Faszination Manga

Transcription

Faszination Manga
Das Magazin der Buchhandlungen von Orell Füssli und Thalia
Nr. 2/2014
«Man kann dem Leben auf
Dauer nicht entkommen»
Exklusivinterview
mit Franka Potente
Zu Berge!
Gipfeltreffen der Literaturwelt
Ihr persönliches
Exemplar –
mit Wettbewerb!
Faszination Manga
Japanischer Exportschlager mit
einem Schuss Rock’n’Roll
AARAU –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Meissner Thalia
Bahnhofstrasse 41, 5001 Aarau
Mo – Fr: 9.00 – 18.30 Uhr | Do: 9.00 – 20.00 Uhr
Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
Wirz Thalia
Hintere Vorstadt 18, 5001 Aarau
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 18.30 Uhr
Do: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
BADEN –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia
Langhaus beim Bahnhof, 5401 Baden
Mo – Fr: 9.00 – 19.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
BASEL ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Orell Füssli Bahnhof SBB
Passerelle, Güterstrasse 115, 4053 Basel
Mo – Fr: 7.00 – 21.00 Uhr | Sa: 8.00 – 21.00 Uhr
So: 9.00 – 20.00 Uhr
Thalia
Freie Strasse 32, 4001 Basel
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 18.30 Uhr
Do: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr
BERN ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Stauffacher
Neuengasse 25 – 37, 3001 Bern
Mo – Mi + Fr: 9.00 – 19.00 Uhr
Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
Thalia Spitalgasse
Spitalgasse 47/51, 3001 Bern
Mo – Mi: 9.00 – 19.00 Uhr | Do: 9.00 – 21.00 Uhr
Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
Thalia Bahnhof SBB
Bahnhofplatz 10, 3001 Bern
Mo – Sa: 7.00 – 22.00 Uhr | So: 9.00 – 22.00 Uhr
BRIG –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
ZAP
Furkastrasse 3, 3900 Brig
Mo – Fr: 9.00 – 18.30 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
ZAP Bürostore
Englischgrussstrasse 6, 3900 Brig
Mo – Fr: 8.30 – 12.00 und 13.30 – 17.00 Uhr
BRUGG –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
FRAUENFELD –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Orell Füssli Einkaufszentrum Passage
Bahnhofstrasse 70 / 72, 8500 Frauenfeld
Mo – Do: 8.00 – 19.00 Uhr | Fr: 8.00 – 20.00 Uhr
Sa: 08.00 – 17.00 Uhr
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia
Bahnhof / Gare, 1700 Fribourg
Mo – Fr: 7.00 – 21.00 Uhr | Sa + So:
9.00 – 21.00 Uhr
FRIBOURG
––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia
Vordergasse 77, 8200 Schaffhausen
Mo – Mi + Fr: 8.30 – 18.30 Uhr
Do: 8.30 – 20.00 Uhr | Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
SCHAFFHAUSEN
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia Shoppyland
Industriestrasse 10, 3322 Schönbühl
Mo – Do: 9.00 – 20.00 Uhr | Fr: 9.00 – 21.30 Uhr
Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
SCHÖNBÜHL
SIERRE –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
ZAP
Place de la Gare 2, 3960 Sierre
Mo – Fr: 9.00 – 12.00 und 13.30 – 18.30 Uhr
Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia Shoppi & Tivoli
8957 Spreitenbach
Mo – Sa: 9.00 – 20.00 Uhr
SPREITENBACH
ST. GALLEN ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Orell Füssli Bahnhof
Poststrasse 28, 9000 St. Gallen
Mo – Fr: 8.00 – 21.00 Uhr
Sa + So: 9.00 – 20.00 Uhr
Rösslitor Bücher
Multergasse 1 – 3, 9001 St. Gallen
Mo – Mi + Fr: 9.00 – 18.30 Uhr
Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
Thalia Shopping Arena
Zürcher Strasse 464, 9015 St. Gallen
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 19.00 Uhr,
Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
ST. MARGRETHEN –––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia
Neumarktplatz 12, 5200 Brugg
Mo – Do: 9.00 – 18.30 Uhr | Fr: 9.00 – 20.00 Uhr
Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
Thalia Einkaufszentrum Rheinpark
9430 St. Margrethen
Mo – Do: 9.00 – 19.00 Uhr | Fr: 9.00 – 21.00 Uhr
Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
CHUR –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
THUN –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia Einkaufscenter City West
Raschärenstrasse 35, 7000 Chur
Mo – Do: 9.00 – 19.00 Uhr | Fr: 9.00 – 20.00 Uhr
So: 8.00 – 18.00 Uhr
EMMENBRÜCKE –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia Emmen Center
Stauffacherstrasse 1, 6020 Emmenbrücke
Mo, Di + Do: 9.00 – 18.30 Uhr
Mi + Fr: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 8.00 – 16.00 Uhr
Thalia
Bälliz 60, 3600 Thun
Mo – Mi + Fr: 9.00 – 18.30 Uhr
Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
WINTERTHUR ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Editorial | 3
Orell Füssli Einkaufszentrum Rosenberg
Schaffhauserstrasse 152, 8400 Winterthur
Mo – Fr: 8.30 – 20.00 Uhr | Sa: 8.00 – 18.00 Uhr
Inhalt
Vogel Thalia
Marktgasse 41, 8400 Winterthur
Mo – Mi + Fr: 9.00 – 18.30 Uhr
Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
VISP ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
ZAP
Bahnhofstrasse 21, 3930 Visp
Mo – Fr: 9.00 – 12.00 und 13.30 – 18.30 Uhr
Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
ZERMATT ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
ZAP
Hofmattstrasse 3, 3920 Zermatt
Mo – Sa: 9.00 – 12.00 Uhr und 14.00 – 18.30 Uhr
Während der Saisonzeit:
Mo – Fr: 9.00 – 12.30 Uhr und 14.00 – 19.00 Uhr
So: 16.00 – 19.00 Uhr
ZÜRICH ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Orell Füssli Kramhof
Füsslistrasse 4, 8001 Zürich
Mo – Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr
Orell Füssli Am Bellevue
Theaterstrasse 8, 8001 Zürich
Mo – Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr
Orell Füssli The Bookshop
Bahnhofstrasse 70, 8001 Zürich
Mo – Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr
Orell Füssli Flughafen
Airport Center, 8060 Zürich–Flughafen
Mo – Fr: 7.00 – 21.00 Uhr | Sa – So: 8.00 – 21.00 Uhr
Orell Füssli Zürich Hauptbahnhof
Shopville, Halle Landesmuseum, 8001 Zürich
Mo – Fr: 7.00 – 21.00 Uhr | Sa: 8.00 – 21.00 Uhr
So: 9.00 – 20.00 Uhr
Orell Füssli Bahnhof Stadelhofen
Stadelhoferstrasse 8, 8001 Zürich
Mo – Fr: 8.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 19.00 Uhr
So: 10.00 – 18.00 Uhr
Orell Füssli Im Franz Carl Weber
Bahnhofstrasse 62, 8001 Zürich
Mo – Mi: 9.00 – 18.30 Uhr
Do + Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr
Unterwegs
Liebe Leserin, lieber Leser
Unbekanntes entdecken und Ungewohntes wagen
– das kann man unterwegs beim Reisen und bei
Bergtouren besonders gut. Davon berichtet in
diesem Heft ein Beitrag über eine Reise, die vor
etwa 150 Jahren stattfand. Die Rundreise einer
englischen Gruppe durch die Schweizer Alpen war
ein Abenteuer in einem damals vielerorts unterentwickelten Land. Die abenteuerlustigen Briten
erlebten 1863 bei uns Dinge, die uns heute beim
Reisen auf anderen Kontinenten begegnen. Doch
lesen wir ihr Reisejournal, entdecken wir auch die
Schweiz neu: als zugleich vertrautes und völlig
fremdes Land.
Entdeckungen kann man eben nicht nur in der
realen Welt machen, sondern auch mit Büchern.
Sie weisen uns als Reise- oder Wanderführer im eigentlichen Sinn des Worts den Weg. Und sie zeigen
uns fremde Welten. So wie Manga. Diese bei einer
wachsenden Fangruppe enorm beliebten Comicbücher aus dem fernen Japan stellen wir Ihnen ab
Seite 20 vor. In ihrem Ursprungsland sind Manga
ein fester Bestandteil der Kultur, inzwischen boomen die Bildgeschichten auch bei uns. Wagen Sie
doch einmal den Sprung in diese fremden Welten.
Ich wünsche Ihnen viel Spass beim Entdecken!
FRANKA POTENTE
«Man kann dem
Leben auf Dauer
nicht entkommen»
Seite 10
Die Berge als literarisches
Thema
4Notizen
13 Im Schaufenster
«Die Erbin» von John
Grisham
14Von Stadt und Land
Neue Bildbände und Bücher
zum Schmökern
19 Im Schaufenster
«Der Judaskuss» von Anna
Grue
20 Japanischer Exportschlager
mit einem Schuss Rock’n’Roll
Faszination Manga
32 Kaffeepause
Die Books-Debatte
36 Fantastisch!
Fantasy-Neuerscheinungen
40 Im Schaufenster
«Der beste Rat, den ich je
bekam» von Frank Arnold
41Mein Buch
42 eReader
Der neue tolino vision im
Taschenformat
44Sonne, Wasser, Abenteuer
Neues aus der Kinderwelt
46Wider die Verschwendung
Neue Kochbücher
48Kreuzworträtsel
49Veranstaltungen
50Kolumne
Darum schreibe ich – von
Isolde Schaad
Eine grosse Leinwand
Seite 24
www.books.ch
0848 849 848
www.buch.ch
0848 28 24 24
www.thalia.ch
0848 842 542
Ihr Michele Bomio
CEO Orell Füssli Thalia AG
Orell Füssli Marktgasse
Marktgasse 3, 8400 Winterthur
Mo – Mi + Fr: 09.00 – 18.30 Uhr
Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
Impressum
Die nächste Ausgabe von Books, dem Magazin der Orell Füssli
Thalia AG, erscheint am 29. August 2014. Sie erhalten Books
kostenlos in jeder Filiale. Bestellungen nehmen wir gern entgegen
über www.books.ch, [email protected] und Telefon 0848 849 848.
Jetzt Fan werden:
www.facebook.com/OrellFuessli
www.facebook.com/Thalia.ch
Preisänderungen vorbehalten. Unsere aktuellen Verkaufspreise
und eine umfassende Auswahl an Büchern, Filmen und Spielen
finden Sie auf www.books.ch, www.thalia.ch und www.buch.ch.
Herausgeber:
Orell Füssli Thalia AG, Dietzingerstrasse 3, Postfach, 8036 Zürich
Gesamtherstellung und Redaktion:
Die Blattmacher GmbH, Zürich
Gestaltung / LAYOUT: Strichpunkt GmbH, Winterthur
Coverillustration: Leonie Beckmann
Alle so gekennzeichneten Bücher sind auch als eBook erhältlich.
NOTIZEN | 5
Books Nr. 2/2014
Notizen
© Shutterstock / paulrommer
4 | NOTIZEN
Marius Leutenegger
Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg. In Tausenden von Artikeln und Hunderten
von Büchern wird gegenwärtig jedes erdenkliche Detail dieser historischen Zäsur beleuchtet. Will man nur einen Text zum Thema lesen, ist «Schlump» wohl eine gute Wahl.
Dass dieser Roman von Hans Herbert Grimm verfasst wurde, war lange Zeit nicht bekannt – denn der 1896 geborene deutsche Sprachlehrer hatte
gute Gründe, seine Urheberschaft zu verschleiern. Das Buch
erzählt die Erlebnisse des einfachen Infanteristen Emil Schulz
– eben Schlump – so schonungslos, dass man es nur als Antikriegsroman lesen kann. Zwar ist Schlump eine Frohnatur, die
einigermassen unbeschadet durch den Krieg stolpert, doch den
Schrecken der Schlächterei und die Atmosphäre einer kaputten Gesellschaft fängt der Roman auf eindrückliche Weise ein.
Kein Wunder, verboten die Nazis das Buch sofort, als sie an die
Macht kamen. Um keinen Verdacht zu erregen, trat Grimm
freiwillig in die Nazi-Partei ein. Die Parteimitgliedschaft verunmöglichte ihm nach dem Zweiten Weltkrieg, weiter als Lehrer
zu arbeiten. 1950 beging Grimm Suizid. «Schlump» hat seinem
Schöpfer also wenig Glück gebracht, in jeder Hinsicht. Das Buch erzielte zwar bei seinem
ersten Erscheinen Ende der 1920er-Jahre einen Achtungserfolg, es wurde aber vom
weitaus beliebteren und fast gleichzeitig erschienenen Roman «Im Westen nichts Neues» von Erich Maria Remarque in den Schatten gestellt. Kiepenheuer & Witsch hat das
wichtige Zeitzeugnis jetzt wieder neu herausgebracht.
Genau 20 Jahre ist es her, seit
Susanna Tamaro das meistverkaufte italienische Buch des 20.
Jahrhunderts schrieb: den Briefroman «Geh, wohin dein Herz
dich trägt». Die Autorin war aber
schon vor diesem Welterfolg als
Schriftstellerin erfolgreich, und
sie hat seither regelmässig weitere Romane verfasst. Soeben ist
bei Piper ihr
neuester
erschienen: «Ein
jeder Engel ist
schrecklich».
Darin erzählt
die 57-jährige von ihrer Kindheit.
Wer ein nostalgisches Buch über
Kinderjahre im Belpaese erwartet, sollte davon allerdings die
Finger lassen: Susanna Tamaro
hat ihre Eltern als überaus lieblos
und ihre gesamte Kindheit als
eher düster empfunden. Streckenweise riecht diese Autobiografie etwas stark nach Selbsttherapie, grundsätzlich ist sie
aber absolut lesenswert – weil
Tamaro eine kluge, offenherzige
und wortgewaltige Schreiberin
ist und sie auch dem Elend, das
ein Mädchen durchlebt, durchaus sprachliche Poesie abgewinnen kann. Man fühlt mit dem
Kind, wenn es plötzliche Verluste
von Bezugspersonen kaum verkraftet oder beim Besuch eines
Aquariums leidet – dass es Mitleid mit den Tieren hat, wird es
erst später merken. Und ein bisschen lernt man auch zu verstehen, was hinter dem Rat «Geh,
wohin dein Herz dich trägt»
steckt, den die Grossmutter im
gleichnamigen Roman ihrer Enkelin gab.
Einer, dessen Rede Geschichte schrieb: Bundesrat
Hans Peter Tschudi 1965.
Auch wenn uns allen wohl sofort Zitate aus
berühmten Reden einfallen («I have a dream!»,
«Ich bin ein Berliner!»): Eine einzelne Ansprache hat vermutlich noch nie den Lauf der
Welt verändert. Aber manchmal ist es begabten Frauen und Männern gelungen, eine gesellschaftliche Stimmung,
eine persönliche Überzeugung oder eine Aufforderung so gekonnt in Worte
zu packen, dass ihre Rede
zum Symbol für eine historische Entwicklung
wurde. Reden sind damit eine Art Denkmäler aus Schallwellen –
oder
Buchstaben,
wenn sie in gedruckter Form vorliegen. Zehn solcher
verbaler Denkmäler, die einen bestimmten
Aspekt der Schweizer Geschichte im 20. Jahrhundert verdeutlichen, hat jetzt der Historiker Felix Münger in einem Buch vereint:
«Reden, die Geschichte schrieben», erschienen im Verlag hier+jetzt. Im schön gestalteten Band findet man nicht nur die berühmten
Ansprachen, Münger stellt diese in informativen, aber leicht lesbaren Beiträgen in ihren
historischen Kontext. Warum war die Rede
von Arbeiterführer Robert Grimm während
des Generalstreiks so wichtig? Welche Auswirkungen hatte die Ansprache von Bundesrat Eduard von Steiger 1942, die später auf die
Formel «Das Boot ist voll» reduziert wurde?
Wie entscheidend war Christoph Blochers
Rede gegen den EWR von 1992 für die Ablehnung der Vorlage durch das Stimmvolk? Münger analysiert nicht die Rhetorik der glänzenden Rednerinnen und Redner, ihm geht es
stets um den Zusammenhang. Und das macht
seine Sammlung zu einem originellen und lesenswerten Geschichtsbuch.
Von damals bis heute: Sechs Paare erzählen, was sie zusammenführte und über Jahrzehnte hinweg
zusammengehalten hat.
In fremden Leben wühlen – das macht
nicht nur die NSA gern, sondern eigentlich jeder und jede. Deshalb
könnte dem Buch «Ja, ich will!», das
soeben im Wörterseh-Verlag erschienen ist, ein schöner Erfolg beschieden sein. Es
enthält sechs Interviews,
die der Zürcher Journalist Ueli Oswald mit älteren Paaren über deren
lebenslangen Ehen geführt hat. Offen und
charmant plaudern die
heiteren Damen und
Herren darüber, wie sie
zum Paar wurden, welche Probleme
es im Alltag zu lösen oder zu umschiffen gilt, was man aneinander
schätzt. Das ist oft rührend, manchmal auch einfach lustig, immer aber
spannend und aufschlussreich – und
dank der Interviewform bekommt
man das prickelnde Gefühl, am Nebentisch des Paars zu sitzen und
heimlich ihrem interessanten Gespräch zu lauschen. Natürlich könnten einen die Paare
auch ein wenig neidisch machen, denn sie alle blicken
auf ein ziemlich glückliches
Leben zurück; der Untertitel
des Buchs lautet denn auch
passend «Wenn Liebe ewig
währt». Immerhin lassen
die Eheleute aber gelegentlich durchschimmern, wie
man selber eine glückliche Beziehung gestalten könnte: «Heute lassen wir einander leben», sagt zum
Beispiel Ursula, die seit 1973 mit
René verheiratet ist.
304 Seiten, gebunden, sFr 25,90
6 | NOTIZEN
Jahrestage
Happy birthday, Bernhard Schlink: Am 6.
Juli wird der deutsche Autor 70 Jahre alt.
Lange Zeit wies nichts darauf hin, dass
ihm einmal ein Büchermagazin wie Books
zum Geburtstag gratulieren würde – denn
Schlink ist eigentlich
Jurist, und er arbeitete an Universitäten in
Bonn, Frankfurt und
Berlin als Professor
für Recht sowie als
Richter in Münster.
1987 weilte er auf
Einladung
der
dortigen Universität in Aix-enProvence,
und
während dieser Zeit lebte er
bei seinem nach Südfrankreich ausgewanderten Freund Walter Popp. Popp war Jurist wie Schlink, und die beiden verband
ein grosses Interesse für Kriminalliteratur. Schliesslich entschieden sie sich,
zusammen einen Krimi zu schreiben:
«Selbs Justiz». Das Buch wurde ein internationaler – und sogar verfilmter – Bestseller, und damit startete Bernhard Schlink
als Autor durch. Er schrieb weitere Krimis
und landete 1995 mit dem Roman «Der
Vorleser» seinen bisher grössten Erfolg;
das Buch kletterte gar
in den USA an die
Spitze der Bestsellerliste, schliesslich
wurde
es
mit
Kate Winslet und
Ralph Fiennes
in den Hauptrollen verfilmt.
Seither folgen in regelmässigen Abständen weitere
Erfolgsbücher, zum Beispiel «Liebesfluchten» oder «Sommerlügen». Die beiden
Sammlungen von Erzählungen erscheinen
diesen Sommer beim Diogenes-Verlag in
neuer Aufmachung.
Vor zehn Jahren trug die deutsche Satireszene Trauer: Gleich zwei ihrer wichtigsten Mitglieder starben innerhalb von nur
drei Tagen, am 6. Juli Bernd Pfarr und am
8. Juli Chlodwig Poth. Bernd Pfarr wurde
nur 45 Jahre alt; er erlag einem Krebsleiden, gegen das er 25 Jahre lang ange-
NOTIZEN | 7
Books Nr. 2/2014
kämpft hatte. Gemäss
seinem Freund, dem
Schriftsteller Robert
Gernhardt,
lieferte
Pfarr den «Gegenbeweis der These, ein
schweres
Leben
müsse
schwere
Kunst mit sich ziehen» – denn Pfarrs
Cartoons und Illustrationen sind
von einer selten komischen Leichtigkeit.
Das kann man auch anhand der zahlreichen Buch-Covers überprüfen, die Pfarr
unter anderem für Elke Heidenreich illustrierte. Pfarrs guter Kollege Chlodwig Poth
schrieb auch selber Romane – zum Beispiel den hochkomischen «Die Vereinigung
von Körper und Geist mit Richards Hilfe»,
den es
leider nur noch antiquarisch
gibt. Unvergesslich machten Poth aber seine Comic-Kurzgeschichten.
Dem Verlag Antje Kunstmann ist es zu verdanken, dass Pfarr und
Poth weiterhin im
Buchhandel präsent
sind:
Im
Rahmen der ausgezeichneten
Reihe
«Meister der komischen Kunst»
ist den beiden je ein Band gewidmet; die
Bücher gehören in die Bibliothek jedes humorvollen Menschen.
Ian Fleming ist allen Kinogängern ein Begriff, auch den jungen – wegen seiner berühmtesten Schöpfung, Geheimagent 007
JOJO MOYES
Was lesen Sie gerade?
Patrizia Kummer, Snowboarderin und Olympia-Goldmedaillengewinnerin im Parallel-Riesenslalom 2014:
James Bond. Erstaunlicherweise jährt sich
der Todestag des britischen Bestsellerautors am 12. August bereits zum 50. Mal.
Fleming kam 1908 in London zur Welt.
Schon früh zeigte er gewisse Bond-Allüren,
denn er flog wegen Mädchengeschichten
mehrmals von renommierten Schulen.
Schliesslich kam er an einem privaten Institut im österreichischen Kitzbühel unter.
Später arbeitete er als Journalist, Wertpapierhändler und schliesslich als Korrespondent für die Times, unter anderem in
der Sowjetunion. Von dieser Position aus
war es nur noch ein kleiner Schritt zum
Spion – und tatsächlich wurde er irgendwann um 1930 vom Auswärtigen Amt
Grossbritanniens als solcher angeworben.
Im Zweiten Weltkrieg stieg Fleming in den
Marine-Nachrichtendienst ein und wurde
Kommandant einer Spezialeinheit. Im Casino von Estoril soll ihm schliesslich die
Idee zu seinem Roman «Casino Royale»
gekommen sein – dem ersten, 1953 verfassten Bond-Roman. Vorbild der Hauptfigur war unter anderem Peter Fleming, der
Bruder des Geheimdienstlers und zu jener
Zeit ein berühmter Reiseschriftsteller.
«Casino Royale» war zunächst kein grosser Erfolg, und 1954 floppte in den USA
auch eine Verfilmung fürs Fernsehen. Fleming liess sich aber nicht davon abhalten,
weitere Bond-Romane zu schreiben.
«From Russia with Love» wurde dann ein
Bestseller, dem noch viele weitere folgen
sollten. Insgesamt schrieb Fleming bis zu
seinem Tod 1964 zwölf Bond-Romane und
neun Bond-Kurzgeschichten. In seinem
Todesjahr landete er auch noch einen
Grosserfolg mit dem Kinderroman «Chitty
Chitty Bang Bang». Die Bond-Bücher erscheinen auf Deutsch beim eigentlich auf
Comics spezialisierten Verlag Cross Cult;
dieser hat jetzt sämtliche 14 Bände – zwölf
Romane und zwei Bücher mit den Kurzgeschichten – in eine schöne Box gepackt:
James Bond total auf über 4000 Seiten!
Einzige er
in d
Lesung eiz
Schw ia
l
bei Tha !
in Bern
«Für mich als Profisportlerin ist es wichtig,
manchmal dem Alltag und dem ganzen
Druck, der auf mir lastet, zu entfliehen.
Dies erreiche ich am besten durch Geschichten. Einerseits schaue ich mir gern
Filme an, aber noch lieber lese ich Bücher.
Dort kann ich total in eine andere Welt
eintauchen und alles um mich herum vergessen. Deshalb lese ich auch nie Biografien. Mein Büchergeschmack reicht von
Fantasy- über Sachbücher bis hin zu realitätsnahen Thrillern.
Im Moment lese ich zum wiederholten Mal
‹Der Mastercode› von Scott McBain. Dieses Buch behandelt ein für mich sehr aktuelles Thema. In der Geschichte geben die
Menschen immer mehr ihre Privatsphäre
auf, vernetzen sich über ein Computersystem namens Mother immer stärker untereinander und werden bald total abhängig
von diesem System. Sie merken gar nicht,
wie sehr sie sich selber ausliefern, bis sie
zum Schluss eigentlich gar keine Persönlichkeitsrechte mehr besitzen.
Dieses Thema fasziniert mich, seit sich die
ersten Social-Media-Seiten in meinem Umfeld breitgemacht haben. Das Buch zeigt
auf, wie wichtig es ist, unsere Privatsphäre
zu schützen. Wir haben selber die Wahl,
was wir von uns preisgeben wollen. Eine
zentrale Frage im Buch ist, ob der einfa-
Der 70-jährige französische Autor Daniel
Pennac kann viel: Seine oft komplex konstruierten Romane sind genauso gut wie die
witzigen Szenarien, die er für die neuen
Lucky-Luke-Comics schreibt. Jetzt hat sich
dieser vielseitige Mann sogar selber übertroffen: Der bei Kiepenheuer & Witsch erschienene Roman «Der Körper meines Lebens» ist ein echter Geheimtipp und trägt
Züge eines Meisterwerks. Die ihm zugrunde
liegende originelle Idee: Einer beschliesst
im Alter von zwölf Jahren,
ein Tagebuch über seinen
Körper zu führen, weil ihm
dieser Körper ständig
Sorgen macht. Und er
setzt dieses Tagebuch
fast bis zu seinem Tod
mit 87 Jahren fort.
Anhand der beschriebenen
Kör-
«Weit weg und ganz nah»
chere Weg immer der bessere ist. Sollen
wir wirklich alle unsere Daten an nur einem Ort zusammenführen und speichern
lassen, damit wir beispielsweise nur noch
mit einem Fingerabdruck oder einem Augenscan bezahlen können – nur um beim
Bezahlen der Monatsmiete oder im Supermarkt ein paar Sekunden zu sparen? Wie
viel Macht über uns wollen wir den Firmen
geben, die unsere Daten speichern?»
Der Mastercode
Scott McBain
560 Seiten
CHF 15.90
Droemer/Knaur
perreaktionen, -funktionen und -fehlfunktionen erfährt man die ganze Biografie des
Erzählers, und man erhält zugleich unzählige kluge oder witzige Gedankenanstösse
zu Themen wie Scham, Vergänglichkeit,
Glück und Angst. Dass sich die Geschichte
eines Lebens und einer Epoche anhand von
Körperbeobachtungen schreiben lässt,
klingt abenteuerlich – funktioniert aber
vorzüglich.
Montag,
23. Juni 2014, 20 Uhr
Eintritt CHF 20.–
(mit Thalia Bonuskarte CHF 10.–)
Vorverkauf: Thalia Bern
Telefon 031 320 20 40
[email protected]
8 | NOTIZEN
Den ehemaligen Chefredaktor des Sonntags-Blicks, Philipp Löpfe, und
den Wirtschaftsexperten des gleichen Blatts, Werner Vontobel, verbindet eine äusserst weitsichtige Betrachtung der Wirtschaftswelt. Diese
belegen sie auch in ihrem neuesten Gemeinschaftswerk: In
«Wirtschaft boomt, Gesellschaft kaputt» aus dem Orell-Füssli-Verlag
beschäftigen sie sich mit der Frage, was die Globalisierung uns allen
bringt – nachweislich mehr Nach- als Vorteile – und welches Wirtschaftssystem uns langfristig zufriedener macht. Sie fordern eine
Rückkehr zur lokalen Wirtschaft, aber unter aktuellen Voraussetzungen: Neue Technologien ermöglichen heute auch kleinen Unternehmen, konkurrenzfähig vor Ort zu produzieren. Deren lokale Verankerung trägt dazu bei, dass die Politik wieder das Ruder übernehmen
kann und wir uns alle nicht mehr diffusen globalen Kräften ausgeliefert fühlen
müssen. Ihre spannenden Thesen untermauern die
Autoren mit überraschenden Fakten, die gleich haufenweise Mythen zertrümmern. Oder haben Sie gewusst, wie dramatisch in Europa das Wirtschaftswachstum zurückgegangen ist, seit die
Globalisierung als Seligmacher gilt? Wie von
Sonntags-Blick-Leuten nicht anders zu erwarten, bleibt das Buch auch für Wirtschaftslaien
stets verständlich.
Die Tatsache, dass Sie unser Magazin in den Händen halten, zeigt: Sie
schätzen Informationen auf Papier.
Daher dürfte es Ihnen nicht ganz
gleichgültig sein, was mit
der guten alten Tageszeitung passiert – und daher dürfte Sie auch eine
Neuerscheinung aus dem
Brandstätter-Verlag interessieren: «Die Zeitung.
Ein Nachruf». Der ehemalige Chefredaktor der
österreichischen Tageszeitung Die Presse, Michael
Fleischhacker, zeichnet darin die lange Geschichte des Mediums nach, von
den Vorläufern wie den Marktschreiern bis in die eher triste Gegenwart.
Es lässt sich wohl nur schwer eine besser geraffte und klüger kommentierte Zeitungshistorie finden. Als guter
Journalist räumt Fleischhacker auch
gern mit manchem Mythos auf, der
ihm bei seiner Recherche begegnete
NOTIZEN | 9
Books Nr. 2/2014
– zum Beispiel mit jenem, die Zeitung
sei so etwas wie die «Vierte Macht»
im Staat und für die Demokratie unabdingbar. Fleischhacker dokumentiert, woran die Branche
krankt und warum der Tod
der Tageszeitung, wie wir
sie kennen, unausweichlich
ist. Aber wie jeder gute Nekrolog endet auch dieser
hier versöhnlich: Wohl ist
die Zeitung auf Papier ein
Auslaufmodell, das Prinzip
der Zeitung wird aber überleben. «Immer schon suchte sich der Mensch ein Instrument zu
gestalten, das sein kleines Ich in geistigen Zusammenhang bringt mit der
eigenen Gegenwart und der ihn umgebenden Welt», zitiert Fleischhacker einen Medienwissenschaftler aus
den 1930er-Jahren. Also: Die Zeitung
ist tot – es lebe die Zeitung!
Unsere CoverKünstlerin
Erstmals lächelt von der Titelseite unseres
Magazins keine Autorin und kein Autor –
und erstmals ist das Cover gezeichnet.
Grund dafür ist der Beitrag «Japanischer
Exportschlager mit einem Schuss
Rock’n’Roll» ab Seite 20 dieser Ausgabe.
Er beschäftigt sich mit den überaus
beliebten japanischen Comics, den
Manga, und hat damit das Titelthema
vorgegeben.
Gezeichnet wurde das Books-Cover von
der 18-jährigen Leonie Beckmann aus
Uster. Die Gymnasiastin ist schon seit
vielen Jahren eine begeisterte MangaZeichnerin. «Ich lieh in unserer Bibliothek
immer die üblichen Comics aus», erinnert
sie sich an die Anfänge ihrer Leidenschaft.
«Irgendwann war ich damit durch, und es
blieben nur noch die Manga übrig. Die
hatten mich zuvor nie angesprochen, weil
sie nur schwarzweiss waren.» Schon der
erste Manga löste bei ihr dann aber eine
grosse Begeisterung aus, und bald begann
Leonie Beckmann selber im Manga-Stil zu
zeichnen. «Mir gefällt, dass Manga eine
richtige Handlung haben, sich in der
Regel über viele Bände erstrecken und
sich eher mit ernsthaften Themen
beschäftigen», begründet sie ihre
Faszination.
Heute zeichnet Leonie Beckmann jeden
Tag; mittlerweile hat sie sich ganz auf
Manga spezialisiert. Wie die meisten
Manga-Zeichner arbeitet die Autodidaktin
auf einem Grafiktablett. «Ich zeichne
darauf wie auf Papier», sagt sie, «nur
kann ich auf dem Tablet einfacher
korrigieren und besser mit Farben
spielen.» An unserem Cover hat sie rund
vier Tage gearbeitet.
Leute, die das mögen, mögen auch ...
Sie kennen das: Man hat gehofft, ein Buch
ginge nie zu Ende, weil es einem so gut
gefallen hat – aber irgendwann ist die
letzte Seite dann doch gelesen. Zum Glück
kann man sich in
solchen Momenten
an Fachleute wenden, die einem ein
Buch mit vergleichbaren
Qualitäten
empfehlen.
Eine
solche Fachfrau ist
die Bernerin Céline
Tapis. Nach der Matura absolvierte die
heute 22-Jährige
eine Buchhändlerlehre; mittlerweile
arbeitet sie zu 50
Prozent bei Stauffacher, daneben studiert sie an der Universität
Bern
Germanistik sowie
Interreligiöse Studien. «Der Bestseller
‹Am Hang› von Markus Werner handelt
von zwei Männern, die einander im Tessin auf einer Piazza begegnen. Sie treffen
sich fortan regelmässig und reden miteinander – vor allem über ihre Beziehungen. Diese Ausgangslage ähnelt jener von
‹Ich nannte ihn Krawatte›, einem Roman
von Milena Michiko Flašar. Die Autorin
lebt in Österreich, ihre Mutter ist aber
Japanerin – und auch der Roman spielt in
Japan. Ich-Erzähler ist ein etwa 20-jähriger Hikikomori. Mit diesem Begriff werden in Japan Leute bezeichnet, die dem
enormen Leistungsdruck nicht mehr gewachsen sind, sich ganz von der Gesell-
schaft zurückziehen und ihr Zimmer
kaum noch verlassen. Je nach Schätzung
sollen in Japan zwischen 50'000 und einer Million Menschen ein solches Verhalten zeigen. Zweite
Hauptfigur des Romans ist ein Geschäftsmann – eben
‹Krawatte› –, der
seinen Job verloren, dies seiner
Frau aber noch
nicht
gestanden
hat. Er verlässt jeden Tag rechtzeitig
sein Daheim und
sitzt dann seine Zeit
im Park ab. Als der
junge Hikikomori
beschliesst, seine
Isolation zu durchbrechen, begegnet
er im Park dem Geschäftsmann. Mit
der Zeit entwickelt
sich zwischen den
beiden sehr verschiedenen Männern eine
vertrauensvolle Beziehung – sie reden
miteinander wie die beiden Hauptfiguren
von ‹Am Hang›. In ganz kurzen Kapiteln
geht es um Erinnerungen, Beziehungen,
Frustrationen. Und wie bei ‹Am Hang›
gibt es bei ‹Ich nannte ihn Krawatte› keine Geschichte, die schnurgerade von A
nach B verläuft, dafür aber sehr viel Atmosphäre. Dieses Buch zu lesen ist ein
bisschen, wie einen schönen Abend mit
Freunden zu verbringen: Man weiss
nachher nicht mehr genau, worum es
ging, aber man weiss, dass es gut war.»
Wettbewerbs-Gewinner
In der letzten Ausgabe von Books verlosten wir unter den Teilnehmenden unseres
Kreuzworträtsel-Wettbewerbs drei Büchergutscheine. Gewonnen haben:
1. Preis: Dena Ziga,
2. Preis: Christof Hiller-Egli, 3. Preis: Brigitte Häfeli,
Unterentfelden
Geuensee
Birsfelden
Herzliche Gratulation!
Leonie Beckmann hat sich als Zeichnerin ganz auf
Manga spezialisiert.
Das Lösungswort lautete übrigens «Landesmuseum». Die Gewinnerinnen und Gewinner
der Preise 4 bis 10 werden schriftlich benachrichtigt. Das aktuelle Kreuzworträtsel finden
Sie in dieser Ausgabe auf Seite 48.
10 | Interview
Interview | 11
© Jim Rakete
Books Nr. 2/2014
«Man kann dem Leben auf
Dauer nicht entkommen»
Franka Potente scheint ein ganz besonderes Erfolgsrezept zu haben: Sie tut, worauf sie Lust hat – und
kommt damit an. Das dürfte mit ihrem ersten Roman «Allmählich wird es Tag» nicht anders sein. Books
sprach mit der in Los Angeles lebenden Schauspielerin und Schriftstellerin.
Erik Brühlmann
Books: Mit «Allmählich wird es Tag» ist
gerade Ihr erster Roman erschienen –
sind Sie jetzt offiziell Schriftstellerin?
Franka Potente: Ja, irgendwie schon!
Immerhin habe ich während zweier
Jahre viel Zeit und Energie in Recherche,
Schreiben und Überarbeitung investiert.
Ich habe das Handwerk der Schriftstellerin
zwar nicht richtig gelernt, aber es gibt ja
auch viele tolle Schauspieler, die ganz ohne
Schauspielschulen ihre Arbeit ausüben.
Letztlich ist es mir aber egal, wie mich
jemand betitelt. Ich habe einen Roman geschrieben, der Roman ist erschienen – ich
finde, das spricht für sich.
Ihre ersten schriftstellerischen Versuche
umfassten einen fiktiven Briefwechsel,
ein Fitnessbuch und die Kurzgeschichten-Sammlung «Zehn». Haben Sie sich
bewusst Schritt für Schritt an einen
Roman herangetastet?
Die Schriftstellerei ist ja nicht mein Hauptberuf, von daher steigt man als Anfängerin
vielleicht nicht gleich mit einem Drei- oder
Vierhundert-Seiten-Roman ein. Eigentlich
war «Zehn» mein erster richtiger Versuch
als Schriftstellerin, und nach Kurzgeschichten ist ein Roman oft der nächste
Schritt. Ob ich diesen Schritt ohne die
Ermutigung meines Verlags jetzt schon
gemacht hätte, weiss ich allerdings nicht.
Ist es schwieriger, einen Roman zu
schreiben als eine thematische Kurzgeschichtensammlung?
Ja, schon. Man hat einen weiteren Weg bis
zur letzten Seite vor sich, muss langfristiger denken und planen, braucht Biografien
für seine Hauptfiguren und so weiter. Alles
ist halt viel aufwändiger, und die Gefahr
ist grösser, dass einem manchmal die
Puste beim Schreiben ausgeht. Wenn das
geschieht, muss man so diszipliniert sein,
sitzen zu bleiben, die überkritischen Stimmen im Kopf zu ignorieren und einfach
weiterzumachen. Am Ende eines solchen
Tags hat man dann vielleicht 30 Seiten
Mist geschrieben, aber immerhin hat man
etwas geschrieben. So etwas muss man zulassen. Gelöscht ist ja alles schnell wieder,
und mit etwas Glück findet man anschliessend im Mist vielleicht sogar einen neuen
Gedanken.
Sie leben schon längere Zeit in Los Angeles. Denken Sie beim Schreiben noch
Deutsch oder schon Englisch?
Ich glaube beides. Im Alltag spreche ich
Englisch, Deutsch nur selten mit einer
Freundin oder wenn ich in die Heimat anrufe. Es ist wirklich schon vorgekommen,
dass mir Wörter einfach nicht mehr auf
Deutsch einfielen und ich dachte: Das darf
jetzt ja wohl nicht wahr sein!
«Allmählich wird es Tag» ist die Geschichte des Bankers Tim Wilkins. Er
ist Ende 40, lebt in Los Angeles, verliert
durch die Krise seinen Job, wird von
seiner Frau verlassen und merkt, dass
er sein Leben eigentlich vollkommen
verpasst hat. Ein ganz anderer Stoff als
bei «Zehn». Stossen Sie damit nicht Ihre
Fans vor den Kopf?
Ich habe das geschrieben, womit ich glücklich bin – eine Geschichte, die ich auch
selbst lesen würde. Was jetzt geschieht,
darauf habe ich keinen Einfluss mehr,
und ob ein Stoff die Leserinnen und Leser
interessiert, weiss man vorher sowieso nie.
Kritiker gibt es immer, und Kritik nehme
ich auch gern an, wenn sie konstruktiv ist.
Die Prinzipverweigerer dagegen interessieren mich nicht. Wer einfach nur meckern
will, der soll sich hinsetzen und es besser
machen.
Wie schon bei «Zehn» ist die Sprache
sehr direkt und nüchtern ...
Aber aus einem anderen Grund. Bei
«Zehn» versuchte ich, von einer japa-
Allmählich
wird es Tag
304 Seiten
CHF 29.90
Piper
nischen Warte aus zu schreiben, und in
Japan sind Emotionen nun einmal ein
delikates Thema. Bei «Allmählich wird es
Tag» wollte ich dem Leser eine möglichst
intensive Erfahrung vermitteln. Das Thema
des persönlichen Niedergangs ist ja an
sich schon emotional aufgeladen, da muss
ich mit der Sprache nicht noch zusätzlich
reingrätschen. Ausserdem mag ich es
nicht, wenn einem ein Autor auch noch das
allerletzte Detail haarklein erklärt. Indem
man gewisse Dinge weglässt, gibt man
dem Leser die Möglichkeit, die Lücken mit
seinen eigenen Erfahrungen zu füllen.
Sind Sie selbst auch so direkt?
Ja, schon. Ich mag Struktur und Klarheit.
Wenn jemand mich allzu blumig zutextet
und um den heissen Brei herum redet, bin
ich sofort auf der Hut und denke: So, jetzt
komm aber mal zur Sache! Meine Toleranzgrenze sinkt diesbezüglich immer mehr.
Trotzdem führen Sie die Leserinnen
und Leser am Anfang hinters Licht: Man
meint, in der ersten Szene nähmen Sie
das Ende der Geschichte vorweg – und
merkt erst viel später, dass dem gar
nicht so ist.
Da habe ich filmisch gedacht. Ursprünglich war «Allmählich wird es Tag» keine
Roman-, sondern einer Drehbuchidee. Sie
ist schon einige Jahre alt, und das Ganze
hat sich mit der Zeit verlaufen.
Franka Potente
br. Franka Potente wurde 1974 im deutschen Münster
geboren. Nach einer Schauspielausbildung in München und
New York bekam sie 1995 ihre erste Hauptrolle in «Nach
fünf im Urwald». Den Durchbruch schaffte sie 1998 mit
der Hauptrolle in Tom Tykwers Film «Lola rennt». Im
Anschluss wagte Franka Potente den Sprung über den
grossen Teich und spielte dort mit Hollywood-Grössen
wie Johnny Depp («Blow») und Matt Damon («Die
Bourne Identität»). 2004 kehrte sie nach Berlin zurück
und betätigte sich in vielen künstlerischen Bereichen,
unter anderem als Drehbuchautorin und Regisseurin des
Kurzfilms «Der die Tollkirsche ausgräbt».
Ihr literarisches Debüt gab Franka Potente 2005 in Form
des fiktiven Briefwechsels «Los Angeles – Berlin» mit
ihrem Kollegen Max Urlacher. 2009 folgte in Zusammenarbeit mit ihrem Personal Trainer Karsten Schellenberg der
Fitness-Ratgeber «Kick Ass – Das alternative Workout».
Dreharbeiten zu einem Dokumentarfilm über Underground Art führten sie 2005 das erste Mal nach Japan. Ihre
Erlebnisse im Land der aufgehenden Sonne bildeten die
Grundlage für die stark beachtete Kurzgeschichtensammlung «Zehn». Die Schauspielerei hängte Franka Potente
natürlich nie an den Nagel. Sie spielte unter anderem in
den Erfolgsserien «Dr. House», «American Horror Story»
sowie «Psych» und verkörperte Beate Uhse in «Beate
Uhse – Das Recht auf Liebe». Heute lebt Franka Potente
in Los Angeles. Sie ist mit dem Schauspieler Derek
Richardson («Anger Management») verheiratet, mit dem
sie eine gemeinsame Tochter hat.
Die Grundidee ist aber erhalten geblieben.
Die verschachtelte Erzählweise finde ich
unheimlich spannend – es gibt ja in der
Geschichte auch viele Rückblenden. So
bekommt man beim Lesen immer wieder
Hinweise auf das grosse Ganze, und diese
Hinweise interpretiert man für sich. Was
wirklich stimmt, erfährt man erst im Lauf
der Lektüre.
Genau so geht es der Hauptfigur, Tim
Wilkins.
Ja, er ist ein Mensch, der immer tiefer
in eine Extremsituation schlittert und
dabei mit jedem neuen Tag klarer sieht.
Erst verlässt ihn seine Frau aus für ihn
zunächst unerklärlichen Gründen. Dann
wird er aufgrund der Rezession gefeuert,
steht vor dem Nichts, und seine Dämonen
kommen wieder an die Oberfläche. Mich
interessierte, wie ein Mensch in einer
solchen Situation reagiert. Tim merkt Stück
für Stück, dass er in den ganzen Jahren,
in denen er von früh bis spät gearbeitet
hat, von seinem Leben eigentlich nichts
mitbekommen hat.
Und plötzlich trifft ihn die Realität wie
ein Kantholz ...
Das ist aber an sich nicht die wirkliche
Tragik. Viel schlimmer ist doch, dass er
all die Dinge, die auf ihn einprasseln,
hätte erkennen, bemerken und zum Teil
auch verhindern können. Es handelt sich
immerhin um sein Leben! Doch er entschied sich wegzuschauen. Er hat ja noch
nicht mal mitbekommen, dass seine Frau
etwas mit seinem besten Freund hatte
und dass dieser Freund schon vor zwei
Jahren gestorben ist. Auf Dauer kann man
dem Leben allerdings nicht entkommen;
irgendwann wird man gezwungen, damit
umzugehen.
Glauben Sie denn, dass ein Mensch über
Jahre hinweg verdrängen und wegschauen kann?
Natürlich! Fast jeder kennt doch scheinbar
glücklich verheiratete Paare, die sich nach
vielen Jahren plötzlich trennen. Spricht
man mit ihnen über die Gründe, wundert
man sich oft: Und das habt ihr nicht kommen sehen? Andere wiederum ignorieren
ewig lang Zeichen ihres Körpers. Oder sie
bekommen nicht mit, was in ihren Kindern
vorgeht – und sind dann überrascht, wenn
die Probleme da sind. Ich glaube, es liegt in
der Natur des Menschen, Dinge auszublenden, mit denen er nicht umgehen kann.
... bis man auf dem Boden der Realität
aufschlägt, zumindest?
Im Schaufenster | 13
Books Nr. 2/2014
Manchmal ist das Aufschlagen nötig, damit
man den Blick nach innen und auf sich
selbst richtet. Unser Leben ist so hektisch
und wir sind derart mit unserem äusseren
Dasein beschäftigt, dass uns die Zeit und
die Musse fehlen, uns mit uns selbst zu
beschäftigen.
Als Tim diese Musse aufgedrückt
bekommt, versucht er erst einmal, in
kürzester Zeit alles nachzuholen, was er
verpasst haben könnte, getreu dem Motto: Sex and Drugs and Rock’n’Roll.
Diese Reaktion habe ich schon oft beobachtet – bei Männern und bei Frauen. Da
wird erst einmal krampfhaft versucht, die
Stille mit Aktivitäten zu füllen, die man
«immer schon mal machen wollte». Man
zündet sich wieder eine Zigarette an, sitzt
stundenlang vor dem Fernseher, geht auf
wilde Partys und versucht sich einzureden, dass jetzt alles viel besser ist, weil
einem niemand mehr vorschreibt, was
man zu tun und zu lassen hat. Dass Tim
so extrem überkompensiert, fast bis zum
eigenen Tod, rührt daher, dass er jahrelang wie ein Roboter für seinen Job funktioniert hat. Ihn dann ausflippen zu sehen,
ist gleichzeitig komisch und tragisch.
Erst als er körperlich und mental am
absoluten Nullpunkt angekommen ist,
rappelt er sich wieder hoch.
Man muss eben erst etwas verlieren, um
zu erkennen, was einem fehlt. Die Ehe, die
Freunde, seinen Sohn – all das hat Tim für
selbstverständlich genommen, was übrigens auch sehr menschlich ist und uns
allen passiert. Aber jedes Ende ist immer
auch ein Anfang, eine neue Chance.
Sie betonen oft Tims körperliche Grösse,
dass er in sein bisheriges Leben sozusagen nicht hineinpasste. Kann denn so
ein Bär von einem Mann derart in sich
zusammenbrechen?
Ja, und zwar gerade weil er so gross ist.
Ein so grosser Mensch fällt immer auf,
kann sich nicht verstecken oder sich mit
seinem Schmerz irgendwo verkriechen.
Ich habe so jemanden interviewt, das war
total spannend, verrückt und auch traurig.
Sein Neuanfang führt Tim nach dem Tod
des verhassten Vaters auch wieder in
den Schoss der Kleinstadtfamilie, also
in den einen Teil seines Lebens, den er
bewusst immer verdrängt hat.
Familie ist Familie, etwas Besonderes.
Es kommt doch oft vor, dass man sich an
einen Familienanlass schleppt, auf den
man keine Lust hat. Und plötzlich ist da
etwas Warmherziges, etwas, bei dem
man sich wohlfühlt. Der Tod des Vaters ist
dabei so eine Art Türöffner. Tims Feindbild lebt nicht mehr, und das verleiht ihm
eine neue Offenheit gegenüber seiner
Schwester und seinen Verwandten, die er
nun auch anzunehmen bereit ist. Tim ist
zu diesem Zeitpunkt bereits sehr einsam,
deshalb tut ihm der Gang aus der Grossstadt zurück zu seinen Wurzeln in der
Kleinstadt in Arkansas sehr gut.
Zurück zum Start
Der neue Roman von John Grisham, «Die Erbin», wird von Kritikern als einer seiner besten bezeichnet. Das will etwas heissen, denn der ehemalige Strafverteidiger schreibt jedes Jahr
einen dicken Justizthriller. Diesmal hat er sich in seinem reichen
Fundus an Figuren bedient – und seinen Erstling fortgesetzt.
Marius Leutenegger
Apropos Grossstadt: Los Angeles kommt
als Stadt zuweilen nicht besonders gut
weg. Überzeichnen Sie da ein wenig –
oder haben Sie die Stadt als Zuzügerin
tatsächlich so erfahren?
So schlecht kommt Los Angeles doch gar
nicht weg! Aber ich gestehe: Als ich vor
etwa zehn Jahren herkam, fand ich die
Stadt ziemlich besch...eiden. Mittlerweile
hat sich vieles zum Positiven verändert,
und ich weiss auch, wo die schönen Orte
sind. Letztlich kommt es aber immer auf
das Auge des Betrachters an, wie eine
Stadt wirkt. Fährt man mit dem Auto
irgendwo hin, wirkt die Landschaft bei
klassischer Musik ja auch anders, als
wenn Rammstein aus den Boxen dröhnt.
Und wenn es einem so dreckig geht wie
Tim, kann eine Grossstadt leicht zu einem
Moloch werden.
Was ist denn die sprichwörtliche Moral
von der Geschicht’?
Da ziehe ich mich auf den Standpunkt
der Autorin zurück und überlasse es den
Lesenden, für sich eine Moral von der Geschicht’ zu finden. Meine Arbeit ist getan.
Mir persönlich gefällt jedenfalls der Gedanke, dass es immer eine zweite Chance
gibt, wenn man sie sucht und bereit ist,
sich der Herausforderung zu stellen.
Am Anfang des Gesprächs sagten Sie,
«Allmählich wird es Tag» sei eigentlich
eine Drehbuchidee gewesen. Wen würden Sie besetzen?
Damals dachte ich an Tim Robbins, der ja
auch fast zwei Meter gross ist. Auf jeden
Fall müsste es ein Hüne sein. Alle anderen
müssten dann relativ klein sein, damit es
im Film noch dramatischer wirkt.
Und Donald Sutherland in der Rolle des
Vaters?
Gute Idee! «Allmählich wird es Tag» auf
der Kinoleinwand zu sehen, ist jedenfalls
ein Traum von mir.
John Grisham ist der wohl weltweit bekannteste Autor von Justizthrillern. Er
weiss, wovon er schreibt: Über zehn Jahre
lang arbeitete er im US-Bundesstaat Mississippi als Strafverteidiger mit Spezialgebiet Körperverletzung. Als er Ende der
1980er-Jahre die Zeugenaussage eines
Vergewaltigungsopfers hörte, spann Grisham dessen Geschichte weiter – erst im
Kopf, dann auf Papier. Jeden Morgen vor
Öffnung der Kanzlei arbeitete er fortan einige Stunden lang an einem aufwühlenden
Manuskript: In «Die Jury» erschiesst der
Vater eines vergewaltigten schwarzen
Mädchens die Täter vor dem Gericht, und
der junge Anwalt Jack Brigance übernimmt
dessen Verteidigung. Es geht um Rassenkonflikte und den Ku-Klux-Klan, um juristische Tricks, fiese Psychologie, grossartige
Plädoyers, überraschende Zeugenaussagen und verwirrte Geschworene, die allmählich die Seite wechseln. Kurzum: In
«Die Jury» steckt alles drin, was einen guten Justizthriller ausmacht.
25 Jahre nach
«Die Jury» gibt
es jetzt ein
Wiedersehen mit
Jack Brigance.
Dennoch war dem Buch zunächst kein
grosser Erfolg beschieden; die Erstauflage
betrug 1989 gerade einmal 5000 Exemplare. Doch Grisham hatte Blut geleckt. Sein
zweiter Roman, «Die Firma», schlug dann
ein wie die sprichwörtliche Bombe. Die Geschichte über einen jungen Anwalt, der sich
plötzlich in äusserst dubiose und gefährliche Geschäfte verwickelt sieht, konnte sich
1991 sagenhafte 47 Wochen lang an der
Spitze der Bestsellerliste der New York
Times festsetzen. Das dicke Buch wurde
© Maki Galimberti
12 | Interview
das meistverkaufte des Jahres, und in seinem Sog wurde dann auch Grishams Erstling «Die Jury» zum Bestseller.
Der Erfolg motivierte Grisham, den Anwaltsberuf aufzugeben und ganz auf die
Schriftstellerei zu setzen. Seither veröffentlicht er praktisch jedes Jahr einen so dicken
wie packenden Justizthriller. «Die Jury»
hat ihn offenbar nie ganz losgelassen, denn
immer wieder tauchen Figuren aus jenem
Roman in anderen Geschichten auf. Und
jetzt, 25 Jahre nach der Erstveröffentlichung des Erstlings, gibt es in «Die Erbin»
auch ein Wiedersehen mit Jack Brigance.
Der engagierte, kluge, menschenfreundliche und erst noch gutaussehende junge
Mann ist wohl der Anwalt, der John Grisham immer gern gewesen wäre und der er
in mancherlei Hinsicht wohl auch war.
Der Fall, der Jack Brigance diesmal beschäftigt, dreht sich nicht um Gewalt, sondern um Geld – um sehr viel Geld. Der wegen einer Krebserkrankung dem Tod
geweihte Seth Hubbard hat sich erhängt.
Weil er ein Menschenfeind wie aus dem
Bilderbuch war, hält sich die Anteilnahme
seiner beiden Kinder Ramona und Herschel sowie der Enkel in überschaubaren
Grenzen. Bis zwei Bomben platzen: Hubbard war steinreich – und er vermachte
sein Vermögen in letzter Minute seiner
schwarzen Haushälterin Lettie Lang. Die
Familie enterbte er, im Widerspruch zu einem früheren Testament.
Der handschriftliche letzte Wille trifft am
Montag nach dem Suizid per Post bei Jack
Brigance ein. Und der hat jetzt die Aufgabe,
das neue Testament gegen eine Horde von
Anwälten durchzusetzen, die von Hubbards Familie eingesetzt wird. Die juristisch relevante Frage lautet: War Hubbard
noch urteilsfähig, als er sein riesiges Vermögen der Haushälterin schenkte und diese zur reichsten Frau von Mississippi
machte? Gleichzeitig wollen alle wissen:
Ein Gerichtsfall motivierte John Grisham, sich als
Schriftsteller zu versuchen.
Warum hat er Lettie Lang, zu der er anscheinend keine persönliche Beziehung
hatte, so grosszügig bedacht?
Die Genrebezeichnung «Justizthriller»
passt perfekt zu diesem Roman, denn er ist
spannend von der ersten bis zur letzten
Seite – und das will bei diesem Umfang etwas heissen. Gut dosiert lässt Grisham eine
Katze nach der anderen aus dem Sack, und
er jongliert gekonnt mit einer imposanten
Vielfalt von Aspekten. Natürlich spielt der
latente Rassismus in den Südstaaten der
USA wieder eine wichtige Rolle, vor allem
aber geht es um Beziehungen – zwischen
Anwälten, zwischen Familienmitgliedern
und Eheleuten, zwischen Menschen, die einander mögen oder verachten.
Dass die Hauptfigur Jack Brigance kaum
Kanten hat, macht sie eher uninteressant,
aber dafür gibt es wie immer bei Grisham
eine grosse Zahl faszinierender, sorgfältig
herausgearbeiteter Nebencharaktere. Dass
der Autor ein Philanthrop mit ausgeprägtem
Gerechtigkeitssinn ist, merkt man spätestens, wenn einem auch noch der widerlichste Anwalt der Hubbard-Familie irgendwie
sympathisch wird – und am Ende jede Figur
das bekommt, was sie verdient.
Die Erbin
701 Seiten
CHF 38.90
Heyne
14 | SCHÖNE BÜCHER
Books Nr. 2/2014
Von Stadt und Land
Es gibt Bücher, die sich kaum für den eReader eignen – weil sie ein haptisches Erlebnis bieten
oder sich durch prächtige Bilder und hohe Repräsentanz auszeichnen. Besonders viele solcher
Bände findet man in der Abteilung für Kunst-, Architektur-, Design- und Fotobücher der
Orell-Füssli-Filiale Kramhof in Zürich. Abteilungsleiterin Mirjam Kühnis hat für Books einige
aussergewöhnliche Neuerscheinungen ausgewählt.
Marius Leutenegger
«In ihrem erfolgreichen Buch ‹Bergwärts›
präsentierten Mirko Beetschen und Stéphane Houlmann 2012 zeitgemässes
Wohnen in den Alpen, in ‹Men’s Homes›
dokumentierten sie 2013, wie 20 kreative
Männer leben. Gerade eben ist das dritte
Buch der beiden nach Zürich ausgewanderten Berner erschienen: In ‹Wohnort
Zürich› zeigen sie, wie man in Downtown
Switzerland lebt. Nämlich ausserordentlich vielfältig, im renovierten Handwerkerhaus ebenso wie in der Luxusvilla, in
der Fabrikloft oder im Hochhaus-Appartement. Beetschen und Houlmann porträtieren auch die Bewohner der schönen Räume und schaffen auf diese Weise ein
buntes Mosaik vom Leben in der grössten
Schweizer Stadt. Doch es geht in ‹Wohnort Zürich› nicht allein um Innenausstattung, sondern auch um die Stadt als Ganzes: In eindrücklichen Bildern werden die
wichtigsten Monumente und schönsten
Plätze gezeigt – oft aus überraschender
Perspektive –, ein Cityguide verweist zu-
«Wohnort Zürich» von Mirko Beetschen und Stéphane Houlmann zeigt, wie vielfältig man heute in
Downtown Switzerland lebt. © Bruno Helbling
dem auf die Hotspots in den Bereichen
Architektur, Design, Gastronomie und
Shopping. Der schön gestaltete Band packt
das Flair der Stadt zwischen zwei Buchdeckel – und ist damit eine Publikation für
alle, die Zürich mögen oder etwas mehr
über die Stadt erfahren möchten.
SCHÖNE BÜCHER | 15
16 | SCHÖNE BÜCHER
Die Vielfalt von Zürich mag für die Schweiz
verblüffend sein – mit jener von New York
lässt sie sich nicht vergleichen. Das beweist der kleine Fotoband ‹New York is ...›
der Zürcherinnen Nadine Ottawa und Nuria
Furrer.
Gemeinsam
machten sich die Fotografin und die Journafull of laws
listin auf nach New
York, um dort auf der
Strasse wildfremde Personen
anzusprechen
und sie zu bitten, den
Satz ‹New York is ...›
zu
vervollständigen.
Wer Auskunft gab, wurde porträtiert; Nuria Furrer sagt, die Bereitschaft der New Yorker, an diesem
Projekt teilzunehmen, sei enorm
gewesen, niemand habe eine Mitwirkung abgelehnt. Natürlich haben sich die beiden Frauen eher
auf etwas ungewöhnlichere Ermadness
scheinungen fokussiert, das macht
ihr Buch denn auch sehr bunt, abwechslungsreich und eindrücklich. Weil die Porträtierten immer
vor einem neutralen Hintergrund
aufgenommen wurden, kommt
man kaum auf die Idee, dass hier
auf belebten Strassen und Plätzen
fotografiert wurde. Ich finde die
Kombination dieser ungewöhnlichen Porträts und der kurzen, oft überraschenden
Aussagen spannend. Die Bilder laden
dazu ein, sich zu überlegen, was für Menschen hier gezeigt werden. Diese geben ja
eigentlich sehr wenig von sich preis, nur
ein paar Worte und ihr Gesicht, aber das
reicht auf jeden Fall, um Neugierde auszulösen. Ich empfehle das Buch allen, die
New York mögen oder sich gern mit guter
Porträtfotografie beschäftigen.
SCHÖNE BÜCHER | 17
Books Nr. 2/2014
the world's best
playground
Mirjam Kühnis, 38, leitet die Kunst-,
Architektur-, Design- und FotobuchAbteilung in der Orell-Füssli-Filiale Kramhof Zürich. Neben klassischen Bildbänden
bietet die Abteilung auch viele originelle
Neuerscheinungen zu sämtlichen Themen
rund um Mode, Inneneinrichtung, Fotografie und Style – sowie unzählige Bücher, die
sich zum Schenken eignen.
a pot of gold
«New York is …» zeigt das Allerbeste,
was die Weltstadt zu bieten hat: ihre
Einwohnerinnen und Einwohner.
© Kerber-Verlag 2014
Bleiben wir im städtischen Umfeld – aber
ändern wir den Fokus in die grüne Richtung: Mein nächster Tipp ist ‹An die Töpfe,
gärtnern, los!› von Gudrun Ongania. Die
Autorin ist Gründerin von Vegandthecity,
einer Organisation, die sich ganz dem
Stadtgärtnern verschrieben hat und die in
einem Shop in Zürich die entsprechenden
Produkte anbietet. Das tolle Buch fasst alles
zusammen, was es rund um Gemüseanbau
in der Stadt und auf dem Balkon zu wissen
«An die Töpfe, gärtnern, los!»
von Gudrun Ongania vermittelt
alles, was es über das Stadtgärtnern zu wissen gibt.
© Johanna Muther,
Haupt Verlag 2014
gibt. Mit seinen vielen Checklisten, Faustregeln und leicht verständlichen Anleitungen eignet es sich ideal für Anfänger. Welcher Garten passt zu mir? Welche Pflanzen
gehören in welche Gefässe? Wie gedeihen
Tomaten im winzigen Garten? Das Ideenbuch stellt auch viele Stadtgärten im deutschen Sprachraum vor und liefert erst
noch gute Rezepte. Schliesslich soll man ja
auch wissen, was man mit dem Stadtgemüse alles anstellen kann!
Nun gehen wir noch ein bisschen weiter
hinaus ins Grüne. Hermann Hesse war
eine Doppelbegabung – als Schriftsteller
und Maler. Vor allem während seiner Tessiner Zeit von 1919 bis zu seinem Tod
1962 schuf Hesse ein umfangreiches bildnerisches Werk aus Aquarellen, Illustrationen und Zeichnungen. Die Umgebung
seines Wohnorts Montagnola in der Nähe
von Lugano war und ist ja auch mehr als
malerisch. Verwaltet wurde das bildnerische Werk des Literaturnobelpreisträgers
von dessen 2003 verstorbenem Sohn Heiner Hesse, der selber Illustrator war und
der auch das Hermann-Hesse-Museum in
Montagnola ins Leben rief. Aus dem Nachlass von Heiner Hesse wurde jetzt eine
schöne Wanderausstellung konzipiert:
‹Mit Feder und Farbe›. Parallel zur Ausstellung ist ein Buch erschienen, das die
schönsten Skizzen, Zeichnungen und
Aquarelle von Hermann Hesse zeigt. Darüber hinaus gibt das Buch Einblick in die
Beziehung zwischen Hermann und Heiner Hesse, und auch der Enkel des Schriftstellers, Silver Hesse, kommt ausführlich
zu Wort. Mich haben bei diesem Buch vor
allem die Aquarelle von Hesse angesprochen; sie sind sehr farbenfroh und fangen
die Atmosphäre des Tessins gut ein. Die
Werke sind aber alles andere als oberflächlich; zur Malerei fand Hesse aufgrund eines Rats seines Psychiaters, und
man spürt, wie wichtig für ihn das bildnerische Schaffen war und wie sehr er sich
mit seiner Umgebung auseinandersetzte.
Schade, wird diese Ausstellung nur in
Deutschland gezeigt.»
Wohnort Zürich
Mirko Beetschen,
Stéphane Houlmann
208 Seiten
CHF 74.90
dva
New York is ...
Nadine Ottawa,
Nuria Furrer
160 Seiten
CHF 34.90
Christof Kerber
An die Töpfe,
gärtnern, los!
Bildende Kunst vom Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse.
Oben: «Noranco», Aquarell, 1922.
Unten: «Verso Arasio», Aquarell,
Bleistift und Kreide, 1925.
© Hermann-Hesse-Editionsarchiv
Volker Michels, Oenbach am Main
Gudrun Ongania
192 Seiten
CHF 39.90
Haupt
Hermann Hesse:
Mit Feder und
Farbe
Werke aus dem
Nachlass Heiner
Hesse
175 Seiten
CHF 35.90
Hatje Cantz
18 | BUCHTIPPS
Im Schaufenster | 19
Books Nr. 2/2014
Mitgefühl für einen
Betrüger
In ihrer Heimat Dänemark ist Anna Grue ein Star – ihre Bücher
über Detektiv Dan Sommerdahl sind Bestseller. Mit «Der Judaskuss» liegt jetzt der zweite Sommerdahl-Krimi auf Deutsch vor.
Die Geschichte über einen mysteriösen Mord und einen gerissenen Heiratsschwindler überzeugt durch raffinierte Perspektivenwechsel.
Christos Tsiolkas
Barrakuda
Ildikó von Kürthy
Sternschanze
Jojo Moyes
Claude Cueni
Weit weg und
ganz nah
Script Avenue
Der Basler Autor Claude Cueni hat
sich mit historischen Romanen einen
Namen gemacht. In seinem neuen Buch
ist aber nicht ein Druidenlehrling oder
ein Henker wider Willen die Hauptfigur
– sondern er selbst. In «Script Avenue»
erzählt Cueni seine Biografie, und die
steht seinen fiktiven Erzählungen in
nichts nach.
Danny ist ein Schwimmtalent und
voller Ehrgeiz. So hat er auch seinen
Spitznamen «Barrakuda» erhalten –
aggressiv wie ein Raubfisch kämpft
der Junge aus der Working Class um
Erfolg und Anerkennung. Als ihm ein
Stipendium die Tür zu einer Eliteschule in Melbourne öffnet, scheint sich
das harte Training auszuzahlen. Doch
dann scheitert Danny – an seinen
Erwartungen und jenen der anderen.
Nicola Lubitz hatte alles – jetzt hat
sie nichts mehr. Ein Babyfon, eine unpassende Kostümierung und extrem
ungünstige Umstände haben aus ihr
über Nacht eine Frau ohne Mann,
ohne Geld und ohne nennenswertes
Selbstbewusstsein gemacht. Im Hamburger Stadtteil Sternschanze findet
sie eine neue Wohnung und neue
Freunde, doch das bietet ihr nur eine
Rettung auf Zeit.
Mit ihrem Roman «Ein ganzes halbes
Jahr» landete die britische Schriftstellerin Jojo Moyes letztes Jahr einen
Riesencoup. Radio SRF 2 bezeichnete
es als «den schönsten und traurigsten
Liebesroman des Jahres», und die
Rezensentin der New York Times war
nach der Lektüre des Buchs gar in Tränen aufgelöst; eine Million Exemplare
der deutschen Ausgabe ging über den
Ladentisch.
«Barrakuda» ist ein Roman über
einen Aussenseiter, der in der modernen Leistungsgesellschaft seinen
Platz sucht. Autor Christos Tsiolkas
zeichnet ein kritisches Bild von Australien, wo er als Sohn griechischer
Einwanderer geboren wurde. Sein
letzter Roman «Nur eine Ohrfeige»
wurde ein Weltbestseller und erhielt
mehrere Auszeichnungen. Auch
«Barrakuda» wurde von den englischen Kritikern bereits hochgelobt.
Der neue Roman der Autorin von
«Mondscheintarif» ist die Geschichte einer Frau, die wieder bei null
anfangen muss. Es geht um Hoffnung
und darum, wie man sie am besten
aufgibt. Es geht um Sex, Betrug,
Verzeihen, Augenlid-Korrekturen,
Liebe und Hornhaut an den Fersen.
Um das Leben einer ganz normalen
Frau eben.
Nun setzt Moyes neustes Werk «Weit
weg und ganz nah» zum Sturm auf die
Bestsellerlisten an – ein Roman über
eine Frau, deren Leben alles andere
als rund läuft. Bis ihr ein unverhoffter Geldsegen und eine ebenso
unverhoffte Begegnung einen Ausweg
aufzeigen, sie aber in ein tiefes Dilemma stürzen.
Thomas Mäder
Gebrochene Herzen, leere Konten
Die Lebensgeschichte von Claude
Cueni ist eine Geschichte über die
Flucht aus dem religiösen Wahn im
schweizerischen Jura in eine eigene,
fantastische Welt – die Welt der Script
Avenue. Und es ist die Geschichte
eines grossen Überlebenswillens. Vor
fünf Jahren erhielt Cueni den Bescheid,
dass er an Leukämie erkrankt ist, und
trotz einer Knochenmarktransplantation ist er noch immer schwer krank.
467 Seiten
320 Seiten
544 Seiten
672 Seiten
CHF 33.90
CHF 28.90
CHF 22.90
CHF 44.90
Klett-Cotta
Wunderlich
Rowohlt
Wörterseh
ISBN 978-3-608-98013-4
ISBN 978-3-8052-5055-9
ISBN 978-3-499-26736-9
ISBN 978-3-03763-043-3
Anna Grue weckt Sympathien für einen Hochstapler.
Klassischer kann ein Krimi kaum beginnen:
mit einem Mord. Das Opfer ist ein junger ITNerd, der brutal erschlagen in einem Gartenschuppen entdeckt wird. Warum der junge Mann sterben musste, bleibt lang im
Dunkeln, in dem die Polizei in diesem Fall
tappt. Und Anna Grues Romanheld Dan
Sommerdahl hat zunächst andere Pläne, als
erneut den Detektiv zu spielen. Noch immer
ist er von einem Burnout gezeichnet, der ihn
bei seiner früheren Arbeit als Kreativdirektor einer Werbeagentur ereilte. Mittlerweile
hat er sich als Werbetexter selbstständig gemacht, und er versucht, mit langen Joggingtouren die Geister der Vergangenheit zu vertreiben. Sein fester Entschluss, nicht mehr
der «kahlköpfige Detektiv» zu sein, zu dem
ihn die Zeitungen nach Aufklärung des letzten Falls stilisierten, gerät allerdings ins Wanken, als ihn seine Tochter Laura um Hilfe
bittet: Ihre Lieblingslehrerin am Internat ist
einem Heiratsschwindler aufgesessen. Der
junge Mann, der sich Jakob Heurlin nannte,
hat sich mit ihren Lottomillionen aus dem
Staub gemacht. Seiner Tochter zuliebe übernimmt Sommerdahl den Fall.
Bei seinen Ermittlungen stösst Dan Sommerdahl bald auf weitere Frauen, denen
der angebliche Jakob Heurlin Liebe vorgegaukelt hatte und die am Ende mit einem
gebrochenen Herzen und einem leeren
Bankkonto dasassen. Eine der älteren
Frauen musste die Affäre mit dem jungen
Liebhaber gar mit dem Leben bezahlen.
Nach und nach zeigen sich Verbindungen
zwischen dem Mord am jungen Informatiker und dem gerissenen Heiratsschwindler,
dessen wechselnde Identitäten immer die
gleichen Initialen J.H. aufweisen. Und immer stärker rückt eine obskure Sekte in den
Vordergrund, bei welcher der getötete junge Mann und seine Mutter Mitglied waren.
Dan Sommerdahls Jugendfreund, Kommissar Flemming Torp, gelingt es nur mit
Mühe, die Mauer des Schweigens um die
Sekte zu durchbrechen.
Zwischen Abscheu und Verständnis
Das Verhör, bei dem diese Mauer zu bröckeln beginnt, geht unter die Haut. Mit
nüchterner Selbstverständlichkeit erzählen
die Sektenmitglieder darüber, wie im religiösen Wahn Familien auseinander gerissen
und ungehorsame Kinder brutal gezüchtigt
werden. Die Sekte mag erfunden sein, doch
die geschilderten Vorgänge entsprechen einer tatsächlich existierenden Realität. So
richtig zu Hochform läuft Anna Grue dann
aber bei der Schilderung des Heiratsschwindlers J.H. auf. Viele Kapitel des
Buchs sind aus seiner Perspektive erzählt.
Je tiefer sich Anna Grue ins Innenleben von
J.H. vorwagt, desto stärker wird das Bild
des eiskalten Betrügers aufgeweicht. Der
Mann, der so tiefe und ehrliche Liebe vorzutäuschen weiss, erhält im Lauf des Buchs
mehr und mehr ein menschliches Antlitz.
So empfindet man als Leser irgendwann
Mitleid mit diesem schicksalsgebeutelten
betrügerischen Gigolo und bringt schliesslich sogar etwas Verständnis für seine Taten auf. Anna Grue profitiert hier von einer
Art «Catch-me-if-you-can»-Effekt. Wie bei
dem im Film porträtierten Hochstapler
empfindet man auch bei diesem Betrüger
stets ein gewisses Mass an Bewunderung
für die Raffinesse und die Unverfrorenheit
der Schwindeleien, wenn auch J.H. im Gegensatz zu Frank W. Abagnale um einiges
mehr Schaden anrichtet. Dennoch bleibt
man gespalten zwischen Bewunderung,
Abscheu und Mitleid für den jungen Mann.
Im Körper eines Igels
Geschickt arbeitet Anna Grue mit Perspektivenwechseln. Im Vorgängerroman «Die
guten Frauen von Christianssund» schilderte sie den Mord zu Beginn aus der IchPerspektive, in «Der Judaskuss» erahnen
wir aufgrund der Sicht eines Igels, dass
eine Leiche im Gartenschuppen liegt. Stark
ist auch der innere Monolog der betrogenen Kunstlehrerin Ursula. Wie sie über beide Ohren verliebt ihr Glück kaum fassen
kann, erhält man einen Eindruck davon,
warum J.H. so erfolgreich ist mit seinem
Schwindel. Hauptfigur der Erzählung bleibt
aber der Werber und Detektiv wider Willen
Dan Sommerdahl. Eigenartigerweise gelingt es Anna Grue bei ihm weniger gut als
bei den Nebenfiguren, einen überzeugenden Charakter zu zeichnen: Zu aufgesetzt
wirkt oft sein Macho-Gehabe, und auch die
Eifersucht auf Kommissar Flemming Torp,
den Ex-Liebhaber seiner Frau, mag man
Sommerdahl nicht recht abnehmen. Dem
Lesevergnügen tut dies aber keinen Abbruch. Denn die geschickt portionenweise
immer weiter aufgefächerten Hintergründe
der Betrügereien und letztlich auch des
Mords am jungen Informatiker halten die
Spannung über die ganze Länge des Buchs
aufrecht. Und Dan Sommerdahl, so versprach Anna Grue unlängst der Zeitung
Welt, soll sich im Lauf der auf zehn Bände
angelegten Serie charakterlich weiterentwickeln. Es ist der Autorin zuzutrauen,
dass der Freizeit-Detektiv auch an Tiefe gewinnen wird.
Der Judaskuss
476 Seiten
CHF 29.90
Atrium
20 | Manga
Manga | 21
Books Nr. 2/2014
SOLANIN © 2006 Inio ASANO / SHOGAKUKAN
Aufschwung nach dem Krieg
Und
seitdem
…
… ist
dieses
Gefühl …
… immer stärker
geworden.
K
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Japanischer Exportschlager mit einem Schuss
Rock’n’Roll
c
K
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r
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13.10.2010 11:06:21 Uhr
nah_bei_dir_inhalt_01_01.indd 93
13.10.2010 11:04:12 Uhr
Übergrosse Augen, süsse Stupsnasen und putzige Monster: So stellen sich Nichteingeweihte
einen japanischen Manga vor. Die Comics, die nicht nur in ihrem Heimatland ein gigantischer
Erfolg sind, präsentieren sich aber äusserst vielfältig. Books beleuchtet ein Phänomen, das
heute weltweit eine riesige Fangemeinde in den Bann schlägt.
Erik Brühlmann
Kennen Sie «Naruto», «Dragonball» und
«Sailor Moon»? Nein? Dann sind Sie wohl
kein Manga-Fan, denn diese Titel gehören
zu den bekanntesten der japanischen Comic-Kultur. Bei uns wird Sie vermutlich
niemand scheel anschauen wegen Ihrer
Unkenntnis, in Japan wäre das aber ganz
anders: Dort sind Manga ein echter Wirtschaftsfaktor und aus dem Buch- und Zeitschriftenhandel nicht mehr wegzudenken.
Die Serie «One Piece», schon seit einiger
Zeit der absolute Renner unter den Manga,
verkaufte sich bis 2012 in Japan fast unglaubliche 250 Millionen Mal. Statistisch
gesehen besass damit jeder Einwohner,
jede Einwohnerin des Inselstaats zwei
Bände dieser Reihe! Es heisst nicht umsonst, dass in Japan mehr Papier für Manga als für Toilettenpapier verwendet wird.
Am Anfang waren Mönche
Dass Menschen Geschichten in Bildern erzählen, ist eine uralte Tradition in vielen
Kulturkreisen der Welt. Folgt man der
Manga-Spur durch die Zeit, so stösst man
im 8. Jahrhundert auf erste comicartige
Zeichnungen im Horyu-Tempel in Nara;
rund 200 Jahre später findet man satirische Karikaturen auf Papierrollen des buddhistischen Mönchs Sojo Toba. Ab dem 17.
Jahrhundert entstehen Holzschnittbilder,
die sich um das unbeschwerte Leben und
sexuelle Ausschweifungen drehen und sich
grosser Beliebtheit erfreuen. Um diese Zeit
herum taucht auch der Begriff «Manga»
das erste Mal auf: Die «Hokusai-Manga»
von Katsushika Hokusai zeigen in 15 Bänden skizzenhaft gezeichnete Szenen der
japanischen Gesellschaft und Kultur der
späten Edo-Zeit. Als erster Vorläufer moderner Manga gilt schliesslich die 1902 gezeichnete Geschichte «Tagosakus und Mokubes Besichtigung von Tokyo» von
Rakuten Kitazawa.
Nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt dann
die moderne Manga-Kultur Japans. Es entsteht eine regelrechte Industrie mit zahlreichen kleinen Verlagen. Eine wichtige
Rolle bei dieser Entwicklung spielt Osamu
Tezuka, ein Arzt, der nebenher als Zeichner für verschiedene Verlage arbeitet und
dabei die Grundlagen des modernen Manga legt. Bis zu seinem Tod 1989 zeichnet
Osamu Tezuka rund 700 Geschichten – mit
ein Grund, weshalb er in Japan als «Gott
des Manga» tituliert wird. Die Manga und
ihre filmischen Pendants, die Anime, treffen offenbar exakt den Nerv der Zeit. «Anders als zum Beispiel Comics in den USA
haben sich Manga schnell zu einer Industrie entwickelt, in die sehr viel Geld fliesst
und die enorme Gewinne abwirft», sagt
Joachim Kaps. Er ist Geschäftsführer von
«Tokyopop», einem der drei grossen Manga-Verlage Deutschlands. Es gibt in Japan
zwei verschiedene Absatzkanäle: Einerseits bis zu 1000 Seiten umfassende wöchentliche oder zweiwöchentliche Magazine, die sehr billig an jedem Kiosk
zu kaufen sind und jeweils Vorabdrucke der neusten Kapitel verschiedener
Serien beinhalten; andererseits Taschenbücher, welche diese Kapitel im
Abstand von mehreren Monaten in
qualitativ hochwertiger Form nochmals
zusammenfassen und um Bonuskapitel
ergänzen. Diese Kombination aus Neugier
auf das nächste Kapitel und Sammelleidenschaft der Taschenbücher schlägt sich
in den Verkaufszahlen nieder: Allein die
Taschenbücher haben 2012 in Japan einen Umsatz von umgerechnet 2,3 Milliarden Franken erzielt.
die Mädchen. Zu jener Zeit arbeitete Joachim Kaps bei Carlsen; dort erlebte er den
unverhofften Manga-Boom hautnah mit.
«Anfangs war der Buchhandel noch äusserst skeptisch, ob überhaupt jemand so
etwas würde lesen wollen», erinnert er
sich. «Die ersten Jahre zeigten dann aber
schier unglaubliche Wachstumsraten bei
den Umsätzen. Es war, als würde man einen Kuchen in einen Saal voller ausgehungerter Jugendlicher stellen.» Mittlerweile
sind Manga aus den Buchhandlungen Europas nicht mehr wegzudenken. An der
diesjährigen Leipziger Buchmesse belegten die drei grossen Manga-Verlage – Tokyopop, Carlsen und Egmont – gar eine
«Manga haben sich
schnell zu einer Industrie entwickelt,
in die sehr viel
Geld fliesst und die
enorme Gewinne
abwirft.»
Erfolgreiche Manga-Serien: Der Zweibänder «Solanin» (links)
und die Endlos-Reihe «Death Note».
Die Eroberung der alten Comic-Welt
Die Manga-Kultur ist in der westlichen
Welt lange Zeit unbekannt geblieben. «Die
amerikanischen
und
europäischen
Märkte hatten Japan ganz einfach
nicht auf dem Radar – weder im Comic- noch im Literaturbereich», so
Kaps. Dies änderte sich erst mit einem Anime namens «Akira», der
1988 erschien und auf einem Manga basiert. Der Film weckte auch in
den USA und in Europa die Neugier
der Comic-Gemeinden. Der eigentliche Durchbruch erfolgte bei uns
aber erst vor etwa 18 Jahren, als die
Serien «Dragonball» und «Sailor Moon»
aus Japan importiert wurden. Mitentscheidend für den durchschlagenden Erfolg war
wohl, dass «Sailor Moon» ein Kundensegment ansprach, das in der westlichen Comicwelt bis anhin zu kurz gekommen war:
DEATH NOTE © 2003 by Tsugumi Ohba, Takeshi Obata / SHUEISHA Inc.
ich es
gespürt.
22 | Manga
Ich
bin…
Manga sind traditionellerweise schwarzweiss – hier ein Ausschnitt aus der Serie «Death Note».
Der Manga, das unbekannte Lesewesen
Nimmt man als unbedarfter Leser einen
Manga zur Hand, erlebt man einige Überraschungen. Zunächst fällt auf, dass nur
das Cover farbig ist. «Der Grund dafür ist,
dass Manga in für Comic-Verhältnisse unglaublich kurzer Abfolge produziert werden», erklärt Kaps. Wöchentlich werden
pro Serie 25 oder 30 Seiten produziert – da
bleibt einfach keine Zeit, die Geschichten
zu kolorieren. «Oft gibt es neben dem Cover noch zwei oder vier farbige Bildseiten
in einem Taschenbuch», ergänzt Kaps.
«Diese definieren, wie die Figuren aussehen. Alles weitere erledigt die Fantasie der
Lesenden.» Das sei im Markt kein Nachteil, ganz im Gegenteil: Die ersten Manga,
die in den USA und Europa verkauft wurden, seien nachträglich koloriert worden,
um sie dem bekannten bunten Comic-Erscheinungsbild anzugleichen. Schnell
machten die Fans aber klar, dass sie lieber
das Original wollten. Stutzig wird man
Ich
bin…
Bis zum
nächsten
Mal, Kira...
Z
Z
R
R
R
…
auch, wenn man zu lesen beginnt und die
Geschichte zunächst wenig Sinn ergibt –
bis man merkt, dass der gewohnte Anfang
des Buchs eigentlich das Ende der Geschichte ist. Manga werden nämlich von
rechts nach links und von hinten nach vorn
gelesen! Dies entspricht der traditionellen
japanischen Leserichtung. Doch weshalb
passt man die Leserichtung nicht den europäischen Gewohnheiten an? «Das wurde am Anfang versucht», erzählt Kaps.
«Carlsen veröffentlichte damals das deutsche ‹Dragonball› in japanischer, Egmont
das deutsche ‹Sailor Moon› in europäischer Leserichtung.» Dafür mussten alle
Seiten gespiegelt werden. «Ein Kollege aus
Japan kommentierte dies so: Wir spiegeln
die Mona Lisa ja auch nicht, wenn sie bei
uns ausgestellt wird!» Das Publikum teilte
diese Ansicht, sodass Egmont wieder umstellen musste. Vielleicht sei es ein bisschen wie beim Rock’n’Roll, mutmasst
Kaps: Die Kids wollten etwas haben, was
sich den Erwachsenen nicht sofort erschliesst.
Eine aktive Szene
Die Manga-Szene zeichnet sich durch eine
äusserst treue und vor allem aktive Leserschaft aus – auch in künstlerischer Hinsicht. Kaps: «Damals bei Carlsen waren
wir uns gewohnt, vielleicht einmal im Monat einen Brief eines Fans zu bekommen.»
Manga-Glossar
02.08.2006 9:12:11 Uhr
Manga: Der Begriff bedeutet im Japani
schen einfach Comic; aus west
licher Sicht meint er Comics, die aus Japan stammen.
Mangaka: Ein Manga-Künstler. In Japan le
ben rund 3000 hauptberufliche
Mangaka; 90 Prozent von ihnen
sind aber auf Nebenjobs ange
wiesen, um ihren Lebensunter-
halt bestreiten zu können.
Shojo: Manga für Mädchen.
Shonen: Manga für Jungs.
Josei: Manga für junge Frauen.
Seinen: Manga für junge Männer.
Ein Geheimtipp von
Joachim Kaps, Geschäftsführer von «Tokyopop»:
Solanin
abgeschlossen in 2 Bänden
Inio Asano
206 Seiten
CHF 19.90
Tokyopop
«Ein absoluter Geheimtipp ist der Autor
Inio Asano, der eher ältere und auch
erwachsene Leser anspricht. Seine ‹Solanin›Reihe handelt vom Alltag japanischer Jugendlicher in einem düsteren, aber durchaus
zeitgemässen Umfeld und ist auch etwas für
Leser, die sich zu alt fühlen für TeenagerVampire und Fantasy-Stories.»
DEATH NOTE © 2003 by Tsugumi Ohba, Takeshi Obata / SHUEISHA Inc.
… die
Gerechtigkeit!
eigene Halle. «Und diese Halle war berstend voll», freut sich Joachim Kaps. «Die
deathnote_inhalt_01_01.indd 129
Verkaufszahlen unterstreichen diese Beliebtheit: Etwa 65 Prozent aller im Buchhandel erzielten Comic-Umsätze entfallen
auf Manga; nur wenn ein neuer ‹Asterix›
erscheint, ändert sich dieses Verhältnis
kurzzeitig. Bei Tokyopop liegen wir derzeit
satte 23 Prozent über dem Vorjahr.»
manga | 23
Books Nr. 2/2014
Dies änderte sich mit «Dragonball»: «Plötzlich trafen waschkörbeweise Briefe und
nachgezeichnete Figuren und Szenen ein
– wir wussten gar nicht, wie uns geschah
und wie wir damit umgehen sollten!» Ein
Farbtupfer auf jeder Messe oder Convention sind jeweils die Cosplayer. Was zunächst
nach einem Thema für «50 Shades of
Grey» klingt, ist eigentlich ganz harmlos:
Cosplay ist die Kurzform von Costume Play
und bedeutet nichts anderes, als dass besonders eifrige Fans versuchen, sich mithilfe von meist selbst geschneiderten Kostümen in ihre Lieblingsfiguren zu verwandeln.
«Eine solche Hingabe kenne ich aus keinem anderen Literaturbereich», sagt Kaps.
Ihre Begeisterung lassen Manga-Fans auch
die Mangaka – die Zeichner – spüren. Kaps:
«Mangaka haben unter den Fans einen
enormen Stellenwert. Das sehen wir jedes
Mal, wenn wir japanische Zeichner zu
deutschen Festivals einladen und die Signierstunden völlig überlaufen sind.»
Immer mehr Zeichnerinnen
Interessant ist, dass sich, anders als in den
männlich dominierten amerikanischen
und europäischen Comicszenen, weibliche
und männliche Mangaka etwa die Waage
halten. Zwar war die Manga-Kunst anfangs
ebenfalls eine reine Männerdomäne. Dies
änderte sich jedoch, als die ersten Frauen
Geschichten für Mädchen zeichneten.
Schnell merkten die Leserinnen, dass sich
Zeichnerinnen besser in ihre Gedankenund Gefühlswelt hineinversetzen konnten
als Zeichner, was schnell zu einem Aufschwung weiblicher Mangaka führte. Kaps:
«Mittlerweile stehen auch hinter so mancher erfolgreichen Serie für Jungs Zeichnerinnen.» In Europa steckt die professionelle
Manga-Zeichnerei noch in den Kinderschuhen. «Langsam entwickelt sich aber
etwas», sagt Kaps, «und eine junge Zeichnerin wie Anna Hollmann hat mittlerweile
auch schon einen beachtlichen Bekanntheitsgrad erreicht.» Wer nun daran denkt,
vielleicht selbst eine Karriere als Mangaka
einzuschlagen, sei jedoch gewarnt: «Einen
200-Seiten-Manga zu zeichnen, ist ein Knochenjob, der weit über das Nachzeichnen
bekannter Figuren hinausgeht!» Zum Vergleich: Ein Asterix-Band hat 48 Seiten –
und erscheint in einem Rhythmus von rund
drei Jahren ...
Empfehlungen von
Chiara Schäppi
Chiara
Schäppi,
21, absolviert in
der Buchhandlung
Stauffacher in Bern
ihre BuchhändlerLehre. Das MangaFieber wurde bei
ihr durch «Dragonball»
ausgelöst. «In der Schulbibliothek war immer ein Gerangel darum,
wer welchen Band ausleihen durfte!», erinnert sie sich. Ihr absoluter LieblingsManga sei aber «Death Note». «Die Geschichte ist sehr düster und handelt von
einem Highschool-Jungen, der das Buch
eines Todesgotts findet. Wen er dort einträgt, stirbt, und zwar auf die Weise, die
der Junge bestimmt. Er beginnt, Gott zu
spielen, weil es auf der Welt ja so viele böse
Menschen gibt, die den Tod verdienen.
Schnell merkt er aber, dass die Dinge nicht
so einfach sind, wie er sie gern hätte. Eine
wahnsinnig spannende Story!» In der
Buchhandlung Stauffacher sind die Endlos-Serien sehr beliebt: die Piratenserie
«One Piece» zum Beispiel oder die NinjaSaga «Naruto». Chiara Schäppi: «Beide
Shonen bieten viel Action und Abenteuer.
Ebenfalls ein Renner ist ‹Detektiv Conan›.
Darin geht es allerdings nicht um den Barbaren, sondern um einen detektivisch veranlagten Highschool-Jungen, der von einer Verbrecherorganisation mittels eines
Serums in einen sechsjährigen Jungen mit
dem Wissen eines 17-Jährigen verwandelt
wird.» Für die weibliche Leserschaft ab
etwa 15 Jahren empfiehlt Chiara Schäppi
«Nah bei dir». «Dieser Manga behandelt
alle Themen, die Mädchen im Teenageralter beschäftigen: die erste Liebe, die Probleme in der Schule, Schein und Sein und so
weiter.» Und etwas für Erwachsene sei
«Vertraute Fremde» von Jiro Taniguchi.
«Alle seine Geschichten sind sehr ruhig,
ohne viel Action, und sie handeln meist von
alltäglichen Themen. Zeichnerisch gesehen ist dies so etwas wie ein Crossover
zwischen Manga und Graphic Novel. Manga wie diese räumen mit dem Vorurteil auf,
dass Manga nur etwas für Kinder sind!»
Death Note
abgeschlossen in 12
Bänden
Takeshi Obata /
Tsugumi Ohba
192 bis 208 Seiten
ca. CHF 13.00
Tokyopop
One Piece
bislang 69 Bände
Eiichiro Oda
192 bis 256 Seiten
ca. CHF 10.00
Carlsen
Naruto
bislang 63 Bände
Masashi Kishimoto
192 bis 208 Seiten
ca. CHF 10.00
Carlsen
Detektiv Conan
bislang 79 Bände
Gosho Aoyama
192 Seiten
ca. CHF 12.00
Egmont Manga
Nah bei dir – Kimi
ni Todoke
bislang 19 Bände
Karuho Shiina
192 Seiten
ca. CHF 13.00
Tokyopop
Vertraute Fremde
Jiro Taniguchi
409 Seiten
CHF 32.90
Carlsen
24 | Spezial – Zu Berge!
Spezial – Zu Berge! | 25
Books Nr. 1/2014
Books
Spezial
Zu Berge!
Die Alpen sind Lebensraum, Erholungsgebiet, Wirtschaftsfaktor – und ein literarisches Thema. Max Frisch
schrieb 1946 in sein Tagebuch: «Die plötzliche Lust
zum Klettern, überhaupt die Gier, den Dingen wieder
näher zu kommen.» Diese Lust packt viele Autorinnen und Autoren. In unserem Spezial zeigen wir Neues und neuerschienenes Altes aus der Alpenliteratur.
26 | Spezial – Zu Berge!
immer wieder
atemberaubend
Spezial – Zu Berge! | 27
Books Nr. 1/2014
Eine grosse Leinwand
In der Aufklärung entwickelte sich ein wissenschaftliches und
literarisches Interesse an den Alpen. Seither werden die Berge
bereist und beschrieben – und als Symbol für alle möglichen
Weltanschauungen benutzt.
Benjamin Gygax
Miss Jemimas Journal
Die Engländerin Jemima Morell unterhält uns mit der humorvollen
Beschreibung ihrer Schweizreise. Ihr Reisetagebuch von 1863
bezaubert auch heute noch, weil es uns jene Neugier und Abenteuerlust vermittelt, die auch uns vor Reisen in die Ferne befällt. Mit
seiner irritierenden Mischung aus Vertrautem und längst Vergangenem lässt es uns zudem unsere Heimat neu sehen.
Benjamin Gygax
Einst waren die Alpen einfach ein Ort, an
dem das Leben hart und gefährlich war.
Und wer in den Bergen lebte, galt damals
als arm und rückständig. Zwar konnten es
einige wenige Bergler mit der Säumerei
und der Milchwirtschaft bis ins 19. Jahrhundert zu Wohlstand bringen, doch die
meisten führten wirklich ein Leben, das
der allgemeinen Vorstellung entsprach: In
einer bedrohlichen Umwelt kämpften sie
täglich um das Nötigste. Nur wer dazu gezwungen war, riskierte auch noch Kopf
und Kragen auf Schneefeldern und in Felswänden. Doch schon im 18. Jahrhundert
erwachte ein neues, nicht wirtschaftlich
begründetes Interesse an der Bergwelt. Mit
der Aufklärung begannen Gelehrte, die
Phänomene aus der belebten und unbelebten Natur zu beschreiben.
Es gab immer schon gute Gründe
für eine Schweiz-Reise. Jetzt gibt es
1.000 Gründe mehr: Tipps und Ziele
Spezial
zu berge!
und Events, Shoppingtipps und
Seen – das Buch führt in die schönsten
Regionen der Alpenrepublik.
Die Tipps wenden sich an Familien
mit Kindern und Urlauber, die aktiv
ihre Zeit gestalten, für Feinschmecker,
die das Typische lieben und Kulturinteressierte. 480 Seiten für SchweizFans und solche, die es werden wollen.
Von den Alpen in die Welt
In ganz Europa stieg die Begeisterung für
die Alpen aber mit der Literatur. Johann
Wolfgang von Goethe brachte die Tell-Sage
aus seinen Reisen durch die Schweiz mit
und machte Friedrich Schiller damit bekannt. Dieser verarbeitete die Sage zu einem Stück, das Goethe 1804 als Regisseur
auf die Bühne des Weimarer Hoftheaters
brachte. Zum Ruhm der Schweizer Bergwelt trug auch Lord Byron viel bei. Nach
einem Skandal übersiedelte er 1816 von
London nach Cologny am Genfersee. Hier
vertrieb er sich mit dem Ehepaar Percy und
Mary Shelley die düsteren Nächte am See
mit grusligen Geschichten – Mary Shelley
erfand dabei die Frankenstein-Erzählung.
Eine vielseitige Kulisse
fürs ganze Jahr. Sehenswürdigkeiten
Restaurants, Bergwanderungen und
den Ruf als Begründer der naturwissenschaftlichen Alpenforschung.
Mit Moral und Wissenschaft
Der Berner Universalgelehrte Albrecht von
Haller war von der Bergwelt fasziniert.
Nachdem er sie in einer Reise durchquert
hatte, beschrieb er sie 1729 in seiner Dichtung «Die Alpen». Als Wissenschaftler seiner Zeit beschränkte er sich nicht auf die
sachliche Beschreibung von Naturphänomenen, sondern hielt auch philosophische
und moralische Gedanken fest. Damit lieferte er der aufkommenden Gebirgsbegeisterung kräftig Nahrung. Und dieser Begeisterung verfiel auch sein Neffe: Der Genfer
Naturforscher und Philosoph Horace Bénédict de Saussure erforschte die Geografie,
Geologie und Botanik der Alpen. 1787 bestieg er dazu sogar den Mont Blanc. Ab
1779 begann de Saussure, seine Forschung
im vierbändigen Werk «Voyages dans les
Alpes» zu publizieren. Damit erwarb er sich
Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Alpen
endgültig zu einem symbolhaften Ort geworden, mit dem Autorinnen und Autoren
alles mögliche verbinden konnten. Johanna
Spyri knüpfte an die moralische Verklärung
von Rousseau an, als sie ihre Romanfigur
Heidi 1880 zum Alpöhi nach Maienfeld
schickte. Bei Conan Doyle ging es düsterer
zu. Der Anblick der Reichenbachfälle bei
Meiringen brachte ihn auf die Idee, seinem
Romanhelden Sherlock Holmes ein fulminantes Ende im Wasserfall zu bereiten. Ein
Kuraufenthalt brachte auch Thomas Mann
auf die Idee, sich der Berge für seine Literatur zu bedienen. Der Autor begleitete seine
Frau Katia 1912 ins Waldsanatorium in Davos. Seine Eindrücke verarbeitete er zum
1924 erschienenen Roman «Der Zauberberg». Die Alpen bieten eben eine riesige
Leinwand, auf die jede Epoche ihre Ängste,
Mythen und Wertvorstellungen projizieren kann. Deshalb üben sie bis heute
eine grosse Anziehungskraft auf Reisende
aus. Und deshalb überrascht es nicht, dass
Berglandschaften seit ihrer «Entdeckung»
durch die Aufklärer auch eine beliebte Kulisse für Geschichten abgeben.
Eine junge Frau unternimmt eine Reise
durch die Schweiz und führt dabei Tagebuch. Das klingt wenig interessant. Doch
die Neuerscheinung «Miss Jemimas Journal» ist ein Genuss. Das Tagebuch einer Reise durch die Alpen von Jemima Morell entstand vor rund 150 Jahren, ist 1963 auf
Englisch erschienen und liegt jetzt auch auf
Deutsch vor. Seine Verfasserin, Miss Morell,
gehörte zu jener Minderheit in viktorianischer Zeit, die einerseits über genügend Mittel für eine Reise verfügte und andererseits
die nötige Abenteuerlust besass, um aus kulturellem Interesse und zum Vergnügen zu
reisen.
ner Oberland und dann über Luzern und
Solothurn nach Neuchâtel. Von dort kehrte
die Gruppe in ihre Heimat zurück.
Die Geburt des Pauschaltourismus
Die 31-jährige Tochter eines englischen Pastors schloss sich 1863 einer achtköpfigen
Reisegruppe von Thomas Cook an und
schrieb damit Geschichte. Denn der Reiseleiter bot die erste geführte Gruppenreise
durch die Schweiz an und eröffnete damit
das Kapitel des Pauschaltourismus. Thomas
Cook war unter anderem als Gemüsehändler und Tischler tätig gewesen und wurde
später baptistischer Prediger. Als er für eine
Abstinenzlerveranstaltung 1841 eine günstige Extrafahrt mit der Eisenbahn organisierte, erkannte er das Potenzial geführter
Reisen zu Pauschalpreisen. 1846 bot er Reisen nach Schottland an, 1851 nach London,
1853 nach Dublin und zwei Jahre später
erstmals auf den Kontinent. 1863 organisierte er die «First Conducted Tour of Switzerland», an der eben auch Jemima Morell
teilnahm. Die Rundreise führte vom 25. Juni
bis zum 17. Juli 1863 mit dem Schiff über
den Kanal, mit dem Zug für einen Zwischenhalt nach Paris und von da nach Genf. Hier
war erst mal Schluss mit der bequemen Eisenbahn. Denn auch wenn die Schweiz heute für sich beansprucht, ein Bahn-Land zu
sein – damals gab es nur einige wenige Strecken durchs Mittelland. Also ging es mit der
Postkutsche, zu Fuss, auf Maultieren und im
Schiff weiter durchs Wallis, hinüber ins Ber-
Reisende mit viel Humor und spitzer Feder: Jemima Morell nahm an der «First Conducted Tour of
Switzerland» von Thomas Cook teil.
Der «Junior United Alpine Club»
Es sind mehrere Dinge, die das rund 150
Seiten schmale Buch so bezaubernd machen. Miss Jemima Morell unterhält uns
mit Humor und der leisen Ironie, die ihre
Landsleute so schön kultivieren. Das beginnt schon vor der Abreise: Als Damen
von Welt treibt die Reiseteilnehmerinnen
die Frage nach dem angemessenen Gepäck um, und Miss Morell hält stolz fest:
«Madame Angeville und Mrs. Winkworth
mögen den Mont Blanc und die Jungfrau
bezwungen haben, die Damen Misses Jemima, Sarah, Eliza und Mary jedoch haben
die weltumspannend wichtige Gepäckfrage
gelöst und beanspruchen für sich, mit weniger Bagage in die Alpen gereist zu sein als
je ein Tourist zuvor, und die Hotelportiers
schmeichelten ihnen unwissentlich mit der
süssen Frage: ‹Wo sind Ihre Schachteln?›»
Humor und leisen Spott lässt die Tagebuchschreiberin auch anklingen, wenn sie ihre
Reisegruppe «Junior United Alpine Club»
tauft. Der Name ist eine Abwandlung des
elitären Londoner «Alpine Club», der sechs
Jahre zuvor als weltweit erster seiner Art
gegründet worden war und bis 1974 keine
Frauen aufnahm. Sie spottet: «Dem Beirat
des J. U. Alpine Club liegt es fern, sich in
ungebührlicher Weise über die Rückständigkeit anderer Vereine bezüglich der Anpassung an die jüngsten Neuerungen in der
Kunst des Reisens zu mokieren.» Damit
spielt sie auf die Empfehlung des Vorsitzenden des Alpine Club an, vorerst noch keine
Knickerbocker auf Europareisen zu tragen,
da die Hosen noch zu wenig bekannt seien.
Ausgelassen ins Unbekannte
Auch wenn Jemima Morells Reisebericht
inzwischen über 150 Jahre alt ist, erkennen wir uns darin wieder. Der Text strahlt
jene jugendliche Ausgelassenheit und
Abenteuerlust aus, die Reisende auch heute erfasst: Dieses Gefühl, als wäre alles
möglich und als würde Grosses warten.
Das beginnt schon bei den Reisevorbereitungen: «Nachdem der Vorsitzende, auf
der Kante eines Reisekoffers sitzend, darum gebeten hatte, es möge nicht mehr als
die Hälfte der Anwesenden zur selben Zeit
reden, ging der Club zur Tagesordnung
über», spottet die Autorin. Trotz einiger
Strapazen ist die Reisegruppe auch unterwegs für Spässe zu haben, so zum Beispiel
auf dem Gemmipass bei Leukerbad: «Hier
nahmen uns am 3. Juli 1863 unter brennender Sonne zwei Mitglieder des Junior
United Alpine Club, die sich einen Vorsprung verschafft hatten, mit Schneebällen
unter Beschuss und beraubten somit eine
ähnliche Kampagne, die wir als Dank für
vorangegangene Wohltaten für sie geplant
hatten, ihrer Frische.» Die Reisegruppe
war aufgebrochen, vor allem die Natursehenswürdigkeiten der Schweiz zu bewundern. Doch besichtigt werden nicht nur
Panoramen, Gletscher und Wasserfälle. Im
französischen Bonneville studiert man die
Bekanntmachungen zu öffentlichen Wahlen, die am Rathaus angeschlagen sind,
eine Parade einer Wehrpflichtigengruppe
und natürlich die Dorfkirche. In Grindelwald erkunden die Reisenden auf einem
Spaziergang durch den Friedhof die Gräber und darauf verzeichnete Todesursachen. Und zum Abschluss der Reise erstehen die Gentlemen in Neuchâtel eine Uhr.
Die Dritte Welt in den Alptälern
Vieles kommt uns heute noch bekannt vor,
doch die Engländer bereisten damals ein
ganz anderes Land. Miss Jemima beschreibt die Armut: «Weil wir gerne ein
Chalet von innen sehen wollen, betreten wir
28 | Spezial – ZU BERGE!
Spezial – ZU BERGE! | 29
eines unter dem Vorwand des Durstes, der
uns aber schnell vergeht, als ein schmutziges kleines Kind auf ein gesprungenes Fass
mit trübem Arve-Wasser deutet, in dem offenbar das einzige Trinkgefäss des Hauses
schwimmt, nämlich ein alter fleckiger Topf;
Möbel gibt es keine, die diesen Namen verdient hätten, nur ein oder zwei kleine Fässer, ein Hocker und ein abgestützter Tisch,
alles kündet von der bitteren Armut der
Bauern.» Als Ursache für die Armut im Wallis sieht Jemima Morell «Aberglaube, Unwissenheit und die unsauberen Gebräuche
der Menschen»; sie würden diese wunderschöne Gegend zu einer der ärmsten und
melancholischsten in ganz Nordeuropa machen. Was die Engländer in der Schweiz erleben, kommt unserer Reiseerfahrung in
anderen Kontinenten nahe: «Wir landeten
in Weggis, und wäre jeder Mann, Junge und
Maultiertreiber, der sich dort auf uns stürzte,
eine Wespe gewesen und jedes Wort ein
Stich, Weggis hätte unsere sterblichen Überreste aufnehmen müssen.» Auch die fliegenden Händlerinnen, die während der ganzen
Reise auf der Strasse Kirschen anbieten,
sind ein kleines Ärgernis: «Diese Kirschverkäufer betrachten uns als ihre legitime Beute […] und wenden alle Kunst und Kniffe auf,
um uns zu Käufern zu machen.»
Neuerscheinungen: Von Bergen, Enten und Kühen
Die Essenz des Reisens
Wer selbst eine Reise in die Berge plant, kann sich
über eine Neuerscheinung aus dem AT-Verlag
freuen: «Wandern und Geniessen in den Schweizer
Alpen» heisst der Führer von Heinz Staffelbach.
Nach Regionen geordnet, hat der Autor und
Fotograf Anregungen für 45 Wochenendtouren
zusammengestellt. Die Touren sind ausführlich
beschrieben, auf einer Übersichtskarte eingezeichnet, mit Tipps für Übernachtungen ergänzt und mit
schönen Fotos gut angepriesen.
Miss Jemimas Journal beschreibt in vielem
die Essenz des Reisens: die Vorfreude, die
Neugier, das Unterwegs-Sein. In einem Fazit beschreibt sie, wie die Eindrücke während der Reise die Welt ihrer Gedanken
und Gefühle erweitert hätten. Diese Erfahrungen hätten sie «für alle Anstrengungen
und unvermeidlichen Unannehmlichkeiten,
die zum Reisen in einem fremden Land dazugehören, überreich entschädigt.» Diese
Zusammenfassung klingt zwar etwas pathetisch, doch wenn Miss Morell die Gefahren der Reise beschreibt, findet sie zur Ironie zurück: «Die Gefahren der Alpentouristik
lassen sich in zwei Kategorien unterteilen,
die realen und die imaginierten, und im
Rückblick sollte sich erweisen, dass die unseren allesamt zu letzteren zählten.»
Miss Jemimas Journal
Jemima Morell
150 Seiten
CHF 25.90
Rogner & Bernhard
Die Ducks in den Alpen
Jan Gulbransson
56 Seiten
CHF 18.90
Egmont Ehapa
Miss Jemimas Reisegruppe bewältigte Distanzen von
bis zu 40 Kilometern zu Fuss. So lange müssen die
Protagonisten einer anderen Neuerscheinung gar
nicht unterwegs sein, um Plattfüsse zu bekommen.
Donald Duck und seine Verwandten jagen durch
die Alpen, um den Nachfahren eines Elefanten von
Hannibal zu suchen: «Die Ducks in den Alpen» heisst
ein informatives Abenteuer des deutschen Zeichners
Jan Gulbransson.
Spezial
zu berge!
«Dem
Gefängnis
entrinnen»
Die Schweizer Kuh
Marc Valance
211 Seiten
CHF 64.90
hier+jetzt
Emil Zopfi klettert und schreibt
seit vielen Jahren. In seinem
Buch «Dichter am Berg» stellt er
22 Autorinnen und Autoren vor,
die über die Berge schrieben.
Von einer ganz anderen Seite nähert sich Autor
Marc Valance dem Thema. Für sein 2013 erschienenes Buch «Die Schweizer Kuh» interessiert ihn das
Tier als Nationalikone und Symbol in der Politik,
Werbung und im Sport. Der Band versammelt teils
altvertraute und teils überraschende Bilder von
Kühen.
Benjamin Gygax
Alpenmärchen
Heinz Staffelbach
192 Seiten
CHF 39.90
AT
Kuhle Schweizer – Swiss Stars
Sonja Lacher
128 Seiten
CHF 49.90
AS
Was wäre eine Bergwanderung ohne einen kurzen
Halt auf der Weide und dem Kratzen einer rauen
Kuhzunge auf dem verschwitzten Arm? Das vertraute Tier hat die Fotografin Sonja Lacher in ihrem
Buch «Kuhle Schweizer» ins beste Licht gerückt.
Die Neuerscheinung mit dem nicht ganz so coolen
Titel zeigt schwarz-weisse Fotografien von Kühen
verschiedenster Rassen. Sonja Lacher zeichnet ein
stimmungsvolles Bild des Tiers in seiner natürlichen
Umgebung. Sparsame Texte vermitteln einige Fakten zum Leben der Tiere und ihrer Bedeutung
in der Landwirtschaft.
Eva-Maria Wilhelm
128 Seiten
CHF 29.90
Fona
Bild: Marco Volken
Wandern und Geniessen in den Schweizer Alpen
Die Alpen zeigen sich von ihrer märchenhaften
Seite in einer Neuerscheinung des Fona-Verlags: Für
«Alpenmärchen» hat Eva-Maria Wilhelm Märchen
und Sagen aus dem Alpenraum und speziell aus der
Schweiz gesammelt und nach Themen geordnet. Es
gibt Geschichten über die Tiere der Bergwelt, alle
möglichen Fabelwesen oder einfach über Melker
und Sennerinnen. Die einprägsamen Illustrationen
stammen von der Berner Grafikerin Karin Widmer.
Gipfel – Col – Valle
Franz Hohler
Noëlle Revaz
Giovanni Orelli
180 Seiten
CHF 24.90
Limmat
Ein sehr schweizerisches Buch ist soeben im
Limmat-Verlag erschienen – wie schweizerisch es
ist, verdeutlicht bereits der Titel: «Gipfel – Col –
Valle» heisst es in guter mehrsprachiger Tradition. Die Westschweizer Schriftstellerin Noëlle
Revaz, der Deutschschweizer Franz Hohler und
der Tessiner Autor Giovanni Orelli haben dafür
Texte zusammengetragen, die im Magazin «Echo»
erschienen sind. Sie handeln alle von den Bergen
oder vom Unterwegs-Sein zu Fuss, werfen aber
sehr unterschiedliche Schlaglichter auf verschiedene
Landschaften, Unternehmungen und Themen.
Emil Zopfi, geboren 1943, studierte Elektrotechnik und veröffentlichte 1977 seinen ersten Roman.
Er lebt als freischaffender Schriftsteller in Zürich
und ist passionierter Sportkletterer.
«Books»: Wie sind Sie zum Alpinismus
gekommen?
Emil Zopfi: Ich war schon als Junger ein
Extremkletterer; das war meine Initiation
und mein Ausbruch. Ich hatte eine beengte, schwere Jugend – ich verlor meine
Mutter im Alter von 8 Jahren, fand keine
Lehrstelle. Und dann die Berge! Doch damals konnte man im Winter nicht klettern,
denn es gab noch keine Kletterhallen. In
dieser Jahreszeit hatte ich unglaublich
zu leiden, das Klettern hatte mich süchtig
gemacht. Bald merkte ich aber: Wenn ich
die Touren im Kopf nachvollziehe und alles aufschreibe, kann ich sie noch einmal
erleben und meine Entzugserscheinungen
mildern. So begann ich zu publizieren,
erst in den Blättern des Alpen-Clubs und
alpinen Zeitschriften. «Die Wand der Sila»
war 1986 mein erster Kletterroman.
Was hat Sie dazu bewegt, die 22 Porträts von Schweizer Autorinnen und
Autoren zusammenzustellen?
Ich organisiere alle zwei Jahre einen Tag
für alpine Literatur, die «Bergfahrt» in
Amden. Das begann 2004 zum hundertsten Geburtstag von Ludwig Hohl. Dessen
Erzählung «Bergfahrt» ist der grosse
Klassiker der Schweizer Alpinliteratur.
Zwei Jahre später nahmen wir uns Max
Frisch vor, danach Hans Morgenthler.
Dieses Jahr geht es unter anderem um
Franz Hohler. So bin ich ins Thema
gerutscht. Irgendwann spürte ich, dass
ich es in einem Buch vertiefen möchte.
Es stellt markante Bergautoren des 20.
Jahrhunderts vor, darunter auch jüngere
wie Roland Heer und Oswald Oelz. Frauen
zu finden war ein wichtiges Anliegen –
und Ella Maillard war dann eine grosse
Entdeckung.
Haben Sie etwas gefunden, das die so
verschiedenen Autorinnen und Autoren
verbindet?
Als Antwort kann ich Ludwig Hohl zitieren. In seiner Erzählung «Bergfahrt» stellt
der Protagonist die Frage: «Warum steigt
ihr auf Berge?» Die Antwort fällt ihm
in einer ausweglosen Situation in einer
Felswand ein: «Um dem Gefängnis zu entrinnen.» Ich glaube, dies verbindet alle:
Man will ausbrechen aus einer Enge, sei
sie nun familiär wie bei Hohl, sozial wie
bei Lorenz Saladin oder wie beim Walliser
Maurice Chappaz: Dieser beschreibt sehr
schön, wie er Sehnsucht nach dem Meer
hatte und dann die Gletscherwelt als
«Meer vor meiner Haustüre» entdeckte.
Das ist wohl die Essenz: die Suche nach
etwas Befreiendem. Deshalb geht man
auch Risiken ein. Einen Ausbruch gibt es
nicht ohne Risiko.
Wann begann das literarische Interesse
an den Alpen?
Wenn im 19. Jahrhundert jemand einen
Berg erstmals bestieg, schrieb er ein Buch
darüber. Es gibt viele Bücher von Alpenpionieren, die einerseits Forschungsberichte sind, aber auch eine literarische
Qualität besitzen: etwa der Bericht von
Johannes Hegetschweiler über den Tödi
oder jener von Goethe über seine FurkaWanderung. Später sind stärker literarisch motivierte Werke entstanden. Hans
Morgenthalers «Ihr Berge» von 1916 ist
sicher ein Markstein. Spannend ist auch
Christian Klucker, der um 1900 als Bergführer tätig war. Damals ging die Zeit der
Führer als Begleiter der Alpenpioniere zu
Ende, denn die Pioniere kletterten immer
besser und brauchten keine Helfer mehr.
Klucker merkte, dass er schreiben musste,
um für seine hervorragenden Leistungen
im Bergell gewürdigt zu werden. Er hat
sich sein Buch «Erinnerungen eines Bergführers» unter Schmerzen abgerungen
und schuf sich so ein Denkmal.
Wieso wurden ausgerechnet die Alpen
zu einem kraftvollen Symbol – auch in
der Literatur?
Es gibt sicher auch literarische Werke
über den Bodensee. Aber die Alpen haben
in der Schweiz eine besondere Bedeutung,
weil man sie von überall her sieht. Schon
Jakob Stutz beschreibt im 19. Jahrhundert, wie er als Knabe vom Zürcher Oberland aus die Alpen sieht und sich vorstellt:
Er möchte ein Vogel sein und über die
Berge nach Mailand fliegen. Die Alpen
sind eben auch Barrieren, die es zu überwinden gilt. In den 1980er-Jahren forderte die Jugendbewegung «Freie Sicht aufs
Mittelmeer». Die Alpen verstellen uns den
Weg ins «Land, wo die Zitronen blühn».
Während des 20. Jahrhunderts entwickelten sich die Alpen auch zum
Inbegriff der Schweizer Identität und
Selbstbehauptung. Autoren wie Max
Frisch, Friedrich Dürrenmatt oder Paul
Nizon schrieben gegen das Gefühl der
Enge an. Haben sie unser Verhältnis zu
den Alpen verändert?
In dieser literarischen Tradition gerieten
Berge in Verruf als Hort des konservativen
Schweiz-Bildes mit Réduit und Rütli. Ich
empfinde es so, dass die alpine Literatur
immer noch von gewissen Kreisen abgelehnt wird. Auch ich werde von vielen als
«Alpenheini» angesehen. Doch die alpine
Literatur ist oft auch eine urbane Literatur, auch die Erschliessung der Alpen
erfolgte aus dem Unterland durch Städter.
Man kann die alpine Welt als Spiegel der
urbanen betrachten.
Welche Entwicklungen sehen Sie für die
Bergliteratur in Zukunft?
Im Alpinismus hat sich viel verändert,
und die Alpen-Club-Hütten haben ihre
ursprüngliche Funktion als Schutzhütten
verloren. Heute kommen viele Wanderer und Familien. Man isst gut, es gibt
Lesungen, Bergtheater oder Kunst in der
Landschaft. Es ist für mich spannend zu
verfolgen, wie die Alpen heute selber zu
einem Kulturraum werden.
Dichter am Berg
Emil Zopfi
376 Seiten
CHF 39.90
AS
30 | Buchtipps
FRANZ HOHLER
Immer höher
Franz Hohler wandert, geht und klettert schon lange mit Leidenschaft –
nun hat er darüber geschrieben. Von
einem Gipfel nur wenige hundert
Meter über Meer führt Hohler die
Leserinnen und Leser in seinen Erlebnisberichten immer höher auf Vierund auch einen Fünftausender.
Aber da gibt es keine Dramen am
Berg, keine spektakulären Rettungsaktionen – nur «ganz gewöhnliche
Bergtouren». Es handelt sich hier also
keineswegs um ein klassisches Stück
reisserischer Bergliteratur, aber die
Touren sind so hautnah geschildert,
dass man sich wünscht, man wäre
selbst dabei gewesen. Und Franz
Hohler wäre nicht Franz Hohler,
würde sich in die Bergromantik nicht
auch handfeste Kritik mischen.
BUCHtipps | 31
Books Nr. 2/2014
RUTH MICHEL-RICHTER,
KONRAD RICHTER
GABRIELLE ALIOTH
THOMAS RICKENMANN
Alain Ducasse
Akira Himekawa
JENNI FAGAN
HARRY SCHEFFER
Die Berge waren schon immer ein
beliebtes Motiv für Künstlerinnen
und Künstler. Mit diesem Buch wird
die künstlerische Faszination der
Bündner Alpen hautnah erlebbar.
14 Wanderungen führen zu den
Standorten bekannter und weniger
bekannter Gemälde, Skizzen, Stiche
und Tourismusplakate. Angepeilt
werden die Vorlagen für Werke von
Giovanni Segantini, Alois Carigiet, den
drei Giacometti und vielen mehr. Den
historischen Gemälden gegenüber
stehen aktuelle Fotografien der
Motive.
Gegenwärtig diskutiert die Schweiz
heiss über die Einwanderung. Dabei
war die Schweiz bis vor dem Zweiten
Weltkrieg noch ein Auswandererland.
Viele flüchteten vor der Armut, die
weite Teile des Landes im Griff hatte.
Über diese heute etwas in Vergessenheit geratene lange Periode der
Auswanderung berichtet Gabrielle
Alioth.
Der Alpaufzug ist wohl für die meisten
Schweizer Bergbauern das grösste und
aufregendste Ereignis des Jahres. Doch
das Ritual ist nicht einfach nur schöne
Tradition, sondern harte Arbeit. Das
zeigt «z’Alp» eindrücklich. Dokumentarfilmer Thomas Rickenmann hat dafür
drei Bauernfamilien auf der jährlichen
Wanderung ins Sommerdomizil
begleitet.
Alain Ducasse ist nicht irgendein
Spitzenkoch – sondern der weltweit
einzige Koch, der mit gleich dreimal
drei Michelin-Sternen ausgezeichnet
wurde. Er gilt heute als einer der
grössten Meister am Herd.
1986 erblickte Link das flackernde
Licht der Gamekonsolenwelt. Der
kleine, grün gewandete Videospielheld machte sich auf der NintendoKonsole NES zum ersten Mal auf
den Weg, Prinzessin Zelda zu retten.
Mittlerweile gilt das Spiel mit seinen
zahlreichen Fortsetzungen und
insgesamt über 60 Millionen verkauften Einheiten als die erfolgreichste
Action-Adventure-Reihe überhaupt.
«Das Runde gehört ins Eckige» – das
stimmt, aber im Profifussball geht es
noch um viel mehr. Das zeigt Harry
Scheffer in diesem Insiderreport aus
der Welt des Spitzenfussballs auf
eindrückliche Weise. Der Autor analysiert die Erfolgsrezepte von Spielern,
Klubs und Trainern und zeichnet dabei
ein kritisches Bild der Branche und
ihren Auswüchsen.
Die Autorin, die selber vor 30 Jahren
nach Irland auswanderte, beschreibt
das Schicksal von Erneuerern, von
denen heute kaum mehr jemand
weiss, dass sie einst aus der kleinen
Schweiz in die grosse Welt zogen.
Alioth erzählt aber auch von denen,
die in dieser grossen Welt krank
wurden vor Heimweh, die als Erfinder
brillierten und weggingen, weil ihnen
die Schweiz zu eng war.
Schon allein die Bilder der imposanten Berglandschaft des Alpsteins, der
Schwyzer Voralpen und der Engstligenalp im Berner Oberland rechtfertigen den Kauf der DVD. Mit seinem
Film gelingt Dokumentarfilmer Thomas
Rickenmann aber auch ein tiefer
Einblick in die Tradition des Alpaufzugs – eine Tradition, die in allen drei
gezeigten Regionen der Schweiz anders
gelebt wird.
Die 15-jährige Anais Hendricks sitzt
mit blutverschmierter Schuluniform auf
dem Rücksitz eines Polizeiautos. Sie
ist auf dem Weg ins Panoptikum, eine
Besserungsanstalt für schwer erziehbare Jugendliche. Und das wegen einer
Tat, an die sie sich nicht erinnern kann.
Für Anais ist das Panoptikum die letzte
Station einer langen Odyssee durchs
Sozialsystem; es ist aber auch der Ort,
wo sie in den anderen Jugendlichen fast
so etwas wie eine Familie findet.
Wandern wie
gemalt –
Graubünden
Das Buch spricht Wanderer und
Kunstliebhaber gleichermassen an.
Entlang der abwechslungsreichen
Wanderrouten werden die Künstler
vorgestellt, ihre Beziehung zum Kanton Graubünden und ihre Bedeutung
in der Kunstentwicklung ihrer Zeit
beschrieben.
Ausgewandert
z‘Alp
Nature
Und Alain Ducasse ist auch ein Mann
mit einer Mission. «Als Spitzenkoch
sehe ich es als meine Aufgabe an, all
die ursprünglichen Aromen der Natur
wieder aufzuspüren, denn schliesslich verdanken wir einer gesunden
Ernährung einen Grossteil unserer
Lebensqualität», sagt er. In seinem
neuen Kochbuch zeigt er, wie man
mit Gemüse, Getreide und Obst raffinierte Rezepte auf den Tisch zaubert,
und er ergänzt seine Rezepte mit
Kommentaren zu gesundheitlichen
und kulinarischen Besonderheiten.
The Legend of
Zelda – Hyrule
Historia
Zum 25. Geburtstag des GameKlassikers erschien ein Artbook, das
nun seit kurzem auch auf Deutsch
erhältlich ist. Darin werden alle
Bewohner des Königreichs Hyrule
vorgestellt und die Hintergründe zur
Entstehungsgeschichte des Spiels aufgezeigt. Definitiv zum Must-have für
jeden Zelda-Fan wird das Buch durch
eine brandneue Manga-Geschichte
über die Abenteuer von Link.
Das Mädchen
mit dem
Haifischherz
Fussballgötter
Die schottische Schriftstellerin Jenni
Fagan beschreibt in ihrem Debütroman
eine Gesellschaft, die Problemjugendliche einfach wegsperrt. Sie sicherte sich
damit einen Platz auf der Liste der 20
besten englischsprachigen Autorinnen
und Autoren unter 40.
Die dafür nötigen Insiderkenntnisse
erworben hat sich Harry Scheffer
in einer jahrelangen Tätigkeit als
aktiver Fussballer, Jugendtrainer und
Spielervermittler. Er ist heute einer
der am besten vernetzten Förderer
der internationalen Fussballwelt. Für
sein Buch hat er mit Top-Trainern wie
Arsène Wenger oder Pep Guardiola
diskutiert, und er lässt auch Spitzenspieler zu Wort kommen.
160 Seiten
400 Seiten
192 Seiten
DVD
400 Seiten
274 Seiten
330 Seiten
223 Seiten
CHF 29.90
CHF 43.90
CHF 37.90
98 min
CHF 39.90
CHF 41.90
CHF 28.90
CHF 29.90
AS
Rotpunktverlag
FONA
CHF 26.90
FONA
Tokyopop
Antje Kunstmann
Orell Füssli
ISBN 978-3-906055-19-0
ISBN 978-3-85869-594-9
ISBN 978-3-03781-059-0
EAN 0610696667984
ISBN 978-3-03780-475-9
ISBN 978-3-8420-0859-5
ISBN 978-3-88897-925-5
ISBN 978-3-280-05526-7
32 | K affeepause
Die Debatte
Was machen Buchhändler in der Kaffeepause? Sie plaudern
über Neuerscheinungen. Zum Beispiel im Bagels im St. Galler
Rösslitor, der grössten Buchhandlung der Ostschweiz. Books
hat sich dort zu Bettina Zeidler und Dario Widmer gesetzt.
Marius Leutenegger
Heilige Mörderin
Keigo Higashino
315 Seiten
CHF 28.90
Klett-Cotta
Das Krokodil
Maurizio de Giovanni
333 Seiten
CHF 29.90
Kindler
Reiner Wein
Martin Walker
432 Seiten
CHF 33.90
Diogenes
K affeepause | 33
Books Nr. 2/2014
Books: In unserer heutigen Debatte
sprechen wir über drei Krimis. Ihr habt
je eine Empfehlung mitgebracht, dann
schauen wir uns auch noch einen soeben
erschienen Bestseller an. Dario, fass
bitte deine Empfehlung zusammen.
Dario Widmer (DW): «Heilige Mörderin»
von Keigo Higashino spielt in Japan und
beginnt mit einem Ehekrach: Ein Paar hat
vereinbart, sich zu trennen, sollte die Frau
nicht innerhalb einer Frist schwanger
werden. Diese Frist ist nun abgelaufen,
und der Mann eröffnet seiner Frau, sie zu
verlassen. Was er nicht weiss, wir aber
sofort erfahren: Die Frau hat beschlossen,
ihren Mann mit Arsen umzubringen. Zwei
Tage später wird der Mann tatsächlich
vergiftet aufgefunden. Die Witwe hat ein
wasserdichtes Alibi: Sie war zur Zeit, als
der Mann das tödliche Gift einnahm, weit
weg in den Ferien. Der Fall geht an Inspektor Kusanagi. Ihm sind wir bereits im
Roman «Verdächtige Geliebte» begegnet,
diesmal wird er von einer Assistentin
begleitet.
Bettina Zeidler (BZ): Diese Utsumi finde
ich eine spannende Figur. Sie benimmt
sich eigentlich sehr unjapanisch, stellt
ständig alles in Frage und fordert ihren
Chef immer wieder heraus.
DW: Genau! Sie steht auch den Theorien
von Kusanagi kritisch gegenüber. Dieser
findet nämlich heraus, dass der vergiftete
Ehemann ein Verhältnis mit der Freundin
seiner Frau hatte. Die Geliebte war die
Letzte, die den Mann noch lebend sah, und
für Kusanagi ist klar, dass sie die Mörderin
ist. Doch Utsumi bleibt skeptisch. Schliesslich holt sie Professor Yukawa ins Team,
einen unsympathischen Naturwissenschaftler, der schon früher mit Kusanagi
zusammengearbeitet hat.
BZ: Und dieser Professor bringt dann eine
völlig neue Perspektive in die Ermittlungen. Ganz allmählich zieht sich die Schlinge um die Ehefrau zusammen.
Das heisst, bei diesem Krimi handelt es
sich nicht um einen klassischen «Whodunit» im Stil von Agatha Christie, bei
dem es darum geht, wer der Mörder ist
– sondern eher um Suspense im Sinne
Hitchcocks: Die Spannung ergibt sich
daraus, dass wir mehr wissen als die
Protagonisten der Geschichte?
DW: Ja, Keigo Higashino arbeitet in seinen
Krimis immer so: Wir wissen, wer der
Mörder oder die Mörderin ist, doch die
Polizei tappt im Dunkeln.
BZ: Das tut sie hier ja auch nicht von
ungefähr. Nach und nach erfahren wir
nämlich, wie unglaublich raffiniert der
Plan war, den die Ehefrau ausheckte. Sie
hat den perfekten Mord verübt und ein
volles Jahr auf ihr Ziel hingearbeitet.
Aber ist das denn spannend?
DW: Ungeheuer: Wir wissen ja nicht alles
und wollen ebenfalls unbedingt erfahren,
wie die Frau den Mord plante. Es ist faszinierend zu sehen, mit welcher Selbstsicherheit sie der Polizei gegenübertritt.
Sie muss sich nicht fürchten, überführt zu
werden.
BZ: Mir gefiel die Konsequenz, wie diese
hochintelligente Frau einen Mord durchzieht, wie sie ständig kleine Puzzlestücke
zu ihrem Alibi hinzugefügt hat. Ich finde,
Higashino hat das alles genial konstruiert.
Was ist eigentlich heilig an dieser
Mörderin?
BZ: Gemeint ist wohl «scheinheilig», weil
sie so gut schauspielert – aber das klingt
weniger gut.
Dario, warum hast du diesen Titel für
unsere Debatte ausgewählt?
DW: Ich las schon das erste Buch von
Higashino, das auf Deutsch erschien –
«Verdächtige Geliebte» –, und war davon
fasziniert. Higashinos Krimis sind nicht
nur intelligent, sondern auch sehr atmosphärisch. Es gibt heute ja viele Krimis,
die an einem bestimmten Ort spielen, in
vielen Fällen erscheint mir das Lokale aber
eher als austauschbare Kulisse. «Heilige
Mörderin» ist hingegen durchdrungen von
Japan. Mittlerweile gibt es drei Romane
um Inspektor Kusanagi, und es wird wohl
noch einer übersetzt werden.
BZ: Das hoffe ich doch! «Heilige Mörderin»
ist einfach gut. Ich würde ja gern etwas Negatives sagen, aber es gibt wirklich nichts
zu mäkeln: guter Plot, gute Figuren, gute
Atmosphäre.
Ich nehme an, auch am nächsten Buch,
über das wir reden, hast du wenig auszusetzen: «Das Krokodil» von Maurizio de
Giovanni ist deine Empfehlung.
BZ: Obwohl ich eher ein Kind des Nordens
bin und mich dieser italienische Krimi auf
den ersten Blick nicht sehr interessierte.
Aber er gefiel mir dann wahnsinnig gut.
Nach dem Lesen der letzten Seite konnte
ich zuerst einmal eine Minute lang überhaupt nichts sagen, denn am Ende kommt
es zu einem Showdown, der mich sehr
berührte.
Fang doch bitte am Anfang an.
BZ: Im ersten Kapitel fährt der Tod in
Neapel ein. Ein Mann steigt am Bahnhof
aus dem Zug, und wir wissen, dass er
Morde verüben will. Sein Gegenspieler ist
Kommissar Giuseppe Lojacono. Er wurde
von Sizilien nach Neapel strafversetzt, weil
er der Mafia vertrauliche Informationen
weitergegeben haben soll. Seit dieser Affäre liegt auch Lojaconos private Situation im
Argen, denn seine Frau und seine Tochter
haben sich von ihm abgewandt. Dann werden nacheinander drei junge Menschen
getötet. Nach dem ersten Mord an einem
Drogendealer fällt der Verdacht auf die
Camorra, doch die folgenden Opfer haben
mit der Camorra sicher nichts zu tun.
DW: Es gibt mehrere Erzählstränge, die
sich immer stärker verdichten. Es geht um
den Kommissar, um die drei jungen Menschen – und um den Mörder. Jedes Kapitel,
in dem er im Mittelpunkt steht, wird mit
einem Brief an seine Geliebte eröffnet.
BZ: Mit der Zeit erfahren wir immer mehr
über seine Gründe für die Morde. Und es
sind Gründe, die sein Verhalten ein wenig
nachvollziehbarer machen.
Was ist mit dem titelgebenden Krokodil
gemeint?
DW: Ein Krokodil hat, so erfährt man, eine
besondere Jagdtechnik: Es beobachtet sein
Opfer in der Regel sehr genau, und es muss
sehr geduldig sein, bis es endlich schnell
zuschlagen kann – dann nämlich, wenn
sich das Opfer in Sicherheit wiegt und sich
dem Wasser nähert. So verhält sich auch
der Mörder: Er beobachtet seine Opfer
sehr genau, und es muss alles stimmen,
damit er zuschlagen kann. Denn er hat
eine sehr alte Waffe, die ihn zwingt, ganz
nah an die Opfer heranzukommen.
Wie geht die Geschichte weiter?
BZ: Lojacono erkennt durch einen Tipp von
aussen, dass es dem Mörder eigentlich gar
nicht um die jungen Leute geht – sondern
um deren Eltern. Aber wir wollen nicht zu
viel verraten. Jedenfalls wird die Sache von
Kapitel zu Kapitel klarer, aber auch dramatischer, bis zum erwähnten Showdown,
der einem wirklich den Atem raubt. Ich
bekam da kaum noch den Mund zu. Dieses
Buch las ich an einem Sonntagnachmittag
in einem Stück, und ich glaube, das muss
man auch tun, um diesen Effekt zu haben.
Man muss sich richtig hineingeben – und
dann ist die Sache genial.
Dario, wie fandest du das Buch?
DW: Eigentlich lese ich keine Krimis, und
als ich «Das Krokodil» aufschlug, dachte
ich: Ach nein, dieser Einstieg mit dem Tod,
der in Neapel einfährt, ist so platt und konstruiert! Aber ich erkannte dann schnell,
dass dieses Buch unglaublich gut geschrieben und extrem spannend ist.
BZ: Und es ist auch sehr, sehr dramatisch.
Mir können Bücher manchmal gar nicht
brutal genug sein, ich liebe die sogenannten Schlachtplatten, aber dieser Schluss
hier ging mir wirklich nahe.
DW: Das ist jedenfalls ein richtig böser
italienischer Krimi, wie ich noch nie einen
gelesen habe.
Während der «Krokodil»-Autor Maurizio de Giovanni noch kaum bekannt ist,
gehört Martin Walker zu den Bestsellern:
Seine Figur Bruno, Chef de police im
französischen Périgord, hat eine riesige
Fangemeinde. Jetzt ist der sechste Bruno-Roman erschienen: «Reiner Wein».
Wer fasst ihn zusammen?
DW: Bruno, Polizeichef des Provinznests
Saint-Denis, lebt auf einem Bauernhof mit
einem kleinen Gemüsegarten, mit Hund,
Pferd und Hühnern. Eines Tages erreicht
ihn der Anruf des Pfarrers: Ein Mann ist
gestorben, und in dessen Händen fand
Dario Widmer, 21, lebt in Bühler in
Appenzell Ausserrhoden. Seine Lehre zum
Buchhändler absolvierte er im Rösslitor,
heute arbeitet er in der Orell-Füssli-Filiale
Kramhof in Zürich. Er hat schon seit jeher
ein grosses Interesse an Literatur.
Dario Widmer:
«Eigentlich lese ich keine
Krimis, und als ich ‹Das
Krokodil› aufschlug,
dachte ich: Ach nein, dieser Einstieg mit dem Tod,
der in Neapel einfährt, ist
so platt und konstruiert!
Aber ich merkte schnell,
dass dieses Buch unglaublich gut geschrieben und
extrem spannend ist.»
Bettina Zeidler:
«Walker will den guten
Krimi schreiben, will
Historisches und Kulinarisches einflechten
und auch noch eine Liebesgeschichte anklingen
lassen. Er will alles gut
machen, aber durch die
Fülle bleibt am Ende alles
oberflächlich.»
Bettina Zeidler, 49, lebt in St. Gallen. Sie
arbeitet in der Abteilung Belletristik der St.
Galler Buchhandlung Rösslitor, die zu Orell
Füssli Thalia gehört. Am liebsten liest sie
skandinavische Krimis und Thriller.
34 | K affeepause
Bettina Zeidler und Dario Widmer: Ausnahmsweise dreimal einer Meinung.
man uralte Banknoten. Genau solche
Banknoten wurden im Zweiten Weltkrieg
bei einem Überfall der Résistance geraubt.
Bruno will sich um den Fall kümmern.
Dann wird das Haus eines reichen Engländers geplündert – das ist Fall Nummer
zwei für Bruno –, und schliesslich findet ein
Homosexueller seinen Verlobten ermordet
auf – Fall drei. Doch das ist noch längst
nicht alles, mit dem sich der Chef de police
in diesem Buch herumschlagen muss.
Nebenbei veranstaltet er ständig GourmetFestessen für die Kollegen, er geht reiten
und verabredet sich mit verschiedenen
Damen.
BZ: Und dann muss er auch noch ein Pferd
erschiessen. Schon bald musste ich mir jedenfalls Notizen machen, wer zu welchem
Strang gehört und welche Rolle spielt.
DW: Das ist mir genau gleich gegangen. Immer wieder kommen neue Personen hinzu,
man verliert wirklich den Überblick.
BZ: Ja, mir fallen jetzt ständig weitere
Stränge ein. Da gibt es doch auch noch die
Frau des Bürgermeisters, die Krebs hat
BUCHtipps | 35
Books Nr. 2/2014
und stirbt. Und dann beginnt der Bürgermeister auch noch ein Techtelmechtel mit
einer Historikerin, die zufälligerweise ein
Buch über die Résistance und genau jene
Banknoten schreibt, die beim Toten von
Fall eins gefunden wurden.
DW: Genau. Ganz zu schweigen von den
politischen Aspekten, die Walker aufrollt.
BZ: Und von den Geschichten, mit denen
er zeigt, wie schwierig es Homosexuelle
einst in einer so ländlichen Gegend hatten.
Das alles ist einfach viel zu konstruiert.
Ich habe irgendwann begriffen, worum es
geht, war aber stets mehr damit beschäftigt, Personen zuzuordnen. Es gibt einfach
zu viele Verknüpfungen, zu viel von allem.
Ich kam mir zuweilen selber vor wie ein
Kommissar in einem Krimi, der vor einer
grossen Flipchart voller gelber Zettel steht
und versucht, alle Details in einen Zusammenhang zu bringen.
Aber es gibt doch sicher auch Gutes
über den Roman zu sagen?
DW: Man spürt, dass der Schotte Walker
Nimm dir Zeit für
die schönsten Seiten
des Sommers.
Besuche auch unsere Starbucks Coffeehouses
in den Orell Füssli Buchhandlungen im Kramhof
und am Bellevue in Zürich.
den Périgord liebt, in dem seine Romane
spielen – er lebt ja selber dort. Die Atmosphäre einer kleinen Provinzstadt fängt er
gut ein.
BZ: Und man merkt, dass er kulinarisch
ambitioniert ist und etwas von gutem
Essen und Weinen versteht – da kann er
punkten. Hie und da ist auch eine Gestalt
geglückt, etwa jene des Bürgermeisters.
Aber ich bin mit diesem Buch einfach nicht
zurechtgekommen. Ich las schon früher
einmal einen Bruno-Krimi und fand den
eigentlich ganz charmant, aber dieser
Roman hier ist völlig überladen. Man spürt
genau, Walker will den guten Krimi schreiben, will Historisches und Kulinarisches
einflechten und auch noch eine Liebesgeschichte anklingen lassen. Er will alles gut
machen, aber durch die Fülle bleibt am
Ende alles oberflächlich.
DW: Als es dann auch noch um Schüler
ging, die sich in geheime Datenbanken
hacken, war es mir dann definitiv zu viel.
Ist das Buch denn wenigstens spannend?
BZ: Also ich fand es eher verwirrend.
Nun, die Bruno-Fangemeinde ist gross
und wird sich wohl auch von eurem
Urteil den Spass nicht verderben lassen.
Wem kann man dieses Buch ausserdem
empfehlen?
DW: Ich würde es vielleicht meinem Vater
empfehlen. Er könnte den Lokalkolorit und
die kulinarischen Aspekte schätzen.
BZ: Ja, ich bin überzeugt, dass sich dieses
Buch eher für ältere Leute eignet – auch
deshalb, weil die Geschichte nicht sehr
blutig ist. Junge Leute wird man mit Bruno
wohl kaum begeistern können.
Ragougneau, Alexis
Andrea Camilleri
M. J. Arlidge
Judith Winter
Eene Meene
Siebenschön
In der Kathedrale von Notre-Dame
stirbt eine Frau während der Morgenmesse. Bald ist ein Verdächtiger
gefunden, doch Pater Kern lässt der
Fall keine Ruhe. Er macht sich zusammen mit einer jungen Staatsanwältin
auf die Suche nach der Wahrheit und
kommt in den Gewölben der Kathedrale einem unglaublichen Geheimnis
auf die Spur.
Im neusten Fall des sizilianischen
Commissario Montalbano ist dessen
Lieblingsmitarbeiter Fazio verschwunden. Montalbano findet Fazio zwar
unter abenteuerlichen Umständen
wieder, doch dieser kann sich an
nichts erinnern – auch nicht an die
beiden Toten neben ihm. Bald stellt
der Kommissar fest, dass die Mafia
ihre Hände im Spiel hat. Und er
merkt zu spät, dass er eine wichtige
Verabredung verpasst hat ...
Ein perfider Killer entführt Paare und
stellt sie vor eine grausame Entscheidung. Eingesperrt in einem Raum, in
dem niemand ihre Schreie hört, gibt
es nur eine Möglichkeit zu entkommen: Einer bringt den anderen um.
Sonst sterben beide eines natürlichen,
qualvollen Todes. Detective Inspector
Helen Grace und ihr Team ermitteln
fieberhaft, denn die Abstände zwischen den Taten werden kürzer.
«Theo hat versagt.» Erstaunt blickt
Christina Höffgen auf. Wer ist Theo?
Sie liest weiter. «Du solltest dich lieber
beeilen. Die Adresse lautet: Fordstrasse 237. Ihr Name ist Jennifer.» Der
rätselhafte Brief lässt Christina nicht
mehr los. Gemeinsam mit ihrem Mann
fährt sie zur angegebenen Adresse,
auch wenn sie nicht daran glaubt, dort
tatsächlich eine Jennifer zu finden. Ein
grosser Irrtum ...
M. J. Arlidge hat die letzten 15 Jahre
als Drehbuchautor für die BBC gearbeitet. Seit fünf Jahren betreibt er eine
eigene Produktionsfirma, die vor allem
auf Krimiserien spezialisiert ist. «Eene
Meene» ist sein erster Roman und
der Auftakt zu einer Thrillerserie um
Detective Inspector Helen Grace.
Die Kriminaldirektion Frankfurt am
Main spannt die beiden Kommissarinnen Emilia Capelli und Mai Zhou
zusammen, um die bizarrste Mordserie
aufzuklären, welche die Stadt je erlebt
hat. Unterschiedlich wie Tag und
Nacht, misstrauen die beiden Frauen
einander auf Anhieb. Doch sie müssen
sich zusammenraufen, denn bald jagen
sie den Killer, der seine Morde als grausige Themenwelten inszeniert.
Die Madonna
von NotreDame
«Die Madonna von Notre-Dame»
ist eine Art Krimi-Adaption des
«Glöckners von Notre-Dame», nur
dass hier die Hauptfigur kein buckliger
Glöckner, sondern ein kleinwüchsiger
Pater ist. Dass Alexis Ragougneau
seinen Debütroman in der berühmten
Pariser Kathedrale angesiedelt hat,
ist aber nicht blosse Hommage an
Victor Hugo – Ragougneau kennt sich
als ehemaliger Aufseher der NotreDame bestens in den altehrwürdigen
Gemäuern aus.
Der Tanz der
Möwe
Die Kriminalromane mit Commissario Montalbano stürmen in Italien
regelmässig die Bestsellerlisten, und
auch im deutschsprachigen Raum hat
sich der sizilianische Autor Andrea
Camilleri eine riesige und stetig wachsende Fangemeinde geschaffen. Mit
«Der Tanz der Möwe» wird er diese
nicht enttäuschen – denn im neuen
Roman steckt alles drin, was ein guter
Montalbano braucht!
256 Seiten
272 Seiten
368 Seiten
431 Seiten
CHF 22.90
CHF 31.90
CHF 15.90
CHF 15.90
List
Bastei Lübbe
Rowohlt
dtv
ISBN 978-3-471-35114-7
ISBN 978-3-7857-2499-6
ISBN 978-3-499-23835-2
ISBN 978-3-423-21489-6
36 | Fantastisch!
Fantastisch! | 37
Books Nr. 2/2014
«Es scheint für
Fantasy-Autorinnen und -Autoren
beinahe Pficht zu
sein, möglichst
schwere Wälzer
zu verfassen und
diese dann auch
noch endlos lange
fortzusetzen.»
Fantastisch!
Eine Mitarbeiterin von Orell Füssli Thalia präsentiert Neuerscheinungen und Geheimtipps
aus dem Fantasy-Genre: Bücher für alle, die sich gern in fremde Welten entführen lassen.
Marius Leutenegger
«‹Zeitsplitter› von Cristin Terrill erzählt
eine Zeitreisegeschichte mit einem besonderen Kniff. Bei den beiden Hauptfiguren
Marina und Em handelt es sich um eine
einzige Person – vor vier Jahren hiess Em
noch Marina. In der Zeit, als Marina zu Em
wurde, ereigneten sich schlimme Dinge
und wurde die Zeitmaschine erfunden. Em
will nun mit der Zeitmaschine zurückreisen und die Zukunft verändern. Das bedeutet allerdings, dass sie James, den sie
als Marina liebte, töten muss. Dabei wird
sie unterstützt von Finn, dem einst besten
Freund von James. Em und Marina dürfen
einander keinesfalls begegnen, damit das
Zeitgefüge nicht durcheinandergerät.
Die Geschichte klingt so kurz zusammengefasst etwas kompliziert, was sie aber
nicht ist. Cristin Terrill hat eine besondere
Ausgangslage geschaffen, um die bei Zeitreisegeschichten üblichen logischen Probleme zu umschiffen: Die Zukunft teilt sich
bei ihr in mehrere Stränge auf, und deshalb
kann man aus der Zukunft kommend auch
die Vergangenheit verändern – weil es dann
immer noch viele mögliche Zukünfte gibt.
Das Buch gefiel mir ausserordentlich gut,
weil es einen starken Sog hat und sprachlich überzeugt. Dystopien – düstere Zukunftsvisionen – sind momentan ja sehr
beliebt, was sich zum Beispiel am riesigen
Erfolg von ‹Panem›, ‹Die Bestimmung› und
all ihrer Epigonen zeigt. Und auch Zeitreisegeschichten liegen im Trend; man denke
nur an die Beliebtheit von ‹Rubinrot›. ‹Zeitsplitter› springt aber nicht einfach auf einen fahrenden Zug auf, sondern ist eigenständig und originell. Das Buch eignet sich
für alle ab zwölf Jahren – nun ja, für alle
Mädchen und Frauen ab zwölf Jahren,
Jungs werden sich mit der weiblichen
Hauptfigur und deren Liebeswirren wohl
kaum identifizieren können.
Die Deutsche Nina Blazon, von der zum
Beispiel ‹Der Bund der Wölfe› oder ‹Faunblut› stammen, gehört zu meinen Lieblingsautorinnen. Ich habe deshalb sofort ihr neuestes Werk ‹Der dunkle Kuss der Sterne›
verschlungen. Und ich bin nicht enttäuscht
worden. Die Geschichte spielt in der Stadt
Ghan. Hauptfigur ist Canda, eine Hohe. Die
Hohen sind immer mit zwei bis vier ausser-
ordentlichen Gaben ausgestattet und bilden
die oberste Kaste Ghans. Canda kann zum
Beispiel sehr gut mit Zahlen umgehen, und
sie hat eine besondere Ausstrahlung: Sie
glänzt. In der Nacht vor ihrer Hochzeit mit
Tian, der ebenfalls ein Hoher ist, durchlebt
sie einen schlimmen Albtraum. Am nächsten Tag ist Tian verschwunden, und Canda
hat ihren Glanz verloren.
Die Familie verstösst Canda, aber sie kann
eine Vereinbarung mit der Herrscherin, der
Mégana, treffen: Canda darf Tian ausserhalb von Ghan suchen gehen. Dabei wird
sie vom geheimnisvollen Amad begleitet.
Erstmals lernt Canda die Welt ausserhalb
der Stadt kennen. Wie immer bei Nina Blazon gibt es mittendrin einen entscheidenden Wendepunkt, bei dem man erkennt,
dass vieles ganz anders ist, als man bisher
meinte. In ‹Der dunkle Kuss der Sterne›
geht es um ein schreckliches Geheimnis,
das die Gaben der Hohen betrifft. Mehr will
ich hier aber nicht verraten. Das Wiedersehen mit Tian ist jedenfalls nicht ganz so erfreulich, wie sich das Canda zuvor vorgestellt hat.
Der Schreibstil von Nina Blazon ist einfach
wunderbar märchenhaft. Ein grosser Teil
des Buchs spielt in der Wüste, und da passt
ihr Ton perfekt: Man fühlt sich an orientalische Märchen erinnert. Vielleserinnen
und -leser können dieses Buch schon mit
zwölf Jahren lesen, grundsätzlich eignet es
sich aber eher für etwas ältere – und wohl
ebenfalls eher für weibliche – Jugendliche.
Und man sollte Fantasy schon sehr mögen,
wenn man dieses Buch zu lesen beginnt:
Die Fantasieelemente sind dominant.
‹Der dunkle Kuss der Sterne› hat über 500
Seiten, das ist fürs Fantasy-Genre schon
fast wenig. In den letzten Jahren ist der
Umfang von Fantasy-Geschichten nämlich
geradezu explodiert. Es scheint für die Autorinnen und Autoren beinahe Pflicht zu
sein, möglichst schwere Wälzer zu verfassen und diese dann auch noch endlos lange
fortzusetzen. Man denke zum Beispiel an
die Saga ‹Das Lied von Feuer und Eis› von
George R.R. Martin oder an Stephenie
Meyers ‹Biss›-Erzählungen. An der Überlänge gibt es nichts auszusetzen, solange
sie nicht mit Langeweile einhergeht. Aber
es gibt natürlich auch viele Leute, die gern
einmal etwas Kürzeres lesen. Für diese
habe ich einen ganz besonderen Tipp: ‹Die
Seele des Königs› von Brandon Sanderson.
Der US-amerikanische Autor schreibt ansonsten ebenfalls Reihen; bekannt wurde
er bei uns vor allem durch die Serie ‹Nebelgeboren›. Doch Sanderson kann auch anders: ‹Die Seele des Königs› enthält drei
abgeschlossene Kurzromane von ihm. Die
Geschichten haben nichts miteinander zu
tun, das Personal ist jeweils ganz anders.
Die erste Geschichte spielt in der Welt von
Elantris, die Sanderson für seinen Debütroman erfand; die Erzählung hat mit
dem Roman aber nichts zu tun. In ihrem
Zentrum steht eine Verbrecherin, die auf
frischer Tat ertappt wird. Schnell erkennt
der Berater des Königs, dass die junge
Frau vielleicht das Königreich retten könnte: Ihre magischen Fähigkeiten könnten
helfen, den König wieder gesund zu machen.
Schlecht an den drei Geschichten ist eigentlich nur, dass sie nicht länger sind,
denn man würde jedesmal gern weiterlesen. Brandon Sanderson schreibt sehr
flüssig, er benötigt nur ein paar Wörter
oder Sätze, um in den Köpfen seiner Leserinnen und Leser starke Bilder entstehen
zu lassen. Dieses Buch ist etwas für alle
Fantasy-Fans – uneingeschränkt auch für
Männer!»
Katharina Kromer, 29, lebt in Wutach
etwa eine halbe Stunde von Schaffhausen
entfernt. Seit vier Jahren arbeitet sie bei
Thalia Schaffhausen. Buchhändlerin wurde
sie, «weil ich schon immer sehr gern las
und nicht studieren wollte». Am liebsten
liest sie Bücher wie jene, die sie hier
vorstellt: Fantasy-Romane für Jugendliche
und Erwachsene.
Zeitsplitter –
Die Jägerin
Cristin Terrill
332 Seiten
CHF 22.90
Boje
Der dunkle
Kuss der
Sterne
Nina Blazon
527 Seiten
CHF 25.90
cbt
Die Seele des
Königs
Brandon
Sanderson
446 Seiten
CHF 22.90
Heyne
So sehen sie aus, die Fantasy-Schöpfer: Cristin Terrill, Nina Blazon und Brandon Sanderson.
38 | FANTASTISCH
FILMTIPPS | 39
Books Nr. 2/2014
Weitere Tipps aus dem Fantasy-Genre
Angelina
Rubli,
28, ist im Kanton
Schaffhausen aufgewachsen, wohnt
in Dachsen und arbeitet bei Orell
Füssli am Bellevue.
«Das erste Geschenk, an das ich
mich
erinnern
kann, war das Buch ‹Ronja Räubertochter›», erzählt sie. «Von da an wollte ich nur
noch lesen – und Buchhändlerin werden.»
Angelina verschlingt etwa drei bis vier Bücher pro Woche; eigenartigerweise liest sie
bei jedem Buch immer zuerst das Ende. Ihr
Tipp: «Plötzlich Prinz» von Julie Kagawa.
«In der Buchreihe ‹Plötzlich Fee› musste die
Hauptfigur Megan Chase ihren kleinen Bruder Ethan aus dem Feenreich Nimmernie
retten. Dieser Ethan ist jetzt die Hauptfigur
einer neuen, eigenständigen Reihe. Inzwischen ist er 17 Jahre alt. Er kann Feen sehen; das macht ihn einerseits einsam, weil
ihn alle für einen Freak halten, andererseits
ziemlich reizbar, weil die Feen ihn ständig
ärgern. Immer mehr Mischwesen aus
Mensch und Fee verschwinden auf unerklärliche Weise. Um herauszufinden, was
mit ihnen geschieht, muss Ethan nach Nimmernie zu seiner Schwester reisen. Auf dieser Reise begleitet ihn ein Mädchen aus
seiner neuen Schule. Schafft sie es, sein
Herz zu erwärmen? Und wie wird Ethans
erstes Zusammentreffen mit Megan nach
fast zwölf Jahren ausfallen? Für mich war
es ein Muss, den Auftakt zu dieser neuen
Reihe zu lesen. Ich fand ‹Plötzlich Fee› super – und ‹Plötzlich Prinz› ist genauso spannend. Nur die Liebesgeschichte könnte
noch etwas prickelnder sein. Dieses Buch
empfehle ich allen, denen die Reihe ‹Plötzlich Fee› gefiel, die frech geschriebene Fantasy mögen und sich für Feen-Geschichten
erwärmen können. Jungs wird dieses Buch
wohl eher nicht so in den Bann schlagen.»
Kai Mader, 32,
wohnt in einem
kleinen Vorort von
Basel auf deutscher Seite. Weil er
gern liest, stieg er
vor etwa zehn Jahren mit einem
Praktikum in den
Buchhändler-Beruf ein. Seit vier Jahren leitet er die FantasyAbteilung bei Thalia, die mit Abstand grösste ihrer Art in Basel. Sein Tipp: «König der
Dunkelheit» von Mark Lawrence. «Seit die
Mutter und der jüngere Bruder von Prinz
Jorg Ankrath bei einem Überfall ermordet
wurden, sinnt dieser auf Rache. Doch sein
Vater, der König, zog ein Handelsabkommen der Vergeltung vor. Deshalb schloss sich
Jorg in Band eins dieser Trilogie – ‹Prinz der
Dunkelheit› – einer Räuberbande an. Nach
Jahren auf der Strasse hat er nun sein Erbe
angetreten. Als König ist Jorg schwer gefordert, denn eine mächtige Armee marschiert
auf sein Reich zu, angeführt von einem
scheinbar unbesiegbaren Krieger. Dieser
Roman hebt sich durch die Schreibweise
und den Hauptcharakter von anderen Fantasy-Büchern ab. Der Autor erzählt die Geschichte aus Sicht von Jorg; man sieht die
Welt durch dessen Augen und erfährt genau, warum der König so handelt, wie er es
tut. Jorgs Gedankengänge sind so eindrücklich beschrieben, dass man als Leser selbst
schlimmste Taten fast als notwendig erachtet. Das Buch eignet sich für die Liebhaber
düsterer Fantasy und ist eine echte Entdeckung für Vielleser: Endlich wieder einmal
ein ganz neuer Schreibstil, ein mitreissender und vielschichtiger, aber durchwegs
böser Held – und eine Welt, die grosse Überraschungen bietet! Dieses Buch hat mich so
gefesselt wie schon seit langer Zeit keines
mehr. Der Abschlussband der Trilogie,
‹Kaiser der Dunkelheit›, erscheint Anfang
Juni.»
Plötzlich Prinz
König der Dunkelheit
Julie Kagawa
480 Seiten
CHF 25.90
Heyne
Mark Lawrence
604 Seiten
CHF 21.90
Heyne
Ramona Gilomen,
24, wohnt in Grenchen und arbeitet
bei Stauffacher in
Bern. Sie hat sich
zur Buchhändlerin
ausbilden lassen,
weil sie sehr gern
liest und ihre Freude am Gelesenen
gern weitergibt. Am allerliebsten sind ihr
Fantasybücher und Comics – kein Wunder
also, arbeitet sie bei Stauffacher in der Comic- und Fantasyabteilung. Ihr Tipp: «Die
Brücke der Gezeiten» von David Hair. «Zwei
Kontinente sind miteinander einzig durch
eine Brücke verbunden, die nur alle zwölf
Jahre erscheint. Auf den Kontinenten leben
unterschiedliche Kulturen; die eine wirkt
mittelalterlich-westlich, die andere eher
orientalisch. Die beiden Kulturen führten
schon zwei Kriege gegeneinander, und es ist
klar: Erscheint die Brücke wieder, wird der
dritte Krieg ausbrechen. Die Geschichte
dieses Buchs lässt sich kaum zusammenfassen; es bildet den Anfang eines neuen
grossen Epos im Stil von ‹Das Lied von Feuer und Eis› oder ‹Die Kinder des Nebels›,
und die neue Reihe lässt sich auch in vielerlei Hinsicht mit dem Welterfolg von George
R.R. Martin vergleichen. Es gibt zahlreiche
Figuren, die wir allmählich kennenlernen,
viele kleine Geschichten, viel Atmosphäre.
Das Buch absorbiert einen sehr. Seine eigentliche Hauptfigur ist die Brücke, und das
finde ich sehr originell. Wie bei ‹Das Lied
von Feuer und Eis› spürt man, dass grosse
Dinge geschehen werden, aber diese kündigen sich jetzt erst leise an. Besonders gut
gefiel mir auch die Sprache von David Hair;
es ist nicht leicht, ein sprachlich etwas anspruchsvolleres Fantasy-Buch zu finden,
‹Die Brücke der Gezeiten› ist diesbezüglich
aber überzeugend. Ich hoffe, der Autor kann
das Niveau auch bei den folgenden Bänden
halten. Band 2 erscheint Ende Juni.»
Die Brücke der Gezeiten
01. Ein Sturm zieht auf
David Hair
510 Seiten
CHF 22.90
Penhaligon
vorläufiges Cover
BIOGRAFIE
ABENTEUER
KOMÖDIE
DOKUMENTATION
Walt Disney will seit über 20 Jahren
mit allen Mitteln das Lieblingsbuch
seiner Töchter auf die Leinwand bringen: Mary Poppins. Doch die widerspenstige Romanautorin P. L. Travers
will ihre geliebte Titelheldin nicht
für eine Verfilmung freigeben. Zwei
Wochen lang ringen die beiden um
Drehbuch, Musik und die Unterschrift
unter dem Vertrag. Und die Autorin
stellt immer neue Forderungen – weil
sie aus gutem Grund eine sehr enge
Beziehung zu ihrer Figur hat.
England im 11. Jahrhundert. Aufgrund
einer aussergewöhnlichen Gabe
fühlt Rob Cole als kleiner Junge, dass
seine kranke Mutter sterben wird.
Hilflos muss er zusehen, wie sich
seine Vorahnung erfüllt. Auf sich
allein gestellt, schliesst er sich einem
fahrenden Bader an, der ihm neben
Taschenspielertricks auch die Grundlagen der mittelalterlichen Heilkunde
nahebringt. Rob erkennt die Grenzen
der einfachen Praktiken schnell. Eines
Tages erfährt er vom berühmten
Universalgelehrten Ibn Sina, der im
fernen Persien Medizin lehrt – und
er beschliesst, sich dort zum Arzt
ausbilden zu lassen.
Der stille Einzelgänger Hansjörg Stähli
ist Müllinspektor eines malerischen
Städtchens. Er achtet peinlich genau
darauf, dass sich alle an die Regeln
halten, und jagt seit Wochen einen
unbekannten Abfallsünder, der illegal
Müllsäcke entsorgt. Nichts ist ihm
wichtiger als Sauberkeit – ausser
vielleicht die Kellnerin Lily Frei, in die
er unsterblich verliebt ist.
Ob gefährlich nah an einer Elefantenherde vorbei, über steinige Gebirgspfade, durch unwegsame Flusstäler
oder mit dem Pferd durch die Weite
Patagoniens – Jackson (11) aus Kenia,
Zahira (12) aus Marokko, Samuel
(13) aus Indien und Carlito (11) aus
Argentinien haben eines gemeinsam:
Ihr Schulweg ist sehr lang und voller
Gefahren. Doch mit Eigensinn und
noch mehr Einfallsreichtum räumen
die Kinder alle Hindernisse aus dem
Weg.
Saving Mr. Banks Der Medicus
Nach einer wahren Begebenheit
erzählt «Saving Mr. Banks» die bislang
kaum bekannte Geschichte der
explosiven Begegnung zwischen dem
Hollywood-Produzenten und der
australisch-britischen Autorin. Unter
der Regie von John Lee Hancock
brillieren Tom Hanks und Emma
Thompson in den Hauptrollen.
Regisseur Philipp Stölzl hat den
Roman von Noah Gordon kongenial
verfilmt – mit Ben Kingsley und Tom
Payne in den Hauptrollen. 2-DiscSpezial-Edition.
Recycling Lily
Hansjörgs ruhiges Leben gerät völlig
aus den Fugen, als er eines Tages
feststellt, dass die Abfallsünderin
Lilys Tochter Emma ist. Er erlässt der
Mutter die Busse und beginnt Lily zu
hofieren, doch ohne Erfolg. Hansjörg
ahnt nicht, ist, dass Emma aus purer
Not zur Abfallsünderin wurde. Ihre
Mutter Lily ist nämlich ein Messie. Ein
«trashiger Spass» (NZZ) des Lausanner Regisseurs Pierre Monnard.
On the Way to
School
Der Dokumentarfilm verzaubert
mit seinen Protagonisten: Die vier
Kinder überraschen mit Leidenschaft,
Neugier und viel Energie. Regisseur
Pascal Plisson erzählt eine globale
Bildungsgeschichte. Mit viel Gespür
für Situationskomik porträtiert er
seine kleinen Helden und feiert ganz
nebenbei die Bildung.
130 Minuten
155 Minuten
95 Minuten
75 Minuten
DVD: CHF 17.90
DVD: CHF 22.90
DVD: CHF 22.90
DVD: CHF 22.90
Blu-ray: CHF 22.90
Blu-ray: CHF 26.90
Blu-ray: CHF 26.90
Blu-ray: CHF 26.90
40 | Im Schaufenster
Suchen Sie sich einen aus!
Wie gelangt jemand an die Spitze eines grossen Unternehmens?
Braucht es dazu Vitamin B und Glück – oder muss man einfach
einem Rezept folgen? Frank Arnolds neues Buch «Der beste
Rat, den ich je bekam» legt jedenfalls nahe, dass es einen bestimmten Schlüssel braucht. Auch wenn dieser für jeden Menschen
ein bisschen anders aussieht.
Erik Brühlmann
Warren Buffett, dem «Orakel von Omaha».
Natürlich brauchen alle etwas mehr als den
Rat von Lehrmeistern, Mentoren, Vätern
oder Ehepartnern, um erfolgreich zu sein.
Dennoch ist es spannend zu lesen, welche
grundlegenden Gedanken diese Menschen
antreibt – auch für Lesende, die nichts mit
den Teppichetagen von Grosskonzernen zu
tun haben oder haben wollen.
Books Nr. 2/2014
Mein Buch | 41
Ehrenpräsident der Nesté AG, findet, dass
man die Menschen einfach so nehmen
müsse, wie sie sind: «Bleiben wir also realistisch und bescheiden in unseren gesellschaftlichen und politischen Entwürfen
und richten wir uns an den Menschen aus,
wie sie sind.» Für Hublot-Verwaltungsratspräsident Jean-Claude Biver wiederum
dreht sich alles um die Antwort auf die Frage: Welche Spur will ich nach meinem Tod
hinterlassen? Der ehemalige US-Aussenminister Colin Powell schliesslich rät, sich
jeden Tag darauf zu konzentrieren, das
Beste zu geben, denn «man wird kein guter
General, wenn man nicht vorher ein guter
Oberleutnant war».
ungewöhnliche Titel oder auch besondere
Buchcover. «Es sind oft poetische Bücher,
die einen offenen Rahmen haben und mir
erlauben, mich innerhalb der Geschichten
auszubreiten», sagt sie. «Ich ‹wohne› gern
in einem Buch und schaffe mir darin Platz
für mich selbst.»
«Ich ‹wohne› gern in
einem Buch»
Wir möchten von Kundinnen und Kunden wissen: Welches ist Ihr liebstes
Buch? Heute antwortet Doris Gautschi aus Brugg.
«Man wird kein
guter General,
wenn man nicht
vorher ein guter
Oberleutnant war.»
Einfache Leitlinien zum Erfolg
Sammelsurium der grossen Köpfe
Fast schon philosophisch
Insgesamt 104 Führungspersönlichkeiten
aus aller Welt geben in diesem Buch kurz
und prägnant ihre wichtigsten Ratschläge
preis. Dass die Tipps aus berufenen Mündern kommen, zeigt sich allein schon an
den Namen, die im Buch vorkommen: vom
AXA-Manager Thomas Buberl bis zu Hewlett-Packard-CEO Meg Whitman, von Starbucks-Präsident Howard Schultz bis zu
«Der beste Rat, den ich je bekam» enthält
aber auch Ratschläge, die über das Geschäftsgebaren hinausgehen und fast
schon philosophischen Ausmasses sind.
Holcim-CEO Bernard Fontana beispielsweise ist überzeugt: «Führung verändert
das Leben derjenigen, die geführt werden,
aber noch viel mehr das Leben der Führungskräfte selbst.» Und Helmut Maucher,
© M. Werneke
Fast täglich erhält man von allen Seiten
Ratschläge. Viele sind unbrauchbar, manche helfen in bestimmten Situationen. Nur
wenige Tipps sind so universell und grundlegend, dass sie einen im Leben wirklich
weiterbringen könnten. Unter dem Titel
«Der beste Rat, den ich je bekam» präsentiert der Wirtschaftswissenschaftler und
Unternehmensberater Frank Arnold nun
die gesammelten «Mütter aller Ratschläge»
prominenter Wirtschaftsvertreter. Das
Buch ist spannender Lesestoff und hilfreicher Ratgeber zugleich.
Richard Branson, Gründer der Unternehmensgruppe Virgin, erhielt vor der Gründung von «Virgin Atlantic» zum Beispiel
einen ganz simplen Rat von einem ehemaligen Piloten aus dem Zweiten Weltkrieg:
«Mach dich zum Narren – sonst überlebst
du nicht.» Branson folgte dem Rat, benutzte sich selbst als Werbefigur für seine Fluggesellschaft und hatte Erfolg. Eine ebenso
einfache wie schwierige Maxime befolgt
Urs Berger, Präsident des Schweizerischen
Versicherungsverbands (SVV). Es gehe im
Geschäftsleben darum, den Mittelweg zu
finden zwischen «Türen offenlassen», um
sich keine Kompromisse zu verbauen, und
«Türen zuschlagen», wenn Kompromisse
gegen die persönliche Überzeugung gehen.
Barbara Kux, von 2008 bis 2013 die erste
Frau im Vorstand von Siemens, plädiert dagegen für den Blick von oben: Es gelte, so
ein Ratschlag, den sie gar zweimal bekam,
einen Blick «aus dem Hubschrauber» auf
das grosse Ganze zu werfen, um einzelne
Entscheidungen richtig treffen zu können.
Ein «Ratgeber plus»
Ist «Der beste Rat, den ich je bekam» ein
Buch der Kategorie Ratgeber? In gewissem
Sinn schon, denn es gewährt Einblicke in
die Leitlinien deren, die «es» geschafft haben. Im Gegensatz zu herkömmlichen Ratgebern reklamiert das Buch jedoch nicht
für sich, die einzig wahre und gültige Ratschlag-Sammlung zu sein. Allein die Vielfalt
der Beiträge und der beteiligten Menschen
zeigt ja, dass unzählige Wege nach Rom
führen – und dass Rom für jeden woanders
liegt. Das Buch erreicht aber auch eine Leserschaft, die sich für Zeitgeschehen interessiert. Denn in so manchem Kapitel steckt
hinter dem Ratschlag eine Anekdote, die
einen schmunzeln oder gar staunen lässt.
Oder wussten Sie, dass Jean-Claude Biver
einst ein überzeugter Hippie war?
Der beste
Rat, den ich je
bekam
240 Seiten
CHF 24.90
Hanser
Die Filiale von Thalia in Brugg befindet
sich mitten in einer Fussgängerzone – ideal, um beim Einkaufen einen Zwischenstopp einzulegen und sich die neuesten
Bücher anzusehen. Doris Gautschi allerdings ist keine Gelegenheitskundin: «Die
Filiale ist quasi mein zweites Zuhause!»,
gesteht sie lachend. Das klingt zwar nach
einer beeindruckenden Privatbibliothek,
doch die 46-jährige Lehrerin aus Brugg relativiert: «Ich behalte längst nicht jedes
Buch, das ich lese. So bleibt die Sammlung
einigermassen überschaubar.»
Doris Gautschi schreibt und veröffentlicht
selbst Lyrik, liest aber nicht die ganze Zeit
Gedichte. «Vor allem wenn ich in einer
Schreibphase bin, würde das meine Kreativität zu sehr einschränken», sagt sie.
Dennoch kann sie natürlich nicht ganz von
den Lyrikern lassen – sie mag zum Beispiel
Werke von Elisabeth Borchers, Inger
Christensen oder Walter Helmut Fritz. Krimis liest Doris Gautschi hingegen sozusagen am laufenden Band. Diese Bücher finden jedoch kaum Eingang in ihre
Sammlung. «Es ist seltsam: Einerseits faszinieren mich Geschichten, in denen das
Gute gewinnt und das Böse bestraft wird»,
sagt Doris Gautschi. «Andererseits kann
ich zu diesen Büchern keine wirkliche Beziehung aufbauen, und ich weiss genau,
dass ich keinen Krimi ein zweites Mal lesen
werde.»
Ein solches Buch ist auch «Unter dem Tagmond» der Neuseeländerin Keri Hulme.
«Dies ist vermutlich die gewaltigste und
eindrücklichste Geschichte, die ich je gelesen habe», schwärmt Doris Gautschi.
«Mein absolutes Lieblingsbuch!» Die Geschichte um einen Mann, eine Frau und einen Jungen, die eine Art Familie bilden,
ohne wirklich zusammenzugehören, sei
jenseits jeglicher Norm und in jeder Beziehung einzigartig, so die Lehrerin. Zwölf
Jahre lang schrieb Hulme an der Geschichte, weitere sechs Jahre gingen ins Land, bis
sie einen Verlag fand, der das Manuskript so
akzeptierte, wie es war. «Das Buch ist ungeschliffen, ehrlich und urtümlich, gleichermassen berührend und hart», zeigt sich
Doris Gautschi begeistert, warnt aber auch:
«‹Unter dem Tagmond› ist eines dieser Bücher, die man entweder liebt oder nicht erträgt – etwas dazwischen gibt es nicht.»
Unter dem Tagmond
Keri Hulme
654 Seiten
CHF 16.90
S. Fischer
Anders die Bücher, die sie nicht weggibt.
«Sie gehören keinen bestimmten Genres
an, sondern sind einfach Bücher, die mich
zum Nachdenken anregen, bei denen ich
einzelne Seiten mehrmals lese oder mir
Notizen mache.» Der «Erstkontakt» entstehe dabei meist durch faszinierende oder
LORENZ KEISER
GESCHWISTER PFISTER HUTZENLAUB & STÄUBLI
Die Geschwister Pfister in der Toskana
«Reif für den Oscar»
FR 9. MAI – SA 31. MAI
FR 23. MAI – SO 25. MAI
DI 17. JUN – DO 19. JUN
«Chäs und Brot & Rock ’n’ Roll»
20.00 Uhr
20.00 Uhr, SO 17.00 Uhr
20.00 Uhr
Kartenbestellung und weitere Infos: www.casinotheater.ch oder Telefon 052 260 58 58
42 | ereader
ereader | 43
Books Nr. 2/2014
Der neue tolino vision
im Taschenformat
Schutz und Saft
Bei einem Buch zeugt die Abgegriffenheit
von seiner Beliebtheit. Bei einem eReader
mit seinen Tausenden von Büchern will
man Alterungsspuren lieber gering halten.
Dafür gibt es passende Schutzhüllen zum
tolino vision.
Der Akku des tolino vision hält fast ewig –
doch irgendwann braucht auch er neuen
Saft. Mit dem kompakten USB-Ladegerät
lässt sich der eReader an jeder Steckdose
aufladen. Das dazu benötigte USB-Kabel ist
beim tolino vision schon dabei.
Ein eReader ist so etwas wie ein fast endloses Bücherregal, das in jeder Tasche
Platz findet. tolino vision, der neue eReader von Orell Füssli Thalia, vergrössert das
Lesevergnügen jetzt gleich noch einmal: mit einem ergonomischem Design und
einer noch einmal verbesserten E-Ink-Technologie.
Der stilsichere Blickfang: tolino vision Tasche Ultra
Slim, erhältlich in diversen Farben. CHF 34.90
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Einfach aufladen: USB-Ladegerät tolino eReader.
CHF 11.50
ISBN 978-386910-487-4
CHF 32.90
Schneller lesen
Schärfer lesen
Unabhängiger lesen
Der Prozessor im neuen tolino vision ist
1 Gigahertz schnell. Das virtuelle Stöbern im integrierten Thalia-eBook-Shop
wird damit noch mehr beschleunigt.
Auch auf dem tolino vision riecht ein eBook
nicht nach Papier. Aber es sieht fast so aus
wie ein gedrucktes Buch. Die revolutionäre
E-Ink-Carta-Technologie sorgt für ein perfektes Schriftbild. Und die stufenlos verstellbare Hintergrundbeleuchtung macht
sogar die Nachttischlampe überflüssig.
Selbst ohne tolino vision ist das Lieblingsbuch immer da: beim kurzen Schmökern in
der Smartphone-App im Tram beispielsweise oder sogar beim heimlichen Lesevergnügen am Computer im Büro. Dafür sorgt
die ThaliaCloud, das 25 Gigabyte grosse
Bucharchiv in der Datenwolke. So abgesichert geht auch garantiert kein eBook mehr
verloren – und selbst das Buchzeichen
rutscht nie mehr zwischen den Seiten heraus. Denn dank der Cloudspeicherung und
-synchronisierung ist es auf jedem Gerät
gleich am richtigen Ort: für ein Lesevergnügen ohne Unterbruch.
Länger lesen
Die E-Ink-Technologie ist äusserst sparsam im Energieverbrauch. Deshalb hält
der Akku des tolino vision bis zu 7 Wochen.
Mehr lesen
Im 2 Gigabyte grossen Speicher finden
bis zu 2000 eBooks Platz. Wem das noch
nicht genug ist, der erweitert sein Regal
mittels Speicherkarte um bis zu 32 Gigabyte – und schafft so Platz für weitere
32‘000 Bücher. Oder er nutzt die kostenlose Cloud.
Schöner lesen
Der tolino vision überzeugt mit schlichtem
Design ohne überflüssige Ecken und Kanten. Der neue eBook-Reader liegt auch besser in der Hand als alle früheren Geräte. Es
ist gut 8 Millimeter dünn, rund 16 Zentimeter lang und 11 Zentimeter breit. Und bei
einem Gewicht von weniger als 180 Gramm
verkommt auch stundenlanges Lesen nicht
zur Kraftübung.
ISBN 978-386910-500-0
CHF 29.90
ISBN 978-386910-501-7
CHF 29.90
Den tolino vision gibt’s für CHF 156.– in den Filialen von Orell Füssli, Thalia, Stauffacher, Meissner,
ZAP sowie im Rösslitor – oder im Internet auf thalia.ch, buch.ch und books.ch. Immer mehr Filialen
verfügen zudem über eigene eBook Shops. Dort kann man die Geräte nach Herzenslust testen
oder sich bei Kauf, Einrichtung und technischen Problemen beraten lassen.
www.humboldt.de
44 | kINDERWELT
KINDERWELT | 45
© Moritz-Verlag
Books Nr. 2/2014
Sonne, Wasser, Abenteuer
Der Sommer ist eine Saison, in der viele gern lesen – er ist aber auch ein vielfältiges BuchThema. Nicole Stäuble, unsere Fachfrau für Kinderbücher aus der Orell-Füssli-Filiale in
Frauenfeld, stellt einige besonders gelungene Geschichten mit sommerlicher Atmosphäre vor.
Marius Leutenegger
Mit Fantasie wird für Tora ein vermeintlich langweiliger Ausflug zu einem Abenteuer.
«Wir alle haben wohl schöne Kindheitserinnerungen an den Sommer – an die Zeit,
als die Luft förmlich nach Freiheit duftete,
wir uns im See abkühlten, bis spät am
Abend draussen spielten und die Ferien in
vollen Zügen genossen. Kein Wunder, handeln viele Geschichten für Kinder in dieser
herrlichen Jahreszeit!
Die liebevollen Illustrationen von Eva
Eriksson machen dieses Buch zu einem
ganz besonderen Vergnügen – für Kinder
wie auch für die vorlesenden Erwachsenen. Die feinen Zeichnungen sind farblich
wunderschön, und sie kombinieren auf
ganz selbstverständliche Weise Reales mit
Fantasievollem. Aber auch die Geschichte
finde ich sehr attraktiv und voller SommerAtmosphäre. In Tora kann ich mich leicht
hineinfühlen, denn mir geht es wie ihr:
Überall meine ich Tiere oder Gesichter zu
entdecken.
© cbj
Ein typisches Sommer-Bilderbuch ist ‹Vorsicht, Krokodil› von Lisa Moroni. Es erzählt
von Tora, die mit ihrem Vater zelten geht.
Zuerst findet Tora den Ausflug langweilig,
denn er beginnt mit einer Einkaufstour
und einer langen Anfahrt. Und als sie mit
ihrem Vater in der Wildnis ankommt, will
Tora endlich ein paar wilde Tiere sehen, sie
entdeckt aber überhaupt nichts. Der Vater
findet, sie müsse eben ein bisschen genauer schauen – und fortan macht Tora überall
die wildesten Kreaturen aus: Wurzeln werden zu Schlangen, Felsen zu Nilpferden,
Baumstümpfe zu Elfen, Bäume zu Giraffen.
Und ein Baumstamm entpuppt sich gar als
ein gefährliches Krokodil, das den Vater
fressen will!
tun bis morgen früh. Ich bin so froh, dass du da
bist. Ich hatte schon Angst, du schaffst es nicht
rechtzeitig.«
Benjamin hätte gerne gefragt »wofür rechtzeitig?«, aber da hatte er schon den ersten Bissen
in den Mund geschoben.
»Cornelius kann dir so lange Gesellschaft
leisten.« Und damit verschwand Tante Phil aus
der Hintertür.
Ben sah sich in der Küche um und fragte sich,
wann dieser Cornelius wohl auftauchen würde.
»Na, mit diesen Haaren siehst du zumindest aus
wie ein Wood.«
Ben zuckte beim Klang der Stimme zusammen
und sah sich nach dem Sprecher um. Doch es gab
nichts außer dieser Dodofigur. Es sei denn …
»Du lebst?«
»Allerdings.«
»Aber … aber du bist ein Dodo!«
»Und du bist ein Junge. Aber ich werfe dir das
nicht vor. Jedenfalls nicht sehr.«
Ben vergaß sein Essen und starrte ihn an. »Aber
du bist ausgestorben.«
Dieser Auftakt zu einer hoffentlich langen
Serie bietet eine richtig tolle Abenteuergeschichte, die sich sehr gut für Kinder eignet
– denn sie ist nie wirklich unheimlich, aber
immer sehr spannend. Das Buch hat mir
sehr gut gefallen, und ich finde es auch
sehr sommerlich. Kein Wunder, es spielt ja
auch in der Wüste; wer es in der Badi liest,
wird daher so richtig mitschwitzen mit
Benjamin. Dieser Bub ist eine überaus
sympathische Figur, ein Zweifler, der sich
nicht allzu viel zutraut, aber dennoch nie
aufgibt und auch dann den Mut nicht verliert, wenn es ungemütlich wird.
Benjamin Wood24weiss das zu Beginn nicht - aber er ist ein Beastologe, ein Spezialist für Bestien. Erst bei
seiner Tante erkennt er sein Talent.
ologe_CS55.indd 24-25
Auch das nächste Buch hat eine Hauptfigur, mit der man sich leicht identifizieren
kann: ‹Benjamin Wood – Beastologe 01.
Die Suche nach dem Phönix› von Robin L.
LaFevers. Der etwa zehnjährige Benjamin
ist der Sohn eines Forscherehepaars. Die
Eltern sind spurlos im Eismeer bei Alaska
verschwunden, und darum soll Benjamin
jetzt bei seiner Tante leben. Kaum ist er bei
ihr angekommen, heisst es allerdings:
Pack die Koffer gar nicht erst aus, morgen
gehen wir auf grosse Reise! Tatsächlich
fliegen die beiden tags darauf mit einem
Doppeldecker in die Wüste. Dort will die
Tante ein Phönix-Ei finden – und sie eröffnet Benjamin, dass er einer der letzten
Beastologen sei, ein Spezialist für Bestien.
Dann überschlagen sich die Ereignisse:
Die Tante wird von Beduinen entführt, und
der Phönix kommt angeflogen. Zum Glück
ist Benjamin nicht allein, denn inzwischen
hat er Freundschaft mit einem kleinen
Gremlin geschlossen.
14.11.2013 16:35:14
14.11.2013 16:35:16
‹Benjamin Wood› finde ich super – und sogar supersuper ist ‹Die sagenhafte Saubande› von Nina Weger. Der neunjährige Matheo ist ein Aussenseiter, seit er gesagt hat,
er verstehe die Sprache der Tiere. Das
glaubt ihm natürlich keiner, aber Matheo
hat nicht gelogen. Da er in der Stadt lebt, hat
er allerdings wenig Kontakt zu Tieren. Richtig kennen tut er eigentlich nur die ziemlich
fiese Katze der Tante, und ihretwegen
fürchtet sich Matheo vor allen Tieren.
Um diese Angst zu besiegen, soll er nun
während der Sommerferien mit seiner
Tante einen Zoo besuchen. Schon die Fahrt
zum Zoo ist lustig, denn Matheo und seine
Tante machen im Zug Bekanntschaft mit
einer netten Dame, die zwei witzige Pudel
hat – Matheo muss ständig kichern, weil er
die Hunde versteht, und die Frauen begreifen überhaupt nicht, was der Bub denn so
lustig findet. Schliesslich gehen alle zusammen in den Zoo. Dort hat sich gerade eine
Katastrophe ereignet: Ein Känguru wurde
entführt. Matheo macht sich mit den Pudeln
auf die Suche und bekommt schon bald Unterstützung vom pensionierten Spürschwein
Max und von Polly, einem Mädchen mit einer ziemlich grossen Klappe. Dieser Krimi
mit Tieren ist sehr lustig und sehr speziell.
Die Charaktere sind hervorragend gestaltet, angefangen bei den beiden Kindern,
die eigentlich Aussenseiter und schon gar
keine Helden sind, über das Spürschwein
Max bis zu den hochintelligenten Pudeln.
Und die Autorin schafft es immer wieder,
einen auf eine falsche Fährte zu führen.
Das letzte Buch, das ich heute empfehle,
stammt von der schwedischen Autorin Katharina Mazetti: ‹Die Karlsson-Kinder –
Spukgestalten und Spione›. In diesem Buch
steckt alles drin, was eine richtige Sommergeschichte ausmacht. Hauptfiguren
sind die Schwestern Julia und Daniella sowie deren Cousins George und Axel. Weil
ihre Mütter alle anderweitig beschäftigt
sind, verbringen die vier Kinder ihre Ferien bei Tante Frida, die allein auf einer kleinen Insel und in einer eigenen Welt lebt.
Die Tante ist Künstlerin, und eines Tages
muss sie wegen einer Fälschungsgeschichte aufs Festland. Die vier Kinder bleiben
also allein zurück.
Kaum ist die Tante weg, ereignen sich seltsame Dinge. Lebensmittel verschwinden,
ein Kinderschuh taucht auf, in der Nacht
ertönen unheimlich Geräusche. Am nächsten Morgen beschliessen die Kinder, die
ganze Insel abzusuchen. Tatsächlich finden sie schon bald eine Feuerstelle mit
warmer Asche. Noch eigenartiger wird alles, als sie beim Einkaufen auf dem Festland einem Mann begegnen, der Fälschungen von Tante Fridas Kunstwerken
verkauft ...
Das Buch verströmt eine sehr schöne Sommerstimmung. Die Heile-Welt-Atmosphäre
erinnert mich fast ein wenig an Werke von
Astrid Lindgren – hier erhält man aber
noch einen zusätzlichen Schuss Spannung.
Auch dieses Buch bildet den Auftakt zu einer Serie, die nächste Folge ist bereits auf
September angekündigt.»
Nicole Stäuble, 41, ist Buchhändlerin bei
Orell Füssli in Frauenfeld; sie hat einen
vierjährigen Sohn. «Ich machte bereits
meine Lehre zur Buchhändlerin bei Orell
Füssli», erzählt sie. Schon in der Lehre
seien Kinder- und Jugendbücher für sie
das Grösste gewesen, denn «dieser Bereich ist so vielseitig und fast so etwas wie
eine Buchhandlung in der Buchhandlung!»
Ausserdem könne man die Kundinnen
und Kunden, die Kinderbücher suchten,
richtig beraten: «Die meisten Leute sind
dankbar für Empfehlungen, weil sie sich
mit den Neuerscheinungen nicht so gut
auskennen.»
Vorsicht,
Krokodil
Lisa Moroni (Text)
und Eva
Eriksson (Illustrationen)
32 Seiten
CHF 19.90
Moritz
Benjamin Wood –
Beastologe 01.
Die Suche nach
dem Phönix
Robin L. LaFevers
160 Seiten
CHF 14.90
cbj
Die sagenhafte
Saubande
Nina Weger
221 Seiten
CHF 15.90
Oetinger
Die KarlssonKinder –
Spukgestalten
und Spione
Katharina
Mazetti
204 Seiten
CHF 16.90
dtv
Wider die
Verschwendung
Wer Nahrungsmittel geschickt einsetzt, vermeidet nicht nur unnötige Abfälle. Neue Kochbücher zeigen, dass dies auch zu besonders schmackhaften und günstigen Gerichten führen kann.
Markus Ganz
Man mag von Jamie Oliver und seiner
Selbstvermarktung halten, was man will.
Aber mit «Cook clever mit Jamie» ist dem
mit Fernsehsendungen weltberühmt gewordenen Koch ein Wurf geglückt. Dies sei
sein erstes Kochbuch, zu dem ihn sein Publikum gedrängt habe, erklärte der Autor
von bisher 14 Bestsellern in einem Interview. Er sei der Nachfrage nach Rezepten
für gute Mahlzeiten, die den Geldbeutel
schonen, gern nachgekommen. Denn er sei
ohnehin überzeugt, dass «die besten Gerichte dieser Welt dort entstanden sind, wo
die Mittel knapp waren».
Oft ist weniger
mehr und
das richtige
Wissen das
Entscheidende.
Günstig und originell
Jamie Oliver verspricht, die vorgestellten
Gerichte seien nicht nur leicht nachkochbar, sondern kosteten pro Person auch weniger als ein durchschnittliches Fast-FoodMenü. Und er betont, dass dies ohne
Verzicht möglich sei. Es gehe darum, clever einzukaufen und nichts zu verschwenden. Mit bestechenden Tipps zur Vorratspflege im Tiefkühler und im Kühlschrank
zeigt er, wie man persönlich etwas gegen
die «irrsinnige Vergeudung» machen kann.
Denn die englische Durchschnittsfamilie
werfe pro Jahr Lebensmittel im Wert von
1000 Franken weg; in anderen Ländern
sieht es ähnlich aus. Das Grundthema des
Buchs widerspiegelt sich auch in den Rezepten, in denen typischerweise immer
wieder originelle Ideen aufblitzen. Im vegetarischen Teil etwa schlägt Jamie Oliver
KOCHBÜCHER | 47
Books Nr. 2/2014
ein Gericht namens «Zombie-Hirn» vor,
ein als Ganzes gebackener Sellerie mit
Pilzsauce und Rollgerste. Um Tiefkühlvorräte von Fisch aufzuräumen, empfiehlt er
einen Fischauflauf mit Erbsen in der Kartoffelstockkruste. Im Zentrum der Fleischkapitel aber steht die Idee von «Ausgangsrezepten», die er mit Rezepten zu den
eingeplanten Resten kombiniert. Er schlägt
zum Beispiel einen Rinderbraten mit Rinderbrust vor, «die bescheidene Schwester
von Roastbeef». Er macht aber gleich zwei
Kilo, damit genügend Reste für andere,
ebenfalls vorgestellte Gerichte bleiben, etwa
ein indonesisches Rendang-Curry oder ein
scharfes marrokanisches Tajine.
Köstliche Nebenprodukte
Auch Bernadette Wörndl geht es ums
«Grosse und Ganze», wie sie in der Einleitung zu ihrem vegetarischen Kochbuch «Von der Schale bis zum Kern»
schreibt. Oft sei weniger mehr und das
richtige Wissen das Entscheidende. Niemand würde einen halben Kopf frischen
Brokkoli entsorgen, behauptet sie. Doch
das Gleiche mache man, wenn man die
Brokkolistängel wegwerfe. Entsprechend hat auch sie ihr schön aufgemachtes Kochbuch in Kapitel zu einzelnen
Lebensmitteln unterteilt. Bei der Artischocke beispielsweise erklärt sie, wie
man die verschiedenen Teile für verschiedene Gerichte verwenden kann.
Wenn sich Haufen von abgezupften Artischockenblättern in ihrer Küche angesammelt hätten, sei es Zeit für eine Artischockenblättersuppe. Und wenn sie
Babyartischocken in Weisswein und Olivenöl geschmort habe, entstehe ein herrlicher Sud, wie gemacht für Vinaigrettes,
Dressings oder Marinaden. Und wie
wär’s danach mit Espresso-Birnen mit
einer Fenchelblüten-Panna-Cotta? Die
Rüstreste der Birne samt Schale und
Kerngehäuse landen selbstverständlich
nicht im Abfall, sondern ergeben nebenbei einen delikaten Sirup.
Alles wird verwertet
Wie Jamie Oliver will auch Lisa Casali verhindern, dass Lebensmittel «als Ausschuss
in der Tonne statt auf dem Teller» landen.
Die italienische Foodbloggerin und Autorin
legt aber in «Grün kochen? (Öko-)Logisch!»
noch mehr Wert auf Nachhaltigkeit und
Ökologie. Dem Thema Verschwendung widmet sie gleich einen ganzen Buchteil – von
der Analyse bis zu Tipps zur Vermeidung.
Zudem präsentiert sie ausschliesslich
fleischlose Rezepte. Das zentrale Anliegen
von Lisa Casali ist, dass nicht nur die «edlen» Bestandteile von Lebensmitteln verwendet werden, sondern auch Schnittreste,
Schalen, Blätter und so weiter. Diese Art von
Küche sei nicht nur gesund und schmackhaft, man spare damit auch über 20 Prozent
Geld. Im Buchteil «Grün kochen» zeigt sie
anhand einzelner Lebensmittel wie Artischocken, wie man diese besser verwerten
kann; dies führt zu Rezepten wie Artischocken-Tartelettes, Spätzle mit ArtischockenBlättern oder Mezzelune mit ArtischockenCrème. Im Buchteil «Grüne Menüs» schlägt
sie dann ganze Kombinationen von Gerichten für verschiedene Anlässe wie einen
Brunch, einen Fernsehabend oder einen
Besuch der Schwiegereltern vor.
Cook clever mit Jamie –
Günstig einkaufen, bewusst
essen, alles verwerten
Jamie Oliver
287 Seiten
CHF 37.90
Dorling Kindersley
Grün kochen? (Öko-)
Logisch! – Nichts mehr
verschwenden, weniger
ausgeben
Lisa Casali
260 Seiten
CHF 19.90
Goldmann
Von der Schale bis zum
Kern – Vegetarische Rezepte, die aufs Ganze gehen
Bernadette Wörndl
191 Seiten
CHF 44.90
Brandstätter
Für Sie probiert: Rinderbraten
Rezept aus dem nebenan besprochenen Buch «Cook clever mit Jamie»
Für 6 Personen inklusive Reste, Zubereitungszeit: 4½ bis 5½ Stunden
Zubereitung:
Zutaten:
Den Backofen auf 170° C vorheizen. Einen
grossen Bräter auf dem Herd stark erhitzen. Die Rinderbrust kräftig salzen und
pfeffern, 1 Schuss Olivenöl in den Bräter
geben und das Fleisch rundherum anbräunen. Inzwischen die Zwiebeln schälen und in Ringe schneiden. Den Bräter
vom Herd nehmen und die Zwiebeln unter
dem Fleisch verteilen. Die Brust auf der
Fettseite mit dem Senf bestreichen und
den Grossteil des Rosmarins darüberzupfen. Mit einem nassen Stück Pergamentpapier zudecken und den Bräter mit zwei
Lagen Alufolie fest verschliessen. Die Rinderbrust im Ofen braten – etwa 4 Stunden,
wenn sie tranchiert wird, rund 5 Stunden,
wenn das Fleisch in Stücke zerpflückt
werden soll.
2 kg Rinderbrust
Olivenöl
2 grosse Zwiebeln
2 TL Senf
1 Bund frischer
Rosmarin (30 g)
1,5 kg Kartoffeln
500 g Karotten
1 Steckrübe
1 EL Butter
140 g Mehl
2 EL Rotweinessig
1 EL Schwarze-Johannisbeer-Konfitüre
Pflanzenöl
2 grosse Eier
100 ml fettarme Milch
Die Kartoffeln schälen, grössere halbieren,
und 12 Minuten vorgaren, abtropfen lassen. In einer ofenfesten Form mit 1 Schuss
Öl, etwas Salz und Pfeffer und dem restlichen Rosmarin vermengen und für 1 Stunde 30 Minuten unter der Brust in den Ofen
schieben. Karotten und Steckrübe schälen,
würfeln und 20 Minuten in Salzwasser
weich kochen. Abtropfen lassen, zurück in
den Topf geben und mit der Butter zerstampfen. Abschmecken und warm stellen.
Den Braten auf ein Schneidebrett legen
und zudecken, die Kartoffeln warm stellen. Die Ofentemperatur auf 250° C erhöhen. Den Bräter bei mittlerer Hitze auf
den Herd stellen und im Bratfett 2 El Mehl
anschwitzen. Konfitüre, Essig, 400 ml kochendes Wasser und ausgetretenen
Fleischsaft dazugeben und köcheln lassen, bis die Konsistenz stimmt. Inzwischen ein 12er-Muffinblech mit Pflanzenöl
einfetten und im Ofen vorheizen. In einem
Krug 100 g Mehl und 1 Prise Salz mit den
Eiern verquirlen. Nach und nach die Milch
unterrühren. Den Teig drei Viertel hoch in
die Vertiefungen des Muffinblechs giessen
und 10 Minuten im Ofen backen, bis er
goldbraun und aufgegangen ist. Die Rinderbrust tranchieren oder in Stücke zerpflücken, die Hälfte als Rest zurücklegen.
Den Braten mit der Sauce, Kartoffeln, Gemüse und den Yorkies servieren.
© 2013 Jamie Oliver
© Jamie Oliver Enterprises Limited, Foto: David Loftus
46 | KOCHBÜCHER
48 | WETTBEWERB
VERANSTALTUNGEN | 49
Books Nr. 2/2014
Das Literatur-Kreuzworträtsel
Veranstaltungen
Unter den richtigen Lösungen verlosen wir Gutscheinkarten von Orell Füssli Thalia:
1. Preis: CHF 200.–, 2. Preis: CHF 100.–, 3. Preis: CHF 50.–, 4. bis 10. Preis: je CHF 20.–.
MAI
27. Thalia Basel
4.Stauffacher Bern
15 h
7. Stauffacher Bern
10 h
Kinderkiste – Erzähl- und Bastelstunde
20 h
7. Thalia Bern
17.30 h
«Über das Sammeln und Aufbewahren»
Berner WissenschaftsCafé; öffentlicher Vortrag und Diskussion
26.Orell Füssli Frauenfeld
10.30 h
Märlischtund
AUGUST
30. Orell Füssli Frauenfeld
10.30 h
Märlischtund
Children’s Hour
«Blocher braucht die SP – als
Gegner»
10.
Buchvernissage mit Helmut Hubacher
Kunsteisbahn Margarethen Basel SEPTEMBER
18.30 h
«Zwei Eisclowns erobern die Welt
– Buddy Elias und Otti Rehorek»
3. Stauffacher Bern
20 h
Buchvernissage mit Peter Bollag
27. Thalia Bern
20 h
23. Thalia Bern
20 h
«Morgengeschichten»
Buchvernissage mit Pedro Lenz
«Noah»
Einzige Schweizer Lesung mit Sebastian Fitzek
«Weit weg und ganz nah»
31. Orell Füssli Frauenfeld
10.30 h
Märlischtund
25. Stauffacher Bern
31.Stauffacher Bern 15 h
«Bierwandern – Die erfrischendste Art, die Schweiz zu entdecken»
Thalia Bern
2.Kramhof Zürich
17.30 h
«Findet uns das Glück?»
Berner WissenschaftsCafé; öffentlicher
Vortrag und Diskussion
✁
10.30 h
10.30 h
Märlischtund
OKTOBER
4.Kramhof Zürich
13-15 h
25. Orell Füssli Frauenfeld
10.30 h
18-19 h
Signierstunde mit Starkoch
Andreas Caminada
5.Stauffacher Bern
27. Orell Füssli Frauenfeld
Theo der Bär besucht die Kinderwelt
JULI
JUNI
2.
L’heure qui conte – lectures pour
les enfants
28.Orell Füssli Frauenfeld
13-15 h
15 h
Märlischtund
Buchpräsentation und Bierdegustation mit
Monika Saxer
6.Kramhof Zürich
Theo der Bär besucht die Kinderwelt
Einzige Schweizer Lesung mit Jojo Moyes
Märlischtund
10 h
Children’s Hour
Lösungswort:
2.Rösslitor St. Gallen
Vorname / Name
20 h
Literaturcafé mit der Frauenzentrale
Adresse
Bis zum 15. Juli 2014 in einer Filiale von Orell Füssli, Thalia, Stauffacher, ZAP oder bei
Rösslitor Bücher abgeben – oder per E-Mail senden an: [email protected].
Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt.
PLZ / Ort
E-Mail
Mehr Veranstaltungen finden Sie auf www.books.ch, www.thalia.ch und www.buch.ch
50 | KOLUMNE
Lorna hat ihren Vater getötet und weiss
nicht warum. Wer ist Lorna? Ein weltläufig
sich produzierendes Neutrum, das etwas in
mir ausbrütet, von dem ich bisher keinen
Dunst hatte. Es ist ja so, dass Sprache uns
anspringt, uns Autorinnen und Autoren, die
hellhörig sind für den Klang, den Rhythmus
von Sätzen, daraus ist die konkrete Poesie
entstanden oder in Frankreich der Nouveau
roman. Ich bin hingegen eine unverbesserliche Realistin, die der nahen und fernen Umgebung den Puls fühlt.
Lorna hat ihren Vater getötet: ein Satz, der
eine Behauptung enthält, die man hochtrabend gesagt dekonstruieren kann. Da guckt
mir bereits Vater Freud über die Schulter
und näselt: Sonnenklar, diese Lorna ist dein
Über-Ich, das führt endlich aus, was im Unbewussten deiner Teenagerjahre schwelte.
Unsinn, entgegne ich, und bitte nimm die
Pfeife aus dem Mund, bevor du mit mir
sprichst. Vatermorde sind etwas für Söhne
und nichts für mich.
Ein Vorname reicht für eine Kolumne – an
einer These bossle ich gern ein paar Stunden herum. Wie aber, wenn diese Lorna
nach vierzehn Tagen noch immer in meiner
Hirnrinde spukt? Wenn ich sie reflektierend
nicht erledigen konnte, oder soll ich drastischer meucheln sagen, denn das ist ja das
Fatale und gleichzeitig Faszinierende an unserm Beruf, er ködert unsere niederen Instinkte, er kitzelt unsere geheimsten Wünsche, bis wir sie schliesslich literarisch
ausreizen, sie schreibend gestehen; unser
Beruf macht uns zu all dem, was Erziehung
und Anstand uns im wirklichen Leben versagen. Der Krimi-Boom ist ein Symptom dafür. Das brave, mittelprächtige Helvetien
generiert jene Giftmischerinnen, Raufbolde,
Mörderinnen, Banditen und Killer, die lo-
cker in unserem Schreibhändchen sitzen
und den günstigsten Moment abwarten, um
uns in die Tasten zu springen. Und jetzt also
diese Lorna, von der es heisst, sie habe ihren
Vater umgebracht. Ich ahne bereits, warum
sie das tat, sie will ein grosses Ding gedreht
haben und mich hinterher zu ihrer Komplizin machen. Mit antiker Grossspurigkeit will
sie mir ihren Freud unterjubeln, den ich
eben los geworden bin. Diese Hexe stellt sich
schon im Morgengrauen vor mich hin, wenn
ich somnambul in die Küche tappe, um dort
am Beruhigungstee zu nippen, den ich um
Mitternacht stehen liess.
Lorna scheint demnach mein Schreibschicksal zu werden. In diesem Fall braucht
sie einen Nachnamen, zum Beispiel Meredith, klingt gut, Lorna Meredith enthält
schon ein Versprechen, sie könnte eine Unternehmensberaterin aus Detroit sein, frisch
geschieden und zu allem bereit. Ich muss sie
wochenlang ertragen: die Inkubationszeit
der werdenden Prosa. Nachdem sie mich
verführt hat, wird sie mir ihre wahre Identität eröffnen: Sie ist die Wiedergängerin von
Penthesilea in der zigsten Generation, die
Königin der Amazonen, die nach Amerika
auswanderte, bevor der neue Kontinent entdeckt worden ist.
Wieso Detroit? Da buchstabiere ich besser
zurück und verpflanze die Geschichte in
eine europäische Metropole, die uns die soziale Kontrolle erspart. Die britische Kapitale mit ihrem Influx bietet sich an: ein Schauplatz, der weitläufig und reichhaltig genug
ist, um vielen Schreibenden zu dienen. Jetzt
bin ich also in London mit zwei Wörtern, die
Namen sind. Sie liefen mir zu, vielleicht aus
der Werbung oder aus dem Blättern in einem Kioskroman am Flughafen, den ich
dann liegen liess: Sie müssen einen Grund
haben, der in meiner eigenen Biografie begraben liegt. Namen sind Futterale, die man
uns überzieht, das scheint für die meisten
Menschen ein automatischer Vorgang zu
sein, ich aber habe eine Jugend lang damit
gehadert. Daher geht es in dieser Story darum, zu erfahren, ob Namen Schicksale haben, ob sie sogar Schicksal sind.
Wenn das Leitmotiv steht, sagt mir das Erzählen selbst, wo es lang will. Das ist die
Eigendynamik des Schreibens, sie ist das
eigentliche Glück der Autorin. Als Abenteuer,
das losgelöst von Zeit und Raum im Kopf der
Verfasserin spielt. Das Ergebnis heisst «Unmässige Klimazone» und beginnt auf Seite
83 in meinem neuen Buch.
© AYSE YAVAS
Schweizer Autorinnen und
Autoren erzählen in Books,
warum sie schreiben.
Heute: Isolde Schaad
LANDESMUSEUM | 51
Books Nr. 2/2014
Isolde Schaad
Isolde Schaad, 69, studierte Kunstgeschichte, Ethnologie und Publizistik an den
Universitäten von Zürich und Cambridge.
1984 erschien ihr Debüt «Knowhow am
Kilimandscharo». Soeben wurde sie für ihr
publizistisches und literarisches Schaffen
mit der Ehrennadel des Kantons Zürich
ausgezeichnet. Ihr neues Buch:
Am Äquator
267 Seiten
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