen gehören unter
anderem Siege und Platzierungen in Grand
Prix und S-Dressur. Beim CDI Perl erhielt sie
übrigens den Sonderehrenpreis für das
»harmonischste Abreiten«.
Sichtzonen, in denen die Pferde Tag und Nacht Einblicke in das Umfeld der Stallanlage wie Straßen,
Wege, Innenhof oder angrenzende Wiesen nehmen
(= Fernorientierung) und das Treiben darauf ausgiebig beobachten können, setzen die Reizschwellen
herauf. Durch ihre angeborene Neugier werden die
Pferde zudem veranlasst, immer wieder diese
Reizzonen aufzusuchen, wenn etwas »ansteht« und
bleiben dadurch überdies in Bewegung. Dieses
Trainieren der Sinne bewirkt nachhaltig ein stabiles
Nervenkostüm, das alltäglichen Situationen die notwendige Gelassenheit verleiht.
Aber auch eine durchdachte Einzelhaltung mit
Einzelpaddock und gegebenenfalls angrenzender
Wiese kann die Reizschwelle erhöhen, da auch hier
ein gewisses Maß der Fernorientierung gewährleistet ist. Das haben auch schon renommierte Dressurund Springreiter erkannt und mit einer Haltungsumstellung nicht nur physische Verbesserungen
ihrer Pferde möglich gemacht wie die Erhöhung der
Grundkondition (Lokomotion), ein wehrhaftes
Immunsystem durch naturnahe Umweltbedingungen, eine reibungslose Verdauung, stabile Sehnen,
Bänder, Muskeln und Knochen durch fortgesetzte
Bewegung, ein gesunder Rücken durch ungehindertes Wälzen sowie gesunde Atemwege durch
beständige Frischluft, sondern auch psychische wie
eben das zuvor erwähnte zuverlässige Nervenkostüm infolge ständiger Außenreize und eine ausgeglichene Psyche durch das Ausleben ständigen
Komfortverhaltens.
9
Sicherheitsregeln für die Pferdepflege
5
7
6
Der Equi-Ping gibt mehr Sicherheit beim Anbinden.
Handhabung beim Anbinden von Pferden erleichtert und die Sicherheit in Reitbetrieben spürbar verbessert.
Sicherheitsregeln für die
Pferdepflege
Auch beim Putzen oder Waschen eines Pferdes sollte Sicherheit an erster Stelle stehen. Das bedeutet,
dass man niemals unachtsam werden darf und die
Reaktionen seines Pferdes immer im Auge behalten
sollte. Denn fahrlässiges oder gar leichtsinniges Vorgehen etwa aus Bequemlichkeit kann zu bösen Verletzungen führen. Hierzu zählt zum Beispiel das
17
Sicherheit beim Pferdetransport
Zum Entladen wird die Hinterstange entfernt und bei
nur einem Fahrgast die Trennwand breit gestellt.
Das Anbinden im Hänger sollte stets so erfolgen,
dass sich das Pferd ungehindert orientieren und ausbalancieren kann.
Beim Rückwärtsrichten sollte dem Pferd Hilfestellung
gegeben werden.
links: Ein Fohlengitter ist ein Muss, wenn die obere
Hängerklappe geöffnet bleibt.
27
Sicher aufs Pferd steigen
Antiquiertes Aufsitzen bringt nicht nur das Pferd
aus dem Gleichgewicht, sondern kann auch für den
Reiter gefährlich werden.
den Riemen gleich lang bleiben. Vor allem der Reiter
profitiert, weil das Aufsitzen sicherer, leichter und
mit einem besseren Winkel vonstatten geht.
In vielen Reitställen gibt es leider noch immer als
unsportlich, eine solche Hilfe zu nutzen. Doch selbst
in den Richtlinien der FN wird inzwischen eine
Aufstieghilfe zum Aufsitzen empfohlen und viele
34
Profireiter wie Ingrid Klimke sitzen zu ihrer eigenen
Sicherheit und zur Schonung ihrer Pferde nur mit
Aufstieghilfe auf. »Die Nutzung einer Aufsitzhilfe ist
praktiziertes Horsemanship«, sagt Martin Plewa,
Reitmeister und Leiter der Westfälischen Reit- und
Fahrschule in Münster.
Allerdings sollten ausschließlich professionelle Aufsteighilfen verwendet werden. Ein Hocker, eine kleine Bank, umgestülpte Kisten oder Strohballen können gefährlich werden, da diese keine ausreichende
Stabilität während des Aufsteigvorgangs bieten. Für
die Reithalle gibt es auch professionelle Aufsitzhilfen, die an der Wand hinter der Bande angebracht
werden, und automatisch wegklappen, wenn der
Reiter aufgesessen hat (Info: Mounty Sport Products
GmbH & Co. KG Münster, www.mounty.biz). Auch
für moderne Pferdeanhänger werden inzwischen
als Zubehör herunterklappbare Aufsitzhilfen angeboten, mit deren Hilfe man unterwegs, etwa auf
einem Turnier, sicher und problemlos aufs Pferd steigen kann. Zum Nachrüsten für ältere Hänger gibt es
zwei stabile Stützen, die links und rechts an der
Heckklappe des Pferdehängers angebracht werden.
Öffnet man diese bei geschlossener Klappe, lässt sie
sich in eine horizontale Lage bringen und verwandelt sich so in eine Art Podest und somit zur Aufsitzhilfe (zum Beispiel »Mounty Step-Up Mobile
Aufsitzhilfe«, Info unter www.horseservice-olpenitz.de; Preis um 140 Euro).
Sicherheit durch korrektes Aufsitzen
Manchmal wird der Aufsitzvorgang aber auch durch
das Ungeschick des Reiters zum Problem. Sei es,
dass man dem Pferd mit der Fußspitze in den Bauch
tritt, lange am Sattel hängt, mit dem Schwungbein
Sicher aufs Pferd steigen
Korrektes Aufsitzen mit Aufstieghilfe ist pferdeschonend und sicher für den Reiter.
die Kruppe berührt oder sich unsanft in den Sattel
plumpsen lässt. Deshalb sollte man unbedingt
seine eigene Art des Aufsteigens überprüfen, bevor
man die Schuld beim Pferd sucht. Viele ältere Reiter
steigen noch nach überholten Aufsitzregeln aufs
Pferd: Sie stehen rückwärts mit Blickrichtung zur
Kruppe und ziehen sich beim Hochschwingen mit
der rechten Hand am Hinterzwiesel des Sattels
hoch. Dadurch verdreht man sich aber während des
Aufsitzens sehr stark, sodass das Pferd lange »gegenhalten« muss. Der Sattel rutscht leicht und man
kann mit den Zügeln kaum mehr Einfluss nehmen.
Außerdem muss man die Hand hinten am Sattel
loslassen, um dem schwingenden Bein Platz zu machen. In diesem Moment stützt man das eigene
Gewicht nur noch mit einer Hand ab, verliert schnell
die Balance und fällt dann wie ein Mehlsack in den
Sattel. Steigt man dagegen richtig auf, schont man
sein Pferd und vermeidet gefährliche Aufsitzprobleme:
Das Pferd gerade und parallel zu sich positionieren, sodass es sein Gewicht gleichmäßig auf alle vier
Beine verteilt.
Links seitlich zum Pferd mit Blickrichtung zum
Pferdekopf stellen.
Die Zügel zusammen mit einem Stück Mähne in
die rechte Hand nehmen und den linken Fuß mithilfe der linken Hand in den Bügel stellen.
Die Zügel in die linke Hand wechseln, wobei die
Zügellänge gerade ausreichen soll, um das Pferd
unter Kontrolle zu halten.
Mit der rechten Hand über den Sattel auf die
andere Seite des Vorderzwiesels oder Sattelblatts
greifen.
Mit dem Standbein abdrücken und sich bäuchlings mit dem Oberkörper über den Sattel schieben.
Das rechte Bein über den Sattel schwingen und
sanft in den Sattel gleiten, das heißt erst wenn der
innere Oberschenkel Kontakt zum Pferd hat, das
Gewicht von den Händen auf den Sitz verlagern.
Mithilfe der rechten Hand den rechten Fuß in
den zweiten Steigbügel stellen, aufrichten und die
Zügel in beide Hände nehmen.
35
3. Sicherheitsausrüstung fürs Reiten
3. Sicherheitsausrüstung fürs Reiten
Ein allgemein zunehmendes Sicherheitsdenken und
moderne Materialien haben eine ganze Reihe neuer
und innovativer Sicherheits-Ausrüstungsgegenstände auf den Markt kommen lassen: Reithelme,
Reitschuhe und -handschuhe, Sicherheitssteigbügel, Wirbelsäulenprotektoren und Schutzwesten
mit Halsstützen und Airbag.
Der australische Humanmediziner DJ. Pounder ermittelte nach zehnjähriger Forschung die neun häufigsten Ursachen für Reitunfälle (Quelle: Barbara
Schilling: Der tödliche Reitunfall, Dissertation der
medizinischen Fakultät der Universität Hamburg):
Sturz vom Pferd,
vom Pferd gequetscht werden,
beim Reiten gegen ein Objekt stoßen,
im Steigbügel hängenbleiben,
in den Zügeln hängenbleiben,
beim Sitzen auf dem Pferd einen Kopfstoß
bekommen (Hochschlagen des Pferdekopfes),
nach dem Stürzen tritt das Pferd auf den Reiter
am Boden,
das Pferd tritt oder springt gegen den daneben
stehenden Menschen und
Bissverletzungen
Übrigens wurden nach der Einführung der Helmpflicht für Reiter in Großbritannien fünfmal weniger
Kopfverletzungen verzeichnet.
Helme
Heute gibt es sichere, bequeme und zudem optisch
ansprechende Modelle für die unterschiedlichsten
Reitdisziplinen wie Dressur, Springen, Vielseitigkeit
oder Distanzrennen, die nicht nur ein hohes Maß an
Bruchsicherheit besitzen, sondern auch eine gute
Durchlüftung sowie einen sicheren Halt am Kopf
durch entsprechende Schnallen, Nackenpolster und
Nackenriemen ermöglichen. Die Optik reicht von
traditionell über modisch bis sportlich elegant. Bei
hoher Nutzung sollten Helme nach fünf Jahren aussortiert werden, so die Hersteller. Und nach einem
Viele Reiter werden nach dem Sturz durch Huftritte
verletzt.
Dabei sei der häufigste Unfallmechanismus aller
nichttödlichen Reitunfälle der Sturz vom Pferd. In
der bisherigen Literatur über Verletzungen im Zusammenhang mit Reitunfällen werden Stürze mit
Angaben zwischen 60 % und fast 100 % als Unfallursache angegeben.
Britische Studien wiederum ergaben, dass bis zu 83
Prozent der Todesfälle durch Kopfverletzungen verursacht werden. Das erklärt auch die Entwicklung
der »neuen Generation« von Reithelmen weltweit.
37
Helme
Ein moderner Reithelm muss alle relevanten
Sicherheitskriterien erfüllen.
Mittels eines Drehkopfs lässt sich der Helm exakt
anpassen.
und es dürfen keine spitze Gegenstände in die
Außenhülle dringen. Die Schutzpolster müssen aus
solidem Material und ausreichend dick sein. Der
Halt muss so gut sein, dass der Helm selbst beim
Aufprall nicht verrutscht. Deshalb sollte der Kinnriemen an mehreren Punkten des Helms befestigt
sein. Als sehr gut haben sich Drehknöpfe erwiesen,
die eine Feinjustierung der Passform ermöglichen.
Hat der Helm eine Sonnenschirmblende, sollte diese
elastisch und biegsam sein, damit bei einem Aufprall Verletzungen im Gesicht vermieden werden.
Als Zubehör zum Reithelm gibt es das USG-Nackenpolster, das die Halswirbelsäule beim Sturz vom
Pferd stabilisiert. Das weiche und stufenlos verstellbare Band wird um den Reiterhals gelegt und mittels Klettverschluss fixiert. Es gibt ihn in drei Größen
(S, M und L) und er besteht innen aus Latexschaum
und außen aus Baumwolle (erhältlich bei den großen Reitartikel-Versandhäusern, Preis um 20 Euro).
Reithelmtests
Sturz auf den Kopf sollte der möglicherweise beschädigte Helm sofort ausgetauscht werden.
Wichtig ist, dass der Reithelm exakt passt und man
beim Kauf auf das Sicherheits-Prüfsiegel achtet.
Denn umfassenden Schutz bieten nur Helme, die
nach der Europanorm EN 1384 geprüft sind. Diese
Prüfungen umfassen Stoßdämpfung, Belastbarkeit,
Abstreifsicherheit und Durchbiegung des Schirms.
Bei einem Sturz muss der Helm den Stoß abfangen
38
Auf der Website »Testbericht.de« werden Testergebnisse von 650 Zeitschriften zusammengefasst und
vorgestellt. Interessierte erhalten auf der Website
»Reithelme Test-Testberichte.de« alle Informationen über die insgesamt 53 getesteten Reithelme.
Auch die »Stiftung Warentest« hat 15 Reithelme
getestet. Dabei wurde übrigens dreimal die Note
mangelhaft vergeben – also immerhin 20 Prozent und wie folgt bewertet: »Schützt den Kopf nur
unzureichend, Normgrenzwerte werden überschrit-
Reithandschuhe und -schuhe
Helmpflicht ab 2013
Mitte November 2012 hat der Weltreiterverband FEI auf seiner Generalversammlung in Rio De Janeiro weitreichende Änderungen in seinem Regelwerk beschlossen.
So wurde eine verpflichtende Helmpflicht
eingeführt, die ab Januar 2013 für das
gesamte Turniergelände in den Disziplinen
Dressur, Springen, Vielseitigkeit, Fahren
und Distanzreiten gilt. Leider betrifft diese
etwas halbherzige Helmpflicht nur Jugendliche bis 18 Jahre und Reiter auf sechsjährigen oder jüngeren Pferden. Für die Westerndisziplin Reining wurde diese ab Mitte
2013 verpflichtend.
Wie dieses in der Praxis aussehen kann,
führte Dressurreiterin Isabell Werth beim
Nürnberger Burgpokal in der Dressurprüfung Klasse S national auf dem Internationalen Festhallenturnier Frankfurt vor. Sie
tauschte ihren Zylinder dauerhaft mit
einem Reithelm, der speziell für den Dressursport entwickelt wurde.
ten. Helm für je eine Größe, passt gut, aber schwache Belüftung« oder »Schlechtester Helm im Test,
schützt den Kopf nur unzureichend, Normgrenzwerte deutlich überschritten. Rutscht leicht vom
Kopf« (Infos: Reithelme-Unser Rat-Test-Stiftung
Warentest.de).
Reithandschuhe und -schuhe
Reithandschuhe sollten selbstverständlich sein.
Denn sie schützen nicht nur vor Kälte, sondern ver-
Rückrufaktion
für Reithelme
2013 hat der Reithelm-Hersteller Uvex drei
Produkte aus Sicherheitsgründen zurückgerufen. Dazu heißt es auf der FirmenWebsite (www.uvex-sports.de) unter anderem: »Wichtiger Sicherheitshinweis Uvex
Reithelme: Im Mai 2013 hat die schwedische Verbraucherbehörde »Konsumentverket« insgesamt 11 Reithelme verschiedener Hersteller getestet, wovon es bei
10 Helmen zu Beanstandungen gekommen
ist. Einer dieser Helme ist der Uvex Helm
exxential (vormals uvision). Anlässlich dieses Testergebnisses haben wir umfassende
interne Prüfungen aller Helmserien vorgenommen und teilweise Abweichungen von
der Norm im Bereich Durchdringungsfestigkeit und/oder Stoßdämpfung festgestellt. Dies könnte unter Umständen bei
einem Unfall zu Verletzungen führen«.
hindern auch das Aufscheuern der Haut bei den
beim Reiten durch den Zügel besonders beanspruchten Ringfingern. Für Freizeitreiter oder Kinder
sind in der Regel schon einfache und erschwingliche
Strick- oder dünne Baumwollhandschuhe mit Noppen ausreichend, um das Wegrutschen der Zügel
aus der Hand oder das Verfangen zu vermeiden.
Gute Baumwollhandschuhe sind meist noch durch
eine zweite Stoffschicht zwischen dem kleinen
Finger und dem Ringfinger sowie am Daumen verstärkt. Weitere geeignete Materialien sind Leder,
Kunstleder, Fleece, Polyester, Neopren und Mikrofaser.
39
Sicherheitswesten
Der Klickverschluss lässt sich mit zwei Fingern ein- und ausklinken.
hat. Wir sind mit der Airbag-Weste inzwischen 4000
Kilometer im Gelände ohne Probleme geritten.
Auch die anfänglichen Bedenken, dass sich beim
Durchreiten unter Bäumen oder Ästen die Spiralschnur darin verfangen könnte, haben sich nicht
bestätigt. Wichtig ist natürlich auch, das Ausklinken
vor dem Absitzen nicht zu vergessen, weil die
Airbag-Komponenten nicht nur ab einem Zuggewicht von 30 Kilogramm, sondern auch ab einem
Zug-Abstand von 30 Zentimetern (zusätzlicher
Raum zum üblichen Bewegungsraum z.B. beim
Leichttraben oder leichten Sitz) ausgelöst werden.
Und was viele nicht wissen: Die Weste bleibt nach
dem Auslösen nicht aufgeblasen, sondern die Luft
entweicht innerhalb etwa einer Minute langsam
wieder, sodass man anschließend wieder aufsitzen
und weiterreiten kann – allerdings dann ohne
»Luftschutz«.
Das Wechseln der Kartusche ist übrigens nicht ganz
einfach. Eine detaillierte Beschreibung liegt beim
Kauf der Weste zwar bei, wer jedoch unsicher ist,
kann das auch durch den Hersteller durchführen
lassen. Denn macht man dabei einen Fehler, ist die
Funktion nicht gewährleistet – von Bedeutung im
Versicherungs- beziehungsweise Schadensfall.
Außerdem sollte man die Kartusche etwa alle zwei
Jahre auf ihre Funktionstüchtigkeit vom Hersteller
prüfen lassen, auch wenn sie nicht ausgelöst wurde.
Wichtig auch: Die Luftpolsterkammern sollten nicht
mit spitzen Gegenständen in Kontakt kommen.
Denn auch beim kleinsten Loch kann sich die Weste
nicht mehr voll ausblasen. Dasselbe gilt, wenn man
beim Stürzen eventuell auf einen spitzen Gegenstand gefallen ist.
Wer schon ein- oder mehrmals vom Pferde gefallen
ist und sich gegebenenfalls verletzt hat, weiß, wie
traumatisierend solch ein Sturz sein kann. Danach
reitet die Angst ständig mit und man ist in zukünftigen brenzligen Situationen außerordentlich gestresst und neigt nicht selten zu falschen Handlungsweisen. Zudem überträgt sich diese Angst
45