Komm mir nicht mit deiner Moral!
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Komm mir nicht mit deiner Moral!
Freie Presse Online 2. Nov ember 2009 Komm mir nicht mit deiner Moral! Der Dresdner B eitrag zum Festival des Goethe-Instituts zum Mauerfall beschreibt die Festung Europa Dresden. Der Mauerfall hat nicht nur Deutschland, sondern g anz Europa beeinflusst. Auch die Theater. Also ist es nur folg erichtig , wenn jetzt, 20 Jahre danach, das Goethe-Institu t "After the Fall - Europa nach 1989" als europaweites Theaterfestival initiiert; derzeit sind acht der 17 entstandenen Stücke im Dresdner Staatsschauspiel zu sehen. Am Sonnabend hatte der Dresdner B eitrag zum Festival Premiere. "Für alle reicht es nicht" ist der g eniale Titel des Stückes von Dirk Laucke, das Sandra Strunz im Kleinen Haus spannend und mit vielen Späßen inszeniert - bei denen einem das Lachen aber oft im Hals stecken bleibt. Die Ausg angslag e: Jo und Anna, er aus dem Westen, sie aus dem Osten, verdienen ihr Geld mit Zig arettenschmugg el. Ob dieser kl eine Gr enzverkehr Polen oder Tschechien ist, spielt keine Rolle. Demnächst sollen auch noch CDs mit rechter Musik dazu kommen. Ob die jetzt von einem Rumänen oder B ulgaren kommen, spielt keine Rolle. Was aber eine Rolle spielt, immer wieder, sind Chancen, von denen beide g laubten, sie nie g ehabt zu haben. Im Wald finden sie plötzlich einen Lkw, voll mit Zigaretten - und voll mit Flüchtling en aus Asien. Was tun? Kann jemand, der mit Zig aretten schmuggelt, auch mit Menschen handeln, sollen die überhaupt hier rein? Nehmen die einem nicht auch noch die letzte Chance, das letzte bisschen Arbeit weg? Ist ein Menschenleben etwas wer t? Wer darf endlich mal zurückschlag en und wie hart? Diese Frag en klären die beiden Fig uren nicht allein, sondern auch mit Heiner, einem Ex-NVA-Offizier, auf dessen leerem Feld künftig eine Panzerfahrbahn entstehen soll. Den Panzer hat er schon. Nun stellen sie hier auch noch den Lkw ab. Als dann Heiners Tochter auftaucht, die er nicht mehr g esehen hat, seit sie mit ihrer Mutter in den Westen g eflohen ist, ist das Chaos komplett und eine einfache, eine menschliche Lösung nicht in Sicht. Das kippt nicht in moralinsauer schmeckenden Gutmenschen-Diskurs, sondern balanciert als Drama sehr g enau auf dem schmalen Grat, an dem diese Trag ödie in verklapsende Komödie abrutschen könnte. Scharfe Dialog e, eine g enau beobachtende Reg ie und g roßartig e Schauspieler schaffen dieses Kunststück. Was Thomas Eisen und Cathleen B aumann als Jo und Anna einerseits, Torsten Ranft und Melanie Lüninghöner als Heiner und Frau/Tochter/Enkelin andererseits auf der g efährlich schrägen Rampe der Bühne leisten, verschläg t einem immer wieder den Atem. Autor Dirk Laucke verstand die Aufg abe, über den Mauerfall zu schreiben, als Auftrag , die Festung Europa zu beschreiben. Das ist ihm vor allem bei den Konflikten zwischen Anna und Jo g elung en. Anna, die sich immer für zu kurz g ekommen hält, schläg t gnadenlos nach allem und jedem, der es mög licherweise besser haben könnte als sie. "Komm mir nicht mit deiner Moral", schleudert sie der anderen, vermeintlichen Rivalin entg eg en. Die Mischung aus Eifersucht und frühen Verletzung en bring en diese Frau weit näher als nur an den Rand von Rassismus. Die Geschichte mit Heiner und seinen Frauen dageg en scheint Laucke eher weg en einig er Anekdoten mit ins Stück g enommen zu haben - dass dies dem Ganzen nicht zum Nachteil g ereicht, lieg t vor allem an dem grandiosen Torsten Ranft. Ein wichtig er, ein insg esamt g elungener B eitrag zum Nachdenken über Europa, zum Nachdenken über uns selbst. "Für alle reicht es nicht" wieder am 10.11., 19.30 15.11., 19 Uhr, Kleines Haus, Dresden, Karten 0351/4913555 Von Katja Solbrig