Vorteile und Gefahren eines Computereinsatzes in der

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Vorteile und Gefahren eines Computereinsatzes in der
Vorteile und Gefahren eines
Computereinsatzes in der
Sprachtherapie mit Kindern
SAL-Bulletin Nr. 94
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Dezember 1999
SAL-Tagung vom 12.11.1999 "Computereinsatz in der Logopädie"
Referat von Frau Silke Endtinger, dipl. Logopädin, Zürich
Inhalt:
IKT
Fakten
Vorteile
Grenzen
Einsatz der IKT in der
Therapie
Internet in der Logopädie
Software überblick
Beurteilung von Software
Drill 'n Kill versus
Entdeckendes Lernen
1.
IKT - Begriffseinführung . Begriffsklärung
Informations- und Kommunikationstechnologie: Ein Sammelbegriff,
der alle heutigen Computertechnologien zusammenfasst. Der Computer ist längst mehr als ein Textverarbeitungswerkzeug oder gar ein
Spielzeug. In Zeiten des omnipräsenten Internets und der Fülle von
CD-Roms eröffnet der Computer völlig neue Möglichkeiten, mit
Information, mit Wissen, mit Sprache und mit Bild zu interagieren. Es
ist an der Zeit, das gewaltige Potential der modernen Informationsund Kommunikationstechnologie für die logopädische Therapie zu
entdecken und sinnvoll zu nutzen. Kein Fachgebiet kann sich heute
mehr den Vorteilen dieser Technologie verschliessen. Gleichzeitig
müssen wir aber auch die Grenzen und Gefahren dieser Technologie
kennen, um sie vernünftig, effizient und zum Wohle des Kindes
einsetzen zu können. Auch wenn es vielen von uns schwerfällt, einen
unverkrampften Zugang zu dieser neuen Welt zu finden, müssen wir
realisieren, dass es besser ist, an der Ausgestaltung des Einsatzes der
Technologie mitzuarbeiten, als irgendwann vor vollendete Tatsachen
gestellt zu werden. Es wird soviel pädagogische Software produziert,
bei der auf den ersten Blick klar ist, dass keine Logopädin, kein
Logopäde sich dazu geäussert hat, und das ist jammerschade. Wir
können die Entwicklung nicht aufhalten, aber vielleicht Einfluss
nehmen, dass sie in sinnvollen Bahnen verläuft.
2.
Fakten
Computer sind in den Schweizer Haushalten weit verbreitet: 80% der
Haushalte mit Kindern besitzen heute einen Computer, 63% einen
multimediafähigen, auf dem die neuere Software mit bewegten Bildern
und Tonausgabe läuft. Man muss sich auch vor Augen halten, dass
heute in der Schweiz über den Durchschnitt gesehen jeder 2. Arbeitsplatz mit einem Computer versehen ist, Tendenz rapide steigend.
Der Markt für Lernsoftware boomt in unglaublichem Masse. Wenn
man gelegentlich im Orell Füssli an der Bahnhofstrasse hereinschaut,
kann man die Softwareabteilung für Kinder förmlich wachsen sehen.
Und gerade das ist eine Tatsache, die uns wach rütteln sollte. Der
Softwaremarkt boomt auch ohne unser Zutun weiter. Aber vielleicht
könnten wir, wenn wir uns kritisch und lautstark mit den Produkten
auseinandersetzen, die Richtung mit logopädischen Überlegungen
etwas beeinflussen. Internet und Computer sind heute kulturelle
Tatsachen: Der Umgang mit Informationen wird in unserer Kultur
immer wichtiger (Internet).Kinder lernen heute, sich selbständig die
Informationen zu holen, die sie möchten. Daher wird sich im Schul be-
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reich das pädagogische Rollenverständnis ändern: von der Informationsvermittlung
zum Coach, zur Entwicklungsbegleitung.
Nicht das Vermitteln von einzelnen Fakten wird mehr im Vordergrund stehen, sondern mit Hilfe des mediengestützten Wissenserwerbs selbständig arbeiten und denken
zu lernen. Tatsache ist, dass die Kinder hoch motiviert sind, mit dem neuen Medium
zu arbeiten. Nutzen wir doch die Chance, diese Motivation in Erfolge umzusetzen und
zerstören wir diese nicht, indem wir den Computer als öde Drillmaschine einsetzen.
3.
vorteile
Motivation
Der grösste Vorteil des Computers liegt sicher in der Motivation. Besonders im Be-
reich der Therapie von Schriftspracherwerbsstörungen (SSES) ist dies der gewichtigste
Faktor. Bei Kindern mit SSES sind Lesen und Schreiben durch häufige Misserlebnisse
mit Angst und Unlust verbunden. Um den Computer aber bedienen zu können, sind
viele Kinder bereit, sich dem ansonsten verhassten Lesen und Schreiben zuzuwenden.
Dies führt häufig zu einem Abbau des Abwehr- und Vermeidungsverhaltens und zu
einem neuen besseren Verhältnis zur Schriftsprache.
Publikationseffekt
Durch den Drucker begreifen Kinder das Schreiben schon früh als Publizieren. Das
gedruckte Werk animiert dazu, den Text mehreren Lesern zugänglich zu machen: Das
Kind kann seine Gedanken an die Öffentlichkeit bringen, ohne sich für hässliches
Endprodukt mit radierten Löchern im Papier schämen zu müssen. Das Schreiben wird
zur Publikation, ergibt Sinn; der Grund des Schreibens ist einsichtig. Und das ist sehr
relevant. So mache ich immer wieder die Erfahrung, dass beispielsweise ein geschriebenes Rezept fürs Mami, fürs Gotti und die Lehrerin ausgedruckt werden muss: Da ist
es plötzlich dem Kind nicht mehr egal, wie ein Wort geschrieben ist, da muss es plötzlich richtig sein, und schon ist man in eine Diskussion über Schreibweisen vertieft.
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Korrekturen nicht ansieht. Ein weiterer Aspekt beim Erwerb des Lesens und Schreibens ist die Möglichkeit am Computer, Text in geschriebener und gesprochener Form
simultan anzubieten. Bei einem elektronischen Bilderbuch beispielsweise spricht der
Computer den Bilderbuchtext und hebt die gerade gesprochenen Wörter farblieh
hervor. So können die Graphem-Phonem-Korrespondenzen unmittelbar wahrgenommen und die Erkenntnis vom Zusammenhang von Laut- und Schriftsprache gefördert
werden.
Graphomotorische Vereinfachung
Bei graphomotorischen Schwierigkeiten erfährt das Kind eine enorme Entlastung
durch die Tastatur: Endlich kann es seine Energie in die Inhaltsvermittlung stecken,
anstatt sich mit dem Malen von Buchstaben abzumühen. Die Buchstaben muss das
Kind nur auswählen, nicht selber formen. Die Schreib bewegung ist damit formauslösend, nicht formvollziehend.
Neutralität
Der Computer gibt gefühlsneutrale Rückmeldungen über Erfolg und Misserfolg, wie
sie Menschen niemals geben können. Das Kind muss nicht den nächsten Blick der
Logopädin befürchten, sondern hat ein gänzlich emotionsfreies Gegenüber, das geduldig alles mit sich machen lässt. Das kann gerade im Leistungsbereich sehr entlastend
wirken.
Direktes Feedback
Bei Lernprogrammen werden unmittelbar korrigierende, nicht wertende Rückmeldun-
gen gegeben.
Sprachreduzierte Kommunikation
Lernen mit Hilfe der IKT erfolgt prinzipiell auf der Inhaltsebene: nonverbale Elemente
wie Mimik, Gestik, Tonfall etc. können nicht unterstützend eingesetzt werden. Das
Lesen und Schreiben
Und damit sind wir beim nächsten Vorteil, dem Lesen und Schreiben: schreibt ein
Kind einen Text am Computer, so kann im Text immer wieder gelöscht, eingefügt und
umgestellt werden. Der ganze Stress, beim Schreiben an alle Faktoren denken zu
müssen, entfällt. In aller Ruhe können die einzelnen Schreibkomponenten in ein
Nacheinander aufgegliedert und in Teilschritten bearbeitet werden. So kann das Kind
sich zunächst auf die Inhaltsvermittlung konzentrieren, in einem zweiten Schritt dann
vielleicht die Satzkonstruktionen unter die Lupe nehmen, dann die Gross- und Kleinschreibung usw. Entsprechend viel grösser ist auch die Bereitschaft zu Änderungen als
bei Papier und Bleistift. Am Schluss steht immer ein schönes Endprodukt, dem man
fördert die Konzentration auf das Wesentliche.
Individualität und Flexibilität
Bei Lernprogrammen können Tempo und Schwierigkeitsgrad häufig variiert werden.
Viele Programme erlauben ein individuelles Anpassen von Texten und Aufgaben. Ein
ständiges Umgestalten des Textes, ein Überdenken und Wieder-Ändern ist möglich.
Kontrollmäglichkeit
Leistungsprotokolle können bei Lernprogrammen den Lernzuwachs sichtbar machen
und geben einerseits Hinweise für eine qualitative Fehleranalyse und motivieren das
Kind andererseits dazu, beim nächsten mal noch besser zu sein.
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behaupten und lernt, seine Meinung zu vertreten.
Fachpersonen.
Bereits sehr gut präsent im Internet ist die Buch-, Software- und Therapiematerialindustrie. Man kann fast alles online bestellen oder sich zumindest über die verschiedenen Produkte informieren.
Natürlich lässt sich das Internet auch in der Therapie einsetzen. Mit der zunehmenden
Vernetzung der Schulen werden je länger je mehr Internetanschlüsse auch in Logopädiezimmern zur Verfügung stehen. Was liegt also näher, als diese sinnvoll in der
Therapie zu nutzen:
Mit dem Internet erhält heute ein Kind unzählige Möglichkeiten, sich Informationen
und Kontakte zu schaffen. Das Surfen im Netz ist schnell zu lernen und gehört heute
zu den grundlegenden Kulturtechniken, die sprichwörtlich jedes Kind beherrschen
muss. Das Internet dient als Informationsquelle für Projekte, Vorträge, die Schülerzeitung usw. Spezielle Suchmaschinen für Kinder wie etwa die "Blinde- Kuh.de" und
unzählige Kinderseiten laden zum Schmökern, Lesen und Suchen von Informationen
ein. E-Mail ist ein weiteres Beispiel, wie sich die Faszination, die Kinder häufig für den
Computer im allgemeinen und für das Internet im speziellen hegen, in therapeutisches
Potential umsetzen lässt. Nichts funktioniert besser als Schreib- und Leseanlass, als ein
anregender E-Mail-Verkehr in die ganze Welt.
Ich behaupte, dass Kinder dank Internet und E-mail soviel lesen und schreiben wie
schon lange nicht mehr. Eine Liste mit einigen Dutzend sinnvollen Internetadressen
Grenzen
Computer dürfen nicht als >Wundermittel< eingesetzt werden mit Erwartungen, die sie
nicht erfüllen können. Sie sind ein Medium unter anderen, und so ist nach wie vor die
Qualität der Therapie ausschlaggebend.
Es kann nicht darum gehen, dass Computer anstelle von pädagogischer Betreuung
eingesetzt werden, sondern sie sollen dort sinnvoll ergänzen, wo andere Medien weniger geeignet sind. Es gilt, die IKT als gleichberechtigtes Medium neben vielen anderen
zu akzeptieren und zu benützen.
Die beste Technik ersetzt ein pädagogisches Konzept nicht.
Jeder muss sich also überlegen, wie er persönlich den Computer in sein therapeutisches
Gesamtkonzept einbetten möchte, wie er persönlich den Einsatz des Computers in der
Logopädie verstehen möchte.
Einsatz der IKT In der Therapie:
In der Therapie sehe ich heute vor allem folgende Einsatzbereiche:
Im Bereich des Schriftspracherwerbs sind die meisten Lernprogramme erhältlich. Der
Einsatz des Computers in diesem Bereich ist naheliegend und hat sich bereits etabliert.
Auch im Bereich der Dyskalkulietherapie sind besonders reine Übungsprogramme
beliebt. Im Bereich der Stimmtherapie sowie der Artikulationstherapie bei SprachSprech- und Hörstörungen sind diverse Produkte erhältlich. Ich denke da beispielsweise an den SpeechViewer, herausgegeben von IBM, der sprachliche Äusserungen nach
bestimmten Merkmalen in ein visuelles Feedback umsetzt.
Des weiteren sind viele Programme erhältlich, die die visuelle Wahrnehmung fördern.
und Links kann bei der SAL bestellt werden.
7.
Fribourg, "Training kognitiver Strategien", erhältlich sind.
Softwarediagramm
Heute gibt es Tausende von verschiedenen Programmen für alle möglichen Aufgabenbereiche. Der grosse Markt an Software für Kinder gestaltet sich auf den ersten
Memoryartige Spiele gehören zu den Klassikern unter den Computerspielen, ebenso
gibt es viele Multimediatitel, die sich mit Problemen von Form, Farbe, Serialität usw.
auseinandersetzen.
Als letzten Bereich möchte ich die Förderung kognitiver Funktionen nennen, wozu
ebenfalls spezifische Programme, wie z. B. die Software von Dr. Felix Studer, HPI
Internet In der Logopädie?
Einen wesentlichen Anteil an der IKT hat heute das Internet. Dieser weltweite Verbund von Millionen von Computern eröffnet für uns alle ungeahnte Möglichkeiten.
Für die Therapievorbereitung lässt sich das Internet als Informationsquelle nutzen. Im
Moment ist die Fachinformation, v. a. in Bezug auf die Schweiz, noch etwas mager,
aber sowohl die Ausbildungsinstitute als auch z. B. der DLV arbeiten an neuen
Webangeboten. Mit Sicherheit wird das Internet über kurz oder lang zu unserer wichtigsten Informationsquelle werden. Völlig selbstverständlich nutzen bereits viele von
uns die E-Mail-Technologie, um Kontakt zu halten mit Kollegen, Lehrern und anderen
Soziales Miteinander
Wenn zwei oder mehr Kinder gemeinsam am Computer arbeiten, so wird automatisch
über Schreibweisen und Formulierungen diskutiert. Dabei muss sich ein Kind auch
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Eigenverantwortung
Durch das Arbeiten am Computer übernimmt das Kind automatisch die Eigenverantwortung, die Maschine korrekt und sorgfältig zu bedienen. Es lernt, sich kritisch mit
dem Medium auseinanderzusetzen und vor allem auch, dass der Computer nicht nur
Spielzeug, sondern auch ein Arbeitsinstrument ist.
4.
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Blick als sehr unübersichtlich. Da steht man vor einem Gestell von unzähligen Programmen, die alle therapeutisch von wunderbarem Nutzen sein sollen.
Das folgende Diagramm soll Ihnen einen grundlegenden Überblick über die ver-
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schiedenen Bereiche im Softewaremarkt geben.
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Softwareangebot
I
Bildung &
Unterhaltung
Standardsoftware
H Spiele
-
-
Denkspiele
Reaktionsspiele
Kombinierte Denkund Reaktionsspiele
Abenteuerspiele
Simulationsspiele
Spezialsoftware
Texterverarbeitung
H Datenbanken
Integrierte
Software
-
1
-
-
-
-
elektronische Bücher
elektronische Bilderbücher
elektronische Lexika
Musiktitel
Abenteuerspiele
Simulationen
Informationssysteme
Edutainment
>getarnte< Lernspiele
Abenteuerspiele mit
Lerninhalten
Elektronische (Bilder-)Bücher
Hypermedia Umgebungen
AnwendungsProgramme für
Kinder
-
-
Textverarbeitungen
Mal- bzw. Zeichenprogramme
Datenbanken
Benutzeroberflächen
Authorware
Programmiersprachen
Spezielle
Lern- und
Therapieprogramme
Betriebssysteme
_I
Utilities
1
Authorware &
Programmiersprachen
Multimedia
-
-I
Grafiksoftware
Diverse
Software:
Technische,
3D,
Video,
Musik
etc.pp.
Kommunikationssoftware
Tabellenkalkulation
Branchensoftware
In Unterricht und Therapie ...
CJ
... mehrheitlich einsetzbar
CJ
c=J
... eventuell einsetzbar
c=J
... i. d. R. nicht einsetzbar
Die Kategorie Bildung und Unterhaltung ist für uns von besonderem Interesse, da ihr
alle Lern- und Therapieprogramme zuzuordnen sind.
Zur Standardsoftware gehören all jene Programme, die der Durchschnittsanwender
benützt. Für uns relevant ist hier die Textverarbeitung.
Und zur Spezialsoftware gehört all jene spezifische Software, die uns für die Logopädie
nicht interessiert, wie beispielsweise Programme für Zahnärzte oder Architekten usw.
Bildung und Unterhaltung
Einen grossen Bereich machen hier die unzähligen Spiele aus. Von Denkspielen über
Reaktions- und Abenteuerspielen bishin zu Simulationsspielen ist hier alles erhältlich.
Nicht wenige von ihnen haben durchaus einen therapeutischen Nutzen, v.a. für die
visuelle, auditive und kognitive Förderung.
Die Bereiche Multimedia und Edutainment wachsen heute immer mehr zusammen.
Multimedia meint nichts anderes, als dass eine Software verschiedene Medien wie
Text, Bild, Film, Animation ~nd Ton in einem Produkt vereint. Vor ein paar Jahren
gab es vorwiegend noch trockene schwarz-weiss-Lernprogramme, die bei richtiger
oder falscher Antwort vielleicht noch einen Signalton von sich gaben. Heute sind CDRoms für Kinder praktisch alle multimedial: bunt, tönend und einfach zu bedienen.
Edutainment ist ein Neologismus und setzt sich zusammen aus Education (Erziehung)
und Entertainment (Unterhaltung). Es geht hierbei also um Programme, die auf spielerische Weise einen bestimmten Lerninhalt vermitteln wollen. Edutainment ist der
derzeitig gross boomende Bereich: heute werden CD-Roms angepriesen, die in Geschichten oder Abenteuer verpackt dem Kind zu verbesserter Lesefähigkeit usw.
verhelfen sollen. Anwendungsprogramme für Kinder sind Programme, die herkömmliche Computersoftware wie eine Textverarbeitung für Kinder attraktiv machen. Ein
Standardprogramm ist für Kinder vielleicht zu kompliziert und hat zuviele Funktionsmöglichkeiten, so dass es Programme gibt, die einfacher zu handhaben und meist mit
Animationen und Geräuschen bunt und fröhlich gestaltet sind. (Bsp: Disneys Kreatives
Zeichenstudio.) Lern- und Therapieprogramme dienen dem konkreten Vermitteln
bestimmter Lerninhalte.
voraussetzung für den
Betrieb eines computers
Drill and Practice
Tutorien
Strategievermittelnde Lernprogramme
Erwachsenenbildungssoftware
Ich unterteile den Markt in 3 Bereiche: Bildung und Unterhaltung, Standardsoftware
und Spezialsoftware.
Standardsoftware
Im Bereich der Standardsoftware ist für die logopädische Therapie besonders die
Textverarbeitung relevant. Mit einer einfachen Textverarbeitung wie Apple W orks
(früher ClarisWorks) oder Word ergeben sich viele kreative Möglichkeiten für die
Therapie.
Ich empfehle allen wärmstens, sich ein Textverarbeitungsprogramm anzuschaffen und
dies genauer kennenzulernen. Ich bin der Meinung, dass man mit einer Textverarbei-
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tung und einigen wenigen CD-Roms in der Therapie gut fährt. Es ist rein aus Kostengründen für die allermeisten von Ihnen wahrscheinlich ebenso unmöglich wie für
mich , sich immer die neuesten CD-Roms anzuschaffen. Durchschnittlich kostet eine
CD-Rom im Bereich Lernsoftware zwischen 35.- und 70.- Fr. Spezifische Therapiesoftware wie bspw. der AudioLog kosten um die 700.-, der SpeechViewer um die
1400.- Fr. Es ist also durchaus abzuwägen, wofür man sein Jahresbudget veranschlagen möchte.
Integrierte Software beinhaltet meist eine Textverarbeitung, eine Tabellenkalkulation
und ein Mal-und/oder Zeichenprogramm in einem, wie etwas AppleWorks oder
MSWorks.
Grafiksoftware dient dem Verarbeiten von Bild und Grafikmaterial. Die Bedienung
von Grafiksoftware ist heute immer noch relativ kompliziert und bedingt einiges an
Fachwissen.
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ergeben sich natürlich mehr Einsatzmöglichkeiten für die Therapie. Weiter stellt sich
hier die Frage nach der Qualität des Inhalts. Dies kann nur von jedem subjektiv beurteilt werden. Bei der Bedienerführung und der Gestaltung geht es darum, wie ein Kind
durch das Programm geführt wird, wie also die verwendeten Symbole und Darstellungsformen auf dem Bildschirm realisiert sind. Sind sie klar, überschaubar und leicht
verständlich oder verwirrend und unübersichtlich? Wenn ich selber eine Viertelstunde
benötige, um herauszufinden, wie das Programm zu bedienen ist, scheidet es für mich
grundsätzlich schon mal aus. Viele Edutainment-Programme haben heute eine einfache
intuitive Bedienerführung mit wenigen Buttons.
Weiter kann man das Programm auf seine Attraktivität hin anschauen: Wie ist es in
Form und Farbe gestaltet? Ist es ansprechend und witzig oder wirkt es künstlich aufgesetzt und unansprechend? Man kann sich auch überlegen, ob die graphische Gestaltung die inhaltliche Absicht unterstützt: Ich denke da z.B. an das Leselernprogramm Addy: eigentlich geht es ums Lesenlernen, aber tatsächlich findet nach ein paar
richtigen Mausklicks wieder ein Tänzchen, eine Animation oder irgendwelcher Brimborium statt, der das Kind motivieren soll. Das ganze ist so aufgebauscht mit irgendwelchen langweiligen Aktionen, dass man sich wirklich fragen muss, ob es das Geld
wert ist.
Bei der Rückmeldung geht es um die Art des Feedbacks an das Kind. Viele Programme
geben nur sehr einfache Rückmeldungen wie "richtig" oder "falsch" oder geben
einfach die richtige Lösung vor, ohne dass dem Kind ein Hinweis auf die Fehlerursache gegeben wird. Differenzierte Rückmeldungen könnten z.B. ein Hinweis auf einen
möglichen Lösungsweg sein und sind natürlich von wesentlich grösserem Nutzen in
der Therapie.
So ist es natürlich auch so, dass Programme, welche das Kind zum Denken animieren
effektvoller sind als solche, die eine Ratestrategie geradezu herausfordern.
Ein ganz wichtiger Punkt ist hier noch die Frage nach den generellen Wartezeiten im
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teilung von Software zu geben. Stellen Sie sich vor, Sie stehen in einem Laden und Sie
möchten eine CD-Rom kaufen. Worauf können Sie nun achten?
Zunächst die Kriterien, die die Software an und für sich betreffen und die von der
Technik determiniert sind. Beim Inhalt geht es um die Frage, ob ein bestimmter Inhalt
vorgegeben ist, wie z.B. bei Bezug auf ein bestimmtes Lehrmittel, oder ob sich der
Inhalt von der Therapeutin/dem Therapeuten variieren lässt. Bei flexiblem Inhalt
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Software
Im folgenden geht es mir nun darum, Ihnen einige Gedankenanstösse für die Beur-
Beurteilung von Software
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Programm. Man kann sich z.B. fragen, ob jederzeit die Möglichkeit besteht, das
Programm zu verlassen oder ob man per Mausklick an einen bestimmten Ort im
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Programm gelangen kann, ohne zunächst eine vorgegebene zeitliche Chronologie
durchlaufen zu müssen. Es gibt nichts nervtötenderes als ein Programm, bei dem man
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jedesmal den gesamten Vorspann und die Einleitungsgeschichte anhören muss, bis
man mal starten kann. Spätestens beim dritten mal ist es schlichtweg langweilig. Auch
innerhalb eines Programms kann man sich achten, wieviele grundsätzliche Wartezeiten
unumgänglich sind. Besonders bei möchte-gern-motivierenden-Lernprogrammen, die
definiertes Üben als Inhalt haben, wird als vermeintliche Belohnung für einen richtigen
Mausklick gerne eine Attraktion auf dem Bildschirm vorgeführt.
Absicht
Als nächsten Punkt kann man sich Gedanken über die eigene Absicht beim Einsatz
eines bestimmten Programmes machen: Man muss sich im klaren darüber sein, wozu
man ein bestimmtes Programm einsetzen möchte, das Einsatzziel.
Man kann sich fragen, ob man Auswertungsmöglichkeiten eines Lernprogramms
benötigt oder darauf verzichten kann. Wenn solche vorhanden sind, kann man quantitative und qualitative Analysen unterscheiden. Viele handelsübliche Lernprogramme
sind immer noch auf das Zählen von Fehlern ausgerichtet und damit quantitativ,
wobei qualitative Hinweise der Therapie wesentlich dienlicher sind.
Beim Punkt kreativ oder üben geht es um die Frage, wie man den Einsatz eines bestimmten Programmes in der Logopädie verstehen möchte. Geht es einem darum, den
Computer als kreatives Medium zur offenen Gestaltung in der Therapie zu nutzen
oder versteht man das Gerät als Trainingsmaschine im Sinne von Nachhilfeunterricht?
Und Sie merken hier vielleicht, dass es sehr auf die eigene Person, den eigenen Therapiestil, das eigene Verständnis der Therapeutenrolle ankommt, welche Software man
am Schluss für sich auswählt. Es ist deshalb auch sehr schwierig zu sagen, welche
Programme gut oder schlecht sind, weil die Beurteilung sehr stark vom eigenen Denken und Rollenverständnis abhängt.
Kind
Hat man nun ein bestimmtes Programm vor sich, das man bei einem bestimmten Kind
einsetzen möchte, kann man sich fragen, ob das Programm dem Alter des Kindes
gerecht wird, d.h. ob sowohl der Inhalt als auch die graphische Aufmachung adäquat
sind. So motivieren irgendwelche kleinkindlichen Motive kaum mehr Kinder im
Schulalter. Bei der Stufengerechtheit geht es darum, sich zu überlegen, ob das Programm dem entwicklungspsychologischen Stand des Kindes gerecht wird. So ist es
natürlich sinnlos, mit einem Kind ein Rechtschreibprogramm zu machen, wenn es die
zugrunde liegenden Rechtschreibregeln kognitiv noch gar nicht erfassen kann. Mir
geht es hier darum, darauf hinzuweisen, dass man immer ganz genau überlegen sollte,
wo das Kind in seinem Lernprozess steht und ob ein Programm tatsächlich innerhalb
dieses Lernprozesses hilfreich sein kann, um einen Schritt weiterzukommen.
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Und natürlich muss das Kind grundsätzlich motiviert sein, überhaupt mit dem Computer zu arbeiten. Schliesslich kann es nicht darum gehen, das Gerät auf Biegen und
Brechen bei allen Kindern einsetzen zu wollen.
Logopädie
Nun kommen wir zu den logopädischen Kriterien im engeren Sinne, die mir sehr am
Herzen liegen. Ich möchte diese deshalb auch an einem Beispiel anschliessend demonstrieren.
Es gibt sehr grosse Unterschiede, was die Sprachausgabequalität der Lernsoftware
angeht. Achten Sie sich grundsätzlich auf die akustische Verständlichkeit. Da gibt es
z.B. Programme, die Schwierigkeiten in der Realisierung von hohen Frequenzen haben,
so dass durchwegs gelispelt wird. Die akustische Verständlichkeit ist hier das eine zu
beachtende Kriterium, das Sprechtempo das andere. Sehr viel Lernsoftware kommt
heute aus Deutschland, und bekanntlich ist das Sprechtempo häufig erhöht im Vergleich zur Schweiz. Das kann gerade für "Logopädie-Kinder" ein grosses Problem
darstellen. Denn was nützt das beste Programm, wenn ein Kind verbal überflutet wird
und zeitlich in der auditiven Aufnahme nicht mitkommt? Auch muss man sich bewusst
sein, dass bei deutscher Software der Wortschatz natürlich entsprechend ist. Es wird
also z.B. von Semmel und Bürgersteig geredet, was in meinen Augen kein Nachteil sein
muss. Dennoch sollte man sich das bewusst machen.
Der für mich absolut wichtigste Punkt bei der Beurteilung von Software ist die Frage
nach dem Einbezug von wissenschaftlich fundierten Spracherwerbstheorien. Es ist
unglaublich, wie schnell und wunderbar unsere Kinder lesen und schreiben lernen
müssten, würden wir den Versprechen glauben, mit denen die Softwareindustrie ihre
Produkte anpreist. Da gibt es kaum eine CD-Rom, die nicht von "Pädagogen empfohlen", mit ,,6 Mäusen ausgezeichnet", "beste Software des Monats Januar" usw.
angepriesen wird. Besonders spannend sind auch die jeweiligen Tipps für Pädagogen,
welche besonders im boomenden Lernsoftwaremarkt häufig jeglicher Sprachwissenschaftlichkeit entbehren. Ich möchte Ihnen hier ein hübsches Beispiel nicht vorenthalten:
Ein häufig verkauftes Lernprogramm ist "Billi Banni, Interaktive Lesereise. Der komplette Kurs zum Lesenlernen ". Ich zitiere aus den formulierten Lernzielen der CDRom: "Die sprachwissenschaftliche Produktereihe von TLC (The Learning Company)
Tewi bietet altersgerechte Spiele, mit deren Hilfe Kinder ihre Lese-, Schreib- und
Sprechfertigkeit und ihr Hörverständnis spielerisch trainieren können. Der methodisch
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integrative Ansatz verbindet die lautorientierte mit der Ganzwortmethode. Die Reihe
besteht aus zwei Produktgruppen, Spielen, die das Erkennen von Buchstaben, respek-
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tive das Verstehen von Inhalten in den Vordergrund stellen."
Ich zitiere Seymour Papert, Schüler Piagets, aus seinem Buch "Die vernetzte Familie"
Welch sprachwissenschaftlicher Text! Was bitte hat das Erkennen von Buchstaben,
(Kreuz-Verlag 1998,49-51):
und wohlgemerkt, Buchstaben, nicht Graphemen, mit der lautorientierten Methode
"Die pädagogische Welt ist in der Diskussion verfangen, ob und wie weit man zu den
des Leseerwerbs zu tun?
"Grundlagen" zurück sollte; dies bedeutet weitgehend eine mechanische Vermittlung
Weiter hinten heisst es: "Die Spiele, die das schnelle Erkennen von Buchstaben zum
der drei Kulturtechniken: Lesen, Schreiben, Rechnen. Und während sich die Pädago-
Drill 'n Kill versus entdeckendes Lernen
Ziel haben, helfen dem Kind, seine Lese- und Rechtschreibfertigkeit zu verbessern.
gen hierüber streiten, hat die Software-Industrie für sich diese Frage schon lange
Hier steht die Laut-Buchstabenzuordnung im Vordergrund".
entschieden. Sie baut auf diesen Grundtechniken auf, und zwar speziell in dieser
Es geht also tatsächlich um die Zuordnung von Lauten und Buchstaben und hat daher
mechanischen Form, stärker als es selbst die konservativste Schulpolitik jemals gewagt
herzlich wenig mit dem entwicklungspsychologischen Prozess des Schriftspra-
hätte. Dies ist besonders sichtbar in Mathematik. Am Beispiel der Mathematik will ich
cherwerbs zu tun. Besonders im Bereich des Schriftspracherwerbs gibt es hier sehr viele
hier eine Denkweise illustrieren, die in sehr vielen Bereichen gilt.
Übungsprogramme, die irgendwelche Rechtschreibmuster trainieren sollen, die in
keinem Zusammenhang mit dem entwicklungspsychologisch fundierten Schriftspra-
In der Tat beherrscht die Industrie, die pädagogische Software herstellt, eine Sache am
cherwerbsprozess stehen. Zurück zu Billi Banni. Entsprechend werden auch die Spiele
besten - aber nicht, wie man am besten Mathematik lehrt. Sie verfügt vielmehr über
realisiert. Das Kind besucht auf seiner Lesereise verschiedene Buchstabenländer, die
ein ausgezeichnetes Wissen darüber, was man Eltern am einfachsten verkaufen kann.
jeweils als Buchstabenbezeichnung und nicht als Phonem ausgesprochen werden. Das
Software, die das Kind im Umgang mit Zahlen drillt, wird auch von unbedarften
ist leider bei sehr vielen Programmen der Fall. So heisst es bei Billi Banni" Willkom-
Eltern leicht als "Mathe" erkannt. Diese Software ist auch am einfachsten und billig-
men im Ern-Land oder Es-Land" usw. Im jeweiligen Land sind dann viele Gegenstände
sten herzustellen. So entspricht sie der sichersten Formel, in dem Softwaregeschäft
abgebildet, die mit jenem Laut beginnen sollten: Im Es-land das Saxophon, der Saft-
schnell Geld zu machen: mit Produkten, die billig hergestellt und leicht vermarktet
brunnen, aber auch die Spatzen und das Stinktier. Wie logisch für das Kind!
werden können. Denn diese Software entspricht dem kleinsten gemeinsamen Nenner,
Ganz besonders interessant ist auch die folgende Aussage: "Ein Kind, das in der Lage
den die breite Masse der Eltern in pädagogischer Hinsicht teilt. Auf diese Weise wer-
ist, Buchstaben zu den zugehörigen Lauten zu assoziieren und die Anfangs- und End-
den das intellektuelle Leben der Kinder und die Schulpolitik der Länder zunehmend
laute von Wörtern als Einzelelemente zu erkennen, wird eine wesentlich bessere Lese-
von kommerziellen Überlegungen bestimmt. Besonders Besorgnis erregend dabei ist,
fertigkeit entwickeln als andere Kinder:" Nun, der Kommentar erübrigt sich.
dass die falsch begründeten elterlichen Annahmen nicht nur ausgenützt, sondern
verstärkt werden, in einem Prozess, der eine gefährliche Abwärtsspirale in der Schul-
Was ich noch anmerken möchte: es geht mir nicht darum, die handelsübliche
politik unterhält.
Lernsoftware nur zu verteufeln. Aber man muss die Programme sehr genau unter die
Lupe nehmen und sich fragen, was man daraus machen kann oder nicht. Ich denke,
Ich will damit nicht die Software-Industrie verdammen. Manche Produzenten be-
wenn man die Schwachstellen eines Programmes genau kennt, kann man einiges auch
mühen sich, Material herzustellen, das andere Formen des Lernens unterstützt, wie die
in der Therapiesituation wieder ausgleichen oder direkt mit dem Kind darüber disku-
Entwicklung von Experimentierfreudigkeit, Problemlösungsstrategien und ima-
tieren. Es ist deshalb ganz wichtig, dass man vor dem Softwarekauf darauf besteht,
ginativen Ausdruck. Aber es wird diese verantwortungsvollen Produzenten nicht
das Programm anschauen zu können und nicht die Katze im Sack kauft. In grösseren
stören, wenn ich die Eltern auffordere, kritisch zu sein.
Buchhandlungen ist dies heute auch problemlos möglich.
Es ist an der Zeit abzubrechen und einige Alternativen in der Art des Denkens über
Es gibt keine Rezepte für gute oder schlechte Software, und es bleibt jedem von uns
Lernen zu betrachten. Mut macht mir dabei meine Erfahrung, dass sogar Eltern, die
nichts anderes übrig, als sich in Frage kommende Software in aller Ruhe anzuschauen
auf die üblichen Marketingstrategien hereinfallen, zu viel besseren Ideen gelangen,
und sich selber eine Meinung dazu zu bilden.
wenn sie angeregt werden, über ihr eigenes Lernen nachzudenken.
Dennoch möchte ich nun in einem letzten Teil darauf eingehen, wie denn der Compu-
Unter welchen Umständen lernen Sie am besten?
ter nun meiner Meinung nach konkret in der Logopädie eingesetzt werden kann.
Welches Lernen war für Sie in Ihrem Leben am nützlichsten?"
vorteile und Gefahren eines computereinsatzes in der Sprach-
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therapie mit Kindern
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therapie mit Kindern
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zynisch zusammengefasst. Er formuliert sie am Beispiel der Mathematik, was sich aber
grundsätzlich auch auf Bereiche wie Lesen und Schreiben übertragen lässt:
,,1. Behandeln Sie das Kind als eine "Antwortmaschine": Der Computer stellt eine
Frage, das Kind beantwortet sie, der Computer beurteilt sie als falsch oder richtig.
Naive Eltern betrachten dieses Vorgehen als "lernen". Machen Sie sich keine Sorgen,
wenn die Fragen trivial sind und sich wiederholen.
2. Fesseln Sie die Aufmerksamkeit: Setzen Sie Comics '" Soundeffekte ... Musik und
blödsinnige Reaktionen zum Auffinden von Hot spots ein. Naive Eltern betrachten
dies als "Anregung". Andere denken: "Fantastisch. So ist er wenigstens mal eine halbe
Stunde ruhig und beschäftigt".
3. Machen Sie sich keine Gedanken darüber, ob die Effekte irgendetwas mit dem
erwünschten Lernziel zu tun haben.
4. Entwickeln Sie keine Schuldgefühle. Es gibt keinen Beweis dafür, dass selbst der
beste Zahlendrill im Vorschulalter eine Auswirkung auf das spätere Verständnis von
Mathematik haben wird."
Ich möchte zum Schluss die beiden Arten von Lernen, Drill und entdeckendes Lernen
konkret am Beispiel des Schriftspracherwerbs mit je einem Programm vorstellen
Als Trainingsprogramm gibt es beispielsweise den Magister, Kehlhof-Software, das
wohl meist gekaufte Lernprogramm in der Logopädie. Es handelt sich hier um ein
Trainingsprogramm, das die Rechtschreibung von bestimmten einzugebenden Wörtern
in verschiedenen Spielformen trainiert, unabhängig von zugrundeliegenden Rechtschreibregeln oder Schriftspracherwerbsprozessen.
e
Im Gegenstück dazu existiert das Programm Löwenzahn, eine CD-Rom zum Entdekken und Spass haben. Warum nicht gemeinsam mit dem Kind auf Entdeckungstour
gehen und darüber diskutieren? Die Ideen kommen dann ganz von alleine: So animiert
z.B. das Rezeptebuch zum Nachkochen der vorgestellten Speisen und das Kind liest die
Kochanleitung hochmotiviert, weil es eben nun Löwenzahnhonig kochen möchte und
sich notieren muss, was es dazu das nächste mal mitbringen muss. Oder es möchte
selber ein Rezept oder eine Bastelanleitung gestalten und diese weiterverschenken. So
ist das Kind intrinsisch motiviert und aktiv am Lese- Schreibprozess, ohne dass Druck
und Zwang dahinterstehen.
Denn:
"Jedesmal, wenn wir einem Kind etwas beibringen, hindern wir es daran, es selbst zu
entdecken" .
Jean Piaget
Zurück zur Software. Das Kind selber Lösungswege entdecken zu lassen, bedeutet für
mich, Software zur Verfügung zu haben, die kreatives Spielen und Handeln möglich
macht. Software, die Spass bringt und mit der man experimentieren kann im Gegensatz zu sturen Drillprogrammen. Die Gestaltungsmerkmale der sturen Drillprogramme
hat wiederum Seymour Papert in seinem Buch "Die vernetzte Familie" (50) wunderbar
SAL-Bulletin Nr. 94
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Nun, das dürfte kaum der Drill gewesen sein, aber in der Logopädie scheint er wieder
sehr gefragt. Sprache ist nicht zum Trainieren da, sondern zum Entdecken! Logopädie
sollte einen Input setzen, einen Prozess auslösen. Das Üben und Übertragen in den
Alltag macht das Kind ganz von alleine, wenn es eine neue Struktur entdeckt hat.
Piaget nennt dies Assimilation, das Anwenden und Ausprobieren einer durch Akkomodation neu erworbenen Struktur in verschiedensten Bereichen. Und diese Form des
Ausprobierens findet im Alltag des Kindes statt. Wenn hingegen die Logopädin/der
Logopäde entscheidet, was das Kind zu üben hat, dann hört man häufig vom Transferproblem: das Kind kann etwas in der Therapie, wendet es aber ausserhalb des
Therapiezimmers nicht an. Es gibt kein Transferproblem! Das Transferproblem gestaltet sich meistens so, dass das Kind für die Logopädin etwas bestimmtes übt, für sich
selber dem aber keinen Sinn, keine Lebensrelevanz abgewinnen kann.
Und so muss man sich bei Trainingsprogrammen ganz ehrlich die Frage stellen: WEM
nützt der Drill? Geht es wirklich ums Kind oder dient er nicht auch der Logopädin? So
ein Trainingsprogramm hat einen klaren Inhalt, es misst sichtbare vermeintliche
Fortschritte, die Therapiestunde lässt sich damit zeitlich klar planen. Ein Trainingsprogramm bietet quasi für die Therapeutin einen sicheren Halt. Wenn man dann noch
ein Leistungsprotokoll ausdrucken kann, hat man ja den sichtbaren Beweis für Lernfortschritte und damit für die Legitimation der Therapie. Schliesslich wird diese Form
des Fortschritts, gemessen an der Fehlerzahl, auch von einfacheren Personen als Lernen verstanden, wie es Papert so schön formuliert hat.
Dabei wird es in Zukunft je länger desto wichtiger, ein Kind zum selbständigen Lernen
zu befähigen. Früher hat man einen Beruf erlernt, den man dann sein Leben lang
ausgeübt hat. Heute üben viele einen Beruf aus, den es bei ihrer Geburt noch gar nicht
gab.
Es geht also vermehrt um die Fähigkeit, zu lernen. Und besonders in der Therapie ist
es in meinen Augen deshalb wichtig, das Kind zu befähigen, selber Lösungswege zu
finden.
Vorteile und Gefahren eines computereinsatzes In der sprach-
selbst-gesteuertes, entdeckendes, konstruierendes, gestaltendes und begeistertes
Lernen Ist wirkungSVOll!
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vorteile und Gefahren eines computereinsatzes in der Sprach-
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therapie mit Kindern
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Literatur
Seymour Papert: Revolution des Lernens. Kinder, Computer, Schule in einer digitalen
Welt. Heise-Verlag 1994.
Seymour Papert: Die vernetzte Familie. Kreuz-Verlag 1998.
Sherry Turkle: Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet. Rowohlt-Verlag 1998.
Martin Sassenroth: Schriftspracherwerb. Entwicklungsverlauf, Diagnostik und Förderung. Haupt-Verlag 1991.
Thomas Feibel: Grosser Kinder Software-Ratgeber 1999. Verlag Markt & Technik
1999.
Silke Endtinger-Stückmann,: Computer in der Logopädie. Einsatz neuer Medien in der
Therapie von Schriftspracherwerbsstörungen. Verlag SZH 1998.