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CHRISTIAN HILLER VON GAERTRINGEN DER SCHÖNE SCHEIN Warum Geld doch nicht schmutzig ist INHALT Einleitung 7 Kapitel 1: Geld ist uralt 11 Kapitel 2: Geld ist belastend 21 Kapitel 3: Geld ist magisch 45 Kapitel 4: Geld ist eine Frage der Religion 65 Kapitel 5: Geld ist ein Tauschmittel 79 Kapitel 6: Geld ist Energie 113 Kapitel 7: Geld erzeugt Gefühle 135 Kapitel 8: Geld verursacht Schuld und Schulden 163 Kapitel 9: Geld kann Angst machen 185 Kapitel10: Geld ist nicht schmutzig 199 Literatur 226 Der Autor 230 EINLEITUNG Über Geld spricht man bekanntlich nicht. Oder doch? Geld ist mit so vielen Tabus, Verboten, moralischen Vorstellungen und Schuldgefühlen belegt, dass es vielen nicht leichtfällt, über Geld zu reden. Doch es lohnt sich, genau dies einmal zu tun. Lassen Sie uns über Geld reden. Die wenigsten von uns haben sich jemals mit Geld auseinandergesetzt, sich gründlich mit ihren privaten Finanzen beschäftigt, die grundlegenden Zusammenhänge des Finanzgeschehens studiert oder über ihr Verhältnis zu Geld nachgedacht. Nicht nur in der Schule, auch im privaten Leben, in der Familie und erst recht im Beruf wird so wenig wie möglich darüber gesprochen. Dabei würde es uns mit Sicherheit besser gehen, wenn wir unbefangener mit Geld umgehen könnten. Schluss mit lustig Bei Geld hört, wie wir alle gelernt haben, die Freundschaft auf – und daran halten sich viele. Einem Freund oder Arbeitskollegen beim Umzug zu helfen, die Wohnung zu streichen, auf dessen Kinder ein Wochenende lang aufzupassen, all diese kleinen Hilfeleistungen sind unter Freunden oder Nachbarn selbstverständlich. Doch dem Arbeitskollegen oder dem Kumpel aus dem Verein 100 Euro zu 7 8 leihen? An diesem Punkt hört die Freundschaft in der Regel auf. Ist es nicht seltsam, dass wir zwar bereit sind, anderen Menschen unsere Zeit, unsere Kraft und unsere Aufmerksamkeit zu schenken, es uns jedoch zugleich widerstrebt, anderen unser Geld zu überlassen? Warum leihen wir dem Nachbarn lieber unsere Bohrmaschine als einen Fünfziger? Geld ist nicht neutral für uns. Seltsamerweise ist es für die meisten stark emotional besetzt, ohne dass uns dies jemals bewusst geworden wäre. Tiefsitzende Blockaden Die Menschen beschweren sich selten, wenn ihr Konto am Monatsende noch im Plus ist. Geld wohnt eben eine andere, unangenehme Eigenschaft inne: In der Regel ist es zu knapp. Doch Geldmangel ist selten der Grund, warum wir uns sträuben, dem Nachbarn oder Arbeitskollegen Geld zu leihen. Es ist eine Blockade, die meist tief in uns sitzt. Zum Beispiel wollen viele Menschen verhindern, dass Geld Einzug in ihre privaten Kontakte hält. Geld verdirbt schließlich den Charakter, wie wir gelernt haben. Und wer weiß schon, welche dunklen, bis dahin wohl verborgenen Seiten bei einem Menschen durch den Kontakt mit Geld zu Tage treten? Wir alle haben da schon so allerhand gehört, von diesem Pop-Star, dem der Erfolg angeblich zu Kopf gestiegen ist, oder von jenem tollen Hecht, der beruflich erst senkrecht nach oben startete und dann steil abstürzte. Gesellschaftliche Tabuzonen Die meisten Menschen haben einen gedanklichen Schutzzaun um einen Teil ihres Lebens gezogen, aus dessen Innenbereich Geld wohlweislich ferngehalten werden soll. Viele finden es selbstverständlich, einer fremden Frau Geld dafür zu bezahlen, damit diese die Wohnung aufräumt und putzt. Schlägt dagegen ein Mann seiner Freundin vor, gegen Geld seine Wohnung zu putzen, dürfte diese Idee wahrscheinlich viele Beziehungen auf eine ernsthafte Belastungsprobe stellen. In unserer Gesellschaft reden die Menschen eher noch über Sex als über ihr Bankkonto. Was jedoch in Gelddingen akzeptabel und was ein absolutes Tabu ist, unterscheidet sich von Gesellschaft zu Gesellschaft. In vielen Gegenden der Welt ist es heute noch selbstverständlich, dass ein Bräutigam der Familie seiner Angebeteten ein Brautgeld überreicht, traditionell in Form von Kühen, Ziegen oder Kamelen oder modern in Form von Geld. In Europa dagegen gilt es als unhöflich, jemandem einen Brief auf einem zerknüllten Stück Papier zu schicken. Dass wir jedoch Geld in Form von benutzten Scheinen austauschen, stört niemanden. 9 10 Alles fließt, wusste der griechische Philosoph Heraklit – und vielleicht dachte er insgeheim an das viele Geld, das den meisten Menschen durch die Finger rinnt. Denn Geld scheint zu allem Überdruss die unangenehme Eigenschaft zu besitzen, so flüchtig zu sein, dass es viele Menschen nur schwer festhalten können. Nun ist Zeit zwar bekanntlich Geld, und man sollte weder mit dem einen noch mit dem anderen verschwenderisch umgehen. Doch es lohnt sich, einen Augenblick innezuhalten und sich mit seinem Verhältnis zu Geld zu befassen. Dabei will dieses Buch den Leser unterstützen und ihn auf eine Entdeckungsreise durch die Welt unserer Gefühle, die unser Verhältnis zu Geld prägen, mitnehmen. Es ist eine Welt voller dunkler Mächte, Träume, Sagen, Legenden und Geschichten. KAPITEL 7 GELD ERZEUGT GEFÜHLE 136 Wir stehen uns selbst im Weg Unser größtes Hindernis auf dem Weg, ein entspanntes Verhältnis zu Geld zu finden, liegt in uns selbst. Es sind unsere Gefühle oder besser gesagt die verborgenen Grundüberzeugungen, die uns in der Regel im Weg stehen. Und da kaum ein Wirtschaftsgut emotional so aufgeladen ist wie Geld, spielen unsere Emotionen in den finanziellen Aspekten unseres Lebens eine besonders große Rolle. Auf der Rangliste der am meisten verbreiteten Gefühle in puncto Geld dürfte die Gier weit oben stehen. Allerdings zählt sie auch zu den unpopulärsten Gefühlen, die Geld auslöst. Im Zuge der Finanzkrise stand der Typus des GierBankers im Mittelpunkt, jene Investmentbanker, die angeblich den Hals nicht voll bekommen konnten und ihre krankhafte Gier auf den Weltfinanzmärkten hemmungslos bis zum Exzess auslebten. So berechtigt die Kritik an überhöhten Boni auch sein mochte, eine andere Frage ist viel interessanter, wenn wir unser persönliches Verhältnis zu Geld klären wollen: Warum haben so viele Menschen bereitwillig den GierBanker als Schuldigen dieser Finanzkrise ausgemacht? Weshalb sahen sich selbst die vielen Tausend Käufer von Lehman-Zertifikaten als Opfer dieser Investmentbanker und nicht als Komplizen einer globalen, ungezügelten Gier? Bequeme Opferrolle Es geht nicht darum, die Schuld derjenigen zu relativieren, die dieses Desaster verursacht haben. Doch wollen wir mal in uns hineinschauen und besser verstehen, welche Emotionen Geld und bestimmte Geldsituationen in uns auslösen. Vieles war in den Jahren vor der Finanzkrise in der Weltwirtschaft aus dem Ruder gelaufen. Und es ist mit Sicherheit richtig, gegen moralisch zweifelhafte Geschäftspraktiken vorzugehen, wie sie die Investmentbanken angewandt hatten. Bei vielen galt es geradezu als Ausweis von Cleverness, einen Geschäftspartner möglichst geschickt übers Ohr zu hauen. Doch solange wir uns als Opfer dieser Machenschaften sehen, bleiben wir in unserer persönlichen Entwicklung stecken. Interessanter ist deshalb die Frage: Wie kam es, dass gestandene Menschen, die ihr Leben lang darauf bedacht waren, vorsichtig und besonnen mit ihrem Geld umzugehen, plötzlich auf die Renditeversprechen von Finanzkonstruktionen hereinfielen, deren Funktionsweise selbst gestandene Wirtschaftsmathematiker nicht ohne weiteres nachvollziehen konnten? Die Gier in uns Es ist die Gier. Die Gierschlünde, das sind nicht die anderen. Die Gier sitzt in uns selbst. Sie kann selbst jene Menschen 137 138 befallen, die ansonsten ein anständiges und bescheidenes Leben führen und die deshalb gut zurechtkommen, weil sie nie über die Stränge schlagen und nicht mehr anstreben, als sie sich mit ihrem Einkommen leisten können. Doch nachdem diese Spekulationswelle auf den Weltfinanzmärkten über Jahre hinweg anhielt, haben sich offenbar immer mehr Menschen gefragt, warum denn immer nur die anderen den großen Schnitt machen sollen. Außerdem erzählen in solchen Euphoriephasen immer mehr Menschen, wie risikolos sie ihr Geld vermehrt haben. All dies senkt die Hemmschwelle – bis man selbst bereit ist, Geschäfte abzuschließen, bei denen man sich im Nachhinein fragt, wie man sich nur dazu hinreißen lassen konnte. Blitzableiter für eigene Gefühle Wir neigen dazu, unangenehme Gefühle und Verluste nicht wahrhaben zu wollen. Wer nun nach dieser gigantischen Spekulation als Verlierer hervorgeht und vielleicht einen Großteil seines mühevoll angesparten Vermögens verloren hat, empfindet im Nachhinein Scham wegen seiner Naivität – oder Wut. Der Gier-Banker eignete sich hervorragend als Sündenbock, auf den sich die Wut der Menschen richten konnte. Dabei war es gar nicht so wichtig, ob es solche Raffzähne in der Realität tatsächlich gibt. Wichtiger war, dass sich auf sie die Wut darüber projizieren ließ, dass viele Menschen ihre Ersparnisse, die Früchte ihrer Arbeit, verloren hatten. Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, erklärte die Funktion des Sündenbocks damit, dass eine Gruppe die Aggressionen, die in ihr durch Frustration entstehen, auf eine Außengruppe verschiebt und so zugleich ihren eigenen Zusammenhalt bewahrt. Die Gier ist an der Börse gut bekannt. Schließlich kann der ungezügelte Drang nach Geld jeden befallen. Und die Finanzmärkte sind wie geschaffen, um diesen Trieb ohne Hemmungen auszuleben. So wird an der Börse die Endphase einer kraftvollen Aufschwungphase als „Dienstmädchenhausse“ bezeichnet. Das ist jener Augenblick, in dem die phänomenalen Gewinne, die manche Anleger an der Börse einheimsen, völlig unkundige Sparer anziehen. Diese werfen dann unverhältnismäßig hohe Beträge ohne jedes Gefühl für Risiko auf die Finanzmärkte. Durch sie können gewieftere Investoren ihre Gewinne bequem nach Hause bringen, weil die unbedarften Neulinge ihnen die völlig überbewerteten Titel zu diesen hohen Kursen bedenkenlos abkaufen. Der Gier auf der Spur Neurowissenschaftler der Universität Stanford in den USA haben versucht, die Ursachen der Gier zu ergründen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Aussicht auf einen möglichen Geldsegen trotz der einhergehenden Risiken ein 139 140 deutlich größeres neuronales Feuerwerk hervorruft als vorhandenes Eigentum. In den Versuchen dieser Wissenschaftler reagierten die Teilnehmer an den Tests besonders stark auf einen erwarteten finanziellen Gewinn. Geldbeträge, die sie tatsächlich besaßen, hatten dagegen einen wesentlich geringeren Effekt auf das Belohnungssystem im Gehirn, das für Glücksgefühle zuständig ist. Die Kirche zählte den Geiz oder die avaritia, wie die Kirchenvertreter die Habsucht nannten, zu den sieben Todsünden. Ihr ordnete Peter Binsfeld (circa 1545 bis 1598), Weihbischof von Trier und Hexentheoretiker, den Dämon Mammon zu. Im Strafrecht gilt Habgier als eines der Motive, die eine Tötung als Mord qualifizieren. Die anderen Todsünden sind der Hochmut, die Wolllust, der Zorn, die Völlerei, der Neid und die Trägheit des Herzens, die man heute eher als Faulheit, Ignoranz oder auch als Feigheit bezeichnen würde. Der Geizkragen Der Geizkragen gilt im Volksmund als ein Mensch, der unabhängig davon, ob er reich oder arm ist, an seinem Geld festhält und seinen gesamten Lebensstil darauf ausrichtet, möglichst wenig Geld auszugeben. Es bereitet ihm körperliches Unbehagen, sich von Geld trennen zu müssen. Dagobert Duck beispielsweise wird oft als Geizkragen dargestellt, doch tatsächlich entwickelt dieser eine größere Lebensfreude als der typische Geizhals. Es ist schließlich die Freude am Goldbad, die ihn antreibt, und nicht das verkniffene Festhalten am Besitz. Gier ist bei weitem nicht auf Geld beschränkt. Wir alle kennen den Gierschlund, jenen Menschenschlag, der so viele Lebensmittel – am liebsten Kuchen, Süßigkeiten und fettige Pommes frites – in sich hineinstopft, wie er nur kann. Diese Form der Essstörung führt häufig zwar zu extremem Übergewicht (Adipositas). Doch der Gier des Vielfraßes sind Grenzen gesetzt. Irgendwann sind Magen und Darm so überfüllt, dass er nicht weiter essen kann und eine Pause machen muss. In Gelddingen dagegen können die Menschen ihre Gier grenzenlos ausleben. Ein Bankkonto kann nie zu voll sein. Ein Gefühl der Leere Auch wenn die Gier jeden befallen kann, ist sie bei weitem kein Naturtrieb, der jedem Einzelnen von uns innewohnt. Dies ist eine Mär, die die Gierigen gerne in die Welt setzen und in der modernen Figur des Gier-Bankers zum Menschentypus schlechthin erheben. Auch sind die Menschen der Gier nicht hilflos ausgesetzt. Viele Menschen führen ein glückliches, entspanntes Leben, ohne zwanghaft Besitz und Geld anhäufen zu müssen. Gier und Habgier haben vielmehr konkrete Ursachen, die in der Psyche der betroffenen Menschen liegen. 141 142 „Die Gier ist immer das Ergebnis einer inneren Leere“, schrieb Erich Fromm. Sie betrifft vor allem Menschen, die ihre Lebenskraft nicht aus sich selbst heraus ziehen können und sich in ihrem tiefen Inneren als wertlos empfinden. Sie brauchen Besitz und Geld, um sich überhaupt fühlen zu können. Häufig leiden diese Menschen an einer großen Angst vor dem Leben und seinen Herausforderungen insgesamt. Es ist somit eine sehr ursprüngliche, diffuse Form von Angst. Die Gier nach Geld ist nur ein Ersatz für ein anderes Verlangen. Geld ist kein Lebensziel, sondern ein Mittel, um ein größeres Ziel im Leben zu erreichen: Liebe, Anerkennung, Macht, Ruhm, Triumph, Geborgenheit, Sicherheit. Drang in die Außenwelt Gierige können ihre innere Leere nur schwer als solche wahrnehmen oder gar ertragen. Sie erscheint ihnen übermächtig. Dieses Gefühl von Leere drängt mit Macht nach außen und muss sich in der Außenwelt abreagieren. Deshalb greifen sie nach allem, was sie bekommen können, und schlingen es in sich hinein. Ihre Befriedigung schafft nur kurzfristig Erleichterung und hinterlässt rasch ein noch größeres Gefühl von Leere – wie bei jeder Sucht, deren Befriedigung nur vorübergehend Linderung verschaffen kann. Wohin grenzenlose Gier führen kann, zeigen die Gebrüder Grimm in ihrem berühmten Märchen vom „Wolf und den sieben Geißlein“. Darin gelingt es dem maßlos gierigen Wolf mit viel List, sich Zutritt zu dem Haus, in dem die sieben jungen Ziegen leben, zu verschaffen, solange ihre Mutter aus dem Haus ist. In seiner Maßlosigkeit verschlingt er alle sechs Geißlein, die er erwischen kann, und legt sich vollgefressen vor das Haus, während das siebte Geißlein, das sich rechtzeitig retten konnte, die Mutter herbeiholt. Diese schneidet dem Wolf den Bauch auf, so dass die gefressenen Ziegen herausspringen können. An deren Stelle näht die Mutter dem Wolf schwere Steine in den Bauch. Als der Wolf aufwacht und zum Brunnen geht, um Wasser zu trinken, fällt er wegen seines schweren Gewichts kopfüber in den Brunnen und ertrinkt. Hätte er sich gezügelt und seine innere Leere, die sich in diesem Fall körperlich in Form eines leeren Magens zeigt, anders füllen können, dann hätte sich der Wolf nicht derart vollgefressen und wäre wohl lebend davongekommen. Doch das wäre vielleicht zu viel verlangt von einem Märchenwolf, sich derart zu bescheiden … Dauerhaftes Unglück Insofern ist es richtig, dass sich in einer Welt, in der das Streben nach materiellem Besitz ganz oben auf der Werteskala steht, auch die Gier leicht verbreiten und zu einer 143 144 wahrhaften Volkskrankheit werden kann. Doch jeder kann sich diesem Trieb entziehen. Allerdings kann nur jeder Betroffene selbst die Ursachen der Gier angehen. Er kann sich diesem Gefühl der inneren Leere stellen, die in ihm selbst herrscht und die er als derart bedrohlich und übermächtig empfindet. Viele Menschen flüchten vor diesem inneren Prozess, der häufig so qualvoll sein kann wie bei einem Drogenentzug. Deshalb ziehen es auch so viele vor, diesen Prozess der inneren Reifung zu umgehen und lieber ihr Leben so einzurichten, dass sie sich den Ursachen ihrer Gier nicht stellen müssen. Das Schädliche an dem Wirtschaftssystem, das zu der Finanzkrise geführt hat, ist, dass sie diesen psychischen Ungleichgewichten bei den Handelnden nicht Grenzen gesetzt, sondern auch noch als erstrebenswerte Ziele vorgegeben hat. Der Fall des Ivan Boesky In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts füllte der amerikanische Spekulant Ivan Boesky die Zeitungen als „Corporate Raider“, als Unternehmensplünderer. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde dieser Typus Spekulant nochmals als „Heuschrecke“ bekannt. Boesky kaufte Unternehmen an der Börse gegen den Willen des Managements auf, zerschlug diese in ihre Einzelteile und verkaufte sie weiter, oft mit einem exorbitanten Gewinn. Das brachte ihm an der Wall Street den Spitznamen „Ivan der Schreckliche“ ein. Er häufte ein Vermögen von 200 Millionen Dollar an. Seine Transaktionen finanzierte Boesky zum Großteil über sogenannte Junk Bonds, hoch verzinste Ramschanleihen, die er an der Börse platzierte. Als Emittent nutzte er gern die Unternehmen, die er aufkaufte und die anschließend mit horrenden Schulden belastet waren. Oft erwarb Boesky nicht einmal die Mehrheit an dem Unternehmen, sondern begnügte sich mit einer Minderheitsbeteiligung und setzte dann das Management so lange unter Druck, bis dieses sich seinem Willen beugte. Er investierte ausschließlich in Unternehmen, die am Rande des Zusammenbruchs standen: überschuldete Banken, insolvente Versicherungskonzerne, bankrotte Autohersteller und in ihre vergifteten Wertpapiere. Boesky war ein Sohn russischer Einwanderer, arbeitete zunächst als Buchhalter in einer Anwaltskanzlei und fing im Alter von 29 Jahren an, als Arbitragehändler an der Wall Street zu arbeiten. Arbitragehändler nutzen kleinste Preisunterschiede an den Finanzmärkten aus, um damit Geld zu verdienen. Wird in einem Augenblick eine Aktie an einer Börse höher notiert als an einer anderen, so kaufen sie die billiger gehandelte Aktie an der einen Börse, um sie an einer anderen Börse zu verkaufen, wo sie gerade mehr wert ist. Boesky dürfte damit nicht übermäßig reich gewor- 145 146 den sein. Sein vermögender Schwiegervater musste damals noch die Miete für ihn aufbringen und nannte ihn nur „Ivan der Schnorrer“. Geltungssucht dürfte für Boesky ein wichtiger Antrieb gewesen sein. Boesky gab nicht nur enorme Beträge für die teuersten Restaurants der Welt aus – das gehört zum Lebensstil, der in diesen Kreisen zur fast notwendigen Selbstdarstellung zählt. Boesky steigerte dies noch dadurch, dass er stets mehrere Hauptspeisen bestellte. Er probierte sie alle durch und entschied sich dann für eine einzige. Die übrigen Gerichte ließ er kaum berührt in die Küche zurückgehen. „Gier ist gut“ Im Mai 1986 wurde Boesky wegen verbotener BörsenInsidergeschäfte verhaftet und kam für drei Jahre ins Gefängnis. Er lieferte Oliver Stone die Vorlage für den Film „Wall Street“ und ging darin in der Hauptperson des Gordon Gekko in die Filmgeschichte ein. Auch heute noch, gut 20 Jahre nach dem Start des Films, belegt Gordon Gekko den vierten Rang auf der jährlichen Liste des amerikanischen Wirtschaftsmagazins „Forbes“ der reichsten fiktiven Personen der Welt. Übertroffen wird er nur vom Comic-Millionärssöhnchen Ritchie Rich und selbstverständlich von Dagobert Duck. Doch selbst dieser belegt auf der „Forbes“-Liste nur den zweiten Rang. An der Spitze steht Uncle Sam, das Symbol des amerikanischen Staates, was besonders bemerkenswert ist. Denn Uncle Sam ist in Wahrheit mit etwa 14 Billionen Dollar eine der ärmsten Personen der Welt. Nur fällt das nicht so leicht auf. Berühmt wurde Boesky durch seine berühmte „Gier-istgut“-Rede, die Oliver Stone ebenfalls in seinem Film aufgriff. Boesky hielt sie wenige Tage vor seinem Fall im Mai 1986. Da trat der damals noch gefeierte Börsenstar vor Absolventen der University of California in Berkeley bei der Verleihung ihrer Abschlussdiplome auf und rief ihnen zu: „Es ist gut, wenn man habgierig ist. Ich möchte sogar behaupten, dass es gesund ist, habgierig zu sein. Du kannst gierig sein und dich dabei gut fühlen.“ Interessant war die Reaktion der Studenten auf dieses Plädoyer für die von der Kirche und auch sonst verteufelte Habgier. Sie war so bemerkenswert, dass ein Reporter des Nachrichtenmagazins „Newsweek“ völlig verwundert über sie berichtete. Denn die Studenten zeigten sich keineswegs entsetzt oder irritiert. Keiner von ihnen widersprach Boesky. Im Gegenteil, sie reagierten mit lautem Gelächter und Applaus. Der Geizhals Der Prototyp des Geizhalses ist die Figur Harpagon aus der berühmten Komödie „Der Geizige“ des französischen 147 148 Dichters Molière (1622 bis 1673). Tragischerweise starb Molière an einem Schwächeanfall, als er gerade auf der Bühne die Hauptrolle in seinem Stück „Der eingebildete Kranke“ spielte. Im „Geizigen“ leidet die zentrale Figur Harpagon an einer krankhaften Angst, bestohlen zu werden, nachdem er eine Goldkassette mit 10.000 Goldécu in seinem Garten vergraben hatte. Sein Geiz geht so weit, dass er seine Tochter Elise nur deshalb einem alten Mann, Anselme, verspricht, weil dieser bereit ist, sie zu heiraten, ohne eine Mitgift von Harpagon zu fordern. Harpagons Sohn Cléante wiederum braucht dringend 15.000 Francs, um Mariane, ein junges mittelloses Mädchen, zu heiraten. Von seinem Vater kann Cléante keine Hilfe erwarten. Deshalb wendet er sich über einen Vermittler an einen skrupellosen Wucherer, um das Geld aufzutreiben. Am Ende erkennt er, dass dieser niemand anders als sein eigener Vater ist. Nach unzähligen Verwicklungen finden alle Liebenden zueinander, während Harpagon verlassen mit seiner Geldkassette zurückbleibt. „Ich liebe das Knistern der Banknoten“ Dagobert Duck wird gerne als der Prototyp des Geizhalses dargestellt. Doch diese Darstellung ist sehr verkürzt und trifft nicht den Kern. Was ihn viel stärker antreibt, ist nicht das Festhalten an Besitz, sondern eine geradezu sinnliche und zärtliche Liebe zu Geld und zu Gold. „Ich liebe das Knistern der Banknoten, das Klimpern der Goldstücke und den süßen Duft des Großkapitals“, ließ ihn einmal seine deutsche Übersetzerin Erika Fuchs sagen. „Wälzen Sie sich etwa in Gold?“, wird er in der Geschichte „Die Kohldampfinsel“ gefragt, und er antwortet, als handele es sich um eine sexuelle Perversion: „Darüber möchte ich nicht sprechen (ahem).“ Für die meisten jedoch ist Geld Mittel zum Zweck. Das haben Personen wie Boesky oder Harpagon gemein. Für Boesky dürfte Geld ein Mittel zur Selbstdarstellung und zur Selbstaufwertung gewesen sein. Bei Harpagon war der Geiz von Angst getrieben. Die Angst vor Geldverlust hängt eng mit der Angst vor Armut und sozialem Abstieg zusammen. Sie ist in manchen Fällen so übermächtig, dass sie viele zu scheinbar irrationalem Verhalten veranlasst, dass sie Gold in einer Schatulle zu Hause horten, anstatt ihr Geld zinsbringend anzulegen. Wenn wir also unser Verhältnis zum Geld klären wollen, müssen wir uns mit jenen Urgefühlen auseinandersetzen, die unser Leben bestimmen. Und genau deshalb wirkt es sich oft so verheerend aus, dass wir in unserer Gesellschaft so verzweifelt versuchen, unser Verhältnis zu Geld als etwas Rationales darzustellen. Geld jedoch rührt an unseren innersten Gefühle, die unseren Verstand in Bezug auf Geld immer wieder aussetzen lassen. 149 150 Bernard Madoff, der Milliarden-Betrüger Wie sonst lässt es sich erklären, dass hochgebildete Ärzte, Rechtsanwälte und selbst Unternehmer immer wieder auf die primitivsten Fälle von Kapitalanlagebetrug hereinfallen? Kurz vor Weihnachten 2008 flog der Schwindel des amerikanischen Finanzinvestors Bernard „Bernie“ Madoff auf, der es an der Wall Street zu höchsten Ehren und sogar in die Gremien der Börse Nasdaq gebracht hatte. In Wahrheit jedoch betrieb er ein gigantisches Schneeballsystem, bei dem die Gewinne der Anleger aus den Einzahlungen der neuen Kunden bezahlt wurden. Solche Systeme gehen so lange gut, wie der Anlagebetrüger Erfolg hat und mehr Geld entgegennimmt, als er auszahlen muss. Doch im Zuge der Finanzkrise mussten viele Madoff-Kunden ihr Vermögen bei ihm abziehen – und das System brach zusammen. Ein Schaden von schätzungsweise 50 Milliarden Dollar ist dabei entstanden. Zu den Geschädigten zählten der Filmregisseur Steven Spielberg, die Schauspielerin Zsa-Zsa Gabor, der Nobelpreisträger Elie Wiesel und selbst Führungskräfte der amerikanischen Investmentbank Merrill Lynch. Die ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Daniel Tully und David Komansky waren genauso betroffen wie der ehemalige Leiter des Investmentbanking Barry Friedberg, die doch eigentlich wissen mussten, ob Madoffs Börsengewinne nachvollziehbar waren oder nicht. Diese hochbezahlten Banker störte es offenbar nicht, dass Madoff trotz der Milliardengeschäfte, die er tätigte, seine Bilanz von einer kleinen, völlig unbekannten Firma namens Friehling & Horowitz prüfen ließ, die ein Büro von gerade einmal 22 Quadratmetern in New York besaß. Die Firma zählte lediglich drei Angestellte: einen 78 Jahre alten Mann in Florida, eine Sekretärin und einen Buchhalter. Vom Glanz getäuscht Es ist erstaunlich, wie penibel Banker bei kleinen Darlehen die Bonität der Kreditnehmer auf jedes noch so winzige Detail abklopfen, doch bei großen Geschäften regelmäßig auf die primitivsten Betrügereien hereinfallen. Immer wieder lassen sich selbst die angeblich von so rationalen Motiven getriebenen Top-Banker vom Glanz und dem Erfolg blenden, mit dem sich solche Schwindler umgeben. Offenbar spielen in deren Verhältnis zu Geld noch andere, tiefer liegende Mächte eine Rolle als die reine Vernunft und Rationalität. Dies machte sich in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ja auch der Immobilienschwindler Dr. Jürgen Schneider zunutze, der ungezählte Banken prellte, darunter selbst Vorstände der Deutschen Bank. Damals machte auch der damalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, den berühmten Aus- 151 152 spruch, die Forderungsausfälle der Handwerker auf Schneiders Baustellen seien im Vergleich zum Gesamtschaden nicht mehr als „Peanuts“. Schlampereien der Behörden Doch zurück zu Madoff: Auch die amerikanische Börsenaufsicht SEC ließ sich von diesem Betrüger täuschen. Ihr fiel auch nicht auf, dass er das eingesammelte Anlegergeld überhaupt nicht, wie behauptet, an der Börse investierte. Der damalige Leiter der SEC Christopher Cox räumte im Dezember 2008 ein, dass die Behörde jahrelang „glaubhaften und gezielten Anschuldigungen“ und anderen Hinweisen auf das Betrugssystem Madoffs nicht nachgegangen sei. Dabei hatten immer wieder andere Fondsmanager versucht, die angeblichen Aktiengeschäfte, die Madoff tätigte, nachzuvollziehen. Und jedes Mal stellte sich bei diesen Versuchen heraus: Mit den Geschäften, die Madoff nach seinen Angaben tätigte, waren die Renditen, die er auswies, nicht zu erreichen gewesen. Am 29. Juni 2009 wurde Madoff im Alter von damals 71 Jahren zu 150 Jahren Haft verurteilt. Schneeballsysteme Im Prinzip war es Pech, das Madoff Ende 2008 zu Fall brachte. Viele Anleger, die an sich hochzufrieden mit Madoff waren, mussten unter dem Eindruck der Finanzkrise, die im Herbst 2008 mit voller Wucht zuschlug und die Investmentbank Lehman Brothers zum Einsturz brachte, ihr Geld bei Madoff abziehen. Doch auch ohne diese Finanzkrise wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis dieses Schneeballsystem in sich zusammenstürzte, weil jedes Schneeballsystem darauf beruht, wie ein Geschwür zu wuchern, bis es seinen Wirtskörper zerfressen hat. Jahrelang konnte Madoff diese tiefe Sehnsucht von Tausenden Anlegern bedienen, ohne dass ihm irgendjemand wirklich auf die Schliche gekommen wäre. Das Geheimnis für seinen Aufstieg liegt eher in der Gefühlswelt seiner Anleger als in den traumhaften Renditen, die er versprach. Diese waren nur das notwendige Beiwerk, damit sein Zauber wirkte. Der European Kings Club Ein berühmtes Schneeballsystem zog in Deutschland die Betrügerin Damara Bertges mit ihrem European Kings Club auf, das der damalige „Spiegel“-Redakteur Wolfgang Bittner aufgedeckt hatte. „Geht raus und sammelt die Millionen ein“, beschwor sie ihre Clubmitglieder, „die vielen, vielen Millionen“. Am Ende, als das Schneeballsystem 1996 aufgeflogen war, lag der Schaden bei 2 Milliarden Mark, das sind umgerechnet kaum mehr als 1 Milliarde Euro, doch war dies bis dahin der größte Anlagebetrug aller Zeiten in Deutschland. 153 154 Das Erstaunliche am Fall European Kings Club ist jedoch, mit welcher Hartnäckigkeit sich viele Betroffene an der Version festhielten, Bertges sei eine redliche Frau, die von den Banken und anderen Verschwörungen zu Fall gebracht wurde. Als Bertges in Frankfurt der Prozess gemacht wurde, fuhren ihre Opfer in ganzen Omnibussen dorthin, um sie zu unterstützen. Verantwortung abgetreten Ist es nicht erstaunlich, wie leichtfertig Nobelpreisträger, hochrangige Wissenschaftler, gestandene Finanzexperten und viele andere mit ansonsten gesundem Menschenverstand auf solche Trickbetrüger hereingefallen sind? Offenbar haben sie in diesem Fall ziemlich rasch jede Vorsicht fahren lassen. Oder besser gesagt: Sie haben die Verantwortung für ihre Geldgeschäfte Anlagebetrügern übertragen, um sie nicht selbst tragen zu müssen. Anstelle von Verantwortung setzten sie das Vertrauen, dass Madoff es schon richtig machen werde. Nun funktioniert das gesamte Wirtschaftsleben nur auf der Basis von Vertrauen. Wie bei einem Arztbesuch können wir noch so skeptisch sein, noch so sehr objektive Kriterien und unseren Verstand zur Entscheidungsfindung heranziehen – an irgendeinem Punkt bleibt uns keine andere Wahl, als unserem Banker oder unserem Arzt Vertrauen zu schenken oder nicht. Diese Entscheidung lässt sich in so komplexen Systemen wie den Finanzmärkten nicht rational treffen. Doch genauso wie wir in Gesundheitsfragen die Wahl zwischen der Gerätemedizin und naturheilkundlichen oder ganzheitlichen Verfahren haben, ist ja auch die Komplexität der Finanzmärkte zwar gewollt, aber der Anleger kann sich ihr entziehen, indem er einfache Produkte wählt, deren Rendite er ohne tiefe Kenntnisse der Finanzmärkte nachvollziehen kann. Auf Vertrauen angewiesen Von irgendeinem Punkt an sind wir in allen unseren Geldangelegenheiten auf Vertrauen angewiesen. Wenn wir unserer Bank nicht vertrauen, können wir schauen, ob die Bank der gesetzlichen Einlagensicherung angehört, die unser Erspartes bis zu einer gewissen Höhe garantiert, wenn die Bank zahlungsunfähig werden sollte. Doch diese Einlagensicherung hält nur, wenn die einzelnen Banken zuvor auch genügend Geld in den Fonds eingezahlt haben. Reicht es nicht, müssen wir darauf vertrauen, dass der Staat vielleicht das Ersparte rettet. Genauso ist es, wenn wir Brot kaufen: Wir sind darauf angewiesen, zu vertrauen, dass der Bäcker auch tatsächlich Bio-Mehl verwendet, wenn er Bio-Brot verkauft, und dass die Gewerbeaufsicht, Lebensmittelaufsicht und all die anderen Behörden ihre Kontrollen zuverlässig ausführen. 155 156 Kurz, wir können noch so umsichtig agieren, wir kommen in unserem Wirtschaftsleben zwangsläufig an einen Punkt, an dem wir uns entscheiden müssen: Entweder ziehen wir uns aus dem Wirtschaftsgeschehen zurück, was jedoch nicht immer möglich ist, oder wir vertrauen unserem Gegenüber, der Bank, dem Geschäftspartner, dem Arbeitgeber, den Aufsichtsbehörden oder dem Staat. Anhauen, umhauen, abhauen Die Finanzbranche hat sich mit solch einer Komplexität umgeben, dass es dem Einzelnen besonders schwer fällt, sich darin zurechtzufinden. Heute kann wohl jeder Unkundige ohne weiteres eine Stereoanlage, einen Fernseher oder selbst ein Auto kaufen. Auch ohne über technisches Detailwissen zu verfügen, kann sich der Käufer einigermaßen darauf verlassen, dass das Produkt im Vergleich zum Preis eine akzeptable Leistung bringen wird. In der Finanzbranche ist dies längst nicht der Fall. Alle Versuche, einen Geld-TÜV, einen Finanz-Check oder wie auch die verschiedenen Modelle hießen, zu etablieren, sind bisher gescheitert. Gleichzeitig agieren viele Finanzvertriebe immer noch nach dem alten Vertreter-Motto: Anhauen, umhauen, abhauen. In Finanzgeschäften sind die meisten Anleger noch mehr als anderswo auf Vertrauen angewiesen. Denn oft stellt es sich erst nach vielen Jahren heraus, ob die Entscheidung gut oder schlecht war. Somit war die Gier längst nicht das einzige Motiv, das so viele Menschen dazu trieb, sich auf Madoff einzulassen. Magier des Geldes Vielmehr fühlten sich wohl viele von Madoffs Kunden oder von Boeskys Bewunderern von der magischen Macht des Geldes und des darin sich ausdrückenden Erfolges angezogen. Sowohl Madoff wie auch Boesky schienen die großen Magier zu sein, die den Schlüssel in der Hand hielten, um diese geheimnisvolle Macht des Geldes zu beherrschen. Im religiösen Bereich werden solche Menschen gern als „Erlöser“ bezeichnet. Die Macht, die uns tief in unserem Innern so ängstigt, können diese Zauberer angeblich aufgrund ihres geheimen Wissens bändigen. Sie kennen die Formeln, die es ermöglichen, sich die Übermacht des Geldes und der internationalen Finanzmärkte zunutze zu machen. Ihnen gelingt offenbar das, was uns versagt ist und wohl immer versagt bleiben wird. Menschen wie Madoff wissen um die Magie des Geldes und den Zauber, den Geld auf Menschen ausübt. Und sie umgeben sich bewusst mit der Aura des Magiers, um ihre Beute zu beeindrucken. So setzte Madoff beispielsweise die Hürden sehr hoch, um überhaupt bei ihm Geld anlegen zu dürfen. Das machte ihn nur noch umso anziehender für seine Kunden, die er auszunehmen trachtete. Diese Menschen wissen, wie sie mit den Geldgefühlen zu spielen haben, die 157 158 bei vielen Menschen im Unterbewussten angesiedelt sind. Sie wissen, welche Stellen sie aktivieren müssen, damit sich diese Menschen ihnen anvertrauen. Überforderte Anleger Häufig sind die Opfer von Anlagebetrug sehr erfolgreich in dem, was sie tun. Sie sind angesehene Regisseure, Schriftsteller, Ärzte, Unternehmer oder selbst Banker. Ihr Beruf nimmt sie so in Anspruch, dass sie sich nicht mit finanziellen Dingen beschäftigen und nicht die Verantwortung für ihre Geldgeschäfte übernehmen wollen. Die meisten von ihnen geraten lediglich an Bankberater, die ihnen überhöhte Gebühren für unnötige Dispositionen abnehmen, ohne sie jedoch um ihr gesamtes Vermögen zu bringen. Sie hätten keine Zeit, sich in die Zusammenhänge rund um Geld einzuarbeiten und sich regelmäßig mit der Entwicklung in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten zu beschäftigen – sagen dann meistens jene Menschen, die keine Verantwortung für ihr Verhältnis zu Geld übernehmen wollen. Meistens dürfte dieser Einwand nur vorgeschoben sein. Denn oft sind es nur einige, sehr verständliche Grundsätze, die beachtet werden müssen, um eine angemessene, relativ risikolose Verzinsung für sein Geld zu erhalten oder um eine übermäßig hohe Verschuldung zu vermeiden. Häufig ist es Versagensangst, die diese Menschen daran hindert, ungezwungen mit ihrem Geld umzugehen. In anderen Fällen kommt die Überzeugung hinzu, dass Geld im Grunde abgrundtief schlecht und menschenverderbend ist. Kapitalbetrüger wie Madoff verstehen es, diese verborgenen Ängste der Menschen zu erkennen und auszunutzen. Der Aschaffenburger Anlagebetrüger Helmut Kiener, der mit seinen Hedge-Fonds K1 viele Deutsche um ihr Geld gebracht hatte, war immerhin Diplom-Psychologe. Die menschliche Seele hatte er mindestens genauso eingehend wie die Zusammenhänge auf den Finanzmärkten studiert. Gestörtes Verhältnis zu Geld Manche Menschen haben ein derart gestörtes Verhältnis zu Geld, dass ihnen ein normales Leben kaum möglich ist. Dies zeigt sich in psychischen Störungen wie der Kaufsucht. Menschen, die an ihr leiden, können Belastungen nicht selbständig verarbeiten, sondern müssen sie durch Einkaufen entladen. Sie stehen dann unter einem übermächtigen Drang, einkaufen zu gehen. Dabei geht es gar nicht um den Erwerb von Dingen, sondern um den Akt des Shoppens selbst. Shopaholics heißen im Englischen Menschen, die an dieser Störung leiden. Lange dachte man, dass vor allem Frauen an Kaufsucht leiden und dass diese ihre Sucht gern im Kauf von unmäßigen Mengen Schuhen entladen. Oft packen sie 159 160 die erstandenen Kartons zu Hause nicht einmal aus, sondern werfen sie auf den Stapel all der anderen Schuhe, die sie zuvor gekauft haben und die ebenfalls noch im Karton verpackt sind. Heute weiß man, dass Männer genauso davon betroffen sein können. Wird diese Sucht nicht behandelt, drohen Überschuldung, der Verlust des Arbeitsplatzes und sozialer Abstieg. Die Geschichte einer solchen Suchtkarriere beschreibt die englische Schriftstellerin Sophie Kinsella auf sehr amüsante Weise in ihrer Romanreihe über die kaufsüchtige Rebecca Bloomwood. Diese ist Redakteurin in einem Finanzmagazin und gibt darin in einer regelmäßien Kolumne ihren Lesern Tipps über den richtigen Umgang mit Geld. Doch selbst ist sie hochverschuldet, weil sie Frust regelmäßig mit ausgedehnten Shopping-Touren bekämpft. Verfilmt wurden die Geschichten 2009 in dem Streifen „Confessions of a Shopaholic“, der anschließend unter dem Titel „Shopaholic – Die Schnäppchenjägerin“ auch in die deutschen Kinos kam. Rebecca Bloomwood kann ihre Kaufsucht am Ende, nach unzähligen komischen Verwicklungen und öffentlicher Bloßstellung überwinden. Doch auch sie kommt nicht umhin, eine Therapie zu beginnen. Die Geschichten, die Sophie Kinsella über ihre Figur Rebecca Bloomwood erfunden hat, nehmen eine glückliche Wendung, weil die Romanheldin rechtzeitig in der Lage ist, ihre Kaufsucht als Krankheit wahrzunehmen. Das gelingt vielen anderen Betroffenen nicht. Viele von ihnen stoßen zudem auf ein Umfeld, das ohne Verständnis und mit Ablehnung reagiert. Moderne Formen der Sucht Dabei ist Kaufsucht eine Sucht wie Alkoholismus, Spielsucht, Esssucht, Drogenabhängigkeit oder viele andere Formen von Sucht. Wird diese Sucht nicht behandelt, führt sie fast zwangsläufig dazu, dass die Betroffenen ihre Finanzen nicht mehr im Griff haben. Gleichgültig wie hoch die Einnahmen auch sein mögen, sie reichen selten lange genug, um dem Zwang, Geld auszugeben, langfristig standzuhalten. Mehr oder weniger rasch tritt jedoch ein finanzieller Druck auf, der das psychische Leiden meist verstärkt. Oft kommen Schuldgefühle hinzu, Versagensängste oder Wut auf sich selbst, weil man sich unfähig fühlt, sein Leben zu meistern. Die Kaufsucht kann mehr oder minder schwer auftreten. Sie gilt als Zwangsstörung oder auch als Impulskontrollstörung. Auf jeden Fall fügt sie, solange sie nicht psychotherapeutisch behandelt wird, den Betroffenen großes Leid zu. Das Schlimme an dieser Störung ist, dass die Betroffenen meistens wissen, wie unsinnig ihr Verhalten ist, auch wenn sie es nicht offen zugeben. Doch alleine ist es für die 161 162 Betroffenen sehr schwer, sich von dieser Störung zu befreien, weil sie meist auf einem zu geringen Selbstwertgefühl beruht. Die sinnlosen Käufe sollen vorübergehend einen „Kick“ vermitteln, damit die Betroffenen wenigstens für einen Moment lang nicht mehr ihr Leid spüren. Übermaß an Anstrengung Geiz, Gier oder Verschwendungssucht mögen extreme Beispiele für ein gestörtes Verhältnis zu Geld sein. Glücklicherweise treffen diese Störungen nicht alle Menschen. Doch umgekehrt entwickeln leider nur die wenigsten Menschen ein spannungsfreies Verhältnis zu Geld. Auch wenn sie ihre Finanzen unter Kontrolle haben, erfordert es häufig ein Übermaß an Disziplin, Aufmerksamkeit und ständige Wachsamkeit, Einnahmen und Ausgaben nicht nur in der Waage zu halten, sondern das Ersparte auch wachsen zu lassen. Auf dem Inselstaat Malta beispielsweise ist das Erbrecht so gefasst, dass jemand, der wegen Verschwendungssucht verurteilt wurde, kein Testament abfassen darf. Schulden und Kredite sind emotional derart hoch belastet, dass nicht nur jene unter ihnen leiden, die kaufsüchtig sind. Es ist ein derartiges Alltagsthema geworden, dass wir uns nun gesondert damit befassen wollen.