Viele Menschen wünschen sich heute, im Hospiz zu sterben. Doch
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Viele Menschen wünschen sich heute, im Hospiz zu sterben. Doch
Einblicke Ein Hospiz ist nicht nur ein Ort des Sterbens, sondern auch ein Ort, an dem bis zuletzt gelebt wird. Leben und Arbeiten im Hospiz 122 Glauben & Wissen 04/2014 Viele Menschen wünschen sich heute, im Hospiz zu sterben. Doch wie ist es, an einem Ort zu sein, an dem Menschen bald sterben werden? Und was meint die Hospizbewegung damit, wenn sie den Tod ins Leben zurückholen will? Eine Mitarbeiterin des Osna brücker Hospizes erzählt aus ihrem Alltag. Felix Böttger [text] Glauben & Wissen 04/2014 123 Einblicke reden. Es war dann der stellvertretende Stationsarzt, der endlich dazu in der Lage war. Das Gefühl danach war bei allen einfach Erleichterung. Nun konnte unser Patient auch offen über seine Wünsche reden, die er noch hatte. Weil er in seiner Heimat sterben wollte, haben wir ihm einen Flug nach Spanien organisiert, wo er dann verstorben ist.“ Die Wohnküche des Osnabrücker Hospizes: Hier können Gäste und ihre Angehörigen zusam menkommen, um gemeinsam zu essen, zu reden, fernzusehen und auch zu feiern. D er Tod begegnet uns überall – er springt uns aus Buchdeckeln entgegen, er schreit uns von der Kinoleinwand an und ist unser alltäglicher Begleiter, wenn auf dem Fernsehbildschirm die Nachrichten laufen. Keine Frage: Heute wird in den Medien so viel gestorben und gemordet wie noch nie zuvor. Gleichzeitig jedoch verdrängen wir den Tod, wollen lieber nicht darüber reden. Wie kann es sein, dass uns der Tod in den Ausnahmesituationen von Kriegen und Kriminalfällen kaum mit der Wimper zucken lässt, aber im normalen Alltag zu einem großen Tabu geworden ist? Marlis Wagner kann diese Frage vermutlich auch nicht beantworten. Aber von ihr lernt man, wie 124 Glauben & Wissen 04/2014 man sich dem alltäglichen Umgang mit dem Tod annähern kann: Die 54-Jährige ist Krankenschwester im Osnabrücker Hospiz. Sie gehört damit zu den wenigen Menschen in Deutschland, die den Tod nicht nur in Form raubeiniger Hollywood-Bösewichte oder spektakulär inszenierter Weltuntergangsfilme in ihren Alltag treten lassen, sondern in der Gestalt gebrechlicher alter Menschen, die vielleicht nicht leinwandtauglich sind, aber alle ihre eigenen kleinen Geschichten erzählen. Wenn man Frau Wagner nach ihrer Arbeit fragt, merkt man, wie sehr sie diese Aufgabe als echte Berufung empfindet, zumal sie in ihrer Ausbildungszeit selbst noch erfahren hat, wie damals in Deutschland – Anfang der 1980er Jahre – in Kranken- häusern mit dem Thema Tod und Krankheit umgegangen wurde. Ein Schlüsselerlebnis war für sie die Begegnung mit einem krebskranken spanischen Patienten, der bereits vom nahenden Tod gezeichnet war. Marlis Wagner erinnert sich: „Jeden Tag kam seine Frau mit den Kindern zu Besuch und wischte sich die Tränen ab, bevor sie das Krankenzimmer betrat. Aber keiner hatte ihnen gesagt, dass es bald zu Ende gehen würde. Wenn ich Dienst hatte, spürte ich immer, wie der Patient mich mit seinen Blicken regelrecht anflehte, doch endlich Klartext mit ihm zu reden. Ich fand das ganz furchtbar und sprach den Stationsarzt darauf an, aber der hat es einfach nicht geschafft, mit dem Patienten über die Situation zu Im Hospiz ist man Gast, nicht Patient Zum damaligen Zeitpunkt hatte Marlis Wagner zwar schon von Hospizen in England gehört, aber eine Hospizbewegung wie heute gab es noch nicht in Deutschland. Das Thema ließ sie jedoch nie los, und als 2008 das Osnabrücker Hospiz eine Krankenschwester suchte, bewarb sie sich sofort. Den größten Unterschied zum Krankenhaus sieht sie darin, dass sich im Hospiz die Menschen unverstellt begegnen: „Im Krankenhaus steht man auf der anderen Seite, wenn man den weißen Kittel trägt. Die Welt ist da aufgeteilt in Gewinner und Verlierer. Man sieht die Krankheit, nicht den Menschen.“ Wie wichtig im Osnabrücker Hospiz der Mensch als Individuum ist, zeigt sich schon in der liebevoll gestalteten Umgebung: Anders als im Krankenhaus wird der Besucher nicht durch kahle Gänge geführt, die nach Desinfektionsmitteln riechen, sondern durch ein liebevoll mit Blumen dekoriertes Haus, dessen Wände in einem warmen Gelb gehalten sind. Licht durchflutet die Räume, Kerzen sind aufgestellt und eine begrünte Terrasse erfreut das Auge. Frau Wagner kennt die Vorurteile gegen ihren Beruf: „Viele Besucher rechnen damit, hier nur Not und Elend zu begegnen, und denken, man Wissensplus Wie entstand die Hospizbewegung? Der Begriff „Hos piz“ kommt aus dem lateinischen „hospitium“ und bezeichnete ab dem 4. Jahrhundert Herbergen am Wegesrand, in denen Pilger Unter kunft und Essen finden konnten, aber auch Kranke gepflegt wurden. Die moderne Hospizbewegung entstand 1967 in England: In diesem Jahr gründet die britische Kranken schwester und Ärztin Cicely Saunders (Foto) ein Heim für Sterbende – das St. Christopher’s Hospice in London. „Wir können dem Leben nicht mehr Tage geben, aber den Tagen mehr Leben schenken“, lautet der Grundsatz, den Cicely Saunders für die moderne Hospizbewegung geprägt hat. Dieser Grundsatz ist mehr als nur das: Er ist ein Versprechen – das Versprechen, keinen Menschen im Tod allein zu lassen und ihm ein würdevolles Leben bis zuletzt zu ermöglichen. Ein würdevolles Sterben, das war im Deutsch land der Nachkriegsjahrzehnte oft nur ein frommer Wunsch. Es war die Hochzeit der Apparatemedizin, die mit ihren Schläuchen und seltsam klickenden Maschinen bei vielen Menschen Schau dern verursachte. Und es war die Zeit, in der Sterbende in die Badezimmer der Krankenhäuser abgeschoben wurden, um den anderen Patienten den Anblick nicht zuzumuten. Als Reaktion darauf und inspiriert vom Londoner Hospiz entstand 1986 in Aachen das erste deutsche Hospiz „Haus Hörn“. In der Folge bildeten sich kleinere Hospizgruppen, und schließlich wurde 1992 die „Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz“ gegründet, die heute „Deutscher Hospiz- und PalliativVerband“ heißt. Auch in der Medizin trat allmählich ein Wandel im Umgang mit Ster benden ein: weg von der kurativen (heilenden) Medizin hin zur Linderung von Schmerzen, der sogenannten Palliativmedizin. Der Begriff leitet sich vom lateinischen Wort „pallium“ für „Mantel“ ab, da sich die Maßnahmen wie ein schützender Mantel um den Patienten legen sollen. Heute arbeiten in Deutschland etwa 80.000 Ehrenamtliche in rund 1.500 ambu lanten Hospizdiensten und 180 stationären Hospizen. Glauben & Wissen 04/2014 125 Einblicke Seit einigen Jahren reden ehrenamtliche Sterbebegleiter mit Schülern über die Themen Tod, Trauer und Krankheit Samstag, der 15. Februar 2014: Im Hotel „Art Fabrik“ in Wuppertal sitzen zehn ehrenamtliche Hospizhelfer im Kreis, zwischen ihnen fünf bun te Stofftruhen, auf denen die Worte „Werden und Vergehen“, „Krankheit und Leid“, „Sterben und Tod“, „Vom Traurigsein“ sowie „Trost und Trösten“ stehen. Um die Stofftruhen liegen Kin derbücher. „Hospiz macht Schule“ lautet der Name des Projekts, das seit einigen Jahren bun desweit forciert wird. Die Idee: Hospizler gehen an Grundschulen und reden mit den Schülern im Rahmen einer Projektwoche über die Themen Trauer, Tod und Krankheit. Für sie ist der gewaltsam herbeigeführte Tod durch Fernsehen und Spielekonsole allgegenwärtig. Stirbt aber jemand aus der Familie, stoßen viele Kinder bei ihren Eltern auf eine Mauer des Schweigens. Weil Kinder den Tod heu te oft nur als Folge von Gewalt kennen, sehen sie ihn selten als etwas Natür liches an. „Laut einer Umfrage in den USA glaubt über die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen daran, eines Tages eines nicht natürlichen Todes zu sterben“, sagt Franjo Möcker. Der ehemalige Polizist, heute Konfliktberater für das Land NRW, bereitet die Ehrenamtlichen auf den Gang an die Schulen vor. Warum ihm das Thema am Herzen liegt, erklärt er nicht nur mit warmen Worten, sondern auch mit Zahlen: „Laut einer Studie erleben zwei Drittel aller Kinder bis zum 13. Le bensjahr den Tod eines Familienmitglieds, und weil die Menschen immer älter werden, werden sie oft nicht nur mit dem Tod der Großeltern, sondern auch der Urgroßeltern konfrontiert. Mit dem Projekt ‚Hospiz macht Schule‘ versuchen wir, die Kinder auf solche Situationen vorzubereiten und zu vermitteln, dass der Tod zum Leben gehört.“ Um das zu erreichen, setzen sich die Kinder jeden Tag mit einem Thema auseinander. Wichtig sind dabei kleine Rituale: Zum Einstieg sin gen die Kinder das Lied „Der Himmel geht über allen auf“ und knüpfen dabei ge meinsam ein Band. Danach basteln sie helle und dunkle Wolken, auf die sie schöne und weniger schöne Erlebnisse schreiben. Am zweiten Tag – „Krankheit und Leid“ – stellen die Kinder pantomimisch Krankheiten dar und dürfen Ärzte mit ihren Fragen löchern. Am dritten Tag – „Krankheit und Tod“ – lesen die Kinder Bilderbücher und malen auf, wie sie sich das Jenseits vorstellen. Ein eindringliches Erlebnis schildert eine Ehrenamtliche nach der Durchführung des Projektes an einer Grund schule: Ein kleines Mäd chen hatte Schmetterlinge gemalt, als Sinnbild für den Kreislauf von Werden und Vergehen. Sie gab ihr das Bild mit den Worten: „Wenn du demnächst mal wieder einen sterbenden Men schen begleitest, schenk ihm bitte das Bild von mir, damit es ihn tröstet.“ 126 Glauben & Wissen 04/2014 muss hier vor Ehrfurcht ganz still sein. Die sind dann ganz begeistert, wenn sie merken, dass im Hospiz das Leben und nicht der Tod den Alltag bestimmt! Wir lachen sogar alle viel miteinander und haben richtig Spaß. Das liegt auch daran, dass hier die Leute so sein können, wie sie sind, ohne sich verstellen zu müssen.“ Die Bewohner sind hier keine Patienten, sondern Gäste. Die jenigen, die dazu noch in der Lage sind, helfen manchmal beim Kochen, bevor in der großen Wohnküche zusammen gegessen wird. Wer sich lieber zurückzieht, kann seine Mahlzeit auch in den persönlich eingerichteten Zimmern einnehmen. Manche Hospizgäste ver suchen, ihren letzten Lebenstagen noch einen Sinn zu geben. Ein Gast ist Frau Wagner dabei besonders in Erinnerung geblieben: „Der war so ein richtiger Genussmensch, ein Gourmet. Er saß im Rollstuhl und konnte sich kaum noch rühren, aber er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ein Buch zu schreiben, in dem alle Cafés und Weinbars aufgeführt sind, die in der näheren Umgebung liegen und leicht mit dem Rollstuhl zu erreichen sind. Am Anfang konnte dem Sterbenden ist. Nur pflegerische Tätigkeiten dürfen Ehrenamtliche nicht übernehmen. Weil die Wartelisten für stationäre Hospize Wichtig sind die kleinen sehr lang sind (im Durchschnitt gibt Dinge des Alltags es Platz für zehn Bewohner) und Gerade solche alltäglichen Bedürf- auch, weil viele Menschen zu Haunisse wie der Wunsch nach Genuss se sterben wollen, arbeiten die und Entspannung werden in der meisten Ehrenamtlichen in ambuHospizarbeit sehr ernstgenommen. lanten Hospizdiensten. In stationäUm sie zu erfüllen, werden die ren Hospizen reicht die durchHauptamtlichen von den vielen eh- schnittliche Aufenthaltsdauer von renamtlichen Hospizmitarbeitern wenigen Stunden bis zu mehreren unterstützt. Weil sich die Hospizar- Wochen. Es stellt sich die Frage, ob beit als Bürgerbewegung aus der die Gäste Angst vor dem Tod haben. Mitte der Gesellschaft versteht, gilt Auch darüber redet Marlis Wagner das Ehrenamt als eines ihrer wich- offen mit ihren Gästen: „Es gibt eitigsten Fundamente. Die Ehrenamt nige, die haben gar keine Angst, lichen lesen den Gästen vor, fahren andere gestehen das offen ein, und mit ihnen mit dem Rollstuhl nach manche wollen lieber vom Thema draußen, geben Massagen und hal- ablenken. Aber ich habe gelernt, ten sogenannte Sitz- und Nachtwa- auf bestimmte Signale zu achten, chen ab, damit rund um die Uhr und wenn ich glaube, dass jemand und bis zum Schluss jemand bei Angst hat, versuche ich, mit ihm er noch selbst schreiben, später übernahm das ein Ehrenamtlicher. Das Buch steht heute noch bei uns.“ Im Osnabrücker Hospiz gibt es elf Einzelzimmer. Jeder Bewohner kann sein Zimmer persön lich einrichten, um seine letzten Tage in vertrauter Umgebung verbringen zu können. Obwohl das Hospiz mitten in der Stadt liegt, blicken die Gäste auf der Terrasse ins Grüne. darüber zu reden.“ In solchen Fällen helfen dann nicht nur Worte, sondern auch angst- und schmerzlösende Medikamente. Wenn ein Gast stirbt, zünden die Hospizmitarbeiter eine Kerze im Flur an, die so lange brennt, bis der Tote vom Bestatter abgeholt wurde. Es sind die kleinen Gesten und Augenblicke, die das Leben ausmachen – auch wenn es kurz vor dem Ende steht. „Man will auch dann noch gut leben und nicht wie auf dem Abstellgleis warten, bis die eigene Nummer gezogen wird“, sagt Marlis Wagner. Denn dem Tod noch ein paar Tage mehr abzuringen, mag etwas sein, das die moderne Medizin leisten kann. Diese Tage aber bis zuletzt mit Leben füllen, können nur Menschen, die dem anderen als Menschen und nicht als Kranken begegnen – und deshalb gibt es die Hospizbewegung. Mehr Wissenswertes zur Hospizbewegung finden Sie unter: www.liborius.de/hospiz Glauben & Wissen 04/2014 Fotos: IMAGO (1), PR (5), Wikimedia (1) Hospiz macht Schule Trost finden die Bewohner des Osnabrücker Hospizes auch in den Büchern der hauseigenen Bibliothek. 127