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Vorteile und Gefahren eines Computereinsatzes in der Sprachtherapie mit Kindern SAL-Bulletin Nr. 94 Seite 1 Dezember 1999 SAL-Tagung vom 12.11.1999 "Computereinsatz in der Logopädie" Referat von Frau Silke Endtinger, dipl. Logopädin, Zürich Inhalt: IKT Fakten Vorteile Grenzen Einsatz der IKT in der Therapie Internet in der Logopädie Software überblick Beurteilung von Software Drill 'n Kill versus Entdeckendes Lernen 1. IKT - Begriffseinführung . Begriffsklärung Informations- und Kommunikationstechnologie: Ein Sammelbegriff, der alle heutigen Computertechnologien zusammenfasst. Der Computer ist längst mehr als ein Textverarbeitungswerkzeug oder gar ein Spielzeug. In Zeiten des omnipräsenten Internets und der Fülle von CD-Roms eröffnet der Computer völlig neue Möglichkeiten, mit Information, mit Wissen, mit Sprache und mit Bild zu interagieren. Es ist an der Zeit, das gewaltige Potential der modernen Informationsund Kommunikationstechnologie für die logopädische Therapie zu entdecken und sinnvoll zu nutzen. Kein Fachgebiet kann sich heute mehr den Vorteilen dieser Technologie verschliessen. Gleichzeitig müssen wir aber auch die Grenzen und Gefahren dieser Technologie kennen, um sie vernünftig, effizient und zum Wohle des Kindes einsetzen zu können. Auch wenn es vielen von uns schwerfällt, einen unverkrampften Zugang zu dieser neuen Welt zu finden, müssen wir realisieren, dass es besser ist, an der Ausgestaltung des Einsatzes der Technologie mitzuarbeiten, als irgendwann vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Es wird soviel pädagogische Software produziert, bei der auf den ersten Blick klar ist, dass keine Logopädin, kein Logopäde sich dazu geäussert hat, und das ist jammerschade. Wir können die Entwicklung nicht aufhalten, aber vielleicht Einfluss nehmen, dass sie in sinnvollen Bahnen verläuft. 2. Fakten Computer sind in den Schweizer Haushalten weit verbreitet: 80% der Haushalte mit Kindern besitzen heute einen Computer, 63% einen multimediafähigen, auf dem die neuere Software mit bewegten Bildern und Tonausgabe läuft. Man muss sich auch vor Augen halten, dass heute in der Schweiz über den Durchschnitt gesehen jeder 2. Arbeitsplatz mit einem Computer versehen ist, Tendenz rapide steigend. Der Markt für Lernsoftware boomt in unglaublichem Masse. Wenn man gelegentlich im Orell Füssli an der Bahnhofstrasse hereinschaut, kann man die Softwareabteilung für Kinder förmlich wachsen sehen. Und gerade das ist eine Tatsache, die uns wach rütteln sollte. Der Softwaremarkt boomt auch ohne unser Zutun weiter. Aber vielleicht könnten wir, wenn wir uns kritisch und lautstark mit den Produkten auseinandersetzen, die Richtung mit logopädischen Überlegungen etwas beeinflussen. Internet und Computer sind heute kulturelle Tatsachen: Der Umgang mit Informationen wird in unserer Kultur immer wichtiger (Internet).Kinder lernen heute, sich selbständig die Informationen zu holen, die sie möchten. Daher wird sich im Schul be- vorteile und Gefahren eines computereinsatzes in der sprach- SAL-Bulletin Nr. 94 therapie mit Kindern Dezember 1999 Seite 2 reich das pädagogische Rollenverständnis ändern: von der Informationsvermittlung zum Coach, zur Entwicklungsbegleitung. Nicht das Vermitteln von einzelnen Fakten wird mehr im Vordergrund stehen, sondern mit Hilfe des mediengestützten Wissenserwerbs selbständig arbeiten und denken zu lernen. Tatsache ist, dass die Kinder hoch motiviert sind, mit dem neuen Medium zu arbeiten. Nutzen wir doch die Chance, diese Motivation in Erfolge umzusetzen und zerstören wir diese nicht, indem wir den Computer als öde Drillmaschine einsetzen. 3. vorteile Motivation Der grösste Vorteil des Computers liegt sicher in der Motivation. Besonders im Be- reich der Therapie von Schriftspracherwerbsstörungen (SSES) ist dies der gewichtigste Faktor. Bei Kindern mit SSES sind Lesen und Schreiben durch häufige Misserlebnisse mit Angst und Unlust verbunden. Um den Computer aber bedienen zu können, sind viele Kinder bereit, sich dem ansonsten verhassten Lesen und Schreiben zuzuwenden. Dies führt häufig zu einem Abbau des Abwehr- und Vermeidungsverhaltens und zu einem neuen besseren Verhältnis zur Schriftsprache. Publikationseffekt Durch den Drucker begreifen Kinder das Schreiben schon früh als Publizieren. Das gedruckte Werk animiert dazu, den Text mehreren Lesern zugänglich zu machen: Das Kind kann seine Gedanken an die Öffentlichkeit bringen, ohne sich für hässliches Endprodukt mit radierten Löchern im Papier schämen zu müssen. Das Schreiben wird zur Publikation, ergibt Sinn; der Grund des Schreibens ist einsichtig. Und das ist sehr relevant. So mache ich immer wieder die Erfahrung, dass beispielsweise ein geschriebenes Rezept fürs Mami, fürs Gotti und die Lehrerin ausgedruckt werden muss: Da ist es plötzlich dem Kind nicht mehr egal, wie ein Wort geschrieben ist, da muss es plötzlich richtig sein, und schon ist man in eine Diskussion über Schreibweisen vertieft. vorteile und Gefahren eines computereinsatzes in der Sprach- SAL-Bulletin Nr. 94 therapie mit Kindern Dezember 1999 Seite 3 Korrekturen nicht ansieht. Ein weiterer Aspekt beim Erwerb des Lesens und Schreibens ist die Möglichkeit am Computer, Text in geschriebener und gesprochener Form simultan anzubieten. Bei einem elektronischen Bilderbuch beispielsweise spricht der Computer den Bilderbuchtext und hebt die gerade gesprochenen Wörter farblieh hervor. So können die Graphem-Phonem-Korrespondenzen unmittelbar wahrgenommen und die Erkenntnis vom Zusammenhang von Laut- und Schriftsprache gefördert werden. Graphomotorische Vereinfachung Bei graphomotorischen Schwierigkeiten erfährt das Kind eine enorme Entlastung durch die Tastatur: Endlich kann es seine Energie in die Inhaltsvermittlung stecken, anstatt sich mit dem Malen von Buchstaben abzumühen. Die Buchstaben muss das Kind nur auswählen, nicht selber formen. Die Schreib bewegung ist damit formauslösend, nicht formvollziehend. Neutralität Der Computer gibt gefühlsneutrale Rückmeldungen über Erfolg und Misserfolg, wie sie Menschen niemals geben können. Das Kind muss nicht den nächsten Blick der Logopädin befürchten, sondern hat ein gänzlich emotionsfreies Gegenüber, das geduldig alles mit sich machen lässt. Das kann gerade im Leistungsbereich sehr entlastend wirken. Direktes Feedback Bei Lernprogrammen werden unmittelbar korrigierende, nicht wertende Rückmeldun- gen gegeben. Sprachreduzierte Kommunikation Lernen mit Hilfe der IKT erfolgt prinzipiell auf der Inhaltsebene: nonverbale Elemente wie Mimik, Gestik, Tonfall etc. können nicht unterstützend eingesetzt werden. Das Lesen und Schreiben Und damit sind wir beim nächsten Vorteil, dem Lesen und Schreiben: schreibt ein Kind einen Text am Computer, so kann im Text immer wieder gelöscht, eingefügt und umgestellt werden. Der ganze Stress, beim Schreiben an alle Faktoren denken zu müssen, entfällt. In aller Ruhe können die einzelnen Schreibkomponenten in ein Nacheinander aufgegliedert und in Teilschritten bearbeitet werden. So kann das Kind sich zunächst auf die Inhaltsvermittlung konzentrieren, in einem zweiten Schritt dann vielleicht die Satzkonstruktionen unter die Lupe nehmen, dann die Gross- und Kleinschreibung usw. Entsprechend viel grösser ist auch die Bereitschaft zu Änderungen als bei Papier und Bleistift. Am Schluss steht immer ein schönes Endprodukt, dem man fördert die Konzentration auf das Wesentliche. Individualität und Flexibilität Bei Lernprogrammen können Tempo und Schwierigkeitsgrad häufig variiert werden. Viele Programme erlauben ein individuelles Anpassen von Texten und Aufgaben. Ein ständiges Umgestalten des Textes, ein Überdenken und Wieder-Ändern ist möglich. Kontrollmäglichkeit Leistungsprotokolle können bei Lernprogrammen den Lernzuwachs sichtbar machen und geben einerseits Hinweise für eine qualitative Fehleranalyse und motivieren das Kind andererseits dazu, beim nächsten mal noch besser zu sein. Vorteile und Gefahren eines computereinsatzes In der sprach- SAL-Bulletln Nr. 94 therapie mit Kindern Dezember 1999 Seite 4 therapie mit Kindern Dezember 1999 6. Seite 5 behaupten und lernt, seine Meinung zu vertreten. Fachpersonen. Bereits sehr gut präsent im Internet ist die Buch-, Software- und Therapiematerialindustrie. Man kann fast alles online bestellen oder sich zumindest über die verschiedenen Produkte informieren. Natürlich lässt sich das Internet auch in der Therapie einsetzen. Mit der zunehmenden Vernetzung der Schulen werden je länger je mehr Internetanschlüsse auch in Logopädiezimmern zur Verfügung stehen. Was liegt also näher, als diese sinnvoll in der Therapie zu nutzen: Mit dem Internet erhält heute ein Kind unzählige Möglichkeiten, sich Informationen und Kontakte zu schaffen. Das Surfen im Netz ist schnell zu lernen und gehört heute zu den grundlegenden Kulturtechniken, die sprichwörtlich jedes Kind beherrschen muss. Das Internet dient als Informationsquelle für Projekte, Vorträge, die Schülerzeitung usw. Spezielle Suchmaschinen für Kinder wie etwa die "Blinde- Kuh.de" und unzählige Kinderseiten laden zum Schmökern, Lesen und Suchen von Informationen ein. E-Mail ist ein weiteres Beispiel, wie sich die Faszination, die Kinder häufig für den Computer im allgemeinen und für das Internet im speziellen hegen, in therapeutisches Potential umsetzen lässt. Nichts funktioniert besser als Schreib- und Leseanlass, als ein anregender E-Mail-Verkehr in die ganze Welt. Ich behaupte, dass Kinder dank Internet und E-mail soviel lesen und schreiben wie schon lange nicht mehr. Eine Liste mit einigen Dutzend sinnvollen Internetadressen Grenzen Computer dürfen nicht als >Wundermittel< eingesetzt werden mit Erwartungen, die sie nicht erfüllen können. Sie sind ein Medium unter anderen, und so ist nach wie vor die Qualität der Therapie ausschlaggebend. Es kann nicht darum gehen, dass Computer anstelle von pädagogischer Betreuung eingesetzt werden, sondern sie sollen dort sinnvoll ergänzen, wo andere Medien weniger geeignet sind. Es gilt, die IKT als gleichberechtigtes Medium neben vielen anderen zu akzeptieren und zu benützen. Die beste Technik ersetzt ein pädagogisches Konzept nicht. Jeder muss sich also überlegen, wie er persönlich den Computer in sein therapeutisches Gesamtkonzept einbetten möchte, wie er persönlich den Einsatz des Computers in der Logopädie verstehen möchte. Einsatz der IKT In der Therapie: In der Therapie sehe ich heute vor allem folgende Einsatzbereiche: Im Bereich des Schriftspracherwerbs sind die meisten Lernprogramme erhältlich. Der Einsatz des Computers in diesem Bereich ist naheliegend und hat sich bereits etabliert. Auch im Bereich der Dyskalkulietherapie sind besonders reine Übungsprogramme beliebt. Im Bereich der Stimmtherapie sowie der Artikulationstherapie bei SprachSprech- und Hörstörungen sind diverse Produkte erhältlich. Ich denke da beispielsweise an den SpeechViewer, herausgegeben von IBM, der sprachliche Äusserungen nach bestimmten Merkmalen in ein visuelles Feedback umsetzt. Des weiteren sind viele Programme erhältlich, die die visuelle Wahrnehmung fördern. und Links kann bei der SAL bestellt werden. 7. Fribourg, "Training kognitiver Strategien", erhältlich sind. Softwarediagramm Heute gibt es Tausende von verschiedenen Programmen für alle möglichen Aufgabenbereiche. Der grosse Markt an Software für Kinder gestaltet sich auf den ersten Memoryartige Spiele gehören zu den Klassikern unter den Computerspielen, ebenso gibt es viele Multimediatitel, die sich mit Problemen von Form, Farbe, Serialität usw. auseinandersetzen. Als letzten Bereich möchte ich die Förderung kognitiver Funktionen nennen, wozu ebenfalls spezifische Programme, wie z. B. die Software von Dr. Felix Studer, HPI Internet In der Logopädie? Einen wesentlichen Anteil an der IKT hat heute das Internet. Dieser weltweite Verbund von Millionen von Computern eröffnet für uns alle ungeahnte Möglichkeiten. Für die Therapievorbereitung lässt sich das Internet als Informationsquelle nutzen. Im Moment ist die Fachinformation, v. a. in Bezug auf die Schweiz, noch etwas mager, aber sowohl die Ausbildungsinstitute als auch z. B. der DLV arbeiten an neuen Webangeboten. Mit Sicherheit wird das Internet über kurz oder lang zu unserer wichtigsten Informationsquelle werden. Völlig selbstverständlich nutzen bereits viele von uns die E-Mail-Technologie, um Kontakt zu halten mit Kollegen, Lehrern und anderen Soziales Miteinander Wenn zwei oder mehr Kinder gemeinsam am Computer arbeiten, so wird automatisch über Schreibweisen und Formulierungen diskutiert. Dabei muss sich ein Kind auch 5. SAL-Bulletin Nr. 94 o o Eigenverantwortung Durch das Arbeiten am Computer übernimmt das Kind automatisch die Eigenverantwortung, die Maschine korrekt und sorgfältig zu bedienen. Es lernt, sich kritisch mit dem Medium auseinanderzusetzen und vor allem auch, dass der Computer nicht nur Spielzeug, sondern auch ein Arbeitsinstrument ist. 4. Vorteile und Gefahren eines computereinsatzes In der sprach- Blick als sehr unübersichtlich. Da steht man vor einem Gestell von unzähligen Programmen, die alle therapeutisch von wunderbarem Nutzen sein sollen. Das folgende Diagramm soll Ihnen einen grundlegenden Überblick über die ver- o schiedenen Bereiche im Softewaremarkt geben. Vorteile und Gefahren eines computereinsatzes in der Sprach- SAL-Bulletin Nr. 94 therapie mit Kindern Dezember 1999 Seite 6 Vorteile und Gefahren eines computereinsatzes in der Sprach- SAL-Bulletin Nr. 94 therapie mit Kindern Dezember 1999 Seite 7 Softwareangebot I Bildung & Unterhaltung Standardsoftware H Spiele - - Denkspiele Reaktionsspiele Kombinierte Denkund Reaktionsspiele Abenteuerspiele Simulationsspiele Spezialsoftware Texterverarbeitung H Datenbanken Integrierte Software - 1 - - - - elektronische Bücher elektronische Bilderbücher elektronische Lexika Musiktitel Abenteuerspiele Simulationen Informationssysteme Edutainment >getarnte< Lernspiele Abenteuerspiele mit Lerninhalten Elektronische (Bilder-)Bücher Hypermedia Umgebungen AnwendungsProgramme für Kinder - - Textverarbeitungen Mal- bzw. Zeichenprogramme Datenbanken Benutzeroberflächen Authorware Programmiersprachen Spezielle Lern- und Therapieprogramme Betriebssysteme _I Utilities 1 Authorware & Programmiersprachen Multimedia - -I Grafiksoftware Diverse Software: Technische, 3D, Video, Musik etc.pp. Kommunikationssoftware Tabellenkalkulation Branchensoftware In Unterricht und Therapie ... CJ ... mehrheitlich einsetzbar CJ c=J ... eventuell einsetzbar c=J ... i. d. R. nicht einsetzbar Die Kategorie Bildung und Unterhaltung ist für uns von besonderem Interesse, da ihr alle Lern- und Therapieprogramme zuzuordnen sind. Zur Standardsoftware gehören all jene Programme, die der Durchschnittsanwender benützt. Für uns relevant ist hier die Textverarbeitung. Und zur Spezialsoftware gehört all jene spezifische Software, die uns für die Logopädie nicht interessiert, wie beispielsweise Programme für Zahnärzte oder Architekten usw. Bildung und Unterhaltung Einen grossen Bereich machen hier die unzähligen Spiele aus. Von Denkspielen über Reaktions- und Abenteuerspielen bishin zu Simulationsspielen ist hier alles erhältlich. Nicht wenige von ihnen haben durchaus einen therapeutischen Nutzen, v.a. für die visuelle, auditive und kognitive Förderung. Die Bereiche Multimedia und Edutainment wachsen heute immer mehr zusammen. Multimedia meint nichts anderes, als dass eine Software verschiedene Medien wie Text, Bild, Film, Animation ~nd Ton in einem Produkt vereint. Vor ein paar Jahren gab es vorwiegend noch trockene schwarz-weiss-Lernprogramme, die bei richtiger oder falscher Antwort vielleicht noch einen Signalton von sich gaben. Heute sind CDRoms für Kinder praktisch alle multimedial: bunt, tönend und einfach zu bedienen. Edutainment ist ein Neologismus und setzt sich zusammen aus Education (Erziehung) und Entertainment (Unterhaltung). Es geht hierbei also um Programme, die auf spielerische Weise einen bestimmten Lerninhalt vermitteln wollen. Edutainment ist der derzeitig gross boomende Bereich: heute werden CD-Roms angepriesen, die in Geschichten oder Abenteuer verpackt dem Kind zu verbesserter Lesefähigkeit usw. verhelfen sollen. Anwendungsprogramme für Kinder sind Programme, die herkömmliche Computersoftware wie eine Textverarbeitung für Kinder attraktiv machen. Ein Standardprogramm ist für Kinder vielleicht zu kompliziert und hat zuviele Funktionsmöglichkeiten, so dass es Programme gibt, die einfacher zu handhaben und meist mit Animationen und Geräuschen bunt und fröhlich gestaltet sind. (Bsp: Disneys Kreatives Zeichenstudio.) Lern- und Therapieprogramme dienen dem konkreten Vermitteln bestimmter Lerninhalte. voraussetzung für den Betrieb eines computers Drill and Practice Tutorien Strategievermittelnde Lernprogramme Erwachsenenbildungssoftware Ich unterteile den Markt in 3 Bereiche: Bildung und Unterhaltung, Standardsoftware und Spezialsoftware. Standardsoftware Im Bereich der Standardsoftware ist für die logopädische Therapie besonders die Textverarbeitung relevant. Mit einer einfachen Textverarbeitung wie Apple W orks (früher ClarisWorks) oder Word ergeben sich viele kreative Möglichkeiten für die Therapie. Ich empfehle allen wärmstens, sich ein Textverarbeitungsprogramm anzuschaffen und dies genauer kennenzulernen. Ich bin der Meinung, dass man mit einer Textverarbei- Vorteile und Gefahren eines computerelnsatzes In der Sprach- SAL-Bulletin Nr. 94 therapie mit Kindern Dezember 1999 Seite 8 o o tung und einigen wenigen CD-Roms in der Therapie gut fährt. Es ist rein aus Kostengründen für die allermeisten von Ihnen wahrscheinlich ebenso unmöglich wie für mich , sich immer die neuesten CD-Roms anzuschaffen. Durchschnittlich kostet eine CD-Rom im Bereich Lernsoftware zwischen 35.- und 70.- Fr. Spezifische Therapiesoftware wie bspw. der AudioLog kosten um die 700.-, der SpeechViewer um die 1400.- Fr. Es ist also durchaus abzuwägen, wofür man sein Jahresbudget veranschlagen möchte. Integrierte Software beinhaltet meist eine Textverarbeitung, eine Tabellenkalkulation und ein Mal-und/oder Zeichenprogramm in einem, wie etwas AppleWorks oder MSWorks. Grafiksoftware dient dem Verarbeiten von Bild und Grafikmaterial. Die Bedienung von Grafiksoftware ist heute immer noch relativ kompliziert und bedingt einiges an Fachwissen. 8. I:: CI.l :::::J C6 'N .... CI.l ~ I:: ~ <C ~ Absicht Altersgerechthet .m '0 '! 0 I ~echtheit I '0 Profil C) SprachenNerbstheorie ca ::::J jjj wortschatz - .2: CI.l U) Sprachausgabe "0 0 1:: .l::l ca I:: 52 .9 00 I:: ::::J .... 00 1::' ::::J ~ .s:: .s:: 't: 1ii ca ,!;;; :::::J CI.l I:: CI.l '6 CI.l m ~ ca CI.l (!) "0 I:: ::::J 00 I:: ::::J :g CI.l E ~ <.J :::::J c::: 0 0 MJtivation Software I:: CI.l ~ ."!: ci ~ ca I:: .2l ca .... Dezember 1999 ergeben sich natürlich mehr Einsatzmöglichkeiten für die Therapie. Weiter stellt sich hier die Frage nach der Qualität des Inhalts. Dies kann nur von jedem subjektiv beurteilt werden. Bei der Bedienerführung und der Gestaltung geht es darum, wie ein Kind durch das Programm geführt wird, wie also die verwendeten Symbole und Darstellungsformen auf dem Bildschirm realisiert sind. Sind sie klar, überschaubar und leicht verständlich oder verwirrend und unübersichtlich? Wenn ich selber eine Viertelstunde benötige, um herauszufinden, wie das Programm zu bedienen ist, scheidet es für mich grundsätzlich schon mal aus. Viele Edutainment-Programme haben heute eine einfache intuitive Bedienerführung mit wenigen Buttons. Weiter kann man das Programm auf seine Attraktivität hin anschauen: Wie ist es in Form und Farbe gestaltet? Ist es ansprechend und witzig oder wirkt es künstlich aufgesetzt und unansprechend? Man kann sich auch überlegen, ob die graphische Gestaltung die inhaltliche Absicht unterstützt: Ich denke da z.B. an das Leselernprogramm Addy: eigentlich geht es ums Lesenlernen, aber tatsächlich findet nach ein paar richtigen Mausklicks wieder ein Tänzchen, eine Animation oder irgendwelcher Brimborium statt, der das Kind motivieren soll. Das ganze ist so aufgebauscht mit irgendwelchen langweiligen Aktionen, dass man sich wirklich fragen muss, ob es das Geld wert ist. Bei der Rückmeldung geht es um die Art des Feedbacks an das Kind. Viele Programme geben nur sehr einfache Rückmeldungen wie "richtig" oder "falsch" oder geben einfach die richtige Lösung vor, ohne dass dem Kind ein Hinweis auf die Fehlerursache gegeben wird. Differenzierte Rückmeldungen könnten z.B. ein Hinweis auf einen möglichen Lösungsweg sein und sind natürlich von wesentlich grösserem Nutzen in der Therapie. So ist es natürlich auch so, dass Programme, welche das Kind zum Denken animieren effektvoller sind als solche, die eine Ratestrategie geradezu herausfordern. Ein ganz wichtiger Punkt ist hier noch die Frage nach den generellen Wartezeiten im I:: CI.l I:: CI.l "0 therapie mit Kindern Seite 9 teilung von Software zu geben. Stellen Sie sich vor, Sie stehen in einem Laden und Sie möchten eine CD-Rom kaufen. Worauf können Sie nun achten? Zunächst die Kriterien, die die Software an und für sich betreffen und die von der Technik determiniert sind. Beim Inhalt geht es um die Frage, ob ein bestimmter Inhalt vorgegeben ist, wie z.B. bei Bezug auf ein bestimmtes Lehrmittel, oder ob sich der Inhalt von der Therapeutin/dem Therapeuten variieren lässt. Bei flexiblem Inhalt .c 00 SAL-Bulletin Nr. 94 Software Im folgenden geht es mir nun darum, Ihnen einige Gedankenanstösse für die Beur- Beurteilung von Software I:: ::::J Vorteile und Gefahren eines Computereinsatzes in der sprach- I!:l :: Programm. Man kann sich z.B. fragen, ob jederzeit die Möglichkeit besteht, das Programm zu verlassen oder ob man per Mausklick an einen bestimmten Ort im o o Programm gelangen kann, ohne zunächst eine vorgegebene zeitliche Chronologie durchlaufen zu müssen. Es gibt nichts nervtötenderes als ein Programm, bei dem man Vorteile und Gefahren eines computereinsatzes in der Sprach- SAl-Bulietin Nr. 94 therapie mit Kindern Dezember 1999 Seite 10 jedesmal den gesamten Vorspann und die Einleitungsgeschichte anhören muss, bis man mal starten kann. Spätestens beim dritten mal ist es schlichtweg langweilig. Auch innerhalb eines Programms kann man sich achten, wieviele grundsätzliche Wartezeiten unumgänglich sind. Besonders bei möchte-gern-motivierenden-Lernprogrammen, die definiertes Üben als Inhalt haben, wird als vermeintliche Belohnung für einen richtigen Mausklick gerne eine Attraktion auf dem Bildschirm vorgeführt. Absicht Als nächsten Punkt kann man sich Gedanken über die eigene Absicht beim Einsatz eines bestimmten Programmes machen: Man muss sich im klaren darüber sein, wozu man ein bestimmtes Programm einsetzen möchte, das Einsatzziel. Man kann sich fragen, ob man Auswertungsmöglichkeiten eines Lernprogramms benötigt oder darauf verzichten kann. Wenn solche vorhanden sind, kann man quantitative und qualitative Analysen unterscheiden. Viele handelsübliche Lernprogramme sind immer noch auf das Zählen von Fehlern ausgerichtet und damit quantitativ, wobei qualitative Hinweise der Therapie wesentlich dienlicher sind. Beim Punkt kreativ oder üben geht es um die Frage, wie man den Einsatz eines bestimmten Programmes in der Logopädie verstehen möchte. Geht es einem darum, den Computer als kreatives Medium zur offenen Gestaltung in der Therapie zu nutzen oder versteht man das Gerät als Trainingsmaschine im Sinne von Nachhilfeunterricht? Und Sie merken hier vielleicht, dass es sehr auf die eigene Person, den eigenen Therapiestil, das eigene Verständnis der Therapeutenrolle ankommt, welche Software man am Schluss für sich auswählt. Es ist deshalb auch sehr schwierig zu sagen, welche Programme gut oder schlecht sind, weil die Beurteilung sehr stark vom eigenen Denken und Rollenverständnis abhängt. Kind Hat man nun ein bestimmtes Programm vor sich, das man bei einem bestimmten Kind einsetzen möchte, kann man sich fragen, ob das Programm dem Alter des Kindes gerecht wird, d.h. ob sowohl der Inhalt als auch die graphische Aufmachung adäquat sind. So motivieren irgendwelche kleinkindlichen Motive kaum mehr Kinder im Schulalter. Bei der Stufengerechtheit geht es darum, sich zu überlegen, ob das Programm dem entwicklungspsychologischen Stand des Kindes gerecht wird. So ist es natürlich sinnlos, mit einem Kind ein Rechtschreibprogramm zu machen, wenn es die zugrunde liegenden Rechtschreibregeln kognitiv noch gar nicht erfassen kann. Mir geht es hier darum, darauf hinzuweisen, dass man immer ganz genau überlegen sollte, wo das Kind in seinem Lernprozess steht und ob ein Programm tatsächlich innerhalb dieses Lernprozesses hilfreich sein kann, um einen Schritt weiterzukommen. Vorteile und Gefahren eines computereinsatzes in der Sprach- SAl-Bulietin Nr. 94 therapie mit Kindern Dezember 1999 Seite 11 Und natürlich muss das Kind grundsätzlich motiviert sein, überhaupt mit dem Computer zu arbeiten. Schliesslich kann es nicht darum gehen, das Gerät auf Biegen und Brechen bei allen Kindern einsetzen zu wollen. Logopädie Nun kommen wir zu den logopädischen Kriterien im engeren Sinne, die mir sehr am Herzen liegen. Ich möchte diese deshalb auch an einem Beispiel anschliessend demonstrieren. Es gibt sehr grosse Unterschiede, was die Sprachausgabequalität der Lernsoftware angeht. Achten Sie sich grundsätzlich auf die akustische Verständlichkeit. Da gibt es z.B. Programme, die Schwierigkeiten in der Realisierung von hohen Frequenzen haben, so dass durchwegs gelispelt wird. Die akustische Verständlichkeit ist hier das eine zu beachtende Kriterium, das Sprechtempo das andere. Sehr viel Lernsoftware kommt heute aus Deutschland, und bekanntlich ist das Sprechtempo häufig erhöht im Vergleich zur Schweiz. Das kann gerade für "Logopädie-Kinder" ein grosses Problem darstellen. Denn was nützt das beste Programm, wenn ein Kind verbal überflutet wird und zeitlich in der auditiven Aufnahme nicht mitkommt? Auch muss man sich bewusst sein, dass bei deutscher Software der Wortschatz natürlich entsprechend ist. Es wird also z.B. von Semmel und Bürgersteig geredet, was in meinen Augen kein Nachteil sein muss. Dennoch sollte man sich das bewusst machen. Der für mich absolut wichtigste Punkt bei der Beurteilung von Software ist die Frage nach dem Einbezug von wissenschaftlich fundierten Spracherwerbstheorien. Es ist unglaublich, wie schnell und wunderbar unsere Kinder lesen und schreiben lernen müssten, würden wir den Versprechen glauben, mit denen die Softwareindustrie ihre Produkte anpreist. Da gibt es kaum eine CD-Rom, die nicht von "Pädagogen empfohlen", mit ,,6 Mäusen ausgezeichnet", "beste Software des Monats Januar" usw. angepriesen wird. Besonders spannend sind auch die jeweiligen Tipps für Pädagogen, welche besonders im boomenden Lernsoftwaremarkt häufig jeglicher Sprachwissenschaftlichkeit entbehren. Ich möchte Ihnen hier ein hübsches Beispiel nicht vorenthalten: Ein häufig verkauftes Lernprogramm ist "Billi Banni, Interaktive Lesereise. Der komplette Kurs zum Lesenlernen ". Ich zitiere aus den formulierten Lernzielen der CDRom: "Die sprachwissenschaftliche Produktereihe von TLC (The Learning Company) Tewi bietet altersgerechte Spiele, mit deren Hilfe Kinder ihre Lese-, Schreib- und Sprechfertigkeit und ihr Hörverständnis spielerisch trainieren können. Der methodisch Vorteile und Gefahren eines computereinsatzes in der Sprach- SAL-Bulletin Nr. 94 therapie mit Kindern Dezember 1999 Seite 12 Vorteile und Gefahren eines Computereinsatzes in der sprach- SAL-Bulletin Nr. 94 therapie mit Kindern Dezember 1999 Seite 13 integrative Ansatz verbindet die lautorientierte mit der Ganzwortmethode. Die Reihe besteht aus zwei Produktgruppen, Spielen, die das Erkennen von Buchstaben, respek- 9. tive das Verstehen von Inhalten in den Vordergrund stellen." Ich zitiere Seymour Papert, Schüler Piagets, aus seinem Buch "Die vernetzte Familie" Welch sprachwissenschaftlicher Text! Was bitte hat das Erkennen von Buchstaben, (Kreuz-Verlag 1998,49-51): und wohlgemerkt, Buchstaben, nicht Graphemen, mit der lautorientierten Methode "Die pädagogische Welt ist in der Diskussion verfangen, ob und wie weit man zu den des Leseerwerbs zu tun? "Grundlagen" zurück sollte; dies bedeutet weitgehend eine mechanische Vermittlung Weiter hinten heisst es: "Die Spiele, die das schnelle Erkennen von Buchstaben zum der drei Kulturtechniken: Lesen, Schreiben, Rechnen. Und während sich die Pädago- Drill 'n Kill versus entdeckendes Lernen Ziel haben, helfen dem Kind, seine Lese- und Rechtschreibfertigkeit zu verbessern. gen hierüber streiten, hat die Software-Industrie für sich diese Frage schon lange Hier steht die Laut-Buchstabenzuordnung im Vordergrund". entschieden. Sie baut auf diesen Grundtechniken auf, und zwar speziell in dieser Es geht also tatsächlich um die Zuordnung von Lauten und Buchstaben und hat daher mechanischen Form, stärker als es selbst die konservativste Schulpolitik jemals gewagt herzlich wenig mit dem entwicklungspsychologischen Prozess des Schriftspra- hätte. Dies ist besonders sichtbar in Mathematik. Am Beispiel der Mathematik will ich cherwerbs zu tun. Besonders im Bereich des Schriftspracherwerbs gibt es hier sehr viele hier eine Denkweise illustrieren, die in sehr vielen Bereichen gilt. Übungsprogramme, die irgendwelche Rechtschreibmuster trainieren sollen, die in keinem Zusammenhang mit dem entwicklungspsychologisch fundierten Schriftspra- In der Tat beherrscht die Industrie, die pädagogische Software herstellt, eine Sache am cherwerbsprozess stehen. Zurück zu Billi Banni. Entsprechend werden auch die Spiele besten - aber nicht, wie man am besten Mathematik lehrt. Sie verfügt vielmehr über realisiert. Das Kind besucht auf seiner Lesereise verschiedene Buchstabenländer, die ein ausgezeichnetes Wissen darüber, was man Eltern am einfachsten verkaufen kann. jeweils als Buchstabenbezeichnung und nicht als Phonem ausgesprochen werden. Das Software, die das Kind im Umgang mit Zahlen drillt, wird auch von unbedarften ist leider bei sehr vielen Programmen der Fall. So heisst es bei Billi Banni" Willkom- Eltern leicht als "Mathe" erkannt. Diese Software ist auch am einfachsten und billig- men im Ern-Land oder Es-Land" usw. Im jeweiligen Land sind dann viele Gegenstände sten herzustellen. So entspricht sie der sichersten Formel, in dem Softwaregeschäft abgebildet, die mit jenem Laut beginnen sollten: Im Es-land das Saxophon, der Saft- schnell Geld zu machen: mit Produkten, die billig hergestellt und leicht vermarktet brunnen, aber auch die Spatzen und das Stinktier. Wie logisch für das Kind! werden können. Denn diese Software entspricht dem kleinsten gemeinsamen Nenner, Ganz besonders interessant ist auch die folgende Aussage: "Ein Kind, das in der Lage den die breite Masse der Eltern in pädagogischer Hinsicht teilt. Auf diese Weise wer- ist, Buchstaben zu den zugehörigen Lauten zu assoziieren und die Anfangs- und End- den das intellektuelle Leben der Kinder und die Schulpolitik der Länder zunehmend laute von Wörtern als Einzelelemente zu erkennen, wird eine wesentlich bessere Lese- von kommerziellen Überlegungen bestimmt. Besonders Besorgnis erregend dabei ist, fertigkeit entwickeln als andere Kinder:" Nun, der Kommentar erübrigt sich. dass die falsch begründeten elterlichen Annahmen nicht nur ausgenützt, sondern verstärkt werden, in einem Prozess, der eine gefährliche Abwärtsspirale in der Schul- Was ich noch anmerken möchte: es geht mir nicht darum, die handelsübliche politik unterhält. Lernsoftware nur zu verteufeln. Aber man muss die Programme sehr genau unter die Lupe nehmen und sich fragen, was man daraus machen kann oder nicht. Ich denke, Ich will damit nicht die Software-Industrie verdammen. Manche Produzenten be- wenn man die Schwachstellen eines Programmes genau kennt, kann man einiges auch mühen sich, Material herzustellen, das andere Formen des Lernens unterstützt, wie die in der Therapiesituation wieder ausgleichen oder direkt mit dem Kind darüber disku- Entwicklung von Experimentierfreudigkeit, Problemlösungsstrategien und ima- tieren. Es ist deshalb ganz wichtig, dass man vor dem Softwarekauf darauf besteht, ginativen Ausdruck. Aber es wird diese verantwortungsvollen Produzenten nicht das Programm anschauen zu können und nicht die Katze im Sack kauft. In grösseren stören, wenn ich die Eltern auffordere, kritisch zu sein. Buchhandlungen ist dies heute auch problemlos möglich. Es ist an der Zeit abzubrechen und einige Alternativen in der Art des Denkens über Es gibt keine Rezepte für gute oder schlechte Software, und es bleibt jedem von uns Lernen zu betrachten. Mut macht mir dabei meine Erfahrung, dass sogar Eltern, die nichts anderes übrig, als sich in Frage kommende Software in aller Ruhe anzuschauen auf die üblichen Marketingstrategien hereinfallen, zu viel besseren Ideen gelangen, und sich selber eine Meinung dazu zu bilden. wenn sie angeregt werden, über ihr eigenes Lernen nachzudenken. Dennoch möchte ich nun in einem letzten Teil darauf eingehen, wie denn der Compu- Unter welchen Umständen lernen Sie am besten? ter nun meiner Meinung nach konkret in der Logopädie eingesetzt werden kann. Welches Lernen war für Sie in Ihrem Leben am nützlichsten?" vorteile und Gefahren eines computereinsatzes in der Sprach- SAL-Bulletin Nr. 94 therapie mit Kindern Dezember 1999 Seite 14 therapie mit Kindern Dezember 1999 Seite 15 zynisch zusammengefasst. Er formuliert sie am Beispiel der Mathematik, was sich aber grundsätzlich auch auf Bereiche wie Lesen und Schreiben übertragen lässt: ,,1. Behandeln Sie das Kind als eine "Antwortmaschine": Der Computer stellt eine Frage, das Kind beantwortet sie, der Computer beurteilt sie als falsch oder richtig. Naive Eltern betrachten dieses Vorgehen als "lernen". Machen Sie sich keine Sorgen, wenn die Fragen trivial sind und sich wiederholen. 2. Fesseln Sie die Aufmerksamkeit: Setzen Sie Comics '" Soundeffekte ... Musik und blödsinnige Reaktionen zum Auffinden von Hot spots ein. Naive Eltern betrachten dies als "Anregung". Andere denken: "Fantastisch. So ist er wenigstens mal eine halbe Stunde ruhig und beschäftigt". 3. Machen Sie sich keine Gedanken darüber, ob die Effekte irgendetwas mit dem erwünschten Lernziel zu tun haben. 4. Entwickeln Sie keine Schuldgefühle. Es gibt keinen Beweis dafür, dass selbst der beste Zahlendrill im Vorschulalter eine Auswirkung auf das spätere Verständnis von Mathematik haben wird." Ich möchte zum Schluss die beiden Arten von Lernen, Drill und entdeckendes Lernen konkret am Beispiel des Schriftspracherwerbs mit je einem Programm vorstellen Als Trainingsprogramm gibt es beispielsweise den Magister, Kehlhof-Software, das wohl meist gekaufte Lernprogramm in der Logopädie. Es handelt sich hier um ein Trainingsprogramm, das die Rechtschreibung von bestimmten einzugebenden Wörtern in verschiedenen Spielformen trainiert, unabhängig von zugrundeliegenden Rechtschreibregeln oder Schriftspracherwerbsprozessen. e Im Gegenstück dazu existiert das Programm Löwenzahn, eine CD-Rom zum Entdekken und Spass haben. Warum nicht gemeinsam mit dem Kind auf Entdeckungstour gehen und darüber diskutieren? Die Ideen kommen dann ganz von alleine: So animiert z.B. das Rezeptebuch zum Nachkochen der vorgestellten Speisen und das Kind liest die Kochanleitung hochmotiviert, weil es eben nun Löwenzahnhonig kochen möchte und sich notieren muss, was es dazu das nächste mal mitbringen muss. Oder es möchte selber ein Rezept oder eine Bastelanleitung gestalten und diese weiterverschenken. So ist das Kind intrinsisch motiviert und aktiv am Lese- Schreibprozess, ohne dass Druck und Zwang dahinterstehen. Denn: "Jedesmal, wenn wir einem Kind etwas beibringen, hindern wir es daran, es selbst zu entdecken" . Jean Piaget Zurück zur Software. Das Kind selber Lösungswege entdecken zu lassen, bedeutet für mich, Software zur Verfügung zu haben, die kreatives Spielen und Handeln möglich macht. Software, die Spass bringt und mit der man experimentieren kann im Gegensatz zu sturen Drillprogrammen. Die Gestaltungsmerkmale der sturen Drillprogramme hat wiederum Seymour Papert in seinem Buch "Die vernetzte Familie" (50) wunderbar SAL-Bulletin Nr. 94 o Nun, das dürfte kaum der Drill gewesen sein, aber in der Logopädie scheint er wieder sehr gefragt. Sprache ist nicht zum Trainieren da, sondern zum Entdecken! Logopädie sollte einen Input setzen, einen Prozess auslösen. Das Üben und Übertragen in den Alltag macht das Kind ganz von alleine, wenn es eine neue Struktur entdeckt hat. Piaget nennt dies Assimilation, das Anwenden und Ausprobieren einer durch Akkomodation neu erworbenen Struktur in verschiedensten Bereichen. Und diese Form des Ausprobierens findet im Alltag des Kindes statt. Wenn hingegen die Logopädin/der Logopäde entscheidet, was das Kind zu üben hat, dann hört man häufig vom Transferproblem: das Kind kann etwas in der Therapie, wendet es aber ausserhalb des Therapiezimmers nicht an. Es gibt kein Transferproblem! Das Transferproblem gestaltet sich meistens so, dass das Kind für die Logopädin etwas bestimmtes übt, für sich selber dem aber keinen Sinn, keine Lebensrelevanz abgewinnen kann. Und so muss man sich bei Trainingsprogrammen ganz ehrlich die Frage stellen: WEM nützt der Drill? Geht es wirklich ums Kind oder dient er nicht auch der Logopädin? So ein Trainingsprogramm hat einen klaren Inhalt, es misst sichtbare vermeintliche Fortschritte, die Therapiestunde lässt sich damit zeitlich klar planen. Ein Trainingsprogramm bietet quasi für die Therapeutin einen sicheren Halt. Wenn man dann noch ein Leistungsprotokoll ausdrucken kann, hat man ja den sichtbaren Beweis für Lernfortschritte und damit für die Legitimation der Therapie. Schliesslich wird diese Form des Fortschritts, gemessen an der Fehlerzahl, auch von einfacheren Personen als Lernen verstanden, wie es Papert so schön formuliert hat. Dabei wird es in Zukunft je länger desto wichtiger, ein Kind zum selbständigen Lernen zu befähigen. Früher hat man einen Beruf erlernt, den man dann sein Leben lang ausgeübt hat. Heute üben viele einen Beruf aus, den es bei ihrer Geburt noch gar nicht gab. Es geht also vermehrt um die Fähigkeit, zu lernen. Und besonders in der Therapie ist es in meinen Augen deshalb wichtig, das Kind zu befähigen, selber Lösungswege zu finden. Vorteile und Gefahren eines computereinsatzes In der sprach- selbst-gesteuertes, entdeckendes, konstruierendes, gestaltendes und begeistertes Lernen Ist wirkungSVOll! o o vorteile und Gefahren eines computereinsatzes in der Sprach- SAL-Bulletin Nr. 94 therapie mit Kindern Dezember 1999 Seite 16 Literatur Seymour Papert: Revolution des Lernens. Kinder, Computer, Schule in einer digitalen Welt. Heise-Verlag 1994. Seymour Papert: Die vernetzte Familie. Kreuz-Verlag 1998. Sherry Turkle: Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet. Rowohlt-Verlag 1998. Martin Sassenroth: Schriftspracherwerb. Entwicklungsverlauf, Diagnostik und Förderung. Haupt-Verlag 1991. Thomas Feibel: Grosser Kinder Software-Ratgeber 1999. Verlag Markt & Technik 1999. Silke Endtinger-Stückmann,: Computer in der Logopädie. Einsatz neuer Medien in der Therapie von Schriftspracherwerbsstörungen. Verlag SZH 1998.