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Manuskriptservice
Verkündigungssendungen der
Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
Hessischer Rundfunk: Sonntagsgedanken
hr1 - 8:40 Uhr
Pfarrer Stephan Krebs
7. Oktober 2007
Darmstadt18. Sonntag nach Trinitatis
Weißt du noch …? – The Police
Sie sind wieder da! Und sie sind ganz in unserer Nähe, die drei von The Police. Morgen
wird das altgediente Rocktrio in Mannheim auftreten. Vor 23 Jahren hatten sie sich
getrennt - nach fünf Jahren Welterfolg ohnegleichen. Und nun spielen sie wieder zusammen! Mittlerweile sind sie drei gesetzte, ältere Herren, und ihr „Roxanne“ erreicht
die Ohren ebenfalls etwas älterer Fans.
Police sind nicht die einzigen Grüße aus der Vergangenheit. Etliche Rocklegenden
kehren in die Gegenwart zurück und finden ihr Publikum. Heute auf modernem Wege.
Das Konzert der reaktivierten Spice Girls wurde gerade via Internet innerhalb von
36 Sekunden ausverkauft. Und nicht nur die Musik kommt aus der Vergangenheit
zurück. Auch Autos wie zum Beispiel der Mini. Neu aufgemöbelt, aber mit dem alten
Charme von damals kommt er daher und wird vielfach gekauft. Lebensgefühl inklusive. Merkwürdig ist das schon. Zumindest neu, denn die Generationen davor hatten in
ihrer Jugend kaum etwas, wohin sie sich zurücksehnen könnten oder wollten. Zu viel
Not, Krieg, NS-Terror. Da guckt man lieber nach vorne.
Der Blick zurück ist mir als Christ und Pfarrer nicht fremd. Es ist ein Merkmal des
christlichen Glaubens, dass er sich auf Erinnerungen aus alter Zeit bezieht. Die Bibel
ist voller Geschichten über Gott und die Leute von früher – erzählt für Leute von heute. Daraus schöpft der Glaube viel Kraft, denn in den Geschichten lassen sich die
Spuren Gottes finden, und sie lassen sich von da an bis heute verfolgen. Also: Aus
alten Geschichten etwas für das heutige Leben zu lernen, das ist mir sehr vertraut.
Trotzdem frage ich mich, woher heute bei vielen Leuten diese Lust am Alten kommt?
Warum kaufen sich Menschen teure Eintrittskarten, bringen irgendwo ihre Kinder unter, reisen quer durchs Land und stehen dann verzückt auf den Stühlen, wenn The
Police „Message in a Bottle“ erklingen lässt?
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Ein Fan hat mir vorgeschwärmt: „Das ist so ein tolles Gefühl, die alte Musik wieder zu
hören.“ Klar: Die Musik ist eine Zeitreise ins Damals, Anfang der 80er, als man selber
jung war, in Aufbruchstimmung. Als man anfing, die Welt auf eigene Faust zu erkunden. Als man Straßen, Diskos und Urlaubsziele durchstreifte - auf der Suche nach
sich selbst. Diese Zeit ist zwar längst vorbei. Aber die Musik dazu ist wieder da. Heute
lässt sich nachholen, was damals unerfüllt blieb. Und mancher kann sich heute die
Eintrittskarte leisten, für die damals das Geld gefehlt hat. Und man kann testen, wie
die Musik heute wirkt. Gehe ich mit der Musik genauso mit? Habe ich noch Kontakt zu
meinen Erinnerungen? Passen mein Früher und meine Heute zusammen? Und viele
stellen erleichtert fest. Es passt noch.
Die Klänge von damals! Für die meisten ist es ein nettes Spiel, wenn sie zu einer
alten Band gehen oder ein anderes Retro-Angebot wahrnehmen. Nostalgie - eine
kleine Koketterie mit Erinnerungen - während sie mit beiden Beinen im Hier und Jetzt
stehen.
Manche aber tun sich auch richtig schwer damit, das Vergangene vergangen sein zu
lassen. Sie leben weiterhin in dieser vergangenen Zeit und verpassen damit etwas
von sich selbst.
Musik
Die Musik von The Police. Ein Fan hat zu mir gesagt: „Police - das war der Klang
unserer Zeit!“ So eine Aussage finde ich traurig. „War der Klang unserer Zeit.“
Warum Vergangenheit? Ist seine Zeit vergangen? Wer so etwas sagt, der trauert
etwas Verlorenem nach. Und ist dabei irgendwo unterwegs hängen geblieben. „Die
schönste Zeit meines Lebens“ seufzen manche. Ich kann das nicht nachvollziehen.
Ich erinnere mich noch genau an diese Jahre. Sie sehen meist von außen besser
aus als von innen. Von innen waren sie auch voller Zwänge, voller Abhängigkeiten
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und Unsicherheit. Aber manche hängen an ihrer Jugend und wollen sie einfach nicht
loslassen. Frauen und Männer sind dabei unterschiedlich gefährdet. Manche Frauen
versuchen, die Anmut ihrer Jugend zu erhalten. Manche schaffen es, ihr Alter zu kaschieren und aus 10 Metern Entfernung jung auszusehen. Aber was nutzt das, wenn
man näher kommt und dann erschrickt?! Es ist überzeugender, die Attraktivität des aktuellen Alters zu zeigen. Männer sind anders gefährdet. Manche bleiben einfach innerlich und äußerlich stehen – Jahrzehnte lang. Aber die Hosen, T-Shirts und Frisuren,
die vor 20 Jahren gut zu einem passten, tun das heute nicht mehr. Und das gilt auch
für manche Ideen.
Man tut gut daran, zur rechten Zeit die Dinge der Jugend mit Grazie aufzugeben.
Auch wenn sie schön waren. Das ist vielleicht traurig. Aber ohne Abschiede geht es im
Leben nicht. Nur: Was ist dann damit? Gehen sie spurlos verloren? Werden sie wertlos? Der Abschied würde leichter fallen, wenn man wüsste, dass etwas davon bleibt,
irgendwo, irgendwie. Nach christlicher Auffassung ist das so. Dafür gibt es ein altes,
mythisches Bild: Das Buch des Lebens. Es liegt bei Gott. Und dort wird alles eingetragen, was geschieht. Es wird dort aufbewahrt, damit es nicht verloren geht. Mir gefällt
diese schöne Vorstellung. Moderner gesprochen kann man sich auch eine riesige
Festplatte vorstellen. Da wird von unserem Leben eine Sicherungskopie gespeichert.
Alles wird bewahrt, nichts geht verloren. Das macht es mir leichter, Tage und Jahre
vergehen zu lassen und wirklich wegzugeben. Denn ich weiß: Sie sind nicht vergebens. Sie bleiben bedeutsam, denn aus ihnen heraus entwickelt sich die Zukunft.
Eine Grundidee des Christentums: Die Spuren Gottes führen aus der Vergangenheit
in die Zukunft. Und in den alten Geschichten sind sie zu finden. Deshalb wäre es auch
falsch, die Vergangenheit einfach abzuhaken. Vorbei und vergessen gibt es nicht.
Die Musiker von „The Police“ sind ein kleines und gutes Beispiel dafür. Sie spielen
heute ausschließlich die alten Sachen. Aber sie spielen sie anders, weiter entwickelt
und damit neu. Viele meinen, dass sie sie heute besser spielen als früher. Immer noch
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leidenschaftlich, aber dazu reifer und präziser. Ein Fan sagte mir bewundernd: „Ja,
die Alten, die können es halt!“ Sie sind eben nicht stehen geblieben. Sie haben sich
weiterentwickelt. Das zu merken ist schön. Und damit bleibt man nicht allein.
Musik: „So lonely“
Die Police-Musik ist eine Rückblende in die Achtziger. Man steckt die Köpfe zusammen und fängt an zu erzählen: „Weißt du noch? Der und der, wie der mit der und der
...?“ Dann jagt eine Geschichte die andere. Weißt du noch...?Ja natürlich weiß ich
noch ...!
Es macht glücklich, Gemeinsamkeiten zu entdecken. Man gehört dazu, zu den Leuten,
die damals ins Leben aufbrachen als die Radiosender unermüdlich „So lonely“ spielten
oder „Message in a Bottle“. Und man gehört zu denen, die diese Stücke auswendig
mitsingen konnten - und das sitzt bis heute.
Die Musik stiftet eine Erzählgemeinschaft für solche Geschichten. Und diejenigen, die
dazu gehören, können sich mit wenigen Worten darüber verständigen. Manche von
ihnen gehören gleichzeitig auch zu einer anderen Erzählgemeinschaft. Zu der, die sich
um die Bibel schart. Ihre Geschichten erzählen davon, was Gott getan hat, was das
für die Menschen bedeutet. Die Geschichten trösten. Sie korrigieren und orientieren.
Viele dieser Geschichten erzählen vom Aufbruch zu etwas Neuem. Eine, vielleicht
die wichtigste, ist die Geschichte vom Aufbruch aus der Sklaverei, vom Auszug der
Israeliten aus Ägypten, vom Exodus. Sie ruft noch heute Menschen in die Freiheit und
wird das immer tun.
Weißt du noch, als wir Sklaven waren und für andere den ganzen Tag schuften mussten? Ja, aber Gott hat uns da rausgeholt. Die Ketten zerbrochen. Den Weg in die
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Freiheit gezeigt. Aber weißt du auch noch, wie schnell die Leute ihre Freiheit wieder
loswerden wollten? Als es in der Wüste mal eine Durststrecke gab? Ja, dann wollten viele wieder zurück. Lieber Knecht sein und genug zu essen, als frei und ohne
Sicherheit! Aber der Weg Gottes führt nicht zurück, sondern nach vorne, ans Ende
der Wüste. Daran erinnert uns diese Geschichte. Und daran, dass unser Leben Gott
wertvoll ist.
Diese biblische Geschichte ist alt und dennoch aktuell. Denn Knechtschaft gibt es
immer noch - heute in moderner Form: Viele sind gefangen im Hamsterrad der Arbeit
und ihrer Pflichten. Viele stecken in der Armutsfalle. Hartz IV und Lebensmittel als
Almosen, damit das Geld reicht. Viele wollen da raus. Deshalb hat die Geschichte
vom Exodus ihren festen Platz in der Erzählgemeinschaft Gottes. Dort hütet sie die
Sehnsucht nach der Freiheit. Und sie will eigentlich immer nur das eine, nämlich davon
erzählen, dass Gott gegenwärtig ist. In jedem Leben. Und er will, dass es gelingt.
Für mich ist das auch ein christlicher Beitrag zur Erzählgemeinschaft der PoliceGeneration. Denn dort haben die Themen Freiheit und Aufbruch eine große Rolle
gespielt und sie tun es bis heute. Nur nostalgische Gefühle zu bedienen, wäre auch
zu wenig. Gute Erzählgemeinschaften helfen, mit dem Hier und Jetzt zurecht zu kommen.
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