Freak Waves - Thomas Sessler Verlag

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Freak Waves - Thomas Sessler Verlag
FREAK WAVES
Thomas Glavinic
Auf das riesige Passagierschiff „Saratoga“ rast eine 40 m hohe Wasserwand zu.
Ein einziger Gast sitzt in dem Moment noch vor dem Panoramafenster der Bar über Deck
und sieht dem Kellner dabei zu, wie er immer grüner im Gesicht wird. Dieser einzige Gast
ist Nino, um die 30.
Das Schiff birst, es gibt keine Überlebenden, außer Nino und ... Insgesamt fünf Mal wird
diese Situation durchgespielt. Nino strandet auf einer einsamen Insel, abseits jeder Zivilisa0
tion. Und jedes Mal trifft er auf einen anderen Weggefährten, eine andere Weggefährtin.
ERSTENS: Helena. Die dralle 650Jährige erwacht aus einer Ohnmacht, als sie, durch die
Schwimmweste gerettet, auf die einsame Insel zutreibt, auf der Nino bereits steht. Zwischen
den beiden gibt es von Anfang an nichts als Streit: Sollen sie die Hütte oben im Dickicht bau0
en, wo die Gefahr besteht, dass sie von Tieren angegriffen werden, oder unten am Wasser,
wo sie zwar vor Unwettern nicht geschützt sind, aber von wo aus sie ein eventuell vorbeifah0
rendes Schiff wenigstens bemerken würden? Helen behauptet, sie glaube an Gott, während
Nino ihr vorwirft, sie glaube nur an Versicherungen. Nino versucht verbissen, Feuer zu ma0
chen, um die gemeinsame Hütte abzufackeln, bevor eine sich ihnen nähernde Wasserhose
alles mit sich reißt, Helena flüchtet sich ins Dickicht. Aber nach mehreren Monaten sehen
beide ein, dass sie doch mal wieder einen Abend gemeinsam verbringen könnten.
ZWEITENS: Vater Pippo, ein älterer Pfarrer aus Würzburg, wird von Nino gerettet. Er
macht Nino mit seiner Schicksalsergebenheit und seinem andauernden Beten mehr als
wahnsinnig. Aber es nützt nichts, sich mit dem Geistlichen anzulegen, dessen Antwort
bleibt immer dieselbe: „Uns traf die Faust des Herrn.“ Nach einigen Tagen wird eine Kiste
angeschwemmt, die wohl von der Saratoga stammt. Darin: 8 Flaschen Whisky. Erst verteu0
felt der Pfarrer diese Himmelsgabe, doch als er fast an einem eitrigen Zahn krepiert, weiß
er seinen Rausch zu schätzen...
NINO:
Selbst wenn es ein Paradies gibt, kann ich mir nichts vorstellen, was so
schön ist, dass ich es dauerhaft machen möchte. Stell dir mal einen
Orgasmus von drei Wochen Länge vor.
DRITTENS: Darf das wahr sein??? Das ist ... Das ist doch – TOM CRUISE! Als er sich von
dem ersten Schock erholt, darf Nino mit dem Megastar zusammen nasses Holz sammeln, das
dieser mit einem kaputten Feuerzeug anzünden will. Ja, ja, der amerikanische Optimismus!
FREAK WAVES
TOM:
NINO:
TOM:
NINO:
TOM:
Wenn ich nicht bald wieder spielen kann, werde ich wahnsinnig.
Soll ich dir auch noch einen Fußball basteln?
Du redest Scheiße, wenn du aufstehst, du redest Scheiße, wenn du liegst,
du redest Scheiße, wenn du gehst, du redest Scheiße, wenn du sitzt, und
wenn du schläfst, redest du auch Scheiße. Ich rede vom Schauspiel.
Ich rede von Kunst. Ich rede davon, dass etwas in mir ist, das hinaus will.
Kein Wunder, dass so einer dauernd von Scheiße redet.
Weißt du was? Du…
Da kann Nino als Alteuropäer nicht so ganz mithalten. Doch mit der Zeit stellt sich heraus:
Auch Tom Cruise ist einer, der ab und zu Zweifel hat. Er fragt sich, ob er wirklich noch im0
mer ein großer Künstler ist. Ob es einen Gott gibt. Und ob sein Schwanz groß genug ist.
VIERTENS: Burli will nicht sagen, wie er heißt. Das geistig behinderte Kind kommt in ei0
nem Schwimmreifenentchen auf Nino zugelaufen und ruft immerzu „Wursti“. Wenig später
weiß Nino, das „Wursti“ vieles heißen kann: Das ist das, was man sich in den Mund steckt,
wenn man Hunger hat, aber auch das, was unten wieder rauskommt. Und natürlich das
Körperteil, an dem Burli am Liebsten herumspielt! Nino hat alle Hände voll zu tun, um das
Feuer und die Hütte vor Burlis spielerischen Angriffen zu schützen.
FÜNFTENS: Carina ist Mutter von zwei Kindern. Auch Nino hat Familie. Dennoch funkt es
sofort zwischen den beiden. Ist ja sonst niemand da ...
CARINA: Glaubst du eigentlich an Gott?
NINO:
Was sind denn das für schaurige Fragen vor Einbruch der Dunkelheit?
CARINA: Ich habe dich noch nie beten gesehen, nicht mal in den ersten Nächten,
als du krank warst.
NINO:
In erster Linie hasse ich sein Bodenpersonal. Dann kommt erst er
selber dran.
CARINA: Wie, willst du sagen, du hasst Gott?
Dass Carina ihren neuen BH irgendwann mal dazu benützten würde, eine Art Beerenkaffe
abzuseihen, hätte sie auch nicht gedacht! Nino und Carina essen meistens Sushi, weil sie
noch kein Feuer haben. Und fragen sich, was sie machen würden, wenn sie plötzlich geret0
tet wären... Doch mit Carina soll es kein gutes Ende nehmen.
SECHSTENS: Thomas Glavinic spaziert am Strand entlang. Auf Ninos Frage, ob er auch auf
dem Schiff gewesen sei, antwortet er mit Nein. Als Nino sagt, er wolle gerettet werden, schickt
Glavinic ihm ein Boot der Küstenwache vorbei: Auf dem sitzen schon Tom Cruise, Vater
Pippo, Helena, Burli und Carina. Nino steigt ein. Glavinic bleibt allein auf seiner Insel zurück.
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