Eduard-Pfeiffer-Haus

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Eduard-Pfeiffer-Haus
Eduard-Pfeiffer-Haus
Heusteigstraße45
Eduard-Pfeiffer-Haus
Heusteigstraße45
Einführung
E
in Mann und ein Haus haben Geschichte geschrieben. Der Mann
ist der Bankier und Sozialreformer Geheimer Hofrat Dr. Eduard
von Pfeiffer. Das geschichtsträchtige Haus steht in der Heusteigstraße 45
im Stuttgarter Süden und wurde als Eduard-Pfeiffer-Haus bekannt.
Im Jahre 1863 trat Eduard Pfeiffer in den Arbeiter-Bildungsverein (heute
Allgemeiner Bildungsverein) ein. Kurze Zeit danach gründete er den
„Verein zum Wohle der arbeitenden Klassen“ (heute Bau- und
WohnungsVerein Stuttgart). Mit Hilfe beider von ihm geleiteten Vereine
gründete Eduard Pfeiffer 1888 die Stiftung Arbeiterheim, Eigentümerin
des 1890 fertig gestellten Hauses in der Heusteigstraße. Der Verein für das
Wohl der arbeitenden Klassen war Pfeiffers wichtigste Unternehmung in
einem ganzen Netzwerk von Vereinen, deren gemeinsames Ziel die Hilfe
zur Selbsthilfe für minderbemittelte Klassen war. Dazu gehörte die
Beschaffung von Wohnraum.
Dr. Karl Epple
Vorsitzender des Stiftungsrats
Stiftung Arbeiterheim
1890 wurde in der Heusteigstraße 45 das Arbeiterheim eröffnet. Es bot
240 ledigen Arbeitern in Einzel- und Doppelzimmern eine Unterkunft,
dazu eine Volksküche, eine Wäscherei und einen Saal für kulturelle
Veranstaltungen, der später Landesgeschichte geschrieben hat. Das
Männerwohnheim wurde Frauenwohnheim und schließlich ein gemischtes
Wohnheim. Bis ins Jahr 2008 wurden 100 Zimmer günstig an Bewohner
aus allen Bevölkerungsschichten vermietet, inklusive der Nutzung von
Gemeinschaftsduschen und einer gemeinschaftlichen Küche, Hausmeisterund Reinigungsdienst.
Der Bedarf an günstigem Wohnraum auf Zeit ist bis heute aktuell geblieben. Doch der Zahn der Zeit hat dem Gebäude beträchtlich zugesetzt und
die Ansprüche an das Wohnen haben sich geändert. Der Stiftungsrat der
Stiftung Arbeiterheim hat daher eine grundlegende Sanierung beschlossen, um Wohnheimapartments für zeitgemäßes Wohnen in diesem historischen Gebäude zu errichten und gleichzeitig ein Stück Landesgeschichte
zu erhalten.
Denn das Gebäude Heusteigstraße 45 war und ist nicht nur Wohnheim
und Kulturstätte. Es ist ein Haus, das Landesgeschichte geschrieben hat.
Der Saal bot im Sinne des Gründervaters Raum für viele kulturelle und bürgerschaftliche Aktivitäten, auch eine Theatergruppe des ArbeiterBildungsvereins hatte dort ihr Domizil. Noch heute ist ein Zimmertheater
im Kellergeschoss des Gebäudes beheimatet. Als Stuttgart nach dem
Zweiten Weltkrieg zu mehr als 80 Prozent in Schutt und Asche
lag, bot sich der unzerstörte Saal als Provisorium für
Plenarsitzungen des württembergisch-badischen und des
baden-württembergischen Landtags an. Statt Theaterbühne
tagte hier der Landtag des deutschen Südwestens bis zur
Eröffnung des neuen Landtagsgebäudes an der KondradAdenauer-Straße im Mai 1961. Hier wurde die erste
Landesverfassung verabschiedet, dem Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland zugestimmt und das Land BadenWürttemberg gegründet. Seit 1986 dient der Saal der
Staatlichen Akademie der Bildenden Künste als Unterrichtsraum für das Fach Bühnenbild.
Mit der Sanierung des Gebäudes Heusteigstraße 45 wird eine
Tradition fortgeschrieben und in eine zeitgemäße Sprache
übersetzt. Die bedeutende und wechselvolle Geschichte bleibt
durch Schautafeln in den einzelnen Stockwerken lebendig. Auf
den folgenden Seiten wollen wir Ihnen Geschichte und
Gegenwart des Hauses vorstellen.
Dr. Karl Epple
Vorsitzender des Stiftungsrats
Stiftung Arbeiterheim
Grußwort des Landtagspräsidenten
D
as Eduard-Pfeiffer-Haus ist gleichsam das Geburtshaus des
Landes Baden-Württemberg. Die Verfassunggebende Landesversammlung besiegelte hier am 25. April 1952 um 12:30 Uhr die „Fusion“
der drei südwestdeutschen Nachkriegsländer durch die Wahl des ersten
Ministerpräsidenten und die Bildung des ersten Landeskabinetts. Und am
11. November 1953 folgte die Verabschiedung unserer Landesverfassung.
So gesehen, steht das Eduard-Pfeiffer-Haus in einer Reihe mit dem
legendären Museum Koenig in Bonn, wo der Parlamentarische Rat am
23. Mai 1949 das Grundgesetz feierlich verkündet hat. Und diese
Einordnung lässt zutage treten: Nicht nur bei berühmten Persönlichkeiten
übt die buchstäblich „erste“ Adresse eine doppelte Faszination aus.
Peter Straub MdL
Präsident des Landtags
von Baden-Württemberg
Zum einen gilt auch für die Heusteigstraße 45: Wer an einem derart
bedeutsamen Ort innehält, der überbrückt die vergangene Zeit und spürt
eine eigentümliche Nähe. Und dieses Empfinden wird nicht allein den
Kundigen zuteil. Sogar Passanten sind wenigstens kurz berührt, wenn
ihnen die Gedenktafel ins Auge fällt. Zum anderen fühlen sich die politischen Nachfahren der Gründermütter und Gründerväter – ähnlich den
Abkömmlingen illusterer Geistesgrößen – ihrem „Stammhaus“ auf spezifische Weise verbunden: Sie wollen das Gebäude in gutem Zustand wissen, selbst wenn der „Familienname“ nicht im Grundbuch auftaucht und
die einstige „Wohnung“ nicht mehr frei betreten werden kann.
Deshalb bekunde ich der „Stiftung Arbeiterheim“ höchsten Respekt für
die außerordentlich gelungene Erneuerung des Eduard-Pfeiffer-Hauses.
Nichts wurde „kaputtsaniert“. Weder baulich noch im „Wesen“.
Sensibilität war erkennbar die oberste Maxime, und zwar in jeder
Beziehung: gestalterisch, handwerklich, historisch. Die ursprüngliche
Identität des Gebäudes ist modern, doch treffend interpretiert worden.
Der politische Genius loci zählt weiterhin zu den Mitbewohnern.
Nicht als verborgenes Phänomen. Sondern eingängig dokumentiert.
Das „neue“ Eduard-Pfeiffer-Haus bejaht seine Vita, ohne darin zu verharren. Es ist ein Baudenkmal. Und ein „Denk mal“, sprich eine Aufforderung,
sachlich zu reflektieren, dass Geschichte beides heißt: Geschehenes und
Geschichtetes. Das Vorhandene will ein Fundament sein, das wir – im
Wortsinn – „rücksichtsvoll“ weiterentwickeln sollen. Der wohl prominenteste Gast im Eduard-Pfeiffer-Haus war Bundespräsident Theodor Heuss.
Im Januar 1954 besuchte er offiziell den baden-württembergischen
Landtag. Dabei bezeichnete er unser Land als „Modell deutscher Möglichkeiten“. Diese Charakterisierung ist schnell zu
einer oft zitierten Redewendung geworden. Mehr noch: Sie
formt unsere kollektive Mentalität. Der baden-württembergische Regionalpatriotismus speist sich aus dem erfolgreich praktizierten Selbstanspruch, die eigenen Potenziale im richtigen
Moment zukunftsgerecht „aufzustellen“ – wie man neudeutsch sagt. Nicht zuletzt dieser Impetus leitete die „Stiftung
Arbeiterheim“ bei der Renaissance des Eduard-Pfeiffer-Hauses.
Und das Ergebnis ist wirklich präsentabel als „Modell“ für das
Wahrnehmen der Eigentümerpflichten bei zeitgeschichtlich
relevanten Immobilien.
Hoffentlich sind die künftigen Mieter ein bisschen stolz, dass sie
im Geburtshaus des Landes Baden-Württemberg wohnen.
Vielleicht wird dieses „Privileg“ sogar zum Impuls, die aktuelle
Landespolitik mit gesteigerter Aufmerksamkeit zu verfolgen. Es
würde mich sehr freuen.
Peter Straub
Präsident des Landtags von Baden-Württemberg
Grußwort des Oberbürgermeisters der Stadt Stuttgart
D
as sogenannte Eduard-Pfeiffer-Haus in der Heusteigstraße 45,
in den Jahren 1947 bis 1961 Sitz des Landtags, ist nicht nur mit
der Geschichte des Südweststaates, sondern auch eng mit der
Stadtgeschichte Stuttgarts verknüpft. Insbesondere ist es ein bemerkenswertes Zeugnis für das sozialreformerische Engagement des späteren
Ehrenbürgers Eduard Pfeiffer. Sein Interesse galt neben der Arbeiterbildung der Verbesserung der Wohnverhältnisse der Arbeiterschaft; hier
war er weit über Stuttgart hinaus Richtung weisend. So war das
Arbeiterheim in der Heusteigstraße die erste umfassende Einrichtung ihrer
Art im damaligen Deutschen Reich. Später folgten die Siedlung Ostheim
sowie die in Ansätzen realisierten Kolonien Südheim und Westheim,
Anfang des 20. Jahrhunderts die von Pfeiffer geförderte Sanierung der
Altstadt.
Nachdem das Gebäude Mitte der 1980er Jahre renoviert und der historische Festsaal in alter Pracht wiederhergestellt werden konnte, belegt die
nunmehrige Sanierung durch die von Pfeiffer gegründete Stiftung
Arbeiterheim, dass dieses Engagement nachhaltig ist und bis heute
Früchte trägt. Zur gelungenen Generalsanierung spreche ich der Stiftung
Arbeiterheim namens der Landeshauptstadt Stuttgart Dank und
Anerkennung aus.
Dr. Wolfgang Schuster
Oberbürgermeister
der Stadt Stuttgart
Dr. Wolfgang Schuster
Sanierung eines Denkmals
Unklare Statik, unzulängliche Sanitärausstattung und zu kleine Zimmer,
so stellte sich die Situation des Wohnheims am 21. Oktober 2004 dar.
Die Stiftung Arbeiterheim hatte zu einer Begehung das Architekturund Ingenieurbüro Kottkamp & Schneider, die Ingenieurgesellschaft
Schneck-Schaal-Braun, das Ingenieurbüro ebök und die Heimleitung
eingeladen, um eine Grundlage für Sanierungs- und Umbaumaßnahmen
zu erarbeiten.
Festgestellt wurde ein guter Zustand der Grundsubstanz und der technischen Anlagen. Aber auch, dass die Dachform nicht dem Baugesuch von
1889 entspricht. Das äußere Erscheinungsbild des aus dem Jahr 1889
stammenden Gebäudes war damals und ist bis heute noch weitgehend
erhalten. Die Außenfassade – auf der Rückseite Industrieklinker, auf der
Frontseite Sandstein – wurde 1970/1971 für rund 100.000 Mark restauriert, denen „keine Mehrerträge gegenüber stehen“, wie im Protokoll der
damaligen Sitzung des Stiftungsrates festgehalten.
Das Haus befand sich 2004 im Innern im Wesentlichen im Zustand von
1961, als es vom Architekturbüro Aldinger umgebaut wurde. Damals,
nach dem Auszug des baden-württembergischen Landtags aus dem
Eduard-Pfeiffer-Haus, machte man sich über die zukünftige Nutzung
Gedanken. Das Haus sollte wieder seinem ursprünglichen Zweck als
Arbeiterwohnheim zugeführt werden. Doch anstelle eines Männer- wurde
ein Frauenwohnheim daraus, „weil Frauen ihr Zimmer selber herrichten
und damit Bedienungspersonal eingespart werden kann“. Dabei sollte
berücksichtigt werden, dass in einem Frauenwohnheim mehr Koch- und
Waschgelegenheiten sowie Abstellräume geschaffen werden müssen. Die
je zirka 12 m2 großen Zimmer wurden mit fließendem Wasser ausgestattet und neu eingerichtet. Statt Platz für über 200 Männer, die teils in
Mehrbettzimmern schliefen, entstanden 101 Einzelzimmer. Vom 1. bis ins
4. Obergeschoss wurden je Etage bis zu 27 Zimmer mit Waschgelegenheit
eingerichtet. Es blieb bei gemeinschaftlichen Sanitäreinrichtungen und
Gemeinschaftsküchen, jeweils mit Münzautomaten. Rund 600.000 Mark
betrugen die Aufwendungen für die Umbaumaßnahmen. Dazu kamen die
Kosten für Außenanlagen, Möblierung und Ausstattung der Zimmer und
Küchen, so dass der Gesamtkostenaufwand bei rund 910.000 Mark lag.
Die Besichtigung im Jahr 2004 zeigte auch, dass beim Umbau 1961 alte
Wände entfernt und neue Wände eingebracht wurden, teils ohne
Beachtung der Statik. Da die Originalpläne nicht vorlagen, war unklar, wel-
che Wände aussteifend sind und nicht entfernt werden dürfen.
Auch der Aufbau der tragenden Flurwände war nicht bekannt.
Untersuchungen zeigten, dass es sich um eine am Ende des
19. Jahrhunderts neue Stahlbauweise handelte, die so genannte Monier-Konstruktion für Scheidewände, die ab dem
4. Obergeschoss wieder durch Holzfachwerk-Bauweise abgelöst wurde. Da die Bauzeit bis zur Eröffnung des Hauses im
November 1890 nur ein Jahr betrug, würde man heute sagen,
es wurde schnell, aber nicht qualitätsbewusst gebaut. Zwar
fanden bei der Ausfachung Klinker Verwendung, doch der
Mörtel dazwischen war in einem schlechten Zustand.
Das Eduard-Pfeiffer-Haus wurde am 3. September 1990 in
die Liste der Kulturdenkmale der Landeshauptstadt Stuttgart
eingetragen. Die Sachverständigen des Denkmalamtes BadenWürttemberg fassten damals zusammen: „An der Erhaltung
des Gebäudes besteht wegen seiner gestalterischen Qualitäten,
seiner Unverzichtbarkeit der zeitgenössischen Bebauung der
Heusteigstraße, seiner landes-, lokal-, kultur- und sozialgeschichtlichen Bedeutung aus – auch städtebaulicher Hinsicht –
künstlerischen, heimatgeschichtlichen und wissenschaftlichen
Gründen besonderes öffentliches Interesse“.
Moderne Apartments statt schlichter Wohnzellen
Deshalb wurde bei der aktuellen Sanierung des 5-geschossigen langgestreckten Gebäudes eng mit der Denkmalbehörde zusammen gearbeitet.
Ein Vorgutachten für die Umbauplanungen legte das Büro Kottkamp &
Schneider im Jahr 2005 vor. 2007 erfolgte der Auftrag für Werkplanung
und das Baugesuch. Der Baubeginn unter Bauleitung des Architekturbüros
Keck und Lorch datiert auf den Juli 2008 und startete zunächst im
Erdgeschoss im Bereich des Restaurants mit statischen Ertüchtigungsarbeiten, welche erst nach Freilegung der vorhandenen Trägersubstanz
genau berechnet werden konnten. Im Zusammenhang mit der statischen
Ertüchtigung des Gebäudes sowie notwendigen Sanierungsarbeiten in
allen Bereichen der Gastronomie, wurden dabei auch umfangreiche
Brandschutzauflagen berücksichtigt. Darauf folgten die Abbrucharbeiten
im Innern des Gebäudes, vom 2. Kellergeschoss bis zum Dach. Teilweise
wurden Rückbauten vorgenommen, um den Status von 1890 wieder zu
erreichen und die Statik zu verbessern. Die gebäudetechnischen Anlagen
mussten komplett erneuert werden. Dazu zählt die Heizung (Fernwärme)
mit neuen Heizkörpern samt dem Verzug von Leitungen, auch für die
Sanitärbereiche (Schmutz- und Trinkwasser). Die Elektrik wurde ebenfalls
vollkommen neu installiert. In allen Bereichen, in denen Veränderungen
notwendig waren, wurden die heutigen brandschutztechnischen
Anforderungen umgesetzt. Die Wohnungen im Dachgeschoss wurden
ebenfalls grundlegend saniert und neu gestaltet. Das Gebäude erhielt –
soweit nur irgendwie möglich – eine innen liegende Wärmedämmung
nach heutigen Anforderungen.
Zu den größeren Eingriffen gehörte die Restaurierung des
Haupttreppenhauses, wo alte Granitstufen und der ursprüngliche Anstrich
wieder hergestellt wurden. Gemäß den Vorgaben des Denkmalschutzamtes wurden auch die neuen Fenster zur Heusteigstraße mit grünen
Fensterrahmen versehen, wie sie aus historischer Zeit belegt sind. Der alte
kleine Aufzug für zwei Personen wurde im Rahmen der Neugestaltung
durch einen neuen für bis zu 15 Personen ersetzt, der auch für den
Liegendtransport geeignet ist und vom Kellergeschoss bis ins 4. Obergeschoss reicht. Durch die Erreichbarkeit über die Hofeinfahrt ist nunmehr
nahezu das gesamte Gebäude barrierefrei zugänglich und nutzbar.
An das Foyer schließt sich eine Rezeption an, die nach Bedarf besetzt werden soll. Hinter dem Foyer wurde die bisherige Zwei-Zimmerwohnung für
den Hausmeister ebenfalls saniert. Hauptzweck der Umbaumaßnahmen
war die zeitgemäße Umgestaltung der Wohnräume. Heute haben die
36 entstandenen Wohnapartments und die 3 Wohnungen jeweils
28 m2 bis 42 m2. Auf der Fläche von ehemals vier Zimmern gibt
es nach dem Umbau nur noch ein Apartment mit Badezimmer
und Kochnische. Teils mit einem fulminanten Blick auf die
Stuttgarter Innenstadt dank der großzügigen Fensterflächen.
Für die innen liegenden Sanitärbereiche wurde ein Be- und
Entlüftungssystem installiert. Je Stockwerk ist eine Lounge als
Treffpunkt eingeplant. Innen liegende Räume ohne Tageslicht
stehen als Archiv- und Lagerräume zur Verfügung. An der
Fassade zur Heusteigstraße erinnert über dem linken Eingang
die Inschrift „Arbeiterhalle“ an die ursprüngliche Nutzung des
Saales. Die ehemalige Inschrift „Arbeiterheim“ über dem rechten Eingang wurde durch den Schriftzug „Eduard-PfeifferHaus“ ersetzt. Denn unter diesem Namen ist das Haus bekannt
geworden. Das gesamte Nutzungskonzept nimmt in zeitgemäßer Form die Ideen seines Gründervaters wieder auf: angemes-
sener, moderner Wohnraum und Privatsphäre einerseits und
andererseits Gemeinschaftsräume und kultureller Austausch.
Die Apartments sollen teilweise auf Zeit, teilweise langfristig
neu vermietet werden.
Das Kellergeschoss steht wie zuvor dem Zimmertheater des
Allgemeinen Bildungsvereins im Prinzip unentgeltlich zur
Verfügung. Auch das Restaurant mit gehobener Küche im
Erdgeschoss ist weiterhin ein fester Bestandteil der
Heusteigstraße 45. Es wurde renoviert und erhielt eine moderne Küche. Unberührt von den Modernisierungs- und
Sanierungsmaßnahmen blieb der große Saal. Er wurde 1986
aufwändig restauriert und wird seitdem von der Staatlichen
Akademie der Bildenden Künste für das Fach Bühnenbild
genutzt.
Vom Arbeiterheim zum Landtagsgebäude –
Die Geschichte des Eduard-Pfeiffer-Hauses
1889 – 1892
Eduard Pfeiffer hatte ein klares sozialpolitisches Ziel vor Augen, nämlich
die Kluft zwischen arm und reich zu überwinden. Die Epoche war durch
eine intensive Industrialisierung geprägt. Stuttgart entwickelte sich zur
Großstadt und hatte einen kräftigen Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen. Pfeiffer trat in den Arbeiterbildungsverein (ABV) ein und gründete
1866 mit anderen Gleichgesinnten den Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen. Die für Kultur- und Bildungsveranstaltungen angemieteten
Räumlichkeiten des Arbeiterbildungsvereins erwiesen sich als zu klein.
Und eine Umfrage über die Wohnverhältnisse in Stuttgart im Jahr
1887 brachte hinsichtlich der gesundheitlichen und sozialen Lage im
Wohnungsbereich erschreckende Zustände zu Tage. Am 15. Juni 1887 gab
Pfeiffer erste Anregungen für den Bau eines Arbeiterheims. Sein Vorschlag
stieß zunächst auf Skepsis. Doch im Dezember 1887 kam man auf der
Generalversammlung des Arbeiterbildungsvereins überein, zusammen mit
dem Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen ein Arbeiterheim zu
bauen. Es sollte Räumlichkeiten für die Bildungsaufgaben des Vereins
und einen Saal für Versammlungen und andere Veranstaltungen mit
1.200 Sitzplätzen erhalten. Die Entscheidung fiel am 16. Februar 1888
zugunsten eines Bauplatzes mit rund 18 ar an der Heusteigstraße. Der
Baugrund kostete fünf Mark je Quadratmeter.
Text
Eduard Pfeiffer war überzeugt, die Missstände der Schlafkammerbelegung bei vielen Wohnungen in der Stadt durch den Bau eines
Arbeiterwohnheims mildern und gleichzeitig durch die Bereitstellung von
Räumen für Unterricht, belehrende Vorträge und Unterhaltung die jungen
Leute von häufigen Wirtshausbesuchen abhalten zu können. Er sah es als
zweckmäßigste Lösung an, die Aufgaben durch beide Vereine gemeinschaftlich zu lösen und zwar durch die Errichtung einer eigenen Stiftung
Arbeiterheim. Im Stiftungsrat erhielt der Arbeiterbildungsverein drei, der
Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen fünf Sitze. Zum Vorsitzenden
des Gremiums wurde Eduard Pfeiffer gewählt. Wilhelm Keil, 1947 bis
1952 Präsident des Landtags von Württemberg-Baden, bezeichnete das
Arbeiterheim als „die Geburtsstätte der neuzeitlichen Arbeiterbewegung“
in Stuttgart und im Land Württemberg.
Das Startkapital für das Projekt lieferten die beiden Vereine mit jeweils
100.000 Mark, teils als Schenkung, teils als unverzinsliches Darlehen. In
der Sitzung vom 18. Juni 1888 wurden die Baukosten mit 330.000 bis
340.000 Mark veranschlagt. Es bedurfte noch der Ergänzung der Statuten,
bis „Seine Königl. Majestät“ durch Verfügung vom 22. August 1889 der
Stiftung Arbeiterheim mit Sitz in Stuttgart „aufgrund der vorgelegten Statuten die juristische Persönlichkeit in Gnaden verliehen“ hat. Von der Königin von Württemberg erhielt der
Verein als Finanzierungshilfe eine Spende in Höhe von fünfhundert Mark. Zwischen beiden Vereinen wurde am 17. Juni 1889
ein Hausvertrag geschlossen, der die räumlichen
Nutzungsrechte für den ABV festlegt. Dieses Hausrecht wurde
am 1. Juli 1919 dinglich im Grundbuch abgesichert, weil es bis
dahin immer wieder Differenzen zwischen den beiden Vereinen
über die Nutzung des Hauses gegeben hatte.
Vom Arbeiterheim zum Landtagsgebäude –
Die Geschichte des Eduard-Pfeiffer-Hauses
1889 – 1892
Die Baukosten steigen
Probleme mit Hausordnung, Mietzahlungen und Elektrik
Ein Backsteinbau war vorgesehen, die Zimmerwände als Riegelwände
konstruiert. Die Gestaltung der Fassade führte zu einer langen Diskussion.
Es sollte nach Meinung von Gremienmitgliedern eine reine Backsteinfassade ausgeführt werden, weil sie kostengünstiger war als eine
Sandsteinfassade, die Eduard Pfeiffer und auch die beauftragte
Architektengemeinschaft Louis Wittmann und Friedrich Stahl sich wünschten. Pfeiffer konnte sich schließlich durchsetzen.
Wenige Monate nach dem Erstbezug, im Februar 1891,
wird berichtet, dass das Haus vollständig belegt ist. In
125 Zimmern beherbergt es 215 Bewohner, davon 190 in
Zweibett-Zimmern und 25 in Einzelzimmern. Doch es gibt auch
ersten Ärger bezüglich der Mietzahlungen. „Die Erfahrung
lehrt, das in den letzten Monaten durchschnittlich etwa
25 bis 30 Mark pro Woche als uneinbringbar abgeschrieben
werden mussten, weil viele Mieter, auf die Bestimmung der
Hausordnung pochend, welche 14-tägige Zahlung zulässt und
8-tägige Kündigungsfrist bestimmt, 3 Wochen und mehr im
Hause blieben und schließlich entweder heimlich das Haus verließen oder, da sie nichts zahlen konnten, ausgewiesen werden
mussten“. Daraufhin wurde die 8-tägige Mietzahlung obligatorisch und der Hausverwalter angehalten, „nach und nach diejenigen Elemente, welche nicht in das Heim passen, auszuscheiden und ordentliche Verhältnisse herzustellen“. Auch eine
Haus- und eine Ordnungskommission wurden einberufen.
Erstere mit der Aufgabe, die bauliche Instandhaltung zu überwachen, letztere solle die Ordnung und die Reinhaltung des
Hauses sowie den Hausverwalter kontrollieren und auch nach
Wäsche und Inventar schauen.
Am 25. August 1889 wurde mit dem Bau begonnen und der Architekt glaubte, dass in rund einjähriger Bauzeit das Haus fertig gestellt
werden könnte. Die Bauarbeiten kamen tatsächlich gut voran und am
10. November 1890 konnte der Arbeiterbildungsverein mit dem Umzug in
seine neuen Räume beginnen. Die offizielle Einweihung des Gebäudes
fand am Sonntag, den 23. November 1890 statt. Der Vorabend des
55. Geburtstags des Mitbegründers und Gönners Dr. Eduard Pfeiffer. Wie
es heißt, war es eine „würdige Feier, die der Bedeutung des Werkes angepasst war“. Dies wird auch daraus ersichtlich, dass man für dieses
Einweihungsfest 774,61 Mark aufwendete, von denen der Verein für das
Wohl der arbeitenden Klassen 400 Mark übernahm. Die Verdienste und
die Einsatzfreude von Pfeiffer wurden auf dem Fest gebührend dargestellt
und er zum Ehrenvorstand des ABV ernannt.
Im Juni 1891 legte der Architekt eine provisorische Bauabrechnung vor.
Die Bausumme einschließlich der Inventaranschaffungen belief sich demnach auf 530.000 Mark, also rund 200.000 Mark mehr als für den
ursprünglich kleiner konzipierten Bau veranschlagt. Eine Deckungslücke
von zirka 100.000 Mark war entstanden. Und es sollten noch weitere
Arbeiten vorgenommen werden, wie der Bau eines neuen Dampfkamins
und der Ausbau einer Wohnung für den Diener des ABV. Deshalb
beschloss der Stiftungsrat, eine erstrangige Hypothek über 120.000 Mark
aufzunehmen. Die endgültige, am 29. Dezember 1891 vorgelegte
Bauabrechnung wies Gesamtkosten von 506.154,69 Mark aus.
In der Folgezeit ergab die Vermietung der Zimmer keine größeren Probleme, wenn man davon absieht, dass in der Sitzung
des Stiftungsrats vom 25. Mai 1892 die Hauskommission
berichtet, „es haben bei einer Inventarkontrolle 62 Gläser,
12 Leuchter, 3 Seifenhalter, 9 Nachttöpfe, 4 Handtuchhalter,
4 Stühle, 1 Kleiderhalter und 12 Handtücher gefehlt“.
Mehrfach wird auch von Klagen des Gaststättenwirtes
wegen Umsatzeinbußen berichtet, weil von Privat Waren und
Bier im Haus verkauft werden. Daraufhin verbietet der
Stiftungsrat den Warenverkauf im Heim. Umgekehrt beschweren sich die Hausbewohner über die Preisgestaltung und das
Geschäftsgebaren des Wirtes. Schließlich wird ihm gekündigt
und die Leitung der Wirtschaft von der Tivoli-Brauerei übernommen.
Zu unliebsamen Zwischenfällen kam es immer wieder
wegen Lichtausfällen, insbesondere bei Veranstaltungen in der
Gastwirtschaft. Grund waren Defekte in der eigenen
Kraftanlage. Der Stiftungsrat überlegte, ein Ersatz-Lokomobil
anzuschaffen oder alternativ das Haus an das neu errichtete
Elektrizitätswerk anzuschließen. Nach vielen Reparaturen
wurde schließlich „die Gesamtheit der Beleuchtung als
Missstand angesehen“ und die eigene Elektrizitätserzeugung
zugunsten eines Anschlusses an die städtische Elektrizitätsversorgung aufgegeben. Da es zuvor immer wieder zu
Differenzen über die Höhe des Strompreises und den Verbrauch
in den verschiedenen Hausteilen gekommen war, wurde gleichzeitig auf eine klare Verbrauchstrennung zwischen ABV und
Stiftung Wert gelegt. Die Kosten für die Umstellung von rund
12.000 Mark können nicht aus eigenen Mitteln bestritten
werden, beim Kreditverein muss ein Darlehen aufgenommen
werden.
Vom Arbeiterheim zum Landtagsgebäude –
Die Geschichte des Eduard-Pfeiffer-Hauses
1914 – 1932
Sorgenkind Finanzen
Seit dem Gründungsjahr 1890 begleiten Finanzierungsprobleme das
Objekt Heusteigstraße 45 und damit die Stiftung Arbeiterheim.
Sorgenkind ist insbesondere der ABV. Die bescheidenen eigenen Überschüsse der Stiftung werden zur Kredittilgung verwendet, jedes Jahr wird
ein entsprechender Teil der unverzinslichen Schuldscheine ausgelöst.
Mehrfach musste wegen mangelnder Zahlungsfähigkeit des ABV die
Stiftung für Zahlungen von Wasser, Licht und Telefon in Vorlage gehen.
Während des 1. Weltkriegs (1914 – 1918) sind von der Stiftung
Arbeiterheim „keine besonderen Vorkommnisse“ festgehalten. Die
Vereinsaktivitäten waren weitgehend eingestellt worden. Nach dem Krieg
erfolgte eine Neuorientierung in der Vereinsarbeit, da verschiedene
Bildungszweige von anderen Organisationen aufgebaut wurden. Im
Frühjahr 1921 kam eine neue Abteilung hinzu: „Die Theaterfreunde,
dramatische Abteilung des ABV 1863 Stuttgart“, die im Saal ihren
Spielbetrieb aufnahmen.
Ab dem Jahr 1920 werden in Folge des verlorenen Krieges die inflatorischen Kostensteigerungen bemerkbar und zwingen zu Mietanpassungen. Gründungsvater Eduard Pfeiffer stirbt am 13. Mai 1921 im
Alter von 86 Jahren. Erst im darauffolgenden März wird der Fabrikant
Dr. Robert Bosch zum neuen Vorsitzenden des Stiftungsrates gewählt.
Aufgrund der steigenden Kosten und der dadurch bedingten
Mietanpassungen gab es im Jahr 1922 auch viele Mietstreitigkeiten.
Insgesamt mussten 25 Mieterhöhungen ausgesprochen werden, zuletzt
Woche um Woche, um die Mieten dem Geldwert und den steigenden
Kosten anzupassen. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war im Januar
1923 mit einer Billion Mark je Woche und Zimmer. Die Mieteinnahmen im
Jahr 1923 betrugen insgesamt 1.322 Billionen Mark, der Wäschereibetrieb im Hof erwirtschaftete im gleichen Jahr einen Überschuss von
347,6 Billionen Mark. Die Vermögensbilanz zum 31.12.1923 enthält
Gold- und Papiermark nebeneinander, so dass kein Überblick über den
tatsächlichen Vermögensstand möglich war. In diesem Jahr hielt der
Stiftungsrat wegen der außerordentlichen Verhältnisse keine Sitzung ab.
1924 beantragte der ABV, das Ledigenheim zukünftig nach
dem langjährigen Vorsitzenden „Eduard-Pfeiffer-Haus“ zu
benennen. Nach ausführlicher Debatte lehnte der Stiftungsrat
diesen Vorschlag ab, da Pfeiffer stets Wert auf die Bezeichnung
Arbeiterheim gelegt habe. Dem ABV wurde aber freigestellt,
die in seiner Nutzung befindlichen Räume statt bisher
„Arbeiterhalle„ künftig „Eduard-Pfeiffer-Haus“ zu nennen. Im
selben Jahr ersuchte der ABV von der Stiftung ein Darlehen
wegen dringender Instandsetzungsarbeiten. Der Antrag musste abgelehnt werden, denn die Stiftung hatte aufgrund der
neuen Währung selbst kein Geld und eine Kreditaufnahme war
wegen der damaligen Geldknappheit nicht möglich. Nach der
Inflation waren im Jahr 1926 noch 146 Schuldscheine im
Nennwert von insgesamt 73.000 Mark im Umlauf, von denen
122 Schuldscheine (61.000 Mark) vom früheren Vorsitzenden
nach dessen Tod auf die Eduard-Pfeiffer-Stiftung übergegangen waren. Von den restlichen Schuldscheinen entfielen
7.500 Mark auf den Verein für das Wohl der arbeitenden
Klassen, 3.500 Mark auf den ABV und 1.000 Mark auf einen
Privatmann. Entsprechend der Bestimmungen des Aufwertungsgesetzes wurden die Schuldscheine mit 25 % des
Goldmarkbetrages aufgewertet und zum 1. Januar 1932 zur
Auszahlung fällig. Auf Bitten des ABV wurde der
Aufwertungsbetrag diesem Verein sofort einschließlich Zinsen
ausbezahlt, damit dringende Reparaturen an dessen Räumen
durchgeführt werden konnten. Noch im September
1926 beschloss der Stiftungsrat, die Sanitäranlagen im
Gebäude zu renovieren und „die Aborte an die neue
Entwässerung“ anzuschließen. 1928 standen wieder größere
Sanierungsmaßnahmen an. Der Stiftungsrat entschied, die
desolate Dampferzeugungsanlage für die Wäscherei zu erneuern, im Gebäude Zentralheizung einzurichten und die elektrische Anlage zu erweitern. Der Gesamtaufwand einschließlich
verschiedener Reparaturen in Höhe von 34.000 Reichsmark
konnte dank der seit der Inflation angesammelten Rücklagen
aus eigenen Mitteln bestritten werden. Doch die finanziellen
Turbulenzen nahmen in den 1930er Jahren noch zu.
Vom Arbeiterheim zum Landtagsgebäude –
Die Geschichte des Eduard-Pfeiffer-Hauses
1933 – 1945
Die Nationalsozialisten bestimmen den Kurs
Mit der zunehmenden Einflussnahme der Nationalsozialisten musste
der Arbeiterbildungsverein (ABV) seine erfolgreiche Bildungsarbeit einstellen. 1930 hatte er sich in Allgemeiner Bildungsverein umzubenennen.
Nachdem der Verein 1939 endgültig seine politische Neutralität aufgegeben hatte, wurde in der Hauptversammlung vom 26. März eine weitere
Umbenennung beschlossen. Der ABV wurde zum „Sportverein 1863
Stuttgart jur.Pers“.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 hatte auch
für die Stiftung Arbeiterheim Auswirkungen. Der Vorsitzende, Bankier
Dörtenbach, gab seinen Rücktritt bekannt. Der Vorstandsvorsitzende des
Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen, Verwaltungsdirektor Fritz
Laib, wird im März 1933 zum neuen Stiftungsratsvorsitzenden gewählt.
Auch der bisherige Geschäftsführer Karl Jann räumt seinen Posten, sein
Nachfolger wird der Kaufmann Hinderer.
Im Juni 1934 muss der ABV die Stiftung wieder um ein Darlehen bitten.
Diesmal geht es um 14.800 Reichsmark für Reparaturen im Saalgebäude.
Die Unterlagen lassen unklar, warum zwischen Juni 1934 und
Dezember 1936 keine Sitzung des Stiftungsrates abgehalten wurde. Doch
die Dezembersitzung von 1936 scheint recht turbulent gewesen zu sein
und brachte finanzielle Unregelmäßigkeiten an den Tag. In Verhinderung
des Stiftungsratsvorsitzenden Fritz Laib wurde unter der Leitung von Herrn
Fehrle die Sitzung abgehalten. Die Unregelmäßigkeiten betrafen die
Geschäftsführung von Hinderer, „wobei der Geschäftsführer sich seiner
Verantwortung durch Freitod entzog“, wie es in Unterlagen heißt. Neuer
Geschäftsführer wurde wieder Karl Jann. Auf der Sitzung wurde festgestellt, dass entgegen dem Beschluss des Stiftungsrates vom Juni 1934 die
Erneuerungsarbeiten nicht vom ABV, sondern vom Geschäftsführer zu
Lasten der Stiftung bezahlt wurden und deshalb offensichtlich das
laufende Konto bei der Girokasse ganz erheblich überzogen wurde.
Die Abrechnungssumme für die Modernisierungsarbeiten lag bei rund
71.000 Reichmark und damit weit über dem Kostenvoranschlag. Zu dem
Sachverhalt gab es verschiedene Darstellungen und weder gegen den früheren Geschäftsführer noch gegen den Architekten konnten
Haftungsansprüche durchgesetzt werden. Schließlich wurde ein
Kompromissvorschlag des Sitzungsvorsitzenden Fehrle akzeptiert. Er sah
vor, dass der ABV „entsprechend seiner wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit“ 30.000 der insgesamt 71.000 Reichsmark Baukosten übernimmt und diese in Monatsraten von
250 Reichsmark tilgt. Die Restkosten wurden von der Stiftung
Arbeiterheim übernommen, obwohl die Renovierungen im
Saal, der Wirtschaft und der sanitären Anlagen ausschließlich
im Nutzungsrecht des ABV lagen.
In derselben Sitzung wurde der Wunsch der NSDAPKreisleitung Stuttgart auf Umwandlung des Arbeiterheims in
ein Lehrlingsheim besprochen. Anscheinend waren die
Verhandlungen langwierig und hart und es stand mehrfach die
Auflösung der Stiftung zur Diskussion. Schließlich einigte man
sich darauf, den § 2 der Satzung (Zweckbestimmung) so abzuändern, dass der Nutzung des Hauses als Lehrlingsheim nichts
mehr entgegensteht. Gleichzeitig wurde beschlossen, dass die
Geschäftsführung zukünftig dem Gemeinnützigen Bau- und
Wohlfahrtsverein Stuttgart in Rechtsnachfolge des Vereins für
das Wohl der arbeitenden Klassen endgültig übertragen wird.
1938 bemühte sich sowohl die Hitlerjugend als auch die
Ortsgruppe Fangelsbach der NSDAP um Anmietung von günstigen Räumen im Arbeiterheim. Gleichzeitig wurde nahe
gelegt, das Eduard-Pfeiffer-Haus umzubenennen. Statt der
Ortsgruppe Fangelsbach Räume zu geben, wurde vorgeschlagen für die Heeressanitätsstaffel Stuttgart im Fall der
Mobilisierung eine Sanitätsanlage im Stiftungsgebäude einzurichten.
Im Protokoll der Stiftungsratssitzung vom April 1940 wird
ausführlich dargestellt, dass das nun Fangelsbachhaus genannte Gebäude an die Deutsche Arbeiterfront (DAF), den
Einheitsverband der Arbeitnehmer und Arbeitsgeber, und das
Sozialwerk für Handwerker vermietet werden soll. Von der
Kreisleitung Stuttgart wird mit Nachdruck darauf hingewiesen,
dass die jungen Lehrlinge geschlossen untergebracht und im
dortigen Hause im nationalsozialistischen Sinne erzogen werden sollen. Doch letztlich ist die DAF von ihren Plänen zur
Umwandlung des Hauses in ein Lehrlingsheim abgerückt.
Erst nach dem Tod des Stiftungsratsvorsitzenden Fritz Laib am
14. Juni 1942 nahm sein Nachfolger, Herr Fritz, der auch
Vorstand des Sozialwerks der DAF war, den Gedanken der
Umwandlung wieder auf, „um unterstützungsbedürftige und
förderungswürdige Gehilfen und Lehrlinge des Handwerks und
der Kleinbetriebe, die nicht in der Lange sind, eigene soziale
Maßnahmen zu erfüllen, zusammenzufassen, um die in den
Großbetrieben durchgeführten sozialen Maßnahmen auch den
Gefolgschaftsmitgliedern in Kleinbetrieben zuteil werden zu
lassen“. Nachdem vom Sozialwerk der DAF bereits Teile des
Hauses belegt sind, wird in der letzten Sitzung des
Stiftungsrates während des Krieges (5. März 1943) dem
Abschluss eines Mietvertrages mit dem Sozialwerk zugestimmt.
Allerdings drängt man darauf, dass aufgrund der
Nutzungsänderung keine Besteuerung der Stiftung entsteht.
Doch es kam anders. 1944 wurden Gebäude und
Einrichtungen beschlagnahmt und die Stiftung wegen Wegfall
des Stiftungszweckes steuerpflichtig. Zum Ende des Krieges
zog die Geheime Staatspolizei (Gestapo) in der Heusteigstraße
ein, weil der vorherige Standort, das Hotel Silber in der
Dorotheenstraße mit seinem gefürchteten Gestapo-Keller, zerstört waren. Reinhold Maier, 1945 – 1952 Ministerpräsident
von Württemberg-Baden, erinnert sich in seinen Tagebuchaufzeichnungen, dass er am 28. März 1945 zur Gestapo in die
Heusteigstraße geladen wurde. Da sein Erscheinen für ihn ein
„Risiko auf Leben und Tod“ dargestellt hätte, zog er sich nach
Westhausen zurück.
Vom Arbeiterheim zum Landtagsgebäude –
Die Geschichte des Eduard-Pfeiffer-Hauses
1945 – 1961
Die Wiege des Südweststaats
Über die Zeit direkt nach Kriegsende ist nur wenig bekannt. Die Räume
und der Saal standen unter der Verwaltung der Militärregierung. Das
Gebäude, das im Bombenkrieg kaum beschädigt wurde, war von verschiedenen Behörden belegt. Die Stiftung wurde unter Treuhandverwaltung
und Vermögenskontrolle gestellt, ein Herr Schneider von der
Besatzungsmacht zum Treuhänder bestellt. Im Saal war das Revuetheater
„Hollywood“ eingezogen und versuchte etwas Zerstreuung im kriegszerstörten Stuttgart zu bieten.
Vereidigung des Kabinetts
Gebhard Müller im Landtag von
Baden-Württemberg in der
Heusteigstraße 45 (1956).
Damit der Verein seine Aktivitäten wieder aufnehmen konnte, musste
die Neugründung bei der Militärregierung beantragt werden. Der
Stuttgarter Oberbürgermeister Arnulf Klett unterstützte den Verein. Mit
seiner Hilfe konnte die am 20. Dezember 1945 unter Auflagen erteilte
Genehmigung am 28. März 1947 auf den heutigen Vereinsstatus zurückgeführt werden.
Stuttgart lag nach schweren Luftangriffen bei Kriegsende zu über 80 %
in Schutt und Asche. Auch der Landtag hatte keine Bleibe mehr. Das
eigentliche Landtagsgebäude war zerstört und die Unterbringung des
Parlaments im Furtbachheim erwies sich als unzureichend. Da bot sich der
unversehrte Saal des ABV im Arbeiterheim, auch Arbeiterhalle genannt,
ideal als günstige Mietunterkunft an, um einen politischen Neubeginn zu
wagen.
Am 18. Juli 1947 eröffnete Landtagspräsident Wilhelm Keil die
35. Plenarsitzung des ersten Württembergisch-Badischen Landtags in der
Heusteigstraße 45. Berühmte Namen des ersten Landtages sind Reinhold
Maier, Gebhard Müller, Elly Heuss-Knapp sowie Theodor Heuss, der spätere erste Bundespräsident. Trotz der für ein Parlament bescheidenen
Räumlichkeiten wurden in der Heusteigstraße wesentliche politische
Entscheidungen getroffen. Rund 14 Jahre lang, zwischen dem 18. Juli
1947 und dem 19. Mai 1961 – an dem der 3. Landtag von BadenWürttemberg seine 31. Plenarsitzung abhielt – diente das Eduard-PfeifferHaus den Landtagen von Württemberg-Baden und Baden-Württemberg
als Tagungsstätte. „Hier wurden nicht nur Gesetze gemacht, sondern auch
die Geburtswehen der Verfassung für Baden-Württemberg durchgestanden“, betont Landtagspräsident Erich Schneider im November 1986
anlässlich der Wiedereröffnung des Saales.
Der Landtag von Baden-Württemberg ratifiziert das Grundgesetz in der Heusteigstraße 45 (1949).
80 Abgeordnete stimmten dafür (CDU, SPD, DVP), 10 Abgeordnete dagegen (KPD).
Das Plenum des Württembergisch-Badischen Landtags
stimmte am 18. Mai 1949 in diesem Saal der Annahme des
Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland zu. Nach der
Berufung der ersten Landesregierung des Südweststaates
durch Ministerpräsident Reinhold Maier wurde in diesem Raum
am 25. April 1952 um 12.30 Uhr das neue Bundesland BadenWürttemberg offiziell als gebildet erklärt. Damit waren die 1945 durch
die amerikanische und französische Besatzungsmacht ins Leben gerufenen drei Länder Baden, Württemberg-Baden und WürttembergHohenzollern zum neuen Bundesland Baden-Württemberg vereinigt.
Staatsbesuch von Bundespräsident Theodor Heuss in in Stuttgart (1954).
Landtagspräsident Neinhaus bittet den Gast ans Mikrofon, im Plenum des
Landtags von Baden-Württemberg in der Heusteigstraße 45.
Vom Arbeiterheim zum Landtagsgebäude –
Die Geschichte des Eduard-Pfeiffer-Hauses
1945 – 1961
Politik des Augenmaßes
Die Verfassunggebende Landesversammlung des Südweststaates unter
Ministerpräsident Gebhard Müller und seiner Allparteienregierung verabschiedete am 11. November 1953 die Landesverfassung von BadenWürttemberg in der Heusteigstraße. Die Zukunft vorwegnehmend,
bezeichnete Bundespräsident Theodor Heuss bei seinem ersten Staatsbesuch am 26. Januar 1954 in diesem Saal das Land Baden-Württemberg
als „Modell deutscher Möglichkeiten“. Am 17. Dezember 1958 wählte
der 2. Landtag von Baden-Württemberg in der Heusteigstraße 45 den
bisherigen CDU-Bundestagsabgeordneten Kurt Georg Kiesinger zum
dritten Ministerpräsidenten des Landes.
„Die einfache und beengte Unterkunft gereicht den damaligen
Abgeordneten auch heute noch zur Ehre. Sie praktizierten damit die
sprichwörtliche schwäbische Sparsamkeit“, erläutert Erich Schneider die
Tatsache, dass der „Rock“ dieser Tagungsstätte für den Betrieb eines
Landesparlaments recht eng war. Nicht von ungefähr wurde in Presse und
Öffentlichkeit über das „parlamentarische Armenhaus“ gespöttelt, wenn
man die Parlamentsgebäude anderer Bundesländer zum Vergleich heranzog. Der langjährige Finanzausschuss-Vorsitzende Alex Möller (SPD) erinnerte daran, dass eben erst nach der verfassungsrechtlichen und wirtschaftlichen Konsolidierung des Landes mit der Planung und Errichtung
des neuen Landtagsgebäudes im ehemaligen Akademiegarten an der
Konrad-Adenauer-Straße (früher Neckarstraße) begonnen werden konnte.
„Im Eduard-Pfeiffer-Haus wurde von unseren Abgeordneten und unseren
Landesregierungen eine Politik des Augenmaßes und des Ausgleichs für
den Bürger gestaltet“, stellte Erich Schneider beim Festakt 1986 fest.
Letzte Plenarsitzung des
Landtags von Baden-Württemberg
in der Heusteigstraße 45
am 19. Mai 1961.
Während der Nutzung als Plenarsaal wurden im Zuge von
Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen leider auch die
Decken, Säulen und das Emporengeländer verkleidet beziehungsweise
zugeputzt. Auf alten Bildern sieht man, dass der Saal nüchtern geweißelt
war. An der Stirnseite hingen lediglich die Wappen des alten und des
neuen Landes. Kein Wunder, dass schon Mitte der 1950er Jahre die Pläne
für ein neues Landtagsgebäude reiften.
Nicht so spektakulär wie auf der politischen Bühne, aber ebenfalls
bedacht und kontinuierlich, verlief während dieser Zeit die Arbeit der
Stiftung Arbeiterheim. Am 19. April 1948 wurde erstmals wieder eine
Sitzung des Stiftungsrates abgehalten. Dort wurde bekannt
gegeben, dass es nach vielen Verhandlungen mit dem
Finanzministerium und dem Amt für Vermögenskontrolle
gelungen sei, die Freigabe der Stiftung Arbeiterheim mit
Wirkung vom 15. März 1948 zu erreichen. Doch das hatte seinen Preis. Die Stiftung musste eine Erklärung abgeben, in der
sie auf sämtliche Regressansprüche an die Militärregierung, das
Finanzministerium, das Amt für Vermögenskontrolle und den
Treuhänder der Besatzungsmacht verzichtet. Obgleich dieses
Verlangen den guten Sitten widerspreche, sei von der
Stiftungsverwaltung darauf eingegangen worden, um zu einer
raschen Beendigung der Vermögenskontrolle zu kommen,
heißt es in dem Protokoll. In der Sitzung wurde auch beschlossen, dass die Geschäftsführung des Bau- und Wohlfahrtsvereins (heute Bau- und WohnungsVerein Stuttgart) auch die
Geschäfte der Stiftung Arbeiterheim mitbesorgt. Diese
Regelung hat noch heute Gültigkeit.
1952 möchte der ABV wieder ein Darlehen der Stiftung zur
Finanzierung des Neubaus eines Sportheims. Es wurde daher
beschlossen, dass das dingliche Nutzungsrecht des ABV in ein
obligatorisches Nutzungsverhältnis umgewandelt wird. Dafür
werden die Darlehen von zusammen 90.000 Mark auf dem
Grundstück des Arbeiterheims dinglich gesichert. Im Jahr 1954
wurde die Zentralheizung auf Ölfeuerung umgestellt und die
Heizanlage dem entsprechend erweitert, sowie das
Wäschereigebäude mit einem Aufwand von rund 40.000 Mark
umgebaut. Und der ABV fragt nach einem weiteren Kredit über
30.000 Mark. Man einigt sich nach langer Diskussion darauf,
diesen Betrag als Abfindung für die Räume im 1. Stock einschließlich der zugehörigen Gänge und der Kammer im
Dachstock von der Stiftung Arbeiterheim zu gewähren.
Bereits im Dezember 1956 macht sich der Stiftungsrat ausführlich Gedanken über die künftige Nutzung des EduardPfeiffer-Hauses nach dem Auszug des Landtags. Laut dem
Sozialamt der Stadt besteht ein dringender Bedarf zur
Unterbringung lediger Arbeitnehmer in Stuttgart. Daraufhin
beschließt der Stiftungsrat, das Gebäude wieder auf seine
ursprüngliche Nutzung als Arbeiterwohnheim zurückzuführen.
Die Zimmer sollen allerdings mit fließendem Wasser versehen und gut
ausgestattet werden. Doch noch immer kann nicht über das ganze
Haus verfügt werden. Zwar ziehen die Mitarbeiter des Sozialamtes und
des Ausgleichamtes aus dem 3. und 4. Obergeschoss aus, dafür werden die Räume an das Polizeipräsidium zur Unterbringung der
Kriminalpolizei vermietet. Obwohl die Nutzung des Gebäudes für den
ABV eingeschränkt war, konnte das in Eigenleistung erstellte erste
Zimmertheater am 4. Mai 1957 eröffnet werden.
Im November 1960 entscheidet der Stiftungsrat, dessen Vorsitz
mittlerweile Rudolf Hagmann hat, Vorsitzender des Verwaltungsrates
des Bau- und Wohlfahrtvereins (BWV), dass anstelle des
Männerwohnheims das Haus zukünftig als Wohnheim für ledige
Frauen geführt werden soll. „Weil Frauen ihre Zimmer selbst herrichten
und damit Bedienungspersonal eingespart werden könnte“. Dafür sollten mehr Koch- und Waschgelegenheiten sowie Abstellräume geschaffen werden. Zur Finanzierung der auf rund eine Mio. Mark geschätzten
Kosten einschließlich der Instandsetzungen stand ein Darlehen der
Landeskreditbank und des Landesarbeitsamtes in Aussicht. In dieser
Sitzung legte der Stiftungsrat auch fest, dass das Wohnheim künftig in
eigener Verwaltung geführt und keiner anderen Organisation übergeben wird. Den im Haus befindlichen Mietparteien, ausgenommen der
Lederhandlung Hoffmann, wird mitgeteilt, dass nach dem Auszug des
Landtags das Gebäude wieder dem Stiftungszweck zugeführt wird und
von den Mietern geräumt werden muss. Doch der Saal konnte, nachdem der Landtag 1961 in seinen Neubau umgezogen war, aufgrund
von feuerpolizeilichen Auflagen nicht mehr der ursprünglichen
Nutzung dienen.
1962 – 2009
Wiederbelebung der Gründeridee
Der Umbau in ein Frauenwohnheim erfolgt nach den Plänen des
Architekten Aldinger. Auf vier Etagen wurden jeweils bis zu 27 Zimmer à
12 m2 und mit Waschgelegenheit eingerichtet, dazu gemeinsame
Sanitärbereiche. Zu den 600.000 Mark für die Baumaßnahmen kamen
Kosten für die Außenanlagen, die Möblierung und Ausstattung der
Zimmer und die Küchen. Der Gesamtkostenaufwand wurde auf rund
910.000 Mark berechnet. Die Finanzierung gelang durch ein Darlehen der
Landeskreditbank (LKB) in Höhe von 257.000 Mark und ein Darlehen der
Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung mit 463.000 Mark. Der Rest musste
aus eigenen Mitteln bestritten werden.
1970/71 wurde die Außenfassade des Gebäudes für 100.000 Mark
gründlich überholt. Da die finanziellen Mittel der Stiftung nicht ausreichten, räumt der BWV, wie bereits in früheren Jahren, der Stiftung einen
Zwischenkredit ein. Auch in den folgenden Jahren wurden jährlich entsprechend den finanziellen Möglichkeiten Renovierungen vorgenommen.
Dazu gehörten neue Fenster und Böden und die Erneuerung der technischen Einrichtungen.
Der Allgemeine Bildungsverein (ABV) war nach dem Auszug des
Süddeutschen Rundfunks als Zwischennutzer des Saales und aufgrund der
Folgekosten aus dem Bau des Sportheims an der Waldau in Degerloch
nicht in der Lage, die Mittel für die Wiederherstellung des historischen
Saales aufzubringen. Architekten errechneten für alle vom ABV genutzten
Räume Instandsetzungskosten von 1,6 Mio. Mark. Um zusätzliche
Einkünfte zu erzielen, vermietete der ABV den Saal. Mieter wurde eine
Kunstledergroßhandlung. Das Mietverhältnis wurde im Jahr 1983 gelöst
und der Saal danach von November 1983 bis Mai 1984 vom
Württembergischen Staatstheater genutzt. 1984 werden auch die Küche
und die Sanitäranlagen der Gaststätte, die im Bereich des Nutzungsrechts
des ABV liegen, erneuert. 1983 und 1984 werden vom Landtag BadenWürttemberg und von der Landesgirokasse Gedenkplaketten am Gebäude
angebracht, um auf die frühere Tagungsstätte des Landesparlaments aufmerksam zu machen und das Gebäude damit in den „stadthistorischen
Lehrpfad“ einzubeziehen.
Zwischenzeitlich konnte mit dem Land Baden-Württemberg ein
Mietvertrag für die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
vereinbart werden. Durch die langfristige Laufzeit von 25 Jahren und durch
die Mietvorauszahlung sollte die Instandsetzung des Saales finanziert
werden. Da dies die einzige Möglichkeit scheint, um eine
ordentliche Nutzung des Saalgebäudes zu erreichen, gibt der
Stiftungsrat der Stiftung Arbeiterheim seine Zustimmung zur
Nutzungsänderung. Die Umbauarbeiten zogen sich über mehrere Jahre hin und waren 1986 abgeschlossen. Mit Unter-
stützung des Denkmalamtes Baden-Württemberg wurde besonders Wert darauf gelegt, die ursprüngliche Saalkonstruktion
wieder freizulegen. Dazu gehören die rechteckige Bühne und ein
auf Stucksäulen ruhender Emporenumgang mit dekorativen
Schmiedeeisengittern, die Kassettendecke und die buntfarbige
1962 – 2009
Wiederbelebung der Gründeridee
Ausmalung, die nach alten Fotodokumenten aus dem Jahr 1912 wiederhergestellt wurde. Der Saal sei in seiner Grundform das letzte Beispiel
eines Versammlungs- und Theaterraumes aus der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts in Stuttgart, betont das Denkmalamt.
Am 28. November 1986 wurde der Saal des Eduard-Pfeiffer-Hauses in
einer Festveranstaltung der Öffentlichkeit vorgestellt. Dabei würdigten der
Landtagspräsident Erich Schneider und der Vorsitzende des Stiftungsrates,
Dr. Felix Waldraff, eingehend die sozial- wie stadtgeschichtliche
Bedeutung des Hauses und der Stiftung, wie auch die landespolitische
Bedeutung durch die langjährige Unterbringung des Landtages und der in
der Heusteigstraße gefassten Beschlüsse.
Seit dem 3. September 1990 ist das Objekt Heusteigstraße 45 in die
Liste der Kulturdenkmale der Landeshauptstadt eingetragen. Die Sachverständigen des Denkmalamtes Baden-Württemberg heben neben dem
Saal als Besonderheiten hervor: die mit hellgelblichem Sandstein verblendete, in Form der Renaissance bzw. des strengen italienischen und französischen Barock nach Art eines Schlosses gegliederte Fassade;
Kolossalsäulen und Pilaster an den Portalen, ein mittiger Dreiecksgiebel
sowie ein französisches Dach, aus denen insgesamt der Anspruch öffentlicher Repräsentation abzulesen sei. So lautet das Fazit: „An der Erhaltung
des Gebäudes besteht wegen seiner gestalterischen Qualitäten, seiner
Unverzichtbarkeit der zeitgenössischen Bebauung der Heusteigstraße,
seiner landes-, lokal-, kultur- und sozialgeschichtlichen Bedeutung aus –
auch in städtebaulicher Hinsicht – künstlerischen, heimatgeschichtlichen
und wissenschaftlichen Gründen besonderes öffentliches Interesse“.
Doch der Saal ist in der Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten. Nur selten gibt es öffentliche Aufführungen der Kunstakademie. In seiner Rede
anlässlich der Wiedereröffnung 1986 äußerte sich Landtagspräsident
Schneider noch optimistisch, dass „der ehemalige Plenarsaal künftig musischen Zwecken dienen und das kulturelle Leben unserer Landeshauptstadt bereichern wird“. Seither wurden im Landtag immer wieder
Anfragen zur derzeitigen und zukünftigen Nutzung des alten
Landtagssaales in der Heusteigstraße gestellt. Zuletzt Ende April 2009
durch Mitglieder der Fraktion Die Grünen.
Bis Anfang März 2008 blieb das Eduard-Pfeiffer-Haus ein gemischtes
Wohnheim. Die Zimmer waren im Prinzip im Zustand von 1961: Bett,
Schrank, Schreibtisch, Waschgelegenheit. Aber dafür wurden
die Räume günstig vermietet: 150 Euro pro Monat inklusive
Nebenkosten, Nutzung der Gemeinschaftsduschen und
Gemeinschaftsküche, Hausmeister- und Reinigungsdienst.
Waren früher die Bewohner überwiegend gewerbliche
Arbeitnehmer, aber auch Schüler der Baugewerkschule sowie
Kaufleute, lebten in den letzten beiden Jahrzehnten Menschen
verschiedener Nationen und Kulturen miteinander: vom
Geringverdiener über den Richter bis zum Arbeitnehmer aus
dem Management. Alle schätzten die preisgünstige und zentrale Unterkunft auf Zeit. Nicht umsonst wurde die
Heusteigstraße 45 das „Haus der vereinten Nationen“
genannt. Die Nachfrage zeigte: der Bedarf an günstigem
Wohnraum, auch auf Zeit angemietet, besteht heute wie vor
über 120 Jahren. Doch die Ausstattung muss stimmen, besonders
ein eigener Sanitärbereich und eine private Kochmöglichkeit
gehören heute zum erwarteten Standard. Das Heusteigviertel mit
seiner reichen kreativen Szene gehört mittlerweile zu den beliebtesten Wohngegenden im Innenstadtbereich. Von dort kann die
City zu Fuß erkundet werden, in der Nachbarschaft befinden sich
kleine Läden und ein vielfältiges gastronomisches Angebot.
Eduard Pfeiffer hätte seine Freude, wenn er sehen könnte, wie
sich die Wohnqualität im ehemaligen Arbeiterheim und im ganzen Stadtquartier entwickelt hat.
Eduard Pfeiffer
1835-1921
1835
1866
1883
geboren am 24. November als 13. Kind des Hofbankdirektors Max
Gründung des Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen.
Verleihung des Titels Hofrat durch König Karl
Pfeiffer. Mutter Pauline Wittersheim, dritte Ehefrau von Max Pfeiffer
Parallel dazu entsteht als Tochterunternehmung der Verein
1850 – 1852
zur Fürsorge für Fabrikarbeiterinnen.
1887
Mitbegründer der nationalliberalen Deutschen Partei
Planungen zum Arbeiterheim in der Heusteigstraße 45
Studium an der Polytechnischen Schule Stuttgart. Fächer
1868
1889 – 1890
1857 – 1862
Wahl als erster jüdischer Bürger in den Württembergischen
Bau des Arbeiterheims durch den Arbeiterbildungsverein
Landtag. Bis 1876 mit einem Sitz in der Zweiten Kammer,
einschließlich eines großen Saales
Abschluss des Studiums an der Ecole Centrale des Arts et Manufactures
was davor für jüdische Bürger gesetzlich verboten war
in Paris mit dem Diplom als Ingenieur der Fachrichtung Chemie.
Bis 1862 weiteres Studium in Leipzig, Heidelberg und Berlin der
1869
1891 – 1901
Nationalökonomie und Finanzwissenschaft. Zahlreiche Reisen innerhalb
Eröffnung der von Eduard Pfeiffer mit gegründeten
arbeitenden Klassen mit 1.267 Wohnungen
Deutschlands, nach Frankreich, Italien und England
Württembergischen Vereinsbank, die wiederum im selben
1862
Jahr an der Gründung der Deutschen Bank beteiligt ist
1894
„Ingenieur“ und „Kauffmann“. Anschließend Auslandsstudium
Bau der Kolonie Ostheim durch den Verein für das Wohl der
1870
Ernennung zum Geheimen Hofrat in Anerkennung der
Besuch der Weltausstellung in London. Kontakt zur Genossenschaftsbewegung
Bau der Stuttgarter Waschanstalt zur Förderung der
1863
Volkshygiene. Erneute Wahl in den Landtag
1900
Verdienste
1872
Ehrenkreuz des Ordens des Württembergischen Königshauses.
Nach der Wiederansiedlung in Stuttgart Tätigkeit als freier Schriftsteller.
Das erste Buch „Über Genossenschaftswesen“ erscheint.
Heirat mit Julie Benary, Witwe eines Pariser Bankiers
zum Namen
Bis 1867 Veröffentlichung von vier volkswirtschaftlichen Schriften
Gründung des Consum- und Ersparnisvereins, der zum Modell für
1874
1901 – 1904
die meisten Konsumgenossenschaften in Deutschland wird
Gründung der Stuttgarter Volksküche, die täglich rund 300
entsteht die Siedlung Südheim mit 140 Wohnungen
1864
Essen ausgibt
1902 – 1904
Wahl zum Vorsitzenden des Consum- und Ersparnisvereins und
1876 – 1921
Mitgliedschaft im Arbeiterbildungsverein
Vorsitzender des Vereins für das Wohl der arbeitenden
1865
Klassen
Damit verbunden ist der Personaladel und der Zusatz „von“
die Siedlung Westheim mit 100 Wohnungen wird errichtet
1904 – 1906
Wahl zum Hauptkassier des Arbeiterbildungsvereins. Das Büro für
1877
Verleihung weiterer hoher württembergischer Orden in
Arbeitsnachweis, die erste, nicht kommerzielle Arbeitsvermittlung,
Rückzug aus der Politik. Wahl zum Vorsitzenden des Vereins
Wohnsituation in Stuttgart
wird vom Arbeiterbildungs- und Gewerbeverein geschaffen
für das Wohl der arbeitenden Klassen
Anerkennung der Leistungen für die Verbesserung der
Eduard Pfeiffer
1835-1921
1906
Beginn der Altstadtsanierung von Stuttgart durch den Verein für
das Wohl der arbeitenden Klassen. 36 Neubauten mit Läden,
Geschäftsräumen und 141 Wohnungen entstehen
1909
Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt Stuttgart in Anerkennung
der Altstadtsanierung
1910
Benennung einer neu angelegten Straße in Stuttgarter Halbhöhenlage
am Kriegsberg nach Eduard Pfeiffer
1910 – 1912
Säuglingsheim und Ledigenheim werden erbaut
1911 – 1913
Bau der Siedlung Ostenau mit 260 Wohnungen
1913
Ernennung zum Ehrenbürger von Madonna di Campiglio in Südtirol,
dem bevorzugten Urlaubsort
1917
Gründung der Eduard-Pfeiffer-Stiftung für wohltätige Zwecke durch
das kinderlose Ehepaar Pfeiffer. König Wilhelm II verleiht Pfeiffer den
selten vergebenen Titel „Exzellenz“
1921
Ernennung zum Ehrenpräsidenten des Vereins für das Wohl der
arbeitenden Klassen.
Am 13. Mai stirbt Eduard Pfeiffer nach langer Krankheit und wird
vier Tage später in aller Stille auf dem Pragfriedhof bestattet.
Plan für die Kolonie Ostheim, zwischen 1891 und 1901 durch den Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen erbaut.
Die Baubeteiligten
Bauherren/
Stiftung Arbeiterheim
Bauauftraggeber
70188 Stuttgart
Baubetreuung
Bau- und WohnungsVerein Stuttgart
Bauphysik
GN Bauphysik
70372 Stuttgart
Vermesser
70188 Stuttgart
Siegel + Östermann
Ingenieurbüro für Vermessungswesen
71364 Winnenden
Kunst am Bau
Kaiser & Könige Werbeagentur
71334 Waiblingen-Beinstein
Restaurator
Erwin Raff
in Zusammenarbeit mit
Freier Restaurator VDR
Dagmar Lange Public Relations
73770 Denkendorf
70437 Stuttgart
Fotograf
SchwabenFilm Falge, Matschke GbR
Altlasten/
Wehrstein Geotechnik
Schadstoffe
71394 Kernen
Abriss
Gottlob Rommel GmbH & Co. KG
70197 Stuttgart
Architekten
Architekten Kottkamp & Schneider
(Planung)
70180 Stuttgart
70188 Stuttgart
Gerüst
Architekten,
Architekten Keck und Lorch
(Ausschreibung,
70195 Stuttgart
Vergabe, Bauleitung)
Rienth GmbH & Co. KG
71364 Winnenden
Rohbau
Wilhelm Keller GmbH & Co. KG
73770 Denkendorf
Statik
Ingenieurgesellschaft Tompert mbH
70178 Stuttgart
Naturstein
Schönfeld GmbH
70190 Stuttgart
Elektro
Paul + Gampe + Partner GmbH
Beratende Ingenieure
73730 Esslingen
Schlosser
O. Graf GmbH & Co. KG
70188 Stuttgart
Haustechnik, Heizung,
Haustechnik Ralf Appel
Lüftung, Sanitär
71732 Tamm
Gaukler + Herdrich GmbH
70825 Korntal-Münchingen
2.280 m Heizleitungen + + + 1.805 m Wasserleitungen + + + 980 m Abwasserleitungen
+ + + 205 m Lüftungsrohre + + + 30.000 m elektr. Leitungen + + + 1.000 Steckdosen + + + 250 Elektro-Schalter + + +
Die Baubeteiligten
Dachdecker
Labudda GmbH
70188 Stuttgart
Metallbau,
Stahltüren
Nothacker GmbH
71686 Remseck
Abdichtung
Erbis F + W GmbH
70435 Stuttgart
Maler
Maler Biber
70794 Filderstadt
Flaschner
Fritz Sanitärtechnik GmbH
70372 Stuttgart
Trockenbau
Ullrich & Schön GmbH
70736 Fellbach-Schmiden
Nassputz
A. + J. Huss GmbH
70599 Stuttgart
Kellertrennwände
Gerhard Braun Kellertrennwandsysteme GmbH
74321 Bietigheim-Bissingen
Fliesen
Fliesen Kugel GmbH
71154 Nufringen
Sanitär / Heizung
Heinrich Weinbuch GmbH
73079 Süssen
Fliesen Restaurant
Willi Müller GmbH
71336 Waiblingen
Lüftung
Gustav Rentschler GmbH
74372 Sersheim
Gussasphaltarbeiten
Fa. Thannhäuser & Ulbricht Gußasphalt
und Estrich GmbH
86742 Fremdingen
Küchen
Weinmann Einrichtungen
70794 Filderstadt-Bonlanden
Elektro
Holzfenster
Trefz GmbH
71543 Wüstenrot
F + E Elektroanlagen GmbH
70736 Fellbach
LED Leuchten
Schreiner
Fa. Georg Ströhle
73312 Geislingen
Richter lighting technologies GmbH
73540 Heubach
Aufzug
Parkett
Babschanik GmbH
73061 Ebersbach/Fils
Stricker Aufzüge GmbH
71522 Backnang
Schließanlage
Pfeffer Sicherheitstechnik
Schloss + Schlüsseldienst
76571 Gaggenau
Metallbau,
Stahl/Glaselemente
Metallbau Mayer GmbH
71364 Winnenden
200 Tonnen Gussasphalt + + + 220 Fensterelemente
+ + + 1.500 m 2 Parkett
+++
4.500 m 2 Tapeten
+ + + 11.500 m 2 Wand- und Deckenanstrich
+ + + 2.250 m 2 Wandausbau
+ + + 350 m 3 Bauschutt
Impressum / Bildnachweise
Herausgeber:
Stiftung Arbeiterheim
und
Bau- und WohnungsVerein Stuttgart
Schwarenbergstraße 64
70188 Stuttgart
Text & Konzeption:
Dagmar Lange Public Relations, Stuttgart
Grafik & Herstellung:
medialink GmbH, Stuttgart
Druck:
Format Druck GmbH, Stuttgart
Bildnachweise:
A. Weber & Co.
Bau- und WohnungsVerein Stuttgart
Burkhard Hüdig
Dr. Bernd Langner
Kottkamp & Schneider Freie Architekten
Land Baden-Württemberg
Landeshauptstadt Stuttgart
Landesmedienzentrum Baden-Württemberg
SchwabenFilm Falge Matschke GbR
Stiftung Geißstrasse 7
Stuttgarter Zeitung - Michael Steinert