„JA“. - pfarre

Transcription

„JA“. - pfarre
Vortrag EK -Elternabend 30.11.2016/ Innere Sicherheit –
Mit Jesus im Herzen sicher unterwegs
Als Sonderschullehrerin, Religions – und Betreuungspädagogin bin ich viel in den Schulen
des Mondseelandes unterwegs. Ein weiteres großes Trainingsfeld meines Lebens sind
unsere 4 Söhne, 2 Pflegesöhne und unsere 3 Enkelkinder. Werde ich in den
verschiedenen Freundebüchern meiner Schüler gefragt: „Wer ist dein liebster Lehrer?“ →
So lautet meine Antwort stets: Die Kinder, mit denen ich lebe und arbeite….und gerade
von den angeblich schwierigsten Kindern lerne ich täglich ganz viel dazu.
So genannte „Störer“ und „Verweigerer“, verzweifelte Kinder und verzweifelte Eltern
spornen mich immer wieder neu dazu an, eine Suchende zu bleiben, der großen Frage
nachzuspüren, was Kinder brauchen, um sich gut entwickeln zu können...
Für den heurigen Erstkommunionsvortrag dienten mir zwei sehr empfehlenswerte Bücher
und ein Seminar mit Gerald Koller als wichtige Gedankenquelle.
Jesper Juul: Leitwölfe sein/ Verlagsgruppe Beltz, Weinheim 2016 → Juul
David Steindl – Rast: Ich bin durch Dich so ich/ Vier-Türme-Verlag,
Münsterschwarzach 2016 → DSR
I
In meiner Arbeit mit Schülern, Eltern und Lehrern stehen immer wieder große
Unsicherheiten und Ängste der gesunden Entwicklung von Kindern im Weg obwohl wir
derzeit in einer Sicherheitsgesellschaft leben: Das meiste Geld wird für die Sicherheit
ausgegeben. Mit Sicherheit kannst du alles tun… obwohl Sicherheit die Illusion
schlechthin ist! Wir wissen nicht was kommt – nicht einmal die nächsten Minuten…
Wir sichern das Ungewisse!
Dieses Sicherheitsdenken, die vielen Versicherungen, Absicherungen leiten uns eigentlich
auf Irrwegen → sind Auslöser großer Ängste…
Eltern die um jeden Preis alles richtig machen wollen → leben in ständigen
Verunsicherungen = Teufelskreis!
Einer der Hauptauslöser für Probleme im Leben der Kinder ist ein generalisierter
Sicherheitsverlust.
Je mehr Vertrauen und Sicherheit umso besser sind die Gedanken!
Ohne subjektive Sicherheit ist soziales Lernen nicht möglich.
Angst stoppt soziale Prozesse!
LEBEN= Zugehen auf Unsicherheiten und Risiko!
→ Alle Gesellschaften, die bewahren wollten sind letztlich untergegangen!
LEBEN bedeutet andauernden WANDEL!
Es gibt nur eine Sicherheit: die INNERE SICHERHEIT!
„Ich werde gebraucht/ Ich werde angeschaut“ - die „wir schaffen das“ - Kultur! Oder, wie
Joachim Bauer es immer wieder formuliert:
Nimm mich wahr – Zeige mir, wer ich bin – Lass mich spüren, was du mir zutraust!
Jesper Juul hat ein Buch geschrieben, dessen deutscher Titel: „Grenzen, Nähe, Respekt“
ist. Wörtlich aus dem Dänischen übersetzt hieße es: „Hier bin ich! Wer bist du?“....
Stellen wir diese Frage an unsere Kinder?
Erinnert Ihr euch noch, an das Geschenk des Lebens an Euch durch Eure Kinder? Eure
Neugier, Hoffnungen Erwartungen…
Juul,S.35: ...und wenn es dann etwa 2 Jahre alt ist, verlieren die Eltern die Neugier,
entdecken zu wollen, wer dieses kleine Mädchen ist und wie es sich entfaltet. Sie ersetzen
die Haltung des Interesses und der Neugier durch ein Bild, wie ihr Kind sein und werden
sollte. Sie kommen vom Führen und Sich-führen - Lassen zum Anweisen und Verbessern,
vom Dialog zum Monolog und von Lernprozessen zu Machtkämpfen. Vom Vergnügen an
der bloßen Existenz und der Kreativität des Kindes kommen sie zu einer Haltung, die aus
dem Kind ein Projekt macht, welches hier und heute beginnt und in der Zukunft
abgeschlossen sein wird….
→ das fördert keine innere Sicherheit !!!
Was dann?
Bruder David fasst die Antwort auf diese Frage als nun 90 -jähriger so zusammen:
DSR/S.18:: „Das Wichtigste scheint mir das Lebensvertrauen. Dieses Vertrauen wurde mir
auf zweierlei Weise geschenkt. Einerseits, indem sich alle mir Nahestehenden als
vertrauenswürdig erwiesen haben. Sie waren einfach für mich, das kleine Kind da, wenn
es sie gebraucht hat. Das war ganz fraglos…..
Und das Zweite, was ebenso wichtig war, ist, dass man mir Vertrauen geschenkt hat. Ich
war manchmal sogar erstaunt, was ich alles durfte, ohne überwacht zu werden.....
...Meine Brüder und ich durften schon als ziemlich kleine Kinder stundenlang alleine in den
Wald gehen, den Bach hinaufgehen und Entdeckungsreisen machen. Ich glaube, dass
meine Mutter damals mehr oder weniger gewusst hat, wo wir sind und dass wir nicht in
Gefahr waren. Wir haben uns einerseits geborgen gefühlt, weil wir doch irgendwie
wussten: Sie kümmert sich. Aber andererseits hat sie uns das Vertrauen geschenkt,
sodass wir ziemlich frei waren. Vor allem später waren wir wochenlang unterwegs, und sie
hatte keine Ahnung, wo wir waren, weil es damals noch nicht die Möglichkeit gab, einfach
anzurufen und Bescheid zu geben. Sie hat uns jedoch dieses Vertrauen geschenkt, dass
wir schon gegenseitig aufeinander aufpassen, also dass wir uns als vertrauensvoll
erweisen und Vertrauen schenken. Für diese beiden Aspekte bin ich am meisten
dankbar.“
Lebensvertrauen – Vertrauen schenken und vertrauensvoll sein...
So sind wir als Eltern die ersten Pädagogen unserer Kinder.
Pädagogen wird es immer mehr brauchen, denn nur die Pädagogik kann innere Sicherheit
geben!
Innere Sicherheit wächst durch Begegnung und Beziehung!
Das ist heute belegt durch die Neurobiologie:
Wir Pädagogen, und dazu gehören zu allererst wir Eltern.
Wir sind eigentlich die Fachkräfte für Innere Sicherheit!
Es ist ein wunderbares Resonanzgeschehen: Der Mensch wird am DU zum ICH.
Wer war mein erster Pädagoge? Mein Mentor, mein Wegbegleiter?
Welche innere Sicherheit habe ich dadurch bekommen?
Im sehr bekannten Lied „Großvater“, von STS, wird eigentlich von so einem Pädagogen,
einem Wegbegleiter gesungen.
Bei Gerald Koller war das z.B. seine Oma. Er erzählte uns Betreuungslehrern von seiner
Oma, vom gemeinsamen Klettern ohne Seil, das einzige Seil war die Empathie!
Das Leben gelingt in der Balance von Heimat, Geborgenheit , Vertrautheit und Abenteuer,
im Zugehen auf Unsicherheiten.
Aber was ist mit unserer Aufgabe, auf Kinder aufzupassen, sie vor Gefahr zu bewahren?
Bei GEFAHR ist Bewahren richtig, aber Bewahren ist nicht gefragt, wenn jemand lernen
soll mit dem Leben umzugehen!
So ist z.B. Dornröschen, eines der ältesten Bewahrungsmärchen!
Dornröschen hätte genug Zeit, um mit Spinnrädern umgehen zu lernen,… das
Unausweichliche passiert so und so!
Wenn ich meine Ängste über jemanden drüberstülpe habe ich das Kleingedruckte beim
Lebensvertrag nicht gelesen.
Wir haben ein Sensorium, das sofort reagiert, wenn es gefährlich wird.
Gefahr muss man minimieren!
Risiko muss man optimieren! Wer das Risiko minimiert, minimiert das Leben!
Das ganze pädagogische Wissen hängt an 2 Punkten: BewÄhren statt bewAhren!
Die Frage ist nicht: Was ist, wenn was passiert?
Die Frage heißt: Was ist, wenn was nicht passiert?
Die Frage an uns ist und bleibt: Sind wir Erzieher oder Begleitende und Suchende?
Selbstvertrauen hat mit Können und mit Leistung zu tun – mit dem, was wir machen
können und gut machen.
Selbstwertgefühl gehört dagegen zu einer vollkommen anderen Welt. Es hängt damit
zusammen, wer wir sind und wie wir dazu stehen, wer wir sind. Es beschreibt ein
existentielles Phänomen, dessen Entwicklung nahezu vollständig von der elterlichen
Führung abhängt. Wenn unsere Eltern in der Kindheit Interesse für unsere Gedanken und
Gefühle zeigen und sie unseren Reaktionen und unserem Verhalten mit Neugier
begegnen, wissen wir eine Menge über uns selbst, wenn wir das Erwachsenenalter
erreicht haben.
Juul, S.176: „Die beste Form der Kindererziehung ist der fortwährende Dialog, in dem
sich beide Seiten besser kennenlernen und in dem sich Kinder die Erfahrungen und die
Weisheit ihrer Eltern freiwillig zunutze machen können.“
Diese beste Form der Begleitung von Kindern und Jugendlichen wird uns auch in einem
Buch des alten Testamentes sehr anschaulich geschildert.
Mich freut es immer besonders, wenn ich immer neu merke, dass in der Bibel eigentlich
alle Lebensweisheiten drinnen stecken – man muss sie nur bewusst wahrnehmen!
Im Buch Tobit wird uns vom Weg des jungen Tobias erzählt. Sein Begleiter, der Erzengel
Raphael, ist ein Paradebeispiel für einen Bewährungspädagogen.
So wie Raphael in diesem biblischen Buch beschrieben ist, steht er ganz im Gegensatz zu
den oft üblichen Schutzengelbildern, die Kinder vor Gefahren „bewahren“.
Die biblische Botschaft ist schon mehr als 2000 Jahre alt: Soll sich ein Kind, ein
Jugendlicher gut entwickeln, dann ist BewÄhrungspädagogik gefragt!
Die Tobiaserzählung zeigt genau das, worüber sich Hirnforscher und Erziehungsexperten
heute ganz einig sind:
Kinder brauchen Innere Sicherheit und Führung genauso wichtig wie Erfahrungen der
Selbstwirksamkeit („Ich kann etwas bewirken!“)
Vor allem aber brauchen sie ein echtes Gegenüber, ein erwachsene Leitfigur.
Für alle Kinder gibt es eine kindliche Normalordnung → Der Erwachsenen ist die Leitfigur.
Juul,S.10: „Bei diesem Thema gibt es keinen Zweifel und keine Debatte: Kinder brauchen
Führung durch Erwachsene.“
Juul, S.11: „Kinder brauchen Eltern als Leitwölfe, damit sie sich im Dickicht des Lebens
zurechtfinden. Sie brauchen Eltern, die manchmal – es gibt da keine genaue Zahl - klare
Signale senden.“
Juul, S.128: „Es besteht kein Zweifel daran, dass Kinder erwachsene Führung und
Begleitung brauchen, aber wir müssen uns sehr genau anschauen, auf welche Art und
Weise wir diese Führung ausüben: Authentizität (das heißt immer auch Verletzlichkeit),
Empathie, persönliche Verantwortung und der Wille zu lernen und weiterzulernen, bilden
den Kern des neuen Paradigmas..“
Das alles macht eine gute elterliche, beziehungsweise erwachsene, Führung aus!
Eine Unmenge von Untersuchungsergebnissen und praktischen Erfahrungen, zeigen:
persönliche Verantwortung, Integrität, Authentizität, Verfügbarkeit und Verbundenheit sind
die Schlüsselbegriffe. Unsere Kinder müssen in der Lage sein, uns zu vertrauen. Sie
müssen darauf vertrauen können, dass wir Erwachsenen, wir Wegbegleiter wissen, was
wir tun, und dass wir es zum Wohl der Gemeinschaft tun.
Je mehr Vertrauensbasis ein Kind erlebt, umso besser kann es sich entwickeln.
Als Eltern von Erstkommunionkindern habt Ihr Euren Kindern auch noch den Glauben als
Lebensvertrauensbasis geschenkt.
Wie groß dieses Potential sein kann beschreibt Bruder David Steindl – Rast in seinem
Buch ganz berührend. Er beschreibt in seiner Kindheit das tiefe Erleben der Gewissheit,
dass Jesus in seinem Herzen ist… Dies ist eine besondere Dimension der Inneren
Sicherheit, ein ganz hoher Sicherheitsfaktor! Diese Erfahrung und die Übung, immer
wieder zu dieser Herzmitte zurückkehren zu können, machten ihn stark für das Leben!
DSR,S.28: „ In jenem Traum dämmerte mir ja ein Selbstverständnis auf, das sich in jedem
weiteren Lebensabschnitt vertiefen sollte – ein Prozess, der auch heute noch andauert.....
Nur, weil ich jetzt weiß, wie ich immer wieder zu meiner Mitte zurückkehren kann, werde
ich bestehen können, was im 2. Jahrzehnt meines Lebens auf mich zukommt….
Nur das Heimfinden zur Herzmitte kann mir da helfen...“
Die Botschaft unseres Glaubens, die Bibel steckt voller Zusagen an uns und unsere
Kinder: z.B: Die große Zusage im Buch Exodus (Ex 3,14) „Ich bin der „ICH BIN DA“,
oder aus dem Buch Jesaja (Jes 43,1):
„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, / ich habe dich beim Namen gerufen, /
du gehörst mir.“
„Fürchte dich nicht..“ → diese wahrlich lebens-not-wendige Botschaft steht 366 mal in
der Bibel geschrieben – die Zusage, mit innerer Sicherheit leben zu dürfen - jeden Tag des
Jahres → ein weises Buch!
DSR, S.22: „Es gibt eine Gegenwart Gottes in mir, zu der ich hingehen und immer wieder
zurückkehren kann.“….
Johannes Kaupp fragt in diesem Buch, das zum Teil mit Interviews geführt ist:
„In welchen Situationen fühlten sie sich gedrängt oder angezogen .... zurückzukehren, wie
sie sagen?“
DSR: „Wahrscheinlich immer, wenn die äußere Situation schwierig wurde. Da fallen mir
natürlich die dramatischen Bomben und Kriegserlebnisse ein und alles das, was wirklich
äußerlich bedrängend war. Aber auch mein Jähzorn....“
Alles das, was äußerlich und innerlich bedrängend ist…
Glaubt mir, unsere Kinder erleben oft Situationen, die sich so anfühlen. Wie gut ist es
dann, um einen Rettungsanker, eine Kraft im Inneren zu wissen. Wir können unsere
Kinder vor schwierigen Situationen nicht bewahren, aber wir können sie unterstützen mit
Innerer Sicherheit ihren Weg zu meistern!
Eine solche innere Kraft kann der Glaube sein.
DSR, S 84: „Der Glaube ist das immer wieder neu gelebte Vertrauen aufs Leben. Jeden
Augenblick neu, weil sich das Leben auch jeden Augenblick verändert. Der Glaube ist das
Gegenteil einer Versicherung. Er ist eine ständige Verunsicherung, ohne die wir kein
Vertrauen bräuchten. Im Vertrauen weiß ich mich gesichert, obwohl ich mich verunsichert
fühle. Je mehr man verunsichert ist, desto mehr Vertrauen braucht man, um sich doch
gesichert zu fühlen..“
In meinen Religionsstunden erlebe ich immer wieder aufs Neue, wie empfänglich Kinder
für unsere Botschaft des Glaubens sind, wie sehr sie sich dabei aufgehoben und wert
geschätzt erleben.
Eines unserer Lieblingsgebete mit Bewegungen beginnt immer mit den Worten: „Guter
Gott, senke mir Deine Liebe ins Herz...“
DSR,S.147: „Eine sichere Einbettung in der Kindheit hilft sehr, auch wenn man sie
nachher wieder verlässt. Kinder brauchen das und mögen das auch. Worum es aber
letztlich geht, ist die menschliche Auseinandersetzung mit dem Geheimnis, und die wird
weder in dem einen noch dem anderen Land den Menschen erspart..“
Um diesen, in vielen Untersuchungen erwiesenen, „Gesundheitsfaktor Religion“ geht es in
unserer Erstkommunionvorbereitung. Unsere Kinder sollen sich eingebettet erfahren in
dieses große Geheimnis der Gegenwart Gottes, das uns Sicherheit und Lebensvertrauen
für alle Lebenslagen zusagt.
II
Die Startrampe für diesen Sprung in die Ungewissheiten des Lebens ist also die Innere
Sicherheit, das Vertrauen und die VIELFALT (= Gegenteil von Einfalt!) unserer
Handlungsmöglichkeiten.
Wenn ich mehrere Tasten auf meinem Lebensklavier habe, habe ich mehr
Bewältigungsstragtegien! z.B.: Joggen = Taste 1, Musik hören = Taste 2, Garteln, kochen
etc. Es gibt 100e von Tasten!
Ein Problem wird es, wenn es nur mehr 1 Taste gibt = Abhängigkeit (das kann auch das
Joggen sein!) Jede Art von Verengung ist ein Problem… Bei vielen Kindern bleibt nur mehr
das Handy oder der PC….
Wie steht es mit unseren Bewältigungsstrategien, wenn es im Leben schwierig wird?
Welche FEHLERKULTUR leben wir unseren Kindern vor?
Dürfen wir Fehler machen, um größere Fehler zu vermeiden?
Wir Menschen können nur auf 2 Arten lernen: durch Erfolg und durch Scheitern.
Wenn wir das Scheitern eliminieren, wird die Hälfte unseres Gehirns zum Friedhof!
Erfolg ist super, aber im Scheitern lernen wir einen Schritt zurück zu gehen und eine
andere Richtung einzuschlagen. Kein Mensch verändert sich im Erfolg!
Du veränderst dich nur, wenn du anstehst. Wir würden nur mit Erfolg nichts lernen und
immer nur 1 Taste spielen. Die Erfahrung des Scheiterns lässt uns Neues ausprobieren.
Wenn Jugendliche scheitern, sollten wir ein Fest feiern! Es ist Möglichkeit des Lernens
→ GE „SCHEITER“ werden! Im Scheitern Größe und Tiefgang entwickeln.
Wer eine innere Sicherheit hat darf scheitern.
Ein wesentlicher Faktor der inneren Sicherheit, der Fähigkeit auch scheitern zu können, ist
das Selbstwertgefühl. Jesper Juul unterscheidet ganz klar zwischen Selbstvertrauen und
Selbstwertgefühl:
Juul S.33:“Selbstvertrauen hat mit Können und mit Leistung zu tun – mit dem, was wir
machen können und gut machen.
Selbstwertgefühl gehört dagegen zu einer vollkommen anderen Welt. Es hängt damit
zusammen, wer wir sind und wie wir dazu stehen, wer wir sind. Es beschreibt ein
existentielles Phänomen, dessen Entwicklung nahezu vollständig von der elterlichen
Führung abhängt. Wenn unsere Eltern in der Kindheit Interesse für unsere Gedanken und
Gefühle zeigen und sie unseren Reaktionen und unserem Verhalten mit Neugier
begegnen, wissen wir eine Menge über uns selbst, wenn wir das Erwachsenenalter
erreicht haben.“
Ein gesunder Selbstwert = überlebensnotwendig für alle sozialen Prozesse!
Juul, S.144:.. „ „egozentrische“ Kinder: Kinder ohne gesundes Selbstwertgefühl, sondern
mit einem aufgeblähten, dominanten Ego – ein Resultat elterlicher Verwöhnung,
überflüssigen Lobs und einer Gesellschaft, die dieses Verhalten fördert.
Kinder, die geliebt und wertgeschätzt werden, wie sie sind, missachten andere nicht, und
sie fühlen sich weder minderwertig noch überlegen.“
Juul, S.173: „Ein gesunder Selbstwert befähigt das Kind oder den jungen Menschen dazu,
Ja und Nein zu sagen – Ja zu sich selber und seinen persönlichen Grenzen, Werten,
Gedanken und Gefühlen und Nein zu denen, die Gehorsam und Unterwerfung verlangen.“
Juul,S.70: „Ich nehme an, dass sie sich für ihre Tochter wünschen, dass sie etwa ab einem
Alter von zehn bis zwölf Jahren mit gutem Gewissen Nein sagen kann – und zwar auch,
wenn jemand dasteht und sagt: „Dann bist du aber nicht mehr meine Freundin“, oder: „Ich
lieb dich doch, deshalb musst du „Ja“ sagen.“ Für das Selbstgefühl Ihrer Tochter ist es
sehr wichtig, dass sie dieses Nein sagen einfach lernt......
Für ihren Sohn wäre es genau so wichtig zu lernen, dass Frauen auch Nein sagen können
und dass man das respektieren muss.“
.. aber darf man das? Ist nicht das „Folgen“ ein so großer Wert?
Viele Schüler verzweifeln, weil sie merken, dass sie nicht „folgen“ können.
Es kostet immer sehr viel Überzeugungskraft, diesen verzweifelten Kindern klar zu
machen, dass es eigentlich um Authentizität und gleichzeitig um die Fähigkeit geht, sich in
manchen Situationen anzupassen. Innere Sicherheit ist eine Grundvoraussetzung, dass
Kinder in diesem Spannungsfeld gut auf sich selber achten lernen.
Juul, S 79: „Die Angst vor gesunder Individualität und die Macht, diese als „Egozentrik“ zu
definieren, sind ein Markenzeichen aller autoritären Regime und der fundamentalistischen
Auslegungen von Religion....
Neben Gehorsam und Konformität produziert so etwas Schuld und Scham, die in
der klinischen Psychologie als die beiden selbst zerstörerischsten Gefühle
angesehen werden, an denen wir leiden können.
Beide sitzen tief in jedem Drogensüchtigen, jedem Alkoholiker, in jeder Essstörung, in
jedem jungen Menschen, der sich selbst verletzt, und in jeder misshandelten Frau. Diese
Tatsache bedeutet auch, dass Sie von keiner Autorität in Ihrem Leben erwarten können,
Sie von dieser Schuld zu befreien – es sei denn, Sie missachten die Befehlskette
und kommunizieren direkt mit Gott. Sie müssen es selbst tun…“
Genau an diesem Punkt sind wir wieder bei der 2000 Jahre alten Botschaft unseres
Glaubens.....
Können Sie sich an die Geschichte vom kleinen Zöllner Zachäus erinnern?
Zachäus = die lebensspendende Botschaft unseres Glaubens im Umgang mit Schuld und
Versagen….
Analysieren wir, was dieser Jesus mit Zachäus macht:
Er geht auf ihn zu, nimmt ihn wahr. Er lässt ihn spüren, dass es ihn gibt
Jesus zeigt ihm, wer er sein kann.. „ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein...“
….und, weil dieser Jesus ihm das Gute zutraut, schafft er es, die Verantwortung für sein
Leben, für sein Handeln zu übernehmen. Der „gescheiterte“ Zachäus wird durch sein
Scheitern ge“scheiter“… Er lernt sozial verantwortlich zu handeln. Ich finde es immer wieder faszinierend, dass diese biblischen Begegnungserfahrungen
ganz viel von dem offenbaren, was in den verschiedenen Forschungsrichtungen als neue
Erkenntnisse des 20. Jahrhunderts proklamiert werden. Begegnung und Beziehung, die
innere Sicherheit ermöglichen, sind die Schlüsselbegriffe!
Der erhobene Zeigefinger würde nichts bewirken, außer Schuldgefühle.....
Genau diese Haltung – ist die Grundbotschaft unseres Versöhnungstages mit den
Erstkommunionkindern. Es geht um das Einüben eines positiven Umgangs mit
Fehlern!
Juul, S.30: „Die besten Eltern, die ein Kind haben kann, sind diejenigen, die Verantwortung
für ihre Fehler übernehmen, wenn sie ihnen bewusst werden. Wer die Verantwortung für
sein Leben – und für seine Fehler – nicht übernimmt, wird zum Opfer, und sich als Opfer
zu fühlen ist weder für Kinder, noch für Erwachsene gut.“
Juul, S.127: „Authentizität und Verletzlichkeit sind der einzige Weg zu echter Nähe in auf
Liebe gründenden Beziehungen. Das ist das wirkliche Paradoxon im Hinblick auf das
Haben und Ausüben von Macht: führen und doch verletzlich sein.“
Die einzige schöpferische Anwendung von Macht ist die Ermächtigung anderer, und sie
befreit den, der ermächtigt nicht weniger als den, der sich ermächtigt weiß…
.. und genau das ist eigentlich die Botschaft Jesu, die in der Erzählung von Zachäus so
„begreifbar“ wird!
Bei all diesen Überlegungen, was unsere Kinder brauchen geht es im Grunde auch immer
um unsere eigene persönliche Entwicklung. Und hier gibt es eine gute Botschaft für alle
Eltern und Pädagogen:
Juul, S 76:.. „die persönliche Entwicklung auf einer existentiellen Ebene fällt den
allermeisten Menschen viel leichter innerhalb einer festen Beziehung mit Kindern und
einem anderen Erwachsenen.
Eine Gesellschaft zu verändern ist eine überwältigende intellektuelle und politische
Herausforderung, während sein eigenes Verhalten zu ändern eine große emotionale
Herausforderung ist. Und die gelingt leichter, wenn man sich mit vertrauten Menschen in
engen Beziehungen umgibt.“
Sind wir als Eltern und Pädagogen dieser großen Aufgabe eigentlich gewachsen?
Auch hier hat Jesper Juul eine ganz beruhigende und ermutigende Botschaft:
Juul,S.201: „Ob Sie auf dem Weg Fehler gemacht haben? Oh ja – eine Menge! Die
allerbesten Eltern, die ich kenne, machen jeden Tag etwa zwanzig Fehler, und wenn Ihr
persönlicher Durchschnitt nicht über dreißig liegt, bleiben Sie locker und vergeben Sie sich
selbst. Wenn Sie sich zu ihren Fehlern bekennen, die Sie bemerken, werden Sie nicht nur
vermeiden, sich die ganze Zeit schuldig zu fühlen – Sie werden auch ein gutes Vorbild
sein und Ihre Kinder werden Sie für immer lieben.“
III
INNERE SICHERHEIT AUFBAUEN – FEHLER MACHEN – NEU BEGINNEN SCHEITERN - „GE-SCHEITER“ WERDEN….
Wozu das Ganze? Wann bin ich endlich angekommen, gelandet?
Wo kann ich immer wieder ankommen?
Vaclav Havel formulierte es so „Hoffnung ist die Sicherheit, dass es Sinn macht, etwas zu
tun – ohne die Gewissheit, wie es ausgeht…!“
Die Zeit der Erstkommunionvorbereitung kann eine große Stärkung am Lebensweg sein!
Die Gemeinschaft – die Zeit mit erwachsenen Bezugspersonen und mit Gleichaltrigen –
rund um den Tisch…..
DSR, S.165: „ Das macht stark, dass wir mit anderen zusammenarbeiten.....
Die Stärksten sind die, die erkennen: Was uns stark macht ist, dass wir uns ausrichten an
der Richtung des Lebens. Und das Leben zielt auf Zusammenhalt, Zusammenarbeit,
Vernetzung.“
„Kommunion“ heißt Gemeinschaft – und das besondere an dieser Gemeinschaft der
Tischmuttergruppe, der Pfarrgemeinde, der Kirche ist, dass es um das Leben geht, um
das Vertrauen, letztlich bei Gott und in einer Gemeinschaft aufgehoben und geborgen zu
sein!
DSR, S 85: „Religion gibt uns Sicherheit, indem sie uns den Weg weist, immer wieder dem
Leben zu vertrauen. Zur Religion gehört auch so viel mehr als zu einer Doktrin....
..Es gehört die Gemeinschaft dazu. Die Gemeinschaft trägt dich und hilft dir, dieses
Lebensvertrauen zu verwirklichen. Das ist immer das Entscheidende: Lebensvertrauen.“
In der Vorbereitungszeit, beim Versöhnungsfest und bei der Feier der Erstkommunion geht
es immer wieder darum, dass die Kinder mitten im Leben ergriffen werden, vom großen
Geheimnis Gottes, von der Gewissheit, begleitet und gestärkt zu sein.
DSR,S.150: „Ergriffenheit, darum geht es immer wieder im Letzten....
Ergriffenheit vom großen Geheimnis ist das Erlebnis grenzenloser Zugehörigkeit.…“
In dieser Zugehörigkeit soll in unseren Kindern die Gewissheit wachsen und reifen:
Ich bin immer
„MIT JESUS IM HERZEN SICHER UNTERWEGS“
Die Lesung zur heurigen Erstkommunion aus dem Epheserbrief fasst das alles wunderbar
zusammen:
„Durch den Glauben wohne Christus in eurem Herzen.
In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, sollt ihr zusammen mit allen Heiligen dazu
fähig sein, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen
und die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt.
So werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt.“
(Eph 3, 14-19)
Zu diesem Glauben, zur Fülle Gottes in uns und in unserem Leben werden die
Erstkommunionkinder beim Taufversprechen ganz bewusst und deutlich JA sagen.
Bruder David spricht vom „JA freudiger Zugehörigkeit“.
Als Eltern und Familien, als Pfarrgemeinde wollen wir dieses „JA“ der Kinder unterstützen
und mittragen – dieses „JA“ zur Gegenwart Jesu in ihrem Leben kann zu einem großen
inneren Sicherheitsfaktor für jedes Kind werden.
Der Tag der Erstkommunion soll für jedes Kind ein Fest der Beziehungen werden, der
Beziehungen in der Familie, in der Tischmuttergruppe in der Pfarre und immer neu in der
je ureigenen Beziehung zu Jesus, in der Begegnung mit dem großen Geheimnis Gott.
DSR,S.192: „In unseren tiefsten und lebendigsten Beziehungen im Leben klingt immer das
große Geheimnis . Ich könnte meine eigene lebenslange Beziehung zum göttlichen
Geheimnis nicht treffender ausdrücken als durch den Satz: „Ich bin durch Dich so ich.“
Wir werden durch Begegnungen zu dem, was wir sind. Was uns zur Person macht, ist die
Fülle und Tiefe unserer Beziehungen, und wir wachsen ständig durch jede neue
Begegnung. Bei jeder menschlichen Begegnung schwingt auch unsere Beziehung zum
ewigen Du mit.“