The Dark Side of the American Dream Die dunkle Seite des

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The Dark Side of the American Dream Die dunkle Seite des
Die dunkle Seite des amerikanischen Traums
The Dark Side of the American Dream
Stephan Berg
Stephan Berg
Gregory Crewdsons Fotografien kreisen um ein einziges großes Thema:
Doch spätestens wenn der Einbruch des Fremden in das Vertraute ge-
Gregory Crewdson’s photography revolves around a single large theme: the penetration of the repressed, eerie, and
den Einbruch des Verdrängten, Unheimlichen und des Nicht-Erklär-
schieht, endet dieser inszenierte Realismus Crewdsons und verwandelt
inexplicable into a supposedly protected, pretty world. With an energy that can clearly be described as obsessive, he
baren in eine vermeintlich heile, geborgene Welt. Mit einer durchaus
sich in einen bildmagischen Erfindungsgeist, der »die Ikonografie der
works to create a universe of images whose detailed and lovingly portrayed idyll is lastingly and irrevocably
obsessiv zu nennenden Energie arbeitet der Künstler an der Erschaf-
Natur und der amerikanischen Landschaft als Surrogate oder Meta-
destabilized. Given his preference for elaborately produced photographs, in which the supernatural plays a central
fung eines Bilderkosmos, deren liebevoll und detailreich ausgemalte
phern für psychologische Neurosen, Furcht oder Sehnsucht« benutzt.
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role, it may come as a surprise that Crewdson refers to himself as an “American realist landscape photographer”1 and
Idyllik nachhaltig und unaufhebbar destabilisiert wird. Angesichts der
Die Betonung des Abseitigen, von der Normalität Abweichenden ver-
thus places himself in the tradition of the great chroniclers of everyday American life from Walker Evans to Garry
Vorliebe Crewdsons für aufwändige Bildinszenierungen, in denen das
bindet Crewdson durchaus mit der von ihm außerordentlich geschätz-
Winogrand and William Eggleston. This self-description, however, is not as flirtatious and far-fetched as it sounds.
Übernatürliche eine zentrale Rolle spielt, mag es zunächst über-
ten Fotografin Diane Arbus, die wie niemand zuvor die dunklen und
In essence, Crewdson’s work is always concerned with charting small-town rural America, surveying life beyond the
raschen, dass er sich selbst als einen »American realist landscape pho-
fremden Seiten amerikanischer Realität ausgeleuchtet hat. Eindeutig
urban centers with precision and credibility. Although he lives in New York, he is interested in the unspectacular
tographer« bezeichnet und sich damit in die Tradition der großen
stärkere Parallelen weist seine Bildwelt aber zu Cindy Shermans Werk
America—the America of small suburbs of white and pastel wooden houses nestled into a soft landscape of gently
Chronisten amerikanischen Alltagslebens von Walker Evans über Garry
auf, beispielsweise zu ihren frühen Untitled Film Stills, aber auch den
rolling hills, all tinted by the warm evening sun of an endless Indian summer. It is an America of well-tended front
Winogrand bis William Eggleston einreiht. Dabei ist diese Selbst-
späten Horrorszenarien. Vor allem aber können seine Arbeiten mit den
yards and intersections with little traffic, of rocking chairs on wooden porches, and feudal living rooms furnished
charakterisierung nicht so kokett und weit hergeholt, wie sie sich
präzise inszenierten Leuchtbildern Jeff Walls in Verbindung gebracht
with a hint of kitsch; an America in which everything is close by, where the high school still looks exactly like it did
anhört. Auf einer fundamentalen Ebene geht es in den Arbeiten des in
werden. Wie dieser ist auch Crewdson daran interessiert, eine Welt zu
in the 1973 film American Graffiti. Naturally, therefore, it is also a picture world whose credibility largely derives
New York lebenden Fotografen immer auch um eine präzise und glaub-
erschaffen, die dank ihres minutiösen Realismus absolut glaubhaft ist
from its feeling like the sum of all those images of America one has already seen: a reality of the second degree that
würdige Vermessung des ländlichen, kleinstädtischen Amerika jenseits
und gleichzeitig das realistisch Mögliche immer wieder hinter sich
comes across with the convincingness of primary reality. An illusion that—unlike a copy—is superior to reality in
der urbanen Metropolen. Was ihn interessiert, ist ein Amerika jenseits
lässt. Und wie Wall fokussiert auch Crewdson in seinem Werk immer
that it recreates and perfects the original.
des Spektakulären mit kleinen hellgestrichenen Holzhaussiedlungen,
wieder die Nahtstelle zwischen Natur und Zivilisation. Trotz dieser Pa-
But when the foreign penetrates the familiar, at the latest, Crewdson’s engineered realism ends; it turns into a
die locker in eine weiche, sanft geschwungene Hügellandschaft ge-
rallelen unterscheiden sich beide Fotografen in anderen Punkten
magical picture-making ingenuity that uses “the iconography of nature and the American landscape as surrogates
bettet und vom warmen Abendlicht eines endlosen Indian Summer
grundlegend voneinander. Während Wall in seinen verführerisch und
or metaphors for psychological anxiety, fear or desire.”2 His emphasis on the aberrant and abnormal clearly connects
überglänzt sind. Es ist ein Amerika der gepflegten Vorgärten und ver-
doch neonkalt strahlenden Bildmaschinen vor allem kunsthistorische
him with Diane Arbus, whose work he greatly appreciates, and who like no one before her illuminated the dark and
kehrsarmen Straßenkreuzungen, der Schaukelstühle auf Holzveranden
Vorbilder benützt und thematisch hauptsächlich soziale Konfliktsitua-
alien sides of American reality. Crewdson’s picture world reveals yet stronger parallels to Cindy Sherman’s work, for
und der plüschig und leicht kitschig möblierten Wohnstuben. Es ist ein
tionen innerhalb der amerikanischen Gesellschaft durchleuchtet, greift
example to her early Untitled Film Stills, and also to the later horror scenarios. His works can also be associated with
Amerika, in dem alles dicht beieinander liegt und in dem die High
Crewdson auf die Populärmythen des Hollywood-Kinos zurück und
Jeff Wall’s meticulously staged lightbox pictures. Like Wall, he is interested in creating a world whose minute real-
School noch genauso aussieht wie in dem 1973 entstandenen Film
erschafft daraus suggestive Bilder einer sich selbst entfremdeten, in
ism makes it absolutely credible and which at the same time always goes beyond what is realistically possible.
American Graffiti. Und damit ist es natürlich auch eine Bilderwelt, die
die Bodenlosigkeit der eigenen kollektiv beschädigten Psyche blicken-
Crewdson’s work, like Wall’s, always focuses on the interface between nature and civilization. Despite these paral-
ihre Glaubwürdigkeit wesentlich daraus bezieht, dass sie wie die
den amerikanischen Gesellschaft. Dass dieser Blick auf ein Ich, das sich
lels, the two photographers differ fundamentally in other respects. Whereas Wall uses chiefly art-historical models
Summe unzähliger bereits gesehener Amerika-Bilder wirkt: eine Wirk-
selbst zum Anderen geworden ist, durch den Vater des Künstlers, der
in his seductive yet cold neon picture machines and focuses in particular on social conflict situations in American
lichkeit zweiter Ordnung, die mit der Überzeugungskraft der Primär-
Psychoanalytiker war, quasi präformiert wurde, ist in vielen Texten und
society, Crewdson falls back on the popular myths of Hollywood cinema and uses them to create suggestive pictures
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realität auftritt. Eine Fälschung, die der Realität – im Gegensatz zur
auch von Crewdson selbst immer wieder angeführt worden.
Kopie – darin überlegen ist, dass sie das Original neu erschafft und da-
Interessanter als diese sicherlich wirkmächtige biografische Konstella-
This view of an ego that has become foreign to itself was essentially prefigured by the artist’s father, a psycho-
mit optimiert.
tion erscheint aber die spezifische Ikonografie, die der Künstler daraus
analyst, and this connection has been mentioned in numerous writings as well as by Crewdson himself.3
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of an American society that is alienated from itself and looks into the abyss of its own damaged collective psyche.
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