Viele Menschen wünschen sich heute, im Hospiz zu sterben. Doch

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Viele Menschen wünschen sich heute, im Hospiz zu sterben. Doch
Einblicke
Ein Hospiz ist nicht nur ein Ort des
Sterbens, sondern auch ein Ort, an
dem bis zuletzt gelebt wird.
Leben und
Arbeiten im
Hospiz
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Viele Menschen wünschen
sich heute, im Hospiz zu
sterben. Doch wie ist es, an
einem Ort zu sein, an dem
Menschen bald sterben
werden? Und was meint die
Hospizbewegung damit,
wenn sie den Tod ins Leben
zurückholen will? Eine
Mitarbeiterin des Osna­
brücker Hospizes erzählt
aus ihrem Alltag.
Felix Böttger [text]
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Einblicke
reden. Es war dann der stellvertretende Stationsarzt, der endlich
dazu in der Lage war. Das Gefühl
danach war bei allen einfach
­Erleichterung. Nun konnte unser
Patient auch offen über seine
­Wünsche reden, die er noch hatte.
Weil er in seiner Heimat sterben
wollte, haben wir ihm einen Flug
nach Spanien organisiert, wo er
dann verstorben ist.“
Die Wohnküche des Osnabrücker Hospizes: Hier können Gäste und ihre Angehörigen zusam­
menkommen, um gemeinsam zu essen, zu ­reden, fern­zusehen und auch zu feiern.
D
er Tod begegnet uns
überall – er springt
uns aus Buchdeckeln
entgegen, er schreit
uns von der Kinoleinwand an und ist unser alltäglicher
Begleiter, wenn auf dem Fernsehbildschirm die Nachrichten laufen.
Keine Frage: Heute wird in den
Medien so viel gestorben und gemordet wie noch nie zuvor. Gleichzeitig jedoch verdrängen wir den
Tod, wollen lieber nicht darüber
reden. Wie kann es sein, dass uns
der Tod in den Ausnahmesituationen von Kriegen und Kriminalfällen kaum mit der Wimper zucken
lässt, aber im normalen Alltag zu
einem großen Tabu geworden ist?
Marlis Wagner kann diese Frage
vermutlich auch nicht beantworten. Aber von ihr lernt man, wie
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man sich dem alltäglichen Umgang mit dem Tod annähern kann:
Die 54-Jährige ist Krankenschwester im Osnabrücker Hos­piz. Sie
gehört damit zu den wenigen Menschen in Deutschland, die den Tod
nicht nur in Form raubeiniger
Hollywood-Bö­­se­wich­te oder spektakulär insze­nier­ter Weltuntergangsfilme in ihren Alltag treten
lassen, sondern in der Gestalt
­gebrechlicher alter Menschen, die
vielleicht nicht leinwand­taug­lich
sind, aber alle ihre eigenen kleinen
Geschichten erzählen. Wenn man
Frau Wagner nach ihrer Arbeit
fragt, merkt man, wie sehr sie ­diese
Aufgabe als echte Berufung empfindet, zumal sie in ihrer Ausbildungszeit selbst noch erfahren hat,
wie damals in Deutschland – Anfang der 1980er Jahre – in Kranken-
häusern mit dem Thema Tod und
Krankheit umgegangen wurde.
Ein Schlüsselerlebnis war für sie
die Begegnung mit einem krebskranken spanischen Patienten,
der bereits vom nahenden Tod
­gezeichnet war. Marlis Wagner erinnert sich: „Jeden Tag kam seine
Frau mit den Kindern zu Besuch
und wischte sich die Tränen ab,
bevor sie das Krankenzimmer
­betrat. Aber keiner hatte ihnen
­gesagt, dass es bald zu Ende gehen
würde. Wenn ich Dienst hatte,
spürte ich immer, wie der Patient
mich mit seinen Blicken regelrecht
anflehte, doch endlich Klartext mit
ihm zu reden. Ich fand das ganz
furchtbar und sprach den Stationsarzt darauf an, aber der hat es
einfach nicht geschafft, mit dem
Patienten über die Situation zu
Im Hospiz ist man Gast,
nicht Patient
Zum damaligen Zeitpunkt hatte
Marlis Wagner zwar schon von
Hospizen in England gehört, aber
eine Hospizbewegung wie heute
gab es noch nicht in Deutschland.
Das Thema ließ sie jedoch nie los,
und als 2008 das Osnabrücker
Hospiz eine Krankenschwester
suchte, bewarb sie sich sofort. Den
größten Unterschied zum Krankenhaus sieht sie darin, dass sich
im Hospiz die Menschen unverstellt begegnen: „Im Krankenhaus
steht man auf der anderen Seite,
wenn man den weißen Kittel trägt.
Die Welt ist da aufgeteilt in Gewinner und Verlierer. Man sieht die
Krankheit, nicht den Menschen.“
Wie wichtig im Osnabrücker Hospiz der Mensch als Individuum ist,
zeigt sich schon in der liebevoll
gestalteten Umgebung: Anders als
im Krankenhaus wird der Besucher nicht durch kahle Gänge
geführt, die nach Desinfektionsmitteln riechen, sondern durch
ein liebevoll mit Blumen dekoriertes Haus, dessen Wände in einem
warmen Gelb gehalten sind. Licht
durchflutet die Räume, Kerzen
sind aufgestellt und eine begrünte
Terrasse erfreut das Auge. Frau
Wagner kennt die Vorurteile gegen
ihren Beruf: „Viele Besucher rechnen damit, hier nur Not und Elend
zu begegnen, und denken, man
Wissensplus
Wie entstand die Hospizbewegung?
Der Begriff „Hos­
piz“ kommt aus
dem lateinischen
„hospitium“ und
bezeichnete ab
dem 4. Jahrhundert
Herbergen am
Wegesrand, in
denen Pilger Unter­
kunft und Essen
finden konnten,
aber auch Kranke
gepflegt wurden.
Die moderne
­Hospizbewegung
entstand 1967 in
England: In diesem
Jahr gründet die
britische Kranken­
schwester und
­Ärztin Cicely
­Saunders (Foto) ein Heim für Sterbende – das St. Christopher’s
­Hospice in London. „Wir können dem Leben nicht mehr Tage
geben, aber den Tagen mehr Leben schenken“, lautet der
Grundsatz, den Cicely ­Saunders für die moderne ­Hospizbewegung geprägt hat. Dieser Grundsatz ist mehr als nur das:
Er ist ein Versprechen – das Versprechen, keinen Menschen im
Tod allein zu lassen und ihm ein würdevolles Leben bis zuletzt
zu ermöglichen. Ein würdevolles Sterben, das war im Deutsch­
land der Nachkriegsjahrzehnte oft nur ein frommer Wunsch. Es
war die Hochzeit der Apparatemedizin, die mit ihren Schläuchen
und seltsam klickenden Maschinen bei vielen Menschen Schau­
dern verur­sachte. Und es war die Zeit, in der Sterbende in die
Badezimmer der Krankenhäuser abgeschoben wurden, um den
anderen Patienten den Anblick nicht zuzumuten. Als Reaktion
darauf und inspiriert vom Londoner Hospiz entstand 1986 in
Aachen das erste deutsche Hospiz „Haus Hörn“. In der Folge
­bildeten sich kleinere Hospizgruppen, und schließlich wurde
1992 die „Bundesarbeitsgemeinschaft ­Hospiz“ gegründet, die
heute „Deutscher Hospiz- und PalliativVerband“ heißt. Auch in
der Medizin trat allmählich ein Wandel im Umgang mit Ster­
benden ein: weg von der kurativen ­(heilenden) Medizin hin zur
Linderung von Schmerzen, der sogenannten Palliativmedizin.
Der Begriff leitet sich vom lateinischen Wort „pallium“ für
­„Mantel“ ab, da sich die Maßnahmen wie ein schützender
­Mantel um den Patienten legen sollen. Heute arbeiten in
Deutschland etwa 80.000 Ehrenamtliche in rund 1.500 ambu­
lanten Hospizdiensten und 180 stationären Hospizen.
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Seit einigen Jahren reden ehrenamtliche Sterbebegleiter mit
Schülern über die Themen Tod, Trauer und Krankheit
Samstag, der 15. Februar 2014: Im Hotel „Art
Fabrik“ in Wuppertal sitzen zehn ehrenamtliche
Hospizhelfer im Kreis, zwischen ihnen fünf bun­
te Stofftruhen, auf denen die Worte „Werden
und Vergehen“, „Krankheit und Leid“, „Sterben
und Tod“, „Vom Traurigsein“ sowie „Trost und
Trös­ten“ stehen. Um die Stofftruhen liegen Kin­
derbücher. „Hospiz macht Schule“ lautet der
Name des Projekts, das seit einigen Jahren bun­
desweit forciert wird. Die Idee: Hospizler gehen an Grundschulen und reden mit
den Schülern im Rahmen einer Projektwoche über die Themen Trauer, Tod und
Krankheit. Für sie ist der gewaltsam herbeigeführte Tod durch Fernsehen und
Spielekonsole allgegenwärtig. Stirbt aber jemand aus der Familie, stoßen viele
Kinder bei ihren Eltern auf eine Mauer des Schweigens. Weil Kinder den Tod heu­
te oft nur als Folge von Gewalt kennen, sehen sie ihn selten als etwas Natür­
liches an. „Laut einer Umfrage in den USA glaubt über die Hälfte aller Kinder und
Jugendlichen daran, eines Tages eines nicht natürlichen Todes zu sterben“, sagt
Franjo Möcker. Der ehemalige Polizist, heute Konfliktberater für das Land NRW,
bereitet die Ehrenamtlichen auf den Gang an die Schulen vor. Warum ihm das
Thema am Herzen liegt, erklärt er nicht nur mit warmen Worten, sondern auch
mit Zahlen: „Laut einer Studie erleben zwei Drittel aller Kinder bis zum 13. Le­
bensjahr den Tod eines Familienmitglieds, und weil die Menschen immer älter
werden, werden sie oft nicht nur mit dem Tod der Groß­eltern, sondern auch der
Urgroßeltern konfrontiert. Mit dem Projekt ‚Hospiz macht Schule‘ versuchen wir,
die Kinder auf solche Situationen vorzubereiten und zu vermitteln, dass der Tod
zum Leben gehört.“ Um das zu erreichen, setzen sich die Kinder jeden Tag mit
einem Thema auseinander. Wichtig sind dabei kleine Rituale: Zum Einstieg sin­
gen die Kinder das Lied „Der Himmel geht über allen auf“ und knüpfen dabei ge­
meinsam ein Band. Danach basteln sie helle und dunkle Wolken, auf die sie
schöne und weniger schöne Erlebnisse schreiben. Am zweiten Tag – „Krankheit
und Leid“ – stellen die Kinder pantomimisch Krankheiten dar und dürfen Ärzte
mit ihren Fragen löchern. Am dritten Tag – „Krankheit und Tod“ – lesen die
­Kinder Bilderbücher und malen auf, wie sie sich das Jenseits vorstellen. Ein
­eindringliches Erlebnis schildert eine Ehrenamtliche nach der Durchführung des
Projek­tes an einer Grund­
schule: Ein kleines Mäd­
chen hatte Schmetterlinge
gemalt, als Sinnbild für den
Kreislauf von Werden und
Vergehen. Sie gab ihr das
Bild mit den Worten: „Wenn
du demnächst mal wieder
einen sterbenden Men­
schen begleitest, schenk
ihm bitte das Bild von mir,
damit es ihn tröstet.“
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muss hier vor Ehrfurcht ganz still
sein. Die sind dann ganz begeistert, wenn sie merken, dass im
Hospiz das Leben und nicht der
Tod den Alltag bestimmt! Wir
lachen sogar alle viel miteinander
und haben richtig Spaß. Das liegt
auch daran, dass hier die Leute so
sein können, wie sie sind, ohne
sich verstellen zu müssen.“ Die
Bewohner sind hier keine Patienten, sondern Gäste. Die­
jenigen,
die dazu noch in der Lage sind,
helfen manchmal beim Kochen,
bevor in der großen Wohnküche
zusammen gegessen wird. Wer
sich lieber zurückzieht, kann seine
Mahl­zeit auch in den persönlich
eingerichteten Zimmern einnehmen. Manche Hospizgäste ver­
suchen, ihren letzten Lebenstagen
noch einen Sinn zu geben. Ein
Gast ist Frau Wagner dabei besonders in Erinnerung geblieben:
„Der war so ein richtiger Genussmensch, ein Gourmet. Er saß im
Rollstuhl und konnte sich kaum
noch rühren, aber er hatte es sich
zur Aufgabe gemacht, ein Buch zu
schrei­ben, in dem alle Cafés und
Weinbars aufgeführt sind, die in
der näheren Umgebung liegen
und leicht mit dem Rollstuhl zu
erreichen sind. Am Anfang konnte
dem Sterbenden ist. Nur pflegerische Tätigkeiten dürfen Ehrenamtliche nicht übernehmen. Weil die
Wartelisten für stationäre Hospize
Wichtig sind die kleinen
sehr lang sind (im Durchschnitt gibt
Dinge des Alltags
es Platz für zehn Bewohner) und
Gerade solche alltäglichen Bedürf- auch, weil viele Menschen zu Haunisse wie der Wunsch nach Genuss se sterben wollen, arbeiten die
und Entspannung werden in der meisten Ehrenamtlichen in ambuHospizarbeit sehr ernstgenommen. lanten Hospiz­diens­ten. In stationäUm sie zu erfüllen, werden die ren Hospizen reicht die durchHauptamtlichen von den vielen eh- schnittliche Aufenthaltsdauer von
renamtlichen Hospizmitarbeitern wenigen Stunden bis zu mehreren
unterstützt. Weil sich die Hospizar- Wochen. Es stellt sich die Frage, ob
beit als Bürgerbewegung aus der die Gäste Angst vor dem Tod haben.
Mitte der Gesellschaft versteht, gilt Auch darüber redet Marlis Wagner
das Ehrenamt als eines ihrer wich- offen mit ihren Gästen: „Es gibt eitigsten Fundamente. Die Ehren­amt­ nige, die haben gar keine Angst,
lichen lesen den Gästen vor, fahren andere gestehen das offen ein, und
mit ihnen mit dem Rollstuhl nach manche wollen lieber vom Thema
draußen, geben Massagen und hal- ablenken. Aber ich habe gelernt,
ten sogenannte Sitz- und Nachtwa- auf bestimmte Signale zu achten,
chen ab, damit rund um die Uhr und wenn ich glaube, dass jemand
und bis zum Schluss jemand bei Angst hat, versuche ich, mit ihm
er noch selbst schreiben, später
über­­nahm das ein Ehrenamtlicher.
Das Buch steht heute noch bei uns.“
Im Osnabrücker Hospiz gibt es elf Einzelzimmer. Jeder Bewohner kann sein Zimmer persön­
lich einrichten, um seine letzten Tage in vertrauter Umgebung verbringen zu können.
Obwohl das Hospiz mitten in der Stadt liegt,
blicken die Gäste auf der Terrasse ins Grüne.
darüber zu reden.“ In solchen Fällen helfen dann nicht nur Worte,
sondern auch angst- und schmerzlösende Medikamente. Wenn ein
Gast stirbt, zünden die Hospizmitarbeiter eine Kerze im Flur an, die
so lange brennt, bis der Tote vom
Bestatter abgeholt wurde. Es sind
die kleinen Gesten und Augenblicke, die das Leben ausmachen –
auch wenn es kurz vor dem Ende
steht. „Man will auch dann noch
gut leben und nicht wie auf dem
Abstellgleis warten, bis die eigene
Nummer gezogen wird“, sagt Marlis
Wagner. Denn dem Tod noch ein
paar Tage mehr abzuringen, mag
etwas sein, das die moderne Medizin leisten kann. Diese Tage aber bis
zuletzt mit Leben füllen, können
nur Menschen, die dem anderen
als Menschen und nicht als Kranken begegnen – und deshalb gibt
es die Hospizbewegung.
Mehr Wissenswertes zur
Hospizbewegung finden Sie unter:
www.liborius.de/hospiz
Glauben & Wissen 04/2014
Fotos: IMAGO (1), PR (5), Wikimedia (1)
Hospiz macht Schule
Trost finden die Bewohner des
Osnabrücker Hospizes auch in
den Büchern der hauseigenen
Bibliothek.
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