100land

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100land
Martin Rein-Cano, Thilo Folkerts
Landschaft als Teil des
kulturellen Diskurses
in: Garten und Landschaft, 12/2012
Der Parc de la Villette brachte der Landschaftsarchitektur vor allem eine neue
Kommunikationskultur und damit auch eine bis dahin unbekannte Wertschätzung. Heute gilt
es, diese Sprachfähigkeit auszubauen.
Der Wettbewerb zum Parc de la Villette von 1982 fiel in die ausdrucksstarke Kernzeit der
architektonischen Postmoderne. Diese Zeit läutete auch für den Freiraum eine neue Kultur
ein. Bis dahin lautete das Credo in der Landschaftsarchitektur, zweckdienlich und gestalterisch unauffällig zu sein, Räume zu schaffen, die – vor allem der Architektur nachgeordnet –
funktional waren und sich in einen diffus grünen Kanon der Landschaftsgestaltung einfügten.
Mit der Postmoderne bekamen auch in der Landschaftsarchitektur Form und Objekt mehr
Gewicht und Ausdruck. Stilzitate wurden mit Lust eingebracht und miteinander kombiniert,
auch kreischende Farben, und dies alles diente nicht notwendigerweise einer Funktion. Die
Gewichtung der Arbeitsfelder wurde ebenfalls neu gemischt. Wo die späte Moderne im fließenden Grünraum einen stadthygienischen oder funktionalen Mitspieler vereinnahmte, der
als mehr oder weniger neutraler Hintergrund für die architektonische oder städtebauliche
Kompositionsfigur diente, wurde in der Postmoderne der Garten und der Park als gestalterische Typologie und als begehrenswertes Designobjekt wiederentdeckt. Gerade Architekten
nutzten im Außenraum die vielfältigen Möglichkeiten, ihr gestalterisches Programm um
Pergolen, Säulengänge, Belvederes und Gartenpavillons zu erweitern; Plätze wurden als
Identität stiftendes Gestaltungsmaterial der Stadt reaktiviert.
Als internationaler Testfall für den Diskurs weiter reichender Konzepte war der
Wettbewerb zu la Villette ein wichtiger architekturgeschichtlicher Markstein. Auch für die
Landschaftsarchitektur generierte das Vorhaben nicht nur formale Neuerung, sondern bedeutete vor allem Aufbruch in eine neue Kommunikation über Gestaltung. Landschaftsarchitektur
erhielt neue mediale Präsenz. An zentraler Stelle und mit großer Dringlichkeit wurde die
Rolle des Freiraums diskutiert, Entwurfskonzepte reflektiert, Landschaftsgestaltung wurde zu
einer neuen, ernstzunehmenden Möglichkeit, Stadt zu denken und zu bauen. Mit 70 Hektar
Wettbewerbsgebiet und 35 Hektar Freiraum der größte Park und eine der größten Grünflächen
von Paris, war dieses innerstädtische Projekt ein immenses Unterfangen. Als eines von
Mitterands Grands Projets war es darüber hinaus als Kulturprojekt geadelt. Zuvor verstanden Landschaftsarchitekten, Landschaftsplaner und Landschaftspfleger Kommunikation und
beruflichen Einfluss oftmals als textliche Kommunikation und Wirkung im politischen Sinn.
Mit dem Parc de la Villette hatte Landschaftsarchitektur die Chance auf ein neues kulturelles
Selbstbewusstsein.
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Das diskursive Hauptmoment des Parkprojektes entstand jedoch erst mit den Vergleichen
zwischen dem gebauten Entwurf des Architekturtheoretikers Bernard Tschumi und dem zweitplatzierten Wettbewerbsbeitrag von OMA / Rem Koolhaas. Diese lange gegenwärtige, und
oft leidenschaftlich geführte Diskussion bildete eine Art emotionalen Meilenstein für eine
neue Generation von Landschaftsarchitekten. Der dem Wettbewerb folgende Diskurs über die
konkurrierenden Beiträge gab dem Ideengerüst Parc de la Villette somit eine zweite, mediale
Realität. In dieser parallelen Existenz konnte (und kann) Landschaftsarchitektur unabhängig
von gebauter Qualität und konkretem Nutzerwert kommuniziert, diskutiert, interpretiert, ja
gehasst und geliebt werden.
Der Gewinnerentwurf von Bernard Tschumi erschloss für die Gestalterwelt ein großes
Repertoire an konzeptionell verankerten Form- und Ordnungsprinzipien. Raster, Collage und
sequentielle Montagen, Flächenüberlagerungen etc. ermöglichten für den Park eine Ordnung
der Unordnung der immensen Programmanforderungen. Mit den der Gartenkunstgeschichte
entlehnten Folies konnte Tschumi darüber hinaus die funktionalen Freiheiten von Landschaft
nutzen und prototypisch architektonische Entwurfstheorien und dekonstruktivistische
Gestaltforschung materialisieren. Die experimentellen Kleinbauten realisierten selbstbewusst eine formale Freiheit jenseits programmatischer Funktion. Der brilliant argumentierte
und offensiv kommunizierte Wettbewerbsentwurf von OMA hatte jedoch das aufregendere
Identifikationspotential. Man wünschte sich (nicht nur heimlich), dass doch dieser revolutionär wirkende Entwurf hätte gebaut werden sollen. Koolhaas trennt die programmatischen
Bestandteile des Parks rationalistisch und setzt sie diagrammatisch neu zusammen. Statt über
gestalterische Freiheiten entlang funktionsentbundener Formen wie bei Tschumi, argumentiert
der OMA-Entwurf mit einem charmant exotischen Pragmatismus. Zum Beispiel wird mit der
Referenz auf die schon 1978 im Manifest Delirious New York untersuchten Schichtungen und
Gleichzeitigkeiten des Hochhauses des New Yorker Athletic Club von 1931 dem Entwurf ante
factum das Versprechen eines surreal metropolitanen Lebens eingeschrieben: „Eating oysters
with boxing gloves, naked, on the 9th floor“. Was in diesem Hochhaus an gleichzeitigen
Nutzungen denkbar ist, überträgt sich auch auf die schier endlosen Möglichkeiten funktionaler Begegnungen im Park.
Koolhaas’ rationalistische Layertechnik liegt methodisch hierbei nicht so fern von
Entwurfsmethoden ökologisch orientierter Landschaftsgestaltung. Wie bei einem map-overlay
fügen sich analytisch getrennte, programmatisch determinierte Schichten durch Überlagerung
zur Gestaltung. Anders jedoch als zum Beispiel Ian McHargs „Design With Nature“ von 1969
verweigert sich der OMA-Entwurf dezidiert einer von einer ökologischen, oder vom Grün definierten Parkgestaltung. Park ist bei Koolhaas vor allem Stadt und Stadterleben und bei aller
Lust am programmatischen Einsatz von Vegetation keinesfalls durch (romantische) Naturbilder
determiniert.
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Thilo Folkerts
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OMAs Entwurf für den Parc de la Villette war damit ein Manifest. Rem Koolhaas verkündete Aufbruch. Über den gestalterischen Hobbybereich der Postmoderne hinaus wurde
Landschaftsgestaltung (und nicht nur Landschaft) als gleichwertige Disziplin im gesellschaftlichen
Projekt des Bauens der Stadt lesbar. Der Park verkörperte eine neue Strategie urbaner Organisation
– Landschaft inklusive. Landschaft musste hier nicht Gesetz werden, sondern wurde als essentieller, kultureller Teil von Stadtkultur und Städtebau proklamiert.
Der Diskurs um la Villette hat somit das konzeptionelle Verhältnis zwischen Architektur und
Landschaft drastisch transformiert. Einerseits durch eine neue Definition von Landschaft
im Städtebau, andererseits durch die gegenseitige Befruchtung der Disziplinen. In dieser
Kommunikationskultur, in der man nun gemeinsam über konzeptionelle Begrifflichkeiten sprechen konnte, wurde Landschaft erneut Teil des architektonischen und kulturellen Diskurses. Über
die Grenzen des Berufsstandes der Landschaftsarchitektur hinweg war ein Parkentwurf auch für
Künstler, Architekten, Philosophen und Soziologen interessant.
Im Wesentlichen sind aus dem Wettbewerb zwei Konzepte im öffentlichen Bewusstsein geblieben.
Trotz seiner aus Theorie entwickelten formalen und materiellen Überlast hat es der gebaute Park
bis heute geschafft, eine konkrete Realität zu leben, die glücklicherweise bunt-urban, jenseits der
roten Ordnungsraster existiert. Das nonchalante Nebeneinander des Urbanen in Koolhaas’ Entwurf
ist ein ebenso reales Vermächtnis für die Auseinandersetzung um die Stadt.
Landschaftsarchitektur ist mit dem Parc de la Villette Teil der Streitkultur um die Gestaltung
des Stadtraums geworden. Die Erkenntnis, daß eine starke, deutliche Stimme wichtiger Teil des
Wirkens als Landschaftsarchitekt sein muß, ist auch mit dem Parc de la Villette Gegenstand
unseres Arbeitskonzepts geworden. Das Kommunizieren, Publizieren, Ausstellen ist damit für uns
notwendiger, reflexiver Teil des Arbeitens. Publikationen sind in sich immer auch eigene Projekte
– Ausdruck unserer gestalterischen Haltung, die Landschaftsarchitektur als etwas Sinnliches,
Bemerkbares und Bemerkenswertes versteht. Gestaltung ist wesentlich auch die Fähigkeit zur
begreifbaren Darstellung. Die Vermittlung des gestalterischen Tuns spielt somit eine ähnlich
wichtige Rolle wie das gebaute Projekt. Wir arbeiten daran, diese Kommunikationsfähigkeit zu
steigern. Denn ohne sie wird das Gespräch mit den vielen Sprechern der Stadt wieder leise und die
Landschaftsarchitektur verliert ihre Stimme.
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