Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
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TECHNIK & MOTOR V11 F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N TAG S Z E I T U NG , 6 . F E B RUA R 2 0 1 1 , N R . 5 Es ist kalt, es ist nass - und es ist ein Privileg Elektronische Post aus dem Süden des Indischen Ozeans: Weltumsegler Boris Herrmann schreibt von Bord seiner Rennyacht Eiskalte Südwinde wehen von der Antarktis in Richtung des 2000 Kilometer entfernten Kapstadt über uns hinweg, seit wir das Kap der Guten Hoffnung als Eingang zum Indischen Ozean passiert haben. Der Winter in Deutschland ist 10 000 Kilometer weit weg, doch vom Hochsommer der Südhemisphäre ist wenig zu spüren. Wir haben unter Deck 11 Grad Lufttemperatur und schneidende Kälte draußen. Ich habe den Kragen meiner Jacke bis zur Nase hochgezogen. Wenn ich zu Ryan spreche, ist der Atemdampf in der Luft zu sehen. Die meiste Zeit verbringen wir trotzdem an Deck, um die Segel permanent zu trimmen. Das ist ein ungeschriebenes Renngesetz. Salz und Kälte sitzen tief in den Poren. Die Hände weichen auf. Minutenlang reibe ich einen kleinen Papierfetzen über meine klammen Hände, bis sie zum Tippen halbwegs taugen. Ein Blatt muss reichen. Alle Vorräte sind abgezählt. Wir haben 90 Tage für die Weltumsegelung kalkuliert, hinken unserem Zeitplan aber aufgrund von Flauten und Eisbergen, die uns zu Umwegen zwingen, hinterher. Die verbleibenden Reserven müssen also für mindestens 60, eher 70 weitere Tage reichen. Bei allem, was wir hier an Bord benutzen, sind wir uns dieser Endlichkeit der Vorräte bewusst. Das Leben wird simpel unter diesem rigiden Regime und Minimalismus. Oft fühlt es sich gesund an, auch beim langsamen, genüsslichen Verspeisen des einzigen Schokoriegels am Tag, meistens nachts, in der Hoffnung, mit dem Zucker die Müdigkeit etwas zu vertreiben. In solchen Momenten sitze ich da, und knausere an der Frage herum, wie Segeln stärker als ökologischer Sport präsentiert werden kann. Unser Antrieb, der Wind, ist eine unerschöpfliche Naturkraft, die wir so effizient nutzen, dass wir schneller als jedes Motorboot es je schaffen könnte, um die Welt jagen. Abgesehen davon, dass es kein Motorboot mit fossilem Antrieb je nonstop, also ohne Tankstopp, schaffen würde. Solange wir Wind haben und alles funktioniert, ist unser Boot mehr oder weniger autark. Strom wird per Schleppgenerator aus der Bewegung durchs Wasser gewonnen, Trinkwasser aus diesem Strom. Die Energie kommt aus dem Wind und damit letztlich von der Sonne, welche die Atmosphäre in Wallung bringt. Wir verbrennen keinen Liter Treibstoff bei unserer schnellen Reise um die Erde, und wir verschwenden an Bord gar nichts – nicht einmal Küchenpapier. Ob man aber deshalb unseren Sport als Metapher für ökologische Mobilität, effiziente Nutzung von Windkraft, Fortschritt und Modernität sehen kann, wie ich es gerne täte – darüber kann man sich angesichts der Ressourcen, die für den Bau und Betrieb unserer Rennyachten eingesetzt werden, streiten. Doch zunächst sind wir hier an Bord einfach nur Segler. Und das bedeutet vor allem harte Arbeit an Deck, meist mit klammen Händen. Stunde um Stunde, Tag um Tag, 13 Wochen nonstop, Ryan und ich Hand in Hand. Jetzt gerade schläft Ryan zwei Meter neben mir in unserer gemeinsamen Koje Blaulichtfahrt: Die Yachten der Klasse Open 60 erreichen abenteuerliche Geschwindigkeiten, im Innern der Karbonrümpfe gibt es Navigations- und Kommunikationstechnik und ansonsten nur viel Lärm. Draußen wird um jeden Zehntelknoten gekurbelt. Fotos BWR, Herrmann und erholt sich vom Winschen. Ich sitze am Navigationsplatz, einem schwenkbaren Schalensitz aus Kohlefaser, an dem ein Monitor befestigt ist. Daneben an der Bordwand sind noch allerhand Ausrüstungsgegenstände angebracht wie Telefone, Funkgerät, Transponder und so weiter. Wären wir auf Empfang, könnte sich so eine typische philippinische Funkerstimme von einem Frachtschiff melden. Verdutzt würde uns der Offizier wahrscheinlich fragen, ob wir noch bei Trost seien. Denn der vom Transponder angegebene Bestimmungsort für uns, Barcelona, liegt schließlich 180 Grad in der Gegenrichtung. Es ist nicht leicht zu erklären. Wir wollen zwar eindeutig nach Barcelona, aber wir nehmen nicht den kürzesten Weg. In der Tat nehmen wir sogar den längstmöglichen Weg, und das, obwohl wir in einem Rennen segeln. Silvester 2010 sind wir mit 14 Yachten in Barcelona an den Start gegangen. Das Reglement ist denkbar einfach: „Leave Cape of Good Hope, Australia and Cape Horn to port!“ heißt es in der Segelanweisung, also rechts an allen Kontinenten vorbei. Der Start war ein großes Spektakel, das sich wohl in etwa anmutet wie der America’s Cup: Hunderte Zuschauerboote und Fähren, neun Hubschrauber, ein Zeppelin, Menschenmassen. Die Unwissenden hatten wahrscheinlich vermutet, dass wir nach einer kleinen Wettfahrt um die Bojen eines Küstenparcours abends in den Hafen zurückkehren und wie normale Menschen den Jahreswechsel feiern würden. Doch in Wirklichkeit starteten wir zu einer dieser absurd-paradoxen Unternehmungen. Rund 90 Tage zu zweit in einer 3 mal 3 Meter großen Kabine. Kein frisches Essen, null Komfort, Nässe, Kälte, fern der Freunde und Familie, Schlaf nur in kurzen Happen, ständige Plackerei Das Barcelona World Race – ein zäher Kampf um jede Meile Boris Herrmann (links) und Ryan Breymaier nehmen zurzeit am Barcelona World Race teil. Die Nonstop-Zweihand-Regatta um den Erdball wird mit Einrumpfbooten der Klasse Open 60 gesegelt. Die sind 18,3 Meter lang, 5,5 Meter breit, haben einen Tiefgang von 4,5 Meter und einen maximal 28 Meter hohen Mast. Geschwindigkeiten von 30 Knoten und mehr (über 60 km/h) sind möglich. Alles an Bord ist auf Leistung ausgelegt, nichts auf Komfort. Die Segler teilen sich im Wachrhythmus eine Rohrkoje. Herrmann, einziger deutscher Teilnehmer, und sein amerikanischer Co-Skipper lagen bei Redaktionsschluss auf Platz sieben. Nach dem Start an Silvester in Barcelona wurde durch die Straße von Gibraltar in den Atlantik gesegelt, danach entlang der Westküste Afrikas und in einem Bogen Richtung Südamerika gen Süden. Das Kap der Guten Hoffnung wurde vor einigen Tagen passiert, die Flotte befindet sich zurzeit mit Ostkurs im Südindischen Ozean, von wo aus Boris Herrmann diesen Bericht sendete. Der Weg führt Richtung Australien und Kap Hoorn. Ziel ist nach rund 50 000 Kilometern Barcelona. Die Crew hat schon begonnen, ihre für 13 Wochen bemessenen Vorräte zu rationieren, weil das Rennen wegen ungewöhnlich vielen Schwachwindphasen deutlich länger dauern könnte. Zwei Boote mussten wegen Materialschäden bereits aufgeben. Für Boris Herrmann ist das Rennen ein weiterer Schritt auf dem Weg zu seinem Ziel, am nächsten Vendée-Globe-Rennen teilzunehmen. Dabei wird ebenfalls ohne Zwischenstopp um die Welt gesegelt – allerdings solo. (schie.) mit den schweren Segeln und dieser Lärm. So mancher fragte mich da vorher verdutzt: Warum macht ihr das denn? Das wäre ja nichts für mich! Unterbrechung: Per E-Mail trifft der neue Zwischenstand ein. Ryan stürzt gleich zum Monitor. Laut und frustriert entfacht er eine Hasstirade gegen unser Boot und den Wind. Wir haben in fünf Stunden 20 Kilometer auf die Schweizer Yacht „Mirabaud“ verloren. Ich ziehe meinen Raumanzug an, einen knallgelben Trockenanzug mit Latexmanschetten an Hals und Handgelenken, die einen trocken halten. Wir stehen zerknirscht an Deck. Unsere Yacht ächzt unter der Last der großen Segel in diesem starken Wind und hängt weit über. Wie sollen wir deren Geschwindigkeit bloß halten? Sie sind mit ihrer neueren Yacht bei diesen Bedingungen einfach schneller. Ryan grollt. Etwas später hat der Wind gedreht. Wir wechseln das Vorsegel. Einmal übereingekommen, welches von unseren zehn Segeln wir verwenden, bedarf es keiner Worte mehr. Die Manöver sind Routine bis ins letzte Detail, bis zu meiner Schrittfolge auf dem Weg aufs nasse Vordeck, welches von einem Scheinwerfer aus dem Mast in der dunklen Nacht erleuchtet wird. Zwanzig Minuten zerren wir an Segelsäcken, Leinen, Winschkur- beln, dabei stets hin- und hergeworfen und mit kaltem, salzigen Spray überzogen. Nun sitze ich wieder hier mit meinem Küchentuch und reibe mir die Hände trocken. Klar, dass das nichts für SIE ist. Es ist unsere extravagante Art, unser Geld zu verdienen, nach einem halben Leben Erfahrung und Training. Doch die Frage ist berechtigt: Warum machen wir das? Es ist immer wieder ein gutes Gefühl, ausgepowert zu sein, mit pochenden Händen, sehr intensiv. So ist das Rennen, um noch etwas schneller zu sein, um die Grenze noch ein bisschen hinauszuschieben, um uns in diesem Wettkampf zu behaupten und in jeder Sekunde das letzte Quentchen Speed aus unserer Yacht herauszupeitschen. Doch das Rennen ist mehr als nur ein Rennen, es ist ein Abenteuer, eine einschneidende Lebenserfahrung. Es ist ein Privileg, auf dieser Rennmaschine zu stehen und zuzuschauen, wie sie sekundenlang auf dem Wellenkamm einer haushohen Südpolarmeerwelle reitet, quasi zwischen Himmel und Meer, jederzeit bereit, abzuheben. Und zuzuschauen, wie Albatrosse hinter uns in den Wellentälern gleiten, diese majestätisch schönen, grazilen Segelflieger des Südens, die fast nie mit ihren meterlangen Flügeln schlagen. Es ist ein Privileg, viel exklusiver als anderes: Erst etwa 100 Menschen haben dieses Abenteuer absolviert, aber rund 500 waren bereits im All und wohl schon mehr als 5000 auf dem Mount Everest. Es ist eine absurde Unternehmung in der Alltagswahrnehmung, aber vielleicht nicht absurder als viele geschäftliche Prozesse und Projekte an Land, die ebenso von Leistungswillen in irrwitzige Richtungen getrieben werden. Was uns antreibt, ist vor allem Unternehmungslust und Neugierde. Wir entdecken diese fantastischen Tiere, Pilotwale, Albatrosse, Riesenschildkröten, Sturmvögel – und gleichzeitig den ganzen Müll, der sich im Zentrum des südatlantischen Hochs sammelt. Wir meiden Eisberge, die wegen der Klimaerwärmung zahlreicher als normal von der Antarktis abbrechen und in unsere Route driften. Wir erzählen dies den Schulkindern, die unser Rennen fasziniert verfolgen, Klassen in Deutschland, Spanien und Amerika. Ryan war gestern mit einem katalanischen Mädchen, das den Malwettbewerb zum Barcelona World Race gewonnen hat, in einer Videokonferenz. Sie hat eine blaue Collage mit Wellen und Meerestieren erstellt und auf Katalan geschrieben: „Achtet das Meer, es ist ein Tresor, ein Schatz!“ Wir haben dieses Bild an unserem Kartentisch hängen. Herzliche Grüße Boris Herrmann dort wurde Ende 2006 ein großzügiger Neubau in Betrieb genommen – sein. Es sei von einem Unternehmen Baums übernommen worden. Alle Yachten werden komplett neu entwickelt und konstruiert, da Drettmann seine bisherigen von der taiwanesischen Horizon-Werft bezog, die sie übrigens außerhalb Europas unter eigenem Namen selbst anbot. Pikant könnte in Zukunft die Konkurrenz durch Horizon auf dem europäischen Markt sein, denn Geschäftsführer der Horizon Yachts Europe ist nun Drettmanns Schwager Ron Boogard (44), der bisher mit seinem Unternehmen Drettmann International auf Mallorca Elegance-, Visionund Bandido-Yachten vertrieb. Die Schiffe würden in gewohnter Form von Horizon unter den Namen E series (ehemals Elegan- ce), RP series (ex Elegance Dynastie), P series (ex Premier), V series (ex Vision) und EP series (ex Bandido) erhältlich sein, sagt Boogard. Die Bezeichnungen Elegance und Bandido werden vermutlich vom Markt verschwinden, das Pfandrecht auf die Namen liegt dem Vernehmen nach bei Ralf Schumacher. Nun könnte in Zukunft ein Hauch von „Dallas“ durch die Superyacht-Halle 6 der Düsseldorfer Messe „boot“ wehen. Horizon hat für die Ausstellung im Jahr 2012 schon eine Yacht angekündigt, Drettmann für 2013. Auch für die zahlreichen noch zu veräußernden gebrauchten Yachten scheint es eine Lösung zu geben: Im Auftrag der Banken sei die Drettmann Yachts GmbH exklusiver Vertriebspartner, teilt Albert Drettmann mit. (clar.) Die Drettmanns versuchen einen Neuanfang Die Drettmann GmbH sorgte jahrelang Mitte Januar für im Wortsinne große Attraktionen auf der Düsseldorfer Bootsmesse. Dann kam die Insolvenz. Noch im vergangenen Jahr präsentierte der Bremer Yachthändler in Düsseldorf auf 2800 Quadratmeter Standfläche elf Schiffe mit sechsund siebenstelligen Preisen, Rennfahrer Ralf Schumacher zählte zu den Kunden. Die Ankunft der Frachtpontons mit den Superyachten galt als Pflichttermin für Foto- grafen. Nun ist die Drettmann GmbH, wie berichtet, insolvent, der 1970 in Weyhe-Dreye gegründete Betrieb wird abgewickelt. An der vorigen Sonntag zu Ende gegangenen Messe „boot 2011“ nahmen der ehemalige Geschäftsführer Albert Drettmann und seine Frau Claudia das erste Mal ohne Ausstellungsschiff teil: „Yachten sind Luxus, der wird zuerst gestrichen und kommt als Letztes zurück“, sagt der Zweiundvierzigjährige. Zusammengebrochen war während der Finanzund Wirtschaftskrise das so wichtige Geschäft mit gebrauchten Yachten, die beim Neukauf zumeist in Zahlung genommen werden müssen. Einen Wert von mehr als 40 Millionen Euro sollen die schwer verkäuflichen Zweithand-Boote zum Schluss verkörpert haben. Nun der Neuanfang: Drettmanns Geschäftsbetrieb geht in Partnerschaft mit der türkischen Sunrise-Werft in die nächste Runde. Dahinter steht, wie Drettmann sagt, der deutsche Investor und Werfteigentümer Herbert Baum (53), ehemaliger Inhaber des Logistikunternehmens ITG, das seit 2006 zu DHL gehört. Sunrise bietet Motoryachten von 45 bis 61 Metern Länge an, gerade wurde als erstes Schiff die Sunrise 45 „Africa“ übergeben. Das bisherige Kerngeschäft der Drettmann GmbH – Luxus- und Exploreryachten bis 41 Meter Länge – passe perfekt dazu, meint Drettmann. In Zukunft werde das Unternehmen als Drettmann Yachts GmbH firmieren, Eigentümer seien seine Ehefrau Claudia als Geschäftsführerin sowie eine zu Baums Firmenver- Große Yachten, große Hoffnungen: Claudia und Albert Drettmann bund zählende amerikanische Gesellschaft. Nach dem Vorbild der bisherigen Produktlinien namens Elegance und Bandido werden die Schiffe, die bei Sunrise in der Türkei gebaut werden sollen, die Ty- Foto Reissig penbezeichnungen Drettmann Yachts (20 bis 37 Meter) und Explorer (27 bis 37 Meter) tragen. Standort der Drettmann Yachts GmbH werde das Gelände der ehemaligen Drettmann GmbH in Bremen –