UND IHR - Anne

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UND IHR - Anne
gesellschaft
Mütter & Töchter
Viele Mütter wollen nicht
erziehen, sondern lieber
Freundin spielen. Zu Lasten
der Töchter. Warum Spießig
das neue Cool sein sollte
text Anne-Ev Ustorf illustration Anna Godeassi
MAMA
UND IHR
MINI-ME
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gesellschaft
Mütter & Töchter
BESTE FREUNDINNEN?
A
beiden wichtigsten Bestandteile der Jugendkultur – werden
von der Popstar-Mutter definiert. Hinzu kommt der naheliegende Verdacht, dass Madonna ihre Tochter als narzisstische Verlängerung ihres eigenen Selbst verheizt und eine
gesunde Ablösung der Jugendlichen durch das Verhältnis als
vermeintliche beste Freudinnen erschwert. Eine aktuelle
Fotoproduktion zeigt Lourdes in den gleichen Outfits, die
ihre Mutter trug, als sie selbst noch jung war. Das brachte
der Tochter in einigen Medien den nicht gerade schmeichelhaften Spitznamen „Mini-Me“ ein.
Ein typischer Fall von Popstar-Egomanie? Oder ist Madonna wieder mal die Vorreiterin eines gesellschaftlichen
Trends? Tatsächlich kann man sich heute des Eindrucks nicht
erwehren, dass der natürliche Alters- und Generationen-unterschied zwischen Müttern und Töchtern verwischt zu werden
scheint – und das nicht nur in Celebrity-Kreisen. Mütter
kleiden sich in Minirock und Leggins wie ihre 12-jährigen
Töchter, besuchen dieselben Pussycat-Dolls-Konzerte und
schauen mit ihnen zusammen die „Gilmore Girls“. Sie sind
die besten Freundinnen ihrer Töchter. Ein Kuschelkurs, der
zu Lasten der Mädchen geht. Denn oft erzählen die Mütter
ihnen auch Intimitäten, die eigentlich in keine Eltern-KindBeziehung gehören: Eheschwierigkeiten und Seelenleid, Jobfrust und sexuelle Probleme.
So verlieren die Töchter das, was sie in der verwirrenden
Zeit der Pubertät am notwendigsten bräuchten: eine Mutter
zum Sich-Reiben und Sich-Anlehnen. „In gewisser Weise
besteht die elterliche Funktion während der Pubertät darin,
die Widersprüchlichkeit des Heranwachsenden auszuhalten,
selbst wenn diese bei den Eltern Wut erzeugt“, erklärt der
Berliner Pädagoge und Psychotherapeut Joachim Braun.
„Je stärker Jugendliche sich in ihrer Widersprüchlichkeit von Wut, Zuneigung, Trauer
und Abhängigkeit bei ihren Eltern austoben
und sich an ihnen abarbeiten können, desto
befreiter werden sie erwachsen.“
Warum also wollen viele Freundinnen-Mütter
ihre Töchter nicht loslassen? Da ist die Angst vorm Altern. Doch häufiger steckt hinter dem Wunsch, die Tochter
an sich zu binden, etwas anderes: Narzissmus oder Verlustangst. „Eine Mutter wird das Kind nur so weit eigenständig werden lassen, wie sie selbst fähig ist, es loszulassen“,
sagt die Münchner Psychotherapeutin Bärbel Wardetzki.
Und weil es für viele Mütter schwer auszuhalten ist, von
der eigenen Tochter infrage gestellt oder verlassen zu werden, spielen manche lieber Freundin als zu erziehen. Denn
wer wirklich bereit ist, Mutter zu sein, muss auch unbeliebte
Entscheidungen treffen und auf Regeln bestehen, die bei der
Tochter schon mal Hassgefühle hervorrufen. Zeitweise als
spießige alte Kuh wahrgenommen zu werden inklusive.
Und das ist auch okay. Denn mal ehrlich: Hätten wir
unsere Mutter zur besten Freundin haben wollen? Über
Männer, Mode und Musik lässt sich doch so viel besser
mit Gleichaltrigen sprechen – Tokio Hotel den Töchtern und George Clooney den Müttern. Lourdes
Ciccone kann man nur wünschen, dass sie es
schließlich doch schaffen wird, Mama Madonnas Dunstkreis zu entkommen. Kleiner
Tipp: Der Weg dahin führt über Abgrenzung.
Augenärztin, Sportlehrerin oder
Ingenieurin sind doch auch
schöne Berufe.
Madonna, 51, über ihre Tochter Lourdes, 13
„Wir fühlen uns mehr
wie Freundinnen.“
Rumer Willis, 21, über ihre Mutter Demi Moore, 47
„Meine Eltern und ich sind gute
Freunde. Meine Mutter ist inzwischen so was wie meine beste Freundin.
Wir haben sogar denselben Geschmack,
was Männer betrifft. Bevor sie anfing,
mit Ashton (Kutcher) auszugehen,
hatte ich Poster von ihm an meiner
Zimmerwand hängen.“
Sarah Connor, 29, über ihre Mutter Soraya Lewe-Tacke, 51
„Mama ist meine beste Freundin“, sagt
die Pop-Sängerin. Praktisch,
denn nun können Connor
und ihre beste Freundin /
Mutti gemeinsam Kinderwagen schieben gehen.
Connor hat zwei kleine
Kinder und Oma Soraya
bekam 2008 Zwillinge.
Buchtipps finden Sie auf Seite 124
Fotos: Getty Images (2), Action Press
Als peitschenschwingende Domina, als Kabbalah-Mystikerin
und als Fitnessfreak haben wir Madonna über die Jahre zu
sehen bekommen. Mit jedem Geburtstag scheint der Umfang
ihres Bizeps zu wachsen und dabei die Gabe niederzuringen,
in Würde älter zu werden. Dafür sprechen aktuelle Verjüngungsmaßnahmen wie afrikanische Adoptivkinder (David
und Mercy, 3 und 4) und jugendliche Liebhaber ( Jesus Luz,
21). Jetzt überrascht uns die 51-Jährige mit einer Erkenntnis,
die wohl endgültig belegen soll, dass sie über sämtliche Reifungsprozesse erhaben ist: Ihre 13-jährige Tochter Lourdes
sei ihre beste Freundin, sagte die Queen of Pop jüngst der
Zeitschrift „Rolling Stone“. Schlagender Beweis: Lourdes
und sie trügen mittlerweile dieselben Klamotten, hörten dieselbe Musik und arbeiteten gemeinsam an den neuen Madonna-Shows. „Sie ist schonungslos ehrlich, wenn es darum
geht, was man trägt, wen man datet, bei jeder Entscheidung,
die man trifft“, schwärmt Madonna: „Wir fühlen uns mehr
wie Freundinnen und wir streiten uns jede zweite Minute.
Eine normale Mutter-Tochter-Beziehung in der Pubertät.“
Normal? Der Streit schon. Dass Töchter ihren Müttern
aus Prinzip Kontra geben, ist typisch Pubertät. Als Mamas
beste Freundin vereinnahmt zu werden, dagegen nicht. Erst
durch Abgrenzung gelingt es Töchtern, zu einer eigenen
Identität als Frau zu finden. „In den meisten Fällen wird
die Tochter in der Pubertät die Mutter vom Sockel stoßen“,
erklärt die Essener Psychotherapeutin Claudia Haarmann
(„Mütter sind auch Menschen“, Orlanda Frauenverlag). Die
Mädchen fragten sich: Wer bin ich eigentlich ohne sie?
Zugegeben, Lourdes Ciccone ist ein Sonderfall. Für wenige 13-Jährige dürfte es so schwierig sein, die Mutter vom
Thron zu stoßen, wie für sie. Denn Mode und Musik – die
MÜTTER BRAUCHEN
DEN MUT, EINE
ALTE KUH ZU SEIN
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