Kapitalismus in Aktion
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Kapitalismus in Aktion
Kapitalismus in Aktion Schulden sind etwas Wunderbares beim Kapitalismus. Am besten sorgt er dafür, dass die ganze Bevölkerung verschuldet ist. Die USA sind weit vorangeschritten auf diesem Weg, dort sind sehr viele Bürger bis ans Limit ihrer Kreditkarten verschuldet. Sie zahlen die 20% oder so, die dafür erhoben werden, und bescheren den Banken feine Gewinnspannen. Dasselbe gilt für die ganzen Käufe auf Pump: Wohnungseinrichtungen, Autos usw., bei denen eine ganze Geschäftsbranche von debt collection agencies dahinter her ist, dass die Raten gezahlt werden. In Deutschland nennt sich sowas Inkassobüro, und deren Geschäftsmodell ist das Eintreiben von kleineren Schuldbeträgen. Zimperlich ist man dabei nicht, auch wenn hier nicht von knochenbrechenden Mafiosi die Rede ist. Es sind immer mehr Anwälte, die dahinter stecken, und jeder darf sich selber aussuchen, was er schlimmer findet (Bild: geralt, pixabay). Die Süddeutsche Zeitung vom 15.9. brachte einen interessanten Artikel von Kristiana Ludwig zu dem Thema, Inkassofirmen – Wie Konzerne an verschuldeten Menschen verdienen: Große Unternehmen wie Otto oder Bertelsmann investieren in immer mehr Inkassofirmen. Sie verdienen gut an den Gebühren, weil die Bundesregierung versäumt hat, diese zu deckeln. Auch wenn Firmen und Anwälte zu hohe Kosten berechnen, müssen sie kaum Konsequenzen fürchten. Der Inhalt des Artikels ist damit gut umrissen. Das Persönliche, was darin ausgebreitet wird, kann hier weggelassen werden, nur soviel sei übernommen: Wer in die Fänge der Inkassoleute gerät, muss nicht mal selber schuld sein. Eine Scheidung reicht schon, eine saftige Mieterhöhung, ein teurer Unfall, eine teure Krankheit, ein längerer Urlaub, die einen daran hindern, seine Rechnungen zu bezahlen. Und dann bekommt man viel Post, Zahlungsaufforderungen und Mahnungen. Denn, so die Autorin, man wird nun für eine ganze Branche zu einem interessanten Fall. Diese Branche ist eine Wachstumsbranche, wie einige Großkonzerne entdeckt haben, z.B. die Medienfirma Bertelsmann und die Handelsfirma Otto. Die kaufen Inkassounternehmen en gros ein, und es lohnt sich. Das Geldverdienen ist leicht im Schuldengewerbe, weil sie dort von Gebühren profitieren, die sie selber festsetzen. Mahnschreiben werden maschinell verschickt, und für diese Massenbriefe genehmigen sich die Firmen satte Vergütungen. Inkassounternehmen berechnen denselben Satz wie Rechtsanwälte für die Abwicklung eines Autounfalls. Das ist lukrativ und legal, weil die Bundesregierung keine Obergrenzen festgesetzt hat. Das Justizministerium hatte zwar Grenzen für Inkassokosten geplant, aber nie umgesetzt. Schlimmer noch, der Missbrauch wird auch nicht sanktioniert. Wenn die Inkassofirmen zuviel berechnen oder unzulässige Gebühren erfinden, schützt das Gesetz die Schuldner nur, wenn sie sich gut auskennen. Sie müssen detaillierte Beschwerden einlegen, und wer das nicht kann, ist der Abzocke ausgeliefert. So verdienen Inkassofirmen an Unwissenheit, schreibt Ludwig. Verdienstvollerweise hat die SZ schon im Juni was gegen die Unwissenheit getan, mit Verbraucherschutz – So wehren Sie sich gegen Mahngebühren (SZ 26.6.): Wer seine Rechnungen nicht pünktlich zahlt, muss mit Zusatzkosten rechnen. Eine gesetzliche Obergrenze gibt es dafür nicht. Viele Firmen nutzen das aus. Laut dieses Artikels dürfen Unternehmen nur den Mehraufwand in Rechnung stellen, d.h. Porto und Papier, während Verwaltungskosten nicht dazu gehören. Trotzdem sind die sogenannten Mahngebühren laut Autorin Ludwig oft viel zu hoch. Wer bei Stromanbietern, Fitnessstudios, Rundfunkgebühren zu spät zahlt oder bei der Deutschen Bahn schwarzfährt, ist dran. Bei der Bahn heißen die Mahnkosten "erhöhtes Beförderungsentgelt". Das Inkasso wird egalement an die Profis vergeben, und dann geht die unangenehme Post ab. Da werden schnell mal 135 Euro aus der originalen Forderung von 40 Euro (wegen Fahren ohne Ticket), inklusive ca. 38 Euro Rechtsanwaltsgebühren. Prinzipiell ist es erlaubt, dass ein Inkassounternehmen und eine Rechtsanwaltskanzlei am selben Fall arbeiten. Es darf bloß nicht einer die Kosten von beiden abrechnen. Witzigerweise will das Gesetz den Schuldnern Gebühren ersparen, indem es sowohl Firmen als auch Anwälten das Anstoßen gerichtlicher Mahnverfahren erlaubt. In der Praxis wird das zum Verdoppeln der Gebühren benutzt. Die Bahn sieht darin laut SZ-Artikel kein Problem. Sie will mehr Nachdruck und beauftragt eben beide, Inkassobüro und Anwalt. Das Gericht, wo solches beanstandet wurde, erläuterte dazu, dass die Gerechtigkeit von Kosten von Fall zu Fall überprüft werden müsse. Zumal wenn der Schuldner Widerspruch gegen einzelne Bestandteile der Mahnschreiben einlege. Doch wer hat schon das Rechtswissen dafür? Für die meisten Leute ist das zu kompliziert – aber Beharrlichkeit kann sich lohnen. Laut SZ lassen's die Anwälte fast nie auf einen Prozess ankommen, man wolle zu viele Beschwerden vermeiden, das Hauptziel sei eine außergerichtliche Einigung. Das mag woanders als bei der Bahn und bei den betroffenen Anwälten anders sein … Wer sich dreingefunden hat, kann immer noch Überraschungen erleben. Die Kosten steigen nämlich weiter, auch für den, der sich mit den Inkassoleuten arrangiert hat und die Rechnung ratenweise abzahlt. Bei Leuten in prekärer finanzieller Situation klappt das nicht immer fristgemäß, und dann wird wieder an der Schraube gedreht und nochmal neue gebührenträchtige Post generiert. Das Paradox dabei: Die Armen zahlen de facto mehr. Armut ist teuer – wenn es nicht so traurig wäre, könnte man flachsen, die Armut kann sich kaum einer leisten. Ludwig sieht die ganze Gesellschaft von den Folgen der Armut getroffen. Wo es an Geld mangelt, da quellen die Briefkästen über vor Mahnbriefen. Diese Papierflut ist das lukrativste Geschäft für die Inkassofirmen. Große Firmen kommen auf einen Ausstoß von Millionen Briefen pro Jahr. Für die Firmen ist es am besten, wenn die Betroffenen gar nicht aus der Schuldenfalle herauskommen, so dass die Firmen immer weiter mahnen können und immer neue Gebühren dafür verlangen können. Eine Bertelsmann-Tochter ließ sich dazu eine "Titulierungsgebühr" einfallen, die vor Gericht als unzulässig beurteilt wurde. Zuvor hatte die Firma Druck ausgeübt: Wer Widerspruch gegen die unzulässige Gebühr einlegte, wurde mit Klage bedroht (!) und mit vorbereiteter Erklärung gedrängt, den Widerspruch zurücknehmen. Die Größenordnung der Branche wird an Zahlen von ein paar "Inkassodienstleistern" deutlich: 9000 Mitarbeiter in einer der drei größten Firmen, 550 Mio. Jahresumsatz in derselben, 9 Mio. Mahnschreiben in einer anderen. Zu den Schreiben kommen noch Anrufe und Hausbesuche bei den Schuldnern, die Mitarbeiter sollen Zahlungsvereinbarungen treffen, und auf die Raten schlägt die Firma dann "Einigungsgebühren" drauf. Dieser prosperierende Markt läuft gut kapitalistisch unter Investitionen, Wachstum und Expansion ins Ausland. Der "Service" wird ausgeweitet, bis "alles in einer Hand" ist. Ja, da wird inkasso gemacht, bis die Armen entsaftet sind und wirklich das ganze Geld in einer Hand ist – ein schrecklicher Markt, der sich immer mehr ausweitet und zur wachsenden Ungleichheit beiträgt. Wem bei solchen Verhältnissen Zweifel an der Qualität der Verbraucherschutz-Gesetze kommen, der darf sich bestätigt sehen. Auch die Online-Abzocke machte seit Jahren von sich Rede, bis vor zwei Jahren ein Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken damit Schluß machen sollte. Doch die Gauner sind zurück, schreibt Ludwig, und sie bitten sogar noch frecher zur Kasse. Die lästige Telefonwerbung ist kaum gebremst, die betrügerischen Inkassofirmen dürfen weitermachen, und es hagelt nach wie vor überzogene Abmahnungen. Die Abzocke funktioniert also auch im kleinen ganz prima. Kaum zu verstehen, wieso der Otto-Konzern eine Gefahr für seine Wachstumssparte wittert, wie Ludwig schreibt. Bloß weil ein Ministeriumssprecher vom Finanzministerium sagte, es werde im nächsten Jahr eine Regelung "in die Prüfung einbezogen", die Anwälte und Firmen bremst? Besteht deswegen wirklich "das Risiko, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen verschärfen, was die Forderungsrealisierung erschweren kann", wie es im Otto-Geschäftsbericht (otto group – Unterwegs – Klares Ziel, spannende Reise) heißt? Klares Ziel, Geldverdienen ohne was dafür zu leisten, spannende Reise in die Ausbeutung der Armen, um davon reich zu werden? darf man da fragen. Dass es auch anders geht, sieht man an den Zahlungskonditionen, die Griechenland für seine Schulden bekommen hat – keine oder nur marginale Zinsen, Tilgung irgendwann dereinst mal. Das wird mit den Miliarden der Euroland-Allgemeinheit finanziert und kontrastiert enorm mit dem Geschehen auf dem heimischen Schuldensektor. Aber da ist die Abzocke eben hintenrum eingebaut, weil das Geld ja in die Banken geht und den Banken die Risiken abnimmt, für die sie kassieren. Links dazu: Internet-Abzocke upgedated Euro-Betrugsnummer Schuldenschnittchen Das metamurphysche Prinzip Deutschland als Zahlmeister USA: Folter für arme Straffällige