weissalles und dickedumm - henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag
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weissalles und dickedumm - henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag
Coline Serreau WEISSALLES UND DICKEDUMM (Originaltitel: Quisaitout et Grobêta) Aus dem Französischen von Marie Besson 1 „Quisaitout et Grobêta“ von Coline Serreau wurde im März 1993 im Théâtre National de Bretagne, Rennes in einer Inszenierung von Benno Besson uraufgeführt. Die Erstaufführung der deutschen Übersetzung von Marie Besson fand am 2. Oktober 1993 im Schiller Theater Berlin statt. Bei beiden Inszenierungen wurde eine Musik von David Hogan benutzt (Noten im Anhang). © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 1994 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere das der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße 28 10405 Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F2 2 PERSONENVERZEICHNIS Weißalles Dickedumm Er 1 Mathilde Er 2 Adèle Er 3 Julie Rothut Die Baronin Die Pianistin Angenetti * Angenic * Angissé * Angémi * Stéfange * Angeline * Angelisse * Gäste Chor * Die Namen der Engel wurden in den bisherigen Inszenierungen aus dem Wort Engel (frz.: ange) und einem Teil des Namens des jeweiligen Schauspielers zusammengesetzt. 3 ERSTES BILD DAS ESSEN Weißalles Alors Dickedumm, wieder hinterher . . . wieder zu spät, immer zu spät . . . Dickedumm (Tritt humpelnd auf, versucht seine Hosenträger zu erwischen.) Entschuldigen Sie, Herr Weißalles, entschuldigen Sie, entschuldigen Sie, ich kann meine Hosenträger nicht erwischen. Weißalles Und warum mußt du Hosenträger haben, Dickedumm? Dickedumm (Bleibt stehen, sprachlos.) Tja, um meine Hose festzumachen. Weißalles So so, um deine Hose festzumachen? Und warum ist deine Hose losgemacht, Dickedumm? Dickedumm Tja . . . warum? Weißalles Ja, warum? Dickedumm Weiß nich. Weißalles Du weißt es nicht? (Dickedumm beschämt, schüttelt verneinend den Kopf.) Und ich, ich weiß es? Dickedumm Ja, Sie ja. Weißalles Ich weiß, warum deine Hose losgemacht ist, ich? Dickedumm Ja, Sie, Sie wissen, daß meine Hose losgemacht ist, weil’ch auf dem Klo war, drum. Weißalles Bist du dumm, Dickedumm, dumm, dumm, dumm, dumm, dumm, du bist dumm, dumm, dumm, dumm, dumm . . . (Dickedumm fängt nach dem Klang des dumm zu tanzen an, das zu da, dedi, doda, dammdu etc. wird.) 'S reicht. Das Tanzen hört auf. Dickedumm Ja, einverstanden. Es hört auf. Haben Sie Hunger, Herr Weißalles? Weißalles Ungeheuer. Dickedumm Also essen wir? 5 Weißalles Wie das, wir? Ich bin es, der Hunger hat. Dickedumm Oh, bin ich dumm, dumm, dumm, da dedi doda dammdu . . . aber natürlich, Hunger haben Sie und essen tu ich. Weißalles Willst du eine Ohrfeige? Dickedumm (Kniend.) Nein, nein, nein, ich bitte Sie, keine Ohrfeigen jetzt, alles, nur das nicht, wollen Sie Reis mit Kohl? Weißalles Reis mit Kohl? Dickedumm Das ist gut, das ist sehr gut, sehr sehr gut, der Reis mit Kohl. Und außerdem ist welcher da. Weißalles Laß mich kosten. (Dickedumm tanzt, legt eine Decke auf einen Tisch, einen Teller, eine Gabel, holt einen Topf raus und füllt den Reis mit Kohl auf den Teller.) Dickedumm Zu Tisch, es ist bereit, beriet berat berut, es ist bereit, bereit, bereit, da dedi doda dammdu, Eis mit Pol, Pol mit Eis, und Reis mit Kohl, ist bereit, bereit, bereit, für Herrn Weißalles, was wes wes was, des de di du da, und weißalles und weißesall, und walsesei und seewalsa und salali ba du ba da se li ba du dua . . . Weißalles Das reicht, verdammt. Oh, der schafft mich. Setz dich und hör mir zu. Sofort. Dickedumm, sitz. (Dickedumm setzt sich.) Gut. Also folgendes. Jetzt, wo der Mensch endlich die Natur beherrscht, und sich unsere Intelligenz in allen Bereichen glänzend unter Beweis stellt, jetzt, da wir das Flugzeug haben, das Auto, das Telefon, den Fahrstuhl, das Fax, das U-Boot, den Computer, die Zitruspresse, die Bombe, die Rechtschreibung, die audiovisuelle Methode, die Krankenhäuser und die Kunst, vor allem die Kunst, die haben wir, die Kunst, jetzt sollten wir vernunftbegabte Wesen werden. Hörst du, Dickedumm? Dickedumm Ja, ich höre. Weißalles Und hörst du auch zu? Dickedumm Ja, ich höre zu. Weißalles Und verstehst du? Dickedumm Ich verstehe alles, Herr Weißalles. Weißalles Und du bist einverstanden? 6 Dickedumm Nein, Herr Weißalles. Weißalles (Wütend.) Du bist nicht einverstanden? Dickedumm Doch, doch, ich bin ein kleines bißchen nicht einverstanden, nicht viel. Weißalles Womit bist du nicht einverstanden, du Hornochse? Dickedumm Na ja, gerade nur so ein kleines bißchen nicht . . . nicht viel, nur so, das ist alles. (Er zeigt zwischen seinen Fingern einen Abstand von zehn Zentimetern.) Weißalles Dummkopf, man kann nicht ein bißchen nicht einverstanden sein, man ist einverstanden oder man ist nicht einverstanden, basta. Dickedumm (Sehr bestimmt.) Einverstanden. Dann bin ich einverstanden und bin nicht einverstanden, basta. Weißalles Aber du kannst nicht beides sein, man muß wählen, blöder Trottel. Dickedumm Was muß man wählen? Weißalles Bist einverstanden oder bist nicht einverstanden? Dickedumm Mit wem? Weißalles Nicht mit wem, womit, von dem was ich vorhin gesagt habe, womit bist du einverstanden? Dickedumm Ich bin nicht einverstanden. Weißalles (Brüllend.) Gut, aber womit bist du nicht einverstanden, von dem was ich vorhin gesagt habe? Dickedumm Von dem was Sie vorhin gesagt haben? Weißalles Ja, von dem was ich vorhin gesagt habe. Dickedumm Als Sie gesagt haben, blöder Trottel, da bin ich nicht mit einverstanden. Weißalles Aber ja, aber nein, nicht das, da machen wir uns nen Dreck draus, von dem was ich davor gesagt habe. Dickedumm Ich mach mir da nicht nen Dreck draus. Weißalles Nein, das kann nicht wahr sein, nein wirklich, was kann der dumm sein, der da, um Himmels willen, was habe ich dem lieben Gott getan, daß er mir diesen Dussel in die Pfoten gegeben hat. Dickedumm Von dem, was Sie davor gesagt haben? 7 Weißalles Ja, davor. Dickedumm Auch mit Hornochse bin ich nicht einverstanden. Weißalles Wie wollen Sie eine philosophische Diskussion führen, mit so was. Dickedumm (Bricht in Tränen aus.) Aber ich versuche es richtig zu machen? Weißalles Was versuchst du richtig zu machen? Dickedumm Eine Diskussion zu führen, all das, mit Ihnen, Herr Weißalles. Weißalles Wein doch nicht, Dickedumm, das ist nicht schlimm. Dickedumm (Immer noch weinend.) Der Reis mit Kohl wird kalt. Weißalles Oh, wie lieb von dir, an meinen Reis mit Kohl zu denken, mein kleiner Dickedumm. Dickedumm (Immer noch weinend.) Ich weine nicht um Sie, ich weine um mich, da ich den Reis mit Kohl nach Ihnen essen werde, wird er für mich noch kälter sein. Weißalles Wie egoistisch du doch sein kannst, du bist primitiv und egoistisch, Dickedumm. Schweig jetzt, laß mich essen. (Dickedumm schweigt und guckt auf den Teller von Weißalles. Weißalles ißt gelassen, nimmt sich Zeit gut zu kauen.) Dickedumm Ist es gut? Weißalles Es geht. Es ist Reis mit Kohl. Dickedumm Was ich an Reis mit Kohl gern mag, ist, daß die Kohlstückchen, wenn man sie am Zahn zerquetscht, ein wenig Saft geben, der sich mit dem Reis mischt und so den Reis anfeuchtet, weil ansonsten der Reis, der ist ganz schön trocken, und da der Kohl sehr eigen, man kann sogar sagen stark schmeckt, während der Reis fast keinen Geschmack hat, verbinden sich die beiden glücklich miteinander, und bilden eine Art Pampe, die . . . Weißalles Hör schon auf, bitte, hör auf, sprich mir von etwas Interessantem, was soll uns das, dein Kohl, dein Reis, all das . . . Erhöhe das Niveau, hinauf, hinauf, ich bitte dich mein Alter. Dickedumm Ich bin nicht Ihr Alter. Weißalles Mein Alter, mein Junger, was du willst, mein Armer, aber hinauf, hinauf. Dickedumm Gut, ich schweige. 8 Weißalles Nein, weil das Leben doch kurz ist, sehr kurz. Darum also, versuchen wir doch, es auf intelligente Weise zu verbringen, laßt uns Nützliches machen, Nützliches sagen, Großes, Wichtiges, seien wir doch Mensch, Teufel noch mal. (Stille.) Weil der Mensch doch die Krönung der Schöpfung ist, Teufel noch mal. (Stille.) Schlußendlich, das was den Menschen über das Tier stellt, ist doch das Denken. Wir denken, und wir wissen, daß wir denken, und wir schöpfen! Das ist unsere Stärke. (Stille.) Wir verändern die Natur, wir beugen sie unseren Bedürfnissen, wir bauen ungeheure Maschinen, wir bringen den Fortschritt bis in die entlegensten Gebiete, wir . . . nun, wenn ich sage wir . . . nicht du natürlich. (Stille.) Hörst du mir zu? Dickedumm Ja. Weißalles Du sagst nichts? Dickedumm Nein. Weißalles Gut. (Stille.) Natürlich bist du nicht einverstanden. (Stille.) Bist du einverstanden oder bist du nicht einverstanden? (Stille.) (Außer sich) Aber sprich doch, sag etwas, irgend etwas, aber sprich, Holzkopf. Dickedumm (Er hat einen Anfall von Redegabe, er steht auf und spricht zum Publikum, den Kopf wie blockiert in der Luft.) Ich spreche, ich spreche, ich weiß nichts, weiß nichts, weiß alles, ich weiß, daß mir mein Fuß sehr lieb ist, 9