Neue Aspekte in der Fahreignungsbegutachtung beim Drogenkonsum

Transcription

Neue Aspekte in der Fahreignungsbegutachtung beim Drogenkonsum
Neue Aspekte in der Fahreignungsbegutachtung
beim Drogenkonsum
Dr. med. ISA THIELE, Institut für Rechtsmedizin, Universität Zürich,
Zürich
Inhaltsübersicht
1.
Einleitung
106
2.
Beobachtete Veränderungen
2.1. Veränderung im Drogenkonsum
2.2. Profil der Klientel
106
106
108
3.
Drogenwirkung
3.1. Kokain
3.2. Cannabis
109
109
110
4.
Drogen im Strassenverkehr
4.1. Konsumverhalten
4.2. Wirkungen des Drogenkonsums
112
112
112
5.
Neue analytische Methoden zur Fahreignungsuntersuchung
5.1. Gutachterliche Fragestellungen
5.2. Haaranalytik
5.3. Cannabis-Nachweis im Blut
113
113
115
118
6.
Forschungsvorhaben
119
7.
Zusammenfassung
120
8.
Literatur
121
105
ISA THIELE
1.
Einleitung
Bei der Begutachtung von Fahreignungen werden mehrheitlich Fragen im Zusammenhang mit dem Konsum von psychotrop wirkenden Substanzen gestellt. Dabei wird der Gutachter sehr häufig mit
Fragestellungen im Bereich eines Drogenkonsums konfrontiert. Es
lässt sich erkennen, dass in den letzten Jahren eine deutliche Veränderung bei den konsumierten Substanzen aufgetreten ist. Stand in
früheren Jahren der Opiatkonsum (Heroin) im Vordergrund, werden
in der letzten Zeit deutlich mehr Untersuchungen im Rahmen eines
Kokain-und/oder Cannabiskonsums durchgeführt. Bedingt durch eine
geänderte Klientel von Konsumenten entsteht die Notwendigkeit, bei
forensischen Begutachtungen neue Untersuchungsaspekte zu erschliessen. Die folgende Abhandlung soll einen Einblick in die derzeit aktuelle veränderte Begutachtungs-Situation geben, ohne den
Anspruch auf einen umfassenden Überblick aller Veränderungen in
der Drogendiagnostik zu erheben.
2.
Beobachtete Veränderungen
2.1. Veränderung im Drogenkonsum
Die im Rahmen von Fahreignungsbegutachtungen beobachteten
Konsumveränderungen deckten sich mit den derzeit bekannten bzw.
vermuteten Zahlen über den Konsum dieser Drogen. Leider muss
festgestellt werden, dass für die Schweiz keine zuverlässigen Daten
über das Konsumverhalten vorliegen. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die erhobenen Daten, welche sich vorwiegend auf
Konsumentenbefragungen stützen, die Anzahl der Betroffenen weit
unterschätzen (M. Spinatsch, 2004). Als gesichert gilt jedoch ein
deutlicher Anstieg von jugendlichen Konsumenten. Eine Studie
(Smash, 2002) konnte belegen, dass für beide Geschlechter unter
den Jugendlichen ein vermehrter Kokainkonsum zu verzeichnen ist,
während der Anteil derjenigen mit einem Heroinkonsum eher rück106
Neue Aspekte in der Fahreignungsbegutachtung beim Drogenkonsum
läufig zu sein scheint. Dies resultiert mit grosser Wahrscheinlichkeit
daraus, dass die sedierende Wirkung des Heroins dem gegenwärtigen Zeitgeist, der vom Wunsch nach Steigerung der Leistungsfähigkeit geprägt ist, widerspricht (Bundeskriminalamt, 2002).
Die Droge Cannabis ist in der Schweiz am meisten verbreitet. Es ist
bekannt, dass etwa 20 % der Personen im Alter zwischen 15 und 64
Jahren Erfahrung mit dem Konsum von Cannabis gemacht haben.
Unter ihnen befindet sich ausserdem ein recht hoher Anteil von
Personen im Alter von 45 bis 64 Jahren (Müller et al., 2004). Vergleicht man den heutigen Konsum von Cannabis mit dem aus dem
Jahr 1986, so zeigt sich ein Anstieg unter den 15- und 16-Jährigen
von mehr als dem 4-fachen. Gleichzeitig kann von einem wöchentlichen bis mehrfach wöchentlichen Cannabiskonsum von über
6 % der unter 25-Jährigen ausgegangen werden (sfa/ispa, 2004).
Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass in den letzten Jahren die
konsumierten Konzentrationen der suchterzeugenden Substanzen
deutlich angestiegen sind. Dies gilt insbesondere für die Cannabisprodukte. In steigendem Masse werden in der Schweizer Szene
einheimische Züchtungen als "Indoor"-Anbau angeboten. Hierbei
werden unter speziellen Anbaubedingungen höhere THC-Konzentrationen erzielt. Beim THC (Tetrahydrocannabinol) handelt es sich
um den aktiven Hauptwirkstoff des Cannabis. Anhand von
chemisch-toxikologischen Untersuchungen beschlagnahmter Cannabisproben in der Schweiz aus dem Jahr 2002 wurde dieser deutliche
Anstieg bestätigt. So wiesen Marihuanaproben aus dem Ausland
THC-Konzentrationen zwischen 4 % und 22 % (Mittelwert 13,7 %)
auf, während in einheimischen Produkten aus dem "Indoor"-Anbau
THC-Gehalte zwischen 15 % und 27 % (Mittelwert 21,3 %) gemessen wurden. Im Vergleich dazu weisen der bekannte "schwarze
Afghane" THC-Konzentrationen von lediglich 7 % und Proben aus
den USA vom Juni 2002 im Mittelwert nur 6,2 % THC Wirkstoffkonzentration auf (Bernhard, 2003).
107
ISA THIELE
Kokain wird in verschiedenen Weisen konsumiert. Einerseits wird es
intravenös appliziert, wobei es dabei häufig zusätzlich zum Heroin
in Form von so genannten "Cocktails" Verwendung findet. Ferner
zeigt aber gerade die Bezeichnung "Partydroge", dass Kokain oft nur
gelegentlich eingenommen wird. Bei einem solchen Gelegenheitskonsum wird diese Droge nicht selten mit anderen psychotrop wirkenden Substanzen kombiniert, so zum Beispiel mit Alkohol oder
Cannabis. Zusätzlich kann erwähnt werden, dass die Preise für Kokain in den letzten Jahren deutlich gesunken sind. Kokain wird somit
zunehmend für breitere Kreise zugänglich, vor allem auch für Jugendliche.
Im Rahmen von Fahreignungsbeurteilungen wird es daher notwendig, sich mit dem veränderten Konsumverhalten von Drogenkonsumenten auseinanderzusetzen. Dabei werden vor allem das Cannabis
wie auch das Kokain zunehmend Bestandteil der zu beantwortenden
Fragestellungen.
2.2. Profil der Klientel
Mit dem veränderten Konsum hat sich in den letzten Jahren auch das
Persönlichkeitsprofil des "typischen" Drogenkonsumenten verändert.
Handelte es sich früher bei dem Heroinkonsumenten um Personen,
die in der Regel bereits aus dem sozialen Gefüge ausgeschieden und
nur noch selten arbeitsfähig waren, fällt der Kokainkonsument in der
Regel nicht besonders auf. Dies wird offensichtlich, betrachtet man
die Schlagzeilen der vergangenen Jahre, nach denen namhafte Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, seien es Politiker, Sportler oder Personen aus dem Showbusiness, als Kokainkonsumenten
auffällig wurden. Dabei wird der Konsum dieser Personen vom
persönlichen Umfeld kaum wahrgenommen. In den letzten Jahren
sanken die Preise für den "weissen Schnee" von etwa 400 Franken
pro Gramm im Jahr 1985 auf etwa 95 Franken im Jahr 2004, so dass
die Droge zunehmend für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich
108
Neue Aspekte in der Fahreignungsbegutachtung beim Drogenkonsum
wurde. Während nicht zuletzt aufgrund der hohen Anschaffungskosten Kokain lange Zeit eine Droge für die höheren sozialen
Schichten war, werden nun, entsprechend einer Umfrage der Wochenzeitschrift FACTS (Brüderlin & Hediger, 2004) von den Drogendealern zunehmend neue Kundenkreise bedient wie Jugendliche,
Hausfrauen und Handwerker.
3.
Drogenwirkung
3.1. Kokain
Kokain kommt in unterschiedlichen Formen auf den Markt. Am
häufigsten wird es in der Szene als "Gassenkokain" in Form von
Kokain-Hydrochlorid als weisslich bis gelbliches Pulver gehandelt.
Daneben liegt es aber auch in Form der freien Base ("free base")
und in Europa seltener als "Crack" vor.
Kokain kann dem Körper unterschiedlich zugeführt werden. Dabei
wird am häufigsten die transnasale Applikationsform (das "Sniffen")
durchgeführt. Daneben wird Kokain auch intravenös zugeführt, die
freie Base hingegen wird üblicherweise durch Rauchen inhaliert.
Die körperlichen Folgen einer akuten Einnahme sind meist gekennzeichnet durch eine Blutdruckerhöhung, Temperaturanstieg oder
auch Steigerung der Atemfrequenz. Die Einnahme kann zu Herzrhythmusstörungen und zu einer Erweiterung der Pupillen führen. In
psychischer Hinsicht fallen eine euphorische Grundhaltung mit Zunahme der Energie, eine Leistungs- und Antriebssteigerung, ein
erhöhtes Selbstvertrauen, ein Abbau von Hemmungen, eine Distanzlosigkeit sowie eine verminderte Kritikfähigkeit bis hin zu Halluzinationen auf. Das euphorische Anfangsstadium mündet häufig in eine
zunehmende Angst und generelles Misstrauen. In einem möglicherweise später auftretenden depressiven Stadium werden Müdigkeit
und Antriebslosigkeit sowie Reizbarkeit und ein erneutes Verlangen
109
ISA THIELE
nach fortgesetztem Konsum bestimmend (Iten, 1994). Aus diesen
Kriterien ergeben sich die Risiken bzgl. der Fahrfähigkeit unter Kokaineinfluss. Neben der Blendempfindlichkeit aufgrund der Pupillenveränderung kommt es zu einer Überschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit, verbunden mit einer Fahrigkeit sowie mangelnder
zielgerichteter Aufmerksamkeit. Bei abklingender Wirkung stehen
die Müdigkeit und Antriebsschwäche im Vordergrund.
Als Nebenwirkung des "Sniffens" kommt es zur Reizung der
Schleimhäute, wobei die gefässverengende Wirkung dieser Droge zu
einer verminderten Durchblutung mit anschliessender Entzündung
bis hin zu Nasenseptumdefekten führt. Aufgrund der lokalanästhetischen Wirkung des Kokains werden die Schmerzen zunächst vom
Konsumenten nicht bemerkt. Neben der weniger gefährlichen Applikationsform des "Sniffens" wird die Wirkung bei intravenöser
Aufnahme sowie beim Rauchen der freien Base deutlich schneller
erzielt. Neben dem sparsameren Gebrauch wird mit diesen Applikationsformen ausserdem aufgrund des raschen Wirkungseintritts
ein "Kick", ein durch die schnelle Anflutung erreichter Zustand mit
intensiverem Empfinden, erzielt. Als langfristige Spätschäden bei
einem Kokainkonsum sind in diesem Zusammenhang mögliche
neuropsychologische Schädigungen zu beachten.
Im Körper wird Kokain schnell abgebaut zu dem inaktiven Benzoylecgonin sowie zu Methylecgonin. Vor allem die Abbauprodukte
werden dann im Urin ausgeschieden, können dort gemessen werden
und dienen somit als Nachweis eines durchgeführten Konsums.
3.2. Cannabis
Unter Cannabis werden die psychoaktiven Bestandteile der Hanfpflanze zusammengefasst. Es zählt weltweit zu den am häufigsten
konsumierten illegalen Drogen. Cannabisprodukte liegen in verschiedenen Formen, zum Beispiel als Haschisch, Marihuana, Ölen
110
Neue Aspekte in der Fahreignungsbegutachtung beim Drogenkonsum
oder Tees vor. In neuerer Zeit müssen ausserdem so genannte
"Indoor"-Produkte unterschieden werden. Diese zeichnen sich durch
einen, wie bereits erwähnt, deutlich höheren THC-Anteil aus, als
dies bisher der Fall gewesen ist. Somit können durch den Konsum
von "Indoor"-Produkten nach nur geringerem Konsum bereits höhere
THC-Konzentrationen bzw. THC-Abbauprodukte-Konzentrationen im
Blut festgestellt werden, als dies bisher üblich war.
An körperlichen Symptomen nach einem Cannabiskonsum werden
Blutdruck-Veränderungen sowie Herzfrequenzsteigerungen und auch
verlangsamte Pupillenreaktionen festgestellt. Psychisch stehen Veränderung in der Wahrnehmung, subjektiv empfundene Zufriedenheit, ein Gefühl der Entspannung sowie angenehme Apathie, aber
auch Unruhe und Realitätsverkennung im Vordergrund. Dabei kann
je nach persönlicher Verfassung ein Cannabisrausch jeweils unterschiedlich verlaufen. Aus verkehrsmedizinischer Sicht bedeutend für
die Fahrfähigkeit unter Cannabis sind die beeinträchtigte Wahrnehmung, Beeinträchtigung in der Koordination sowie eine verringerte
Reaktionsfähigkeit in Stresssituationen (Iten, 1994).
Cannabis wird üblicherweise durch Inhalation, aber auch oral aufgenommen. Ebenso können durch Passivrauchen geringe Konzentrationen von THC aufgenommen werden, welche aber entsprechend der jetzigen Erkenntnisse nicht zu forensisch relevanten Konzentrationen führen (Iten, 1994).
Nach einem Cannabiskonsum wird das THC recht rasch im Körper
zum ebenfalls noch aktiven Stoffwechselprodukt Hydroxy-THC (OHTHC) abgebaut. Dies wird zu der inaktiven THC Carbonsäure (THCCOOH) umgewandelt, die noch nach Wochen im Blut nachweisbar
bleibt. Aufgrund dieser Tatsache kann noch Tage bis Wochen nach
einem durchgeführten Konsum der Nachweis von THC-COOH in
Blut und Urin erbracht werden.
111
ISA THIELE
4.
Drogen im Strassenverkehr
4.1. Konsumverhalten
Auch wenn bisher keine genauen Statistiken über Fahren unter Drogeneinfluss speziell für die Schweiz vorliegen, so ist doch durch
weltweite Studien bekannt, dass ein Anstieg von Fahren sowie Verkehrsunfällen unter Drogeneinfluss zu verzeichnen ist. Es kann von
einer erheblichen Dunkelziffer ausgegangen werden, nicht zuletzt
angesichts der Tatsache, dass der Cannabiskonsum deutlich angestiegen ist. Entsprechend einer schweizerischen Gesundheitsumfrage
aus dem Jahr 2002 haben rund 90 000 Schweizerinnen und Schweizer einen Cannabiskonsum mindestens einmal pro Woche angegeben. Somit muss man der Gefahr im motorisierten Strassenverkehr
besonders gewahr sein, insbesondere aufgrund der Annahme, dass
Drogenkonsumenten nicht eher in der Lage sein dürften als Alkoholkonsumenten, den Konsum der Substanzen und das Fahren konsequent zu trennen (Sfa/ispa, 2004). Gemäss institutseigener Erfahrungen, bei denen Blutuntersuchungen bei alkoholisierten Verkehrsteilnehmern auf Drogen untersucht wurden, wurde bei einem hohen
Anteil ein zusätzlicher Drogennachweis erbracht (Iten, 2004). Gemäss einer statistischen Erhebung in Deutschland stiegen die drogenbedingten Strassenverkehrsunfälle zwischen 1995 und 2002 auf etwa
das Doppelte (B.A.D.S., 2004).
4.2. Wirkungen des Drogenkonsums
Verkehrsmedizinisch relevante Wirkungen des Kokains begründen
sich in erster Linie mit der Enthemmung und der subjektiv empfundenen Leistungssteigerung bei herabgesetzter Selbstkritik. Dies kann
zu erhöhter Risikobereitschaft und einer erhöhten Aggressionsneigung führen. Ferner wirkt sich ebenso die erhöhte Blendempfindlichkeit aufgrund der Erweiterung der Pupillen negativ auf die Fahrfähigkeit aus. Aber auch nach Abklingen des Kokainrausches fallen
112
Neue Aspekte in der Fahreignungsbegutachtung beim Drogenkonsum
Erschöpfung und nicht selten auch Angstzustände ins Gewicht. Ein
erhöhtes Müdigkeitsgefühl mehrere Stunden nach einem Kokainkonsum wurde ebenso beschrieben (Müller, 2004). Insbesondere
konnten in zahlreichen Untersuchungen an Kokainabhängigen nach
einer Abstinenzdauer von mehreren Monaten immer noch neuropsychologische Defizite nachgewiesen werden, welche in erster Linie
Einschränkungen in der Aufmerksamkeitsleistung, der Konzentrationsfähigkeit, der Reaktionsfähigkeit sowie im visuellen Kurzzeitgedächtnis bewirken (Müller, C.P., 2004). In diesem Zusammenhang
sollte nochmals erwähnt werden, dass auch von Personen, die nur
einen Gelegenheitskonsum durchführen, gerade beim Kokainkonsum noch andere psychoaktiv wirksame Substanzen zusätzlich konsumiert werden, welche Einfluss auf die neuropsychologische Leistungsfähigkeiten haben können.
Beim Konsum von Cannabis kommt es zu Antriebsminderung und
Gleichgültigkeitsgefühlen, ebenso zu erhöhter Ablenkbarkeit, Störungen in der Konzentration und Aufmerksamkeit. Experimentelle Untersuchungen zeigten ferner Einschränkungen in der Koordination
und im "Tracking" (Spurhalten). Bei atypischen Rauschzuständen
können auch Angstgefühle oder Verwirrtheitszustände auftreten.
Ebenso wirken sich die körperlichen Einschränkungen wie Pupillenerweiterung, Störungen der Koordination sowie der zeitlichen und
räumlichen Wahrnehmung negativ im Strassenverkehr aus.
5.
Neue analytische Methoden zur Fahreignungsuntersuchung
5.1. Gutachterliche Fragestellungen
Insbesondere bei bereits aktenkundigen Vorgeschichten ist im Zusammenhang mit Begutachtungen der Fahreignung die Frage entscheidend, inwieweit die Gefahr besteht, dass sich die zu untersuchende Person erneut in nicht fahrfähigem Zustand ans Lenkrad
setzen wird. Durch den Gutachter müssen u.a. Informationen über
113
ISA THIELE
den stattgefundenen Drogenkonsum sowie über eine allenfalls bereits begonnene und stabile Abstinenz zusammengetragen werden.
Dabei wird zunächst eine ausführliche Anamneseerhebung notwendig, welche insbesondere über die genauen Konsumgewohnheiten
informiert. Im Gegensatz zu sonstigen ärztlichen Untersuchungen
sieht sich der Gutachter aber besonderen Schwierigkeiten gegenüber. Anders als dies bei einem therapeutischen, ärztlichen Gespräch
der Fall ist, verfolgt der Explorand ein klares Ziel, namentlich die
möglichst frühe Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, welches den
Wahrheitsgehalt über die Konsumgewohnheiten beeinflussen kann.
Somit ist der Gutachter gezwungen, neben der anamnestischen Erhebung weitere Instrumentarien anzuwenden, die eine nachprüfbare
Aussage über die Konsumgewohnheiten der zu untersuchenden
Personen ermöglichen.
Bei Begutachtungsuntersuchungen wurden bisher Kontrollen von
Urinproben durchgeführt und auf die suchterzeugenden Substanzen
Opiate, Kokain, THC, Benzodiazepine, Methadon und Amphetamine
getestet. Eine Urinprobe ergibt dann ein positives Ergebnis auf eine
Substanz, wenn innerhalb der letzten etwa 3–4 Tage vor der Uringewinnung die erwähnten Substanzen konsumiert wurden. Damit lässt
sich im Rahmen einer Urinuntersuchung nur ein sehr kleines Zeitfenster in Bezug auf den Drogenkonsum überblicken. Eine Ausnahme bildet der Nachweis des THC. In einem Urintest lässt sich das
ausgeschiedene Abbauprodukt THC-COOH je nach den Konsumgewohnheiten und der Empfindlichkeit der Testverfahren noch nach
einem Zeitraum von etwa bis zu 4 Wochen nach dem Konsum nachweisen. Dies bedeutet, dass bei einem Exploranden, auch wenn er
eine Abstinenzphase von bis zu einem Monat eingehalten hat, ein
positiver Cannabisnachweis im Urin vorliegen kann. Damit lassen
sich chronische Konsumenten nicht sicher von Gelegenheitskonsumenten unterscheiden. Eine Urinprobenkontrolle erlaubt somit
grundsätzlich keine konkrete Beurteilung der Konsumgewohnheiten,
insbesondere kann keine konkrete Abschätzung eines allfälligen
süchtigen Konsums erfolgen.
114
Neue Aspekte in der Fahreignungsbegutachtung beim Drogenkonsum
Es wurde daher notwendig, im Rahmen von forensischen Betrachtungen Untersuchungsmethoden einzuführen, welche genauere
Auskünfte über das Konsumverhalten der zu untersuchenden Personen erlauben. Insbesondere bedarf es einer Analytik, die zum Nachweis des Konsums illegaler Drogen ein längerfristiges Zeitfenster
überblicken kann. Seit einiger Zeit stehen nun entsprechende analytische Verfahren zur Verfügung, welche zur Verbesserung der gesamten Begutachtungspraxis im Rahmen der Fahreignungsbeurteilungen beitragen.
5.2. Haaranalytik
Es ist allgemein bekannt, dass sich gewisse Fremdstoffe, welche
durch den Körper aufgenommen werden, in den Haaren anreichern.
In den letzten Jahren hat man daher auch die chemisch-toxikologischen Haarprobenuntersuchungen verbessert, mit deren Hilfe ein
gesicherter, beweiskräftiger Nachweis eines Drogenkonsums möglich wird.
Das Haarwachstum verläuft in 3 Phasen, wobei die erste Phase, die
so genannte Wachstumsphase (Anagenstadium), über mehrere Jahre
anhält. In dieser Phase befinden sich bis zu 90 % der Kopfhaare. Nur
ein geringer Prozentsatz der Haare befindet sich in der zweiten
Phase (Katagenstadium), in der das Wachstum eingestellt wird. In der
dritten Phase (Telogenphase) bleibt das Haar auf dem Kopf und fällt
schliesslich aus. In dieser Phase befinden sich etwa 9 % der menschlichen Haare.
Die Haarwurzel liegt direkt unter der Kopfhaut, und aus ihr wächst
das Haar mit einer Geschwindigkeit von etwa 1 cm pro Monat.
Fremdsubstanzen wie Drogen können bereits in einem sehr frühen
Stadium nach Aufnahme in den Körper aus den Blutkapillaren in das
Haar aufgenommen werden. Des Weiteren werden Substanzen auch
über den Schweiss von aussen in das Haar eingelagert. Aber auch
115
ISA THIELE
von aussen applizierter Drogenstaub, zum Beispiel bei kontaminierten Händen, kann zu einer erhöhten Konzentration im Sinne einer
Fehlerquelle führen. Durch spezielle Waschverfahren kann dieser
Einfluss jedoch vor der Analyse minimiert werden. Ferner werden
auch durch aggressive Haarbehandlungen wie Bleichen oder Dauerwellenbehandlungen die Konzentrationen der aufgenommenen
Fremdsubstanzen beeinflusst. Diese Tatsachen müssen jeweils bei
der Interpretation der Labordaten berücksichtigt werden.
Zur Analyse werden Haarbüschel von etwa Bleistiftdicke benötigt.
Durch eine Segmentierung dieser Haarbüschel in kleinere Fragmente
können Aussagen über den zeitlichen Verlauf der Aufnahme von
Fremdsubstanzen getroffen werden. Des Weiteren lassen sich zu
Haaranalysen auch so genannte Sekundärhaare, wie Achsel-, Brust-,
Bein-, Bart- oder Schamhaare verwenden. Da aber bei diesen Haaren die genauen Wachstumsabschnitte und die Wachstumsgeschwindigkeiten noch unklar sind, kann bei Verwendung dieser Sekundärhaare eine Segmentierung und damit eine genaue zeitliche Zuordnung der aufgenommenen Drogen nicht durchgeführt werden
(Musshoff & Madea, 2004).
Bei Routineuntersuchungen im Rahmen von Fahreignungsuntersuchungen werden in Zürich in der letzten Zeit Haaruntersuchungen
zum Nachweis von Kokain durchgeführt. Dabei lässt sich sowohl
Kokain als auch das inaktive Stoffwechselprodukt Benzoylecgonin
messen. Falls das Kokain zusammen mit Alkohol aufgenommen
wurde, kann als weitere Substanz Aethylcocain bestimmt werden.
Letzteres ist dann ein direkter Nachweis für eine aktive Aufnahme
dieser Droge im Körper.
Weiterhin lassen sich anhand der Haaranalytik Abstinenzphasen
erkennen. Hierbei werden die vorhandenen Haarbüschel in Segmente unterteilt, welche jeweils unterschiedlichen Zeitperioden zugeordnet werden können. Nachdem aber die Einlagerung von Substanzen
auch nach Sistieren des Konsums nicht sofort beendet ist, lassen sich
116
Neue Aspekte in der Fahreignungsbegutachtung beim Drogenkonsum
in der Regel im nachfolgenden Segment gewisse Konzentrationen
der Substanzen nachweisen. Es ist also zur Interpretation der Ergebnisse der Konzentrationsgradient entscheidend. Insgesamt wird demzufolge eine genaue Fragestellung benötigt, um eine sinnvolle Segmentierung durchführen zu können.
Durch Haarproben ist ausserdem der Nachweis von Heroin und
Methadon, wie auch von Amphetaminen, Methamphetaminen und
weiteren Designerdrogen möglich. Eine spezielle Problematik stellt
die Diagnostik der heute nicht selten konsumierten GammaHydroxy-Buttersäure (GHB) dar. Der Nachweis von GHB lässt sich
auch im Rahmen von Haaranalysen erbringen. Eine besondere
Schwierigkeit liegt in der Interpretation der entsprechenden Laborwerte, da es sich bei der vorliegenden Substanz GHB auch um eine
physiologische Substanz handelt, die im Körper auch ohne GHBKonsum in geringen Konzentrationen vorliegt.
Anhand der nachgewiesenen Konzentrationen der verschiedenen
Drogen und deren Abbauprodukte können näherungsweise Aussagen über das Ausmass eines Konsums getroffen werden. Ein vereinzelter Kokainkonsum lässt sich im Rahmen der Haaranalytik jedoch üblicherweise nicht feststellen. Somit muss bei einem positiven
Befund ein eher regelmässiges Konsumverhalten angenommen
werden. Obwohl bisher erst annäherungsweise Relationen zwischen
gemessenen Konzentrationen der Substanzen und dem Ausmass des
Konsums vorliegen, bieten die Haaruntersuchungen zum Nachweis
eines Konsums suchterzeugender Substanzen heute bei Fahreignungsbeurteilungen einen unabdingbaren Bestandteil der gutachterlichen Tätigkeit. Da es sich bei den Haarprobenanalysen aber um ein
spezialisiertes Verfahren handelt, welche neben speziellen Erfahrungen auch einer speziellen apparativen Technik bedürfen, obliegen
diese Untersuchungen bis heute ausschliesslich speziellen, dafür
zugelassenen forensischen Labors.
117
ISA THIELE
5.3. Cannabis-Nachweis im Blut
Zur Beurteilung der Konsumgewohnheiten bei Cannabiskonsumenten im Rahmen von Fahreignungsuntersuchungen lag bisher lediglich
die Möglichkeit einer Kontrolle durch eine Urinprobe vor. Wie bereits erwähnt, kann sie nach einem Konsum von Cannabis noch bis
zu mehreren Wochen positiv getestet werden. Zum Beispiel bleibt
im Falle eines Cannabiskonsums einmal im Monat jede monatlich
durchgeführte Urinprobe positiv. Es kann also beim Nachweis einer
positiven Probe keine Aussage darüber getroffen werden, ob es sich
im vorliegenden Fall um einen Gelegenheits- oder um einen chronischen, exzessiven Cannabiskonsum handelt. Gerade diese Frage
muss jedoch in der Beurteilung üblicherweise beantwortet werden,
da sich daraus entscheidende Unterschiede in der Gesamtbeurteilung
bezüglich der Fahreignung ergeben.
Aufgrund dieser Tatsache werden zunehmend routinemässig THCbezogene Analysen im Blut durchgeführt. Nach einer Aufnahme
von THC entsteht nach kurzer Zeit das ebenso aktive Abbauprodukt
Hydroxy-Tetrahydrocannabinol (OH-THC), welches dann wiederum
in das inaktive Stoffwechselprodukt Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure (THC-COOH) abgebaut wird. Diese drei Substanzen lassen sich
im Blut bestimmen, wobei das THC-COOH noch längerfristig im
Blut nachgewiesen werden kann, so dass anhand der Konstellation
dieser verschiedenen Substanzen eine Aussage über die Konsumgewohnheiten getroffen werden kann. Derzeit wird bei einer Konzentration des THC-COOH von über 75 ng/ml von einem regelmässigen, chronischen Konsum ausgegangen (Daltrup, 2000). In diesem
Zusammenhang muss jedoch auf den zunehmenden Konsum von
Cannabisprodukten mit höherem Wirkstoffgehalt (z.B. bei "indoor"Produkten) hingewiesen werden, durch welchen auch bei geringeren
Konsumfrequenzen höhere Konzentrationen im Körper nachweisbar
werden.
118
Neue Aspekte in der Fahreignungsbegutachtung beim Drogenkonsum
Gleichzeitig kann aufgrund der kurzen Halbwertszeit von THC festgestellt werden, ob ein Explorand im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vor der Untersuchung noch Cannabis konsumiert hat.
In der gesamthaften Interpretation würde ein solcher Befund auf
einen Kontrollverlust der Person schliessen, welche trotz des Wissens
um die Untersuchung zuvor Cannabis konsumiert hat. In der Praxis
empfiehlt sich bei einem FUD-Ereignis und einer gemessenen Tetrahydrocannabinol-Konzentration von über 75 ng/ml eine verkehrsmedizinische Begutachtung. Bei bestehender THC-COOH Konzentration in dieser Höhe anlässlich der Begutachtung ist die Fahreignung, aufgrund der vorigen Ausführung, nicht als gegeben anzusehen.
6.
Forschungsvorhaben
In der klinischen Routine lassen sich mit Hilfe der Haaranalytik
wertvolle Informationen insbesondere beim Kokainkonsum erbringen. Klar kann mit dieser Untersuchungsmethode der Nachweis
eines durchgeführten Kokainkonsums erbracht werden. Ebenso können anhand der gemessenen Konzentrationen annäherungsweise
Angaben über die Konsummenge der zu untersuchenden Personen
getroffen werden, sowie auch auffällige Änderungen im Konsumverhalten zum Beispiel beim Einhalten einer Abstinenz erkannt
werden. Im gleichen Sinn werden weitere Untersuchungen durchgeführt, welche sich mit den Beurteilungskriterien im Rahmen von
THC-Stoffwechselprodukten im Blut befassen.
Weiterhin richtet sich die Forschung betreffend der Haaranalytik auf
den Nachweis weiterer suchterzeugender Substanzen, wobei insbesondere der Nachweis der Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB)
ein wertvoller Faktor im Rahmen von Fahreignungsbegutachtungen
darstellen würde.
119
ISA THIELE
Vielversprechend sind bereits Untersuchungen bezüglich des Nachweises von Alkohol mittels des Stoffwechselprodukts Ethylglucuronid
im Haar. Insbesondere zur objektiven Abstinenzüberprüfung wäre
eine solche Analytik für forensische Beurteilungen eine wichtige
Ergänzung.
7.
Zusammenfassung
Aufgrund eines veränderten Konsumverhaltens der Drogenkonsumenten sowie einer veränderten Konsumentenklientel, wurde es im
Rahmen von Fahreignungsbegutachtungen notwendig, Analysenmethoden einzusetzen, welche objektivierbare und beweiskräftige
Aussagen bezüglich der Konsumgewohnheiten geben können. Somit
werden nun routinemässig bei diesen forensischen Fragestellungen
Haarprobenanalysen zum Nachweis beispielsweise eines Kokainkonsums bzw. einer allenfalls bestehenden Abstinenz durchgeführt.
Im Bereich des Cannabiskonsums stehen nun chemische Methoden
zur Verfügung, die aufgrund der nachweisbaren Konzentrationen der
aktiven Substanzen sowie inaktiven Abbauprodukten des Cannabis
im Blut Aussagen über das Konsumverhalten der Cannabiskonsumenten geben können.
120
Neue Aspekte in der Fahreignungsbegutachtung beim Drogenkonsum
8.
Literatur
B.A.D.S. (2004), Alkohol und Drogen im Strassenverkehr.
Bernhard, W. (2003), Schweizer Marihuana ist heute 7–18mal stärker
als 1995 und oft viel potenter als ausländisches Haschisch,
Artikel 5: Zeit-Fragen Nr. 36, 29.9.2003.
Brüderlin, R., Hediger, S. (2004), Schnee bis in die Niederungen,
FACTS, April 2004.
Bundesamt für Gesundheit (2004), Nationale Designerdrogen- und
Kokainkonferenz. Medienmitteilung, 3. Juni 2004.
Bundeskriminalamt (2002), Rauschgiftjahresbericht. Wiesbaden.
Daltrup, Th. (2000), Entscheidung zwischen einmaligem/gelegentlichem und regelmässigem Cannabiskonsum, Blutalkohol,
Vol. 37.
Iten (2004), Alkohol und Drogen. Unveröffentlichter Bericht.
Iten, P. (1994), Fahren unter Drogen- oder Medikamenteneinfluss,
Institut für Rechtsmedizin Zürich.
Müller et al. (2004), Cannabis: Stand der Dinge in der Schweiz.
Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme, Lausanne.
Müller, C.P. (2004), Die neuropsychologischen Effekte von Kokain,
Zeitschrift für Neuropsychologie, 15 (1), 41–59.
Musshoff, F., Madea, B. (2004), Haaranalytik: Zunehmende Bedeutung in der Medizin und Recht, Deutsches Ärzteblatt 101, Ausgabe 25.
121
ISA THIELE
Sfa/ispa, Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (2004), Alkohol, illegale Drogen und Medikamente
im Strassenverkehr.
Sfa/ispa (2004), Zahlen und Fakten.
Smash (2002), Swiss Multicenter Adolescent Study on Health, Gesundheit und Lebensstil 16-bis 20-Jähriger in der Schweiz.
Spinatsch, M. (2004), Eine neue Suchtpolitik für die Schweiz? Bern.
122