JAPAN-FORUM Vol. 149
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JAPAN-FORUM Vol. 149
Liebe JF-Leserinnen und -Leser, vor 90 Jahren wurden im April 1917 rund 1.000 deutsche Kriegsgefangene ins Lager Bandō auf Shikoku verlegt. Ihren vielfältigen Aktivitäten ist das 1972, also vor 35 Jahren, eingerichtete „Deutsche Haus Naruto“ gewidmet, ebenso der Spielfilm Baruto no gakuen (Japan 2006), der unter dem Titel „Ode an die Freude“ seit 19. Juli in einigen deutschen Kinos läuft. All dies sind Gründe dafür, dass wir Ihnen diesmal das Kriegsgefangenenlager Bandō vorstellen möchten. Das Lager Bandō: Ein besonderes Kapitel deutsch-japanischer Beziehungen MANCHER von Ihnen wird vielleicht stutzen und verwirrt fragen: Wann gab es denn deutsche Kriegsgefangene in Japan? Doch tatsächlich standen sich zu Beginn des Ersten Weltkriegs Deutsche – unterstützt von einigen Hundert Österreich-Ungarn – und die mit England verbündeten Japaner mehrere Monate vor Tsingtau (chin. Qingdao) im in der chinesischen Provinz Shandong gelegenen deutschen Pachtgebiet Kiautschou (chin. Jiaozhou) feindlich gegenüber. Mit der Kapitulation Tsingtaus am 7. November 1914 gerieten rund 4.700 Deutsche und ÖsterreichUngarn - darunter rund 1.400 Kriegsfreiwillige und Reservisten - in japanische Gefangenschaft. Sie wurden in Japan anfangs in eher provisorischen Unterkünften, später in sechs größeren Barackenlagern untergebracht. Das wohl bekannteste dieser Lager ist Bandō auf Shikoku, ca. 12 km von der Präfekturhauptstadt Tokushima entfernt gelegen, das von April 1917 bis Ende 1919/Anfang 1920 zuerst 953, später mehr als 1.000 Kriegsgefangene beherbergte. Es galt als „Musterlager“ und wurde sowohl von auswärtigen Beobachtern als auch von den Insassen positiv bewertet, da sich dort dank des Entgegenkommens des Lagerkommandanten MATSUE Toyohisa (1871-1955) über rund 33 Monate ein reges kulturelles Leben entfalten konnte. Zeitgenössisches Foto der Mannschaftsbaracken(Bandō -Sammlung des DIJ, Sign. H 57-01 Blatt 2) BANDŌ öffnete am 7. April 1917 seine Tore für 206 Kriegsgefangene aus Tokushima, zu denen tags darauf am Ostersonntag 333 Mann aus Marugame und am Ostermontag weitere 414 aus Matsuyama hinzukamen. 16 Monate später am 7. August 1918 erweiterte sich der Kreis um 90 Personen aus Kurume, und vom 26. Mai 1918 bis zum 6. Januar 1919 war dort auch Geheimrat Otto Günther von der Zivilverwaltung in Qingdao untergebracht. (Die Belegungszahlen schwankten immer wieder ein wenig, da mehrere Todesfälle zu verzeichnen waren und einige Gefangene aufgrund ihrer Nationalität frühzeitig entlassen wurden.) Zwar gebauten Laube im konnte auch Bandō seisog. „Villenviertel“ auf nen Status als Kriegsgeden Lagerhügeln erhofangenenlager nicht verlen oder in einem der leugnen, gehörten MorBücher aus der am genappell, japanische Ende mehr als 6.000 Bewachung, Postzensur Bände umfassenden und eine Lagerordnung, Bibliothek schmökern. deren Verletzung selbstverständlich geahndet ALL dies zeigt, dass wurde, zum Alltag und Oberst Matsue, der als die acht MannschaftsKommandant des Vorund zwei Offiziersbaracgängerlagers Tokushiken hätten, obwohl manma bereits Erfahrunche Gefangene sogar gen im Umgang mit den Gardinen und BlumenGefangenen hatte samkästen anbrachten, bei meln können, seinen „Unser Dorf soll schöner Schützlingen viel Freiwerden“ nur Außenseiheit gewährte. Auch geterchancen gehabt. Denstand er ihnen eine genoch gelang es den Bewisse Selbstverwaltung wohnern, dem Lager zuzu, so dass manches nehmend das Flair einer rasch intern geregelt geschäftigen Kleinstadt »Die Baracke«, Titelblatt Bd. II, Nr. 1 (27), 31. März werden konnte. Es gab 1918 (Bandō-Sammlung des DIJ, Sign. A 2-2) zu verleihen. Bereits am Barackenälteste, Unter18. April 1917, einen Tag nach der „Erstbe- offiziere übernahmen organisatorische Aufsiedelung“, wurde damit begonnen, die gaben, Ausschüsse koordinierten Sport und Hauptwege im Lager zu befestigen; ab Okto- Theateraktivitäten, und Interessensgruppen ber stand auch in begrenztem Maße Strom wie die Hühner- und Entenzüchter fanden zur Verfügung, den die Gefangenen aller- sich in Vereinen zusammen, deren Vorsitdings selber bezahlen mussten und der grö- zende im Problemfall als Ansprechpartner ßeren Anforderungen nicht standhielt, so fungierten. Für Tapatau wurde bereits 1917 dass das Netz bei Lichtbilder- oder Filmvor- ein Bürgermeister ernannt, und 1918 erhielführungen mehrfach zusammenbrach. Im ten die beiden Lagerteile Bandō-Ost und Südwesten des Lagergeländes entstand ein Bandō-West demokratisch gewählte Oberkleines Geschäftsviertel - in Reminiszenz an häupter. Ab 2. April 1918 gab es sogar spedas gleichnamige Chinesenviertel und den zielles Lagergeld, dessen Gegenwert in ofangrenzenden Handels- und Industriebezirk fizieller Währung im Büro hinterlegt war, und in Tsingtau „Tapatau“ bzw. „Tapautau“ ge- am 25. August 1918 startete ein lagerinternannt -, in dem Gefangene in Holzbuden, ner Postzustellservice, für den zwei eigene ebenso wie an anderen Stellen im Lager, Briefmarken gedruckt wurden. Matsue ging ihren Kameraden Lebens- und Genussmittel, es offensichtlich handwerkliche Produkte und Dienstleistun- nicht nur darum, gen anboten. Sehr bald blühte der Handel das Zusammenlemit Kaffee, Zigaretten, Tabak und Bier, und ben möglichst reischließlich konnte man sich z.B. auch im bungslos zu geFotostudio ablichten lassen, ein Brausebad stalten; er wollte oder eine Massage gönnen, Kegeln oder auch, dass sich Billard spielen gehen, den Dienst der Lager- die Gefangenen, dichterei „Pösie“ oder den Wäscheservice in für deren missliAnspruch nehmen, sich bei einem der Apo- che Lage er Vertheker bzw. Chemiker mit Medikamenten ge- ständnis aufbrachgen Würmer oder Bronchitis, mit Kosmetika te, im Lager wohl und selbstgebrannten Spirituosen versorgen, fühlten und die die so wohlklingende Namen trugen wie Zeit der Internie„Hoher Norden“ oder „Bando-Boonekamp“. rung ohne schweWer wollte, konnte den kleinen botanischen re physische und Postkarte zur Garten im Lager besuchen, im „Stadtpark“ psychische Schä- »Ausstellung für Bildkunst und lustwandeln, auf einem der beiden Lagerse- den überstanden. Handfertigkeit« im März 1918 en Segeln oder Rudern, sich in einer selbst- Dazu passt der (Privatbesitz Ruth Jäschke) -1- in Bandō in der Begeisterung für Beethovens „Neunte“ deren Satz „Mir sind hundert Betrunkene Stein- und vor Aufführungen in Bandō, vor allem das Konlieber als fünf Geistesgestörte!“, allem in der mit zert am 1. Juni 1918, in dem sie komplett mit mit dem ihn der ehemalige einem Wachs- einem für Männerstimmen bearbeiteten Bandōer Kriegsgefangene Kurt blatt-Vervielfäl- Schlusschor dargeboten wurde. Doch der Meissner zitiert. Matsue baute dartigungsverfah- Musik ebenso wie der Kunst, dem für ein auf, dass es besser für die Männer ren arbeitenden Kriegsgefangenenlager überraschend ergiesei, sich aktiv zu beschäftigten, Lagerdruckerei bigen Thema der Ernährung sowie Aktivitäten anstatt untätig herumzusitzen und entstanden, be- außerhalb des Lagers und Einzelkontakten über das Schicksal nachzugrüsonders die an- zur japanischen Bevölkerung soll ein späterer beln. Daher förderte er vielerlei fangs wöchent- Japan Forum-Artikel gewidmet sein. Tätigkeiten inner- und außerhalb lich, später modes Lagers. U.a. erreichte er, dass natlich erschei- LEICHT könnte der Eindruck entstehen, es haLand vor dem Lager gepachtet nende Lagerzei- be sich angesichts der vielen Freiheiten und werden konnte, auf dem die Getung »Die Ba- Beschäftigungsmöglichkeiten in Bandō um fangenen Gemüse anbauen, Bluracke« und der eine Art Feriencamp gehandelt. Auch der men züchten und - ähnlich wie im »Tägliche Tele- ironische Titel »Fremdenführer durch das Lager - kleine Tiere halten sowie g r a m m d i e n s t Kriegsgefangenenlager Bando«, ein Heft für Sportstätten anlegen durften. So Bando« (T.T.B.) die im August 1918 aus Kurume kommenden entstanden ab 1. Mai 1917 vier mit seinen zahl- Neuzugänge, scheint dies zu suggerieren. Tennisplätze, ein Fußball- und ein reichen aktuel- Doch darf nicht vergessen werden, dass die Faustballfeld sowie ein kleinerer len Meldungen Männer über Jahre zur Untätigkeit verdammt Treibballplatz, der auch für Konzertprogramm »21. Konzert des Tokuschimaer Orchesters« am 18. August 1918 und Anzeigen. waren, während in Europa der Krieg tobte Schlagball und Hockey genutzt (Bandō-Sammlung des DIJ, Sign. E 3-16) Doch a u c h und sie aus der Ferne hilflos um ihre Angehöwurde; Korbball wurde ebenfalls gespielt, und später kamen weitere Tennis- Landkarten, Pläne und technische Zeich- rigen und Freunde bangen mussten. Viele der plätze hinzu. Die Bauarbeiten mussten von nungen, Urkunden, Noten, Veranstaltungs- Internierten waren in einem Alter, in dem man den Gefangenen eigenhändig durchgeführt programme, Eintritts- und Postkarten, Rekla- sich normalerweise beruflich etabliert und werden, so dass mancher nach ersten er- me, Vortragstexte, ja ganze Bücher wurden eine Familie gründet, was ihnen notgedrunmüdenden Erfahrungen ermattet aufgab und dort erstellt. Gerade zu besonderen Anläs- gen über fünf Jahre verwehrt blieb. Angedamit sein Nutzungsrecht verlor. Bereits am sen druckte man mehrfarbig, obwohl dies sichts dessen erfüllt es mit Hoffnung, dass der Kontakt zwischen Kriegs11. Juni 1917, nur fünfeinhalb Wochen nach technisch recht aufwändig war, gegnern im Einzelfall doch zum Baubeginn, waren die ersten Tennisplätze und noch heute erfreuen die Ausgangspunkt freundschaftlibespielbar, sechs Wochen später der Fuß- schmucken Konzert- und Theacher Beziehungen werden könballplatz, drei Wochen danach das Treibball- terprogramme das Auge des Benen, zumal damals längst nicht und das Faustballfeld. Im Lager betrieb man trachters. alle Deutschen in die Heimat zudem Sportarten wie Ringen, Boxen, Gezurückkehrten. Manche blieben wichtheben und Fechten sowie Geräte- und MUSIK und Theater spielten in aldauerhaft in Japan, andere fühlBodenturnen (darunter den Bau von Men- len Kriegsgefangenenlagern in ten sich Japan auch von der schenpyramiden und plastischen Gruppen), Japan eine große Rolle. In BanHeimat aus weiterhin eng verdas man in Anlehnung an Turnvater Jahn dō sorgten fünf Orchester mit unbunden und stellten über ein als „typisch deutsch“ ansah und dem sich terschiedlicher Ausrichtung und halbes Jahrhundert später, als der „Lagerturnverein Bando“, der übrigens Besetzung (von reinen Bläseren1972 das „Deutsche Haus Naauch eine eigene Leichtathletikabteilung be- sembles bis hin zum kleinen ruto“ in der Nähe des einstigen saß, ab Mai 1918 mit großem Enthusiasmus Symphonieorchester), eine ManLagers Bandō eröffnet wurde, widmete. Alles bis dato Unbekannte - und dolinenkapelle, zwei Chöre, zwei dem Museum bereitwillig Erindazu zählte Turnen ebenso wie Gewicht- Theatergruppen und ein Mario»Fremdenführer durch das heben, Boxen etc. - war für die Einheimi- nettentheater von April 1917 bis Kriegsgefangenenlager Bando, nerungsstücke aus ihrer LagerJapan« (Bandō-Sammlung zeit zur Verfügung, die sie ofschen von besonderem Interesse, und so Dezember 1919 mit über 100 des DIJ, Sign. B 04) fensichtlich fünf Jahrzehnte erfahren wir von Vorführungen vor japani- Konzerten, Kammermusik-, Lieschen Schulklassen und Vereinen sowohl der- und Vortragsabenden, mit 24 Theater- lang aufbewahrt hatten. Auch die 1974 verinnerhalb des Lagers als auch außerhalb. stücken, die z.T. bis zu fünf Mal hintereinan- einbarte Städtepartnerschaft zwischen Naruto Selbstverständlich gehörten diese Diszipli- der aufgeführt wurden, sowie mit sog. „Bun- (in das Bandō 1967 eingemeindet wurde) und nen daher - neben Musik, Theater und sogar ten Abenden“ für Unterhaltung und Ablen- Lüneburg geht auf einst in Bandō internierte einem Schuhplattler - zum bunten Pro- kung. Manche entdeckten erst in der Gefan- Kriegsgefangene aus Lüneburg zurück. Und genschaft ihr schauspie- so möchte ich schließen mit einem Zitat aus gramm der Unterhaltungslerisches oder musisches der »Baracke«: „Überhaupt werden die angeabende, die die KriegsgeTalent, und gerade das nehmen Erinnerungen an die Gefangenfangenen quasi zum Abfleißige Malträtieren ei- schaft meistens mit Bando […] verknüpft schied im Oktober 1919 vor nes Instrumentes in den sein.“ (September 1919, S. 95) vollem Haus im Theater hellhörigen Baracken Shintomi-za in Tokushima wurde nicht von jedem gaben. Raumnachbar gutgehei- Wir bedanken uns sehr herzlich beim Deutßen. Doch scheint sich schen Institut für Japanstudien, Tōkyō NEBEN Sport gab es bald letztendlich das Üben ge- (DIJ) für die freundliche Erlaubnis, zur viele weitere Betätigungsfellohnt zu haben, denn ne- Illustration des Textes Materialien aus der der, so dass Müßiggang die ben Marschmusik, Wal- „Bandō-Sammlung“ verwenden zu dürfen. Ausnahme wurde. Alle wazern, Operettenmelodien Siehe auch folgende Internet-Seiten: ren beschäftigt, besuchten und anderer leichter MuUnterrichtskurse oder Vorse begegnen uns in den Bandō-Sammlung des Deutschen Instituts träge, erlernten ein HandProgrammen auch an- für Japanstudien, Tōkyō (DIJ): werk, eine Sprache, Stenohttp://bando.dijtokyo.org/ spruchsvolle klassische graphie, Buchführung oder Werke, darunter große Deutsches Haus Naruto Elektrotechnik oder erkannSymphonien und Solis- (Naruto-shi Doitsu-kan): ten ihre Künstlerseele. Eine tenkonzerte. Besondere der wichtigsten Quellen zum http://www.city.naruto.tokushima.jp/ Beachtung fanden später Lagerleben sind die zahlrei„Wettgehen“ am 10. Dez. 1919 germanhouse/ chen Druckerzeugnisse, die (Bandō-Sammlung des DIJ, Sign. E 1-4) in Japan angesichts der -2-