1. Teil
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9 1. KAPITEL: DAS VERHÄLTNIS DES VÖLKERRECHTS ZUM INTERNATIONALEN RECHT IM ALLGEMEINEN §1 Meinungsstand in der Strafrechtswissenschaft I. Die deutsche Strafrechtsliteratur STRAF- In der deutschen Strafrechtsliteratur wird dem Verhältnis des Völkerrechts zum internationalen Strafrecht nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Gelegentlich wird bei der Kommentierung der das internationale Strafrecht betreffenden Vorschriften des StGB das Völkerrecht überhaupt nicht erwähnt,1 oder aber man begnügt sich mit dem Hinweis, daß Voraussetzung für die Erstreckung der Strafgewalt eine Beziehung des Sachverhalts "zu eigenen legitimen Rechtspflegeinteressen" sei.2 Diese Beziehung - auch "sinnvoller Anknüpfungspunkt" genannt - werde durch die sogenannten Prinzipien des internationalen Strafrechts hergestellt.3 Wieder andere sehen "die innerstaatliche Strafhoheit des Einzelstaates ... durch entgegenstehendes Völkerrecht beschränkt"4 oder anerkennen das Verbot des Rechtsmißbrauchs als völkerrechtlichen Grundsatz bei der Ausgestaltung des internationalen Strafrechts.5 Konkreter erscheint die Aussage, daß jedenfalls "Auslandstaten von Ausländern ohne einen der bekannten Anknüpfungspunkte nicht willkürlich von einem Staat abgeurteilt werden können",6 sollen die dem Gesetzgeber vom Völkerrecht gesetzten Schranken nicht überschritten werden. Auch Art. 25 GG wird herangezogen, der vom Gesetzgeber bei der Festlegung des Anwendungsbereichs des Strafrechts - unter Betonung der staatlichen Souveränität im übrigen - zu beachten sei7 und 1 So bei Maurach, AT, S. 85 ff.; ebensowenig bei Maurach/Zipf, AT-1, S. 133 ff. (ausgenommen in Zusammenhang mit der Exterritorialität [S. 147 f.]); SK-Samson, vor § 3 Rn. 1 ff.; Welzel, AT, S. 26 ff. 2 Jescheck, AT, S. 147; ders., Artikel "Strafrecht, Internationales", WVR Bd. III, S. 397; Schmidhäuser, AT (Lehrbuch), S. 128, spricht vom eigenen "Betroffensein von der Tat" als völkerrechtlicher Grenze. 3 Jakobs, AT, Rn. 5/5; Jescheck, AT, S. 149. 4 Eser in Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 3-7 Rn. 3 (Hervorhebung im Original). 5 LK-Tröndle, vor § 3 Rn. 16; Jescheck, AT, S. 147. 6 Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 111 bei Fn. 10; ähnlich Vogler, FS Maurach, S. 602 und Jescheck, FS Maurach, S. 580, denen zufolge die Beschränkung auf bestimmte sinnvolle Anknüpfungspunkte vom Völkerrecht gefordert wird (anders noch Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 160 ff., wonach die Staaten bei der Festlegung des Umfangs ihrer Strafgewalt grundsätzlich frei seien). 7 So Stratenwerth, AT, Rn. 103. 10 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Ausnahmen von der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nach den Grundsätzen des Territorialprinzips eingreifen lassen könne.8 Den Eindruck einer extremen Position vermittelt Hellmuth MAYER, der dem internationalen Strafrecht die Funktion zuerkennt, auf "nationalrechtlicher Grundlage völkerrechtliche und staatsrechtliche Fragen zu regeln", und der darüber hinaus den Ursprung der "Prinzipien des internationalen Strafrechts" im Völkergewohnheitsrecht sieht.9 Die konkrete Prüfung eines Teilaspekts des internationalen Strafrechts auf seine Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht wird in den Dissertationen von ROSSWOG und WENDT vorgenommen: Beide Autoren kommen unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, daß die Anwendung des passiven Personalitätsprinzips ohne Bestehen einer identischen Norm völkerrechtswidrig sei.10 II. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Die deutsche Rechtsprechung hatte bislang nur vereinzelt Gelegenheit, ihren Standpunkt zum Verhältnis zwischen internationalem Strafrecht und Völkerrecht zu markieren. In zwei gleichgelagerten Entscheidungen zur Anwendung des Weltrechtsprinzips beim unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln (§ 6 Nr. 5) äußerte der 3. Senat des Bundesgerichtshofs, er "neige" zu der Auffassung, daß es zur Ausdehnung der staatlichen Strafgewalt eines legitimierenden Anknüpfungspunktes bedürfe,11 den er in den 8 Blei, AT, S. 42. 9 H. Mayer, AT, 1953, S. 91; ebenso in: AT, 1967, S. 39 ("Das internationale Strafrecht in diesem [den Konflikt zwischen dem Geltungsanspruch ausländischen und inländischen Strafrechts auflösenden] Sinne ist Völkerrecht"); in die gleiche Richtung Wessels, AT, S. 13 ("In welchem Umfange ein Staat seine eigene Strafgewalt in Anspruch nehmen und ausdehnen darf, wird durch die Regeln des Völkerrechts bestimmt, die in Fällen mit Auslandsberührung einen legitimierenden Anknüpfungspunkt voraussetzen ... und herkömmlicher Weise als Prinzipien des internationalen Strafrechts bezeichnet werden" [Hervorhebungen im Original]); vgl. auch H. Mayer, Völkerrecht und internationales Strafrecht, JZ 1952, S. 609, der an dieser Stelle die Völkerrechtswidrigkeit von § 3 StGB a.F. und die verfassungsrechtliche Beseitigung dieser Vorschrift durch Art. 24 GG behauptete. Als "völkerrechtliche Disziplin" bezeichnete bereits Kohler, Internationales Strafrecht, S. 1, das internationale Strafrecht. 10 Die Begründungen weichen allerdings voneinander ab: Rosswog, Das Problem der Vereinbarkeit, S. 184, sieht hierin einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Rechtsmißbrauchsverbot, während Wendt, Das passive Personalitätsprinzip, S. 98, 105, 108, einen Verstoß gegen das Willkürverbot annimmt. 11 BGHSt. 27, S. 30 (32); BGH, StV 1987, S. 338 (339) = MDR 1987, S. 684, unter Berufung auf Dahm, Völkerrecht Bd. I, S. 260, und Verdross/Simma, Völkerrecht, S. 571 f.; Völkerrecht und internationales Strafrecht im allgemeinen 11 entschiedenen Fällen aus dem Einheits-Übereinkommen über Suchtstoffe von 1961 herleitete. III. Die ausländische Strafrechtsliteratur Auch die Lektüre der ausländischen Strafrechtsautoren vermittelt nicht den Eindruck einer übereinstimmenden Auffassung zur Frage des Verhältnisses vom Völkerrecht zum internationalen Strafrecht. In der nordischen Literatur findet das Völkerrecht in einer schwedischen Monographie12 zum internationalen Strafrecht überhaupt keine Erwähnung. In anderen Werken behandelt man das Völkerrecht in erster Linie in Zusammenhang mit der Frage der Immunität bzw. Exterritorialität von Diplomaten,13 obgleich sich gerade in den Strafgesetzbüchern der skandinavischen Länder Bestimmungen finden lassen, denen zufolge die Anwendung der Vorschriften über das internationale Strafrecht durch die im Völkerrecht anerkannten Ausnahmen begrenzt wird14. Lediglich in der finnischen Monographie von TRÄSKMAN wird darauf hingewiesen, daß Einigkeit darüber herrsche, daß das Völkerrecht den Staaten bei der Festlegung des Anwendungsbereichs ihres Strafrechts gewisse Grenzen ziehe.15 In der Schweiz findet das Völkerrecht insbesondere bei Hans SCHULTZ Beachtung.16 So erwähnt er die Aufgabe des Völkerrechts, die Reichweite des Landesrechts zu begrenzen, denkt hierbei aber in erster Linie an Regeln des vertraglichen und nicht des allgemeinen Völkerrechts, deren Vorhan- s. näher zu der Anwendung des Weltrechtsprinzips auf den unerlaubten Vertrieb von Betäubungsmitteln u. § 18 I. 12 Falk, Straffrätt och Territorium, 1976. 13 So Andenæs, Alminnelig Strafferett, 1974, S. 496, 500 (norw.); Greve/Unmack Larsen/Lindegaard, Straffeloven. Almindelig del, 1981, S. 135 f. (dän.); Seyersted, Internasjonal strafferett, FS Andenæs, 1982, S. 289 (norw.), nennt neben der Immunität als zweite vom allgemeinen Völkerrecht anerkannte Schranke inländischer Strafgewalt die ausschließliche Hoheitsgewalt des Flaggenstaates über seine Schiffe auf der Hohen See (ausgenommen Piraterie). 14 Vgl. § 14 norw. StGB; § 12 dän. StGB; 2. Kap. § 7 schwed. StGB; 1. Kap. § 9 finn. StGB. 15 Träskman, Den finska straffrättens tillämpningsområde, S. 133, unter Bezugnahme auf Rosswog, S. 38. 16 Dies überrascht freilich nicht, denn Hans Schultz hat gerade auf dem Gebiet des internationalen Strafrechts viel gearbeitet; vgl. nur seine im Literaturverzeichnis angeführten Arbeiten. 12 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht densein in dieser Funktion ihm "höchst zweifelhaft" erscheint.17 An anderer Stelle18 macht er gewisse völkerrechtliche Bedenken gegen das passive Personalitätsprinzip und gegen das Weltrechtsprinzip bei mangelnder Rücksichtnahme auf das Tatortrecht geltend. Der Schweizer NOLL wiederum erwähnt das Völkerrecht in anderem Zusammenhang: Wenn das schweizerische StGB in seinem Art. 3 vom Territorialitätsprinzip ausgehe, so sei dies auch aus völkerrechtlichen Gründen richtig, weil der moderne Staat ein Territorialstaat sei und die Grenzen seines Territoriums zugleich Grenzen seiner Souveränität seien.19 In Österreich vertritt neuerdings wieder TRIFFTERER die Auffassung, daß die sogenannten Prinzipien des internationalen Strafrechts vom Völkerrecht aufgestellt wurden mit dem Ziel, Konflikte zwischen den Staaten im Fall von Kompetenzüberschreitungen bei der Ausdehnung der Strafgewalt zu regeln.20 Demgegenüber vertrat RITTLER noch im Jahr 1954 zum Zusammentreffen der Strafansprüche verschiedener Staaten die Auffassung, "das Völkerrecht (tue) nichts zur Lösung einer solchen Konkurrenz".21 Das anglo-amerikanische Recht ist bekanntlich geprägt von der Auffassung, die staatliche Strafgewalt erfasse grundsätzlich nur im Territorium begangene Delikte. 22 Das Problem einer möglichen Kollision zwischen der Ausdehnung der Strafgewalt in den anglo-amerikanischen Ländern und dem Völkerrecht stellt sich daher in dieser Form nicht und wird auch kaum diskutiert. Ob allerdings schon der Ausgangspunkt für diese Lehre - die Beschränkung der Strafgewalt auf das Territorium - im Völkerrecht zu su17 H. Schultz, Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts, 1. Bd., 1977, S. 56. 18 Ebd. (vorher. Anm.), S. 99. 19 Noll, Schweizerisches Strafrecht, AT I, 1981, S. 45. 20 Triffterer, Österreichisches Strafrecht, 1985, S. 31. 21 Rittler, Lehrbuch des österreichischen Strafrechts, AT, 1954, S. 44, Anm. 1; dort bezeichnet er auch Bindings Theorie von der Kompetenz-Kompetenz der Staaten als "durchaus herrschende Auffassung". 22 Vgl. ausführlich Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 163 ff.; Archbold, Pleading, Evidence and Practice in Criminal Cases, § 192: "No british subject can be tried under English law for an offence committed on land abroad, unless there is a statutory provision to the contrary"; "(t)hus, subject to statutory exceptions to the contrary ... a person, whether English or not, who commits crime abroad is not indictable here"; s. auch Blakesley, Extraterritorial Jurisdiction, in Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, Vol. II, S. 8 ff., sowie Hirst, Jurisdiction over Cross-Frontier Offences, L.Q.R. 97 (1981), S. 80; zum Ganzen Wagner, Internationales Strafrecht in England und in den USA, Jur. Diss. Freiburg 1955. Völkerrecht und internationales Strafrecht im allgemeinen 13 chen ist, ergibt sich aus der jüngeren anglo-amerikanischen Literatur nicht; es werden hierfür in erster Linie historische Argumente angeführt.23 §2 Meinungsstand in der Völkerrechtswissenschaft I. Zum Verhältnis des Völkerrechts zum innerstaatlichen Recht im allgemeinen 1. Die dualistischen und die monistischen Theorien In der Völkerrechtsliteratur ist das Verhältnis zwischen dem Völkerrecht und dem innerstaatlichen Recht Gegenstand einer langen wissenschaftlichen Auseinandersetzung gewesen. Es geht hierbei um die Frage, ob Völkerrecht und innerstaatliches Recht zwei vollständig voneinander getrennte Rechtsordnungen sind (so die Vertreter der dualistischen Theorie)24 oder aber eine einheitliche Rechtsordnung bilden, wie es die Vertreter des Monismus annehmen. Die Monisten haben sich zu entscheiden, welchem der beiden Rechtsgebiete innerhalb der Rechtsordnung der Vorrang gebührt. Eine ältere Theorie vertrat, ausgehend von der absoluten staatlichen Souveränität, die Auffassung, dem staatlichen Recht gebühre im Konfliktfall gegenüber dem Völkerrecht der Vorrang (monistische Theorie mit Primat des staatlichen Rechts).25 Demgegenüber vertritt die monistische Theorie vom Primat des Völkerrechts, daß staatliches Recht durch entgegenstehendes Völkerrecht gebrochen werde.26 23 Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 178, bei Fn. 28, führt das Territorialprinzip in den USA einerseits auf das Weiterwirken calvinistischer Rechtsauffassung, andererseits auf historische Anlässe zurück; den letztgenannten Aspekt betonen auch Perkins/Boyce, Criminal Law, S. 40, denen zufolge das Strafrecht nach der Unabhängigkeit der USA von England "... was concerned so exclusively with the keeping of the peace ...". 24 Hauptvertreter des Dualismus sind Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 1899, S. 271, und Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, 1929, S. 38, 42, et passim. 25 Vgl. dazu näher Verdross/Simma, Völkerrecht, § 72, m. w. Nachw. in Fn. 7. 26 Diese Theorie vertrat insbesondere Hans Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, 1920, S. 146, 211, et passim; Kelsen hat diese Theorie später allerdings aufgegeben: Vgl. ders., Unrecht und Unrechtsfolge im Völkerrecht, ZöffR XII (1932), S. 481 ff.; vgl. ferner Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts, 1948, S. 24. 14 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Die letztgenannte Theorie dürfte in einer gemäßigten Form als die heute herrschende bezeichnet werden.27 Die Vertreter dieser Auffassung schließen aus dem Vorrang des Völkerrechts nicht, daß jeder völkerrechtswidrige innerstaatliche Rechtssatz eo ipso nichtig und unwirksam ist, sondern belassen die Auflösung des Konflikts einem dafür vorgesehenen völkerrechtlichen Verfahren. 2. Bedeutung des Theorienstreits für die Fragestellung In der Bundesrepublik hat der Verfassungsgeber das Grundgesetz auf eine bewußt völkerrechtsfreundliche Grundlage gestellt.28 Von besonderer Bedeutung ist hier Art. 25 GG: "Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes." Diese Norm hat jedenfalls der Lehre vom strengen Monismus mit Primat des Völkerrechts wie auch der vom Monismus mit Primat des staatlichen Rechts eine klare Absage erteilt.29 Die Lehre vom gemäßigten Monismus mit Primat des Völkerrechts läßt sich dagegen ebenso gut mit Art. 25 GG vereinbaren wie die dualistische Auffassung mit genereller, auf die allgemeinen Regeln des Völkerrechts beschränkter Umsetzung.30 Ohne sich für eine der genannten Theorien entscheiden zu müssen, kann hier die Rechtslage des Grundgesetzes mit Art. 25 zugrunde gelegt werden; zu den dort genannten allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehört nach ganz einhelliger Auffassung jedenfalls das Völkergewohnheitsrecht.31 Von Bedeutung ist Art. 25 GG in diesem Zusammenhang freilich erst dann, wenn das Völkerrecht überhaupt Regeln enthält, die der Ausdehnung der Strafgewalt auf den Festlandsockel entgegenstehen könnten. 27 Vgl. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rn. 383, 392; Verdross/Simma, Völkerrecht, §§ 73, 74. 28 Vgl. Rojahn in v. Münch, GG-Komm., Rn. 1 zu Art. 25 GG. 29 Vgl. Maunz (Erstbearb.) in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG-Komm., Art. 25, S. 6. 30 Vgl. Maunz, ebd. (vorher. Anm.); Menzel (Erstbearb.), Bonner Komm., Art. 25, S. 6. 31 Vgl. Menzel, ebd. (vorher. Anm.); Seidl-Hohenveldern, Rn. 412 ff. Völkerrecht und internationales Strafrecht im allgemeinen 15 II. Zum Verhältnis des Völkerrechts zum internationalen Strafrecht im besonderen 1. Die Völkerrechtslehre Zum Verhältnis des Völkerrechts zum internationalen Strafrecht als ein Bestandteil (inner-)staatlichen Rechts wird in der Völkerrechtslehre nur vereinzelt Stellung genommen. Dies mag seine Ursache darin haben, daß als "wohl unbestrittene Rechtsüberzeugung" gilt, daß eine Regelung aller Vorgänge auf der Erde ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer näheren Beziehung durch einen einzelnen Staat völkerrechtlich unzulässig sei.32 Als völkerrechtlich ausreichende Anknüpfungspunkte oder (Binnen-)Beziehungen gelten allgemein neben der Territorialhoheit und der aktiven sowie passiven Personalhoheit der Schutz wichtigster Staatsinteressen und das Universalitätsprinzip.33 Diese Auffassung deckt sich mit der oben dargestellten strafrechtlichen; auffallend ist jedoch, daß hier von Territorial- und Personalhoheit die Rede ist, worin die völkerrechtliche Auffassung von der doppelten Autorität des modernen Staates ihren Ausdruck findet.34 2. Die Rechtsprechung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs In der Völkerrechtsprechung ist es insbesondere das Lotus-Urteil des Ständigen Internationalen Gerichtshofs vom 7. September 1927,35 das zum leading case zur Frage des Verhältnisses des Völkerrechts zum internationalen Strafrecht geworden ist.36 Der StIGH hatte zu entscheiden, 32 Wengler, Völkerrecht, Bd. 2, S. 935; ebenso Dahm, Völkerrecht Bd. 1, S. 254 f., 256 f.; Herdegen, Die Achtung fremder Hoheitsrechte als Schranke nationaler Strafgewalt, ZaöRV 47 (1987), S. 234; F.A. Mann, The Doctrin of Jurisdiction in International Law, RdC 111 (1964 I), S. 83 ("close connection"); Menzel/Ipsen, Völkerrecht, S. 150; Rudolf, Territoriale Grenzen staatlicher Rechtsetzung, S. 22 ff.; Verdross/Simma, §§ 1183 f. 33 Vgl. Seidl-Hohenveldern, Rn. 1017. 34 Siehe dazu Verdross/Simma, § 388 f.; Graf Vitzthum, Artikel "Staatsgebiet", in Handbuch des Staatsrechts I, S. 710 ff., 715. 35 Abgedruckt in der amtlichen Sammlung des Gerichtshofs "Publications des la Cour permanente de Justice internationale, Série A - No. 10, Arrêt Nr. 9, S. 1 ff.", sowie in deutscher Sprache in den "Entscheidungen des Ständigen Internationalen Gerichtshofs in deutscher Übersetzung" (=StIGHE) Bd. 5 (1927), S. 71 ff. 36 Vgl. zum Lotus-Urteil V. Bruns, Völkerrecht als Rechtsordnung, ZaöRV I (1929), S. 50 ff.; Glatzel, Völkerrechtliche Grenzen für den Anwendungsbereich des staatlichen Strafgesetzes, S. 83 f., 96 ff.; Herndl, Artikel "Lotus-Fall", WVR Bd. II, 16 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht ob die Türkei dadurch gegen das Völkerrecht verstoßen hatte, daß sie gegen den wachhabenden Offizier des französischen Postdampfers "Lotus", der auf Hoher See mit dem türkischen Schiff "Boz-Kourt" zusammengestoßen war, was den Tod von acht türkischen Seeleuten zur Folge hatte, ein Strafverfahren durchführte. Mit knapper Mehrheit - wegen Stimmengleichheit war die Stimme des Präsidenten maßgebend - verneinte das Gericht diese Frage. Ausdrücklich nahm das Gericht nicht zu der Frage Stellung, ob der türkische Strafanspruch aufgrund der türkischen Staatsangehörigkeit der getöteten Seeleute - auf das passive Personalitätsprinzip hatte das türkische Gericht die Verurteilung gestützt - begründet sei. Das Gericht stellte vielmehr fest, daß der Erfolg der dem französischen Offizier zur Last gelegten Tat - der Tod der türkischen Seeleute - auf einem türkischen Schiff und damit auf türkischem Territorium eingetreten sei, da nach Auffassung des Gerichts ein Schiff dem Territorium des Flaggenstaates gleichzustellen sei; die Begründung von Strafgewalt über den Ort des Erfolgseintritts verbiete das Völkerrecht nicht. Damit erkannte der StIGH lediglich das Ubiquitätsprinzip als völkerrechtsgemäß an.37 In unserem Zusammenhang sind die Erwägungen von Bedeutung, die das Gericht zum Verhältnis des Völkerrechts zum internationalen Strafrecht im allgemeinen anstellte: Danach sind die Staaten in der Ausdehnung ihrer Strafgewalt auf außerterritoriale Sachverhalte frei, solange dem kein ausdrückliches völkerrechtliches Verbot entgegensteht.38 Hierin scheint ein Widerspruch zu den oben zitierten Völkerrechtsautoren begründet zu liegen, die einen sinnvollen Anknüpfungspunkt als Mindesterfordernis für die Ausdehnung staatlicher Strafgewalt auf Auslandssachverhalte voraussetzen. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich jedoch auf, wenn zwei Stufen unterschieden werden, auf denen das Völkerrecht Einfluß auf die Festlegung innerstaatlicher Strafgewalt nehmen kann: Auf der ersten Stufe verlangt das Völkerrecht lediglich eine Verbindung zwischen Tat, Tatort, Täter oder Opfer einerseits und strafendem Staat andererseits, also einen sinnvollen Anknüpfungspunkt. Ein Staat, der seine Strafgewalt ohne einen derartigen Anknüpfungspunkt auf einen Auslandssachverhalt ausdehnt, "macht von einer Kompetenz Gebrauch, die nicht S. 431 ff.; Rosswog, Das Problem der Vereinbarkeit, S. 76 ff., 102 ff.; Verdross/ Simma, § 1184; Wendt, Das passive Personalitätsprinzip, S. 56 f. 37 Ebenso Jescheck, AT, S. 152. 38 StIGHE 1927, S. 89 ff., 94 f., 97 f.; gegen diese Ausgangsposition ausdrücklich die Richter Loder, Lord Finlay und Nyholm in ihren abweichenden Ansichten (ebd., S. 107, 128, 137 f., 141); wie diese Bruns in seiner Kritik des Lotus-Urteils (ZaöRV I [1929], S. 53). Völkerrecht und internationales Strafrecht im allgemeinen 17 ihm, sondern einem anderen Staat zusteht. Er erfüllt damit den Tatbestand einer verbotenen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen Staats."39 Ist ein Anknüpfungspunkt vorhanden, besteht eine Vermutung für die völkerrechtliche Zulässigkeit der Ausdehnung nationaler Strafgewalt solange, bis auf einer zweiten Stufe ein völkerrechtliches Verbot ermittelt wird. Der Satz des StIGH bezieht sich augenscheinlich auf die zweite Prüfungsstufe, da sich das Gericht nicht auf die Feststellung des Fehlens einer völkerrechtlichen Verbotsnorm beschränkte, sondern - in einem hier als erste Stufe bezeichneten Prüfungsschritt - einen Anknüpfungspunkt suchte und im erweiterten oder objektiven Territorialitätsprinzip fand.40 Erst danach untersuchte das Gericht in einem weiteren Schritt, ob im konkreten Fall der Schiffskollision auf Hoher See das Völkerrecht die Ausdehnung der Strafgewalt durch die Türkei verbiete; einen solchen Satz vermochte es nicht zu erkennen.41 39 Geiger, Völkerrecht und Grundgesetz, S. 299 (Hervorhebung im Original); ebenso Herdegen, Die Achtung fremder Hoheitsrechte als Schranke nationaler Strafgewalt, ZaöRV 47 (1987), S. 235 (Verstoß gegen das Interventionsverbot); Kunig, Die Bedeutung des Nichteinmischungsprinzips für das Internationale Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland, JuS 1978, S. 594 f.; F.A. Mann, The Doctrine of Jurisdiction in International Law, RdC 111 (1964 I), S. 82 ("this would be a clear case of the violation of the principle of non-interference"); Meng, Neuere Entwicklungen im Streit um die Jurisdiktionshoheit der Staaten im Bereich der Wettbewerbsbeschränkungen, ZaöRV 41 (1981), S. 502 f.; ders., Völkerrechtliche Zulässigkeit und Grenzen wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Hoheitsakte mit Auslandswirkung, ZaöRV 44 (1984), S. 747 ff.; ausführlich zum Interventionsverbot Bockslaff, Das völkerrechtliche Interventionsverbot als Schranke außenpolitisch motivierter Handelsbeschränkungen, S. 28 ff. - S. auch BVerfGE 63, S. 343 (369), für die Auferlegung von Abgaben gegen einen im Ausland lebenden Ausländer ohne Bestehen sachgerechter Anknüpfungspunkte in dem die Abgaben erhebenden Staat; KG vom 26.11.1980 - Kart 18/80 -, RIW/AWD 1981, S. 406. 40 Ebenso F.A. Mann, RdC 111 (1964 I), S. 82 bei Fn. 125 ("This point of view which may safely be said to underlie all the opinions rendered in the Case of the Lotus"); vgl. auch Rosswog, S. 80. 41 Anders die Rechtslage aus heutiger Sicht, da schon bald nach Erlaß des Lotus-Urteils einsetzende Bestrebungen, die ausschließliche Zuständigkeit des Flaggenstaates bei Schiffskollisionen auf Hoher See zu begründen, in dem Internationalen Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die strafgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen und anderen mit der Führung eines Seeschiffes zusammenhängenden Ereignissen vom 10. Mai 1952 [s. dazu u. § 4 VIII. 3] und in Art. 11 des Genfer Hohe-See-Übereinkommens ihren Niederschlag fanden (vgl. hierzu Herndl, Artikel "Lotus-Fall", WVR Bd. II, S. 433). 18 III. Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Ergebnis Im Ergebnis besteht Einigkeit darüber, daß zwischen dem strafenden Staat und dem Täter, dem Opfer, dem Tatort oder der Tat selbst irgendeine Beziehung bestehen muß, damit die Ausdehnung der Strafgewalt völkerrechtsgemäß ist. Anerkannte Anknüpfungspunkte sind der Tatort im Inland, die inländische Staatsangehörigkeit des Täters oder des Verletzten, die Angriffsrichtung der Tat gegen bestimmte Rechtsgüter des strafenden Staates, und schließlich die Verteidigung einiger weniger universeller Rechtsgüter; diese Anknüpfungspunkte werden gemeinhin als die Prinzipien des internationalen Strafrechts bezeichnet. Mit dem Vorliegen eines der soeben genannten Anknüpfungspunkte ist aber noch nicht gesagt, daß damit dem Völkerrecht immer und in jedem Fall Genüge getan ist. Auf einer zweiten Stufe ist vielmehr zu prüfen, ob der Ausdehnung der Strafgewalt im konkreten Einzelfall eine Völkerrechtsnorm entgegensteht. Als Beispiel hierfür wurde in jüngerer Zeit nur das völkerrechtliche Verbot des Rechtsmißbrauchs genannt, das zur Völkerrechtswidrigkeit des passiven Personalitätsprinzips führe, sofern es ohne Rücksicht auf eine identische Tatortnorm herangezogen werde.42 Im folgenden Kapitel wird zunächst geprüft, ob in der Tatbegehung im Bereich des deutschen Festlandsockels ein sinnvoller Anknüpfungspunkt begründet liegt, der die Ausdehnung der Strafgewalt auf dieses Gebiet wegen der in den §§ 324, 326, 330 und 330a StGB mit Strafe bedrohten Umweltdelikte rechtfertigt. Ist dies der Fall, stellt sich die weitere Frage nach völkerrechtlichen Bestimmungen, die der Ausdehnung der Strafgewalt auf den Festlandsockel entgegenstehen könnten. 42 Jescheck, AT, S. 152; Rosswog, S. 184, m. zahlr. w. Nachw. in Fn. 319; Wendt, Das passive Personalitätsprinzip, S. 98 ff., 105, 108, mit der abweichenden Begründung, die Bestrafung in Anwendung des passiven Personalitätsprinzips trotz fehlender identischer Norm verstoße gegen das völkerrechtliche Willkürverbot. Zweifelnd zu der Frage, ob das Völkerrecht überhaupt den Grundsatz des Rechtsmißbrauchs kennt, allerdings von Münch, Das völkerrechtliche Delikt, S. 19, m. w. Nachw., und Rudolf, Territoriale Grenzen staatlicher Rechtsetzung, S. 19 ff. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 2. KAPITEL: DIE STRAFRECHTLICHEN BEFUGNISSE GRUND VÖLKERRECHTS IM 19 BEREICH DES MEERES AUF- §3 Die strafrechtlichen Befugnisse im Bereich des Meeres aufgrund Völkergewohnheitsrechts I. Vorbemerkung Ein Staat, der seine Strafgewalt auf Auslandssachverhalte erstreckt, ohne daß ein sinnvoller Anknüpfungspunkt besteht, erfüllt den Tatbestand der verbotenen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen Staates und verstößt gegen das Interventionsverbot.43 Für die Ausdehnung der Strafgewalt auf den Festlandsockel bei bestimmten Umweltdelikten kann zweifellos eine sinnvolle Beziehung zugrunde gelegt werden: Bei dem Bereich des deutschen Festlandsockels handelt es sich um die dem deutschen Küstenmeer unmittelbar vorgelagerte Zone,44 so daß in diesem Gebiet begangene Meeresverschmutzungen sich nicht nur mittelbar durch Beeinträchtigung des Gesamtökosystems von Nord- und Ostsee auf deutsche Interessen auswirken, sondern wegen der räumlichen Nähe zum Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland deutsche Küsten und Küstengewässer unmittelbar bedrohen. Dem stehen allerdings der von altersher anerkannte, in Art. 2 des Genfer Übereinkommens über die Hohe See vom 29. April 195845 kodifizierte Grundsatz der Freiheit der Meere46 sowie der daraus abgeleitete weitere Satz entgegen, daß Schiffe, jedenfalls solange sie die Hohe See befahren, unter der ausschließlichen Hoheitsgewalt des Flaggenstaates stehen.47 Seine positive Grundlage hat dieser Satz in Art. 6 43 S. o § 2 II. 2. bei und in Anm. 39. 44 S. u. § 3 VII. 45 Hohe-See-Übk., abgedr. in BGBl. 1972 II, S. 1089; Platzöder/Graf Vitzthum, Seerecht, S. 27. 46 Von diesem Grundsatz gehen alle Arbeiten aus, die sich mit dem Seerecht befassen: Vgl. statt vieler Ehmer, Der Grundsatz der Freiheit der Meere und das Verbot der Meeresverschmutzung, S. 28 ff.; Hakapää, Marine Pollution in International Law, S. 259 ff.; Rüster, Die Rechtsordnung des Festlandsockels, S. 85 ff.; Soni, Control of Marine Pollution in International Law, S. 19 ff.; Verdross/Simma, Völkerrecht, §§ 1124 ff.; Wolfrum, Die Internationalisierung staatsfreier Räume, S. 123 ff., jeweils m. zahlr. w. Nachw. 47 Vgl. Hasselmann, Die Freiheit der Handelsschiffahrt, S. 8 ff.; Verdross/Simma, § 1129; StIGHE 1927, S. 97 (Lotusfall); die Hoheitsgewalt beschränkt sich nicht nur auf das Recht, Hoheitsakte auf Schiffen eigener Flagge durchzusetzen (jurisdiction to enforce), sondern erfaßt grundsätzlich auch die Befugnis, Regelungen für die Verhältnisse an Bord zu erlassen (jurisdiction to enscribe) (ebenso Hasselmann, S. 9 bei Fn. 13). 20 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Abs. 1 S. 1 Hohe-See-Übk.48 gefunden: "Ships shall sail under the flag of one state only and, save in exceptional cases expressly provided for in international treaties or in these articles, shall be subject to its exclusive jurisdiction on the high seas." Zwar drängt sich hier die Frage auf, ob von der Freiheit der Meere die Freiheit zur Meeresverschmutzung mitumfaßt ist.49 Mehrere Autoren vertreten noch bis in die jüngste Zeit die Ansicht, daß die Nutzung der Hohen See als Abfallgrube, jedenfalls solange dies gewisse Grenzen nicht überschreitet, eine durchaus zulässige Nutzungsform sei. 50 Abgeleitet wird dieses Recht aus Art. 2 S. 3 Hohe-See-Übk., in dem die vier Freiheiten der Hohen See51 nur beispielhaft und nicht enumerativ aufgelistet seien ("inter alia"); zudem sei in Art. 2 S. 4 von diesen sowie den "sonstigen nach den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts anerkannten Freiheiten" die Rede.52 Die Gegenmeinung sieht nicht erst in den verschiedenen, auf dem Gebiet des Meeresumweltschutzes erlassenen völkerrechtlichen Überein48 Für Abecassis/Jarashow, Oil pollution from ships, S. 91, "... enshrines (Article 6) the heart of flag state jurisdiction ...". 49 Gelegentlich wird freilich ohne weiteres aus dem Grundsatz der ausschließlichen Hoheitsgewalt des Flaggenstaates deduziert: "Thus any pollution offences by a ship on the high seas must be dealt with by the flag state" (Bates, United Kingdom Marine Pollution Law, 1985, S. 10 nach Fn. 6; ebenso Abecassis/Jarashow, S. 91). 50 Rüster, Freiheit der Meere - auch zur Verschmutzung?, in Mayer-Tasch (Hrsg.), Die Luft hat keine Grenzen, 1986, S. 30; Petersmann, Rechtsprobleme der deutschen Interimsgesetzgebung für den Tiefseebergbau, ZaöRV 41 (1981), S. 308 in Fn. 94; Ehlers/Kunig, Abfallbeseitigung auf Hoher See, 1978, S. 9; Ehmer, Der Grundsatz der Freiheit der Meere und das Verbot der Meeresverschmutzung, 1974, S. 36, 98 ff., 144 ff.; wohl auch Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 1076 bei Fn. 3; Welsch, Die völkerrechtliche Zulässigkeit des Verbringens radioaktiver Stoffe in den Meeresuntergrund, 1986, S. 183, für die Beseitigung radioaktiver Abfälle (gegen Welsch Kunig in seiner Rezension, NVwZ 1987, S. 965; Ehlers/Kunig, Abfallentsorgung auf See, NVwZ 1987, S. 949 bei Fn. 24; der Streit dreht sich in diesem Fall um die Frage, ob das LONDON-Übereinkommen vom 29. Dezember 1972 [s. dazu u. § 4 V.] radioaktive Abfälle erfaßt oder nicht); zu diesem Problem auch Bryde, Völker- und Europarecht als Alibi für Umweltschutzdefizite?, Martens-Gedächtnisschrift, 1986, S. 30; Wolfrum, Die grenzüberschreitende Luftverschmutzung im Schnittpunkt von nationalem Recht und Völkerrecht, DVBl. 1984, S. 494 l. Sp. ("[z]ur Zeit gibt es im Völkerrecht ... kein generelles Verbot der Umweltverschmutzung als solcher"). 51 Genannt werden die Freiheit der Schiffahrt, die Freiheit der Fischerei, die Freiheit, unterseeische Kabel und Rohrleitungen zu legen, und die Freiheit, die Hohe See zu überfliegen. 52 Vgl. die Darstellung bei Soni, Control of Marine Pollution in International Law, S. 133 ff., der diesen Ansatz freilich selbst ablehnt; als sonstige, nicht in Art. 2 genannte Freiheit ist beispielsweise die Freiheit der wissenschaftlichen Meeresnutzung anerkannt. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 21 kommen die Beschränkung einer "Verschmutzungsfreiheit", sondern entnimmt eine Begrenzung bereits aus Art. 2 S. 4 Hohe-See-Übk., der die Ausübung der Freiheiten der Hohen See nur unter angemessener Berücksichtigung des Interesses gestattet, das die anderen Staaten an der Freiheit der Meere haben;53 die Grenze der Gemeinverträglichkeit ist für diese Autoren immanente Schranke aller Freiheiten der Hohen See. In einer Zeit, in der fast täglich neue Schreckensmeldungen über den Zustand insbesondere der Nordsee verbreitet werden, noch von einer Freiheit zur Verschmutzung zu sprechen, mutet zynisch an. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Küstenstaat berechtigt ist, Ausländer auf ausländischen Schiffen für Meeresverschmutzungen im Bereich der Hohen See zu bestrafen, kann jedoch dahingestellt bleiben, ob eine "Verschmutzungsfreiheit" besteht oder nicht und wann gegebenenfalls die Gemeinverträglichkeitsgrenze überschritten wird. Denn selbst wenn Art. 2 S. 4 Hohe-See-Übk. ein völkerrechtliches Verbot der Meeresverschmutzung kodifizieren sollte, folgt hieraus nicht die Berechtigung zur Erstreckung inländischer Strafgewalt auf Auslandstaten, da diese Bestimmung an die Staaten gerichtet ist und Einzelmenschen keine Verpflichtungen auferlegt.54 Völkerrechtswidrig handelt der Flaggenstaat, der gegen Verschmutzungen der Hohen See durch Schiffe seiner Flagge nicht einschreitet, nicht das Schiff bzw. die Verantwortlichen an Bord.55 Wenn also ein (Küsten-)Staat Regelungen für ausländische Schiffe auf der Hohen See trifft und bei Verletzungen konkrete Maßnahmen einleitet, so liegt darin grundsätzlich ein Eingriff in die ausschließliche Jurisdiktionsbefugnis des Flaggenstaates. Ob im Fall der Meeresverschmutzung der Grundsatz der ausschließlichen Hoheitsgewalt des Flaggenstaates seinerseits durch Bestimmungen des allgemeinen See53 Vgl. Gündling, Ölunfälle bei der Ausbeutung des Festlandsockels, ZaöRV 37 (1977), S. 548 in Fn. 117, gegen Ehmer; ders., Rechtsprobleme der Abfallbeseitigung auf See, NuR 1982, S. 45 f.; Jaenicke, Stellungnahme, Zur Sache 3/71, S. 206; Soni, S. 134. 54 Vgl. zum Problem der völkerrechtlichen Verpflichtung von Einzelmenschen Verdross/ Simma, Völkerrecht, §§ 430 ff., m. zahlr. w. Nachw.; dort wird als einziger - streitiger Fall der unmittelbaren Verantwortlichkeit von Individuen aufgrund Völkerrechts - also ohne Dazwischentreten innerstaatlicher, in Ausführung völkerrechtlicher Verpflichtungen erlassener Strafnormen - die Befugnis genannt, Angehörige feindlicher Streitkräfte wegen Verletzung des völkerrechtlichen Kriegsrechts zu bestrafen (aaO., § 439). 55 Vgl. Handl, State Liability for Accidential Transnational Environmental Damage by Private Persons, AJIL 74 (1980), S. 525 ff., insbes. S. 529, 564; Kimminich, Völkerrecht, S. 487 bei Fn. 13, für den Grundlage der völkerrechtlichen Haftung die (wohl unterbliebene) effektive Kontrolle über umweltschädigende Aktivitäten ist; s. zum Problem des völkerrechtlichen Unrechts und seiner Wiedergutmachung im allgemeinen Verdross/Simma, §§ 1262 ff., insbes. §§ 1281 ff. 22 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht völkerrechts oder der speziell auf dem Gebiet des Meeresumweltschutzes verabschiedeten völkerrechtlichen Verträge zugunsten einer Regelungsbefugnis des Küstenstaates eingeschränkt ist,56 hat die nachstehende Untersuchung zu ergeben. Dabei können sich aus dem allgemeinen Seevölkerrecht insbesondere aus dem Regime der verschiedenen Meereszonen, die die Küstenstaaten über ihr Küstenmeer hinaus für sich beanspruchen, entsprechende Regelungsbefugnisse ergeben. II. Eigengewässer Das geltende Völkerrecht kennt unterschiedliche Meereszonen mit in ihrer Intensität abgestuften Hoheitsrechten der Küstenstaaten.57 Es sind dies die inneren Gewässer 58 und das Küstenmeer, die Anschlußzone, das Festlandsockelgebiet und die Hohe See; ob Gebiete wie besondere Fischereizonen und die ausschließliche Wirtschaftszone bereits zum geltenden Völkerrecht zu rechnen sind, bedarf im folgenden noch der Klärung. Keine Meereszone bilden die sogenannten Eigengewässer;59 mit diesem Ausdruck werden Binnenseen und Binnenmeere (z.B. der Bodensee, Genfer See) sowie Flüsse und Kanäle bezeichnet. Eigengewässer gehören zum Staatsgebiet und unterstehen der vollen Hoheitsgewalt - auch in strafrechtlicher Hinsicht - des Staates, in dem sie sich befinden. 56 Dieser Möglichkeit sieht Art. 6 Abs. 1 S. 1 Hohe-See-Übk. (abgedr. o. bei Anm. 48) ausdrücklich vor. 57 Siehe zur Veranschaulichung die Skizze im Anhang II. 58 Dieser Begriff hat sich als deutsche Bezeichnung von internal waters in völkerrechtlichen Übereinkommen und im völkerrechtlichen Schrifttum allgemein eingebürgert. Es ist aber darauf hinzuweisen, daß gelegentlich andere Bezeichnungen verwendet werden: So nennt Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 402, die inneren Gewässer "Binnengewässer"; Wille, Die Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, S. 7, bezeichnet sie unter Berufung auf Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 1078, passim, als "Eigengewässer"; ebenso Dreher/Tröndle, § 3 Rn. 4. 59 Vgl. dazu Verdross/Simma, § 1057; Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 1078. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres III. 23 Innere Gewässer Bei den inneren Gewässern (internal waters/eaux intérieures) handelt es sich um die Meeresgebiete, die sich von der sogenannten Basislinie landwärts erstrecken.60 Die Basislinie ist die Linie, von der aus die Breite des Küstenmeeres und der übrigen Meereszonen gemessen wird. Sie entspricht als normale Basislinie der Niedrigwasserlinie entlang der Küste; daß es landwärts überhaupt innere Gewässer geben kann, liegt an der völkerrechtlich anerkannten weiteren Methode der Festlegung der sogenannten geraden Basislinie (straight baseline).61 Bei dieser Methode dürfen im Falle stark zerklüfteter Küsten, vorgelagerter Inselketten, tiefer Küsteneinschnitte durch Buchten, Deltas, Flußmündungen usw. die Basislinien die äußersten seewärtigen Landpunkte verbinden. Zu den inneren Gewässern der Bundesrepublik in der Nordsee gehören etwa die Elbe- und die Wesermündung und ebenso das Meeresgebiet zwischen den ostfriesischen Inseln und dem deutschen Festland, weil die Bundesrepublik mit ihrer Basislinie die seewärts äußersten Punkte der ostfriesischen Inseln verbunden hat.62 Die inneren Gewässer unterstehen wie das - nachstehend noch näher zu beschreibende - Küstenmeer der vollen Souveränität des Küstenstaates.63 Während jedoch im Küstenmeer fremde Schiffe gewisse Freiheiten, insbesondere das Recht auf friedliche Durchfahrt (innocent passage) genießen, gilt dies nicht für die inneren Gewässer.64 Aus diesem Umstand sollte zu folgern sein, daß auch mit Hinblick auf die Strafgewalt kein Unterschied zwischen den inneren Gewässern und dem Landterritorium besteht, ein Küstenstaat völkerrechtlich also nicht gehindert ist, Vorgänge an Bord eines in den inneren Gewässern befindlichen fremden Schiffes strafrechtlich zu bewerten. Diese Aufassung wird auch gestützt durch den Umkehrschluß aus Art. 19 KMK (Art. 27 UNSRK), in dem lediglich der Ausübung der criminal jurisdiction an Bord eines fremden Schiffes im Küstenmeer Grenzen gesteckt werden.65 Gleichwohl war die Auffassung von der unbe60 Art. 5 Abs. 1 der Genfer Konvention über das Küstenmeer und die Anschlußzone vom 29. April 1958 (= KMK; abgedr. in Platzöder/Graf Vitzthum, Seerecht, S. 17); ebenso Art. 8 Abs. 1 der UNSRK. 61 Art. 4 KMK; Art. 7 UNSRK. 62 Vgl. die Abbildung im Anhang I und bei Wolfrum, Die Küstenmeergrenzen der Bundesrepublik Deutschland in Nord- und Ostsee, AVR 24 (1986), S. 273. 63 Art. 1 KMK; Art. 2 UNSRK. 64 Vgl. Art. 14 ff. KMK; Art. 17 ff. UNSRK; Hakapää, S. 163; Verdross/Simma, § 1074; unzutreffend Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 402 a.E. 65 Unzutreffend ist die Behauptung von Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 466, daß 24 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht schränkten Strafgewalt über fremde Schiffe in inneren Gewässern nicht immer unbestritten.66 Insbesondere in Frankreich war man der Meinung, die Strafgewalt des Küstenstaates sei in diesem Fall von vornherein beschränkt und erfasse nicht solche Taten, die lediglich die Schiffsdisziplin berührten oder sich zwischen Besatzungsmitgliedern ereigneten, ohne eine Außenwirkung zum Küstenstaat zu entfalten. Demgegenüber vertrat die anglo-amerikanische Auffassung, daß die Strafgewalt des Küstenstaates im Ausgangspunkt unbeschränkt sei, bei lediglich internen Vorgängen von ihr jedoch kein Gebrauch gemacht werden sollte. Der letztgenannten Auffassung folgt auch die Bundesrepublik: Die deutsche Strafgewalt besteht auch über ausländische Schiffe in inneren Gewässern grundsätzlich unbeschränkt, weil diese Meeresteile zum Inland i.S.v. § 3 StGB gehören; jedoch gilt für die Verfolgung von Straftaten auf ausländischen Schiffen im Inland nicht das strenge Legalitätsprinzip, sondern das Opportunitätsprinzip (§ 153c Abs. 1 Nr. 2 StPO)67. Eine in den deutschen inneren Gewässern begangene Meeresverschmutzung untersteht deshalb wie jede andere Straftat deutscher Strafgewalt, auch wenn sie von einem ausländischen Schiff aus begangen wird; eine Einstellung des Verfahrens nach § 153c Abs. 1 Nr. 2 StPO wird regelmäßig nicht in Betracht kommen, weil deutsche Interessen unmittelbar verletzt sind. nach dem Internationalen Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die strafgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen und anderen mit der Führung eines Seeschiffes zusammenhängenden Ereignissen (BGBl. 1972 II, S. 668) Schiffszusammenstöße in Häfen ausschließlich vom Flaggenstaat strafrechtlich bewertet werden dürften; gemäß Art. 4 Abs. 1 sind Häfen, Reeden und innere Gewässer ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeschlossen, so daß der Hafenstaat nach dem Territorialprinzip Vorgänge in diesen Bereichen ohne weiteres strafrechtlich bewerten und verfolgen darf. 66 Vgl. die Darstellung bei Hakapää, S. 169 f; Wille, S. 54 f. 67 Vgl. hierzu ausführlich Wille, S. 52 ff. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres IV. Küstenmeer 1. Begriff und räumliche Ausdehnung 25 Seit jeher haben die Staaten einen bestimmten Meeresstreifen vor ihren Küsten für sich beansprucht und ihrer Souveränität unterworfen. Dieser völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Anspruch wurde in der Genfer Küstenmeerkonvention vom 29. April 1958 kodifiziert. Die Breite des Küstenmeeres (territorial sea/eaux territoriales) bestimmte sich, wie es der berühmte Satz von BYNKERSHOEK "imperium terrae finitur, ubi finitur armorum potestas" aus dem Jahr 1703 ausdrückte,68 nach der Kanonenschußweite. Diese wurde überwiegend auf 3 sm festgesetzt, ohne daß diese Entfernung immer und gleichermaßen anerkannt war. In der Genfer KMK war eine zulässige äußerste seewärtige Grenze nicht ausdrücklich genannt; diese durfte aber jedenfalls in nicht mehr als 12 sm Entfernung von der Basislinie verlaufen, wie ein Umkehrschluß aus Art. 24 Abs. 2 ergibt. In der UNSRK wird dagegen als äußerste Grenze ausdrücklich eine Entfernung von 12 sm genannt (Art. 3). Obwohl im März 1983 bereits 83 Staaten die Zwölfmeilenzone eingeführt hatten und zu diesem Zeitpunkt lediglich 16 Staaten, darunter die Bundesrepublik und die USA, an der Dreimeilenzone festhielten, 69 kann die Zwölfmeilenzone nach VERDROSS/SIMMA nicht als allgemein anerkannte Norm des Völkerrechts angesehen werden.70 Zwischenzeitlich haben weitere Vertreter der Dreimeilenzone ihre Küstenmeere auf 12 sm ausgedehnt. Hierzu gehören die DDR, 71 die Niederlande, 72 Großbritannien 73 und Belgien; 74 Dänemark beabsichtigt eben68 Quaestionum juris publici libri duo, I, cap. VII, zitiert nach Verdross/Simma, § 1071 Fn. 13. 69 Angaben nach Verdross/Simma, § 1071 bei Fn. 15. 70 Ebd. (vorher. Anm.); gegenteiliger Auffassung im Sinne einer völkerrechtlichen Anerkennung der Zwölfmeilengrenze bereits im Jahr 1977 Rüster, Die Rechtsordnung des Festlandsockels, S. 113 ff. 71 Mit Wirkung vom 1. Januar 1985; GBl. der DDR 1984 I, S. 441; die Bundesregierung hat die Ausweitung einer "sorgfältigen Prüfung" unterzogen, ohne daß aber spätere Proteste bekannt geworden wären (FAZ v. 3.1.1985). 72 Mit Wirkung vom 1. Juli 1985 durch Gesetz vom 9. Januar 1985 (Stb. 1985, Nr. 129); vgl. dazu Wolfrum, AVR 24 (1986), S. 258 ff.; Ijlstra, De exclusieve economische zone, Milieu en recht 1986/7, S. 200. 73 Durch den Territorial Sea Act 1987, der am 1.10.1987 in Kraft getreten ist; s. dazu Churchill, Current Legal Developments, ICLQ 37 (1988), S. 412 ff., demzufolge die Erweite- 26 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht falls die Ausdehnung seiner Hoheitsgewässer auf 12 sm.75 Die Bundesrepublik hat die Dreimeilenzone im Grundsatz beibehalten. Lediglich im weiteren Mündungsbereich von Elbe, Weser und Jade südlich und westlich von Helgoland wurde das Küstenmeer durch Proklamation vom 12. November 1984 mit Wirkung vom 16. März 1985 im Wege einer sogenannten "Boxenlösung" von drei auf zwölf Seemeilen, in einem eine Tiefwasserreede erfassenden Bereich sogar auf 16 sm ausgedehnt.76 Diese Ausweitung, gegen die von den USA Protest eingelegt wurde,77 erfolgte, "um geeignete Maßnahmen gegen die Gefahr eines Tankerunfalles und einer Ölverseuchung des Meeres und der Küste in der Deutschen Bucht treffen zu können".78 Nunmehr kann in einem Bereich, der zu den meistbefahrensten der Welt gehört, deutsches Recht - insbesondere die deutsche Seeschiffahrtsstraßenordnung79 - angewendet werden, und die deutschen Behörden sind berechtigt, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Nach der Entwicklung der letzten Jahre80 wird man zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgehen können, daß sich 12 sm als äußerste Grenze des Küstenmeeres völkergewohnheitsrechtlich durchgesetzt haben.81 rung der Küstenmeergrenze auf 12 sm "zweifelsohne" dem Völkergewohnheitsrecht entspricht; laut Pressemeldungen (FAZ Nr. 250 v. 28.10.1987) haben die französische Regierung und französische Fischer gegen die britische Ausdehnung, letztere durch Hafenblockaden, protestiert, weil von diesen aufgesuchte Fischgründe nun in den britischen Hoheitsgewässern liegen. Freilich hatte Frankreich selbst kurz zuvor seine Küstengewässer auf 12 sm ausgedehnt (so Wolfrum, AVR 24 (1986), S. 249 bei Fn. 5). 74 Mit Wirkung von November 1987; vgl. hierzu Franckx, Belgium extends its Territorial Sea up to 12 nautical miles, Revue belge de droit international XX (1987), S. 41 ff. 75 Vgl. Kokott/Gündling, Die Erweiterung der deutschen Küstengewässer in der Nordsee, ZaöRV 45 (1985), S. 687 Fn. 50. 76 BGBl. 1984 I, S. 1366; SZ v. 8.11.1984; BZ v. 8.11.1984; zu der verfassungs- und völkerrechtlichen Problematik vgl. Kokott/Gündling, ZaöRV 45 (1985), S. 674 ff. (mit einer Abbildung auf S. 675, aus der die Ausweitung ersichtlich ist); vgl. auch Wolfrum, AVR 24 (1986), S. 247 ff.; s. Abbildung im Anhang I. 77 Vgl. Wolfrum, AVR 24 (1986), S. 257 Fn. 44; SZ v. 8.11.1984. 78 So die Erklärung der Bundesregierung, BGBl. 1984 I, S. 1366. 79 VO v. 9.1.1985, BGBl. 1985 I, S. 38. 80 Ende 1987 hatten 103 von 142 Küstenstaaten ihr Küstenmeer auf 12 sm erweitert (vgl. Platzöder, VN 1988, S. 33). 81 So auch Kokott/Gündling, ZaöRV 45 (1985), S. 688; ebenso Wolfrum, AVR 24 (1986), S. 249, 258, der freilich die von Kokott/Gündling gegebene Begründung als "methodisch schwerlich haltbar" angreift (S. 249 in Fn. 6). Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 2. 27 Strafrechtliche Befugnisse Das Küstenmeer untersteht der Souveränität des Staates, dem es vorgelagert ist;82 die Souveränität erstreckt sich nicht nur auf das Meer selbst, sondern auch auf die darüber liegende Luftsäule und den darunter befindlichen Meeresgrund und -untergrund.83 In der Bundesrepublik besteht gemäß § 3 StGB die deutsche Strafgewalt auch im Küstenmeer uneingeschränkt, da dieses Gebiet zum Inland gehört;84 wird eine Straftat im Küstenmeer von einem Ausländer auf einem ausländischen Schiff begangen, so kann die Staatsanwaltschaft nach pflichtgemäßem Ermessen von der Verfolgung dieser Tat absehen (§ 153c Abs. 1 Nr. 2 StPO), ohne daß hierdurch das Bestehen der deutschen Strafgewalt berührt würde.85 Das mit § 3 StGB/§ 153c Abs. 1 Nr. 2 StPO in der Bundesrepublik begründete Regel-/Ausnahmeverhältnis erweist sich als eine Umkehrung der vom Völkerrecht vorgegebenen Rechtslage: Nach allgemeinem Völkerrecht86 genießen ausländische Schiffe im Küstenmeer fremder Staaten das Recht auf friedliche Durchfahrt (innocent passage/passage inoffensif);87 gegen die nicht friedliche Durchfahrt darf der Küstenstaat geeignete 82 Art. 1 Abs. 1 KMK; Art. 2 Abs. 1 UNSRK. 83 Art. 2 KMK; Art. 2 Abs. 2 UNSRK. 84 Vgl. Dreher/Tröndle, § 3 Rn. 4; Eser in Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 3-7 Rn. 30; Wille, S. 8. 85 Vgl. Kleinknecht/Meyer, StPO, § 153c Rn. 6; Wille, S. 8; nicht nachvollziehbar ist die Ansicht von Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 406, 412 a.E., in der Bundesrepublik sei nicht klar, in welchem Umfang die Strafgewalt auf das Küstenmeer erstreckt werde, und diese Frage sei der Rechtsprechung überlassen: Die deutsche Strafgewalt erstreckt sich uneingeschränkt auf das zum Inland gehörende Küstenmeer, und nur die Frage der Verfolgung von Straftaten im Einzelfall bleibt der Staatsanwaltschaft - von den Gerichten unüberprüfbar(!) - überlassen. Es trifft also nicht zu, daß nur unerlaubtes Fischen durch Ausländer im Küstenmeer gemäß § 296a (aufgehoben durch § 12 des Seefischereigesetzes vom 12.7.1984, BGBl. 1984 I, S. 876) unter Strafe gestellt sei, andere Taten dagegen nicht (so aber Oehler, HWiStR, Stichwort "Internationales Strafrecht", S. 3); richtig ist, daß § 296a ausschließlich den Bereich des Küstenmeeres erfaßte, das übrige Inlandsgebiet dagegen nicht. Eine ganz andere Frage ist, ob aus völkerrechtlichen Gründen die uneingeschränkte Erstreckung der Strafgewalt auf das Küstenmeer Bedenken ausgesetzt ist. 86 Insoweit kodifiziert in Art. 14 ff. KMK; Art. 17 ff. UNSRK. 87 Vgl. hierzu und zum folgenden Verdross/Simma, §§ 1074 ff.; Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 1084 ff. 28 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Maßnahmen ergreifen.88 Die Durchfahrt gilt als friedlich, "so long it is not prejudicial to the peace, good order or security of the coastal state". 89 Während in der KMK (Art. 14 Abs. 5) als Beispiel für die nicht friedliche Passage lediglich das Fischen unter Verletzung der Rechtsvorschriften des Küstenstaates durch ausländische Fischereifahrzeuge genannt ist, finden sich in der UNSRK (Art. 19 Abs. 2) neben dem unerlaubten Fischen noch elf weitere Beispiele für die nicht friedliche Durchfahrt, darunter "any act of wilful and serious pollution contrary to this Convention". Nach der UNSRK soll augenscheinlich nur die "vorsätzliche und ernsthafte Verschmutzung" den Küstenstaat zum Eingreifen berechtigen,90 während demgegenüber nach dem allgemeiner gehaltenen Wortlaut der KMK jede, d.h. auch eine betriebsbedingte oder sonst fahrlässige Verschmutzung als schädlich für die "gute Ordnung" des Küstenstaates angesehen werden kann, eine Durchfahrt damit als nicht friedlich erscheinen lassen und den Küstenstaat zu Maßnahmen berechtigen. Jedoch wird auch die zitierte Bestimmung Art. 19 Abs. 2 lit. h) UNSRK nicht die restriktive Bedeutung für die Küstenstaaten haben, die ihr auf den ersten Blick anzuhaften scheint. Gemäß Art. 21 Abs. 1 lit. f) sind die Küstenstaaten berechtigt, "in conformity with the provisions of this Convention and other rules of international law, relating to innocent passage through the territorial sea, in respect of ... the preservation of the environment of the coastal State and the prevention, reduction and control of pollution thereof" Gesetze zu erlassen. 88 Art. 16 Abs. 1 KMK; Art. 25 Abs. 1 UNSRK. 89 Art. 14 Abs. 4 KMK; Art. 19 Abs. 1 UNSRK. 90 Die Übersetzung von wilful mit vorsätzlich findet sich beispielsweise bei Gündling, Die 200 Seemeilen-Wirtschaftszone, S. 261, und dürfte zutreffend sein, da in der englischsprachigen Literatur der "wilful and serious pollution" das Begriffspaar "negligent or less serious acts of pollution" gegenübergestellt wird (vgl. Shearer, Problems of jurisdiction and law enforcement against delinquent vessels, ICLQ 35 [1986], S. 326); kritisch zu dieser Beschränkung in der UNSRK Hakapää, S. 185 bei und in Fn. 27. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 29 Ausländische Schiffe, die vom Recht auf friedliche Durchfahrt Gebrauch machen, müssen diese Gesetze befolgen (Art. 21 Abs. 4). Ferner wiederholt Art. 27 UNSRK, der mit Art. 19 KMK fast wörtlich übereinstimmt, daß die criminal jurisdiction u.a. nur dann an Bord eines ausländischen Schiffes im Küstenmeer ausgeübt werden sollte, wenn sich die Straftat auf den Küstenstaat auswirkt oder die Ordnung des Küstenmeeres verletzt. Da dies auch bei einer nur fahrlässigen Meeresverschmutzung der Fall ist, kann ein Küstenstaat derartige Taten auch nach Geltung der UNSRK bestrafen, zumal ihm sogar in dem küstenferneren Gebiet der ausschließlichen Wirtschaftszone in bezug auf den Meeresumweltschutz strafrechtliche Befugnisse zustehen.91 3. Ergebnis Im Küstenmeer begangene Umweltstraftaten können vom Küstenstaat auch dann strafrechtlich bewertet und sanktioniert werden, wenn sie von Ausländern auf ausländischen Schiffen begangen werden. An dieser Befugnis würde sich auch nach Inkrafttreten der das Küstenmeer betreffenden Bestimmungen der UNSRK nichts ändern. V. Anschlußzone 1. Begriff und Umfang küstenstaatlicher Befugnisse Die Anschlußzone (contiguous zone/zone contigue) ist ein bereits zur Hohen See gehörender Meeresstreifen,92 der sich seewärts an das Küstenmeer anschließt und sich nicht weiter als 12 sm nach der KMK (Art. 24 Abs. 2) bzw. 24 sm nach der UNSRK (Art. 33 Abs. 2) von der Basislinie erstrecken darf. Die Breite der Anschlußzone richtet sich demnach nach der Breite des Küstenmeeres, die ein Staat für sich beansprucht; nimmt ein Staat die nach der KMK maximal zulässige Breite des Küstenmeeres von 12 sm in Anspruch, ist folglich nach bislang geltendem Völkerrecht die Inanspruchnahme einer gesonderten Anschlußzone nicht mehr zulässig. 91 Art. 27 Abs. 5, 56, 73, 192 ff.; näher dazu u. § 20, § 21. 92 Art. 24 Abs. 1 KMK; Art. 1 Genfer Konvention über die Hohe See; Verdross/Simma, § 1087; ob auch nach Inkrafttreten der UNSRK die Anschlußzone noch zur Hohen See gerechnet werden kann, ist angesichts der Formulierung in Art. 86 fraglich: Dort heißt es, daß die Bestimmungen des Abschnitts über die Hohe See auf diejenigen Meeresteile Anwendung finden, die nicht zur ausschließlichen Wirtschaftszone, zum Küstenmeer oder zu den inneren Gewässern gehören. 30 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht In der Anschlußzone stehen dem Küstenstaat Kontrollbefugnisse zu, die sich als notwendig erweisen, um "Verstöße gegen seine Zoll-, Steuer-, Einreise- und Gesundheitsvorschriften auf seinem Hoheitsgebiet oder in seinem Küstenmeer zu verhindern" und um "Verstöße gegen solche Vorschriften, die auf seinem Hoheitsgebiet oder in seinem Küstenmeer begangen werden, zu bestrafen". 93 Die Küstenstaaten scheinen demnach nicht berechtigt zu sein, Verstöße gegen ihre Zoll-, Steuer-, Einreise- und Gesundheitsvorschriften, die im Bereich der Anschlußzone selbst begangen werden, zu bestrafen, sondern dürfen nur im Vorfeld des Küstenmeeres präventiv tätig werden bzw. gegen bereits erfolgte Verstöße im Küstenmeer außerhalb desselben repressive Strafverfolgungsmaßnahmen ergreifen. 94 Andererseits ist einzuwenden, daß ein Küstenstaat nach geltendem Völkerrecht berechtigt wäre, sein gesamtes Küstenmeer auf 12 sm auszudehnen und in diesem Bereich eine effektive Verschmutzungskontrolle durchzuführen; es kann ihm deshalb kaum verwehrt sein, in einer an das Küstenmeer anschließenden und seewärts bis auf 12 sm erstreckenden (Anschluß-)Zone hoheitliche Funktionen partiell beschränkt auf den Umweltschutz wahrzunehmen. Derartige Meeresverschmutzungskontrollzonen sind bereits von verschiedenen Staaten in Anspruch genommen worden. Das bekannteste Beispiel ist der von Kanada am 26. Juni 1970 erlassene Arctic Waters Pollution Prevention Act (AWPPA).95 2. Exkurs: Der kanadische Arctic Waters Pollution Prevention Act Mit dem AWPPA unterstellte Kanada ein Gebiet in den arktischen Gewässern nördlich des 60. Breitengrades und bis zu einer Entfernung von 100 sm von der Küste seiner Verschmutzungskontrolle. Unmittelbarer Anlaß für diese Maßnahme war die Entdeckung großer Ölvorkommen in Alaska und der erfolgreiche Versuch des amerikanischen Tankers SS 93 Art. 24 Abs. 1 lit. a) und b) KMK; fast gleichlautend Art. 24 Abs. 1 lit. a) und b) UNSRK. 94 So Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 416, für den Fall, daß nicht weitere Abkommen eingreifen; als Beispiel hierfür wird das Abkommen über die Bekämpfung des Alkoholschmuggels vom 19. August 1925 (RGBl. 1926 II, S. 221; Ausführungsgesetz vom 14. April 1926, RGBl. 1926 II, S. 230) genannt. 95 Abgedruckt bei Platzöder/Graf Vitzthum, S. 481, und Rüster/Simma, Bd. III, S. 988; vgl. zu diesem kanadischen Gesetz ausführlich Schultheiss, Umweltschutz und die Freiheit der Meere, dargestellt am kanadischen Arctic Waters Pollution Prevention Act, sowie Ehmer, Der Grundsatz der Freiheit der Meere und das Verbot der Meeresverschmutzung, S. 120 ff.; ferner Hakapää, S. 214 ff.; Martens, Küstenstaatliche Meeresjurisdiktion Treuhänderisches Tätigwerden, S. 152 ff.; Timagenis, Bd. I, S. 49 ff.; Verdross/Simma, § 1096. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 31 Manhattan im Jahr 1969, erstmals in der Geschichte einen Weg durch die eisbedeckte Nordwest-Passage zu bahnen. 96 Kanada fürchtete, daß ein Tankerunfall in den arktischen Gewässern wegen der geringen Abbaufähigkeit von Erdöl in eisbedeckten Meeresteilen besonders fatale ökologische Konsequenzen haben würde.97 Das einseitige kanadische Vorgehen stieß auf erheblichen Protest insbesondere seitens der USA98 und wurde im völkerrechtlichen Schrifttum abgesehen vom kanadischen - ganz überwiegend als völkerrechtswidrig beurteilt.99 Kanada selbst schien sich der völkerrechtlichen Zulässigkeit seiner einseitigen Maßnahme zumindest nicht sicher gewesen zu sein, teilte es doch gleichzeitig mit Verabschiedung des AWPPA dem IGH mit, daß es von dessen obligatorischer Gerichtsbarkeit, der Kanada sich unterworfen hatte, "disputes arising out or concerning jurisdiction or rights claimed or exercised by Canada in respect of the conservation, management or exploitation of the living resources of the sea, or in respect of the prevention or control of pollution or contamination of the marine environment in marine areas adjacent to the coast of Canada"100 ausnehme. Bemerkenswert ist, daß die kanadische Regierung und auch diejenigen kanadischen Völkerrechtsautoren, die das kanadische Vorgehen für rechtmäßig halten, zur Begründung nicht darauf abstellten, daß jeder Staat frei sei, seine Hoheitsbefugnisse nach Belieben auszudehnen, solange dem das Völkerrecht nicht explizit entgegenstehe. Sie suchten vielmehr nach völkerrechtlichen Ermächtigungstiteln und nannten in diesem Zusammenhang: 96 Vgl. Hakapää, S. 221 f.; Schultheiss, S. 16. 97 Vgl. Martens, S. 157 f.; Schultheiss, S. 15; vgl. auch die Angaben bei Rüster, S. 52 in Fn. 61, daß die Oxydationsfähigkeit von Öl mit sinkenden Temperaturen abnimmt und in der Arktis abgelassenes Öl 50 Jahre zum Oxydieren benötigt. 98 Nachweis u.a. bei Ehmer, S. 121 bei Fn. 142. 99 Vgl. Ehmer, S. 128; Hakapää, S. 228; Martens, S. 183 f.; Menzel/Ipsen, Völkerrecht, S. 401; Rüster, S. 119; wohl auch Verdross/Simma, § 1096; alle m. zahlr. w. Nachw. auch auf die kanadische und sonstige internationale Literatur; a.A. Schultheiss, S. 94 f., 119 f., 216 ff., der die Meinung vertritt, das Regime der Anschlußzone in Verbindung mit dem "protective principle" rechtfertige die kanadische Maßnahme. 100 Erklärung vom 7. April 1970, zitiert nach Ehmer, S. 127 bei Fn. 166; siehe dazu auch Hakapää, S. 228; Martens, S. 156. 32 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht - das Recht auf Selbstverteidigung bzw. Selbstschutz,101 - das Prinzip treuhänderischen Tätigwerdens für die Staatengemeinschaft,102 - die Behauptung kanadischer Souveränität über den sich an Kanadas Staatsgebiet anschließenden arktischen Sektor (Sektorentheorie).103 Die genannten Begründungsansätze sind in der völkerrechtlichen Literatur bereits allesamt widerlegt worden, 104 so daß eine erneute Auseinandersetzung mit ihnen an dieser Stelle unterbleiben kann. Mit seinem Begründungsansatz, das Vorgehen Kanadas lasse sich mit dem Regime der Anschlußzone rechtfertigen, 105 ist SCHULTHEISS allein geblieben. Diese Konstruktion kann bereits deshalb nicht überzeugen, weil die von Kanada beanspruchte Kontrollzone mit 100 sm weit über die völkerrechtlich zulässigen 12 sm hinausgeht. 3. Exkurs: Der omanische Marine Pollution Control Act Ein dem kanadischen AWPPA vergleichbares Gesetz verabschiedete das Sultanat Oman mit dem Marine Pollution Control Act im Jahr 1974.106 Dieses Gesetz, mit dem Oman einen 50 sm breiten Meeresstreifen vor seiner Küste einer umfassenden, auch strafrechtlichen Meeresverschmutzungskontrolle unterworfen hat, findet an dieser Stelle deshalb Erwähnung, weil es in jüngster Zeit zu einer (völkerrechtlich relevanten) Reaktion der Bundesrepublik geführt hat. Oman ist dem MARPOL107 mit Wirkung vom 13. Juni 1984 beigetreten, hatte seiner Beitrittsurkunde jedoch folgende Erklärung beigefügt:108 101 Vgl. dazu Ehmer, S. 126 ff.; Hakapää, S. 222 ff.; Schultheiss, S. 18, 57. 102 Vgl. Martens, S. 152 ff. 103 Vgl. Ehmer, S. 123; Martens, S. 158 f. 104 Vgl. nur Ehmer, Hakapää, Martens, jeweils aaO. 105 AaO., S. 94, 119. 106 Abgedruckt bei Rüster/Simma, Bd. III, S. 1108; vgl. dazu Hakapää, S. 230 f.; Rüster, S. 57, 119. 107 Internationales Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe von 1973/1978; s. näher dazu u. § 4 III. 108 Text dieser Erklärung in BGBl. 1985 II, S. 1211. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 33 "(1) For the purposes of this Convention the term "within the jurisdiction" is interpreted to mean the jurisdiction presently applied by the Government of the Sultanate of Oman under the country's Marine Pollution Law of 1974 which extends to 50 nautical miles from the baselines from which the breadth of the territorial sea is measured." Die Bundesrepublik Deutschland notifizierte dem Generalsekretär der Internationalen Seeschiffahrts-Organisation auf diese Erklärung Omans am 13. August 1985 folgende Erklärung:109 "Unter Bezugnahme auf die Erklärungen in der am 13. März 1984 von der Regierung des Sultanats Oman hinterlegten Beitrittsurkunde zu dem Protokoll von 1978 zu dem Internationalen Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung erklärt die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, daß ihrer Auffassung nach die Hoheitsbefugnisse, die das Sultanat Oman nach Maßgabe seines Gesetzes von 1974 über Meeresverschmutzung jenseits der Grenzen seines Küstenmeeres ausüben wird, über die vom Völkerrecht anerkannten Hoheitsbefugnisse nicht hinausgehen dürfen." Eine gleichlautende Erklärung wurde von den Niederlanden abgegeben.110 Ganz deutlich wird aus diesen Erklärungen die Haltung der Bundesrepublik und der Niederlande in zwei Punkten: Zum einen sind diese Staaten der Auffassung, daß ein Staat jenseits der seewärtigen Grenzen des Küstenmeeres nur die vom Völkerrecht anerkannten Hoheitsbefugnisse (jurisdiction) in bezug auf den Meeresumweltschutz wahrnehmen darf; zum anderen wird deutlich, daß nach Meinung der Bundesrepublik die von Oman beanspruchten Befugnisse das vom Völkerrecht beanspruchte Maß offensichtlich überschreiten, da sich andernfalls ein Protest erübrigt hätte. Das für den zitierten Protest verantwortliche Auswärtige Amt vertritt in der Frage der Ausdehnung der Strafgewalt bei Meeresverschmutzungen offensichtlich eine andere Auffassung als das für den Entwurf des 16. StrÄndG 111 verantwortliche Bundesjustizministerium, das lediglich aus "kriminalpolitischen wie praktischen Gründen" die Ausdehnung der Strafgewalt auf den Bereich des deutschen Festlandsockels beschränkte, im übrigen eine noch weiterreichende Ausweitung für rechtlich unproblematisch hielt.112 109 Abgedruckt ebd. (vorher. Anm.), S. 1212. 110 Schreiben des Königreichs der Niederlande an den Generalsekretär der Internationalen Seeschiffahrts-Organisation vom 15. März 1985, abgedr. in BGBl. 1986 II, S. 643. 111 Dieses wurde später als 18. StrÄndG vom Bundestag verabschiedet. 112 Vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs eines 16. StrÄndG, BT-Drs. 8/2382, S. 12. 34 VI. Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Fischereizone Bereits im Jahr 1974 hatte der IGH im Fischereistreit zwischen der Bundesrepublik/Großbritannien und Island 12 sm breite Fischereizonen als Teil des Völkergewohnheitsrechts anerkannt, für darüber hinaus gehende Zonen - Island hatte seinerzeit 50 sm und seit 1975 sogar eine 200 sm breite Fischereizone für sich beansprucht - zwar Verständnis signalisiert, diese jedoch als zum damaligen Zeitpunkt mit dem Völkerrecht unvereinbar abgelehnt.113 Inzwischen ist die Staatenpraxis in einem Maße fortgeschritten, daß Fischereizonen bis zu 200 sm kaum noch als völkerrechtswidrig angesehen werden können.114 So hat auch die Bundesrepublik aufgrund einer Entschließung des EG-Rates vom 3. November 1976115 in einer abgestimmten Maßnahme gleichzeitig mit den übrigen EG-Staaten durch Proklamation vom 21. Dezember 1976 "... mit Wirkung vom 1. Januar 1977 in der Nordsee vor der seewärtigen Grenze ihres Küstenmeeres eine Fischereizone von bis zu 200 Seemeilen, gemessen von der Basislinie ...",116 errichtet; mit Proklamation vom 18. Mai 1978117 hat die Bundesrepublik mit Dänemark, dem anderen EG-Anrainerstaat der Ostsee,118 mit Wirkung vom 15. Juni 1978 eine entsprechende Fischereizone in der Ostsee, allerdings ohne Angabe einer äußersten seewärtigen Grenze, errichtet. In beiden Proklamationen wird betont, daß die Bundesrepublik in diesen Zonen "hoheitliche Rechte zum Zwecke der Erhaltung und Nutzung der Fischbestände" ausübt und daß die Abgrenzung der deutschen Fischereizonen gegenüber den Fischereizonen anderer Nordsee- bzw. Ostseeanrainerstaaten Vereinbarungen mit diesen vorbehalten bleibt.119 Eine Abgrenzung der deutschen Fischereizonen ist bislang weder in der Nordsee noch in der Ostsee 113 Vgl. ICJ-Reports 1974, S. 23 para. 52; vgl. dazu Rüster, S. 102 f., der in seiner Arbeit aus dem Jahr 1977 über 12 sm hinausgehende Fischereizonen ebenfalls für völkerrechtswidrig hält; ebenso Ehmer, S. 80 f. (1974). 114 Dies klingt vorsichtig an bei Verdross/Simma, § 1092 bei Fn. 28 und § 1111 (1984). 115 ABl. Nr. C 105, S. 1; die Zuständigkeit des EG-Rates beruht darauf, daß die Fischerei zur Landwirtschaft i.S.v. Art. 38 EWG-Vertrag gehört. 116 BGBl. 1976 II, S. 1999. 117 BGBl. 1978 II, S. 867. 118 Zur Ausdehnung der dänischen Fischereizone siehe Gesetz Nr. 597 vom 17.12.1976, Lovtidende A 1976, S. 1631, i.V.m. Bekanntmachung Nr. 43 vom 1.2.1978, Lovtidende A 1978, S. 161. 119 S. hierzu insgesamt Ipsen, Die Europäische Gemeinschaft und das Meer, in Graf Vitzthum (Hrsg.), Die Plünderung der Meere, S. 313. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 35 erfolgt; sie hat zumindest in der fischwirtschaftlich ohnehin interessanteren Nordsee auch nicht die Bedeutung wie etwa die Abgrenzung des Festlandsockels, weil die deutsche Fischereizone lediglich Teil eines einheitlichen "EG-Meeres" ist, das von der EG, insbesondere durch Fangquotenzuteilungen, verwaltet wird.120 Der deutsche Gesetzgeber hat seinen Hoheitsbefugnissen erst geraume Zeit nach den genannten Proklamationen im Seefischereigesetz vom 12. Juli 1984121 gesetzlichen Ausdruck verliehen. Nach diesem Gesetz bedarf einer Fangerlaubnis, wer die Seefischerei ausüben will (§ 3). Will eine Person in den deutschen Fischereizonen oder im deutschen Küstenmeer von einem ausländischen Fischereifahrzeug aus fischen, so bedarf dies einer besonderen Genehmigung (§ 5 Abs. 2 Nr. 1); für Fischereifahrzeuge eines anderen EG-Mitgliedstaates gilt dies jedoch nur für die Seefischerei im deutschen Küstenmeer (§ 5 Abs. 2 Nr. 2). Verstöße gegen diese Bestimmungen können gemäß § 9 als Ordnungswidrigkeiten mit einer Geldbuße von bis zu DM 150.000.-- geahndet werden; gleichzeitig wurde § 296a StGB, der für die unbefugte Küstenfischerei durch Ausländer eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androhte, aufgehoben (§ 12). Es stellt sich die Frage, ob nicht zu den Rechten, die zum Zwecke der Erhaltung und Nutzung der Fischbestände in Anspruch genommen werden, auch die Kontrolle über die Meeresverschmutzung gerechnet werden kann, da diese sich zumindest mittelbar auf die Fischbestände auswirkt. Diese Überlegung wird allerdings weder in den einschlägigen völkerrechtlichen Instrumenten noch in der Völkerrechtsliteratur angestellt, sondern der für zulässig erachtete Fischereischutz des Küstenstaates wird eng begrenzt auf Fangbeschränkungen bzw. -verbote; dies erklärt auch die Existenz gesonderter Meeresverschmutzungskontrollzonen neben den Fischereizonen, die zwar räumlich dieselben, funktional jedoch andere Bereiche betreffen. Dieser Standpunkt wird im Verhältnis zu anderen Staaten offensichtlich auch von der Bundesrepublik geteilt, die einerseits seit dem Jahr 1977 eine 200-sm-Fischereizone für sich beansprucht, andererseits aber noch im Jahr 1985 gegen die Meeresverschmutzungskontrollzone des Sultanats Oman von 50 sm protestiert.122 120 In den Rechtsakten der EG ist dementsprechend auch jeweils nur von der "200-Meilen-Fischereizone der Mitgliedstaaten" die Rede; vgl. z.B. Art. 1 Abs. 1 der VO (EWG) Nr. 178/83 des Rates vom 25. Januar 1983, ABl. Nr. L 24, S. 79. 121 BGBl. 1984 I, S. 876. 122 S. o. § 3 V. 3. 36 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Auch das völkerrechtlich mittlerweile wohl anerkannte Fischereizonenkonzept kann keinen völkerrechtlich zulässigen Anknüpfungspunkt für die Ausdehnung der Strafgewalt auf den Festlandsockel bilden. VII. Festlandsockel 1. Begriff und völkerrechtliche Entwicklung Der Begriff Festlandsockel (continental shelf/plateau continental) ist ursprünglich naturwissenschaftlicher Herkunft. Man versteht darunter den Meeresboden, der sich von der Küste bis zu einer Wassertiefe von etwa 200 m erstreckt und jenseits dieser Grenze rasch zur vollen Ozeantiefe absinkt. Schon vor dem 2. Weltkrieg war bekannt, daß der Meeresgrund und -untergrund reich an biologischen, aber auch an mineralischen Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas, Mangan, Nickel, Vanadium, Blei u.a.m. ist.123 Zum Interesseobjekt der Staaten wurde der Festlandsockel jedoch erst mit Entwicklung der technischen Voraussetzungen, diese Bodenschätze aufzuspüren und auszubeuten.124 Die Entwicklung des Festlandsockels als Begriff des Völkerrechts setzte unmittelbar nach Beendigung des 2. Weltkriegs ein. Am 28. September 1945 verkündete der amerikanische Präsident die nach ihm benannte Truman-Proklamation, in der u.a. ausgeführt wurde:125 "... It is the view of the Government of the United States that the exercise of jurisdiction over the natural resources of the subsoil and sea bed of the continental shelf by the contiguous nation is reasonable and just..."; "... the character as high seas of the waters above the continental shelf and the right to their free and unimpeded navigation are in no way thus affected." Proteste gegen diese einseitige Maßnahme blieben überraschenderweise aus,126 obwohl diese fraglos gegen das seinerzeit geltende Völkerrecht verstieß; andere Staaten nahmen das amerikanische Vorgehen unverzüglich zum Anlaß, selbst ähnliche Ansprüche anzumelden, die aber zum Teil, et123 Siehe hierzu Rüster, S. 36 ff. 124 Zu dieser Entwicklung aufschlußreich Rüster, S. 121 ff. 125 Proclamation by President Truman of 28 September 1945 on Policy of the United States with Respect of the Natural Resources of the Subsoil and Sea Bed of the Continental Shelf, abgedruckt bei Platzöder/Graf Vitzthum, Seerecht, S. 475. 126 Menzel, Der deutsche Festlandsockel in der Nordsee, AöR 90 (1965), S. 11, und Rüster, S. 140, erklären dies mit vorrangigen anderen Problemen, welche die Staaten zu diesem Zeitpunkt kurz nach Kriegsende beschäftigten. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 37 wa im Fall der Ausdehnung der Küstengewässer einiger lateinamerikanischer Staaten, weit über die von den USA beanspruchten Rechte hinausgingen. Durch die inhaltlich übereinstimmende Übung zahlreicher Staaten konnten sich die Ansprüche auf den Festlandsockel rasch zu Völkergewohnheitsrecht verdichten,127 so daß die im Genfer Übereinkommen über den Festlandsockel vom 29. April 1958128 zusammengefaßten Grundprinzipien lediglich eine Kodifikation bereits geltenden Völkergewohnheitsrechts darstellten, das auch für Nichtvertragsstaaten verbindlich war. 2. Die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland a) Rechtliche Entwicklung Die Bundesrepublik, die das FLSÜbk. am 30. Oktober 1958 zwar unterzeichnet, es in der Folgezeit aber nie ratifiziert hatte, gab am 22. Januar 1964 die Proklamation der Bundesregierung vom 20. Januar desselben Jahres über die Erforschung und Ausbeutung des deutschen Festlandsockels bekannt;129 darin heißt es u.a.: "Um Rechtsunklarheiten zu beseitigen, die sich in der gegenwärtigen Situation bis zum Inkrafttreten der Genfer Konvention über den Festlandsockel und bis zu ihrer Ratifikation durch die Bundesrepublik Deutschland ergeben könnten, hält es die Bundesregierung für erforderlich, schon jetzt folgendes festzustellen: 1. Die Bundesregierung sieht auf Grund der Entwicklung des allgemeinen Völkerrechts, wie es in der neueren Staatenpraxis und insbesondere in der Unterzeichnung der Genfer Konvention über den Festlandsockel zum Ausdruck kommt, die Erforschung und Ausbeutung der Naturschätze des Meeresgrundes und des Meeresuntergrundes der an die deutschen Meeresküsten grenzenden Unterwasserzone außerhalb des deutschen Küstenmeeres bis zu einer Tiefe von 200 m und - soweit die Tiefe des darüber befindlichen Wassers die Ausbeutung der Naturschätze gestattet - auch hierüber hinaus als ein ausschließliches Hoheitsrecht der Bundesrepublik Deutschland an. Im einzelnen bleibt die Abgrenzung des deutschen Festlandsockels gegenüber dem Festlandsockel auswärtiger Staaten Vereinbarungen mit diesen Staaten vorbehalten. 127 Vgl. Rüster, S. 236; Verdross/Simma, § 1114, m. w. Nachw. in Fn. 16; Wengler, Bd. II, S. 1088. 128 FLSÜbk.; abgedruckt bei: von Münch/Buske, International Law, S. 120; Platzöder/ Graf Vitzthum, S. 58; Rüster, Anhang III (S. 464); JIR 14 (1969), S. 490. 129 BGBl. 1964 II, S. 104. 38 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht 2. Die Bundesregierung sieht alle Handlungen, die im Bereich des deutschen Festlandsockels zur Erforschung und Ausbeutung seiner Naturschätze ohne ausdrückliche Zustimmung der zuständigen deutschen Behörden vorgenommen werden sollten, als unzulässig an. Sie wird gegen solche Handlungen erforderlichenfalls geeignete Maßnahmen ergreifen." Kurze Zeit später, am 24. Juli 1964, wurde das Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechte am Festlandsockel verabschiedet, 130 in dem verwaltungsrechtliche Einzelheiten der Genehmigung von Forschungshandlungen sowie des Aufsuchens und der Gewinnung von Bodenschätzen auf dem deutschen Festlandsockel geregelt wurden. Außerdem enthielt § 7 dieses Gesetzes eine Strafvorschrift, die in Abs. 1 für einen Verstoß gegen die vollziehbare Anordnung, unbefugte Handlungen auf dem Festlandsockel zu unterlassen, Freiheitsstrafe oder Geldstrafe androhte; gemäß Abs. 2 war mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und/oder mit Geldstrafe zu bestrafen, wer in Zusammenhang mit der Aufsuchung oder Gewinnung von Bodenschätzen des deutschen Festlandsockels oder einer mit Bezug auf den deutschen Festlandsockel vorgenommenen Forschungshandlung die See durch Öl verschmutzt, wobei ausdrücklich auch die fahrlässige Tat mit Strafe bedroht war. b) Abgrenzung des deutschen Festlandsockels Die Abgrenzung des Festlandsockels gegenüber dem Festlandsockel benachbarter oder gegenüberliegender Staaten hat ebenso wie die Bestimmung einer seewärtigen Grenze des Festlandsockels131 immer wieder zu erheblichen Problemen in der Staatenpraxis geführt. Auch die Abgrenzung des deutschen Festlandsockels in der Nordsee gegenüber dem Festlandsockel der Nachbarstaaten Dänemark und den Niederlanden bildete keine Ausnahme. Bei Zugrundelegung des in Art. 2 Abs. 2 S. 2 FLSÜbk. niedergelegten Äquidistanzprinzips,132 das beim Fehlen einer Vereinbarung und besonderer Umstände angewendet werden soll, hätte der Bundesrepublik wegen des konkaven Verlaufs der deutschen Nordseeküste nur ein 130 BGBl. 1964 I, S. 497; mittlerweile aufgehoben und ersetzt durch die §§ 132-137, 175 Nr. 5 BBergG vom 14. August 1980 (BGBl. 1980 I, S. 1310), in Kraft getreten am 1. Januar 1982, sowie durch die aufgrund der §§ 65, 66, 67 Nr. 1 und 8, 68 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 BBergG erlassene Festlandsockel-Bergverordnung vom 21. März 1989 (BGBl. 1989 I, S. 554, in Kraft getreten am 1. Juli 1989). 131 Vgl. hierzu die Monographie von Klemm, Die seewärtige Grenze des Festlandsockels, 1976. 132 Dieses Prinzip bedeutet, daß jeder Punkt der Grenze vom jeweils nächstgelegenen Punkt beider Territorien gleichweit entfernt sein muß. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 39 sehr geringer Anteil am Nordseeschelf zugestanden. Bei einer Küstenlänge von 273 km hätte dieser ca. 24.600 qkm gegenüber einem dänischen Anteil von 56.700 qkm bei 247 km Küstenlänge und einem niederländischen Anteil von 61.400 qkm bei 385 km Küstenlänge betragen.133 Hiermit wollte sich die Bundesrepublik nicht zufrieden geben;134 sie sah in der geographischen Eigenart ihres Küstenverlaufs einen Umstand, der eine Grenzziehung auf der Basis besonderer Umstände rechtfertigte, während Dänemark und die Niederlande auf der Anwendung des ihnen günstigen Äquidistanzprinzips bestanden. Am 2. Februar 1967 einigte sich die Bundesrepublik in gleichlautenden Vereinbarungen mit Dänemark und den Niederlanden, den Internationalen Gerichtshof den Streit durch eine Stellungnahme zu der Frage entscheiden zu lassen, welche völkerrechtlichen Prinzipien und Normen für die Abgrenzung des Festlandsockels der Parteien anwendbar seien.135 Die Entscheidung des IGH wurde am 20. Februar 1969 bekanntgegeben.136 Der von der Bundesrepublik Deutschland geltend gemachte Anspruch auf einen "billigen und gerechten" Schelfanteil wurde zwar verworfen. Der Gerichtshof wies aber auch das Vorbringen Dänemarks und der Niederlande zurück, daß das Äquidistanzprinzip angewandt werden müsse: Dieses Prinzip gelte für die Bundesrepublik nicht vertraglich, weil diese das FLSÜbk. nicht ratifiziert habe und sie an dessen Bestimmungen auch nicht durch schlüssiges Verhalten gebunden sei. Das Äquidistanzprinzip gehöre auch nicht zu den völkergewohnheitsrechtlichen Normen, die im FLSÜbk. lediglich kodifiziert worden seien. Die Vertragsparteien müßten deshalb eine vertragliche Abgrenzung des Festlandsockels in Übereinstimmung mit Billigkeitsgrundsätzen erreichen, wobei folgende Voraussetzungen zu beachten seien: "a) die Vertragshandlungen müssen sinnvoll mit dem Ziel geführt werden, ein Abkommen zu erreichen, ohne daß dabei eine Partei von vorneherein kompromißlos auf ihrer Position beharrt; 133 Angaben bei Menzel, AöR 90 (1965), S. 22. 134 Zum Verlauf der Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und Dänemark sowie den Niederlanden vgl. die Darstellungen bei Menzel, Der Festlandsockel der Bundesrepublik Deutschland und das Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 20. Februar 1969, JIR 14 (1969), S. 13 ff.; F. Münch, Die Anrufung des Internationalen Gerichtshofs durch die Bundesrepublik Deutschland, ZaöRV 27 (1967), S. 725 ff.; Rüster, S. 373 ff. 135 Vgl. ICJ Pleadings 1968, Bd. 1, S. 6, 8; ZaöRV 27 (1967), S. 728 ff.; Rüster, S. 375 ff. 136 Vgl. ICJ Reports 1969, S. 1 ff., 54 (Tenor); auch abgedruckt bei Menzel, JIR 14 (1969), S. 89 (deutsch), und in ZaöRV 29 (1969), S. 523 (englisch). 40 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht b) bei den Verhandlungen müssen Billigkeitsgesichtspunkte berücksichtigt werden; c) der jeweilige Schelfanteil muß die natürliche Verlängerung des Staatsgebiets des Küstenstaats sein und darf nicht die natürliche Verlängerung eines Nachbarstaates mitumfassen."137 Aufgrund dieses Urteils traten die Parteien in erneute Verhandlungen über die Abgrenzung des Festlandsockels ein,138 die mit der Unterzeichnung von bilateralen Abkommen zwischen der Bundesrepublik und Dänemark einerseits und den Niederlanden und der Bundesrepublik andererseits in Kopenhagen am 28. Januar 1971 ihren Abschluß fanden.139 Der deutsche Anteil am Festlandsockel erstreckt sich danach zur Mitte der Nordsee in nordwestlicher Richtung in Form eines Entenschnabels140 und besitzt sogar eine - freilich nur kurze - gemeinsame Grenze mit dem britischen Festlandsockel.141 c) Rechte am Festlandsockel Die grundlegenden Rechte eines Staates an dem ihm vorgelagerten Festlandsockel sind in Art. 2 FLSÜbk. niedergelegt: "1. The coastal State exercises over the continental shelf sovereign rights for the purpose of exploring it and exploiting its natural resources. 2. The rights referred to in paragraph 1 of this article are exclusive in the sense that if the coastal State does not explore the continental shelf or exploit its natural resources, no one may undertake these activities, or make a claim to the continental shelf, without the express consent of the coastal State. 3. The rights of the coastal State over the continental shelf do not depend on occupation, effective or notional, or on any express proclamation. 137 ICJ Reports 1969, S. 48; dazu Rüster, S. 383. 138 Vgl. zum Verhandlungsverlauf im einzelnen Auburn, The North Sea Continental Shelf Boundary, AVR 16 (1974/75), S. 28 ff.; Rüster, S. 387 ff.; von Schenck, Die vertragliche Abgrenzung des Festlandsockels unter der Nordsee, JIR 15 (1971), S. 370 ff. 139 Vertrag zur Abgrenzung des Festlandsockels unter der Nordsee zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Dänemark (BGBl. 1972 II, S. 882) und den Niederlanden (BGBl. 1972 II, S. 889); gemeinsames Protokoll vom 28. Januar 1971 zu den beiden genannten Verträgen, abgedruckt bei Rüster (Hrsg.), Verträge und Deklarationen über den Festlandsockel, S. 105. 140 S. Abbildung in Anhang I. 141 Die Abgrenzung erfolgte durch den Vertrag zwischen der Bundesrepublik und dem Vereinigten Königreich vom 25. November 1971 (BGBl. 1972 II, S. 897). Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 41 4. The natural resources referred to in these articles consist of the mineral and other non-living resources of the seabed and subsoil together with living organisms belonging to sedentary species, that is to say, organisms which, at the harvestable stage, either are immobile on or under the seabed or are unable to move except in constant physical contact with the seabed or the subsoil." Der IGH hatte bereits in seinem Urteil vom 20. Februar 1969 im North Sea Continental Shelf Case festgestellt, daß der Inhalt dieser Vorschrift gewohnheitsrechtlich auch für diejenigen Staaten gelte, die - wie die Bundesrepublik - die Konvention nicht ratifiziert hatten.142 Von Rechten in bezug auf den Meeresumweltschutz ist in dieser Vorschrift nicht die Rede. Daraus ohne weiteres auf die Unzulässigkeit des Erlasses umwelt(straf)rechtlicher Vorschriften zu schließen, wäre allerdings vorschnell, da mit den Begriffen "Erforschungs- und Ausbeutungsrecht" die Rechte des Küstenstaates nicht erschöpfend umschrieben sind, sondern weitergehende Rechtsetzungsbefugnisse als Annexkompetenz notwendig hinzukommen müssen.143 Wenn etwa, wie es in der überwiegenden Zahl der Fälle sein wird, ein Staat den Festlandsockel nicht durch eigene Unternehmen ausbeutet, sondern sich privater Firmen bedient, muß das verwaltungsrechtliche Instrumentarium für die Vergabe von Erforschungs- und Förderkonzessionen bereitgestellt werden.144 Es muß ferner ein Steuer- und Abgabensystem für die Ölförderung auf dem Festlandsockel geschaffen werden, um den staatlichen Anteil an den Erträgen zu sichern.145 Weiter ist es erforderlich, die notwendigen Rechtsnormen für die Beachtung von Arbeitssicherheit und Arbeitnehmerschutz auf Bohrplattformen zu verabschieden. 146 Man wird 142 ICJ Reports 1969, S. 22; in diesem Punkt waren sich auch diejenigen Richter einig, die eine dissenting opinion abgegeben hatten, ebenso die Literatur (vgl. z.B. F. Münch, Das Urteil des Internationalen Gerichtshofes vom 20. Februar 1969, ZaöRV 29 (1969), S. 475; Rüster, S. 234 ff., m. w. Nachw. in Fn. 399). 143 Vgl. zum Umfang staatlicher Gesetzgebungsbefugnis in bezug auf den Festlandsockel H. Schneider, Gesetzgebung, S. 284 f., der gerade in Zusammenhang mit den Rechten am Festlandsockel betont, daß der "Anspruch auf Geltung staatlichen Rechts über das eigene Territorium hinaus ... selbstverständlich einen besonderen Rechtstitel (voraussetzt)". 144 Dies ist mit Verabschiedung des Gesetzes vom 24.7.1964 zur vorläufigen Regelung der Rechte am Festlandsockel (BGBl. 1964 I, S. 497), jetzt ersetzt durch die §§ 134 ff., 175 Nr. 5 BBergG vom 14.8.1980 (BGBl. 1980 I, S. 1310), geschehen. 145 Der Gesetzgeber hat alle einschlägigen Steuergesetze um den Satz ergänzt: "Zum Inland im Sinne dieses Gesetzes gehört auch der der Bundesrepublik Deutschland zustehende Anteil am Festlandsockel, soweit dort Naturschätze des Meeresgrundes und des Meeresuntergrundes erforscht oder ausgebeutet werden" (§§ 1 Abs. 1 S. 2 EStG, 1 Abs. 3 KStG, 1 Abs. 4 VStG, 2 Abs. 8 GewStG, 2 Abs. 2 ErbStG). 146 Dies ist zwischenzeitlich in den §§ 2-18 der Festlandsockel-Bergverordnung vom 21. März 1989 (BGBl. 1989 I, S. 554) geregelt. 42 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht deshalb dem Küstenstaat, auf dessen Festlandsockel in Zusammenhang mit der Erforschung oder Ausbeutung seiner Naturschätze eine Umweltstraftat begangen wird, kaum das Recht absprechen können, diese Tat strafrechtlich zu bewerten und zu verfolgen. Die Bundesrepublik hatte mit § 7 Abs. 2 FestlandsockelG147 eine entsprechende Vorschrift erlassen: "Mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer vorsätzlich im Zusammenhang mit einer Handlung nach § 1148 die See durch Öl verschmutzt. Wer die Tat fahrlässig begeht, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft." Der Erlaß dieser Vorschrift kann schwerlich als über die vom Völkerrecht gewährten Rechte am Festlandsockel hinausgehend verworfen werden. Wenn ausschließlich die Bundesrepublik für die Genehmigung von Aktivitäten auf dem deutschen Festlandsockel zuständig ist, gleich, ob diese von Deutschen oder Ausländern vorgenommen werden, so bedeutet dies gleichzeitig auch, daß nur die Bundesrepublik gegen ungenehmigte Handlungen auf dem deutschen Festlandsockel einschreiten darf; als minus hierzu gehört auch das Vorgehen gegen unsachgemäße Aktivitäten wie die Verschmutzung der See in Zusammenhang mit einer im übrigen genehmigten Handlung. In diesem Zusammenhang wären sogar weitergehende Kontroll- und Sanktionsbefugnisse denkbar, etwa die Bestrafung der unsachgemäßen Beseitigung von Abfällen und Abwässern einer Ölförderplattform oder die Sanktionierung der Versenkung einer Bohrinsel auf dem Festlandsockel nach Abschluß der Fördertätigkeit. In der Festlandsockel-Bergverordnung149 hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich entsprechende Regelungen getroffen. Unter der Überschrift "Abwasser, Abfall" heißt es in § 27: "(1) Der Unternehmer hat ölhaltiges Abwasser, das im Zusammenhang mit der Aufsuchung, Gewinnung und Aufbereitung von Bodenschätzen einschließlich von ölhaltigem Niederschlagswasser anfällt, zu sammeln und vor einer Einleitung in das Meer zu behandeln. Der Ölgehalt des behandelten Abwassers darf bei Einleitung in das Meer nicht mehr als 30 mg/l betragen. Möglichkeiten zur Verminderung von Schadstoffeinleitungen durch weitergehende Abwasserreinigungsmaßnahmen sind zu nutzen. 147 Diese Bestimmung wurde aufgehoben durch Art. 8 Nr. 1 lit. b) des 18. StrÄndG vom 28. März 1980, BGBl. 1980 I, S. 378. 148 Damit sind die Aufsuchung und Gewinnung von Bodenschätzen des deutschen Festlandsockels und jede mit Bezug auf den Festlandsockel vorgenommene Forschungshandlung gemeint. 149 Vom 21. März 1989 (BGBl. I, S. 554). Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 43 (2) Der Unternehmer darf Abwasser aus sanitären Einrichtungen, Küchen und Speiseräumen nur in das Meer einleiten, wenn es entsprechend dem Stand der Technik gereinigt wird und dabei ein Abbau von mindestens 90 % der organischen Inhaltsstoffe erzielt wird (biologische Vollreinigung). Zurückgehaltene Feststoffe müssen an Land entsorgt werden. Einzuleitendes Abwasser darf nicht gechlort werden. (3) Es ist verboten, Abfall in das Meer einzubringen." Ein Verstoß gegen diese Bestimmung wird gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 14 der Verordnung ebenso wie das vorschriftswidrige Beseitigen von Bohrklein und Arbeitsgeräten als Ordnungswidrigkeit verfolgt. Anders zu beurteilen ist dagegen die pauschale Ausdehnung der Strafgewalt auf alle Umweltstraftaten nach den §§ 324, 326, 330 und 330a StGB, die im Bereich des deutschen Festlandsockels begangen werden. Ein ausländisches Schiff, das bei seiner Fahrt vom Staat A zum Staat B den deutschen Festlandsockel überquert, ohne diesen zu erforschen oder seine Bodenschätze auszubeuten, steht nicht unter der auf die Rechte am Festlandsockel funktional beschränkten Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland; das Schiff befindet sich im Bereich des deutschen Festlandsockels vielmehr auf der Hohen See.150 Dies bedeutet, daß die für den Bereich der Hohen See geltenden Bestimmungen auch in diesem Bereich soweit und solange Anwendung finden, als nicht in besonderen Vorschriften anderes bestimmt ist; gemäß Art. 6 Abs. 1 Hohe-See-Übk. unterstehen aber Schiffe auf der Hohen See der ausschließlichen Hoheitsgewalt des Flaggenstaates: "Ships shall sail under the flag of one State only and, save in exceptional cases expressly provided for in international treaties or in these articles, shall be subject to its exclusive jurisdiction on the high seas."151 Eine ausdrückliche Ausnahme für Zwecke des Umweltschutzes im Bereich des Festlandsockels ist weder dem Hohe-See-Übereinkommen selbst noch - soviel sei der nachstehenden Untersuchung in § 4 vorweggenommen dem geltenden Völkervertragsrecht zu entnehmen. Der Bereich des Festlandsockels unterscheidet sich letztlich nicht von für Zwecke des Umweltschutzes eigens errichteten Zonen, deren äußere Grenzen mehr oder weni150 Gemäß Art. 1 Hohe-See-Übk. umfaßt der Begriff "Hohe See" alle Meeresgebiete, die nicht zum Küstenmeer oder zu den inneren Gewässern eines Staates gehören, also auch den Bereich des Festlandsockels; dementsprechend wird in Art. 3 FLSÜbk der Rechtsstatus der über dem Festlandsockel befindlichen Gewässer als Hohe See ausdrücklich festgehalten. 151 Gleichlautend Art. 92 Abs. 1 S. 1 UNSRK. 44 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht ger willkürlich auf eine bestimmte Entfernung von der Küste festgelegt werden. Derartige Zonen sind in der Vergangenheit - nicht zuletzt von der Bundesrepublik - stets als völkerrechtswidrig zurückgewiesen worden, wie die Beispiele des kanadischen 152 und des omanischen 153 Meeresverschmutzungskontrollgesetzes zeigen. Auch die Begründung von strafprozessualen Ermittlungsrechten und -pflichten für Bundesvollzugsbeamte 154 im Bereich des deutschen Festlandsockels wird von den küstenstaatlichen Rechten am Festlandsockel, wie sie vom Völkerrecht bestimmt werden, nicht gedeckt. Es verbleibt vielmehr bei der allgemeinen Regel in Art. 19 Abs. 5 KMK, wo es heißt: "The coastal State may not take any steps on board a foreign ship passing through the territorial sea to arrest any person or to conduct any investigation in connection with any crime committed before the ship entered the territorial sea, if the ship, proceeding from a foreign port, is only passing through the territorial sea without entering internal waters."155 Diese die Ausübung von Zwangsmaßnahmen betreffende Bestimmung hat um so mehr auf ein ausländisches Schiff Anwendung zu finden, das nicht einmal deutsche Küstengewässer befährt, sondern den deutschen Festlandsockel nur überquert. Es verbleibt im Falle einer Umweltverschmutzung bei den allgemeinen völkerrechtlichen Bestimmungen; diese sehen allein die Strafgewalt des Flaggenstaates für auf der Hohen See begangene Umweltstraftaten vor, jedenfalls solange und soweit diese keine Auswirkungen auf schützenswerte Interessen dritter Staaten zeigen. 152 S. o. § 3 V. 2. 153 S. o. § 3 V. 3. 154 Durch Art. 11 des Gesetzes vom 11. Februar 1977 zu den Übereinkommen vom 15. Februar 1972 und 29. Dezember 1972 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen durch Schiffe und Luftfahrzeuge (BGBl. 1977 II, S. 165) und Art. 4 des MARPOL-Zustimmungsgesetzes vom 23. Dezember 1981 (BGBl. 1982 II, S. 2); s. dazu u. § 21 XII. 2). 155 Gleichlautend Art. 27 Abs. 5 UNSRK, der allerdings mit dem Nebensatz eingeleitet wird: "Except as provided in Part XII or with respect to violations of laws and regulations adopted in accordance with Part V, the coastal State ..."; Teil XII enthält die Bestimmungen über die "Protection an Preservation of the Marine Environment" [s. dazu ausführlich u. § 23], Teil V befaßt sich mit der "Exclusive Economic Zone" [s. dazu ausführlich u. § 22 II. 3.]; vgl. zu dieser Bestimmung Shearer, ICLQ 35 [1986], S. 328. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 3. 45 Zusammenfassung Die Küstenstaaten besitzen aufgrund der völkergewohnheitsrechtlichen Bestimmungen, wie sie überwiegend in dem Genfer FLSÜbk. vom 29. April 1958 kodifiziert sind, ausschließliche Rechte an den Bodenschätzen des Meeresgrundes und -untergrundes im Bereich des ihnen vorgelagerten Festlandsockels. Diese Rechte sind nicht ausschließlich auf das reine Aufsuchen und Fördern der Bodenschätze beschränkt, sondern umfassen als Annexkompetenz auch die Regelungsbefugnis in sonstigen mit der Aufsuchung oder Gewinnung von Bodenschätzen zusammenhängenden Bereichen wie beispielsweise die Kontrolle von Arbeitssicherheit und Arbeitnehmerschutz an Bord von Ölförderplattformen, die Besteuerung von Gewinnen aus der Fördertätigkeit; dazu gehört auch die strafrechtliche Kontrolle von Verschmutzungen der über dem Festlandsockel befindlichen Hohen See, soweit diese durch die Aufsuchung oder Gewinnung von Bodenschätzen des Festlandsockels verursacht werden oder hiermit sonst in Zusammenhang stehen. Die generelle Erfassung von Umweltstraftaten, die den Tatbestand der §§ 324, 326, 330 oder 330a StGB erfüllen, im Bereich des deutschen Festlandsockels ist dagegen vom völkerrechtlichen Festlandsockelregime nicht erfaßt. VIII. Ergebnis Grundsätzlich unterscheidet sich die Strafgewalt eines Staates über das Meer nicht von der über ausländisches Territorium: Taten, die im Bereich des Meeres begangen werden, können von einem Staat seiner Strafgewalt unterstellt werden, wenn eine sinnvolle Verbindung zu diesem besteht. Diese Verbindung kann in der inländischen Staatsangehörigkeit von Täter oder Opfer bestehen. Sie kann insbesondere bei Straftaten auf dem Meer auch darin bestehen, daß das Schiff, an Bord dessen die Straftat begangen wird, die Flagge des betreffenden Staates führt. Diese Anknüpfungspunkte, die fast alle Staaten ihrem internationalen Strafrecht zugrunde gelegt haben, sind als Ausnahmen vom Grundsatz der ausschließlichen Hoheitsgewalt des Flaggenstaates über eigene Schiffe auf der Hohen See gewohnheitsrechtlich anerkannt. Ferner kann ein Staat seine Strafgewalt in Anwendung des Territorialitätsprinzips auch auf solche Taten erstrecken, die sich an Bord eines Schiffes ereignen, das die zum Inland gehörenden Meeresteile156 befährt; dies gilt jedoch nicht unbeschränkt wie im übrigen Staatsgebiet, sondern unter den besonderen Voraussetzungen des Völkergewohn156 Dies sind die inneren Gewässer (s. dazu o. § 3 III.) und das Küstenmeer (s. dazu o. § 3 IV.). 46 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht heitsrechts, wie es im Genfer Übereinkommen über das Küstenmeer und die Anschlußzone vom 29. April 1958157 seinen Niederschlag gefunden hat. Die Bundesrepublik ist der Völkerrechtslage nach der KMK in Umkehrung des darin aufgestellten Regel-/Ausnahmeverhältnisses dadurch nachgekommen, daß sie ihre Strafgewalt materiellrechtlich unbeschränkt auf das zum Inland gehörende Küstenmeer erstreckt (§ 3 StGB) und für Taten, die von einem Ausländer auf einem ausländischen Schiff im Küstenmeer begangen werden, eine besondere Möglichkeit der Verfahrenseinstellung bereitgestellt hat (§ 153c Abs. 1 Nr. 2 StPO). Dagegen ist die Erfassung von Straftaten, die auf dem Meer ohne jede Beziehung zum Inland begangen werden, ebensowenig zulässig wie bei sonstigen Auslandstaten. Dies gilt uneingeschränkt auch für Meeresverschmutzungen. Aus dem Umstand, daß eine Meeresverschmutzung im Bereich des deutschen Festlandsockels begangen wird, resultiert zwar eine strafrechtlich relevante sinnvolle Anknüpfung für die Begründung deutscher Strafgewalt. Die in den §§ 324, 326, 330 und 330 a StGB begründeten und auf den Festlandsockel ausgedehnten Verbote bedeuten jedoch eine Einschränkung der Freiheit der Meere, die vom Völkerrecht gestattet sein muß. Die in jüngster Zeit entstandenen Vorzugsrechte der Küstenstaaten in den ihrem Küstenmeer vorgelagerten Zonen, die jedoch weiterhin zu der allen Nationen offenstehenden Hohen See gehören, beziehen sich nicht auf Meeresverschmutzungen ausländischer Schiffe; dies gilt insbesondere auch für den Bereich des Festlandsockels, in dem den Küstenstaaten lediglich besondere Rechte in bezug auf die Erforschung und Ausbeutung der Naturschätze des Meeresgrundes und -untergrundes zustehen. Versuche anderer Staaten wie Kanada158 und Oman159, in küstennahen Zonen Meeresverschmutzungsvorgänge ihrer Hoheitsgewalt zu unterstellen, sind bislang stets als völkerrechtswidrig zurückgewiesen worden. 157 S. o. § 3 IV. 2. 158 S. o. § 3 V. 2. 159 S. o. § 3 V. 3. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 47 §4 Die strafrechtlichen Befugnisse auf dem Gebiet des Meeresumweltschutzes nach Völkervertragsrecht I. Vorbemerkung Die vorangegangene Untersuchung des Völkergewohnheitsrechts hat gezeigt, daß sich aus dem allgemeinen Seevölkerrecht keine Befugnis für den Küstenstaat herleiten läßt, auf dem Festlandsockel begangene Umweltstraftaten generell der eigenen Strafgewalt zu unterstellen. Damit kann die völkerrechtliche Prüfung freilich nicht abgeschlossen werden, sondern es müssen im folgenden die speziell zum Schutze der Meeresumwelt ergangenen völkerrechtlichen Verträge, die in der jüngsten Vergangenheit unterzeichnet worden sind, auf das Kriterium Strafgewalt bei Meeresverschmutzungen hin untersucht werden.160 Erst danach kann abschließend beurteilt werden, ob de lege lata die in § 5 Nr. 11 StGB vorgenommene Ausdehnung deutscher Strafgewalt auf den Festlandsockel in Einklang mit dem Völkerrecht steht. II. Das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Verschmutzung der See durch Öl vom 12. Mai 1954 (OILPOL161)162 1. Regelungsinhalt und Geltungsbereich Das OILPOL163 war ein erster Versuch, die Verschmutzung der Weltmeere durch das Ablassen von betriebsbedingt angefallenem Öl durch Schiffe, 160 Als Fundstelle wird im folgenden primär das Bundesgesetzblatt angegeben, daneben die Textsammlungen von Edom/Rapsch/Veh (Hrsg.), Reinhaltung des Meeres, 1986, und von Platzöder/Graf Vitzthum (Hrsg.), Seerecht, 1984, und schließlich die umfassende Materialiensammlung von Rüster/Simma (Hrsg.), International Protection of the Environment, Treaties and Related Documents, 31 Bände, 1975-1983 (ab Band XVIII zeichnen Rüster/Simma/Bock als Herausgeber verantwortlich). 161 Die jedem Übereinkommen in Klammern beigefügte Kurzform ist die allgemein übliche Abkürzung, die im weiteren Verlauf der Arbeit verwendet wird. 162 International Convention for the Prevention of Pollution of the Sea by Oil, unterzeichnet in London am 12. Mai 1954 (BGBl. 1956 II, S. 379; Rüster/Simma, Bd. I, S. 332 ), in Kraft getreten am 26. Juli 1958 (BGBl. 1957, S. 1696, berichtigt in BGBl. 1958 II, S. 91), geändert am 11. April 1962 (BGBl. 1964 II, S. 749) - in Kraft getreten am 18. Mai 1967 (BGBl. 1967 II, S. 2330) -, am 21. Oktober 1969 (BGBl. 1978 II, S. 1495) und am 12. Oktober 1971 (BGBl. 1978 II, S. 1515) - beide Änderungen in Kraft getreten am 20. Januar 1978 (BGBl. 1979 II, S. 657) -; Neubekanntmachung des Zustimmungsgesetzes in BGBl. 1979 II, S. 62, zuletzt geändert durch Art. 10 des 18. StrÄndG vom 28. März 1980 (BGBl. 1980 I, S. 373). 163 Einen allgemeinen Überblick über das OILPOL geben Edom/Rapsch/Veh, S. 21 ff. 48 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht wenn auch nicht vollständig zu verbieten, so doch wenigstens zu beschränken. Es erfaßte zunächst nur die Ölverschmutzung durch Tankschiffe und wurde erst bei späteren Revisionen auf andere Schiffstypen ausgedehnt. Weitere Verschmutzungsursachen wie das Verklappen von Chemikalien oder das Versenken von Abfällen betrifft dieses Übereinkommen nicht. Das OILPOL schreibt im wesentlichen vor, daß die einbezogenen Schiffe, die eine bestimmte Mindestgröße aufweisen müssen, eine ölhaltige Flüssigkeit, deren Ölanteil geringer als 100 ppm sein muß, nur unter Einhaltung einer näher bestimmten Entfernung vom nächstgelegenen Land und nur in bestimmten Höchstmengen pro Seemeile ablassen dürfen; zur Festhaltung dieser Vorgänge ist jedes Schiff verpflichtet, ein Öltagebuch zu führen. Das OILPOL gilt im Prinzip weltweit; bis zum 25. Oktober 1985 waren ihm neben der Bundesrepublik 72 weitere Staaten - darunter alle Nordseeanrainerstaaten - beigetreten.164 Heute gilt dieses Abkommen nur noch im Verhältnis zu denjenigen Staaten, die dem MARPOL165 von 1973/1978 noch nicht beigetreten sind.166 2. Der strafrechtlich relevante Regelungsinhalt Von strafrechtlicher Relevanz sind die Art. III Abs. 3, VI, X, XI des OILPOL in seiner ursprünglichen Fassung.167 Diese Vorschriften wurden bei der Revision des OILPOL vom 11. April 1962 geringfügig umgestaltet.168 In Art. III Abs. 3 a.F. heißt es: "Any contravention ... shall be an offence punishable under the laws of the relevant territory in which the ship is registered".169 164 Vgl. Edom/Rapsch/Veh, S. 22. 165 S. u. § 4 III. 166 Art. 9 MARPOL. 167 BGBl. 1956 II, S. 381 = Edom/Rapsch/Veh, S. 332. 168 BGBl. 1964 II, S. 751 = Edom/Rapsch/Veh, S. 346; der ursprüngliche Art. III Abs. 3 wurde zu Art. VI Abs. 1, der ursprüngliche Art. VI zu Art. VI Abs. 2; Art. X Abs. 2 wurde erneut geändert am 21. Oktober 1969 (BGBl. 1978 II, S. 1495 = Edom/ Rapsch/Veh, S. 368). 169 In Art. VI Abs. 1 n.F. wurde der Wortlaut leicht verändert; dort heißt es nun: "Any contravention ... shall be an offence punishable under the law of the relevant territory in respect of the ship ...". Hierin ist wie in der a.F. die Statuierung des Flaggenprinzips zu sehen; ebenso Edom/Rapsch/Veh, S. 24; Hakapää, Marine Pollution in International Law, S. 112 bei Fn. 241; Nehlmeyer-Günzel, Der maritime Umweltschutz, S. 72; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 24, 858; Schultheiss, Umweltschutz und die Freiheit der Meere, S. 190. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 49 Es wird den Unterzeichnerstaaten damit zur Pflicht gemacht, in Anwendung des Flaggenprinzips für Schiffe, die im Inland registriert sind, dem OILPOL entsprechende Strafvorschriften zu erlassen. Diese Vorschriften müssen für Verletzungen, die außerhalb der eigenen Küstengewässer begangen werden, Strafen vorsehen, die "...shall be adequate in severity to discourage any such unlawful discharge ..." und die nicht geringer sein dürfen als für entsprechende Verschmutzungen des Küstenmeeres.170 In Art. X wird das Recht eines jeden Unterzeichnerstaates betont, eine Verletzung des OILPOL, wo auch immer diese erfolgt sein mag, dem Flaggenstaat mitzuteilen. Den Flaggenstaat trifft bei Vorlage hinreichenden Beweismaterials eine Ermittlungs- und Verfolgungspflicht gegen den Eigentümer oder Kapitän des betreffenden Schiffes; er hat dem Anzeigestaat und der IMCO171 Mitteilung von den gegen das Schiff getroffenen Maßnahmen zu machen. Schließlich ist der - seit 1954 unverändert gebliebene - Art. XI von Bedeutung; er lautet: "Nothing in the Present Convention shall be construed as derogating from the powers of any Contracting Government to take measures within its jurisdiction in respect of any matter to which the Convention relates or as extending the jurisdiction of any Contracting Government."172 Auch dieser Bestimmung kann nichts für eine Erweiterung der Strafgewalt - als Teil der Hoheitsgewalt173 - entnommen werden; es wird lediglich darauf hingewiesen, daß die bereits bestehende staatliche Hoheitsgewalt durch das OILPOL weder eingeschränkt noch ausgedehnt werden soll. Die völkergewohnheitsrechtlich zulässige174 Bestrafung von fremden Schiffen, die das Küstenmeer und damit inländisches Territorium durch Öl ver170 Art. VI Abs. 2 n.F.; in Art. VI a.F. war der zitierte präventive Aspekt der Strafen noch nicht enthalten. 171 "Inter-Governmental Maritime Consultative Organization", seit 22. Mai 1982 umbenannt in "International Maritime Organization" (=IMO); vgl. zu den Aufgaben der IMCO bzw. IMO Lampe, Sicherheit der Schiffahrt und Schutz der Meeresumwelt - Die Internationale Seeschiffahrtsorganisation (IMCO/IMO), VN 30 (1982), S. 86 ff. 172 Die deutsche - nicht amtliche - Übersetzung lautet: "Die Bestimmungen dieses Übereinkommens dürfen nicht so ausgelegt werden, als beeinträchtigten sie die Befugnisse einer Vertragschließenden Regierung, innerhalb ihrer Hoheitsgewalt Maßnahmen bezüglich der in diesem Übereinkommen behandelten Sachgebiete zu treffen, oder als erweiterten sie die Hoheitsgewalt einer Vertragschließenden Regierung" (BGBl. 1956 II, S. 385). 173 Völlig zu Recht wird hier "jurisdiction" mit "Hoheitsgewalt" und nicht wie sonst vielfach üblich mit "Gerichtsbarkeit" übersetzt. 174 S. o. § 3 IV. 50 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht schmutzen, ist danach durch das OILPOL ebensowenig ausgeschlossen wie die Bestrafung von eigenen Staatsangehörigen, die für die Verschmutzung der Hohen See durch Öl von einem ausländischen Schiff aus verantwortlich sind: Die Strafkompetenz resultiert im ersten Fall aus der Territorialhoheit, im zweiten Fall aus der Personalhoheit. Dagegen ist die Bestrafung aller Meeresverschmutzungen durch Öl, auch auf bestimmte Teilbereiche der Hohen See beschränkt, nach dem OILPOL nicht zulässig: Diese Befugnis gehört weder zur herkömmlichen Hoheitsgewalt eines jeden Staates noch wird sie durch das OILPOL geschaffen. 3. Ergebnis Das OILPOL verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, in Anwendung des Flaggenprinzips Verschmutzungen des Meeres durch Öl durch im Inland registrierte Schiffe unter Strafe zu stellen. Es hindert die Unterzeichnerstaaten nicht, weitere völkerrechtlich zulässige Anknüpfungspunkte heranzuziehen und die Meeresverschmutzung durch Öl in größerem Umfang als im OILPOL vorgeschrieben unter Strafe zu stellen. Die Bestrafung von Meeresverschmutzungen außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets, die durch Ausländer auf ausländischen Schiffen begangen werden, ermöglicht das OILPOL jedoch nicht. III. Das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe vom 2. November 1973/17. Februar 1978 (MARPOL)175 1. Regelungsinhalt und Geltungsbereich Das am 2. Oktober 1983 in Kraft getretene 176 MARPOL gilt wie das OILPOL weltweit. Das Übereinkommen selbst enthält in nur zwanzig Artikeln Grundsätzliches über die Verpflichtung der Unterzeichnerstaaten, 175 International Convention for the Prevention of Pollution from Ships, unterzeichnet in London am 2. November 1973, abgedruckt in: BGBl. 1984 II, S. 231 (Übereinkommen i.d.F. des Protokolls vom 17.2.1978 durch Bekanntmachung v. 5.3.1984; Abdruck der Anlagen I - V in Anlagenband zu BGBl. 1984 II Nr. 8 v. 24.3.1984); geändert am 5.12.1985 (BGBl. 1986 II, S. 942 und Anlagenband); Edom/Rapsch/ Veh, S. 67; Rüster/Simma, Bd. II, S. 552 (Übereinkommen), Bd. XIX, S. 9451 (Protokoll). Zum Inhalt des MARPOL vgl. Edom/Rapsch/Veh, S. 24 ff. 176 BGBl. 1983 II, S. 632; die Fehlanzeigen hinsichtlich des Inkrafttretens von Bassiouni, International Criminal Law Conventions by Crime, in: Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law, Vol. I, 1986, S. 158, und von Nehlmeyer-Günzel, Der maritime Umweltschutz, 1986, S. 160, treffen nicht zu. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 51 das (schiffsbetriebsbedingte) Einleiten ('discharge') von Schadstoffen zu verhüten; die Einzelheiten sind in zwei Protokollen und fünf umfangreichen Anlagen geregelt. Protokoll I betrifft das Verfahren i.S.v. Art. 8, nach dem Ereignisse, bei dem Schadstoffe in das Meer gelangt sind, gemeldet werden müssen; Protokoll II führt das in Art. 10 angesprochene Schiedsverfahren für Streitigkeiten zwischen Vertragsparteien aus. Erst in den fünf Anlagen werden die Schadstoffe, die im Übereinkommen selbst nur allgemein definiert werden, näher bezeichnet. Anlage I enthält "Regeln zur Verhütung der Verschmutzung durch Öl", Anlage II "Regeln zur Überwachung der Verschmutzung durch als Massengut beförderte schädliche flüssige Stoffe", Anlage III "Regeln zur Verhütung der Verschmutzung durch Schadstoffe, die auf See in verpackter Form oder in Containern, ortsbeweglichen Tanks, Straßentankfahrzeugen oder Eisenbahnkesselwagen befördert werden", Anlage IV befaßt sich mit "Regeln zur Verhütung der Verschmutzung durch Schiffsabwasser" und Anlage V schließlich mit "Regeln zur Verhütung der Verschmutzung durch Schiffsmüll". Da das MARPOL i.V.m. Anlage I den Regelungsbereich des OILPOL vollständig mitumfaßt, tritt es für diejenigen Vertragsparteien an die Stelle jenes Übereinkommens, die beide Verträge ratifiziert haben.177 Mit der Unterzeichnung des MARPOL sollten gemäß Art. 14 die Anlagen I und II für die Vertragsstaaten automatisch verbindlich werden, während es sich bei den Anlagen III, IV und V um fakultative Regelwerke handelt. Tatsächlich ist am 2. Oktober 1983 zusammen mit dem eigentlichen MARPOL-Übereinkommen nur die Anlage I in Kraft getreten,178 weil nach der Unterzeichnung des MARPOL sich alsbald abgezeichnet hatte, daß die Ratifizierung durch die Unterzeichnerstaaten nur zögernd erfolgte. Die IMCO berief deshalb eine internationale Konferenz ein, die im Februar 1978 ein Protokoll verabschiedete, welches das MARPOL von 1973 änderte und ergänzte und dessen integrativer Bestandteil wurde.179 Gleichzeitig legte das Protokoll fest, daß zunächst nur die Anlage I mit dem Übereinkommen selbst in Kraft treten sollte. 177 Art. 9 Abs. 1 MARPOL. 178 Vgl. hierzu und zum folgenden Edom/Rapsch/Veh, S. 25 ff.; inzwischen ist die erforderliche Anzahl von Ratifikationen der Anlage V erreicht, so daß diese am 31.12.1988 in Kraft treten kann (vgl. Ehlers, Wichtige Fortschritte beim Schutz der Nordsee, NuR 1988, S. 129 in Fn. 22). 179 Aus diesem Grund wird das Übereinkommen auch als "MARPOL von 1973/1978" bezeichnet. 52 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Eine Verbesserung des MARPOL mit Anlage I gegenüber dem OILPOL ist die Einführung von sogenannten Sondergebieten,180 zu denen im europäischen Raum die Ostsee, das Mittelmeer und das Schwarze Meer gehören.181 In diesen Sondergebieten ist für alle Tanker und für sonstige Schiffe ab einer bestimmten Größe jegliches Ablassen von Öl verboten; nur kleinere Schiffe dürfen Öl in geringer Menge enthaltende Flüssigkeiten in Sondergebieten ablassen. 2. Der strafrechtlich relevante Regelungsinhalt Während die strafrechtlich relevanten Vorschriften des OILPOL sich auf die Festlegung des Flaggenprinzips beschränken, geht das MARPOL hierüber hinaus. In Art. 4 Abs. 1 werden die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, Verstöße unabhängig vom Begehungsort "im Recht der für das betreffende Schiff zuständigen Verwaltung unter Strafe" zu stellen. Hiermit ist zunächst das Flaggenprinzip genannt; da aber gemäß Art. 2 Nr. 4 in die Schiffsdefinition auch feste und schwimmende Plattformen einbezogen werden und gemäß Art. 2 Nr. 5 bei Plattformen, die zur Erforschung und Ausbeutung des Festlandsockelgrundes und -untergrundes eingesetzt sind, zuständige "Verwaltung" die Regierung des betreffenden Küstenstaates ist, stehen auch Einrichtungen im Bereich des Festlandsockels unter der Hoheits- und Strafgewalt des Küstenstaates, soweit diese mit der Erforschung oder Ausbeutung von Bodenschätzen des Festlandsockels befaßt sind. Daneben werden die (Küsten-)Staaten in Art. 4 Abs. 2 in Anwendung des Territorialitätsprinzips verpflichtet, 182 in ihrem Hoheitsbereich 183 begangene Verstöße unter Strafe zu stellen; wird ein Verstoß im Hoheitsbereich eines (Küsten-)Staates (d.h. im Küstenmeer oder in den inne180 MARPOL Anlage 1, Regel 10, abgedr. bei Edom/Rapsch/Veh, S. 96. 181 Es ist das Bestreben der Bundesrepublik, auch die Nordsee zum Sondergebiet erklären zu lassen; entsprechende Bemühungen - beispielsweise bei der 1. INK in Bremen am 31.10./1.11.1984 - scheiterten zunächst freilich insbesondere am Widerstand Großbritanniens; vgl. Ehlers, Die erste Internationale Nordseeschutz-Konferenz, NuR 1985, S. 102, 104. Auf der 2. INK am 24./25.11.1987 in London konnte die Bundesrepublik demgegenüber durchsetzen, daß bei der IMO die erforderlichen Schritte zur Ausweisung der Nordsee als Sondergebiet nach Anlage V des MARPOL eingeleitet wurden (vgl. Ehlers, NuR 1988, S. 128). Unzutreffend sind dagegen Pressemeldungen (vgl. z.B. FAZ Nr. 274 v. 26.11.1987, S. 1), wonach die 2. Internationale Nordseeschutz-Konferenz selbst bei ihrem Treffen in London die Nordsee zum Sondergebiet erklärt haben soll; hierzu fehlte ihr jegliche Zuständigkeit. 182 So auch Hakapää, S. 112 f. 183 So lautet die deutsche - amtliche, aber nicht verbindliche (vgl. Art. 20 S. 2 MARPOL) Übersetzung von jurisdiction. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 53 ren Gewässern)184 tatsächlich begangen, so soll der betreffende Staat entweder selbst ein (Straf-)Verfahren nach seinem Recht einleiten oder den Flaggenstaat mit Beweismaterial versorgen, damit dieser ein Strafverfahren einleiten kann. Ähnlich wie Art. VI Abs. 2 OILPOL verlangt auch Art. 4 Abs. 4 MARPOL von den Vertragsparteien, daß die in Anwendung des Territorialitätsprinzips oder des Flaggenprinzips angedrohten Strafen durch ihre Höhe abschreckend wirken müssen; vom Tatort abhängige Unterschiede dürfen nicht gemacht werden. Zwischen der Unterzeichnung des OILPOL und dem Abschluß des MARPOL hatte das Festlandsockelregime in der Genfer Festlandsockelkonvention vom 29. April 1958 185 seine Kodifikation gefunden; hierin dürfte der Grund für die Fassung von Art. 3 Abs. 2 MARPOL liegen, wonach das MARPOL die den Vertragsstaaten nach dem Völkerrecht zustehenden Rechte auf Ausbeutung und Erforschung des ihnen vorgelagerten Meeresbodens weder einschränken noch erweitern soll. Schließlich ist auf Art. 9 Abs. 3 MARPOL hinzuweisen, der eine Legaldefinition des Begriffs "jurisdiction" in Form einer dynamischen Verweisung enthält; die Vorschrift lautet: "The term 'jurisdiction' in the present Convention shall be construed in the light of international law in force at the time of application or interpretation of the present Convention."186 184 So de lege lata auch Hakapää, S. 113, der de lege ferenda nach Inkrafttreten der UNSRK auch die EEZ für miteinbezogen hält. Gündling, Ölunfälle bei der Ausbeutung der Festlandsockels, ZaöRV 37 (1977), S. 551, übersetzt jurisdiction in Art. 4 Abs. 2 mit Jurisdiktionsbereich und bezieht darin auch den Festlandsockel ein, soweit dessen Bodenschätze ausgebeutet werden, und kommt damit zu einer zweifachen Verantwortlichkeit des Küstenstaates für den Festlandsockel. 185 S. dazu o. § 3 VII. 186 Die amtliche, aber nicht verbindliche (Art. 20 MARPOL) deutsche Übersetzung lautet: "Der Ausdruck "Hoheitsbereich" in diesem Übereinkommen ist entsprechend dem bei der Anwendung oder Auslegung dieses Übereinkommens geltenden Völkerrecht auszulegen." Es fällt hier die Übersetzung von "jurisdiction" nicht mit "Hoheitsgewalt" wie im OILPOL (s.o. § 4 II. 2. in Anm. 173), sondern mit "Hoheitsbereich" auf, was m.E. zu eng ist: So ist etwa in Art. 5 Abs. 2 von "ports or offshore-terminals under the jurisdiction of a party" die Rede; gerade offshore-terminals befinden sich häufig im Bereich des Festlandsockels, der nicht zum "Hoheitsbereich" des Küstenstaates gehört, auf dem befindliche Anlagen zur Ölförderung und -verladung aber sehr wohl der "Hoheitsgewalt" des Uferstaates unterstehen (ebenso wohl Gündling, ZaöRV 37 [1977], S. 551). 54 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Diese Formulierung wurde von den Konferenzteilnehmern angesichts der gleichzeitig beginnenden 3. UN-Seerechtskonferenz gewählt, weil man den Verhandlungen nicht vorgreifen und gleichzeitig erreichen wollte, auf jener Konferenz erzielte Erweiterungen der Jurisdiktionsbereiche sogleich im Rahmen des MARPOL umsetzen zu können. 187 Eine Ausdehnung der Hoheitsgewalt der Unterzeichnerstaaten kann dem MARPOL nicht entnommen werden; es kann auch nicht als Ermächtigungsgrundlage für eine autonome Ausdehnung der Hoheitsgewalt durch eine Vertragspartei herangezogen werden. Das Übereinkommen verweist vielmehr - dies gilt insbesondere für Art. 4 Abs. 2 - auf die jederzeit durch das allgemeine Völkerrecht vorgegebene Festlegung der staatlichen Hoheitsgewalt bzw. des staatlichen Hoheitsbereichs. Da aber das allgemeine Völkerrecht weder die generelle Erstreckung der Strafgewalt auf Meeresverschmutzungen in der gesamten Welt noch auf den Bereich des eigenen Festlandsockels beschränkt zuläßt, gibt auch das MARPOL für die Ausdehnung der Strafgewalt bei Meeresverschmutzungen keine neuen Erkenntnisse her. 3. Ergebnis Das MARPOL verpflichtet die Unterzeichnerstaaten als Träger der Flaggen- und der Territorialhoheit, Meeresverschmutzungen durch Öl und nach Inkrafttreten der übrigen Anlagen auch durch die sonstigen in ihnen genannten Schadstoffe strafrechtlich zu erfassen. Auch - ausländische - feste und schwimmende Plattformen im Bereich des Festlandsockels werden der Strafgewalt des betreffenden Küstenstaates unterstellt; diese Unterstellung bewegt sich aber nur im Rahmen der nach allgemeinem Völkerrecht funktional auf die Erforschung und Ausbeutung der Bodenschätze des Festlandsockels beschränkten Rechte und geht nicht über das Maß an Rechten hinaus, das dem Küstenstaat ohnehin als Annexkompetenz zu den Erforschungs- und Ausbeutungsrechten auch ohne ausdrückliche vertragliche Regelung zusteht.188 Die Ausdehnung der Strafgewalt auf andere Meeresverschmutzungen gestattet das MARPOL dagegen nicht; einer solchen Ausdehnung würde es aber, sollte diese völkerrechtlich anerkannt werden, gemäß seinem Art. 9 Abs. 3 auch ohne ausdrückliche Anpassung nicht entgegenstehen. 187 Vgl. Abecassis/Jarashow, Oil pollution from ships, S. 92 f. 188 S. o. § 3 VII. 2. c). Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres IV. Das Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen durch Schiffe und Luftfahrzeuge vom 15. Februar 1972 (OSLO-Übk.)189 1. Regelungsinhalt und Geltungsbereich 55 Regelungsgegenstand des OSLO-Übk. ist - im Gegensatz zu den zuvor besprochenen Verträgen - das nicht-betriebsbedingte Einbringen ('dumping') von Schadstoffen durch Schiffe und Luftfahrzeuge. Hierzu zählte ursprünglich nicht das Verbrennen von Abfällen; diese Materie wurde erst nachträglich am 2. März 1983 durch Einfügung von Art. 8 Abs. 3 und Änderung von Art. 19 in den Vertrag einbezogen.190 Die Schadstoffe, die das OSLO-Übk. erfaßt, sind in drei Anlagen aufgeführt. Das Einbringen der in Anlage I genannten Stoffe ist grundsätzlich verboten;191 Abfälle, die die in Anlage II genannten Stoffe enthalten,192 dürfen gemäß Art. 6 nur nach vorheriger Genehmigung eines Unterzeichnerstaates eingebracht werden, wobei dieser die in Anlage III aufgeführten Bestimmungen zu beachten hat. In der Anlage IV wird der neugeschaffene Art. 8 Abs. 3 über die Seeverbrennung von Schadstoffen näher ausgeführt. Das OSLO-Übk. gilt für den Nordostatlantik von Grönland zu den Azoren und bis Gibraltar, für die Nordsee und das Eismeer, nicht jedoch für die Ostsee und das Mittelmeer.193 Zur Überprüfung der Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen und zur Wahrnehmung von Koordinations- und Sekretariatsaufgaben wurde eine Kommission mit Sitz in Oslo eingesetzt.194 189 Convention for the Prevention of Marine Pollution by Dumping from Ships and Aircraft, unterzeichnet in Oslo am 15. Februar 1972 (BGBl. 1977 II, S. 169; Rüster/ Simma, Bd. II, S. 530; in deutscher Übersetzung abgedr. bei Edom/Rapsch/Veh, S. 261; dort [S. 40 ff.] auch Erläuterungen zum Inhalt des Übereinkommens), für die Bundesrepublik in Kraft getreten am 23.12.1977 (BGBl. 1977 II, S. 1492) zuletzt geändert am 2.3.1983 (BGBl. 1986 II, S. 999); s. hierzu Gündling, Abfallbeseitigung auf See, NuR 1982, S. 42 ff. 190 BR-Drs. 257/85, S. 1; BGBl. 1986 II, S. 999. 191 Art. 5; sogenannte 'schwarze Liste'. 192 Sogenannte 'graue Liste'. 193 Das Geltungsgebiet wird kartographisch dargestellt bei Edom/Rapsch/Veh, S. 41. 194 Art. 16; OSCOM. 56 2. Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Der strafrechtlich relevante Regelungsinhalt Gegenüber den zuvor behandelten Übereinkommen enthält das OSLO-Übk. eine Neuerung. Gemäß Art. 15 Abs. 1 sind die Vertragsparteien verpflichtet, nicht nur die Einhaltung des Abkommens durch im Inland registrierte Schiffe und Luftfahrzeuge und durch Schiffe und Luftfahrzeuge, die in das eigene Küstenmeer Schadstoffe einbringen, zu überwachen; auch solche (ausländischen) Schiffe und Luftfahrzeuge, die im Inland mit Stoffen beladen werden, die in die Hohe See eingebracht werden sollen, sind in die Überwachungspflicht miteinbezogen. Allerdings ist nicht ganz klar, ob mit der in Abs. 1 des Art. 15 genannten Pflicht zur Überwachung der Einhaltung des Übereinkommens 195 auch das strafrechtliche Instrumentarium angesprochen ist, da demgegenüber in Abs. 3 desselben Artikels jede Vertragspartei ausdrücklich verpflichtet wird, in ihrem Hoheitsgebiet ('territory') geeignete Maßnahmen zur Verhütung und Bestrafung von Verstößen gegen das OSLO-Übk. zu treffen; dies könnte zu der Schlußfolgerung führen, daß in dem hier in Frage stehenden Abs. 1 nur präventive, nicht aber repressive Maßnahmen gemeint sind.196 Diese Auslegung hätte die unbefriedigende Konsequenz zur Folge, daß ausländische Schiffe und Luftfahrzeuge, die im Inland mit Schadstoffen beladen werden, zwar der Überwachungspflicht des Ladestaates nach Abs. 1 unterworfen wären, nicht aber dessen Strafgewalt. Diese Folge könnte vermieden werden, wenn unter der Pflicht der Unterzeichnerstaaten zur Ergreifung "geeignete(r) Maßnahmen zur Verhütung und Bestrafung von Verstößen" in Abs. 3 die Pflicht zur Einleitung tatsächlicher strafprozessualer Schritte zu verstehen ist. Für diese Auslegung spricht die Beschränkung in dieser Bestimmung auf das eigene Hoheitsgebiet, was gerade in Zusammenhang mit der Ausübung von Hoheitsgewalt plausibel erscheint. Bei dieser Auslegung wäre es folgerichtig, zu den in Abs. 1 des Art. 15 angesprochenen präventiven Maßnahmen auch den Erlaß von strafrechtlich abgesicherten Verbotsnormen - im Unterschied zu 195 Der englische authentische Text lautet: "Each Contracting Party undertakes to ensure compliance with the Provisions of this Convention." 196 Die Bundesrepublik hat diesen Schluß nicht gezogen und droht in dem Zustimmungsgesetz zum OSLO-Übk. vom 11. Februar 1977 (BGBl. 1977 II, S. 165, zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. April 1980, BGBl. 1980 II, S. 606) für das Einbringen von Stoffen in die Hohe See ohne Erlaubnis durch Schiffe unter deutscher Flagge wie durch Schiffe, die im Inland mit den einzubringenden Stoffen beladen werden, die Verfolgung der Tat als Ordnungswidrigkeit und die Verhängung von Geldbußen bis zu DM 100.000.an (Art. 10 i.V.m. Art. 2 Abs. 1); auch Oehler, GA 1980, S. 243, geht ohne weiteres davon aus, daß Art. 15 Abs. 1 OSLO-Übk. Strafverpflichtungen enthält. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 57 der Bestrafung als solcher - zu zählen, die durch ihre bloße Existenz ebenfalls präventiv wirken. Hinzu kommt, daß in die Überwachungspflicht in Art. 15 Abs. 1 insbesondere auch die im Inland registrierten Schiffe und Luftfahrzeuge einbezogen sind, die von jeher der Hoheits- und Strafgewalt des Flaggenstaates unterstehen; es befindet sich deshalb in Übereinstimmung mit den zuvor behandelten Meeresschutzkonventionen, wenn Art. 15 Abs. 1 das Strafrecht des Flaggenstaates über dessen eigene Schiffe zu einer Strafpflicht verstärkt. Aus diesen Gründen spricht alles dafür, Art. 15 Abs. 1 OSLO-Übk. auch die Verpflichtung zum Erlaß innerstaatlicher strafrechtlicher Normen in dem dort beschriebenen Umfang - d.h. für im Inland registrierte Schiffe und Luftfahrzeuge, für Schiffe und Luftfahrzeuge, die in das inländische Küstenmeer Schadstoffe einbringen, und für im Inland mit Schadstoffen beladene (ausländische) Schiffe und Luftfahrzeuge - zu entnehmen.197 3. Ergebnis Zwar läßt auch das OSLO-Übk. die Bestrafung aller Verschmutzungen der Hohen See durch das Einbringen von Schadstoffen durch Schiffe und Luftfahrzeuge, die in keiner Verbindung zum strafenden Staat stehen, nicht zu; es hätte dies entsprechend seinem generell beschränkten Geltungsgebiet auch nur für den Bereich des Nordostatlantiks und der Nordsee tun können. Das OSLO-Übk. bleibt mit seiner Verpflichtung der Unterzeichnerstaaten, auf Meeresverschmutzungen mit der Anwendung des Flaggen- und des Territorialitätsprinzips zu reagieren, im Rahmen des völkerrechtlich ohnehin Zulässigen. Neue Wege beschreitet das OSLO-Übk. jedoch mit der Einführung eines Lade- oder Verursacherprinzips, wonach auch ausländische Schiffe und Luftfahrzeuge für das Einbringen von Schadstoffen in die Hohe See im Inland bestraft werden können, wenn die Schadstoffe im Inland geladen wurden. 197 Ebenso Timagenis, Marine Pollution, Vol. I, Rn. 138: "Punishment of violations of the Convention is one of the means "to ensure compliance" with its provisions." 58 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht V. Das Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen vom 29. Dezember 1972 (LONDON-Übk.)198 1. Geltungsbereich und Regelungsinhalt Das LONDON-Übk. ist am 30. August 1975 international und rund zwei Jahre später, am 8. Dezember 1977, für die Bundesrepublik in Kraft getreten.199 Da auch das OSLO-Übk. für die Bundesrepublik fast zeitgleich in Kraft getreten ist200 und der Regelungsinhalt beider Übereinkommen im wesentlichen übereinstimmt, wurde beiden Konventionen in einem einzigen Gesetz, das auch Strafvorschriften enthält, zugestimmt.201 Dem LONDON-Übk. kommt eine eigenständige Bedeutung vor allem deshalb zu, weil sein Geltungsbereich nicht beschränkt ist, sondern weltweit alle Meeresgewässer mit Ausnahme der inneren Gewässer 202 erfaßt.203 Das LONDON-Übk. erfaßt "jede auf See erfolgende vorsätzliche Beseitigung von Abfällen oder sonstigen Stoffen von Schiffen, Luftfahrzeugen, Plattformen oder sonstigen auf See errichteten Bauwerken aus".204 Aus der Formulierung "Beseitigung auf See" - im Gegensatz zur Formulierung "in die Hohe See" im OSLO-Übk. - wird geschlossen, daß auch das Verbrennen von Abfällen auf See vom LONDON-Übk. erfaßt wird.205 Ausdrücklich ausgenommen vom Regelungsinhalt des LONDON-Übk. sind Abfälle 198 Convention on the Prevention of Marine Pollution by Dumping of Wastes and other Matter, unterzeichnet in London am 29. Dezember 1972 (BGBl. 1977 II, S. 155, 180; Rüster/Simma, Bd. II, S. 537; in deutscher Sprache abgedruckt bei Edom/Rapsch/Veh, S. 283; dort [S. 46 ff.] auch kommentiert), zuletzt geändert am 12.10.1978 (BGBl. 1987 II, S. 119). 199 BGBl. 1979 II, S. 273. 200 Am 23. Dezember 1977 (BGBl. 1977 II, S. 1492). 201 Gesetz vom 11. Februar 1977 zu den Übereinkommen vom 15. Februar 1972 und 29. Dezember 1972 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen durch Schiffe und Luftfahrzeuge, BGBl. 1977 II, S. 165, zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 28. April 1980, BGBl. 1980 II, S. 606. 202 Dies sind die sich von der sogenannten Basislinie, von der aus sich das Küstenmeer seewärts ersteckt, landwärts anschließenden Gewässer, vor allem also Häfen, Buchten und Flußmündungen; siehe näher dazu oben § 3 III. 203 Art. III Nr. 3. 204 So lautet die Definition von 'Einbringen' ('dumping') in Art. III Nr. 1 lit. a) i) LONDON-Übk. 205 Vgl. Edom/Rapsch/Veh, S. 46; Sondergutachten Umweltprobleme der Nordsee, BT-Drs. 9/692, S. 383. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 59 und sonstige Stoffe, die beim Betrieb von Schiffen, Luftfahrzeugen und Plattformen entstehen, sowie die Beseitigung von Abfällen, die aus der Ausbeutung und Verarbeitung von Mineralien des Meeresbodens entstehen.206 In der Regelungstechnik entspricht das LONDON-Übk. dem OSLO-Übk. Gemäß Art. IV Abs. 1 ist das Einbringen der in Anlage I (sogenannte 'schwarze Liste') genannten Stoffe verboten, das Einbringen der in Anlage II (sogenannte 'graue Liste') genannten Stoffe bedarf jeweils einer vorherigen Sondererlaubnis, und das Einbringen aller sonstigen Stoffe bedarf einer vorherigen allgemeinen Erlaubnis; bei der Erteilung von Erlaubnissen sind jeweils die in Anlage III genannten Kriterien zu beachten. Bemerkenswert ist, daß auf der 'schwarzen Liste' des LONDON-Übk. neben den in der 'schwarzen Liste' des OSLO-Übk. genannten Stoffen auch Rohöl, hochgradig radioaktive Stoffe sowie biologische und chemische Kampfmittel aufgeführt werden.207 Andererseits bestimmt Nr. 9 ausdrücklich, daß die Anlage I und damit ein absolutes Einbringungsverbot nicht für solche Stoffe gilt, welche die in Anlage I genannten Stoffe - dazu zählen organische Halogenverbindungen, Quecksilber und Cadmium - als Spurenverunreinigung enthalten; die Einbringung von Klärschlamm und Baggergut - diese Stoffe werden in der Anlage I Nr. 9 beispielhaft genannt - ist nach vorheriger Genehmigung also zulässig. 2. Der strafrechtlich relevante Regelungsinhalt Der strafrechtliche Regelungsinhalt des LONDON-Übk. stimmt mit dem des OSLO-Übk. fast wortgleich überein. Art. VII Abs. 2 verpflichtet die Vertragsstaaten, "in ihrem Hoheitsgebiet ('territory') geeignete Maßnahmen zur Verhütung und Bestrafung von Verstößen" gegen das LONDON-Übk. zu treffen, während Abs. 1 desselben Artikels in einer allgemeiner gehaltenen Formulierung die Anwendung der zur Durchführung des Übereinkommens erforderlichen Maßnahmen auf Schiffe und Luftfahrzeuge nach dem Flaggenprinzip und auf Schiffe und Luftfahrzeuge, die im Inland mit einzubringenden Schadstoffen beladen werden, vorschreibt. In - dem mißverständlich formulierten - Art. VII Abs. 1c) sind 206 Art. III Nr. 1 lit. a) i) bzw. lit. c). 207 Anlage I, Nr. 5-7. 60 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht in die Pflicht zur Anwendung der zur Durchführung erforderlichen Maßnahmen auch "alle Schiffe und Luftfahrzeuge sowie feste oder schwimmende Plattformen in ihrem Hoheitsbereich, von denen ein Einbringen angenommen wird",208 einbezogen. Im OSLO-Übk. bezog sich die entsprechende Vorschrift (Art. 15 Abs. 1c) auf Schiffe und Luftfahrzeuge, bei denen ein Einbringen in das Küstenmeer angenommen wird. Ob auch die Formulierung in Art. VII Abs. 1c) LONDON-Übk. so zu verstehen sein soll,209 ist nicht ganz eindeutig, kann aber in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben: Weder diese noch andere Bestimmungen des LONDON-Übk. verpflichten die Unterzeichnerstaaten zur unbeschränkten Ausdehnung der Strafgewalt bei Meeresverschmutzungen auf die Hohe See noch läßt die Konvention eine solche Ausdehnung zu. 3. Ergebnis Auch das LONDON-Übk. begründet keine schrankenlose Strafgewalt über Meeresverschmutzungen. Es geht mit der Verpflichtung der Unterzeichnerstaaten zur Anwendung des Territorialitätsprinzips traditionelle Wege und verfolgt mit der Anwendung des Lade- oder Verursacherprinzips, das wie alle anderen Prinzipien außer dem Weltrechtsprinzip eine sinnvolle Beziehung zum Inland aufweist, die bereits im OSLO-Übk. eingeschlagene Richtung. 208 Im englischen Original heißt es: "(c) Vessels and aircraft and fixed or floating platforms under its jurisdiction believed to be engaged in dumping." 209 Der Gesetzgeber hat sowohl dem OSLO-Übk. als auch dem LONDON-Übk. nur für die Hohe See - d.h. unter Außerachtlassung eigener wie fremder Küstengewässer - bei Tatbegehung durch im Inland registrierte oder beladene Schiffe innerstaatliche Geltung verschafft (Art. 2 Abs. 1 Zustimmungsgesetz, BGBl. 1977 II, S. 165 = Edom/Rapsch/Veh, S. 262). Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 61 VI. Das Übereinkommen über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets vom 22. März 1974 (HELSINKI-Übk.)210 1. Geltungsbereich und Regelungsinhalt Das HELSINKI-Übk. gilt für die gesamte Ostsee - ausgenommen die inneren Gewässer 211 der Vertragsparteien - bis zu ihrem Übergang in die Nordsee im Skagerrak; es wurde von allen sieben Ostseeanrainerstaaten unterzeichnet und ratifiziert. Von den zuvor genannten Übereinkommen unterscheidet sich das HELSINKI-Übk. insbesondere dadurch, daß es seinem Regelungsinhalt nach nicht auf bestimmte Verschmutzungsformen und -quellen beschränkt ist, sondern die Verschmutzung vom Land aus, die Verschmutzung durch Schiffe, gleich ob betriebsbedingt oder durch Abfallbeseitigung verursacht, die Verschmutzung in Zusammenhang mit der Erforschung und Ausbeutung des Meeresgrundes und die Bekämpfung einer bereits eingetretenen Meeresverschmutzung in seinen Regelungsbereich einbezieht. Gemäß Art. 7 Abs. 1 HELSINKI-Übk. treffen die Vertragsparteien die in der umfangreichen Anlage IV beschriebenen Maßnahmen, "um das Ostseegebiet vor Verschmutzung durch vorsätzliches, fahrlässiges oder unfallbedingtes Freisetzen von Öl und sonstigen Schadstoffen sowie durch Einleiten durch Schiffsabwasser und -müll zu schützen"; nicht geregelt ist, ob die Vertragsparteien die Einhaltung des HELSINKI-Übk. hinsichtlich dieser Verschmutzungsformen in Anwendung des Territorialitätsprinzips und/oder des Flaggenprinzips sicherstellen sollen. Das Einbringen ('dumping'), d.h. die auf See erfolgende vorsätzliche Beseitigung von Abfällen oder sonstigen Stoffen, 212 ist von den Vertragsparteien gemäß Art. 9 Abs. 1 grundsätzlich zu verbieten; lediglich 210 Convention on the Protection of the Marine Environment of the Baltic Sea Area (BGBl. 1979 II, S. 1229; Rüster/Simma, Bd. II, S. 683 [in englischer Sprache]; Edom/Rapsch/ Veh, S. 319 [in deutscher Sprache]); für die Bundesrepublik und international - ausgenommen die Anlage IV, die erst am 3. Mai 1981 in Kraft getreten ist - in Kraft getreten am 3. Mai 1980 (BGBl. 1980 II, S. 1449), zuletzt geändert am 27.2.1987 (BGBl. 1987 II, S. 206 [Zustimmungsverordnung], Anlage zu Nr. 9 [Konventionsänderungen]); zum Inhalt des HELSINKI-Übk. vgl. Edom/Rapsch/ Veh, S. 55 ff., und Ehlers, Zehn Jahre Helsinki-Übereinkommen - Ein Bericht, NuR 1984, S. 138 ff. 211 Zum Begriff "innere Gewässer" s.o. § 3 III. 212 Vgl. im einzelnen die Legaldefinition in Art. 2 Nr. 3 lit. a) HELSINKI-Übk. 62 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Baggergut darf nach vorheriger Genehmigung gemäß Art. 9 Abs. 2 eingebracht werden. Die Einhaltung des Einbringungsverbots ist gemäß Art. 9 Abs. 3 sicherzustellen für Schiffe und Luftfahrzeuge, die im Inland eingetragen sind oder im Inland Stoffe zum Zwecke des Einbringens laden oder die in das inländische Küstenmeer Stoffe einbringen. Schließlich ist gemäß Art. 10 HELSINKI-Übk. jede Vertragspartei verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Verhütung der Verschmutzung der Meeresumwelt des Ostseegebiets durch die Erforschung oder Ausbeutung ihres Teils des Meeresgrundes zu treffen. Von Bedeutung sind ferner die Art. 19 und 21 des HELSINKI-Übk. In Art. 19 heißt es: "Dieses Übereinkommen ist nicht so auszulegen, als beeinträchtige es die Freiheit der Schiffahrt, der Fischerei, der wissenschaftlichen Meeresforschung und der sonstigen rechtmäßigen Nutzung der Hohen See sowie das Recht der friedlichen Durchfahrt durch das Küstenmeer." Art. 21 bestimmt ausdrücklich, daß das HELSINKI-Übk. Rechte und Pflichten der Vertragsparteien aus anderen bereits abgeschlossenen oder noch abzuschließenden Verträgen zur Verhütung der Verschmutzung der Meeresumwelt nicht berührt. Zur Beobachtung der Durchführung des HELSINKI-Übk. wurde eine Kommission mit Sitz in Helsinki eingesetzt; sie soll u.a. mit der Durchführung des Übereinkommens zusammenhängende Maßnahmen empfehlen und Änderungsvorschläge unterbreiten sowie die wissenschaftliche und technische Forschung fördern.213 2. Die innerstaatliche Umsetzung Zur Durchführung und Umsetzung der im HELSINKI-Übk. getroffenen Regelungen in das innerstaatliche Recht hat der Gesetzgeber keine besonderen Anstrengungen unternommen.214 Das Zustimmungsgesetz vom 30. November 1979215 enthält neben der formalen Zustimmung des Bundestages zu dem Übereinkommen lediglich Ermächtigungsnormen an die 213 Vgl. näher zu den Aufgaben der HELSINKI-Kommission Ehlers, NuR 1984, S. 139. 214 Anderer Auffassung Ehlers, NuR 1984, S. 137 ff., der nach zehnjährigem Bestehen des HELSINKI-Übk. eine positive Bilanz zieht; ob die von ihm aufgeführten Gesetze (WHG, WaschmittelG, AltölG, BImSchG), die zum Teil noch vor Unterzeichnung des HELSINKI-Übk. erlassen wurden (dies gilt z.B. für das von Ehlers in Fn. 34 genannte DDT-Gesetz), auf dem HELSINKI-Übk. beruhen, muß allerdings bezweifelt werden. 215 BGBl. 1979 II, S. 1229. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 63 Bundesregierung bzw. an den Bundesverkehrsminister; dadurch haben die Bestimmungen des HELSINKI-Übk. noch keine unmittelbare Wirkung für den einzelnen entfaltet, weil sie nicht abschließend formuliert und self-executing,216 sondern an die Vertragsparteien gerichtet sind und diese (völkerrechtlich) verpflichten, die Regelungen des Übereinkommens in das innerstaatliche Recht umzusetzen. Erst mit der vom Bundesverkehrsminister am 11. Februar 1985 erlassenen Verordnung über die Verhütung der Verschmutzung der Ostsee durch Schiffe217 wurde eine Rechtsnorm verabschiedet, die - ähnlich wie die Zustimmungsgesetze zu den zuvor genannten Konventionen - bestimmte Einbringungsverbote218 aufstellt, deren Verletzung strafrechtlich abgesichert wird. Freilich begründet auch diese Verordnung kein absolutes Verschmutzungsverbot. Die Verordnung ist zwar gemäß § 8 am 1. März 1985 in Kraft getreten, hat jedoch keineswegs das Einleiten von Schiffsabwässern in deutsche Ostsee-Küstengewässer ab diesem Zeitpunkt generell verboten:219 Gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 der VO gilt das Abwassereinleitungsverbot für vorhandene Schiffe, die für die Beförderung von mehr als 50, aber nicht mehr als 400 Personen zugelassen sind und die die inneren Gewässer der Bundesrepublik befahren, erst seit dem 1. Januar 1988, für alle übrigen Schiffe, die bestimmte, in § 3 Abs. 2 Nr. 2 VO näher bezeichnete Merkmale aufweisen, und alle übrigen Meeresteile gar erst ab 3. Mai 1990. Seit dem 1. März 1985 betrifft das Abwassereinleitungsverbot lediglich große Passagierschiffe, die zur Beförderung von mehr als 400 Personen zugelassen sind, sowie nach diesem Tag neu in Dienst gestellte Schiffe. Was die Beseitigung von Abfall auf der Ostsee betrifft, so wird von der Bundesrepublik hierauf das Zustimmungsgesetz vom 11. Februar 1977 zum OSLO- und LONDON-Übk.220 mit der Maßgabe angewendet, daß keine Einbringungsgenehmigungen erteilt werden, weil die Besorgnis nach- 216 Vgl. zu diesem Begriff Verdross/Simma, §§ 423, 864 ff. 217 BGBl. 1985 I, S. 321, geändert und ergänzt durch die 5. Ostsee-Umweltschutz-ÄnderungsVO vom 12. November 1985, in Kraft getreten am 1. Januar 1986 (BGBl. 1985 II, S. 1195), und durch die 6. Ostsee-Umweltschutz-Änderungsverordnung vom 27. März 1987, in Kraft getreten am 6. April 1987 (BGBl. 1987 II, S. 206). 218 Erfaßt werden: das Einleiten von Abwasser (§ 3), die Beseitigung von Müll (§ 4), das Einleiten von schädlichen flüssigen Stoffen als Massengut (§ 2 a); § 5 begründet eine Meldepflicht von Ereignissen in Verbindung mit Schadstoffen. 219 So aber Edom/Rapsch/Veh, S. 59 bei Fn. 9. 220 BGBl. 1977 II, S. 165 (= Edom/Rapsch/Veh, S. 261). 64 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht teiliger Auswirkungen auf die Meeresumwelt der Ostsee besteht.221 221 So Ehlers, NuR 1984, S. 142 bei Fn. 51. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 3. 65 Ergebnis Die verschiedene Verschmutzungsquellen erfassende und deshalb ungemein komplizierte Regelung im HELSINKI-Übk. erweitert die strafrechtlichen Kompetenzen der Küstenstaaten nicht. Auch die Bundesrepublik vertritt in diesem Punkt keine andere Auffassung und erfaßt strafrechtlich (als Ordnungswidrigkeit) in der bislang einzigen speziell zur Durchführung des HELSINKI-Übk. erlassenen VO vom 11. Februar 1985 nur eigene Schiffe in Anwendung des Flaggenprinzips (§ 1 Nr. 1), fremde Schiffe im eigenen Küstenmeer und in den eigenen inneren Gewässern in Anwendung des Territorialitätsprinzips (§ 1 Nr. 2), und schließlich schwimmende Plattformen in Anwendung des Territorialitätsprinzips nur insoweit, als sie im eigenen Küstenmeer betrieben werden (§ 1 Nr. 3). Im letztgenannten Fall bleibt die Bundesrepublik sogar hinter den vom Völkerrecht eingeräumten Kompetenzen zurück, indem sie weder die außerhalb des Küstenmeeres im Bereich des deutschen Festlandsockels eingesetzten Plattformen erfaßt222 noch Plattformen, die im Inland registriert sind, unabhängig vom Tatort einer etwaigen Verschmutzung. VII. Das Übereinkommen zum Schutz des Mittelmeers vor Verschmutzung vom 16. Februar 1976 (BARCELONA-Übk.)223 1. Regelungsinhalt und Geltungsbereich Das BARCELONA-Übk., das kurz nach der HELSINKI-Konvention unterzeichnet wurde und sich stark an diese anlehnt,224 wurde von 16 Anrainerstaaten des Mittelmeers angenommen; auch die EWG ist als eigenständiges Völkerrechtssubjekt dem Übereinkommen beigetreten. Bemerkenswert ist, daß dem BARCELONA-Übk., das mit dem Mittelmeer ein Gebiet im Schnittpunkt dreier Kontinente betrifft, auch Staaten beigetreten sind, zwischen denen erhebliche politische Spannungen bestehen.225 222 Dies dürfte damit zusammenhängen, daß die Bundesrepublik in der Ostsee noch keine Initiative zur Abgrenzung eines bundesdeutschen Festlandsockelanteils ergriffen hat [s. auch § 8 I. 2. a) bb)]. 223 Convention for the Protection of the Mediterranean Sea against Pollution, in Kraft getreten am 12. Februar 1978; englischer Text in ABl. Nr. L 240 v. 19.9.1977, S. 3; Rüster/Simma/Bock, Bd. XIX, S. 9497; in deutscher Übersetzung in Edom/Rapsch/ Veh, S. 373; dort auch kommentiert (S. 61 ff.). 224 Vgl. Hakapää, S. 81; Nehlmeyer-Günzel, S. 186. 225 Dies gilt für den Libanon, Syrien und Israel, Griechenland und die Türkei, Algerien und Marokko. 66 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Die Regelungstechnik des BARCELONA-Übk. entspricht im wesentlichen der des HELSINKI-Übk. Im eigentlichen Übereinkommen werden die Vertragsparteien allgemein verpflichtet, Maßnahmen gegen die verschiedenen Verschmutzungsquellen zu treffen; die Einzelheiten sind in jeweils einem Protokoll für jede Verschmutzungsquelle geregelt. Von sechs vorgesehenen Protokollen wurden zusammen mit dem Übereinkommen das "Protokoll zur Verhütung der Verschmutzung des Mittelmeers durch das Einbringen durch Schiffe und Luftfahrzeuge"226 und das "Protokoll über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Verschmutzung des Mittelmeers durch Öl und andere Schadstoffe in Notfällen"227 unterzeichnet; am 17. Mai 1980 folgte die Unterzeichnung des "Protokolls über den Schutz des Mittelmeers gegen Verschmutzung vom Lande aus".228 Die Regelungstechnik in den Protokollen entspricht derjenigen der zuvor genannten Übereinkommen. So ist das Einbringen der in einer 'schwarzen Liste' zum erstgenannten Protokoll aufgeführten Stoffe generell verboten, die in der 'grauen Liste' aufgeführten Stoffe dürfen nur nach vorheriger Sondergenehmigung eingebracht werden, und das Einbringen aller sonstigen Stoffe bedarf einer generellen vorherigen Erlaubnis. 2. Der strafrechtlich relevante Regelungsinhalt Im BARCELONA-Übk. selbst ist nur allgemein davon die Rede, daß die Vertragsparteien "geeignete Maßnahmen" zur Verhütung, Verringerung und Bekämpfung der Verschmutzung des Mittelmeergebiets treffen; diese Maßnahmen müssen gemäß Art. 6 "in conformity with international law" sein. In den Protokollen ist dies näher ausgeführt; so ist gemäß Art. 10 Abs. 2 des Dumping-Protokolls229 eine Vertragspartei für die Erteilung von Erlaubnissen für das Einbringen von Schadstoffen zuständig, wenn diese in ihrem Hoheitsgebiet geladen werden oder wenn diese von Schiffen oder Luftfahrzeugen unter ihrer Flagge im Gebiet einer Nichtvertragspartei(!) geladen werden. Im letztgenannten Fall wird allerdings zu ergänzen sein, 226 Rüster/Simma/Bock, Bd. XIX, S. 9515 (englisch); Edom/Rapsch/Veh, S. 386 (deutsch). 227 Rüster/Simma/Bock, Bd. XIX, S. 9506 (englisch); Edom/Rapsch/Veh, S. 394 (deutsch). 228 Edom/Rapsch/Veh, S. 399 (deutsch). 229 Kurzbezeichnung für das Protokoll zur Verhütung der Verschmutzung des Mittelmeers durch das Einbringen durch Schiffe und Luftfahrzeuge. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 67 daß das Beladen zum Zwecke des Einbringens in das Mittelmeer erfolgen muß, da das Übereinkommen nur für das Mittelmeergebiet gilt. Aus der Bestimmung könnte gefolgert werden, daß das Einbringen ohne Erlaubnis von dem für die Erteilung der Erlaubnis zuständigen Staat strafrechtlich sanktioniert werden kann, was die Anwendung des Territorialitätsprinzips und des Flaggenprinzips bedeuten würde. In Art. 11 des Dumping-Protokolls werden jedoch in einer gesonderten Vorschrift alle Vertragsparteien verpflichtet, "die zur Durchführung dieses Protokolls erforderlichen Maßnahmen (anzuwenden)" - hierunter dürften auch Maßnahmen zur Sanktionierung unberechtigten Einbringens zu subsumieren sein - auf 1) Schiffe und Luftfahrzeuge nach dem Flaggenprinzip, 2) Schiffe und Luftfahrzeuge, die im eigenen Hoheitsgebiet mit Schadstoffen zum Zwecke des Einbringens beladen werden (Lade- bzw. Verursacherprinzip), 3) Schiffe und Luftfahrzeuge, von denen "ein Einbringen in Gebieten angenommen wird, die diesbezüglich zu ihrem Hoheitsbereich230 gehören" (Territorialitätsprinzip). Schließlich hält Art. 13 ausdrücklich fest, daß das Recht jeder Vertragspartei, andere mit dem Völkerrecht übereinstimmende Maßnahmen zu treffen, um die durch das Einbringen verursachte Verschmutzung zu verhüten, von dem Protokoll nicht berührt wird. 3. Ergebnis Das BARCELONA-Übk. folgt dem in anderen Konventionen vorgezeichneten Weg und verpflichtet die Vertragsparteien neben der Anwendung des Territorialitätsprinzips und des Flaggenprinzips zur Einführung des hier als Lade- bzw. Verursacherprinzips 231 bezeichneten Grundsatzes. Weitere Neuerungen hinsichtlich der Ausdehnung der Strafgewalt auf die Hohe See bei Meeresverschmutzungen durch ausländische 230 In der englischen authentischen Fassung heißt es für "Hoheitsbereich" "jurisdiction" im Gegensatz zu Nr. 2), wo für "Hoheitsgebiet" in der deutschen Übersetzung "territory" steht. 231 Wenn dieses Prinzip gelegentlich zum Territorialitätsprinzip gezählt wird, ist dies jedenfalls aus strafrechtlicher Sicht bedenklich, da weder die tatbestandliche Handlung noch der zum Tatbestand gehörende Erfolg im Inland eintritt. Dies wäre lediglich dann der Fall, wenn nicht die Meeresverschmutzung selbst, sondern das Beladen zum Zwecke des Einbringens das strafrechtlich relevante Verhalten ausmachen würde. 68 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Schiffe weist das BARCELONA-Übk. nicht auf. Das Übereinkommen verweist vielmehr232 auf die vom (allgemeinen) Völkerrecht bereitgestellten Eingriffsmöglichkeiten, ohne diese zu erweitern oder zu beschränken. VIII. Das Internationale Übereinkommen über Maßnahmen auf Hoher See bei Ölverschmutzungsunfällen vom 29. November 1969 (BRÜSSEL-Übk.)233 1. Regelungsinhalt und Geltungsbereich Das BRÜSSEL-Übk. weicht ebenso wie das BONN-Übk.234 von den zuvor genannten Konventionen ab, weil es nicht in erster Linie der Verhütung von Meeresverschmutzungen dient, sondern der Kooperation bei der Schadensbegrenzung im Fall von Ölverschmutzungsunfällen. Es soll in diesem Zusammenhang erwähnt werden, weil es im Gegensatz zu den übrigen Abkommen die Unterzeichnerstaaten ermächtigt, gegen Schiffe unter fremder Flagge, die auf der Hohen See verunglücken, zur Abwendung einer Verschmutzung der eigenen Küste durch Öl vorzugehen. Eine besondere vertragliche Eingriffsermächtigung war deshalb notwendig, weil nach überwiegender Auffassung 235 aufgrund allgemeinen Völkerrechts eine Eingriffsbefugnis der Küstenstaaten gegen auf Hoher See verunglückte Schiffe unter fremder Flagge nicht besteht; so wurde etwa die Bombardierung des im Jahr 1967 vor der englischen Küste gestrandeten liberianischen Tankers "Torrey Canyon" durch England als völkerrechtswidrig beurteilt.236 Die Strandung der "Torrey Canyon" war unmittelbarer Anlaß für 232 In Art. 13 des Dumping-Protokolls. 233 International Convention Relating to Intervention on the High Seas in Cases of Oil Pollution Casualties (BGBl. 1975 II, S. 139), international in Kraft getreten am 6. Mai 1975, für die Bundesrepublik am 5. August 1975 (BGBl. 1975 II, S. 1196); Rüster/Simma, Bd. I, S. 460; Edom/Rapsch/Veh, S. 241. 234 Internationales Übereinkommen zur Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Verschmutzung der Nordsee durch Öl und andere Schadstoffe vom 13. September 1983 (im BGBl. bislang noch nicht veröffentlicht; deutscher Text - der neben dem englischen und französischen ebenfalls verbindlich ist - bei Edom/Rapsch/Veh, S. 231), welches das am 9. Juni 1969 ebenfalls in Bonn unterzeichnete Internationale Übereinkommen zur Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Ölverschmutzungen der Nordsee (BGBl. 1969 II, S. 2067, berichtigt BGBl. 1971 II, S. 970; in Kraft getreten am 9. August 1969: BGBl. 1969 II, S. 2066); Rüster/Simma, Bd. I, S. 454) ablösen wird. 235 Vgl. Edom/Rapsch/Veh, S. 36; Menzel/Ipsen, Völkerrecht, S. 401; Steiger/Demel, Schutz der Küsten vor Verschmutzung vom Meer aus, DVBl. 1979, S. 212 ff.; Lampe, Sicherheit der Schiffahrt und Schutz der Umwelt, VN 30 (1982), S. 89 bei Fn. 13, spricht insoweit von "Seerechtsgeschichte", die das BRÜSSEL-Übk. geschrieben habe. 236 Vgl. Nehlmeyer-Günzel, S. 131 f., und die in der vorher. Anm. angegebenen Autoren; Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 69 eine außerordentliche Sitzung des Rates der IMCO, der einen Sonderausschuß einsetzte; dieser erarbeitete einen Konventionsentwurf als Grundlage für das BRÜSSEL-Übk.237 Die zentrale Vorschrift des BRÜSSEL-Übk. ist Art. I Abs. 1; sie lautet: "Parties to the present Convention may take such measures on the high seas as may be necessary to prevent, mitigate or eliminate grave and imminent danger to their coastline or related interests from pollution or threat of pollution of the sea by oil, following upon a maritime casualty or acts related to such a casualty, which may reasonably be expected to result in major harmful consequences."238 Aus den Legaldefinitionen in Art. II ergibt sich, daß nur Schiffe, nicht aber Bohrplattformen und sonstige Einrichtungen zur Erforschung und Ausbeutung des Meeresgrundes erfaßt sind.239 Ferner ergibt sich aus dem Ausdruck maritime casualty,240 daß nur die unfallbedingte Verschmutzung durch Öl den Küstenstaat zum Eingreifen berechtigt, nicht aber das vorsätzliche oder fahrlässige Einbringen.241 Daß nur die Hohe See in den Regelungsbereich des BRÜSSEL-Übk. einbezogen ist, nicht aber das Küstenmeer, dürfte darauf beruhen, daß ein Eingreifen im Falle eines Ölunfalls im Küstenmeer, der sich auf die Küste auszuwirken droht, bereits aufgrund allgemeinen Völkerrechts zulässig ist: Gemäß Art. 14 Abs. 1 des Genfer Küstenmeerübereinkommens von 1958242 genießen fremde Schiffe im Küstenmeer das Recht auf innocent passage; in Abs. 3 desselben Artikels heißt es, daß eine "[p]assage is innocent as long as it is not prejudicial to the peace, good order or security of the coastal state". anzumerken ist, daß Völkerrechtswidrigkeit angenommen wurde, obgleich das Schiff innerhalb der von Großbritannien seinerzeit beanspruchten Anschlußzone von 9 sm gestrandet war. 237 Vgl. näher dazu Hakapää, S. 264 f. 238 Hervorhebung der wichtigsten Bestandteile dieser Vorschrift vom Verf. 239 So auch Edom/Rapsch/Veh, S. 36; Hakapää, S. 267; Nehlmeyer-Günzel, S. 151. 240 In der deutschen Übersetzung wird hierfür der Ausdruck "Seeunfall" verwendet. 241 So auch Gündling, ZaöRV 37 (1977), S. 554; Hakapää, S. 266 f.; Nehlmeyer-Günzel, S. 150; Steiger/Demel, DVBl. 1979, S. 214. 242 Abgedruckt bei Platzöder/Graf Vitzthum, S. 17 ff.; das Abkommen wurde von der Bundesrepublik nicht unterzeichnet, gibt aber in dem hier entscheidenden Punkt lediglich Völkergewohnheitsrecht wieder; vgl. näher hierzu o. bei § 3 IV. 70 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Eine unfallbedingte Ölverschmutzung wird jedenfalls dann gegen die Sicherheit und Ordnung des Küstenstaates verstoßen und diese zu den nach Art. 16 Abs. 1 KMK zulässigen Abwehrmaßnahmen berechtigen, wenn eine Verschmutzung der Küste droht oder sonstige Interessen des Küstenstaates, etwa an der Erhaltung des Fischbestandes, betroffen sind.243 Schließlich verpflichtet das BRÜSSEL-Übk. den Küstenstaat, andere betroffene Staaten, insbesondere den Flaggenstaat, und betroffene Personen vor der Ergreifung der beabsichtigten Maßnahmen zu konsultieren (Art. III) und in jedem Fall den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (Art. V). Durch das Protokoll über Maßnahmen auf Hoher See bei Fällen von Verschmutzung durch andere Stoffe als Öl vom 2. November 1973244 wurden die Vorschriften des BRÜSSEL-Übk. auf weitere rund 150 in einem Anhang zum Protokoll aufgelistete Stoffe erstreckt. 2. Der strafrechtlich relevante Regelungsinhalt Keine der Regelungen des BRÜSSEL-Übk. und des Protokolls ist von strafrechtlicher Relevanz. In Art. VII findet sich lediglich der schon andernorts erwähnte Hinweis darauf, daß anderweitig bestehende Rechte und Pflichten der Vertragsstaaten nicht berührt werden. Im übrigen tragen die Vorschriften des BRÜSSEL-Übk. jedoch - in innerstaatlichen Kategorien gemessen - polizeirechtlichen Charakter. Es geht um die Abwehr von Gefahren für die deutsche Küste. Dies wird besonders deutlich an dem (Ausführungs-)Gesetz zu dem Protokoll von 1973 über Maßnahmen auf Hoher See bei Fällen von Verschmutzung durch andere Stoffe als Öl vom 3. April 1985.245 Mit Artikel 4 wird das Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt vom 24. Mai 1965246 um die §§ 3a-3d ergänzt, die für die Behörden der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung "zur Abwehr von Gefahren und schädlichen Umwelteinwirkungen" Eingriffsbefugnisse gegen den Handlungs- und den Zustandsstörer begründen; au243 Ähnlich Hakapää, S. 185 Fn. 27; zu Recht bedauert dieser Autor, daß in dem entsprechenden Artikel (Art. 19 Abs. 2) der UNSRK, in dem Verletzungen gegen die innocent passage aufgeführt sind, lediglich von "any act of wilful and serious pollution" die Rede ist, die unfallbedingte Verschmutzung also nicht erfaßt zu sein scheint. 244 Protocol Relating to Intervention on the High Seas in Cases of Pollution by Substances Other Than Oil, in Kraft getreten am 30. März 1983; BGBl. 1985 II, S. 596; Edom/Rapsch/Veh, S. 253 (deutsch). 245 BGBl. 1985 II, S. 593. 246 BGBl. 1965 II, S. 833, i.d.F. der Bekanntmachung v. 21. Januar 1987 (BGBl. 1987 I, S. 541). Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 71 ßerdem werden die Voraussetzungen einer Ersatzvornahme und die Verpflichtung des Störers zum Ersatz der daraus entstehenden Kosten gesetzlich geregelt. Das Ausführungsgesetz enthält in Art. 2 Abs. 4 lediglich eine Vorschrift, welche die Verletzung der Benachrichtigungspflicht durch einen Führer eines unter deutscher Flagge fahrenden Schiffes von einem Seeunfall als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bedroht. 3. Exkurs: Das Internationale Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die strafgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen und anderen mit der Führung eines Seeschiffes zusammenhängenden Ereignissen vom 10. Mai 1952247 Von - ausschließlich - strafrechtlicher Bedeutung ist dagegen das in der Überschrift genannte Übereinkommen. Diese Konvention bestimmt in später Reaktion auf das berühmte Lotus-Urteil des StIGH aus dem Jahr 1927,248 daß bei Schiffskollisionen und einem anderen "incident of navigation" nur der Flaggenstaat strafrechtlich oder disziplinarisch gegen den verantwortlichen Kapitän oder andere Besatzungsmitglieder vorgehen darf. Dies bedeutet, daß bei einem unfallbedingten Entweichen von Öl oder anderen Schadstoffen, jedenfalls solange sich dies auf der Hohen See ereignet,249 der betroffene Küstenstaat gegen den verantwortlichen Kapitän etwa wegen fahrlässiger Gewässerverunreinigung nicht strafrechtlich vorgehen darf. 247 International Convention for the unification of certain rules relating to penal jurisdiction in matters of collision or other incidents of navigation, BGBl. 1972 II, S. 668 (Übereinkommen), S. 653 (Zustimmungsgesetz), für die Bundesrepublik in Kraft getreten am 6. April 1973 (BGBl. 1973 II, S. 343); vgl. dazu Oehler, Neuerer Wandel in den Bestimmungen über den strafrechtlichen Geltungsbereich in den völkerrechtlichen Verträgen, FS Carstens, S. 437 f. 248 StIGHE 5 (1927), S. 71 ff.; s.o. § 2 II. 2. 249 Gemäß seinem Art. 4 gilt das Übereinkommen auch im Küstenmeer, nicht jedoch in den inneren Gewässern; die Bundesrepublik hat aber einen nach Art. 4 Abs. 2 zulässigen Vorbehalt erklärt, wonach sie sich die Verfolgung von in deutschen Hoheitsgewässern begangenen Zuwiderhandlungen vorbehält; vgl. Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 15 und 424; unzutreffend bei Rn. 466, wonach auch bei Schiffszusammenstößen in Häfen nur der Flaggenstaat zur strafrechtlichen Bewertung zuständig sein soll. 72 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Die Bestimmungen des Internationalen Übereinkommens zur Vereinheitlichung von Regeln usw. werden im Genfer Übereinkommen über die Hohe See vom 29. April 1958 wiederholt. In Art. 11, der im wesentlichen den Art. 1 bis 3 des ursprünglichen Übereinkommens entspricht, wird die Zuständigkeit des Flaggenstaates zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen den für einen "incident of navigation" Verantwortlichen an Bord festgelegt; alternativ - hierin liegt eine Änderung gegenüber dem ursprünglichen Abkommen - ist auch der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Kapitän oder sonst Verantwortliche besitzt, zur Ergreifung strafrechtlicher Maßnahmen berechtigt, d.h., neben dem Flaggenprinzip wird auch das aktive Personalitätsprinzip zugelassen. 4. Ergebnis Auch das BRÜSSEL-Übk. erweitert die strafrechtlichen Kompetenzen der (Küsten-)Staaten hin zur Zulässigkeit der Ausdehnung der Strafgewalt auf die Hohe See bei Meeresverschmutzungen nicht. Aus der Tatsache, daß selbst das (präventive) Vorgehen gegen drohende Verschmutzungen der eigenen Küste und damit bei unmittelbarer Gefährdung eigener Interessen vom allgemeinen Völkerrecht verboten war und erst aufgrund einer Vereinbarung zwischen den seefahrenden Nationen erreicht werden konnte, wird man vielmehr den Gegenschluß ziehen müssen, daß ein strafrechtliches Vorgehen gegen Meeresverschmutzungen ohne Berührung eigener Interessen des strafenden Staates völkerrechtlich nicht zulässig ist. §5 Zusammenfassung des 1. Teils I. Völkerrechtswidrigkeit des § 5 Nr. 11 StGB Schiffe unterstehen auf der Hohen See traditionell der ausschließlichen Hoheitsgewalt des Flaggenstaates; dies gilt auch für die Strafgewalt als Bestandteil der Hoheitsgewalt. Dritte Staaten sind grundsätzlich nicht berechtigt, in diesen aus dem Prinzip der Freiheit der Meere abgeleiteten Grundsatz regelnd einzugreifen. Zwar kann ein Staat Vorgänge an Bord eines fremden Schiffes wie eine sonstige Auslandstat dann strafrechtlich bewerten, wenn diese eine Beziehung zur eigenen Staatshoheit - etwa durch die inländische Staatsangehörigkeit von Täter oder Opfer - aufweisen.250 Bei 250 Freilich kann das Völkerrecht im Einzelfall die Heranziehung bestimmter Anknüpfungspunkte verbieten; ein Beispiel hierfür ist das Internationale Übereinkommen zur Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 73 Umweltstraftaten im Bereich des deutschen Festlandsockels, der jedenfalls nach derzeit geltendem Völkerrecht noch zum Bereich der Hohen See zu rechnen ist, besteht aus strafrechtlicher Sicht durchaus eine sinnvolle Verbindung. Auch das Völkerrecht gewährt den Küstenstaaten zwar besondere Rechte am Festlandsockel, die den Grundsatz der Freiheit der Meere dritten Staaten gegenüber einschränken; diese Rechte sind jedoch funktional beschränkt auf die Erforschung und Ausbeutung der Bodenschätze des Meeresgrundes und -untergrundes in diesem Bereich und betreffen den Meeresumweltschutz lediglich insoweit, als dieser in Zusammenhang mit der Ausbeutung des Festlandsockels steht. Den Umstand der räumlichen Nähe des Tatorts einer Meeresverschmutzung zum Inland allein zum Anlaß für die Ausdehnung der Strafgewalt zu nehmen, verstößt gegen das Völkerrecht. Entsprechende Vorstöße Kanadas und Omans sind folglich auf den Protest dritter Staaten gestoßen und werden überwiegend als völkerrechtswidrig beurteilt. Weder aus dem allgemeinen Völker(gewohnheits-)recht noch aus den speziell zum Meeresumweltschutz ergangenen völkerrechtlichen Verträgen läßt sich die Befugnis eines Küstenstaates herleiten, strafrechtliche Befugnisse für Meeresverschmutzungen, die außerhalb des eigenen Küstenmeeres von ausländischen Schiffen begangen werden, in Anspruch zu nehmen. II. Rechtliche Folgerungen Nachdem als Ergebnis festgehalten wurde, daß die Ausdehnung deutscher Strafgewalt auf den Festlandsockel gegen das Völkerrecht verstößt, sind die Rechtsfolgen zu untersuchen. In Betracht kommen zwei mögliche Auswirkungen: Entweder wirkt sich die Völkerrechtswidrigkeit zugunsten des einer Umweltstraftat im Bereich des deutschen Festlandsockels angeklagten ausländischen Staatsangehörigen unmittelbar aus, oder die dem Völkerrecht widersprechende Verurteilung bedeutet lediglich ein völkerrechtliches Unrecht gegenüber dem Heimatstaat des Verurteilten, ohne daß Letztgenannter selbst hieraus Einwände gegen die Durchführung des Strafverfahrens erheben könnte. Vereinheitlichung von Regeln ... bei Schiffszusammenstößen ... [s.o. § 4 VIII. 3.], das andere Anknüpfungspunkte neben dem Flaggenprinzip ausschließt. 74 1. Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Verstoß gegen Art. 25 GG Als einschlägige Prüfungsnorm ist Art. 25 GG heranzuziehen: "Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes."251 Zu den allgemeinen Regeln des Bundesrechts gehören jedenfalls die allgemein anerkannten Sätze des Völkergewohnheitsrechts.252 Die Freiheit der Meere und die ausschließliche Hoheitsbefugnis des Flaggenstaates über Schiffe seiner Flagge gehören zu den ehernen Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts; sie sind deshalb Bestandteil des Bundesrechts und gehen den Gesetzen vor. Dies bedeutet allerdings nicht, daß § 5 Nr. 11 StGB gebrochen oder die Völkerrechtswidrigkeit zur Nichtigkeit dieser Vorschrift führen würde.253 Der Sinn von Art. 25 GG liegt vielmehr darin, "kollidierendes innerstaatliches Recht zu verdrängen oder seine völkerrechtskonforme Anwendung zu bewirken";254 Gerichte der Bundesrepublik sind kraft Art. 25 GG grundsätzlich daran gehindert, innerstaatliches Recht in einer Weise auszulegen und anzuwenden, welche die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verletzt.255 - Das bedeutet zunächst einmal, daß das Amtsgericht Hamburg,256 das über die Umweltstraftat eines Ausländers auf einem ausländischen Schiff im Bereich des deutschen Festlandsockels zu urteilen hätte, eine Verurteilung nicht ausschließlich darauf stützen dürfte, daß die Tat im Bereich des deutschen Festlandsockels begangen wurde. Bei Eintritt eines strafrechtlich relevanten Erfolges im Inland (einschließlich des deutschen Küstenmeeres) wäre etwa die deutsche Strafgewalt in völkerrechtlich zulässiger Weise bereits in Anwendung der §§ 3 i.V.m. 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB gegeben. 251 Zur Bedeutung von Art. 25 GG für die Praxis deutscher Behörden und Gerichte vgl. den gleichlautenden Beitrag von R. Hofmann in FS Zeidler, S. 1885 ff. 252 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 103; Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 489. 253 So das Bundesverfassungsgericht allerdings noch im Konkordatsurteil; vgl. BVerfGE 6, S. 309 (363). 254 BVerfGE 23, S. 288 (316); 36, S. 342 (365); Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 494. 255 BVerfGE 75, S. 1 (19). 256 Dieses Gericht ist gemäß § 10a StPO bei im Bereich des deutschen Festlandsockels begangenen Umweltstraftaten subsidiär zuständig, wenn sonst kein Gerichtsstand begründet ist. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres - 75 Gelangt das Gericht hingegen zu dem Ergebnis, daß die Tat zwar im Bereich des deutschen Festlandsockels begangen wurde, im übrigen aber keinerlei Auswirkungen auf deutsche Interessen hatte und damit keine sinnvolle Verbindung zwischen der Tat und der Bundesrepublik besteht, bleibt für eine völkerrechtskonforme Auslegung von § 5 Nr. 11 StGB kein Raum: Die Erstreckung und Ausübung deutscher Strafgewalt auf diesen Täter ist wegen Verstoßes gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts, die den - einfachen - Bundesgesetzen und damit auch § 5 Nr. 11 StGB gemäß Art. 25 GG vorgeht,257 unwirksam.258 Ist eine Verurteilung auch nicht aufgrund von § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB259 möglich, ist der Angeklagte freizusprechen, weil er der deutschen Strafgewalt nicht unterliegt.260 Dies gilt freilich nur dann, wenn das erken- 257 Streitig ist die - hier nicht interessierende - Frage, ob Art. 25 S. 2 GG den allgemeinen Regeln des Völkerrechts Vorrang nicht nur vor den unterkonstitutionellen Gesetzen, sondern auch vor der Verfassung selbst einräumt. Die h.M. lehnt dies ab und geht von einer Zwischenposition zwischen Verfassung und einfachen Bundesgesetzen aus (vgl. Maunz in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 25 Rn. 24; Rojahn in v. Münch, GG-Komm., Art. 25 Rn. 36; Stern, Staatsrecht, S. 493 ff., jeweils m.w.Nachw.). 258 Übersichten über die Rechtsprechung zur Existenz allgemeiner Regeln des Völkerrechts und deren Anwendungsbereich finden sich bei Rojahn in v. Münch, GG-Komm., Art. 25 Rn. 22, 34; Stern, Staatsrecht, S. 490 f. 259 Nach dem Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege kann ein Ausländer für eine Auslandstat in der Bundesrepublik bestraft werden, "wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt" und der Täter "... im Inland betroffen und, obwohl das Auslieferungsgesetz seine Auslieferung nach der Art der Tat zuließe, nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist". 260 Die h.M. (vgl. BGHSt. 34, S. 1 [3]; OLG Saarbrücken, NJW 1975, S. 506 [509]; LG Frankfurt, NJW 1977, S. 508; Dreher/Tröndle, § 3 Rn. 2b; Eser in Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 3-7 Rn. 2) würde allerdings das Verfahren wegen eines in dem Fehlen deutscher Gerichtsbarkeit begründeten Verfahrenshindernisses einstellen. Zwei Fallkonstellationen sind zu unterscheiden: Wenn eine konkrete Tat nicht in den Schutzbereich eines deutschen Straftatbestandes fällt (dies war in den genannten Entscheidungen des OLG Saarbrücken und des LG Frankfurt, in denen es um den Schutzbereich von § 170 b ging, der Fall) ist der Angeklagte freizusprechen; er hat keinen Straftatbestand verwirklicht und sich folglich nicht strafbar gemacht (nicht überzeugend die Begründung des OLG Saarbrücken, aaO., S. 509: "... der deutsche Strafrichter kann nur deutsches Strafrecht anwenden [...], so daß ein Strafverfahren nur durchgeführt werden kann, wenn deutsches Strafrecht Anwendung findet ..."). Unterliegt der Täter dagegen nicht der deutschen Strafgewalt (so der Fall in BGHSt. 34, S. 1), ist m.E. ebenfalls ein Freispruch die richtige Lösung, weil das internationale Strafrecht "Geltungsvoraussetzung als auch Teil des nationalen materiellen Strafrechts" ist (Eser in Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 3-7 Rn. 2 [Hervorhebung im Original]). Die Argumentation der h.M. leidet daran, daß trotz Bekenntnisses zum materiellen Charakter des internationalen Strafrechts von der fehlenden Strafgewalt auf das Fehlen deutscher Gerichtsbarkeit geschlossen (so die Begründung in BGHSt.34, S. 1 [3]) und damit ein Verfahrenshindernis begründet wird. 76 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht nende Gericht selbst der Überzeugung ist, daß eine allgemeine Regel des Völkerrechts in dem hier vertretenen Umfang besteht und § 5 Nr. 11 StGB vorgeht; hat das Gericht lediglich Zweifel an Existenz und Tragweite einer einschlägigen Völkerrechtsregel oder stößt es auf ernstzunehmende Zweifel, ohne diese zu teilen, hat es in Anwendung von Art. 100 Abs. 2 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.261 2. Exkurs: Die Rechtsprechung in den sogenannten Entführungsfällen Das gefundene verfassungsrechtliche Ergebnis widerspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts in den sogenannten Entführungsfällen. In diesen Fällen waren die später Verurteilten durch Anwendung von List oder Gewalt und unter Verletzung der Territorialhoheit ausländischer Staaten in das Gebiet der Bundesrepublik gebracht worden, wo sie aufgrund eines bestehenden Haftbefehls verhaftet, angeklagt und verurteilt wurden.262 In diesen Fällen war die Frage entscheidungserheblich, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts bestehe, derzufolge die Durchführung eines Strafverfahrens gegen eine Person gehindert sei, die unter Verletzung der Gebietshoheit eines fremden Staates in den Gerichtsstaat verbracht wurde; diese Frage wurde 261 Vgl. Stern, Staatsrecht, S. 494 ff.; zur prozessualen Geltendmachung des hier angenommenen Völkerrechtsverstoßes s. sogleich in § 5 II. 3. 262 Vgl. BGH, Urt. v. 2.8.1984 - 4 StR 120/83 -, NStZ 1984, S. 563, bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 17.7.1985 - 2 BvR 1190/84 -, EuGRZ 1986, S. 18 = NJW 1986, S. 1427 (mit Anm. von Herdegen, Die völkerrechtswidrige Entführung eines Beschuldigten als Strafverfolgungshindernis, EuGRZ 1986, S. 1 ff.); - BGH, Urt. v. 30.5.1985 - 4 StR 187/85 -, NStZ 1985, S. 464 = EuGRZ 1987, S. 94, bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 3.6.1986 - 2 BvR 837/85 -, NStZ 1986, S. 468 = NJW 1986, S. 3021 = EuGRZ 1987, S. 92 (mit Anm. von Trechsel, Grundrechtsschutz bei der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, EuGRZ 1987, S. 69 ff.); - BGH, Beschl. v. 23.10.1985 - 2 StR 401/85 - (unveröffentlicht), bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 3.6.1986 - 2 BvR 1451/85 - (unveröffentlicht), in der gleichen Sache BGH, Beschl. v. 19.12.1986 - 2 StR 588/86 -, NJW 1987, S. 3087 = StV 1987, S. 138 (mit Anm. von Schubarth, Faustrecht statt Auslieferungsrecht?, StV 1987, S. 173 ff, und Sieg, StV 1988, S. 7 f.). - Neben den genannten Anmerkungen beschäftigen sich die folgenden Arbeiten mit der Entführungsproblematik: Herdegen, Die Achtung fremder Hoheitsrechte als Schranke nationaler Strafgewalt, ZaöRV 47 (1987), S. 221 ff.; F.A. Mann, Strafverfahren gegen einen völkerrechtswidrig Entführten, NJW 1986, S. 2167 f.; ders., Zum Strafverfahren gegen einen völkerrechtswidrig Entführten, ZaöRV 47 (1987), S. 469 ff.; H. Schultz, Male captus, bene deditus?, SchwJIR XL (1984), S. 93 ff.; Vogler, Strafprozessuale Wirkungen völkerrechtswidriger Entführungen von Straftätern aus dem Ausland, FS Oehler, S. 379 ff. Ablehnend zur Zulässigkeit eines Strafverfahrens gegen einen durch Täuschung ergriffenen Straftäter wohl auch Oehler, HWiStR, Stichwort "Internationales Strafrecht", S. 7 f. Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres 77 zu Recht verneint. Auf den Fall der Meeresverschmutzung übertragen bedeutet dies, daß gegen die ausländische Besatzung eines (ausländischen) Schiffs, das im Bereich des deutschen Festlandsockels von Vollzugsbeamten des Bundes in Anwendung der Ermächtigungsgrundlage in Art. 4 des MARPOL-Zustimmungsgesetzes263 bzw. in Art. 11 des OSLO-Übk./LONDON-Übk.-Zustimmungsgesetzes,264 aber unter Verstoß gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, angehalten und in deutsches Hoheitsgebiet verbracht wird, in der Bundesrepublik trotz des Völkerrechtsverstoßes ein Strafverfahren durchgeführt werden könnte, weil sich der bei der Habhaftmachung der Beschuldigten begangene Völkerrechtsverstoß auf die materielle Strafbarkeit nicht auswirkt und eine Verurteilung folglich grundsätzlich erfolgen könnte. Ergibt die Prüfung des Tatrichters jedoch, daß eine Verurteilung nur unter Anwendung von § 5 Nr. 11 StGB möglich wäre, könnte sich der einzelne gemäß Art. 25 GG auf die Freiheit der Meere und die ausschließliche Hoheitsgewalt des Flaggenstaates als eine allgemeine Regel des Völkerrechts wie auf objektives Recht berufen.265 Die Völkerrechtsregel, obgleich sie keine subjektiven Rechte des privaten einzelnen auf der Ebene des Völkerrechts und damit auch nicht auf der innerstaatlichen Ebene eröffnet, geht gemäß Art. 25 S. 2 GG der innerstaatlichen Norm § 5 Nr. 11 StGB als objektives Recht vor. 3. Geltendmachung des Verfassungsverstoßes Das Strafgericht, das zu einer Verurteilung wegen einer im Bereich des deutschen Festlandsockels begangenen Umweltstraftat nach den §§ 324, 326, 330 oder 330a StGB nur unter Anwendung von § 5 Nr. 11 StGB gelangen könnte, hätte den Angeklagten nach der hier vertretenen Auffassung unter Beachtung von Art. 25 GG freizusprechen. Einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 2 bedürfte es nicht, weil dessen Entscheidungsmonopol sich allein auf die Klärung entscheidungserheblicher Zweifel erstreckt.266 263 Gesetz vom 23. Dezember 1981 zu dem Internationalen Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe und zu dem Protokoll von 1978 zu diesem Übereinkommen, BGBl. 1982 II, S. 2. 264 Gesetz vom 11. Februar 1977 zu den Übereinkommen vom 15.2.1972 und 29.12.1972 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen durch Schiffe und Luftfahrzeuge, BGBl. 1977 II, S. 165, zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 28. April 1980, BGBl. 1980 II, S. 606. 265 Vgl. BVerfGE 46, S. 342 (362 f.). 266 Vgl. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 192; Maunz in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 100 Rn. 41 a.E.; W. Meyer in v. Münch, GG-Komm., Art. 100 Rn. 32; 78 Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht Gelangt das Gericht zu der Auffassung, es bestünden Zweifel, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts in dem hier vertretenen Sinne besteht, wäre es gemäß Art. 100 Abs. 2 GG verpflichtet, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen; dies würde selbst dann gelten, wenn das Gericht selbst diese Zweifel nicht hegt, aber auf ernstzunehmende Zweifel stößt.267 Sofern das Gericht unter Verkennung des Bestandes und der Tragweite einer allgemeinen Regel des Völkerrechts und damit unter Verletzung von Art. 25 GG die mit § 5 Nr. 11 StGB getroffene Regelung für anwendbar hält und zu einer Verurteilung gelangt, steht dem Betroffenen die Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG offen. Zwar kann die Verletzung von Art. 25 GG nicht unmittelbar gerügt werden, weil diese Norm keine Grundrechte schützt und auch nicht zu den übrigen in Art. 93 GG ausdrücklich genannten Verfassungsnormen gehört. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstößt aber eine den einzelnen belastende gerichtliche Entscheidung, die auf einer dem Völkerrecht widersprechenden Vorschrift des innerstaatlichen Rechts oder einer mit dem allgemeinen Völkerrecht nicht vereinbaren Auslegung oder Anwendung einer Vorschrift des innerstaatlichen Rechts beruht, gegen das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. 268 Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sogar unabhängig davon, ob die verletzte allgemeine Regel des Völkerrechts ihrem Inhalt nach Rechte oder Pflichten für den einzelnen begründet oder wie hier ausschließlich an Staaten oder sonstige Völkerrechtssubjekte gerichtet ist.269 Stern in Bonner Komm., Art. 100 Rn. 206 ff., 238 ff.; Stern, Staatsrecht, S. 496 ff. 267 BVerfGE 23, S. 288 (316); 75, S. 1 (11); Geiger, S. 192 f. 268 Vgl. Beschl. vom 11.10.1985 - 2 BvR 336/85 -, NJW 1986, S. 1425 (1426); vgl. auch BVerfGE 23, S. 288 (300); 31, S. 145 (177); ebenso Frowein, Anm. zur Pakelli-Entscheidung des BVerfG, ZaöRV 46 (1986), S. 286, und Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 193, der neben Art. 2 Abs. 1 GG auch Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sieht. 269 BVerfG, NJW 1986, S. 1426; vgl. auch BVerfGE 46, S. 342 (361 f.); ebenso Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 189 f., und R. Hofmann, FS Zeidler, S. 1885 f., Letztgenannter mit Hinweisen auf einschlägige unveröffentlichte Entscheidungen des BVerfG aus dem Jahr 1987.