Perlen des Vergaberechts - Heid Schiefer Rechtsanwälte
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Perlen des Vergaberechts - Heid Schiefer Rechtsanwälte
FACHZEITSCHRIFT FÜR WIRTSCHAFTSRECHT APRIL 2015 04 www.ecolex.at 257 – 352 Rsp-Nr 95 – 136 Perlen des Vergaberechts Bestbieterprinzip, Fehlkalkulation, „Große Losregel“ ua Zulässig, anfechtbar? Aufrechnung in der Bankpraxis Herald Fund – FMA Wirklich keine Amtshaftung? Erbrecht und Unternehmensnachfolge StGB 2015 Strafzumessungspraxis Prozessökonomie streicht Unmittelbarkeit ABGB 27. Hauptstück (nF) GesbR-Reform SCHWERPUNKT VERGABERECHT IM AUFBRUCH 264 ecolex 2015 BVergG-Novelle 2015: Anwendungsbereich der für „Große Losregel“ neu Der die Vergabepraxis gerade im Baubereich bedeutsamen „großen Losregel“ wurde durch die E des VwGH v 23. 5. 2014 deutlich eingeschränkt, sodass der geschätzte Auftragswert von Losen iZm der „großen Losregel“ für die Wahl der Verfahrensart nicht (mehr) herangezogen werden kann. Die BVergG-Nov 2015 soll nun eine entsprechende Klarstellung im Gesetzestext bringen, die den Anwendungsbereich – entgegen der Ansicht des VwGH – wieder auf das ursprünglich angenommene und in der Praxis gelebte Maß erweitert. Diese geplante Änderung ist – im Gegensatz zu den Änderungen beim Bestbieterprinzip (s dazu Seite 260) – weitgehend unstrittig. STEPHAN HEID / DANIEL DEUTSCHMANN A. Das bisherige Verständnis der „großen Losregel“ 1. Berechnung des geschätzten Auftragswerts Der geschätzte Auftragswert eines Bauauftrags errechnet sich gem § 14 Abs 1 BVergG1) aus der Summe aller (Bau-)Lose. Dabei handelt es sich um einzelne Abschnitte eines einheitlichen Bauvorhabens,2) die aus technischen oder zeitlichen Gründen gebildet werden. Auch die Aufteilung eines Bauvorhabens in einzelne gewerbliche Tätigkeiten (zB Baumeister, Spengler, Maler etc), nach der österr Terminologie als „Gewerke“ bezeichnet, wird in § 14 Abs 1 BVergG ausdrücklich als ein Fall der Losvergabe genannt. Erfolgt die Vergabe eines Bauvorhabens in einzelnen Gewerken, so errechnet sich der maßgebliche geschätzte Auftragswert somit aus der Summe der Auftragswerte aller Gewerke (exkl USt), unabhängig davon, ob diese getrennt (Fachlosvergabe) oder gemeinsam (Generalunternehmervergabe) vergeben werden. Erreicht bzw übersteigt dieser kumulierte Wert den Schwellenwert von derzeit E 5.186.000,– (exkl USt) für Bauleistungen (§ 12 Abs 1 Z 3 BVergG), so müssen für die Vergabe aller Gewerke – unabhängig vom tatsächlichen Auftragswert des jeweiligen Gewerks – grds die Bestimmungen des Oberschwellenbereichs angewendet werden, wie insb die Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung. Im Unterschied dazu ist das entscheidende Merkmal für die Auftragswertberechnung von Liefer- und Dienstleistungen die „Gleichartigkeit“ der Leistungen.3) Gem § 15 Abs 3 BVergG bzw § 16 Abs 4 BVergG errechnet sich der geschätzte Auftragswert nämlich aus der Summe aller Lose gleichartiger Leistungen. Nach einer Leitentscheidung des (alten) Bundesvergabeamts iZm einem Lieferauftrag sind „gleichartige Lieferungen dann gegeben (. . .), wenn von einem im wesentlichen einheitlichen Bieterkreis nach gleichen Fertigungsmethoden aus vergleichbaren Stoffen Erzeugnisse hergestellt werden, die einem im wesentlichen einheitlichen Verwendungszweck dienen“.4) Ausgangspunkt für die Beurteilung der Gleichartigkeit von Dienstleistungen ist darüber hinaus das jeweilige „Fachgebiet“, in dem die Dienstleistung erbracht wird. Im Baubereich wird ähnlich den „Gewerken“ im gewerblichen Bereich bei den – häufig freiberuflichen – Dienstleistungen nach den jeweiligen Ausbildungsfächern auf Universitäten oder Fachhochschulen unterschieden (Architektur, Statik, Haustechnik etc). Nach hRsp sind daher Dienstleistungen des gleichen Fachgebiets zusammenzurechnen, wenn diese in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen.5) In Beantwortung einer alten Streitfrage stellt der EuGH in einer jüngeren E bei planungsbezogenen Dienstleistungen darüber hinaus auf die „innere Kohärenz und eine funktionelle Kontinuität“ der Leistungen ab und berechnet den maßgeblichen Auftragswert erstmals „fächerübergreifend“.6) Für den Baubereich resultiert daraus eine Zusammenrechnungspflicht aller bauspezifischen Dienstleistungen auch bei Einzelvergabe an unterschiedliche Fachkonsulenten (insb Zusammenrechnung von Architekturplanung und Fachplanungen, aber wohl auch von Projektsteuerungsleistungen sowie Überwachungs- und Kontrollleistungen).7) Erreicht bzw übersteigt der kumulierte Wert aller Leistungen den Schwellenwert von derzeit E 207.000,– (exkl USt) für Liefer- bzw Dienstleistungen gem § 12 Abs 1 Z 2 BVergG, so müssen Dr. Stephan Heid ist Partner bei Heid Schiefer Rechtsanwälte, Dipl.-Ing. Mag. Daniel Deutschmann ist Rechtsanwaltsanwärter bei Heid Schiefer Rechtsanwälte. 1) Bundesvergabegesetz 2006 idF BGBl I 2013/128. 2) Der „Vorhabensbegriff“ wird nach technisch-funktionalen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgelegt (grundlegend EuGH 5. 10. 2000, C-16/98, Stromnetz Vendée). 3) Gem ErwGr 19 der RL 2014/24/EU sind unter gleichartigen Lieferungen Waren für „gleiche oder gleichartige Verwendungszwecke“ zu verstehen, wie zB Lieferungen einer Reihe von Nahrungsmitteln oder von verschiedenen Büromöbeln. 4) BVA 21. 3. 1996, F-14/95 – 14; s auch BVA 23. 10. 2001, N-104/ 01 – 15, und 26. 9. 2013, N/0087-BVA/09/2013 – 29. 5) BVA 18. 12. 2009, N/0114-BVA/13/2009 – 19; VwGH 8. 10. 2010, 2007/04/0188, und 22. 6. 2011, 2011/04/0116. 6) EuGH 15. 3. 2012, C-574/10, Autalhalle. 7) Vgl UVS Steiermark 7. 2. 2013, UVS 443.15 – 3/2012 – 29. die Bestimmungen des Oberschwellenbereichs für sämtliche Lose angewendet werden. Alle Lieferbzw Dienstleistungen sind dann – unabhängig vom einzelnen Loswert – EU-weit auszuschreiben. 2. Die „große Losregel“ (aktuell) Aus der Rsp des EuGH resultiert somit eine umfassende Pflicht zur Zusammenrechnung und (daraus häufig folgend) zur EU-weiten Vergabe sämtlicher Gewerke eines Bauvorhabens sowie aller „gleichartigen“ Liefer- und Dienstleistungen. In vielen Fällen kann dies zu einem erheblichen Mehraufwand beim Auftraggeber führen: Soll zB im Vorfeld eines Bauprojekts eine Probebohrung mit einem geschätzten Auftragswert von E 30.000,– (exkl USt) beauftragt werden, so müsste grds ein aufwendiges EU-weites Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung durchgeführt werden, wenn der geschätzte Gesamtauftragswert aller (nachfolgenden projektbezogenen) Bauleistungen im Oberschwellenbereich liegt. Erleichterung für derartige Konstellationen, bei denen der kumulierte Wert aller Lose im Oberschwellenbereich liegt und bestimmte „Kleinlose“ einzeln vergeben werden sollen, ergeben sich aus der sog „großen Losregel“, welche folgendermaßen lautet: Bis zu 20% des Gesamtauftragswerts können nach den „Bestimmungen für die Vergabe im Unterschwellenbereich“ vergeben werden, sofern der geschätzte Auftragswert der jeweiligen Kleinlose bei Bauaufträgen unter 1 Mio Euro (exkl USt) bzw bei Liefer- und Dienstleistungen unter E 80.000,– (exkl USt) liegt.8) Korrespondierend zu dieser „großen Losregel“ bestehen auch Erleichterungen für eine Vergabe von Losen, deren Gesamtauftragswert im Unterschwellenbereich liegt („kleine Losregel“).9) Die „kleine Losregel“ spricht allerdings nicht nur allg von der zulässigen Anwendung der „Bestimmungen für die Vergabe im Unterschwellenbereich“ auf die jeweiligen Kleinlose, sondern – und daran knüpft der VwGH in seiner E v 23. 5. 2014 ausdrücklich an – ordnet darüber hinaus ausdrücklich an, dass betreffend diese Kleinlose auch „für die Wahl des Verfahrens“ die Unterschwellenregeln gelten.10) Die „kleine Losregel“ geht damit in ihrem Wortlaut über die „große Losregel“ hinaus. Diesem Unterschied wurde in der bisherigen Vergabepraxis allerdings keine Bedeutung beigemessen. 3. Die bisherige Anwendung der „großen Losregel“ Bis vor Kurzem ist man in der vergaberechtlichen Praxis – mangels einschlägiger Rsp – davon ausgegangen, dass durch die Anwendung der „großen Losregel“ auch im Oberschwellenbereich eine Erleichterung bei der Verfahrenswahl erzielt werden kann und der Auftragswert des jeweiligen Loses als geschätzter Auftragswert für die Wahl der Verfahrensart herangezogen werden darf.11) Demnach wäre bei Bauaufträgen zB die Direktvergabe bis zu einem Auftragswert des Kleinloses von E 100.000,– (exkl USt) oder ein nicht offenes Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung bis zu 1 Mio Euro (exkl USt) zulässig. Bei Dienstund Lieferleistungen könnte zB eine Direktvergabe bis zu einem Los-Auftragswert von E 80.000,– (exkl USt) erfolgen. Diese Erleichterungen – insb die Direktvergaben – werden in der Praxis von Auftraggebern gerne genutzt. B. Die abweichende Ansicht des VwGH zur „großen Losregel“ In einer aktuellen E zu einem Bauauftrag im Oberschwellenbereich hat der VwGH der bisherigen Ansicht eine Abfuhr erteilt und ist durch eine Wortinterpretation des § 14 Abs 3 und 4 BVergG zur Ansicht gelangt, dass die „große Losregel“ keine Erleichterung bei der Wahl der Verfahrensart der Lose normiert: „(. . .) § 14 Abs 3 letzter Satz BVergG spricht allgemein davon, dass für die Vergabe dieser Lose die Bestimmungen im Unterschwellenbereich gelten, enthält aber keine ausdrückliche Regelung, ob bei der Anwendung von Bestimmungen des Unterschwellenbereichs, die auf einen gewissen geschätzten Auftragswert abstellen, nun der geschätzte Auftragswert des einzelnen Gewerkes/Loses oder der geschätzte Auftragswert des gesamten Vorhabens heranzuziehen ist. Vielmehr ist solches in § 14 Abs 4 letzter Satz BVergG nur für Vergabevorhaben im Unterschwellenbereich vorgesehen (. . .).“ 12) Im Anwendungsbereich der „großen Losregel“ können somit nur die explizit durch das BVergG für den Unterschwellenbereich normierten Erleichterungen herangezogen werden, wie zB die erleichterten Bekanntmachungsvorschriften für den Unterschwellenbereich (§ 55 BVergG). Durch diese restriktive Auslegung des § 14 Abs 3 BVergG entfällt aber der für die Praxis wesentliche Vorteil der „großen Losregel“, nämlich die erleichterte Verfahrenswahl. Analog wird diese Auslegung des VwGH wohl auch auf Liefer- und Dienstleistungsaufträge anzuwenden sein, da die einschlägigen Gesetzespassagen ident sind. Für jedes auch noch so kleine Los eines Oberschwellenauftrags ist somit bis auf Weiteres ein (aufwendiges) Vergabeverfahren mit Bekanntmachung durchzuführen. C. BVergG-Nov 2015: „Große Losregel“ neu 1. BVergG-Nov 2015 Derzeit wird vom Bundeskanzleramt in Abstimmung mit den Bundesländern eine „kleine“ Novelle 2015 des BVergG 2006 vorbereitet, die der „großen“ Novelle 2016 zur gänzlichen Umsetzung der neuen EUVergaberichtlinien13) zeitlich vorgezogen werden soll und im gegebenen Zusammenhang auch eine geringfügige – aber entscheidende – Änderung der gesetzlichen Bestimmungen zur „großen Losregel“ vorsieht. 8) Siehe § 14 Abs 3 (Bauaufträge), § 15 Abs 4 (Lieferaufträge) und § 16 Abs 5 BVergG (Dienstleistungsaufträge). 9) Siehe § 14 Abs 4 (Bauaufträge), § 15 Abs 5 (Lieferaufträge) und § 16 Abs 6 BVergG (Dienstleistungsaufträge). 10) „Für die Wahl des Verfahrens zur Vergabe von Aufträgen im Unterschwellenbereich gilt als geschätzter Auftragswert der Wert des einzelnen Gewerkes“ (§ 14 Abs 4 BVergG). 11) Siehe zB Heid in Heid/Preslmayr, Handbuch Vergaberecht3 (2010) Rz 290 ff; Gölles in Gölles, Praxisleitfaden Bundesvergabegesetz 2006 (2009) 34. 12) VwGH 23. 5. 2014, 2013/04/0025. 13) RL 2014/24/EU; RL 2014/25/EU; RL 2014/23/EU. SCHWERPUNKT VERGABERECHT IM AUFBRUCH ecolex 2015 265 SCHWERPUNKT VERGABERECHT IM AUFBRUCH 266 ecolex 2015 2. Die „große Losregel“ neu Geplant ist nach aktuellem Stand, am Ende von § 14 Abs 3 Satz 3, § 15 Abs 4 Satz 3 und § 16 Abs 5 Satz 3 BVergG folgende Wortfolge jeweils zu ergänzen: „(. . .) für die Wahl des Verfahrens gilt als geschätzter Auftragswert der Wert des einzelnen Loses.“ Durch diese Neuregelungen soll „klargestellt“ werden, dass auch bei der „großen Losregel“ die unter diese Ausnahme fallenden Lose bzw Gewerke gemäß dem Regime des Unterschwellenbereichs vergeben werden können und dass daher – ebenso wie bei reinen Unterschwellenaufträgen („kleine Losregel“) – für die Wahl des Vergabeverfahrens der geschätzte Auftragswert der einzelnen Lose bzw Gewerke für die Wahl des zulässigen Verfahrens ausschlaggebend ist. Diese Klarstellung des Gesetzgebers verhilft damit der bisherigen Vergabepraxis zur „großen Losregel“ (wieder) zu rechtlicher Stabilität. Die unionsrechtliche Zulässigkeit dieser Regelungen ist dadurch gesichert, dass gemäß den neuen EU-VergabeRL die Vergabe bestimmter Kleinlose nicht nach den Bestimmungen dieser RL erfolgen muss.14) 14) Art 5 Abs 8 und 9 iVm Abs 10 der RL 2014/24/EU und Art 18 Abs 8 und 9 iVm Abs 10 der RL 2014/25/EU. D. Ausblick Mit Inkrafttreten der BVergG-Nov 2015 lebt die „große Losregel“ im bisherigen Verständnis der Vergabepraxis wieder auf und ermöglicht es Auftraggebern – wie vor der E des VwGH v 23. 5. 2014 –, Kleinlose eines Oberschwellenauftrags nach den Verfahrensarten des Unterschwellenbereichs zu vergeben. SCHLUSSSTRICH & & Der VwGH hat in seinem Erk v 23. 5. 2014 ausgesprochen, dass für die Vergabe von Kleinlosen aufgrund der unterschiedlichen Textierung von „großer Losregel“ (§ 14 Abs 3 BVergG) und „kleiner Losregel“(§ 14 Abs 4 BVergG) bei Ersterer nicht auf die erleichterten Verfahrensarten für Unterschwellenaufträge zurückgegriffen werden kann. Dies widerspricht der bisherigen einhelligen Praxis. Mit der BVergG-Nov 2015 soll eine „Klarstellung“ zugunsten der bisherigen Praxis erfolgen.