1. Teil

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1. Teil
9
1. KAPITEL:
DAS VERHÄLTNIS
DES VÖLKERRECHTS ZUM INTERNATIONALEN
RECHT IM ALLGEMEINEN
§1
Meinungsstand in der Strafrechtswissenschaft
I.
Die deutsche Strafrechtsliteratur
STRAF-
In der deutschen Strafrechtsliteratur wird dem Verhältnis des Völkerrechts
zum internationalen Strafrecht nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Gelegentlich wird bei der Kommentierung der das internationale Strafrecht
betreffenden Vorschriften des StGB das Völkerrecht überhaupt nicht erwähnt,1 oder aber man begnügt sich mit dem Hinweis, daß Voraussetzung
für die Erstreckung der Strafgewalt eine Beziehung des Sachverhalts "zu
eigenen legitimen Rechtspflegeinteressen" sei.2 Diese Beziehung - auch
"sinnvoller Anknüpfungspunkt" genannt - werde durch die sogenannten
Prinzipien des internationalen Strafrechts hergestellt.3 Wieder andere sehen "die innerstaatliche Strafhoheit des Einzelstaates ... durch entgegenstehendes Völkerrecht beschränkt"4 oder anerkennen das Verbot des Rechtsmißbrauchs als völkerrechtlichen Grundsatz bei der Ausgestaltung des internationalen Strafrechts.5 Konkreter erscheint die Aussage, daß jedenfalls
"Auslandstaten von Ausländern ohne einen der bekannten Anknüpfungspunkte nicht willkürlich von einem Staat abgeurteilt werden können",6 sollen die dem Gesetzgeber vom Völkerrecht gesetzten Schranken nicht überschritten werden. Auch Art. 25 GG wird herangezogen, der vom Gesetzgeber bei der Festlegung des Anwendungsbereichs des Strafrechts - unter
Betonung der staatlichen Souveränität im übrigen - zu beachten sei7 und
1
So bei Maurach, AT, S. 85 ff.; ebensowenig bei Maurach/Zipf, AT-1, S. 133 ff. (ausgenommen in Zusammenhang mit der Exterritorialität [S. 147 f.]); SK-Samson, vor § 3
Rn. 1 ff.; Welzel, AT, S. 26 ff.
2
Jescheck, AT, S. 147; ders., Artikel "Strafrecht, Internationales", WVR Bd. III, S. 397;
Schmidhäuser, AT (Lehrbuch), S. 128, spricht vom eigenen "Betroffensein von der Tat"
als völkerrechtlicher Grenze.
3
Jakobs, AT, Rn. 5/5; Jescheck, AT, S. 149.
4
Eser in Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 3-7 Rn. 3 (Hervorhebung im Original).
5
LK-Tröndle, vor § 3 Rn. 16; Jescheck, AT, S. 147.
6
Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 111 bei Fn. 10; ähnlich Vogler, FS Maurach,
S. 602 und Jescheck, FS Maurach, S. 580, denen zufolge die Beschränkung auf bestimmte sinnvolle Anknüpfungspunkte vom Völkerrecht gefordert wird (anders noch Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht, S. 160 ff., wonach
die Staaten bei der Festlegung des Umfangs ihrer Strafgewalt grundsätzlich frei seien).
7
So Stratenwerth, AT, Rn. 103.
10
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Ausnahmen von der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nach den
Grundsätzen des Territorialprinzips eingreifen lassen könne.8 Den Eindruck einer extremen Position vermittelt Hellmuth MAYER, der dem internationalen Strafrecht die Funktion zuerkennt, auf "nationalrechtlicher
Grundlage völkerrechtliche und staatsrechtliche Fragen zu regeln", und der
darüber hinaus den Ursprung der "Prinzipien des internationalen Strafrechts" im Völkergewohnheitsrecht sieht.9
Die konkrete Prüfung eines Teilaspekts des internationalen Strafrechts auf
seine Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht wird in den Dissertationen von
ROSSWOG und WENDT vorgenommen: Beide Autoren kommen unabhängig
voneinander zu dem Ergebnis, daß die Anwendung des passiven Personalitätsprinzips ohne Bestehen einer identischen Norm völkerrechtswidrig
sei.10
II.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
Die deutsche Rechtsprechung hatte bislang nur vereinzelt Gelegenheit, ihren Standpunkt zum Verhältnis zwischen internationalem Strafrecht und
Völkerrecht zu markieren. In zwei gleichgelagerten Entscheidungen zur
Anwendung des Weltrechtsprinzips beim unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln (§ 6 Nr. 5) äußerte der 3. Senat des Bundesgerichtshofs, er
"neige" zu der Auffassung, daß es zur Ausdehnung der staatlichen Strafgewalt eines legitimierenden Anknüpfungspunktes bedürfe,11 den er in den
8
Blei, AT, S. 42.
9
H. Mayer, AT, 1953, S. 91; ebenso in: AT, 1967, S. 39 ("Das internationale Strafrecht in
diesem [den Konflikt zwischen dem Geltungsanspruch ausländischen und inländischen
Strafrechts auflösenden] Sinne ist Völkerrecht"); in die gleiche Richtung Wessels, AT,
S. 13 ("In welchem Umfange ein Staat seine eigene Strafgewalt in Anspruch nehmen und
ausdehnen darf, wird durch die Regeln des Völkerrechts bestimmt, die in Fällen mit Auslandsberührung einen legitimierenden Anknüpfungspunkt voraussetzen ... und herkömmlicher Weise als Prinzipien des internationalen Strafrechts bezeichnet werden" [Hervorhebungen im Original]); vgl. auch H. Mayer, Völkerrecht und internationales Strafrecht,
JZ 1952, S. 609, der an dieser Stelle die Völkerrechtswidrigkeit von § 3 StGB a.F. und
die verfassungsrechtliche Beseitigung dieser Vorschrift durch Art. 24 GG behauptete. Als
"völkerrechtliche Disziplin" bezeichnete bereits Kohler, Internationales Strafrecht, S. 1,
das internationale Strafrecht.
10
Die Begründungen weichen allerdings voneinander ab: Rosswog, Das Problem der Vereinbarkeit, S. 184, sieht hierin einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Rechtsmißbrauchsverbot, während Wendt, Das passive Personalitätsprinzip, S. 98, 105, 108, einen Verstoß gegen das Willkürverbot annimmt.
11
BGHSt. 27, S. 30 (32); BGH, StV 1987, S. 338 (339) = MDR 1987, S. 684, unter Berufung auf Dahm, Völkerrecht Bd. I, S. 260, und Verdross/Simma, Völkerrecht, S. 571 f.;
Völkerrecht und internationales Strafrecht im allgemeinen
11
entschiedenen Fällen aus dem Einheits-Übereinkommen über Suchtstoffe
von 1961 herleitete.
III.
Die ausländische Strafrechtsliteratur
Auch die Lektüre der ausländischen Strafrechtsautoren vermittelt nicht den
Eindruck einer übereinstimmenden Auffassung zur Frage des Verhältnisses
vom Völkerrecht zum internationalen Strafrecht.
In der nordischen Literatur findet das Völkerrecht in einer schwedischen
Monographie12 zum internationalen Strafrecht überhaupt keine Erwähnung.
In anderen Werken behandelt man das Völkerrecht in erster Linie in Zusammenhang mit der Frage der Immunität bzw. Exterritorialität von Diplomaten,13 obgleich sich gerade in den Strafgesetzbüchern der skandinavischen Länder Bestimmungen finden lassen, denen zufolge die Anwendung
der Vorschriften über das internationale Strafrecht durch die im Völkerrecht anerkannten Ausnahmen begrenzt wird14. Lediglich in der finnischen
Monographie von TRÄSKMAN wird darauf hingewiesen, daß Einigkeit darüber herrsche, daß das Völkerrecht den Staaten bei der Festlegung des Anwendungsbereichs ihres Strafrechts gewisse Grenzen ziehe.15
In der Schweiz findet das Völkerrecht insbesondere bei Hans SCHULTZ Beachtung.16 So erwähnt er die Aufgabe des Völkerrechts, die Reichweite
des Landesrechts zu begrenzen, denkt hierbei aber in erster Linie an Regeln
des vertraglichen und nicht des allgemeinen Völkerrechts, deren Vorhan-
s. näher zu der Anwendung des Weltrechtsprinzips auf den unerlaubten Vertrieb von Betäubungsmitteln u. § 18 I.
12
Falk, Straffrätt och Territorium, 1976.
13
So Andenæs, Alminnelig Strafferett, 1974, S. 496, 500 (norw.); Greve/Unmack Larsen/Lindegaard, Straffeloven. Almindelig del, 1981, S. 135 f. (dän.); Seyersted, Internasjonal strafferett, FS Andenæs, 1982, S. 289 (norw.), nennt neben der Immunität als
zweite vom allgemeinen Völkerrecht anerkannte Schranke inländischer Strafgewalt die
ausschließliche Hoheitsgewalt des Flaggenstaates über seine Schiffe auf der Hohen See
(ausgenommen Piraterie).
14
Vgl. § 14 norw. StGB; § 12 dän. StGB; 2. Kap. § 7 schwed. StGB; 1. Kap. § 9
finn. StGB.
15
Träskman, Den finska straffrättens tillämpningsområde, S. 133, unter Bezugnahme auf
Rosswog, S. 38.
16
Dies überrascht freilich nicht, denn Hans Schultz hat gerade auf dem Gebiet des internationalen Strafrechts viel gearbeitet; vgl. nur seine im Literaturverzeichnis angeführten Arbeiten.
12
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
densein in dieser Funktion ihm "höchst zweifelhaft" erscheint.17 An anderer Stelle18 macht er gewisse völkerrechtliche Bedenken gegen das passive
Personalitätsprinzip und gegen das Weltrechtsprinzip bei mangelnder
Rücksichtnahme auf das Tatortrecht geltend. Der Schweizer NOLL wiederum erwähnt das Völkerrecht in anderem Zusammenhang: Wenn das
schweizerische StGB in seinem Art. 3 vom Territorialitätsprinzip ausgehe,
so sei dies auch aus völkerrechtlichen Gründen richtig, weil der moderne
Staat ein Territorialstaat sei und die Grenzen seines Territoriums zugleich
Grenzen seiner Souveränität seien.19
In Österreich vertritt neuerdings wieder TRIFFTERER die Auffassung, daß
die sogenannten Prinzipien des internationalen Strafrechts vom Völkerrecht
aufgestellt wurden mit dem Ziel, Konflikte zwischen den Staaten im Fall
von Kompetenzüberschreitungen bei der Ausdehnung der Strafgewalt zu
regeln.20 Demgegenüber vertrat RITTLER noch im Jahr 1954 zum Zusammentreffen der Strafansprüche verschiedener Staaten die Auffassung, "das
Völkerrecht (tue) nichts zur Lösung einer solchen Konkurrenz".21
Das anglo-amerikanische Recht ist bekanntlich geprägt von der Auffassung,
die staatliche Strafgewalt erfasse grundsätzlich nur im Territorium begangene Delikte. 22 Das Problem einer möglichen Kollision zwischen der
Ausdehnung der Strafgewalt in den anglo-amerikanischen Ländern und
dem Völkerrecht stellt sich daher in dieser Form nicht und wird auch kaum
diskutiert. Ob allerdings schon der Ausgangspunkt für diese Lehre - die
Beschränkung der Strafgewalt auf das Territorium - im Völkerrecht zu su17
H. Schultz, Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts, 1. Bd., 1977, S. 56.
18
Ebd. (vorher. Anm.), S. 99.
19
Noll, Schweizerisches Strafrecht, AT I, 1981, S. 45.
20
Triffterer, Österreichisches Strafrecht, 1985, S. 31.
21
Rittler, Lehrbuch des österreichischen Strafrechts, AT, 1954, S. 44, Anm. 1; dort bezeichnet er auch Bindings Theorie von der Kompetenz-Kompetenz der Staaten als
"durchaus herrschende Auffassung".
22
Vgl. ausführlich Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 163 ff.; Archbold, Pleading, Evidence and Practice in Criminal Cases, § 192: "No british subject can be tried under
English law for an offence committed on land abroad, unless there is a statutory provision
to the contrary"; "(t)hus, subject to statutory exceptions to the contrary ... a person,
whether English or not, who commits crime abroad is not indictable here"; s. auch Blakesley, Extraterritorial Jurisdiction, in Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law,
Vol. II, S. 8 ff., sowie Hirst, Jurisdiction over Cross-Frontier Offences, L.Q.R. 97 (1981),
S. 80; zum Ganzen Wagner, Internationales Strafrecht in England und in den USA, Jur.
Diss. Freiburg 1955.
Völkerrecht und internationales Strafrecht im allgemeinen
13
chen ist, ergibt sich aus der jüngeren anglo-amerikanischen Literatur nicht;
es werden hierfür in erster Linie historische Argumente angeführt.23
§2
Meinungsstand in der Völkerrechtswissenschaft
I.
Zum Verhältnis des Völkerrechts zum innerstaatlichen Recht
im allgemeinen
1.
Die dualistischen und die monistischen Theorien
In der Völkerrechtsliteratur ist das Verhältnis zwischen dem Völkerrecht
und dem innerstaatlichen Recht Gegenstand einer langen wissenschaftlichen Auseinandersetzung gewesen. Es geht hierbei um die Frage,
ob Völkerrecht und innerstaatliches Recht zwei vollständig voneinander
getrennte Rechtsordnungen sind (so die Vertreter der dualistischen Theorie)24 oder aber eine einheitliche Rechtsordnung bilden, wie es die Vertreter des Monismus annehmen. Die Monisten haben sich zu entscheiden,
welchem der beiden Rechtsgebiete innerhalb der Rechtsordnung der Vorrang gebührt. Eine ältere Theorie vertrat, ausgehend von der absoluten
staatlichen Souveränität, die Auffassung, dem staatlichen Recht gebühre im
Konfliktfall gegenüber dem Völkerrecht der Vorrang (monistische Theorie
mit Primat des staatlichen Rechts).25 Demgegenüber vertritt die monistische Theorie vom Primat des Völkerrechts, daß staatliches Recht durch
entgegenstehendes Völkerrecht gebrochen werde.26
23
Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 178, bei Fn. 28, führt das Territorialprinzip in den
USA einerseits auf das Weiterwirken calvinistischer Rechtsauffassung, andererseits auf
historische Anlässe zurück; den letztgenannten Aspekt betonen auch Perkins/Boyce, Criminal Law, S. 40, denen zufolge das Strafrecht nach der Unabhängigkeit der USA von
England "... was concerned so exclusively with the keeping of the peace ...".
24
Hauptvertreter des Dualismus sind Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 1899, S. 271,
und Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, 1929, S. 38, 42, et passim.
25
Vgl. dazu näher Verdross/Simma, Völkerrecht, § 72, m. w. Nachw. in Fn. 7.
26
Diese Theorie vertrat insbesondere Hans Kelsen, Das Problem der Souveränität und die
Theorie des Völkerrechts, 1920, S. 146, 211, et passim; Kelsen hat diese Theorie später
allerdings aufgegeben: Vgl. ders., Unrecht und Unrechtsfolge im Völkerrecht, ZöffR XII
(1932), S. 481 ff.; vgl. ferner Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts, 1948, S. 24.
14
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Die letztgenannte Theorie dürfte in einer gemäßigten Form als die heute
herrschende bezeichnet werden.27 Die Vertreter dieser Auffassung schließen aus dem Vorrang des Völkerrechts nicht, daß jeder völkerrechtswidrige
innerstaatliche Rechtssatz eo ipso nichtig und unwirksam ist, sondern belassen die Auflösung des Konflikts einem dafür vorgesehenen völkerrechtlichen Verfahren.
2.
Bedeutung des Theorienstreits für die Fragestellung
In der Bundesrepublik hat der Verfassungsgeber das Grundgesetz auf eine
bewußt völkerrechtsfreundliche Grundlage gestellt.28 Von besonderer Bedeutung ist hier Art. 25 GG:
"Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes.
Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für
die Bewohner des Bundesgebietes."
Diese Norm hat jedenfalls der Lehre vom strengen Monismus mit Primat
des Völkerrechts wie auch der vom Monismus mit Primat des staatlichen
Rechts eine klare Absage erteilt.29 Die Lehre vom gemäßigten Monismus
mit Primat des Völkerrechts läßt sich dagegen ebenso gut mit Art. 25 GG
vereinbaren wie die dualistische Auffassung mit genereller, auf die allgemeinen Regeln des Völkerrechts beschränkter Umsetzung.30
Ohne sich für eine der genannten Theorien entscheiden zu müssen, kann
hier die Rechtslage des Grundgesetzes mit Art. 25 zugrunde gelegt werden;
zu den dort genannten allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehört nach
ganz einhelliger Auffassung jedenfalls das Völkergewohnheitsrecht.31 Von
Bedeutung ist Art. 25 GG in diesem Zusammenhang freilich erst dann,
wenn das Völkerrecht überhaupt Regeln enthält, die der Ausdehnung der
Strafgewalt auf den Festlandsockel entgegenstehen könnten.
27
Vgl. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rn. 383, 392; Verdross/Simma, Völkerrecht, §§
73, 74.
28
Vgl. Rojahn in v. Münch, GG-Komm., Rn. 1 zu Art. 25 GG.
29
Vgl. Maunz (Erstbearb.) in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG-Komm., Art. 25, S. 6.
30
Vgl. Maunz, ebd. (vorher. Anm.); Menzel (Erstbearb.), Bonner Komm., Art. 25, S. 6.
31
Vgl. Menzel, ebd. (vorher. Anm.); Seidl-Hohenveldern, Rn. 412 ff.
Völkerrecht und internationales Strafrecht im allgemeinen
15
II.
Zum Verhältnis des Völkerrechts zum internationalen Strafrecht im
besonderen
1.
Die Völkerrechtslehre
Zum Verhältnis des Völkerrechts zum internationalen Strafrecht als ein
Bestandteil (inner-)staatlichen Rechts wird in der Völkerrechtslehre nur
vereinzelt Stellung genommen. Dies mag seine Ursache darin haben, daß
als "wohl unbestrittene Rechtsüberzeugung" gilt, daß eine Regelung aller
Vorgänge auf der Erde ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer näheren
Beziehung durch einen einzelnen Staat völkerrechtlich unzulässig sei.32
Als völkerrechtlich ausreichende Anknüpfungspunkte oder (Binnen-)Beziehungen gelten allgemein neben der Territorialhoheit und der aktiven sowie passiven Personalhoheit der Schutz wichtigster Staatsinteressen
und das Universalitätsprinzip.33
Diese Auffassung deckt sich mit der oben dargestellten strafrechtlichen;
auffallend ist jedoch, daß hier von Territorial- und Personalhoheit die Rede
ist, worin die völkerrechtliche Auffassung von der doppelten Autorität des
modernen Staates ihren Ausdruck findet.34
2.
Die Rechtsprechung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs
In der Völkerrechtsprechung ist es insbesondere das Lotus-Urteil des Ständigen Internationalen Gerichtshofs vom 7. September 1927,35 das zum
leading case zur Frage des Verhältnisses des Völkerrechts zum internationalen Strafrecht geworden ist.36 Der StIGH hatte zu entscheiden,
32
Wengler, Völkerrecht, Bd. 2, S. 935; ebenso Dahm, Völkerrecht Bd. 1, S. 254 f., 256 f.;
Herdegen, Die Achtung fremder Hoheitsrechte als Schranke nationaler Strafgewalt, ZaöRV 47 (1987), S. 234; F.A. Mann, The Doctrin of Jurisdiction in International Law, RdC
111 (1964 I), S. 83 ("close connection"); Menzel/Ipsen, Völkerrecht, S. 150; Rudolf, Territoriale Grenzen staatlicher Rechtsetzung, S. 22 ff.; Verdross/Simma, §§ 1183 f.
33
Vgl. Seidl-Hohenveldern, Rn. 1017.
34
Siehe dazu Verdross/Simma, § 388 f.; Graf Vitzthum, Artikel "Staatsgebiet", in Handbuch
des Staatsrechts I, S. 710 ff., 715.
35
Abgedruckt in der amtlichen Sammlung des Gerichtshofs "Publications des la Cour permanente de Justice internationale, Série A - No. 10, Arrêt Nr. 9, S. 1 ff.", sowie in deutscher Sprache in den "Entscheidungen des Ständigen Internationalen Gerichtshofs in
deutscher Übersetzung" (=StIGHE) Bd. 5 (1927), S. 71 ff.
36
Vgl. zum Lotus-Urteil V. Bruns, Völkerrecht als Rechtsordnung, ZaöRV I (1929),
S. 50 ff.; Glatzel, Völkerrechtliche Grenzen für den Anwendungsbereich des staatlichen
Strafgesetzes, S. 83 f., 96 ff.; Herndl, Artikel "Lotus-Fall", WVR Bd. II,
16
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
ob die Türkei dadurch gegen das Völkerrecht verstoßen hatte, daß sie gegen den wachhabenden Offizier des französischen Postdampfers "Lotus",
der auf Hoher See mit dem türkischen Schiff "Boz-Kourt" zusammengestoßen war, was den Tod von acht türkischen Seeleuten zur Folge hatte, ein
Strafverfahren durchführte. Mit knapper Mehrheit - wegen Stimmengleichheit war die Stimme des Präsidenten maßgebend - verneinte das Gericht diese Frage. Ausdrücklich nahm das Gericht nicht zu der Frage Stellung, ob der türkische Strafanspruch aufgrund der türkischen Staatsangehörigkeit der getöteten Seeleute - auf das passive Personalitätsprinzip hatte
das türkische Gericht die Verurteilung gestützt - begründet sei. Das Gericht
stellte vielmehr fest, daß der Erfolg der dem französischen Offizier zur Last
gelegten Tat - der Tod der türkischen Seeleute - auf einem türkischen
Schiff und damit auf türkischem Territorium eingetreten sei, da nach Auffassung des Gerichts ein Schiff dem Territorium des Flaggenstaates
gleichzustellen sei; die Begründung von Strafgewalt über den Ort des Erfolgseintritts verbiete das Völkerrecht nicht. Damit erkannte der StIGH lediglich das Ubiquitätsprinzip als völkerrechtsgemäß an.37
In unserem Zusammenhang sind die Erwägungen von Bedeutung, die das
Gericht zum Verhältnis des Völkerrechts zum internationalen Strafrecht im
allgemeinen anstellte: Danach sind die Staaten in der Ausdehnung ihrer
Strafgewalt auf außerterritoriale Sachverhalte frei, solange dem kein ausdrückliches völkerrechtliches Verbot entgegensteht.38 Hierin scheint ein
Widerspruch zu den oben zitierten Völkerrechtsautoren begründet zu liegen,
die einen sinnvollen Anknüpfungspunkt als Mindesterfordernis für die
Ausdehnung staatlicher Strafgewalt auf Auslandssachverhalte voraussetzen.
Dieser scheinbare Widerspruch löst sich jedoch auf, wenn zwei Stufen unterschieden werden, auf denen das Völkerrecht Einfluß auf die Festlegung
innerstaatlicher Strafgewalt nehmen kann:
Auf der ersten Stufe verlangt das Völkerrecht lediglich eine Verbindung
zwischen Tat, Tatort, Täter oder Opfer einerseits und strafendem Staat andererseits, also einen sinnvollen Anknüpfungspunkt. Ein Staat, der seine
Strafgewalt ohne einen derartigen Anknüpfungspunkt auf einen Auslandssachverhalt ausdehnt, "macht von einer Kompetenz Gebrauch, die nicht
S. 431 ff.; Rosswog, Das Problem der Vereinbarkeit, S. 76 ff., 102 ff.; Verdross/ Simma,
§ 1184; Wendt, Das passive Personalitätsprinzip, S. 56 f.
37
Ebenso Jescheck, AT, S. 152.
38
StIGHE 1927, S. 89 ff., 94 f., 97 f.; gegen diese Ausgangsposition ausdrücklich die Richter Loder, Lord Finlay und Nyholm in ihren abweichenden Ansichten (ebd., S. 107, 128,
137 f., 141); wie diese Bruns in seiner Kritik des Lotus-Urteils (ZaöRV I [1929], S. 53).
Völkerrecht und internationales Strafrecht im allgemeinen
17
ihm, sondern einem anderen Staat zusteht. Er erfüllt damit den Tatbestand
einer verbotenen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen
Staats."39
Ist ein Anknüpfungspunkt vorhanden, besteht eine Vermutung für die völkerrechtliche Zulässigkeit der Ausdehnung nationaler Strafgewalt solange,
bis auf einer zweiten Stufe ein völkerrechtliches Verbot ermittelt wird. Der
Satz des StIGH bezieht sich augenscheinlich auf die zweite Prüfungsstufe,
da sich das Gericht nicht auf die Feststellung des Fehlens einer völkerrechtlichen Verbotsnorm beschränkte, sondern - in einem hier als erste
Stufe bezeichneten Prüfungsschritt - einen Anknüpfungspunkt suchte und
im erweiterten oder objektiven Territorialitätsprinzip fand.40 Erst danach
untersuchte das Gericht in einem weiteren Schritt, ob im konkreten Fall der
Schiffskollision auf Hoher See das Völkerrecht die Ausdehnung der Strafgewalt durch die Türkei verbiete; einen solchen Satz vermochte es nicht zu
erkennen.41
39
Geiger, Völkerrecht und Grundgesetz, S. 299 (Hervorhebung im Original); ebenso Herdegen, Die Achtung fremder Hoheitsrechte als Schranke nationaler Strafgewalt, ZaöRV
47 (1987), S. 235 (Verstoß gegen das Interventionsverbot); Kunig, Die Bedeutung des
Nichteinmischungsprinzips für das Internationale Strafrecht der Bundesrepublik
Deutschland, JuS 1978, S. 594 f.; F.A. Mann, The Doctrine of Jurisdiction in International Law, RdC 111 (1964 I), S. 82 ("this would be a clear case of the violation of the principle of non-interference"); Meng, Neuere Entwicklungen im Streit um die Jurisdiktionshoheit der Staaten im Bereich der Wettbewerbsbeschränkungen, ZaöRV 41 (1981),
S. 502 f.; ders., Völkerrechtliche Zulässigkeit und Grenzen wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Hoheitsakte mit Auslandswirkung, ZaöRV 44 (1984), S. 747 ff.; ausführlich zum
Interventionsverbot Bockslaff, Das völkerrechtliche Interventionsverbot als Schranke außenpolitisch motivierter Handelsbeschränkungen, S. 28 ff. - S. auch BVerfGE 63, S. 343
(369), für die Auferlegung von Abgaben gegen einen im Ausland lebenden Ausländer
ohne Bestehen sachgerechter Anknüpfungspunkte in dem die Abgaben erhebenden Staat;
KG vom 26.11.1980 - Kart 18/80 -, RIW/AWD 1981, S. 406.
40
Ebenso F.A. Mann, RdC 111 (1964 I), S. 82 bei Fn. 125 ("This point of view which may
safely be said to underlie all the opinions rendered in the Case of the Lotus"); vgl. auch
Rosswog, S. 80.
41
Anders die Rechtslage aus heutiger Sicht, da schon bald nach Erlaß des Lotus-Urteils
einsetzende Bestrebungen, die ausschließliche Zuständigkeit des Flaggenstaates bei
Schiffskollisionen auf Hoher See zu begründen, in dem Internationalen Übereinkommen
zur Vereinheitlichung von Regeln über die strafgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen und anderen mit der Führung eines Seeschiffes zusammenhängenden Ereignissen vom 10. Mai 1952 [s. dazu u. § 4 VIII. 3] und in Art. 11 des Genfer Hohe-See-Übereinkommens ihren Niederschlag fanden (vgl. hierzu Herndl, Artikel "Lotus-Fall", WVR Bd. II, S. 433).
18
III.
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Ergebnis
Im Ergebnis besteht Einigkeit darüber, daß zwischen dem strafenden Staat
und dem Täter, dem Opfer, dem Tatort oder der Tat selbst irgendeine Beziehung bestehen muß, damit die Ausdehnung der Strafgewalt völkerrechtsgemäß ist. Anerkannte Anknüpfungspunkte sind der Tatort im Inland,
die inländische Staatsangehörigkeit des Täters oder des Verletzten, die Angriffsrichtung der Tat gegen bestimmte Rechtsgüter des strafenden Staates,
und schließlich die Verteidigung einiger weniger universeller Rechtsgüter;
diese Anknüpfungspunkte werden gemeinhin als die Prinzipien des internationalen Strafrechts bezeichnet.
Mit dem Vorliegen eines der soeben genannten Anknüpfungspunkte ist
aber noch nicht gesagt, daß damit dem Völkerrecht immer und in jedem
Fall Genüge getan ist. Auf einer zweiten Stufe ist vielmehr zu prüfen, ob
der Ausdehnung der Strafgewalt im konkreten Einzelfall eine Völkerrechtsnorm entgegensteht. Als Beispiel hierfür wurde in jüngerer Zeit nur
das völkerrechtliche Verbot des Rechtsmißbrauchs genannt, das zur Völkerrechtswidrigkeit des passiven Personalitätsprinzips führe, sofern es ohne
Rücksicht auf eine identische Tatortnorm herangezogen werde.42
Im folgenden Kapitel wird zunächst geprüft, ob in der Tatbegehung im Bereich des deutschen Festlandsockels ein sinnvoller Anknüpfungspunkt begründet liegt, der die Ausdehnung der Strafgewalt auf dieses Gebiet wegen
der in den §§ 324, 326, 330 und 330a StGB mit Strafe bedrohten Umweltdelikte rechtfertigt. Ist dies der Fall, stellt sich die weitere Frage nach völkerrechtlichen Bestimmungen, die der Ausdehnung der Strafgewalt auf den
Festlandsockel entgegenstehen könnten.
42
Jescheck, AT, S. 152; Rosswog, S. 184, m. zahlr. w. Nachw. in Fn. 319; Wendt, Das passive Personalitätsprinzip, S. 98 ff., 105, 108, mit der abweichenden Begründung, die Bestrafung in Anwendung des passiven Personalitätsprinzips trotz fehlender identischer
Norm verstoße gegen das völkerrechtliche Willkürverbot. Zweifelnd zu der Frage, ob das
Völkerrecht überhaupt den Grundsatz des Rechtsmißbrauchs kennt, allerdings von Münch,
Das völkerrechtliche Delikt, S. 19, m. w. Nachw., und Rudolf, Territoriale Grenzen staatlicher Rechtsetzung, S. 19 ff.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
2. KAPITEL:
DIE STRAFRECHTLICHEN BEFUGNISSE
GRUND VÖLKERRECHTS
IM
19
BEREICH
DES
MEERES
AUF-
§3
Die strafrechtlichen Befugnisse im Bereich des Meeres aufgrund
Völkergewohnheitsrechts
I.
Vorbemerkung
Ein Staat, der seine Strafgewalt auf Auslandssachverhalte erstreckt, ohne
daß ein sinnvoller Anknüpfungspunkt besteht, erfüllt den Tatbestand der
verbotenen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen Staates und verstößt gegen das Interventionsverbot.43 Für die Ausdehnung der
Strafgewalt auf den Festlandsockel bei bestimmten Umweltdelikten kann
zweifellos eine sinnvolle Beziehung zugrunde gelegt werden: Bei dem Bereich des deutschen Festlandsockels handelt es sich um die dem deutschen
Küstenmeer unmittelbar vorgelagerte Zone,44 so daß in diesem Gebiet begangene Meeresverschmutzungen sich nicht nur mittelbar durch Beeinträchtigung des Gesamtökosystems von Nord- und Ostsee auf deutsche Interessen auswirken, sondern wegen der räumlichen Nähe zum Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland deutsche Küsten und Küstengewässer unmittelbar bedrohen. Dem stehen allerdings der von altersher anerkannte, in Art. 2 des Genfer Übereinkommens über die Hohe See vom 29.
April 195845 kodifizierte Grundsatz der Freiheit der Meere46 sowie der
daraus abgeleitete weitere Satz entgegen, daß Schiffe, jedenfalls solange sie
die Hohe See befahren, unter der ausschließlichen Hoheitsgewalt des
Flaggenstaates stehen.47 Seine positive Grundlage hat dieser Satz in Art. 6
43
S. o § 2 II. 2. bei und in Anm. 39.
44
S. u. § 3 VII.
45
Hohe-See-Übk., abgedr. in BGBl. 1972 II, S. 1089; Platzöder/Graf Vitzthum, Seerecht,
S. 27.
46
Von diesem Grundsatz gehen alle Arbeiten aus, die sich mit dem Seerecht befassen: Vgl.
statt vieler Ehmer, Der Grundsatz der Freiheit der Meere und das Verbot der Meeresverschmutzung, S. 28 ff.; Hakapää, Marine Pollution in International Law, S. 259 ff.; Rüster,
Die Rechtsordnung des Festlandsockels, S. 85 ff.; Soni, Control of Marine Pollution in
International Law, S. 19 ff.; Verdross/Simma, Völkerrecht, §§ 1124 ff.; Wolfrum, Die Internationalisierung staatsfreier Räume, S. 123 ff., jeweils m. zahlr. w. Nachw.
47
Vgl. Hasselmann, Die Freiheit der Handelsschiffahrt, S. 8 ff.; Verdross/Simma, § 1129;
StIGHE 1927, S. 97 (Lotusfall); die Hoheitsgewalt beschränkt sich nicht nur auf das
Recht, Hoheitsakte auf Schiffen eigener Flagge durchzusetzen (jurisdiction to enforce),
sondern erfaßt grundsätzlich auch die Befugnis, Regelungen für die Verhältnisse an Bord
zu erlassen (jurisdiction to enscribe) (ebenso Hasselmann, S. 9 bei Fn. 13).
20
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Abs. 1 S. 1 Hohe-See-Übk.48 gefunden:
"Ships shall sail under the flag of one state only and, save in exceptional cases
expressly provided for in international treaties or in these articles, shall be subject
to its exclusive jurisdiction on the high seas."
Zwar drängt sich hier die Frage auf, ob von der Freiheit der Meere die
Freiheit zur Meeresverschmutzung mitumfaßt ist.49 Mehrere Autoren vertreten noch bis in die jüngste Zeit die Ansicht, daß die Nutzung der Hohen
See als Abfallgrube, jedenfalls solange dies gewisse Grenzen nicht überschreitet, eine durchaus zulässige Nutzungsform sei. 50 Abgeleitet wird
dieses Recht aus Art. 2 S. 3 Hohe-See-Übk., in dem die vier Freiheiten der
Hohen See51 nur beispielhaft und nicht enumerativ aufgelistet seien ("inter
alia"); zudem sei in Art. 2 S. 4 von diesen sowie den "sonstigen nach den
allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts anerkannten Freiheiten" die
Rede.52 Die Gegenmeinung sieht nicht erst in den verschiedenen, auf dem
Gebiet des Meeresumweltschutzes erlassenen völkerrechtlichen Überein48
Für Abecassis/Jarashow, Oil pollution from ships, S. 91, "... enshrines (Article 6) the
heart of flag state jurisdiction ...".
49
Gelegentlich wird freilich ohne weiteres aus dem Grundsatz der ausschließlichen Hoheitsgewalt des Flaggenstaates deduziert: "Thus any pollution offences by a ship on the
high seas must be dealt with by the flag state" (Bates, United Kingdom Marine Pollution
Law, 1985, S. 10 nach Fn. 6; ebenso Abecassis/Jarashow, S. 91).
50
Rüster, Freiheit der Meere - auch zur Verschmutzung?, in Mayer-Tasch (Hrsg.), Die Luft
hat keine Grenzen, 1986, S. 30; Petersmann, Rechtsprobleme der deutschen Interimsgesetzgebung für den Tiefseebergbau, ZaöRV 41 (1981), S. 308 in Fn. 94; Ehlers/Kunig,
Abfallbeseitigung auf Hoher See, 1978, S. 9; Ehmer, Der Grundsatz der Freiheit der
Meere und das Verbot der Meeresverschmutzung, 1974, S. 36, 98 ff., 144 ff.; wohl auch
Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 1076 bei Fn. 3; Welsch, Die völkerrechtliche Zulässigkeit des Verbringens radioaktiver Stoffe in den Meeresuntergrund, 1986, S. 183, für die
Beseitigung radioaktiver Abfälle (gegen Welsch Kunig in seiner Rezension, NVwZ 1987,
S. 965; Ehlers/Kunig, Abfallentsorgung auf See, NVwZ 1987, S. 949 bei Fn. 24; der
Streit dreht sich in diesem Fall um die Frage, ob das LONDON-Übereinkommen vom 29.
Dezember 1972 [s. dazu u. § 4 V.] radioaktive Abfälle erfaßt oder nicht); zu diesem
Problem auch Bryde, Völker- und Europarecht als Alibi für Umweltschutzdefizite?, Martens-Gedächtnisschrift, 1986, S. 30; Wolfrum, Die grenzüberschreitende Luftverschmutzung im Schnittpunkt von nationalem Recht und Völkerrecht, DVBl. 1984, S. 494 l. Sp.
("[z]ur Zeit gibt es im Völkerrecht ... kein generelles Verbot der Umweltverschmutzung
als solcher").
51
Genannt werden die Freiheit der Schiffahrt, die Freiheit der Fischerei, die Freiheit, unterseeische Kabel und Rohrleitungen zu legen, und die Freiheit, die Hohe See zu überfliegen.
52
Vgl. die Darstellung bei Soni, Control of Marine Pollution in International Law, S. 133 ff.,
der diesen Ansatz freilich selbst ablehnt; als sonstige, nicht in Art. 2 genannte Freiheit ist
beispielsweise die Freiheit der wissenschaftlichen Meeresnutzung anerkannt.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
21
kommen die Beschränkung einer "Verschmutzungsfreiheit", sondern entnimmt eine Begrenzung bereits aus Art. 2 S. 4 Hohe-See-Übk., der die
Ausübung der Freiheiten der Hohen See nur unter angemessener Berücksichtigung des Interesses gestattet, das die anderen Staaten an der Freiheit
der Meere haben;53 die Grenze der Gemeinverträglichkeit ist für diese
Autoren immanente Schranke aller Freiheiten der Hohen See.
In einer Zeit, in der fast täglich neue Schreckensmeldungen über den Zustand insbesondere der Nordsee verbreitet werden, noch von einer Freiheit
zur Verschmutzung zu sprechen, mutet zynisch an. Für die Beurteilung der
Frage, ob ein Küstenstaat berechtigt ist, Ausländer auf ausländischen
Schiffen für Meeresverschmutzungen im Bereich der Hohen See zu bestrafen, kann jedoch dahingestellt bleiben, ob eine "Verschmutzungsfreiheit"
besteht oder nicht und wann gegebenenfalls die Gemeinverträglichkeitsgrenze überschritten wird. Denn selbst wenn Art. 2 S. 4 Hohe-See-Übk. ein
völkerrechtliches Verbot der Meeresverschmutzung kodifizieren sollte,
folgt hieraus nicht die Berechtigung zur Erstreckung inländischer Strafgewalt auf Auslandstaten, da diese Bestimmung an die Staaten gerichtet ist
und Einzelmenschen keine Verpflichtungen auferlegt.54 Völkerrechtswidrig handelt der Flaggenstaat, der gegen Verschmutzungen der Hohen See
durch Schiffe seiner Flagge nicht einschreitet, nicht das Schiff bzw. die
Verantwortlichen an Bord.55 Wenn also ein (Küsten-)Staat Regelungen für
ausländische Schiffe auf der Hohen See trifft und bei Verletzungen konkrete Maßnahmen einleitet, so liegt darin grundsätzlich ein Eingriff in die
ausschließliche Jurisdiktionsbefugnis des Flaggenstaates. Ob im Fall der
Meeresverschmutzung der Grundsatz der ausschließlichen Hoheitsgewalt
des Flaggenstaates seinerseits durch Bestimmungen des allgemeinen See53
Vgl. Gündling, Ölunfälle bei der Ausbeutung des Festlandsockels, ZaöRV 37 (1977),
S. 548 in Fn. 117, gegen Ehmer; ders., Rechtsprobleme der Abfallbeseitigung auf See,
NuR 1982, S. 45 f.; Jaenicke, Stellungnahme, Zur Sache 3/71, S. 206; Soni, S. 134.
54
Vgl. zum Problem der völkerrechtlichen Verpflichtung von Einzelmenschen Verdross/
Simma, Völkerrecht, §§ 430 ff., m. zahlr. w. Nachw.; dort wird als einziger - streitiger Fall der unmittelbaren Verantwortlichkeit von Individuen aufgrund Völkerrechts - also
ohne Dazwischentreten innerstaatlicher, in Ausführung völkerrechtlicher Verpflichtungen
erlassener Strafnormen - die Befugnis genannt, Angehörige feindlicher Streitkräfte wegen
Verletzung des völkerrechtlichen Kriegsrechts zu bestrafen (aaO., § 439).
55
Vgl. Handl, State Liability for Accidential Transnational Environmental Damage by Private Persons, AJIL 74 (1980), S. 525 ff., insbes. S. 529, 564; Kimminich, Völkerrecht,
S. 487 bei Fn. 13, für den Grundlage der völkerrechtlichen Haftung die (wohl unterbliebene) effektive Kontrolle über umweltschädigende Aktivitäten ist; s. zum Problem des
völkerrechtlichen Unrechts und seiner Wiedergutmachung im allgemeinen Verdross/Simma, §§ 1262 ff., insbes. §§ 1281 ff.
22
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
völkerrechts oder der speziell auf dem Gebiet des Meeresumweltschutzes
verabschiedeten völkerrechtlichen Verträge zugunsten einer Regelungsbefugnis des Küstenstaates eingeschränkt ist,56 hat die nachstehende Untersuchung zu ergeben. Dabei können sich aus dem allgemeinen Seevölkerrecht insbesondere aus dem Regime der verschiedenen Meereszonen, die
die Küstenstaaten über ihr Küstenmeer hinaus für sich beanspruchen, entsprechende Regelungsbefugnisse ergeben.
II.
Eigengewässer
Das geltende Völkerrecht kennt unterschiedliche Meereszonen mit in ihrer
Intensität abgestuften Hoheitsrechten der Küstenstaaten.57 Es sind dies die
inneren Gewässer 58 und das Küstenmeer, die Anschlußzone, das Festlandsockelgebiet und die Hohe See; ob Gebiete wie besondere Fischereizonen und die ausschließliche Wirtschaftszone bereits zum geltenden Völkerrecht zu rechnen sind, bedarf im folgenden noch der Klärung.
Keine Meereszone bilden die sogenannten Eigengewässer;59 mit diesem
Ausdruck werden Binnenseen und Binnenmeere (z.B. der Bodensee, Genfer See) sowie Flüsse und Kanäle bezeichnet. Eigengewässer gehören zum
Staatsgebiet und unterstehen der vollen Hoheitsgewalt - auch in strafrechtlicher Hinsicht - des Staates, in dem sie sich befinden.
56
Dieser Möglichkeit sieht Art. 6 Abs. 1 S. 1 Hohe-See-Übk. (abgedr. o. bei Anm. 48) ausdrücklich vor.
57
Siehe zur Veranschaulichung die Skizze im Anhang II.
58
Dieser Begriff hat sich als deutsche Bezeichnung von internal waters in völkerrechtlichen
Übereinkommen und im völkerrechtlichen Schrifttum allgemein eingebürgert. Es ist aber
darauf hinzuweisen, daß gelegentlich andere Bezeichnungen verwendet werden: So nennt
Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 402, die inneren Gewässer "Binnengewässer";
Wille, Die Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen,
S. 7, bezeichnet sie unter Berufung auf Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 1078, passim, als
"Eigengewässer"; ebenso Dreher/Tröndle, § 3 Rn. 4.
59
Vgl. dazu Verdross/Simma, § 1057; Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 1078.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
III.
23
Innere Gewässer
Bei den inneren Gewässern (internal waters/eaux intérieures) handelt es
sich um die Meeresgebiete, die sich von der sogenannten Basislinie landwärts erstrecken.60 Die Basislinie ist die Linie, von der aus die Breite des
Küstenmeeres und der übrigen Meereszonen gemessen wird. Sie entspricht
als normale Basislinie der Niedrigwasserlinie entlang der Küste; daß es
landwärts überhaupt innere Gewässer geben kann, liegt an der völkerrechtlich anerkannten weiteren Methode der Festlegung der sogenannten geraden Basislinie (straight baseline).61 Bei dieser Methode dürfen im Falle
stark zerklüfteter Küsten, vorgelagerter Inselketten, tiefer Küsteneinschnitte durch Buchten, Deltas, Flußmündungen usw. die Basislinien die äußersten seewärtigen Landpunkte verbinden. Zu den inneren Gewässern der
Bundesrepublik in der Nordsee gehören etwa die Elbe- und die Wesermündung und ebenso das Meeresgebiet zwischen den ostfriesischen Inseln
und dem deutschen Festland, weil die Bundesrepublik mit ihrer Basislinie
die seewärts äußersten Punkte der ostfriesischen Inseln verbunden hat.62
Die inneren Gewässer unterstehen wie das - nachstehend noch näher zu
beschreibende - Küstenmeer der vollen Souveränität des Küstenstaates.63
Während jedoch im Küstenmeer fremde Schiffe gewisse Freiheiten, insbesondere das Recht auf friedliche Durchfahrt (innocent passage) genießen,
gilt dies nicht für die inneren Gewässer.64 Aus diesem Umstand sollte zu
folgern sein, daß auch mit Hinblick auf die Strafgewalt kein Unterschied
zwischen den inneren Gewässern und dem Landterritorium besteht, ein
Küstenstaat völkerrechtlich also nicht gehindert ist, Vorgänge an Bord eines in den inneren Gewässern befindlichen fremden Schiffes strafrechtlich
zu bewerten. Diese Aufassung wird auch gestützt durch den Umkehrschluß
aus Art. 19 KMK (Art. 27 UNSRK), in dem lediglich der Ausübung der
criminal jurisdiction an Bord eines fremden Schiffes im Küstenmeer Grenzen gesteckt werden.65 Gleichwohl war die Auffassung von der unbe60
Art. 5 Abs. 1 der Genfer Konvention über das Küstenmeer und die Anschlußzone vom 29.
April 1958 (= KMK; abgedr. in Platzöder/Graf Vitzthum, Seerecht, S. 17); ebenso Art. 8
Abs. 1 der UNSRK.
61
Art. 4 KMK; Art. 7 UNSRK.
62
Vgl. die Abbildung im Anhang I und bei Wolfrum, Die Küstenmeergrenzen der Bundesrepublik Deutschland in Nord- und Ostsee, AVR 24 (1986), S. 273.
63
Art. 1 KMK; Art. 2 UNSRK.
64
Vgl. Art. 14 ff. KMK; Art. 17 ff. UNSRK; Hakapää, S. 163; Verdross/Simma, § 1074;
unzutreffend Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 402 a.E.
65
Unzutreffend ist die Behauptung von Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 466, daß
24
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
schränkten Strafgewalt über fremde Schiffe in inneren Gewässern nicht
immer unbestritten.66 Insbesondere in Frankreich war man der Meinung,
die Strafgewalt des Küstenstaates sei in diesem Fall von vornherein beschränkt und erfasse nicht solche Taten, die lediglich die Schiffsdisziplin
berührten oder sich zwischen Besatzungsmitgliedern ereigneten, ohne eine
Außenwirkung zum Küstenstaat zu entfalten. Demgegenüber vertrat die
anglo-amerikanische Auffassung, daß die Strafgewalt des Küstenstaates im
Ausgangspunkt unbeschränkt sei, bei lediglich internen Vorgängen von ihr
jedoch kein Gebrauch gemacht werden sollte. Der letztgenannten Auffassung folgt auch die Bundesrepublik: Die deutsche Strafgewalt besteht auch
über ausländische Schiffe in inneren Gewässern grundsätzlich unbeschränkt, weil diese Meeresteile zum Inland i.S.v. § 3 StGB gehören; jedoch gilt für die Verfolgung von Straftaten auf ausländischen Schiffen im
Inland nicht das strenge Legalitätsprinzip, sondern das Opportunitätsprinzip (§ 153c Abs. 1 Nr. 2 StPO)67.
Eine in den deutschen inneren Gewässern begangene Meeresverschmutzung untersteht deshalb wie jede andere Straftat deutscher Strafgewalt,
auch wenn sie von einem ausländischen Schiff aus begangen wird; eine
Einstellung des Verfahrens nach § 153c Abs. 1 Nr. 2 StPO wird regelmäßig
nicht in Betracht kommen, weil deutsche Interessen unmittelbar verletzt
sind.
nach dem Internationalen Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die
strafgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen und anderen mit der Führung
eines Seeschiffes zusammenhängenden Ereignissen (BGBl. 1972 II, S. 668) Schiffszusammenstöße in Häfen ausschließlich vom Flaggenstaat strafrechtlich bewertet werden
dürften; gemäß Art. 4 Abs. 1 sind Häfen, Reeden und innere Gewässer ausdrücklich vom
Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeschlossen, so daß der Hafenstaat nach
dem Territorialprinzip Vorgänge in diesen Bereichen ohne weiteres strafrechtlich bewerten und verfolgen darf.
66
Vgl. die Darstellung bei Hakapää, S. 169 f; Wille, S. 54 f.
67
Vgl. hierzu ausführlich Wille, S. 52 ff.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
IV.
Küstenmeer
1.
Begriff und räumliche Ausdehnung
25
Seit jeher haben die Staaten einen bestimmten Meeresstreifen vor ihren
Küsten für sich beansprucht und ihrer Souveränität unterworfen. Dieser
völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Anspruch wurde in der Genfer
Küstenmeerkonvention vom 29. April 1958 kodifiziert.
Die Breite des Küstenmeeres (territorial sea/eaux territoriales) bestimmte
sich, wie es der berühmte Satz von BYNKERSHOEK "imperium terrae finitur,
ubi finitur armorum potestas" aus dem Jahr 1703 ausdrückte,68 nach der
Kanonenschußweite. Diese wurde überwiegend auf 3 sm festgesetzt, ohne
daß diese Entfernung immer und gleichermaßen anerkannt war. In der
Genfer KMK war eine zulässige äußerste seewärtige Grenze nicht ausdrücklich genannt; diese durfte aber jedenfalls in nicht mehr als 12 sm
Entfernung von der Basislinie verlaufen, wie ein Umkehrschluß aus Art. 24
Abs. 2 ergibt. In der UNSRK wird dagegen als äußerste Grenze ausdrücklich eine Entfernung von 12 sm genannt (Art. 3).
Obwohl im März 1983 bereits 83 Staaten die Zwölfmeilenzone eingeführt
hatten und zu diesem Zeitpunkt lediglich 16 Staaten, darunter die Bundesrepublik und die USA, an der Dreimeilenzone festhielten, 69 kann die
Zwölfmeilenzone nach VERDROSS/SIMMA nicht als allgemein anerkannte
Norm des Völkerrechts angesehen werden.70
Zwischenzeitlich haben weitere Vertreter der Dreimeilenzone ihre Küstenmeere auf 12 sm ausgedehnt. Hierzu gehören die DDR, 71 die Niederlande, 72 Großbritannien 73 und Belgien; 74 Dänemark beabsichtigt eben68
Quaestionum juris publici libri duo, I, cap. VII, zitiert nach Verdross/Simma, § 1071
Fn. 13.
69
Angaben nach Verdross/Simma, § 1071 bei Fn. 15.
70
Ebd. (vorher. Anm.); gegenteiliger Auffassung im Sinne einer völkerrechtlichen Anerkennung der Zwölfmeilengrenze bereits im Jahr 1977 Rüster, Die Rechtsordnung des
Festlandsockels, S. 113 ff.
71
Mit Wirkung vom 1. Januar 1985; GBl. der DDR 1984 I, S. 441; die Bundesregierung hat
die Ausweitung einer "sorgfältigen Prüfung" unterzogen, ohne daß aber spätere Proteste
bekannt geworden wären (FAZ v. 3.1.1985).
72
Mit Wirkung vom 1. Juli 1985 durch Gesetz vom 9. Januar 1985 (Stb. 1985, Nr. 129); vgl.
dazu Wolfrum, AVR 24 (1986), S. 258 ff.; Ijlstra, De exclusieve economische zone, Milieu en recht 1986/7, S. 200.
73
Durch den Territorial Sea Act 1987, der am 1.10.1987 in Kraft getreten ist; s. dazu Churchill, Current Legal Developments, ICLQ 37 (1988), S. 412 ff., demzufolge die Erweite-
26
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
falls die Ausdehnung seiner Hoheitsgewässer auf 12 sm.75
Die Bundesrepublik hat die Dreimeilenzone im Grundsatz beibehalten. Lediglich im weiteren Mündungsbereich von Elbe, Weser und Jade südlich
und westlich von Helgoland wurde das Küstenmeer durch Proklamation
vom 12. November 1984 mit Wirkung vom 16. März 1985 im Wege einer
sogenannten "Boxenlösung" von drei auf zwölf Seemeilen, in einem eine
Tiefwasserreede erfassenden Bereich sogar auf 16 sm ausgedehnt.76 Diese
Ausweitung, gegen die von den USA Protest eingelegt wurde,77 erfolgte,
"um geeignete Maßnahmen gegen die Gefahr eines Tankerunfalles und einer Ölverseuchung des Meeres und der Küste in der Deutschen Bucht treffen zu können".78 Nunmehr kann in einem Bereich, der zu den meistbefahrensten der Welt gehört, deutsches Recht - insbesondere die deutsche
Seeschiffahrtsstraßenordnung79 - angewendet werden, und die deutschen
Behörden sind berechtigt, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und
Leichtigkeit des Schiffsverkehrs erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
Nach der Entwicklung der letzten Jahre80 wird man zum jetzigen Zeitpunkt
davon ausgehen können, daß sich 12 sm als äußerste Grenze des Küstenmeeres völkergewohnheitsrechtlich durchgesetzt haben.81
rung der Küstenmeergrenze auf 12 sm "zweifelsohne" dem Völkergewohnheitsrecht entspricht; laut Pressemeldungen (FAZ Nr. 250 v. 28.10.1987) haben die französische Regierung und französische Fischer gegen die britische Ausdehnung, letztere durch Hafenblockaden, protestiert, weil von diesen aufgesuchte Fischgründe nun in den britischen
Hoheitsgewässern liegen. Freilich hatte Frankreich selbst kurz zuvor seine Küstengewässer auf 12 sm ausgedehnt (so Wolfrum, AVR 24 (1986), S. 249 bei Fn. 5).
74
Mit Wirkung von November 1987; vgl. hierzu Franckx, Belgium extends its Territorial
Sea up to 12 nautical miles, Revue belge de droit international XX (1987), S. 41 ff.
75
Vgl. Kokott/Gündling, Die Erweiterung der deutschen Küstengewässer in der Nordsee,
ZaöRV 45 (1985), S. 687 Fn. 50.
76
BGBl. 1984 I, S. 1366; SZ v. 8.11.1984; BZ v. 8.11.1984; zu der verfassungs- und völkerrechtlichen Problematik vgl. Kokott/Gündling, ZaöRV 45 (1985), S. 674 ff. (mit einer
Abbildung auf S. 675, aus der die Ausweitung ersichtlich ist); vgl. auch Wolfrum, AVR
24 (1986), S. 247 ff.; s. Abbildung im Anhang I.
77
Vgl. Wolfrum, AVR 24 (1986), S. 257 Fn. 44; SZ v. 8.11.1984.
78
So die Erklärung der Bundesregierung, BGBl. 1984 I, S. 1366.
79
VO v. 9.1.1985, BGBl. 1985 I, S. 38.
80
Ende 1987 hatten 103 von 142 Küstenstaaten ihr Küstenmeer auf 12 sm erweitert (vgl.
Platzöder, VN 1988, S. 33).
81
So auch Kokott/Gündling, ZaöRV 45 (1985), S. 688; ebenso Wolfrum, AVR 24 (1986),
S. 249, 258, der freilich die von Kokott/Gündling gegebene Begründung als "methodisch
schwerlich haltbar" angreift (S. 249 in Fn. 6).
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
2.
27
Strafrechtliche Befugnisse
Das Küstenmeer untersteht der Souveränität des Staates, dem es vorgelagert ist;82 die Souveränität erstreckt sich nicht nur auf das Meer selbst,
sondern auch auf die darüber liegende Luftsäule und den darunter befindlichen Meeresgrund und -untergrund.83
In der Bundesrepublik besteht gemäß § 3 StGB die deutsche Strafgewalt
auch im Küstenmeer uneingeschränkt, da dieses Gebiet zum Inland gehört;84 wird eine Straftat im Küstenmeer von einem Ausländer auf einem
ausländischen Schiff begangen, so kann die Staatsanwaltschaft nach
pflichtgemäßem Ermessen von der Verfolgung dieser Tat absehen (§ 153c
Abs. 1 Nr. 2 StPO), ohne daß hierdurch das Bestehen der deutschen Strafgewalt berührt würde.85
Das mit § 3 StGB/§ 153c Abs. 1 Nr. 2 StPO in der Bundesrepublik begründete Regel-/Ausnahmeverhältnis erweist sich als eine Umkehrung der
vom Völkerrecht vorgegebenen Rechtslage: Nach allgemeinem Völkerrecht86 genießen ausländische Schiffe im Küstenmeer fremder Staaten
das Recht auf friedliche Durchfahrt (innocent passage/passage inoffensif);87 gegen die nicht friedliche Durchfahrt darf der Küstenstaat geeignete
82
Art. 1 Abs. 1 KMK; Art. 2 Abs. 1 UNSRK.
83
Art. 2 KMK; Art. 2 Abs. 2 UNSRK.
84
Vgl. Dreher/Tröndle, § 3 Rn. 4; Eser in Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 3-7 Rn. 30; Wille,
S. 8.
85
Vgl. Kleinknecht/Meyer, StPO, § 153c Rn. 6; Wille, S. 8; nicht nachvollziehbar ist die
Ansicht von Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 406, 412 a.E., in der Bundesrepublik
sei nicht klar, in welchem Umfang die Strafgewalt auf das Küstenmeer erstreckt werde,
und diese Frage sei der Rechtsprechung überlassen: Die deutsche Strafgewalt erstreckt
sich uneingeschränkt auf das zum Inland gehörende Küstenmeer, und nur die Frage der
Verfolgung von Straftaten im Einzelfall bleibt der Staatsanwaltschaft - von den Gerichten
unüberprüfbar(!) - überlassen. Es trifft also nicht zu, daß nur unerlaubtes Fischen durch
Ausländer im Küstenmeer gemäß § 296a (aufgehoben durch § 12 des Seefischereigesetzes vom 12.7.1984, BGBl. 1984 I, S. 876) unter Strafe gestellt sei, andere Taten dagegen
nicht (so aber Oehler, HWiStR, Stichwort "Internationales Strafrecht", S. 3); richtig ist,
daß § 296a ausschließlich den Bereich des Küstenmeeres erfaßte, das übrige Inlandsgebiet dagegen nicht. Eine ganz andere Frage ist, ob aus völkerrechtlichen Gründen die uneingeschränkte Erstreckung der Strafgewalt auf das Küstenmeer Bedenken ausgesetzt ist.
86
Insoweit kodifiziert in Art. 14 ff. KMK; Art. 17 ff. UNSRK.
87
Vgl. hierzu und zum folgenden Verdross/Simma, §§ 1074 ff.; Wengler, Völkerrecht,
Bd. II, S. 1084 ff.
28
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Maßnahmen ergreifen.88
Die Durchfahrt gilt als friedlich, "so long it is not prejudicial to the peace,
good order or security of the coastal state". 89 Während in der KMK
(Art. 14 Abs. 5) als Beispiel für die nicht friedliche Passage lediglich das
Fischen unter Verletzung der Rechtsvorschriften des Küstenstaates durch
ausländische Fischereifahrzeuge genannt ist, finden sich in der UNSRK
(Art. 19 Abs. 2) neben dem unerlaubten Fischen noch elf weitere Beispiele
für die nicht friedliche Durchfahrt, darunter
"any act of wilful and serious pollution contrary to this Convention".
Nach der UNSRK soll augenscheinlich nur die "vorsätzliche und ernsthafte
Verschmutzung" den Küstenstaat zum Eingreifen berechtigen,90 während
demgegenüber nach dem allgemeiner gehaltenen Wortlaut der KMK jede,
d.h. auch eine betriebsbedingte oder sonst fahrlässige Verschmutzung als
schädlich für die "gute Ordnung" des Küstenstaates angesehen werden
kann, eine Durchfahrt damit als nicht friedlich erscheinen lassen und den
Küstenstaat zu Maßnahmen berechtigen. Jedoch wird auch die zitierte Bestimmung Art. 19 Abs. 2 lit. h) UNSRK nicht die restriktive Bedeutung für
die Küstenstaaten haben, die ihr auf den ersten Blick anzuhaften scheint.
Gemäß Art. 21 Abs. 1 lit. f) sind die Küstenstaaten berechtigt,
"in conformity with the provisions of this Convention and other rules of international law, relating to innocent passage through the territorial sea, in respect
of ... the preservation of the environment of the coastal State and the prevention,
reduction and control of pollution thereof"
Gesetze zu erlassen.
88
Art. 16 Abs. 1 KMK; Art. 25 Abs. 1 UNSRK.
89
Art. 14 Abs. 4 KMK; Art. 19 Abs. 1 UNSRK.
90
Die Übersetzung von wilful mit vorsätzlich findet sich beispielsweise bei Gündling, Die
200 Seemeilen-Wirtschaftszone, S. 261, und dürfte zutreffend sein, da in der englischsprachigen Literatur der "wilful and serious pollution" das Begriffspaar "negligent or less
serious acts of pollution" gegenübergestellt wird (vgl. Shearer, Problems of jurisdiction
and law enforcement against delinquent vessels, ICLQ 35 [1986], S. 326); kritisch zu
dieser Beschränkung in der UNSRK Hakapää, S. 185 bei und in Fn. 27.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
29
Ausländische Schiffe, die vom Recht auf friedliche Durchfahrt Gebrauch
machen, müssen diese Gesetze befolgen (Art. 21 Abs. 4). Ferner wiederholt
Art. 27 UNSRK, der mit Art. 19 KMK fast wörtlich übereinstimmt, daß die
criminal jurisdiction u.a. nur dann an Bord eines ausländischen Schiffes im
Küstenmeer ausgeübt werden sollte, wenn sich die Straftat auf den Küstenstaat auswirkt oder die Ordnung des Küstenmeeres verletzt. Da dies auch
bei einer nur fahrlässigen Meeresverschmutzung der Fall ist, kann ein Küstenstaat derartige Taten auch nach Geltung der UNSRK bestrafen, zumal
ihm sogar in dem küstenferneren Gebiet der ausschließlichen Wirtschaftszone in bezug auf den Meeresumweltschutz strafrechtliche Befugnisse zustehen.91
3.
Ergebnis
Im Küstenmeer begangene Umweltstraftaten können vom Küstenstaat auch
dann strafrechtlich bewertet und sanktioniert werden, wenn sie von Ausländern auf ausländischen Schiffen begangen werden. An dieser Befugnis
würde sich auch nach Inkrafttreten der das Küstenmeer betreffenden Bestimmungen der UNSRK nichts ändern.
V.
Anschlußzone
1.
Begriff und Umfang küstenstaatlicher Befugnisse
Die Anschlußzone (contiguous zone/zone contigue) ist ein bereits zur Hohen See gehörender Meeresstreifen,92 der sich seewärts an das Küstenmeer
anschließt und sich nicht weiter als 12 sm nach der KMK (Art. 24 Abs. 2)
bzw. 24 sm nach der UNSRK (Art. 33 Abs. 2) von der Basislinie erstrecken
darf. Die Breite der Anschlußzone richtet sich demnach nach der Breite des
Küstenmeeres, die ein Staat für sich beansprucht; nimmt ein Staat die nach
der KMK maximal zulässige Breite des Küstenmeeres von 12 sm in Anspruch, ist folglich nach bislang geltendem Völkerrecht die Inanspruchnahme einer gesonderten Anschlußzone nicht mehr zulässig.
91
Art. 27 Abs. 5, 56, 73, 192 ff.; näher dazu u. § 20, § 21.
92
Art. 24 Abs. 1 KMK; Art. 1 Genfer Konvention über die Hohe See; Verdross/Simma,
§ 1087; ob auch nach Inkrafttreten der UNSRK die Anschlußzone noch zur Hohen See
gerechnet werden kann, ist angesichts der Formulierung in Art. 86 fraglich: Dort heißt es,
daß die Bestimmungen des Abschnitts über die Hohe See auf diejenigen Meeresteile Anwendung finden, die nicht zur ausschließlichen Wirtschaftszone, zum Küstenmeer oder
zu den inneren Gewässern gehören.
30
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
In der Anschlußzone stehen dem Küstenstaat Kontrollbefugnisse zu, die
sich als notwendig erweisen, um "Verstöße gegen seine Zoll-, Steuer-,
Einreise- und Gesundheitsvorschriften auf seinem Hoheitsgebiet oder in
seinem Küstenmeer zu verhindern" und um "Verstöße gegen solche Vorschriften, die auf seinem Hoheitsgebiet oder in seinem Küstenmeer begangen werden, zu bestrafen". 93 Die Küstenstaaten scheinen demnach
nicht berechtigt zu sein, Verstöße gegen ihre Zoll-, Steuer-, Einreise- und
Gesundheitsvorschriften, die im Bereich der Anschlußzone selbst begangen
werden, zu bestrafen, sondern dürfen nur im Vorfeld des Küstenmeeres
präventiv tätig werden bzw. gegen bereits erfolgte Verstöße im Küstenmeer
außerhalb desselben repressive Strafverfolgungsmaßnahmen ergreifen. 94
Andererseits ist einzuwenden, daß ein Küstenstaat nach geltendem Völkerrecht berechtigt wäre, sein gesamtes Küstenmeer auf 12 sm auszudehnen
und in diesem Bereich eine effektive Verschmutzungskontrolle durchzuführen; es kann ihm deshalb kaum verwehrt sein, in einer an das Küstenmeer anschließenden und seewärts bis auf 12 sm erstreckenden (Anschluß-)Zone hoheitliche Funktionen partiell beschränkt auf den Umweltschutz wahrzunehmen. Derartige Meeresverschmutzungskontrollzonen sind
bereits von verschiedenen Staaten in Anspruch genommen worden. Das
bekannteste Beispiel ist der von Kanada am 26. Juni 1970 erlassene Arctic
Waters Pollution Prevention Act (AWPPA).95
2.
Exkurs: Der kanadische Arctic Waters Pollution Prevention Act
Mit dem AWPPA unterstellte Kanada ein Gebiet in den arktischen Gewässern nördlich des 60. Breitengrades und bis zu einer Entfernung von
100 sm von der Küste seiner Verschmutzungskontrolle. Unmittelbarer Anlaß für diese Maßnahme war die Entdeckung großer Ölvorkommen in
Alaska und der erfolgreiche Versuch des amerikanischen Tankers SS
93
Art. 24 Abs. 1 lit. a) und b) KMK; fast gleichlautend Art. 24 Abs. 1 lit. a) und b)
UNSRK.
94
So Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 416, für den Fall, daß nicht weitere Abkommen
eingreifen; als Beispiel hierfür wird das Abkommen über die Bekämpfung des Alkoholschmuggels vom 19. August 1925 (RGBl. 1926 II, S. 221; Ausführungsgesetz vom 14.
April 1926, RGBl. 1926 II, S. 230) genannt.
95
Abgedruckt bei Platzöder/Graf Vitzthum, S. 481, und Rüster/Simma, Bd. III, S. 988; vgl.
zu diesem kanadischen Gesetz ausführlich Schultheiss, Umweltschutz und die Freiheit der
Meere, dargestellt am kanadischen Arctic Waters Pollution Prevention Act, sowie Ehmer,
Der Grundsatz der Freiheit der Meere und das Verbot der Meeresverschmutzung,
S. 120 ff.; ferner Hakapää, S. 214 ff.; Martens, Küstenstaatliche Meeresjurisdiktion
Treuhänderisches Tätigwerden, S. 152 ff.; Timagenis, Bd. I, S. 49 ff.; Verdross/Simma,
§ 1096.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
31
Manhattan im Jahr 1969, erstmals in der Geschichte einen Weg durch die
eisbedeckte Nordwest-Passage zu bahnen. 96 Kanada fürchtete, daß ein
Tankerunfall in den arktischen Gewässern wegen der geringen Abbaufähigkeit von Erdöl in eisbedeckten Meeresteilen besonders fatale ökologische Konsequenzen haben würde.97
Das einseitige kanadische Vorgehen stieß auf erheblichen Protest insbesondere seitens der USA98 und wurde im völkerrechtlichen Schrifttum abgesehen vom kanadischen - ganz überwiegend als völkerrechtswidrig
beurteilt.99 Kanada selbst schien sich der völkerrechtlichen Zulässigkeit
seiner einseitigen Maßnahme zumindest nicht sicher gewesen zu sein, teilte
es doch gleichzeitig mit Verabschiedung des AWPPA dem IGH mit, daß es
von dessen obligatorischer Gerichtsbarkeit, der Kanada sich unterworfen
hatte,
"disputes arising out or concerning jurisdiction or rights claimed or exercised by
Canada in respect of the conservation, management or exploitation of the living
resources of the sea, or in respect of the prevention or control of pollution or contamination of the marine environment in marine areas adjacent to the coast of Canada"100
ausnehme.
Bemerkenswert ist, daß die kanadische Regierung und auch diejenigen kanadischen Völkerrechtsautoren, die das kanadische Vorgehen für rechtmäßig halten, zur Begründung nicht darauf abstellten, daß jeder Staat frei sei,
seine Hoheitsbefugnisse nach Belieben auszudehnen, solange dem das
Völkerrecht nicht explizit entgegenstehe. Sie suchten vielmehr nach völkerrechtlichen Ermächtigungstiteln und nannten in diesem Zusammenhang:
96
Vgl. Hakapää, S. 221 f.; Schultheiss, S. 16.
97
Vgl. Martens, S. 157 f.; Schultheiss, S. 15; vgl. auch die Angaben bei Rüster, S. 52 in
Fn. 61, daß die Oxydationsfähigkeit von Öl mit sinkenden Temperaturen abnimmt und in
der Arktis abgelassenes Öl 50 Jahre zum Oxydieren benötigt.
98
Nachweis u.a. bei Ehmer, S. 121 bei Fn. 142.
99
Vgl. Ehmer, S. 128; Hakapää, S. 228; Martens, S. 183 f.; Menzel/Ipsen, Völkerrecht,
S. 401; Rüster, S. 119; wohl auch Verdross/Simma, § 1096; alle m. zahlr. w. Nachw. auch
auf die kanadische und sonstige internationale Literatur; a.A. Schultheiss, S. 94 f., 119 f.,
216 ff., der die Meinung vertritt, das Regime der Anschlußzone in Verbindung mit dem
"protective principle" rechtfertige die kanadische Maßnahme.
100
Erklärung vom 7. April 1970, zitiert nach Ehmer, S. 127 bei Fn. 166; siehe dazu auch
Hakapää, S. 228; Martens, S. 156.
32
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
-
das Recht auf Selbstverteidigung bzw. Selbstschutz,101
-
das Prinzip treuhänderischen Tätigwerdens für die Staatengemeinschaft,102
-
die Behauptung kanadischer Souveränität über den sich an Kanadas
Staatsgebiet anschließenden arktischen Sektor (Sektorentheorie).103
Die genannten Begründungsansätze sind in der völkerrechtlichen Literatur
bereits allesamt widerlegt worden, 104 so daß eine erneute Auseinandersetzung mit ihnen an dieser Stelle unterbleiben kann. Mit seinem
Begründungsansatz, das Vorgehen Kanadas lasse sich mit dem Regime der
Anschlußzone rechtfertigen, 105 ist SCHULTHEISS allein geblieben. Diese
Konstruktion kann bereits deshalb nicht überzeugen, weil die von Kanada
beanspruchte Kontrollzone mit 100 sm weit über die völkerrechtlich zulässigen 12 sm hinausgeht.
3.
Exkurs: Der omanische Marine Pollution Control Act
Ein dem kanadischen AWPPA vergleichbares Gesetz verabschiedete das
Sultanat Oman mit dem Marine Pollution Control Act im Jahr 1974.106
Dieses Gesetz, mit dem Oman einen 50 sm breiten Meeresstreifen vor seiner Küste einer umfassenden, auch strafrechtlichen Meeresverschmutzungskontrolle unterworfen hat, findet an dieser Stelle deshalb Erwähnung,
weil es in jüngster Zeit zu einer (völkerrechtlich relevanten) Reaktion der
Bundesrepublik geführt hat. Oman ist dem MARPOL107 mit Wirkung vom
13. Juni 1984 beigetreten, hatte seiner Beitrittsurkunde jedoch folgende
Erklärung beigefügt:108
101
Vgl. dazu Ehmer, S. 126 ff.; Hakapää, S. 222 ff.; Schultheiss, S. 18, 57.
102
Vgl. Martens, S. 152 ff.
103
Vgl. Ehmer, S. 123; Martens, S. 158 f.
104
Vgl. nur Ehmer, Hakapää, Martens, jeweils aaO.
105
AaO., S. 94, 119.
106
Abgedruckt bei Rüster/Simma, Bd. III, S. 1108; vgl. dazu Hakapää, S. 230 f.; Rüster,
S. 57, 119.
107
Internationales Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe
von 1973/1978; s. näher dazu u. § 4 III.
108
Text dieser Erklärung in BGBl. 1985 II, S. 1211.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
33
"(1) For the purposes of this Convention the term "within the jurisdiction" is interpreted to mean the jurisdiction presently applied by the Government of the
Sultanate of Oman under the country's Marine Pollution Law of 1974 which extends to 50 nautical miles from the baselines from which the breadth of the territorial sea is measured."
Die Bundesrepublik Deutschland notifizierte dem Generalsekretär der Internationalen Seeschiffahrts-Organisation auf diese Erklärung Omans am
13. August 1985 folgende Erklärung:109
"Unter Bezugnahme auf die Erklärungen in der am 13. März 1984 von der Regierung des Sultanats Oman hinterlegten Beitrittsurkunde zu dem Protokoll von 1978
zu dem Internationalen Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung erklärt die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, daß ihrer
Auffassung nach die Hoheitsbefugnisse, die das Sultanat Oman nach Maßgabe
seines Gesetzes von 1974 über Meeresverschmutzung jenseits der Grenzen seines
Küstenmeeres ausüben wird, über die vom Völkerrecht anerkannten Hoheitsbefugnisse nicht hinausgehen dürfen."
Eine gleichlautende Erklärung wurde von den Niederlanden abgegeben.110
Ganz deutlich wird aus diesen Erklärungen die Haltung der Bundesrepublik
und der Niederlande in zwei Punkten: Zum einen sind diese Staaten der
Auffassung, daß ein Staat jenseits der seewärtigen Grenzen des Küstenmeeres nur die vom Völkerrecht anerkannten Hoheitsbefugnisse (jurisdiction) in bezug auf den Meeresumweltschutz wahrnehmen darf; zum anderen wird deutlich, daß nach Meinung der Bundesrepublik die von Oman
beanspruchten Befugnisse das vom Völkerrecht beanspruchte Maß offensichtlich überschreiten, da sich andernfalls ein Protest erübrigt hätte. Das
für den zitierten Protest verantwortliche Auswärtige Amt vertritt in der
Frage der Ausdehnung der Strafgewalt bei Meeresverschmutzungen offensichtlich eine andere Auffassung als das für den Entwurf des 16.
StrÄndG 111 verantwortliche Bundesjustizministerium, das lediglich aus
"kriminalpolitischen wie praktischen Gründen" die Ausdehnung der Strafgewalt auf den Bereich des deutschen Festlandsockels beschränkte, im übrigen eine noch weiterreichende Ausweitung für rechtlich unproblematisch
hielt.112
109
Abgedruckt ebd. (vorher. Anm.), S. 1212.
110
Schreiben des Königreichs der Niederlande an den Generalsekretär der Internationalen
Seeschiffahrts-Organisation vom 15. März 1985, abgedr. in BGBl. 1986 II, S. 643.
111
Dieses wurde später als 18. StrÄndG vom Bundestag verabschiedet.
112
Vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs eines 16. StrÄndG, BT-Drs. 8/2382, S. 12.
34
VI.
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Fischereizone
Bereits im Jahr 1974 hatte der IGH im Fischereistreit zwischen der Bundesrepublik/Großbritannien und Island 12 sm breite Fischereizonen als Teil
des Völkergewohnheitsrechts anerkannt, für darüber hinaus gehende Zonen
- Island hatte seinerzeit 50 sm und seit 1975 sogar eine 200 sm breite Fischereizone für sich beansprucht - zwar Verständnis signalisiert, diese jedoch als zum damaligen Zeitpunkt mit dem Völkerrecht unvereinbar abgelehnt.113 Inzwischen ist die Staatenpraxis in einem Maße fortgeschritten,
daß Fischereizonen bis zu 200 sm kaum noch als völkerrechtswidrig angesehen werden können.114 So hat auch die Bundesrepublik aufgrund einer
Entschließung des EG-Rates vom 3. November 1976115 in einer abgestimmten Maßnahme gleichzeitig mit den übrigen EG-Staaten durch Proklamation vom 21. Dezember 1976
"... mit Wirkung vom 1. Januar 1977 in der Nordsee vor der seewärtigen Grenze
ihres Küstenmeeres eine Fischereizone von bis zu 200 Seemeilen, gemessen von
der Basislinie ...",116
errichtet; mit Proklamation vom 18. Mai 1978117 hat die Bundesrepublik
mit Dänemark, dem anderen EG-Anrainerstaat der Ostsee,118 mit Wirkung
vom 15. Juni 1978 eine entsprechende Fischereizone in der Ostsee, allerdings ohne Angabe einer äußersten seewärtigen Grenze, errichtet. In beiden
Proklamationen wird betont, daß die Bundesrepublik in diesen Zonen "hoheitliche Rechte zum Zwecke der Erhaltung und Nutzung der Fischbestände" ausübt und daß die Abgrenzung der deutschen Fischereizonen gegenüber den Fischereizonen anderer Nordsee- bzw. Ostseeanrainerstaaten Vereinbarungen mit diesen vorbehalten bleibt.119 Eine Abgrenzung der deutschen Fischereizonen ist bislang weder in der Nordsee noch in der Ostsee
113
Vgl. ICJ-Reports 1974, S. 23 para. 52; vgl. dazu Rüster, S. 102 f., der in seiner Arbeit aus
dem Jahr 1977 über 12 sm hinausgehende Fischereizonen ebenfalls für völkerrechtswidrig hält; ebenso Ehmer, S. 80 f. (1974).
114
Dies klingt vorsichtig an bei Verdross/Simma, § 1092 bei Fn. 28 und § 1111 (1984).
115
ABl. Nr. C 105, S. 1; die Zuständigkeit des EG-Rates beruht darauf, daß die Fischerei zur
Landwirtschaft i.S.v. Art. 38 EWG-Vertrag gehört.
116
BGBl. 1976 II, S. 1999.
117
BGBl. 1978 II, S. 867.
118
Zur Ausdehnung der dänischen Fischereizone siehe Gesetz Nr. 597 vom 17.12.1976,
Lovtidende A 1976, S. 1631, i.V.m. Bekanntmachung Nr. 43 vom 1.2.1978, Lovtidende
A 1978, S. 161.
119
S. hierzu insgesamt Ipsen, Die Europäische Gemeinschaft und das Meer, in Graf
Vitzthum (Hrsg.), Die Plünderung der Meere, S. 313.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
35
erfolgt; sie hat zumindest in der fischwirtschaftlich ohnehin interessanteren
Nordsee auch nicht die Bedeutung wie etwa die Abgrenzung des Festlandsockels, weil die deutsche Fischereizone lediglich Teil eines einheitlichen
"EG-Meeres" ist, das von der EG, insbesondere durch Fangquotenzuteilungen, verwaltet wird.120
Der deutsche Gesetzgeber hat seinen Hoheitsbefugnissen erst geraume Zeit
nach den genannten Proklamationen im Seefischereigesetz vom 12. Juli
1984121 gesetzlichen Ausdruck verliehen. Nach diesem Gesetz bedarf einer
Fangerlaubnis, wer die Seefischerei ausüben will (§ 3). Will eine Person in
den deutschen Fischereizonen oder im deutschen Küstenmeer von einem
ausländischen Fischereifahrzeug aus fischen, so bedarf dies einer besonderen Genehmigung (§ 5 Abs. 2 Nr. 1); für Fischereifahrzeuge eines anderen
EG-Mitgliedstaates gilt dies jedoch nur für die Seefischerei im deutschen
Küstenmeer (§ 5 Abs. 2 Nr. 2). Verstöße gegen diese Bestimmungen können gemäß § 9 als Ordnungswidrigkeiten mit einer Geldbuße von bis zu
DM 150.000.-- geahndet werden; gleichzeitig wurde § 296a StGB, der für
die unbefugte Küstenfischerei durch Ausländer eine Freiheitsstrafe bis zu
einem Jahr oder Geldstrafe androhte, aufgehoben (§ 12).
Es stellt sich die Frage, ob nicht zu den Rechten, die zum Zwecke der Erhaltung und Nutzung der Fischbestände in Anspruch genommen werden,
auch die Kontrolle über die Meeresverschmutzung gerechnet werden kann,
da diese sich zumindest mittelbar auf die Fischbestände auswirkt. Diese
Überlegung wird allerdings weder in den einschlägigen völkerrechtlichen
Instrumenten noch in der Völkerrechtsliteratur angestellt, sondern der für
zulässig erachtete Fischereischutz des Küstenstaates wird eng begrenzt auf
Fangbeschränkungen bzw. -verbote; dies erklärt auch die Existenz gesonderter Meeresverschmutzungskontrollzonen neben den Fischereizonen, die
zwar räumlich dieselben, funktional jedoch andere Bereiche betreffen.
Dieser Standpunkt wird im Verhältnis zu anderen Staaten offensichtlich
auch von der Bundesrepublik geteilt, die einerseits seit dem Jahr 1977 eine
200-sm-Fischereizone für sich beansprucht, andererseits aber noch im Jahr
1985 gegen die Meeresverschmutzungskontrollzone des Sultanats Oman
von 50 sm protestiert.122
120
In den Rechtsakten der EG ist dementsprechend auch jeweils nur von der
"200-Meilen-Fischereizone der Mitgliedstaaten" die Rede; vgl. z.B. Art. 1 Abs. 1 der VO
(EWG) Nr. 178/83 des Rates vom 25. Januar 1983, ABl. Nr. L 24, S. 79.
121
BGBl. 1984 I, S. 876.
122
S. o. § 3 V. 3.
36
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Auch das völkerrechtlich mittlerweile wohl anerkannte Fischereizonenkonzept kann keinen völkerrechtlich zulässigen Anknüpfungspunkt für die
Ausdehnung der Strafgewalt auf den Festlandsockel bilden.
VII.
Festlandsockel
1.
Begriff und völkerrechtliche Entwicklung
Der Begriff Festlandsockel (continental shelf/plateau continental) ist ursprünglich naturwissenschaftlicher Herkunft. Man versteht darunter den
Meeresboden, der sich von der Küste bis zu einer Wassertiefe von etwa 200
m erstreckt und jenseits dieser Grenze rasch zur vollen Ozeantiefe absinkt.
Schon vor dem 2. Weltkrieg war bekannt, daß der Meeresgrund
und -untergrund reich an biologischen, aber auch an mineralischen Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas, Mangan, Nickel, Vanadium, Blei u.a.m.
ist.123 Zum Interesseobjekt der Staaten wurde der Festlandsockel jedoch
erst mit Entwicklung der technischen Voraussetzungen, diese Bodenschätze aufzuspüren und auszubeuten.124
Die Entwicklung des Festlandsockels als Begriff des Völkerrechts setzte
unmittelbar nach Beendigung des 2. Weltkriegs ein. Am 28. September
1945 verkündete der amerikanische Präsident die nach ihm benannte Truman-Proklamation, in der u.a. ausgeführt wurde:125
"... It is the view of the Government of the United States that the exercise of jurisdiction over the natural resources of the subsoil and sea bed of the continental
shelf by the contiguous nation is reasonable and just..."; "... the character as high
seas of the waters above the continental shelf and the right to their free and unimpeded navigation are in no way thus affected."
Proteste gegen diese einseitige Maßnahme blieben überraschenderweise
aus,126 obwohl diese fraglos gegen das seinerzeit geltende Völkerrecht
verstieß; andere Staaten nahmen das amerikanische Vorgehen unverzüglich
zum Anlaß, selbst ähnliche Ansprüche anzumelden, die aber zum Teil, et123
Siehe hierzu Rüster, S. 36 ff.
124
Zu dieser Entwicklung aufschlußreich Rüster, S. 121 ff.
125
Proclamation by President Truman of 28 September 1945 on Policy of the United States
with Respect of the Natural Resources of the Subsoil and Sea Bed of the Continental
Shelf, abgedruckt bei Platzöder/Graf Vitzthum, Seerecht, S. 475.
126
Menzel, Der deutsche Festlandsockel in der Nordsee, AöR 90 (1965), S. 11, und Rüster,
S. 140, erklären dies mit vorrangigen anderen Problemen, welche die Staaten zu diesem
Zeitpunkt kurz nach Kriegsende beschäftigten.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
37
wa im Fall der Ausdehnung der Küstengewässer einiger lateinamerikanischer Staaten, weit über die von den USA beanspruchten Rechte hinausgingen. Durch die inhaltlich übereinstimmende Übung zahlreicher Staaten
konnten sich die Ansprüche auf den Festlandsockel rasch zu Völkergewohnheitsrecht verdichten,127 so daß die im Genfer Übereinkommen über
den Festlandsockel vom 29. April 1958128 zusammengefaßten Grundprinzipien lediglich eine Kodifikation bereits geltenden Völkergewohnheitsrechts darstellten, das auch für Nichtvertragsstaaten verbindlich war.
2.
Die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland
a)
Rechtliche Entwicklung
Die Bundesrepublik, die das FLSÜbk. am 30. Oktober 1958 zwar unterzeichnet, es in der Folgezeit aber nie ratifiziert hatte, gab am 22. Januar
1964 die Proklamation der Bundesregierung vom 20. Januar desselben
Jahres über die Erforschung und Ausbeutung des deutschen Festlandsockels bekannt;129 darin heißt es u.a.:
"Um Rechtsunklarheiten zu beseitigen, die sich in der gegenwärtigen Situation bis
zum Inkrafttreten der Genfer Konvention über den Festlandsockel und bis zu ihrer
Ratifikation durch die Bundesrepublik Deutschland ergeben könnten, hält es die
Bundesregierung für erforderlich, schon jetzt folgendes festzustellen:
1. Die Bundesregierung sieht auf Grund der Entwicklung des allgemeinen Völkerrechts, wie es in der neueren Staatenpraxis und insbesondere in der Unterzeichnung der Genfer Konvention über den Festlandsockel zum Ausdruck kommt,
die Erforschung und Ausbeutung der Naturschätze des Meeresgrundes und des
Meeresuntergrundes der an die deutschen Meeresküsten grenzenden Unterwasserzone außerhalb des deutschen Küstenmeeres bis zu einer Tiefe von 200 m und
- soweit die Tiefe des darüber befindlichen Wassers die Ausbeutung der Naturschätze gestattet - auch hierüber hinaus als ein ausschließliches Hoheitsrecht der
Bundesrepublik Deutschland an. Im einzelnen bleibt die Abgrenzung des deutschen Festlandsockels gegenüber dem Festlandsockel auswärtiger Staaten Vereinbarungen mit diesen Staaten vorbehalten.
127
Vgl. Rüster, S. 236; Verdross/Simma, § 1114, m. w. Nachw. in Fn. 16; Wengler, Bd. II,
S. 1088.
128
FLSÜbk.; abgedruckt bei: von Münch/Buske, International Law, S. 120; Platzöder/ Graf
Vitzthum, S. 58; Rüster, Anhang III (S. 464); JIR 14 (1969), S. 490.
129
BGBl. 1964 II, S. 104.
38
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
2. Die Bundesregierung sieht alle Handlungen, die im Bereich des deutschen
Festlandsockels zur Erforschung und Ausbeutung seiner Naturschätze ohne ausdrückliche Zustimmung der zuständigen deutschen Behörden vorgenommen werden sollten, als unzulässig an. Sie wird gegen solche Handlungen erforderlichenfalls geeignete Maßnahmen ergreifen."
Kurze Zeit später, am 24. Juli 1964, wurde das Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechte am Festlandsockel verabschiedet, 130 in dem verwaltungsrechtliche Einzelheiten der Genehmigung von Forschungshandlungen sowie des Aufsuchens und der Gewinnung von Bodenschätzen
auf dem deutschen Festlandsockel geregelt wurden. Außerdem enthielt § 7
dieses Gesetzes eine Strafvorschrift, die in Abs. 1 für einen Verstoß gegen
die vollziehbare Anordnung, unbefugte Handlungen auf dem Festlandsockel zu unterlassen, Freiheitsstrafe oder Geldstrafe androhte; gemäß Abs. 2
war mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und/oder mit Geldstrafe zu bestrafen,
wer in Zusammenhang mit der Aufsuchung oder Gewinnung von Bodenschätzen des deutschen Festlandsockels oder einer mit Bezug auf den deutschen Festlandsockel vorgenommenen Forschungshandlung die See durch
Öl verschmutzt, wobei ausdrücklich auch die fahrlässige Tat mit Strafe bedroht war.
b)
Abgrenzung des deutschen Festlandsockels
Die Abgrenzung des Festlandsockels gegenüber dem Festlandsockel benachbarter oder gegenüberliegender Staaten hat ebenso wie die Bestimmung einer seewärtigen Grenze des Festlandsockels131 immer wieder
zu erheblichen Problemen in der Staatenpraxis geführt. Auch die Abgrenzung des deutschen Festlandsockels in der Nordsee gegenüber dem Festlandsockel der Nachbarstaaten Dänemark und den Niederlanden bildete
keine Ausnahme. Bei Zugrundelegung des in Art. 2 Abs. 2 S. 2 FLSÜbk.
niedergelegten Äquidistanzprinzips,132 das beim Fehlen einer Vereinbarung und besonderer Umstände angewendet werden soll, hätte der Bundesrepublik wegen des konkaven Verlaufs der deutschen Nordseeküste nur ein
130
BGBl. 1964 I, S. 497; mittlerweile aufgehoben und ersetzt durch die §§ 132-137, 175
Nr. 5 BBergG vom 14. August 1980 (BGBl. 1980 I, S. 1310), in Kraft getreten am
1. Januar 1982, sowie durch die aufgrund der §§ 65, 66, 67 Nr. 1 und 8, 68 Abs. 2 Nr. 2
und Abs. 3 BBergG erlassene Festlandsockel-Bergverordnung vom 21. März 1989 (BGBl.
1989 I, S. 554, in Kraft getreten am 1. Juli 1989).
131
Vgl. hierzu die Monographie von Klemm, Die seewärtige Grenze des Festlandsockels,
1976.
132
Dieses Prinzip bedeutet, daß jeder Punkt der Grenze vom jeweils nächstgelegenen Punkt
beider Territorien gleichweit entfernt sein muß.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
39
sehr geringer Anteil am Nordseeschelf zugestanden. Bei einer Küstenlänge
von 273 km hätte dieser ca. 24.600 qkm gegenüber einem dänischen Anteil
von 56.700 qkm bei 247 km Küstenlänge und einem niederländischen Anteil von 61.400 qkm bei 385 km Küstenlänge betragen.133 Hiermit wollte
sich die Bundesrepublik nicht zufrieden geben;134 sie sah in der geographischen Eigenart ihres Küstenverlaufs einen Umstand, der eine Grenzziehung auf der Basis besonderer Umstände rechtfertigte, während Dänemark
und die Niederlande auf der Anwendung des ihnen günstigen Äquidistanzprinzips bestanden.
Am 2. Februar 1967 einigte sich die Bundesrepublik in gleichlautenden
Vereinbarungen mit Dänemark und den Niederlanden, den Internationalen
Gerichtshof den Streit durch eine Stellungnahme zu der Frage entscheiden
zu lassen, welche völkerrechtlichen Prinzipien und Normen für die Abgrenzung des Festlandsockels der Parteien anwendbar seien.135
Die Entscheidung des IGH wurde am 20. Februar 1969 bekanntgegeben.136
Der von der Bundesrepublik Deutschland geltend gemachte Anspruch auf
einen "billigen und gerechten" Schelfanteil wurde zwar verworfen. Der Gerichtshof wies aber auch das Vorbringen Dänemarks und der Niederlande
zurück, daß das Äquidistanzprinzip angewandt werden müsse: Dieses Prinzip gelte für die Bundesrepublik nicht vertraglich, weil diese das FLSÜbk.
nicht ratifiziert habe und sie an dessen Bestimmungen auch nicht durch
schlüssiges Verhalten gebunden sei. Das Äquidistanzprinzip gehöre auch
nicht zu den völkergewohnheitsrechtlichen Normen, die im FLSÜbk. lediglich kodifiziert worden seien. Die Vertragsparteien müßten deshalb eine
vertragliche Abgrenzung des Festlandsockels in Übereinstimmung mit Billigkeitsgrundsätzen erreichen, wobei folgende Voraussetzungen zu beachten seien:
"a) die Vertragshandlungen müssen sinnvoll mit dem Ziel geführt werden, ein
Abkommen zu erreichen, ohne daß dabei eine Partei von vorneherein kompromißlos auf ihrer Position beharrt;
133
Angaben bei Menzel, AöR 90 (1965), S. 22.
134
Zum Verlauf der Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und Dänemark sowie den
Niederlanden vgl. die Darstellungen bei Menzel, Der Festlandsockel der Bundesrepublik
Deutschland und das Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 20. Februar 1969, JIR
14 (1969), S. 13 ff.; F. Münch, Die Anrufung des Internationalen Gerichtshofs durch die
Bundesrepublik Deutschland, ZaöRV 27 (1967), S. 725 ff.; Rüster, S. 373 ff.
135
Vgl. ICJ Pleadings 1968, Bd. 1, S. 6, 8; ZaöRV 27 (1967), S. 728 ff.; Rüster, S. 375 ff.
136
Vgl. ICJ Reports 1969, S. 1 ff., 54 (Tenor); auch abgedruckt bei Menzel, JIR 14 (1969),
S. 89 (deutsch), und in ZaöRV 29 (1969), S. 523 (englisch).
40
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
b) bei den Verhandlungen müssen Billigkeitsgesichtspunkte berücksichtigt werden;
c) der jeweilige Schelfanteil muß die natürliche Verlängerung des Staatsgebiets
des Küstenstaats sein und darf nicht die natürliche Verlängerung eines Nachbarstaates mitumfassen."137
Aufgrund dieses Urteils traten die Parteien in erneute Verhandlungen über
die Abgrenzung des Festlandsockels ein,138 die mit der Unterzeichnung
von bilateralen Abkommen zwischen der Bundesrepublik und Dänemark
einerseits und den Niederlanden und der Bundesrepublik andererseits in
Kopenhagen am 28. Januar 1971 ihren Abschluß fanden.139 Der deutsche
Anteil am Festlandsockel erstreckt sich danach zur Mitte der Nordsee in
nordwestlicher Richtung in Form eines Entenschnabels140 und besitzt sogar eine - freilich nur kurze - gemeinsame Grenze mit dem britischen Festlandsockel.141
c)
Rechte am Festlandsockel
Die grundlegenden Rechte eines Staates an dem ihm vorgelagerten Festlandsockel sind in Art. 2 FLSÜbk. niedergelegt:
"1. The coastal State exercises over the continental shelf sovereign rights for the
purpose of exploring it and exploiting its natural resources.
2. The rights referred to in paragraph 1 of this article are exclusive in the sense
that if the coastal State does not explore the continental shelf or exploit its natural
resources, no one may undertake these activities, or make a claim to the continental shelf, without the express consent of the coastal State.
3. The rights of the coastal State over the continental shelf do not depend on occupation, effective or notional, or on any express proclamation.
137
ICJ Reports 1969, S. 48; dazu Rüster, S. 383.
138
Vgl. zum Verhandlungsverlauf im einzelnen Auburn, The North Sea Continental Shelf
Boundary, AVR 16 (1974/75), S. 28 ff.; Rüster, S. 387 ff.; von Schenck, Die vertragliche
Abgrenzung des Festlandsockels unter der Nordsee, JIR 15 (1971), S. 370 ff.
139
Vertrag zur Abgrenzung des Festlandsockels unter der Nordsee zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Dänemark (BGBl. 1972 II, S. 882) und den Niederlanden
(BGBl. 1972 II, S. 889); gemeinsames Protokoll vom 28. Januar 1971 zu den beiden genannten Verträgen, abgedruckt bei Rüster (Hrsg.), Verträge und Deklarationen über den
Festlandsockel, S. 105.
140
S. Abbildung in Anhang I.
141
Die Abgrenzung erfolgte durch den Vertrag zwischen der Bundesrepublik und dem Vereinigten Königreich vom 25. November 1971 (BGBl. 1972 II, S. 897).
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
41
4. The natural resources referred to in these articles consist of the mineral and
other non-living resources of the seabed and subsoil together with living organisms belonging to sedentary species, that is to say, organisms which, at the harvestable stage, either are immobile on or under the seabed or are unable to move
except in constant physical contact with the seabed or the subsoil."
Der IGH hatte bereits in seinem Urteil vom 20. Februar 1969 im North Sea
Continental Shelf Case festgestellt, daß der Inhalt dieser Vorschrift gewohnheitsrechtlich auch für diejenigen Staaten gelte, die - wie die Bundesrepublik - die Konvention nicht ratifiziert hatten.142 Von Rechten in bezug
auf den Meeresumweltschutz ist in dieser Vorschrift nicht die Rede. Daraus
ohne weiteres auf die Unzulässigkeit des Erlasses umwelt(straf)rechtlicher
Vorschriften zu schließen, wäre allerdings vorschnell, da mit den Begriffen
"Erforschungs- und Ausbeutungsrecht" die Rechte des Küstenstaates nicht
erschöpfend umschrieben sind, sondern weitergehende Rechtsetzungsbefugnisse als Annexkompetenz notwendig hinzukommen müssen.143 Wenn
etwa, wie es in der überwiegenden Zahl der Fälle sein wird, ein Staat den
Festlandsockel nicht durch eigene Unternehmen ausbeutet, sondern sich
privater Firmen bedient, muß das verwaltungsrechtliche Instrumentarium
für die Vergabe von Erforschungs- und Förderkonzessionen bereitgestellt
werden.144 Es muß ferner ein Steuer- und Abgabensystem für die Ölförderung auf dem Festlandsockel geschaffen werden, um den staatlichen
Anteil an den Erträgen zu sichern.145 Weiter ist es erforderlich, die notwendigen Rechtsnormen für die Beachtung von Arbeitssicherheit und Arbeitnehmerschutz auf Bohrplattformen zu verabschieden. 146 Man wird
142
ICJ Reports 1969, S. 22; in diesem Punkt waren sich auch diejenigen Richter einig, die
eine dissenting opinion abgegeben hatten, ebenso die Literatur (vgl. z.B. F. Münch, Das
Urteil des Internationalen Gerichtshofes vom 20. Februar 1969, ZaöRV 29 (1969), S. 475;
Rüster, S. 234 ff., m. w. Nachw. in Fn. 399).
143
Vgl. zum Umfang staatlicher Gesetzgebungsbefugnis in bezug auf den Festlandsockel
H. Schneider, Gesetzgebung, S. 284 f., der gerade in Zusammenhang mit den Rechten am
Festlandsockel betont, daß der "Anspruch auf Geltung staatlichen Rechts über das eigene
Territorium hinaus ... selbstverständlich einen besonderen Rechtstitel (voraussetzt)".
144
Dies ist mit Verabschiedung des Gesetzes vom 24.7.1964 zur vorläufigen Regelung der
Rechte am Festlandsockel (BGBl. 1964 I, S. 497), jetzt ersetzt durch die §§ 134 ff., 175
Nr. 5 BBergG vom 14.8.1980 (BGBl. 1980 I, S. 1310), geschehen.
145
Der Gesetzgeber hat alle einschlägigen Steuergesetze um den Satz ergänzt: "Zum Inland
im Sinne dieses Gesetzes gehört auch der der Bundesrepublik Deutschland zustehende
Anteil am Festlandsockel, soweit dort Naturschätze des Meeresgrundes und des Meeresuntergrundes erforscht oder ausgebeutet werden" (§§ 1 Abs. 1 S. 2 EStG, 1 Abs. 3 KStG,
1 Abs. 4 VStG, 2 Abs. 8 GewStG, 2 Abs. 2 ErbStG).
146
Dies ist zwischenzeitlich in den §§ 2-18 der Festlandsockel-Bergverordnung vom
21. März 1989 (BGBl. 1989 I, S. 554) geregelt.
42
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
deshalb dem Küstenstaat, auf dessen Festlandsockel in Zusammenhang mit
der Erforschung oder Ausbeutung seiner Naturschätze eine Umweltstraftat
begangen wird, kaum das Recht absprechen können, diese Tat strafrechtlich zu bewerten und zu verfolgen. Die Bundesrepublik hatte mit § 7 Abs. 2
FestlandsockelG147 eine entsprechende Vorschrift erlassen:
"Mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer vorsätzlich im Zusammenhang mit einer Handlung nach
§ 1148 die See durch Öl verschmutzt. Wer die Tat fahrlässig begeht, wird mit
Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft."
Der Erlaß dieser Vorschrift kann schwerlich als über die vom Völkerrecht
gewährten Rechte am Festlandsockel hinausgehend verworfen werden.
Wenn ausschließlich die Bundesrepublik für die Genehmigung von Aktivitäten auf dem deutschen Festlandsockel zuständig ist, gleich, ob diese von
Deutschen oder Ausländern vorgenommen werden, so bedeutet dies
gleichzeitig auch, daß nur die Bundesrepublik gegen ungenehmigte Handlungen auf dem deutschen Festlandsockel einschreiten darf; als minus
hierzu gehört auch das Vorgehen gegen unsachgemäße Aktivitäten wie die
Verschmutzung der See in Zusammenhang mit einer im übrigen genehmigten Handlung. In diesem Zusammenhang wären sogar weitergehende
Kontroll- und Sanktionsbefugnisse denkbar, etwa die Bestrafung der unsachgemäßen Beseitigung von Abfällen und Abwässern einer Ölförderplattform oder die Sanktionierung der Versenkung einer Bohrinsel auf dem
Festlandsockel nach Abschluß der Fördertätigkeit.
In der Festlandsockel-Bergverordnung149 hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich entsprechende Regelungen getroffen. Unter der Überschrift "Abwasser, Abfall" heißt es in § 27:
"(1) Der Unternehmer hat ölhaltiges Abwasser, das im Zusammenhang mit der
Aufsuchung, Gewinnung und Aufbereitung von Bodenschätzen einschließlich von
ölhaltigem Niederschlagswasser anfällt, zu sammeln und vor einer Einleitung in
das Meer zu behandeln. Der Ölgehalt des behandelten Abwassers darf bei Einleitung in das Meer nicht mehr als 30 mg/l betragen. Möglichkeiten zur Verminderung von Schadstoffeinleitungen durch weitergehende Abwasserreinigungsmaßnahmen sind zu nutzen.
147
Diese Bestimmung wurde aufgehoben durch Art. 8 Nr. 1 lit. b) des 18. StrÄndG vom 28.
März 1980, BGBl. 1980 I, S. 378.
148
Damit sind die Aufsuchung und Gewinnung von Bodenschätzen des deutschen Festlandsockels und jede mit Bezug auf den Festlandsockel vorgenommene Forschungshandlung
gemeint.
149
Vom 21. März 1989 (BGBl. I, S. 554).
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
43
(2) Der Unternehmer darf Abwasser aus sanitären Einrichtungen, Küchen und
Speiseräumen nur in das Meer einleiten, wenn es entsprechend dem Stand der
Technik gereinigt wird und dabei ein Abbau von mindestens 90 % der organischen Inhaltsstoffe erzielt wird (biologische Vollreinigung). Zurückgehaltene
Feststoffe müssen an Land entsorgt werden. Einzuleitendes Abwasser darf nicht
gechlort werden.
(3) Es ist verboten, Abfall in das Meer einzubringen."
Ein Verstoß gegen diese Bestimmung wird gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 14 der
Verordnung ebenso wie das vorschriftswidrige Beseitigen von Bohrklein
und Arbeitsgeräten als Ordnungswidrigkeit verfolgt.
Anders zu beurteilen ist dagegen die pauschale Ausdehnung der Strafgewalt auf alle Umweltstraftaten nach den §§ 324, 326, 330 und 330a
StGB, die im Bereich des deutschen Festlandsockels begangen werden. Ein
ausländisches Schiff, das bei seiner Fahrt vom Staat A zum Staat B den
deutschen Festlandsockel überquert, ohne diesen zu erforschen oder seine
Bodenschätze auszubeuten, steht nicht unter der auf die Rechte am Festlandsockel funktional beschränkten Hoheitsgewalt der Bundesrepublik
Deutschland; das Schiff befindet sich im Bereich des deutschen Festlandsockels vielmehr auf der Hohen See.150 Dies bedeutet, daß die für den Bereich der Hohen See geltenden Bestimmungen auch in diesem Bereich soweit und solange Anwendung finden, als nicht in besonderen Vorschriften
anderes bestimmt ist; gemäß Art. 6 Abs. 1 Hohe-See-Übk. unterstehen aber
Schiffe auf der Hohen See der ausschließlichen Hoheitsgewalt des Flaggenstaates:
"Ships shall sail under the flag of one State only and, save in exceptional cases
expressly provided for in international treaties or in these articles, shall be subject
to its exclusive jurisdiction on the high seas."151
Eine ausdrückliche Ausnahme für Zwecke des Umweltschutzes im Bereich
des Festlandsockels ist weder dem Hohe-See-Übereinkommen selbst noch
- soviel sei der nachstehenden Untersuchung in § 4 vorweggenommen dem geltenden Völkervertragsrecht zu entnehmen. Der Bereich des Festlandsockels unterscheidet sich letztlich nicht von für Zwecke des Umweltschutzes eigens errichteten Zonen, deren äußere Grenzen mehr oder weni150
Gemäß Art. 1 Hohe-See-Übk. umfaßt der Begriff "Hohe See" alle Meeresgebiete, die
nicht zum Küstenmeer oder zu den inneren Gewässern eines Staates gehören, also auch
den Bereich des Festlandsockels; dementsprechend wird in Art. 3 FLSÜbk der Rechtsstatus der über dem Festlandsockel befindlichen Gewässer als Hohe See ausdrücklich
festgehalten.
151
Gleichlautend Art. 92 Abs. 1 S. 1 UNSRK.
44
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
ger willkürlich auf eine bestimmte Entfernung von der Küste festgelegt
werden. Derartige Zonen sind in der Vergangenheit - nicht zuletzt von der
Bundesrepublik - stets als völkerrechtswidrig zurückgewiesen worden, wie
die Beispiele des kanadischen 152 und des omanischen 153 Meeresverschmutzungskontrollgesetzes zeigen.
Auch die Begründung von strafprozessualen Ermittlungsrechten
und -pflichten für Bundesvollzugsbeamte 154 im Bereich des deutschen
Festlandsockels wird von den küstenstaatlichen Rechten am Festlandsockel,
wie sie vom Völkerrecht bestimmt werden, nicht gedeckt. Es verbleibt
vielmehr bei der allgemeinen Regel in Art. 19 Abs. 5 KMK, wo es heißt:
"The coastal State may not take any steps on board a foreign ship passing through
the territorial sea to arrest any person or to conduct any investigation in connection with any crime committed before the ship entered the territorial sea, if the ship,
proceeding from a foreign port, is only passing through the territorial sea without
entering internal waters."155
Diese die Ausübung von Zwangsmaßnahmen betreffende Bestimmung hat
um so mehr auf ein ausländisches Schiff Anwendung zu finden, das nicht
einmal deutsche Küstengewässer befährt, sondern den deutschen Festlandsockel nur überquert.
Es verbleibt im Falle einer Umweltverschmutzung bei den allgemeinen
völkerrechtlichen Bestimmungen; diese sehen allein die Strafgewalt des
Flaggenstaates für auf der Hohen See begangene Umweltstraftaten vor, jedenfalls solange und soweit diese keine Auswirkungen auf schützenswerte
Interessen dritter Staaten zeigen.
152
S. o. § 3 V. 2.
153
S. o. § 3 V. 3.
154
Durch Art. 11 des Gesetzes vom 11. Februar 1977 zu den Übereinkommen vom 15. Februar 1972 und 29. Dezember 1972 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das
Einbringen von Abfällen durch Schiffe und Luftfahrzeuge (BGBl. 1977 II, S. 165) und
Art. 4 des MARPOL-Zustimmungsgesetzes vom 23. Dezember 1981 (BGBl. 1982 II,
S. 2); s. dazu u. § 21 XII. 2).
155
Gleichlautend Art. 27 Abs. 5 UNSRK, der allerdings mit dem Nebensatz eingeleitet wird:
"Except as provided in Part XII or with respect to violations of laws and regulations
adopted in accordance with Part V, the coastal State ..."; Teil XII enthält die Bestimmungen über die "Protection an Preservation of the Marine Environment" [s. dazu ausführlich
u. § 23], Teil V befaßt sich mit der "Exclusive Economic Zone" [s. dazu ausführlich u.
§ 22 II. 3.]; vgl. zu dieser Bestimmung Shearer, ICLQ 35 [1986], S. 328.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
3.
45
Zusammenfassung
Die Küstenstaaten besitzen aufgrund der völkergewohnheitsrechtlichen Bestimmungen, wie sie überwiegend in dem Genfer FLSÜbk. vom 29. April
1958 kodifiziert sind, ausschließliche Rechte an den Bodenschätzen des
Meeresgrundes und -untergrundes im Bereich des ihnen vorgelagerten
Festlandsockels. Diese Rechte sind nicht ausschließlich auf das reine Aufsuchen und Fördern der Bodenschätze beschränkt, sondern umfassen als
Annexkompetenz auch die Regelungsbefugnis in sonstigen mit der Aufsuchung oder Gewinnung von Bodenschätzen zusammenhängenden Bereichen wie beispielsweise die Kontrolle von Arbeitssicherheit und Arbeitnehmerschutz an Bord von Ölförderplattformen, die Besteuerung von Gewinnen aus der Fördertätigkeit; dazu gehört auch die strafrechtliche Kontrolle von Verschmutzungen der über dem Festlandsockel befindlichen
Hohen See, soweit diese durch die Aufsuchung oder Gewinnung von Bodenschätzen des Festlandsockels verursacht werden oder hiermit sonst in
Zusammenhang stehen. Die generelle Erfassung von Umweltstraftaten, die
den Tatbestand der §§ 324, 326, 330 oder 330a StGB erfüllen, im Bereich
des deutschen Festlandsockels ist dagegen vom völkerrechtlichen Festlandsockelregime nicht erfaßt.
VIII. Ergebnis
Grundsätzlich unterscheidet sich die Strafgewalt eines Staates über das
Meer nicht von der über ausländisches Territorium: Taten, die im Bereich
des Meeres begangen werden, können von einem Staat seiner Strafgewalt
unterstellt werden, wenn eine sinnvolle Verbindung zu diesem besteht.
Diese Verbindung kann in der inländischen Staatsangehörigkeit von Täter
oder Opfer bestehen. Sie kann insbesondere bei Straftaten auf dem Meer
auch darin bestehen, daß das Schiff, an Bord dessen die Straftat begangen
wird, die Flagge des betreffenden Staates führt. Diese Anknüpfungspunkte,
die fast alle Staaten ihrem internationalen Strafrecht zugrunde gelegt haben,
sind als Ausnahmen vom Grundsatz der ausschließlichen Hoheitsgewalt
des Flaggenstaates über eigene Schiffe auf der Hohen See gewohnheitsrechtlich anerkannt. Ferner kann ein Staat seine Strafgewalt in Anwendung
des Territorialitätsprinzips auch auf solche Taten erstrecken, die sich an
Bord eines Schiffes ereignen, das die zum Inland gehörenden Meeresteile156 befährt; dies gilt jedoch nicht unbeschränkt wie im übrigen Staatsgebiet, sondern unter den besonderen Voraussetzungen des Völkergewohn156
Dies sind die inneren Gewässer (s. dazu o. § 3 III.) und das Küstenmeer (s. dazu o. § 3
IV.).
46
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
heitsrechts, wie es im Genfer Übereinkommen über das Küstenmeer und
die Anschlußzone vom 29. April 1958157 seinen Niederschlag gefunden
hat.
Die Bundesrepublik ist der Völkerrechtslage nach der KMK in Umkehrung
des darin aufgestellten Regel-/Ausnahmeverhältnisses dadurch nachgekommen, daß sie ihre Strafgewalt materiellrechtlich unbeschränkt auf das
zum Inland gehörende Küstenmeer erstreckt (§ 3 StGB) und für Taten, die
von einem Ausländer auf einem ausländischen Schiff im Küstenmeer begangen werden, eine besondere Möglichkeit der Verfahrenseinstellung bereitgestellt hat (§ 153c Abs. 1 Nr. 2 StPO).
Dagegen ist die Erfassung von Straftaten, die auf dem Meer ohne jede Beziehung zum Inland begangen werden, ebensowenig zulässig wie bei sonstigen Auslandstaten. Dies gilt uneingeschränkt auch für Meeresverschmutzungen. Aus dem Umstand, daß eine Meeresverschmutzung im
Bereich des deutschen Festlandsockels begangen wird, resultiert zwar eine
strafrechtlich relevante sinnvolle Anknüpfung für die Begründung deutscher Strafgewalt. Die in den §§ 324, 326, 330 und 330 a StGB begründeten und auf den Festlandsockel ausgedehnten Verbote bedeuten jedoch eine
Einschränkung der Freiheit der Meere, die vom Völkerrecht gestattet sein
muß. Die in jüngster Zeit entstandenen Vorzugsrechte der Küstenstaaten in
den ihrem Küstenmeer vorgelagerten Zonen, die jedoch weiterhin zu der
allen Nationen offenstehenden Hohen See gehören, beziehen sich nicht auf
Meeresverschmutzungen ausländischer Schiffe; dies gilt insbesondere auch
für den Bereich des Festlandsockels, in dem den Küstenstaaten lediglich
besondere Rechte in bezug auf die Erforschung und Ausbeutung der Naturschätze des Meeresgrundes und -untergrundes zustehen. Versuche anderer Staaten wie Kanada158 und Oman159, in küstennahen Zonen Meeresverschmutzungsvorgänge ihrer Hoheitsgewalt zu unterstellen, sind bislang
stets als völkerrechtswidrig zurückgewiesen worden.
157
S. o. § 3 IV. 2.
158
S. o. § 3 V. 2.
159
S. o. § 3 V. 3.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
47
§4
Die strafrechtlichen Befugnisse auf dem Gebiet des Meeresumweltschutzes nach Völkervertragsrecht
I.
Vorbemerkung
Die vorangegangene Untersuchung des Völkergewohnheitsrechts hat gezeigt, daß sich aus dem allgemeinen Seevölkerrecht keine Befugnis für den
Küstenstaat herleiten läßt, auf dem Festlandsockel begangene Umweltstraftaten generell der eigenen Strafgewalt zu unterstellen. Damit kann die
völkerrechtliche Prüfung freilich nicht abgeschlossen werden, sondern es
müssen im folgenden die speziell zum Schutze der Meeresumwelt ergangenen völkerrechtlichen Verträge, die in der jüngsten Vergangenheit unterzeichnet worden sind, auf das Kriterium Strafgewalt bei Meeresverschmutzungen hin untersucht werden.160 Erst danach kann abschließend
beurteilt werden, ob de lege lata die in § 5 Nr. 11 StGB vorgenommene
Ausdehnung deutscher Strafgewalt auf den Festlandsockel in Einklang mit
dem Völkerrecht steht.
II.
Das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Verschmutzung der See durch Öl vom 12. Mai 1954 (OILPOL161)162
1.
Regelungsinhalt und Geltungsbereich
Das OILPOL163 war ein erster Versuch, die Verschmutzung der Weltmeere durch das Ablassen von betriebsbedingt angefallenem Öl durch Schiffe,
160
Als Fundstelle wird im folgenden primär das Bundesgesetzblatt angegeben, daneben die
Textsammlungen von Edom/Rapsch/Veh (Hrsg.), Reinhaltung des Meeres, 1986, und von
Platzöder/Graf Vitzthum (Hrsg.), Seerecht, 1984, und schließlich die umfassende Materialiensammlung von Rüster/Simma (Hrsg.), International Protection of the Environment,
Treaties and Related Documents, 31 Bände, 1975-1983 (ab Band XVIII zeichnen Rüster/Simma/Bock als Herausgeber verantwortlich).
161
Die jedem Übereinkommen in Klammern beigefügte Kurzform ist die allgemein übliche
Abkürzung, die im weiteren Verlauf der Arbeit verwendet wird.
162
International Convention for the Prevention of Pollution of the Sea by Oil, unterzeichnet
in London am 12. Mai 1954 (BGBl. 1956 II, S. 379; Rüster/Simma, Bd. I, S. 332 ), in
Kraft getreten am 26. Juli 1958 (BGBl. 1957, S. 1696, berichtigt in BGBl. 1958 II, S. 91),
geändert am 11. April 1962 (BGBl. 1964 II, S. 749) - in Kraft getreten am 18. Mai 1967
(BGBl. 1967 II, S. 2330) -, am 21. Oktober 1969 (BGBl. 1978 II, S. 1495) und am
12. Oktober 1971 (BGBl. 1978 II, S. 1515) - beide Änderungen in Kraft getreten am
20. Januar 1978 (BGBl. 1979 II, S. 657) -; Neubekanntmachung des Zustimmungsgesetzes in BGBl. 1979 II, S. 62, zuletzt geändert durch Art. 10 des 18. StrÄndG vom
28. März 1980 (BGBl. 1980 I, S. 373).
163
Einen allgemeinen Überblick über das OILPOL geben Edom/Rapsch/Veh, S. 21 ff.
48
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
wenn auch nicht vollständig zu verbieten, so doch wenigstens zu beschränken. Es erfaßte zunächst nur die Ölverschmutzung durch Tankschiffe
und wurde erst bei späteren Revisionen auf andere Schiffstypen ausgedehnt.
Weitere Verschmutzungsursachen wie das Verklappen von Chemikalien
oder das Versenken von Abfällen betrifft dieses Übereinkommen nicht.
Das OILPOL schreibt im wesentlichen vor, daß die einbezogenen Schiffe,
die eine bestimmte Mindestgröße aufweisen müssen, eine ölhaltige Flüssigkeit, deren Ölanteil geringer als 100 ppm sein muß, nur unter Einhaltung
einer näher bestimmten Entfernung vom nächstgelegenen Land und nur in
bestimmten Höchstmengen pro Seemeile ablassen dürfen; zur Festhaltung
dieser Vorgänge ist jedes Schiff verpflichtet, ein Öltagebuch zu führen.
Das OILPOL gilt im Prinzip weltweit; bis zum 25. Oktober 1985 waren
ihm neben der Bundesrepublik 72 weitere Staaten - darunter alle Nordseeanrainerstaaten - beigetreten.164 Heute gilt dieses Abkommen nur noch im
Verhältnis zu denjenigen Staaten, die dem MARPOL165 von 1973/1978
noch nicht beigetreten sind.166
2.
Der strafrechtlich relevante Regelungsinhalt
Von strafrechtlicher Relevanz sind die Art. III Abs. 3, VI, X, XI des
OILPOL in seiner ursprünglichen Fassung.167 Diese Vorschriften wurden
bei der Revision des OILPOL vom 11. April 1962 geringfügig umgestaltet.168 In Art. III Abs. 3 a.F. heißt es:
"Any contravention ... shall be an offence punishable under the laws of the relevant territory in which the ship is registered".169
164
Vgl. Edom/Rapsch/Veh, S. 22.
165
S. u. § 4 III.
166
Art. 9 MARPOL.
167
BGBl. 1956 II, S. 381 = Edom/Rapsch/Veh, S. 332.
168
BGBl. 1964 II, S. 751 = Edom/Rapsch/Veh, S. 346; der ursprüngliche Art. III Abs. 3
wurde zu Art. VI Abs. 1, der ursprüngliche Art. VI zu Art. VI Abs. 2; Art. X Abs. 2 wurde erneut geändert am 21. Oktober 1969 (BGBl. 1978 II, S. 1495 = Edom/ Rapsch/Veh,
S. 368).
169
In Art. VI Abs. 1 n.F. wurde der Wortlaut leicht verändert; dort heißt es nun: "Any contravention ...
shall be an offence punishable under the law of the relevant territory in respect of the ship ...".
Hierin ist wie in der a.F. die Statuierung des Flaggenprinzips zu sehen; ebenso Edom/Rapsch/Veh,
S. 24; Hakapää, Marine Pollution in International Law, S. 112 bei Fn. 241; Nehlmeyer-Günzel,
Der maritime Umweltschutz, S. 72; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 24, 858; Schultheiss,
Umweltschutz und die Freiheit der Meere, S. 190.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
49
Es wird den Unterzeichnerstaaten damit zur Pflicht gemacht, in Anwendung des Flaggenprinzips für Schiffe, die im Inland registriert sind, dem
OILPOL entsprechende Strafvorschriften zu erlassen. Diese Vorschriften
müssen für Verletzungen, die außerhalb der eigenen Küstengewässer begangen werden, Strafen vorsehen, die "...shall be adequate in severity to
discourage any such unlawful discharge ..." und die nicht geringer sein
dürfen als für entsprechende Verschmutzungen des Küstenmeeres.170 In
Art. X wird das Recht eines jeden Unterzeichnerstaates betont, eine Verletzung des OILPOL, wo auch immer diese erfolgt sein mag, dem Flaggenstaat mitzuteilen. Den Flaggenstaat trifft bei Vorlage hinreichenden Beweismaterials eine Ermittlungs- und Verfolgungspflicht gegen den Eigentümer oder Kapitän des betreffenden Schiffes; er hat dem Anzeigestaat und
der IMCO171 Mitteilung von den gegen das Schiff getroffenen Maßnahmen zu machen.
Schließlich ist der - seit 1954 unverändert gebliebene - Art. XI von Bedeutung; er lautet:
"Nothing in the Present Convention shall be construed as derogating from the
powers of any Contracting Government to take measures within its jurisdiction in
respect of any matter to which the Convention relates or as extending the jurisdiction of any Contracting Government."172
Auch dieser Bestimmung kann nichts für eine Erweiterung der Strafgewalt
- als Teil der Hoheitsgewalt173 - entnommen werden; es wird lediglich
darauf hingewiesen, daß die bereits bestehende staatliche Hoheitsgewalt
durch das OILPOL weder eingeschränkt noch ausgedehnt werden soll. Die
völkergewohnheitsrechtlich zulässige174 Bestrafung von fremden Schiffen,
die das Küstenmeer und damit inländisches Territorium durch Öl ver170
Art. VI Abs. 2 n.F.; in Art. VI a.F. war der zitierte präventive Aspekt der Strafen noch
nicht enthalten.
171
"Inter-Governmental Maritime Consultative Organization", seit 22. Mai 1982 umbenannt
in "International Maritime Organization" (=IMO); vgl. zu den Aufgaben der IMCO bzw.
IMO Lampe, Sicherheit der Schiffahrt und Schutz der Meeresumwelt - Die Internationale
Seeschiffahrtsorganisation (IMCO/IMO), VN 30 (1982), S. 86 ff.
172
Die deutsche - nicht amtliche - Übersetzung lautet: "Die Bestimmungen dieses Übereinkommens dürfen nicht so ausgelegt werden, als beeinträchtigten sie die Befugnisse einer
Vertragschließenden Regierung, innerhalb ihrer Hoheitsgewalt Maßnahmen bezüglich der
in diesem Übereinkommen behandelten Sachgebiete zu treffen, oder als erweiterten sie
die Hoheitsgewalt einer Vertragschließenden Regierung" (BGBl. 1956 II, S. 385).
173
Völlig zu Recht wird hier "jurisdiction" mit "Hoheitsgewalt" und nicht wie sonst vielfach
üblich mit "Gerichtsbarkeit" übersetzt.
174
S. o. § 3 IV.
50
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
schmutzen, ist danach durch das OILPOL ebensowenig ausgeschlossen wie
die Bestrafung von eigenen Staatsangehörigen, die für die Verschmutzung
der Hohen See durch Öl von einem ausländischen Schiff aus verantwortlich
sind: Die Strafkompetenz resultiert im ersten Fall aus der Territorialhoheit,
im zweiten Fall aus der Personalhoheit. Dagegen ist die Bestrafung aller
Meeresverschmutzungen durch Öl, auch auf bestimmte Teilbereiche der
Hohen See beschränkt, nach dem OILPOL nicht zulässig: Diese Befugnis
gehört weder zur herkömmlichen Hoheitsgewalt eines jeden Staates noch
wird sie durch das OILPOL geschaffen.
3.
Ergebnis
Das OILPOL verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, in Anwendung des
Flaggenprinzips Verschmutzungen des Meeres durch Öl durch im Inland
registrierte Schiffe unter Strafe zu stellen. Es hindert die Unterzeichnerstaaten nicht, weitere völkerrechtlich zulässige Anknüpfungspunkte heranzuziehen und die Meeresverschmutzung durch Öl in größerem Umfang
als im OILPOL vorgeschrieben unter Strafe zu stellen. Die Bestrafung von
Meeresverschmutzungen außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets, die durch
Ausländer auf ausländischen Schiffen begangen werden, ermöglicht das
OILPOL jedoch nicht.
III.
Das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe vom 2. November 1973/17. Februar 1978
(MARPOL)175
1.
Regelungsinhalt und Geltungsbereich
Das am 2. Oktober 1983 in Kraft getretene 176 MARPOL gilt wie das
OILPOL weltweit. Das Übereinkommen selbst enthält in nur zwanzig Artikeln Grundsätzliches über die Verpflichtung der Unterzeichnerstaaten,
175
International Convention for the Prevention of Pollution from Ships, unterzeichnet in
London am 2. November 1973, abgedruckt in: BGBl. 1984 II, S. 231 (Übereinkommen
i.d.F. des Protokolls vom 17.2.1978 durch Bekanntmachung v. 5.3.1984; Abdruck der
Anlagen I - V in Anlagenband zu BGBl. 1984 II Nr. 8 v. 24.3.1984); geändert am
5.12.1985 (BGBl. 1986 II, S. 942 und Anlagenband); Edom/Rapsch/ Veh, S. 67; Rüster/Simma, Bd. II, S. 552 (Übereinkommen), Bd. XIX, S. 9451 (Protokoll). Zum Inhalt
des MARPOL vgl. Edom/Rapsch/Veh, S. 24 ff.
176
BGBl. 1983 II, S. 632; die Fehlanzeigen hinsichtlich des Inkrafttretens von Bassiouni,
International Criminal Law Conventions by Crime, in: Bassiouni (Hrsg.), International
Criminal Law, Vol. I, 1986, S. 158, und von Nehlmeyer-Günzel, Der maritime Umweltschutz, 1986, S. 160, treffen nicht zu.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
51
das (schiffsbetriebsbedingte) Einleiten ('discharge') von Schadstoffen zu
verhüten; die Einzelheiten sind in zwei Protokollen und fünf umfangreichen Anlagen geregelt.
Protokoll I betrifft das Verfahren i.S.v. Art. 8, nach dem Ereignisse, bei
dem Schadstoffe in das Meer gelangt sind, gemeldet werden müssen; Protokoll II führt das in Art. 10 angesprochene Schiedsverfahren für Streitigkeiten zwischen Vertragsparteien aus. Erst in den fünf Anlagen werden die
Schadstoffe, die im Übereinkommen selbst nur allgemein definiert werden,
näher bezeichnet. Anlage I enthält "Regeln zur Verhütung der Verschmutzung durch Öl", Anlage II "Regeln zur Überwachung der Verschmutzung
durch als Massengut beförderte schädliche flüssige Stoffe", Anlage III
"Regeln zur Verhütung der Verschmutzung durch Schadstoffe, die auf See
in verpackter Form oder in Containern, ortsbeweglichen Tanks, Straßentankfahrzeugen oder Eisenbahnkesselwagen befördert werden", Anlage IV
befaßt sich mit "Regeln zur Verhütung der Verschmutzung durch Schiffsabwasser" und Anlage V schließlich mit "Regeln zur Verhütung der Verschmutzung durch Schiffsmüll". Da das MARPOL i.V.m. Anlage I den
Regelungsbereich des OILPOL vollständig mitumfaßt, tritt es für diejenigen Vertragsparteien an die Stelle jenes Übereinkommens, die beide Verträge ratifiziert haben.177 Mit der Unterzeichnung des MARPOL sollten
gemäß Art. 14 die Anlagen I und II für die Vertragsstaaten automatisch
verbindlich werden, während es sich bei den Anlagen III, IV und V um fakultative Regelwerke handelt. Tatsächlich ist am 2. Oktober 1983 zusammen mit dem eigentlichen MARPOL-Übereinkommen nur die Anlage I
in Kraft getreten,178 weil nach der Unterzeichnung des MARPOL sich alsbald abgezeichnet hatte, daß die Ratifizierung durch die Unterzeichnerstaaten nur zögernd erfolgte. Die IMCO berief deshalb eine internationale
Konferenz ein, die im Februar 1978 ein Protokoll verabschiedete, welches
das MARPOL von 1973 änderte und ergänzte und dessen integrativer Bestandteil wurde.179 Gleichzeitig legte das Protokoll fest, daß zunächst nur
die Anlage I mit dem Übereinkommen selbst in Kraft treten sollte.
177
Art. 9 Abs. 1 MARPOL.
178
Vgl. hierzu und zum folgenden Edom/Rapsch/Veh, S. 25 ff.; inzwischen ist die erforderliche Anzahl von Ratifikationen der Anlage V erreicht, so daß diese am 31.12.1988
in Kraft treten kann (vgl. Ehlers, Wichtige Fortschritte beim Schutz der Nordsee, NuR
1988, S. 129 in Fn. 22).
179
Aus diesem Grund wird das Übereinkommen auch als "MARPOL von 1973/1978" bezeichnet.
52
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Eine Verbesserung des MARPOL mit Anlage I gegenüber dem OILPOL ist
die Einführung von sogenannten Sondergebieten,180 zu denen im europäischen Raum die Ostsee, das Mittelmeer und das Schwarze Meer gehören.181 In diesen Sondergebieten ist für alle Tanker und für sonstige Schiffe ab einer bestimmten Größe jegliches Ablassen von Öl verboten; nur
kleinere Schiffe dürfen Öl in geringer Menge enthaltende Flüssigkeiten in
Sondergebieten ablassen.
2.
Der strafrechtlich relevante Regelungsinhalt
Während die strafrechtlich relevanten Vorschriften des OILPOL sich auf
die Festlegung des Flaggenprinzips beschränken, geht das MARPOL hierüber hinaus. In Art. 4 Abs. 1 werden die Unterzeichnerstaaten verpflichtet,
Verstöße unabhängig vom Begehungsort "im Recht der für das betreffende
Schiff zuständigen Verwaltung unter Strafe" zu stellen. Hiermit ist zunächst das Flaggenprinzip genannt; da aber gemäß Art. 2 Nr. 4 in die
Schiffsdefinition auch feste und schwimmende Plattformen einbezogen
werden und gemäß Art. 2 Nr. 5 bei Plattformen, die zur Erforschung und
Ausbeutung des Festlandsockelgrundes und -untergrundes eingesetzt sind,
zuständige "Verwaltung" die Regierung des betreffenden Küstenstaates ist,
stehen auch Einrichtungen im Bereich des Festlandsockels unter der Hoheits- und Strafgewalt des Küstenstaates, soweit diese mit der Erforschung
oder Ausbeutung von Bodenschätzen des Festlandsockels befaßt sind.
Daneben werden die (Küsten-)Staaten in Art. 4 Abs. 2 in Anwendung des
Territorialitätsprinzips verpflichtet, 182 in ihrem Hoheitsbereich 183 begangene Verstöße unter Strafe zu stellen; wird ein Verstoß im Hoheitsbereich eines (Küsten-)Staates (d.h. im Küstenmeer oder in den inne180
MARPOL Anlage 1, Regel 10, abgedr. bei Edom/Rapsch/Veh, S. 96.
181
Es ist das Bestreben der Bundesrepublik, auch die Nordsee zum Sondergebiet erklären zu
lassen; entsprechende Bemühungen - beispielsweise bei der 1. INK in Bremen am
31.10./1.11.1984 - scheiterten zunächst freilich insbesondere am Widerstand Großbritanniens; vgl. Ehlers, Die erste Internationale Nordseeschutz-Konferenz, NuR 1985, S. 102,
104. Auf der 2. INK am 24./25.11.1987 in London konnte die Bundesrepublik demgegenüber durchsetzen, daß bei der IMO die erforderlichen Schritte zur Ausweisung der
Nordsee als Sondergebiet nach Anlage V des MARPOL eingeleitet wurden (vgl. Ehlers,
NuR 1988, S. 128). Unzutreffend sind dagegen Pressemeldungen (vgl. z.B. FAZ Nr. 274
v. 26.11.1987, S. 1), wonach die 2. Internationale Nordseeschutz-Konferenz selbst bei
ihrem Treffen in London die Nordsee zum Sondergebiet erklärt haben soll; hierzu fehlte
ihr jegliche Zuständigkeit.
182
So auch Hakapää, S. 112 f.
183
So lautet die deutsche - amtliche, aber nicht verbindliche (vgl. Art. 20 S. 2 MARPOL) Übersetzung von jurisdiction.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
53
ren Gewässern)184 tatsächlich begangen, so soll der betreffende Staat entweder selbst ein (Straf-)Verfahren nach seinem Recht einleiten oder den
Flaggenstaat mit Beweismaterial versorgen, damit dieser ein Strafverfahren
einleiten kann.
Ähnlich wie Art. VI Abs. 2 OILPOL verlangt auch Art. 4 Abs. 4 MARPOL
von den Vertragsparteien, daß die in Anwendung des Territorialitätsprinzips oder des Flaggenprinzips angedrohten Strafen durch ihre Höhe
abschreckend wirken müssen; vom Tatort abhängige Unterschiede dürfen
nicht gemacht werden.
Zwischen der Unterzeichnung des OILPOL und dem Abschluß des
MARPOL hatte das Festlandsockelregime in der Genfer Festlandsockelkonvention vom 29. April 1958 185 seine Kodifikation gefunden; hierin
dürfte der Grund für die Fassung von Art. 3 Abs. 2 MARPOL liegen, wonach das MARPOL die den Vertragsstaaten nach dem Völkerrecht zustehenden Rechte auf Ausbeutung und Erforschung des ihnen vorgelagerten
Meeresbodens weder einschränken noch erweitern soll.
Schließlich ist auf Art. 9 Abs. 3 MARPOL hinzuweisen, der eine Legaldefinition des Begriffs "jurisdiction" in Form einer dynamischen Verweisung
enthält; die Vorschrift lautet:
"The term 'jurisdiction' in the present Convention shall be construed in the light of
international law in force at the time of application or interpretation of the present
Convention."186
184
So de lege lata auch Hakapää, S. 113, der de lege ferenda nach Inkrafttreten der UNSRK
auch die EEZ für miteinbezogen hält. Gündling, Ölunfälle bei der Ausbeutung der Festlandsockels, ZaöRV 37 (1977), S. 551, übersetzt jurisdiction in Art. 4 Abs. 2 mit Jurisdiktionsbereich und bezieht darin auch den Festlandsockel ein, soweit dessen Bodenschätze ausgebeutet werden, und kommt damit zu einer zweifachen Verantwortlichkeit
des Küstenstaates für den Festlandsockel.
185
S. dazu o. § 3 VII.
186
Die amtliche, aber nicht verbindliche (Art. 20 MARPOL) deutsche Übersetzung lautet:
"Der Ausdruck "Hoheitsbereich" in diesem Übereinkommen ist entsprechend dem bei der
Anwendung oder Auslegung dieses Übereinkommens geltenden Völkerrecht auszulegen."
Es fällt hier die Übersetzung von "jurisdiction" nicht mit "Hoheitsgewalt" wie im
OILPOL (s.o. § 4 II. 2. in Anm. 173), sondern mit "Hoheitsbereich" auf, was m.E. zu eng
ist: So ist etwa in Art. 5 Abs. 2 von "ports or offshore-terminals under the jurisdiction of a
party" die Rede; gerade offshore-terminals befinden sich häufig im Bereich des Festlandsockels, der nicht zum "Hoheitsbereich" des Küstenstaates gehört, auf dem befindliche
Anlagen zur Ölförderung und -verladung aber sehr wohl der "Hoheitsgewalt" des Uferstaates unterstehen (ebenso wohl Gündling, ZaöRV 37 [1977], S. 551).
54
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Diese Formulierung wurde von den Konferenzteilnehmern angesichts der
gleichzeitig beginnenden 3. UN-Seerechtskonferenz gewählt, weil man den
Verhandlungen nicht vorgreifen und gleichzeitig erreichen wollte, auf jener
Konferenz erzielte Erweiterungen der Jurisdiktionsbereiche sogleich im
Rahmen des MARPOL umsetzen zu können. 187 Eine Ausdehnung der
Hoheitsgewalt der Unterzeichnerstaaten kann dem MARPOL nicht entnommen werden; es kann auch nicht als Ermächtigungsgrundlage für eine
autonome Ausdehnung der Hoheitsgewalt durch eine Vertragspartei herangezogen werden. Das Übereinkommen verweist vielmehr - dies gilt
insbesondere für Art. 4 Abs. 2 - auf die jederzeit durch das allgemeine
Völkerrecht vorgegebene Festlegung der staatlichen Hoheitsgewalt bzw.
des staatlichen Hoheitsbereichs. Da aber das allgemeine Völkerrecht weder
die generelle Erstreckung der Strafgewalt auf Meeresverschmutzungen in
der gesamten Welt noch auf den Bereich des eigenen Festlandsockels beschränkt zuläßt, gibt auch das MARPOL für die Ausdehnung der Strafgewalt bei Meeresverschmutzungen keine neuen Erkenntnisse her.
3.
Ergebnis
Das MARPOL verpflichtet die Unterzeichnerstaaten als Träger der Flaggen- und der Territorialhoheit, Meeresverschmutzungen durch Öl und nach
Inkrafttreten der übrigen Anlagen auch durch die sonstigen in ihnen genannten Schadstoffe strafrechtlich zu erfassen. Auch - ausländische - feste
und schwimmende Plattformen im Bereich des Festlandsockels werden der
Strafgewalt des betreffenden Küstenstaates unterstellt; diese Unterstellung
bewegt sich aber nur im Rahmen der nach allgemeinem Völkerrecht funktional auf die Erforschung und Ausbeutung der Bodenschätze des Festlandsockels beschränkten Rechte und geht nicht über das Maß an Rechten
hinaus, das dem Küstenstaat ohnehin als Annexkompetenz zu den Erforschungs- und Ausbeutungsrechten auch ohne ausdrückliche vertragliche
Regelung zusteht.188 Die Ausdehnung der Strafgewalt auf andere Meeresverschmutzungen gestattet das MARPOL dagegen nicht; einer solchen
Ausdehnung würde es aber, sollte diese völkerrechtlich anerkannt werden,
gemäß seinem Art. 9 Abs. 3 auch ohne ausdrückliche Anpassung nicht entgegenstehen.
187
Vgl. Abecassis/Jarashow, Oil pollution from ships, S. 92 f.
188
S. o. § 3 VII. 2. c).
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
IV.
Das Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung
durch das Einbringen durch Schiffe und Luftfahrzeuge vom
15. Februar 1972 (OSLO-Übk.)189
1.
Regelungsinhalt und Geltungsbereich
55
Regelungsgegenstand des OSLO-Übk. ist - im Gegensatz zu den zuvor besprochenen Verträgen - das nicht-betriebsbedingte Einbringen ('dumping')
von Schadstoffen durch Schiffe und Luftfahrzeuge. Hierzu zählte ursprünglich nicht das Verbrennen von Abfällen; diese Materie wurde erst
nachträglich am 2. März 1983 durch Einfügung von Art. 8 Abs. 3 und Änderung von Art. 19 in den Vertrag einbezogen.190
Die Schadstoffe, die das OSLO-Übk. erfaßt, sind in drei Anlagen aufgeführt. Das Einbringen der in Anlage I genannten Stoffe ist grundsätzlich
verboten;191 Abfälle, die die in Anlage II genannten Stoffe enthalten,192
dürfen gemäß Art. 6 nur nach vorheriger Genehmigung eines Unterzeichnerstaates eingebracht werden, wobei dieser die in Anlage III aufgeführten Bestimmungen zu beachten hat. In der Anlage IV wird der neugeschaffene Art. 8 Abs. 3 über die Seeverbrennung von Schadstoffen näher
ausgeführt.
Das OSLO-Übk. gilt für den Nordostatlantik von Grönland zu den Azoren
und bis Gibraltar, für die Nordsee und das Eismeer, nicht jedoch für die
Ostsee und das Mittelmeer.193 Zur Überprüfung der Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen und zur Wahrnehmung von Koordinations- und Sekretariatsaufgaben wurde eine Kommission mit Sitz in
Oslo eingesetzt.194
189
Convention for the Prevention of Marine Pollution by Dumping from Ships and Aircraft,
unterzeichnet in Oslo am 15. Februar 1972 (BGBl. 1977 II, S. 169; Rüster/ Simma, Bd. II,
S. 530; in deutscher Übersetzung abgedr. bei Edom/Rapsch/Veh, S. 261; dort [S. 40 ff.]
auch Erläuterungen zum Inhalt des Übereinkommens), für die Bundesrepublik in Kraft
getreten am 23.12.1977 (BGBl. 1977 II, S. 1492) zuletzt geändert am 2.3.1983 (BGBl.
1986 II, S. 999); s. hierzu Gündling, Abfallbeseitigung auf See, NuR 1982, S. 42 ff.
190
BR-Drs. 257/85, S. 1; BGBl. 1986 II, S. 999.
191
Art. 5; sogenannte 'schwarze Liste'.
192
Sogenannte 'graue Liste'.
193
Das Geltungsgebiet wird kartographisch dargestellt bei Edom/Rapsch/Veh, S. 41.
194
Art. 16; OSCOM.
56
2.
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Der strafrechtlich relevante Regelungsinhalt
Gegenüber den zuvor behandelten Übereinkommen enthält das OSLO-Übk.
eine Neuerung. Gemäß Art. 15 Abs. 1 sind die Vertragsparteien verpflichtet,
nicht nur die Einhaltung des Abkommens durch im Inland registrierte
Schiffe und Luftfahrzeuge und durch Schiffe und Luftfahrzeuge, die in das
eigene Küstenmeer Schadstoffe einbringen, zu überwachen; auch solche
(ausländischen) Schiffe und Luftfahrzeuge, die im Inland mit Stoffen beladen werden, die in die Hohe See eingebracht werden sollen, sind in die
Überwachungspflicht miteinbezogen. Allerdings ist nicht ganz klar, ob mit
der in Abs. 1 des Art. 15 genannten Pflicht zur Überwachung der Einhaltung des Übereinkommens 195 auch das strafrechtliche Instrumentarium
angesprochen ist, da demgegenüber in Abs. 3 desselben Artikels jede Vertragspartei ausdrücklich verpflichtet wird, in ihrem Hoheitsgebiet ('territory') geeignete Maßnahmen zur Verhütung und Bestrafung von Verstößen
gegen das OSLO-Übk. zu treffen; dies könnte zu der Schlußfolgerung führen, daß in dem hier in Frage stehenden Abs. 1 nur präventive, nicht aber
repressive Maßnahmen gemeint sind.196 Diese Auslegung hätte die unbefriedigende Konsequenz zur Folge, daß ausländische Schiffe und Luftfahrzeuge, die im Inland mit Schadstoffen beladen werden, zwar der
Überwachungspflicht des Ladestaates nach Abs. 1 unterworfen wären,
nicht aber dessen Strafgewalt.
Diese Folge könnte vermieden werden, wenn unter der Pflicht der Unterzeichnerstaaten zur Ergreifung "geeignete(r) Maßnahmen zur Verhütung
und Bestrafung von Verstößen" in Abs. 3 die Pflicht zur Einleitung tatsächlicher strafprozessualer Schritte zu verstehen ist. Für diese Auslegung
spricht die Beschränkung in dieser Bestimmung auf das eigene Hoheitsgebiet, was gerade in Zusammenhang mit der Ausübung von Hoheitsgewalt
plausibel erscheint. Bei dieser Auslegung wäre es folgerichtig, zu den in
Abs. 1 des Art. 15 angesprochenen präventiven Maßnahmen auch den Erlaß von strafrechtlich abgesicherten Verbotsnormen - im Unterschied zu
195
Der englische authentische Text lautet: "Each Contracting Party undertakes to ensure
compliance with the Provisions of this Convention."
196
Die Bundesrepublik hat diesen Schluß nicht gezogen und droht in dem Zustimmungsgesetz zum OSLO-Übk. vom 11. Februar 1977 (BGBl. 1977 II, S. 165, zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. April 1980, BGBl. 1980 II, S. 606) für das Einbringen von
Stoffen in die Hohe See ohne Erlaubnis durch Schiffe unter deutscher Flagge wie durch
Schiffe, die im Inland mit den einzubringenden Stoffen beladen werden, die Verfolgung
der Tat als Ordnungswidrigkeit und die Verhängung von Geldbußen bis zu DM 100.000.an (Art. 10 i.V.m. Art. 2 Abs. 1); auch Oehler, GA 1980, S. 243, geht ohne weiteres davon aus, daß Art. 15 Abs. 1 OSLO-Übk. Strafverpflichtungen enthält.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
57
der Bestrafung als solcher - zu zählen, die durch ihre bloße Existenz ebenfalls präventiv wirken. Hinzu kommt, daß in die Überwachungspflicht in
Art. 15 Abs. 1 insbesondere auch die im Inland registrierten Schiffe und
Luftfahrzeuge einbezogen sind, die von jeher der Hoheits- und Strafgewalt
des Flaggenstaates unterstehen; es befindet sich deshalb in Übereinstimmung mit den zuvor behandelten Meeresschutzkonventionen, wenn Art. 15
Abs. 1 das Strafrecht des Flaggenstaates über dessen eigene Schiffe zu einer Strafpflicht verstärkt.
Aus diesen Gründen spricht alles dafür, Art. 15 Abs. 1 OSLO-Übk. auch
die Verpflichtung zum Erlaß innerstaatlicher strafrechtlicher Normen in
dem dort beschriebenen Umfang - d.h. für im Inland registrierte Schiffe
und Luftfahrzeuge, für Schiffe und Luftfahrzeuge, die in das inländische
Küstenmeer Schadstoffe einbringen, und für im Inland mit Schadstoffen
beladene (ausländische) Schiffe und Luftfahrzeuge - zu entnehmen.197
3.
Ergebnis
Zwar läßt auch das OSLO-Übk. die Bestrafung aller Verschmutzungen der
Hohen See durch das Einbringen von Schadstoffen durch Schiffe und
Luftfahrzeuge, die in keiner Verbindung zum strafenden Staat stehen, nicht
zu; es hätte dies entsprechend seinem generell beschränkten Geltungsgebiet
auch nur für den Bereich des Nordostatlantiks und der Nordsee tun können.
Das OSLO-Übk. bleibt mit seiner Verpflichtung der Unterzeichnerstaaten,
auf Meeresverschmutzungen mit der Anwendung des Flaggen- und des
Territorialitätsprinzips zu reagieren, im Rahmen des völkerrechtlich ohnehin Zulässigen. Neue Wege beschreitet das OSLO-Übk. jedoch mit der
Einführung eines Lade- oder Verursacherprinzips, wonach auch ausländische Schiffe und Luftfahrzeuge für das Einbringen von Schadstoffen in die
Hohe See im Inland bestraft werden können, wenn die Schadstoffe im Inland geladen wurden.
197
Ebenso Timagenis, Marine Pollution, Vol. I, Rn. 138: "Punishment of violations of the
Convention is one of the means "to ensure compliance" with its provisions."
58
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
V.
Das Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung
durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen vom
29. Dezember 1972 (LONDON-Übk.)198
1.
Geltungsbereich und Regelungsinhalt
Das LONDON-Übk. ist am 30. August 1975 international und rund zwei
Jahre später, am 8. Dezember 1977, für die Bundesrepublik in Kraft getreten.199 Da auch das OSLO-Übk. für die Bundesrepublik fast zeitgleich in
Kraft getreten ist200 und der Regelungsinhalt beider Übereinkommen im
wesentlichen übereinstimmt, wurde beiden Konventionen in einem einzigen Gesetz, das auch Strafvorschriften enthält, zugestimmt.201
Dem LONDON-Übk. kommt eine eigenständige Bedeutung vor allem deshalb zu, weil sein Geltungsbereich nicht beschränkt ist, sondern weltweit
alle Meeresgewässer mit Ausnahme der inneren Gewässer 202 erfaßt.203
Das LONDON-Übk. erfaßt "jede auf See erfolgende vorsätzliche Beseitigung von Abfällen oder sonstigen Stoffen von Schiffen, Luftfahrzeugen,
Plattformen oder sonstigen auf See errichteten Bauwerken aus".204 Aus der
Formulierung "Beseitigung auf See" - im Gegensatz zur Formulierung "in
die Hohe See" im OSLO-Übk. - wird geschlossen, daß auch das Verbrennen von Abfällen auf See vom LONDON-Übk. erfaßt wird.205 Ausdrücklich ausgenommen vom Regelungsinhalt des LONDON-Übk. sind Abfälle
198
Convention on the Prevention of Marine Pollution by Dumping of Wastes and other Matter, unterzeichnet in London am 29. Dezember 1972 (BGBl. 1977 II, S. 155, 180; Rüster/Simma, Bd. II, S. 537; in deutscher Sprache abgedruckt bei Edom/Rapsch/Veh, S. 283;
dort [S. 46 ff.] auch kommentiert), zuletzt geändert am 12.10.1978 (BGBl. 1987 II,
S. 119).
199
BGBl. 1979 II, S. 273.
200
Am 23. Dezember 1977 (BGBl. 1977 II, S. 1492).
201
Gesetz vom 11. Februar 1977 zu den Übereinkommen vom 15. Februar 1972 und 29.
Dezember 1972 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen durch Schiffe und Luftfahrzeuge, BGBl. 1977 II, S. 165, zuletzt geändert durch
Art. 4 des Gesetzes vom 28. April 1980, BGBl. 1980 II, S. 606.
202
Dies sind die sich von der sogenannten Basislinie, von der aus sich das Küstenmeer seewärts ersteckt, landwärts anschließenden Gewässer, vor allem also Häfen, Buchten und
Flußmündungen; siehe näher dazu oben § 3 III.
203
Art. III Nr. 3.
204
So lautet die Definition von 'Einbringen' ('dumping') in Art. III Nr. 1 lit. a) i)
LONDON-Übk.
205
Vgl. Edom/Rapsch/Veh, S. 46; Sondergutachten Umweltprobleme der Nordsee,
BT-Drs. 9/692, S. 383.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
59
und sonstige Stoffe, die beim Betrieb von Schiffen, Luftfahrzeugen und
Plattformen entstehen, sowie die Beseitigung von Abfällen, die aus der
Ausbeutung und Verarbeitung von Mineralien des Meeresbodens entstehen.206
In der Regelungstechnik entspricht das LONDON-Übk. dem OSLO-Übk.
Gemäß Art. IV Abs. 1 ist das Einbringen der in Anlage I (sogenannte
'schwarze Liste') genannten Stoffe verboten, das Einbringen der in Anlage
II (sogenannte 'graue Liste') genannten Stoffe bedarf jeweils einer vorherigen Sondererlaubnis, und das Einbringen aller sonstigen Stoffe bedarf einer
vorherigen allgemeinen Erlaubnis; bei der Erteilung von Erlaubnissen sind
jeweils die in Anlage III genannten Kriterien zu beachten.
Bemerkenswert ist, daß auf der 'schwarzen Liste' des LONDON-Übk. neben den in der 'schwarzen Liste' des OSLO-Übk. genannten Stoffen auch
Rohöl, hochgradig radioaktive Stoffe sowie biologische und chemische
Kampfmittel aufgeführt werden.207 Andererseits bestimmt Nr. 9 ausdrücklich, daß die Anlage I und damit ein absolutes Einbringungsverbot nicht für
solche Stoffe gilt, welche die in Anlage I genannten Stoffe - dazu zählen
organische Halogenverbindungen, Quecksilber und Cadmium - als Spurenverunreinigung enthalten; die Einbringung von Klärschlamm und Baggergut - diese Stoffe werden in der Anlage I Nr. 9 beispielhaft genannt - ist
nach vorheriger Genehmigung also zulässig.
2.
Der strafrechtlich relevante Regelungsinhalt
Der strafrechtliche Regelungsinhalt des LONDON-Übk. stimmt mit dem
des OSLO-Übk. fast wortgleich überein. Art. VII Abs. 2 verpflichtet die
Vertragsstaaten,
"in ihrem Hoheitsgebiet ('territory') geeignete Maßnahmen zur Verhütung und Bestrafung von Verstößen"
gegen das LONDON-Übk. zu treffen, während Abs. 1 desselben Artikels in
einer allgemeiner gehaltenen Formulierung die Anwendung der zur
Durchführung des Übereinkommens erforderlichen Maßnahmen auf Schiffe und Luftfahrzeuge nach dem Flaggenprinzip und auf Schiffe und Luftfahrzeuge, die im Inland mit einzubringenden Schadstoffen beladen werden,
vorschreibt. In - dem mißverständlich formulierten - Art. VII Abs. 1c) sind
206
Art. III Nr. 1 lit. a) i) bzw. lit. c).
207
Anlage I, Nr. 5-7.
60
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
in die Pflicht zur Anwendung der zur Durchführung erforderlichen Maßnahmen auch
"alle Schiffe und Luftfahrzeuge sowie feste oder schwimmende Plattformen in ihrem Hoheitsbereich, von denen ein Einbringen angenommen wird",208
einbezogen. Im OSLO-Übk. bezog sich die entsprechende Vorschrift (Art.
15 Abs. 1c) auf Schiffe und Luftfahrzeuge, bei denen ein Einbringen in das
Küstenmeer angenommen wird. Ob auch die Formulierung in Art. VII
Abs. 1c) LONDON-Übk. so zu verstehen sein soll,209 ist nicht ganz eindeutig, kann aber in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben: Weder
diese noch andere Bestimmungen des LONDON-Übk. verpflichten die
Unterzeichnerstaaten zur unbeschränkten Ausdehnung der Strafgewalt bei
Meeresverschmutzungen auf die Hohe See noch läßt die Konvention eine
solche Ausdehnung zu.
3.
Ergebnis
Auch das LONDON-Übk. begründet keine schrankenlose Strafgewalt über
Meeresverschmutzungen. Es geht mit der Verpflichtung der Unterzeichnerstaaten zur Anwendung des Territorialitätsprinzips traditionelle
Wege und verfolgt mit der Anwendung des Lade- oder Verursacherprinzips,
das wie alle anderen Prinzipien außer dem Weltrechtsprinzip eine sinnvolle
Beziehung zum Inland aufweist, die bereits im OSLO-Übk. eingeschlagene
Richtung.
208
Im englischen Original heißt es: "(c) Vessels and aircraft and fixed or floating platforms
under its jurisdiction believed to be engaged in dumping."
209
Der Gesetzgeber hat sowohl dem OSLO-Übk. als auch dem LONDON-Übk. nur für die
Hohe See - d.h. unter Außerachtlassung eigener wie fremder Küstengewässer - bei Tatbegehung durch im Inland registrierte oder beladene Schiffe innerstaatliche Geltung verschafft (Art. 2 Abs. 1 Zustimmungsgesetz, BGBl. 1977 II, S. 165 = Edom/Rapsch/Veh,
S. 262).
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
61
VI.
Das Übereinkommen über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets vom 22. März 1974 (HELSINKI-Übk.)210
1.
Geltungsbereich und Regelungsinhalt
Das HELSINKI-Übk. gilt für die gesamte Ostsee - ausgenommen die inneren Gewässer 211 der Vertragsparteien - bis zu ihrem Übergang in die
Nordsee im Skagerrak; es wurde von allen sieben Ostseeanrainerstaaten
unterzeichnet und ratifiziert. Von den zuvor genannten Übereinkommen
unterscheidet sich das HELSINKI-Übk. insbesondere dadurch, daß es seinem Regelungsinhalt nach nicht auf bestimmte Verschmutzungsformen
und -quellen beschränkt ist, sondern die Verschmutzung vom Land aus, die
Verschmutzung durch Schiffe, gleich ob betriebsbedingt oder durch Abfallbeseitigung verursacht, die Verschmutzung in Zusammenhang mit der
Erforschung und Ausbeutung des Meeresgrundes und die Bekämpfung einer bereits eingetretenen Meeresverschmutzung in seinen Regelungsbereich einbezieht.
Gemäß Art. 7 Abs. 1 HELSINKI-Übk. treffen die Vertragsparteien die in
der umfangreichen Anlage IV beschriebenen Maßnahmen,
"um das Ostseegebiet vor Verschmutzung durch vorsätzliches, fahrlässiges oder
unfallbedingtes Freisetzen von Öl und sonstigen Schadstoffen sowie durch Einleiten durch Schiffsabwasser und -müll zu schützen";
nicht geregelt ist, ob die Vertragsparteien die Einhaltung des
HELSINKI-Übk. hinsichtlich dieser Verschmutzungsformen in Anwendung des Territorialitätsprinzips und/oder des Flaggenprinzips sicherstellen
sollen.
Das Einbringen ('dumping'), d.h. die auf See erfolgende vorsätzliche Beseitigung von Abfällen oder sonstigen Stoffen, 212 ist von den Vertragsparteien gemäß Art. 9 Abs. 1 grundsätzlich zu verbieten; lediglich
210
Convention on the Protection of the Marine Environment of the Baltic Sea Area (BGBl.
1979 II, S. 1229; Rüster/Simma, Bd. II, S. 683 [in englischer Sprache]; Edom/Rapsch/
Veh, S. 319 [in deutscher Sprache]); für die Bundesrepublik und international - ausgenommen die Anlage IV, die erst am 3. Mai 1981 in Kraft getreten ist - in Kraft getreten
am 3. Mai 1980 (BGBl. 1980 II, S. 1449), zuletzt geändert am 27.2.1987 (BGBl. 1987 II,
S. 206 [Zustimmungsverordnung], Anlage zu Nr. 9 [Konventionsänderungen]); zum Inhalt des HELSINKI-Übk. vgl. Edom/Rapsch/ Veh, S. 55 ff., und Ehlers, Zehn Jahre Helsinki-Übereinkommen - Ein Bericht, NuR 1984, S. 138 ff.
211
Zum Begriff "innere Gewässer" s.o. § 3 III.
212
Vgl. im einzelnen die Legaldefinition in Art. 2 Nr. 3 lit. a) HELSINKI-Übk.
62
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Baggergut darf nach vorheriger Genehmigung gemäß Art. 9 Abs. 2 eingebracht werden. Die Einhaltung des Einbringungsverbots ist gemäß Art. 9
Abs. 3 sicherzustellen für Schiffe und Luftfahrzeuge, die im Inland eingetragen sind oder im Inland Stoffe zum Zwecke des Einbringens laden oder
die in das inländische Küstenmeer Stoffe einbringen. Schließlich ist gemäß
Art. 10 HELSINKI-Übk. jede Vertragspartei verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Verhütung der Verschmutzung der Meeresumwelt des Ostseegebiets durch die Erforschung oder Ausbeutung ihres Teils des Meeresgrundes zu treffen.
Von Bedeutung sind ferner die Art. 19 und 21 des HELSINKI-Übk. In Art.
19 heißt es:
"Dieses Übereinkommen ist nicht so auszulegen, als beeinträchtige es die Freiheit
der Schiffahrt, der Fischerei, der wissenschaftlichen Meeresforschung und der
sonstigen rechtmäßigen Nutzung der Hohen See sowie das Recht der friedlichen
Durchfahrt durch das Küstenmeer."
Art. 21 bestimmt ausdrücklich, daß das HELSINKI-Übk. Rechte und
Pflichten der Vertragsparteien aus anderen bereits abgeschlossenen oder
noch abzuschließenden Verträgen zur Verhütung der Verschmutzung der
Meeresumwelt nicht berührt.
Zur Beobachtung der Durchführung des HELSINKI-Übk. wurde eine
Kommission mit Sitz in Helsinki eingesetzt; sie soll u.a. mit der Durchführung des Übereinkommens zusammenhängende Maßnahmen empfehlen
und Änderungsvorschläge unterbreiten sowie die wissenschaftliche und
technische Forschung fördern.213
2.
Die innerstaatliche Umsetzung
Zur Durchführung und Umsetzung der im HELSINKI-Übk. getroffenen
Regelungen in das innerstaatliche Recht hat der Gesetzgeber keine besonderen Anstrengungen unternommen.214 Das Zustimmungsgesetz vom 30.
November 1979215 enthält neben der formalen Zustimmung des Bundestages zu dem Übereinkommen lediglich Ermächtigungsnormen an die
213
Vgl. näher zu den Aufgaben der HELSINKI-Kommission Ehlers, NuR 1984, S. 139.
214
Anderer Auffassung Ehlers, NuR 1984, S. 137 ff., der nach zehnjährigem Bestehen des
HELSINKI-Übk. eine positive Bilanz zieht; ob die von ihm aufgeführten Gesetze (WHG,
WaschmittelG, AltölG, BImSchG), die zum Teil noch vor Unterzeichnung des
HELSINKI-Übk. erlassen wurden (dies gilt z.B. für das von Ehlers in Fn. 34 genannte
DDT-Gesetz), auf dem HELSINKI-Übk. beruhen, muß allerdings bezweifelt werden.
215
BGBl. 1979 II, S. 1229.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
63
Bundesregierung bzw. an den Bundesverkehrsminister; dadurch haben die
Bestimmungen des HELSINKI-Übk. noch keine unmittelbare Wirkung für
den einzelnen entfaltet, weil sie nicht abschließend formuliert und
self-executing,216 sondern an die Vertragsparteien gerichtet sind und diese
(völkerrechtlich) verpflichten, die Regelungen des Übereinkommens in das
innerstaatliche Recht umzusetzen. Erst mit der vom Bundesverkehrsminister am 11. Februar 1985 erlassenen Verordnung über die Verhütung der
Verschmutzung der Ostsee durch Schiffe217 wurde eine Rechtsnorm verabschiedet, die - ähnlich wie die Zustimmungsgesetze zu den zuvor genannten Konventionen - bestimmte Einbringungsverbote218 aufstellt, deren
Verletzung strafrechtlich abgesichert wird. Freilich begründet auch diese
Verordnung kein absolutes Verschmutzungsverbot. Die Verordnung ist
zwar gemäß § 8 am 1. März 1985 in Kraft getreten, hat jedoch keineswegs
das Einleiten von Schiffsabwässern in deutsche Ostsee-Küstengewässer ab
diesem Zeitpunkt generell verboten:219 Gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 der VO gilt
das Abwassereinleitungsverbot für vorhandene Schiffe, die für die Beförderung von mehr als 50, aber nicht mehr als 400 Personen zugelassen sind
und die die inneren Gewässer der Bundesrepublik befahren, erst seit dem 1.
Januar 1988, für alle übrigen Schiffe, die bestimmte, in § 3 Abs. 2 Nr. 2 VO
näher bezeichnete Merkmale aufweisen, und alle übrigen Meeresteile gar
erst ab 3. Mai 1990. Seit dem 1. März 1985 betrifft das Abwassereinleitungsverbot lediglich große Passagierschiffe, die zur Beförderung von mehr
als 400 Personen zugelassen sind, sowie nach diesem Tag neu in Dienst
gestellte Schiffe.
Was die Beseitigung von Abfall auf der Ostsee betrifft, so wird von der
Bundesrepublik hierauf das Zustimmungsgesetz vom 11. Februar 1977 zum
OSLO- und LONDON-Übk.220 mit der Maßgabe angewendet, daß keine
Einbringungsgenehmigungen erteilt werden, weil die Besorgnis nach-
216
Vgl. zu diesem Begriff Verdross/Simma, §§ 423, 864 ff.
217
BGBl. 1985 I, S. 321, geändert und ergänzt durch die 5. Ostsee-Umweltschutz-ÄnderungsVO vom 12. November 1985, in Kraft getreten am 1. Januar 1986 (BGBl. 1985 II,
S. 1195), und durch die 6. Ostsee-Umweltschutz-Änderungsverordnung vom 27. März
1987, in Kraft getreten am 6. April 1987 (BGBl. 1987 II, S. 206).
218
Erfaßt werden: das Einleiten von Abwasser (§ 3), die Beseitigung von Müll (§ 4), das
Einleiten von schädlichen flüssigen Stoffen als Massengut (§ 2 a); § 5 begründet eine
Meldepflicht von Ereignissen in Verbindung mit Schadstoffen.
219
So aber Edom/Rapsch/Veh, S. 59 bei Fn. 9.
220
BGBl. 1977 II, S. 165 (= Edom/Rapsch/Veh, S. 261).
64
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
teiliger Auswirkungen auf die Meeresumwelt der Ostsee besteht.221
221
So Ehlers, NuR 1984, S. 142 bei Fn. 51.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
3.
65
Ergebnis
Die verschiedene Verschmutzungsquellen erfassende und deshalb ungemein komplizierte Regelung im HELSINKI-Übk. erweitert die strafrechtlichen Kompetenzen der Küstenstaaten nicht. Auch die Bundesrepublik
vertritt in diesem Punkt keine andere Auffassung und erfaßt strafrechtlich
(als Ordnungswidrigkeit) in der bislang einzigen speziell zur Durchführung
des HELSINKI-Übk. erlassenen VO vom 11. Februar 1985 nur eigene
Schiffe in Anwendung des Flaggenprinzips (§ 1 Nr. 1), fremde Schiffe im
eigenen Küstenmeer und in den eigenen inneren Gewässern in Anwendung
des Territorialitätsprinzips (§ 1 Nr. 2), und schließlich schwimmende
Plattformen in Anwendung des Territorialitätsprinzips nur insoweit, als sie
im eigenen Küstenmeer betrieben werden (§ 1 Nr. 3). Im letztgenannten
Fall bleibt die Bundesrepublik sogar hinter den vom Völkerrecht eingeräumten Kompetenzen zurück, indem sie weder die außerhalb des Küstenmeeres im Bereich des deutschen Festlandsockels eingesetzten Plattformen
erfaßt222 noch Plattformen, die im Inland registriert sind, unabhängig vom
Tatort einer etwaigen Verschmutzung.
VII.
Das Übereinkommen zum Schutz des Mittelmeers vor Verschmutzung vom 16. Februar 1976 (BARCELONA-Übk.)223
1.
Regelungsinhalt und Geltungsbereich
Das BARCELONA-Übk., das kurz nach der HELSINKI-Konvention unterzeichnet wurde und sich stark an diese anlehnt,224 wurde von 16 Anrainerstaaten des Mittelmeers angenommen; auch die EWG ist als eigenständiges Völkerrechtssubjekt dem Übereinkommen beigetreten. Bemerkenswert ist, daß dem BARCELONA-Übk., das mit dem Mittelmeer
ein Gebiet im Schnittpunkt dreier Kontinente betrifft, auch Staaten beigetreten sind, zwischen denen erhebliche politische Spannungen bestehen.225
222
Dies dürfte damit zusammenhängen, daß die Bundesrepublik in der Ostsee noch keine
Initiative zur Abgrenzung eines bundesdeutschen Festlandsockelanteils ergriffen hat [s.
auch § 8 I. 2. a) bb)].
223
Convention for the Protection of the Mediterranean Sea against Pollution, in Kraft getreten am 12. Februar 1978; englischer Text in ABl. Nr. L 240 v. 19.9.1977, S. 3; Rüster/Simma/Bock, Bd. XIX, S. 9497; in deutscher Übersetzung in Edom/Rapsch/ Veh,
S. 373; dort auch kommentiert (S. 61 ff.).
224
Vgl. Hakapää, S. 81; Nehlmeyer-Günzel, S. 186.
225
Dies gilt für den Libanon, Syrien und Israel, Griechenland und die Türkei, Algerien und
Marokko.
66
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Die Regelungstechnik des BARCELONA-Übk. entspricht im wesentlichen
der des HELSINKI-Übk. Im eigentlichen Übereinkommen werden die
Vertragsparteien allgemein verpflichtet, Maßnahmen gegen die verschiedenen Verschmutzungsquellen zu treffen; die Einzelheiten sind in jeweils
einem Protokoll für jede Verschmutzungsquelle geregelt.
Von sechs vorgesehenen Protokollen wurden zusammen mit dem Übereinkommen das "Protokoll zur Verhütung der Verschmutzung des Mittelmeers durch das Einbringen durch Schiffe und Luftfahrzeuge"226 und das
"Protokoll über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Verschmutzung des Mittelmeers durch Öl und andere Schadstoffe in Notfällen"227
unterzeichnet; am 17. Mai 1980 folgte die Unterzeichnung des "Protokolls
über den Schutz des Mittelmeers gegen Verschmutzung vom Lande
aus".228
Die Regelungstechnik in den Protokollen entspricht derjenigen der zuvor
genannten Übereinkommen. So ist das Einbringen der in einer 'schwarzen
Liste' zum erstgenannten Protokoll aufgeführten Stoffe generell verboten,
die in der 'grauen Liste' aufgeführten Stoffe dürfen nur nach vorheriger
Sondergenehmigung eingebracht werden, und das Einbringen aller sonstigen Stoffe bedarf einer generellen vorherigen Erlaubnis.
2.
Der strafrechtlich relevante Regelungsinhalt
Im BARCELONA-Übk. selbst ist nur allgemein davon die Rede, daß die
Vertragsparteien "geeignete Maßnahmen" zur Verhütung, Verringerung
und Bekämpfung der Verschmutzung des Mittelmeergebiets treffen; diese
Maßnahmen müssen gemäß Art. 6 "in conformity with international law"
sein.
In den Protokollen ist dies näher ausgeführt; so ist gemäß Art. 10 Abs. 2
des Dumping-Protokolls229 eine Vertragspartei für die Erteilung von Erlaubnissen für das Einbringen von Schadstoffen zuständig, wenn diese in
ihrem Hoheitsgebiet geladen werden oder wenn diese von Schiffen oder
Luftfahrzeugen unter ihrer Flagge im Gebiet einer Nichtvertragspartei(!)
geladen werden. Im letztgenannten Fall wird allerdings zu ergänzen sein,
226
Rüster/Simma/Bock, Bd. XIX, S. 9515 (englisch); Edom/Rapsch/Veh, S. 386 (deutsch).
227
Rüster/Simma/Bock, Bd. XIX, S. 9506 (englisch); Edom/Rapsch/Veh, S. 394 (deutsch).
228
Edom/Rapsch/Veh, S. 399 (deutsch).
229
Kurzbezeichnung für das Protokoll zur Verhütung der Verschmutzung des Mittelmeers
durch das Einbringen durch Schiffe und Luftfahrzeuge.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
67
daß das Beladen zum Zwecke des Einbringens in das Mittelmeer erfolgen
muß, da das Übereinkommen nur für das Mittelmeergebiet gilt. Aus der
Bestimmung könnte gefolgert werden, daß das Einbringen ohne Erlaubnis
von dem für die Erteilung der Erlaubnis zuständigen Staat strafrechtlich
sanktioniert werden kann, was die Anwendung des Territorialitätsprinzips
und des Flaggenprinzips bedeuten würde. In Art. 11 des Dumping-Protokolls werden jedoch in einer gesonderten Vorschrift alle Vertragsparteien verpflichtet, "die zur Durchführung dieses Protokolls erforderlichen Maßnahmen (anzuwenden)" - hierunter dürften auch Maßnahmen
zur Sanktionierung unberechtigten Einbringens zu subsumieren sein - auf
1) Schiffe und Luftfahrzeuge nach dem Flaggenprinzip,
2) Schiffe und Luftfahrzeuge, die im eigenen Hoheitsgebiet mit Schadstoffen zum Zwecke des Einbringens beladen werden (Lade- bzw.
Verursacherprinzip),
3) Schiffe und Luftfahrzeuge, von denen "ein Einbringen in Gebieten angenommen wird, die diesbezüglich zu ihrem Hoheitsbereich230 gehören" (Territorialitätsprinzip).
Schließlich hält Art. 13 ausdrücklich fest, daß das Recht jeder Vertragspartei, andere mit dem Völkerrecht übereinstimmende Maßnahmen zu
treffen, um die durch das Einbringen verursachte Verschmutzung zu verhüten, von dem Protokoll nicht berührt wird.
3.
Ergebnis
Das BARCELONA-Übk. folgt dem in anderen Konventionen vorgezeichneten Weg und verpflichtet die Vertragsparteien neben der Anwendung des Territorialitätsprinzips und des Flaggenprinzips zur Einführung des hier als Lade- bzw. Verursacherprinzips 231 bezeichneten
Grundsatzes. Weitere Neuerungen hinsichtlich der Ausdehnung der Strafgewalt auf die Hohe See bei Meeresverschmutzungen durch ausländische
230
In der englischen authentischen Fassung heißt es für "Hoheitsbereich" "jurisdiction" im
Gegensatz zu Nr. 2), wo für "Hoheitsgebiet" in der deutschen Übersetzung "territory"
steht.
231
Wenn dieses Prinzip gelegentlich zum Territorialitätsprinzip gezählt wird, ist dies jedenfalls aus strafrechtlicher Sicht bedenklich, da weder die tatbestandliche Handlung
noch der zum Tatbestand gehörende Erfolg im Inland eintritt. Dies wäre lediglich dann
der Fall, wenn nicht die Meeresverschmutzung selbst, sondern das Beladen zum Zwecke
des Einbringens das strafrechtlich relevante Verhalten ausmachen würde.
68
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Schiffe weist das BARCELONA-Übk. nicht auf. Das Übereinkommen
verweist vielmehr232 auf die vom (allgemeinen) Völkerrecht bereitgestellten Eingriffsmöglichkeiten, ohne diese zu erweitern oder zu beschränken.
VIII. Das Internationale Übereinkommen über Maßnahmen auf Hoher
See bei Ölverschmutzungsunfällen vom 29. November 1969
(BRÜSSEL-Übk.)233
1.
Regelungsinhalt und Geltungsbereich
Das BRÜSSEL-Übk. weicht ebenso wie das BONN-Übk.234 von den zuvor genannten Konventionen ab, weil es nicht in erster Linie der Verhütung
von Meeresverschmutzungen dient, sondern der Kooperation bei der Schadensbegrenzung im Fall von Ölverschmutzungsunfällen. Es soll in diesem
Zusammenhang erwähnt werden, weil es im Gegensatz zu den übrigen
Abkommen die Unterzeichnerstaaten ermächtigt, gegen Schiffe unter
fremder Flagge, die auf der Hohen See verunglücken, zur Abwendung einer
Verschmutzung der eigenen Küste durch Öl vorzugehen. Eine besondere
vertragliche Eingriffsermächtigung war deshalb notwendig, weil nach
überwiegender Auffassung 235 aufgrund allgemeinen Völkerrechts eine
Eingriffsbefugnis der Küstenstaaten gegen auf Hoher See verunglückte
Schiffe unter fremder Flagge nicht besteht; so wurde etwa die Bombardierung des im Jahr 1967 vor der englischen Küste gestrandeten liberianischen
Tankers "Torrey Canyon" durch England als völkerrechtswidrig beurteilt.236 Die Strandung der "Torrey Canyon" war unmittelbarer Anlaß für
232
In Art. 13 des Dumping-Protokolls.
233
International Convention Relating to Intervention on the High Seas in Cases of Oil Pollution Casualties (BGBl. 1975 II, S. 139), international in Kraft getreten am 6. Mai 1975,
für die Bundesrepublik am 5. August 1975 (BGBl. 1975 II, S. 1196); Rüster/Simma, Bd. I,
S. 460; Edom/Rapsch/Veh, S. 241.
234
Internationales Übereinkommen zur Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Verschmutzung der Nordsee durch Öl und andere Schadstoffe vom 13. September 1983 (im
BGBl. bislang noch nicht veröffentlicht; deutscher Text - der neben dem englischen und
französischen ebenfalls verbindlich ist - bei Edom/Rapsch/Veh, S. 231), welches das am 9.
Juni 1969 ebenfalls in Bonn unterzeichnete Internationale Übereinkommen zur Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Ölverschmutzungen der Nordsee (BGBl. 1969 II,
S. 2067, berichtigt BGBl. 1971 II, S. 970; in Kraft getreten am 9. August 1969: BGBl.
1969 II, S. 2066); Rüster/Simma, Bd. I, S. 454) ablösen wird.
235
Vgl. Edom/Rapsch/Veh, S. 36; Menzel/Ipsen, Völkerrecht, S. 401; Steiger/Demel, Schutz
der Küsten vor Verschmutzung vom Meer aus, DVBl. 1979, S. 212 ff.; Lampe, Sicherheit
der Schiffahrt und Schutz der Umwelt, VN 30 (1982), S. 89 bei Fn. 13, spricht insoweit
von "Seerechtsgeschichte", die das BRÜSSEL-Übk. geschrieben habe.
236
Vgl. Nehlmeyer-Günzel, S. 131 f., und die in der vorher. Anm. angegebenen Autoren;
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
69
eine außerordentliche Sitzung des Rates der IMCO, der einen Sonderausschuß einsetzte; dieser erarbeitete einen Konventionsentwurf als Grundlage
für das BRÜSSEL-Übk.237
Die zentrale Vorschrift des BRÜSSEL-Übk. ist Art. I Abs. 1; sie lautet:
"Parties to the present Convention may take such measures on the high seas as
may be necessary to prevent, mitigate or eliminate grave and imminent danger to
their coastline or related interests from pollution or threat of pollution of the sea
by oil, following upon a maritime casualty or acts related to such a casualty,
which may reasonably be expected to result in major harmful consequences."238
Aus den Legaldefinitionen in Art. II ergibt sich, daß nur Schiffe, nicht aber
Bohrplattformen und sonstige Einrichtungen zur Erforschung und Ausbeutung des Meeresgrundes erfaßt sind.239 Ferner ergibt sich aus dem
Ausdruck maritime casualty,240 daß nur die unfallbedingte Verschmutzung
durch Öl den Küstenstaat zum Eingreifen berechtigt, nicht aber das vorsätzliche oder fahrlässige Einbringen.241
Daß nur die Hohe See in den Regelungsbereich des BRÜSSEL-Übk. einbezogen ist, nicht aber das Küstenmeer, dürfte darauf beruhen, daß ein
Eingreifen im Falle eines Ölunfalls im Küstenmeer, der sich auf die Küste
auszuwirken droht, bereits aufgrund allgemeinen Völkerrechts zulässig ist:
Gemäß Art. 14 Abs. 1 des Genfer Küstenmeerübereinkommens von
1958242 genießen fremde Schiffe im Küstenmeer das Recht auf innocent
passage; in Abs. 3 desselben Artikels heißt es, daß eine
"[p]assage is innocent as long as it is not prejudicial to the peace, good order or
security of the coastal state".
anzumerken ist, daß Völkerrechtswidrigkeit angenommen wurde, obgleich das Schiff innerhalb der von Großbritannien seinerzeit beanspruchten Anschlußzone von 9 sm gestrandet war.
237
Vgl. näher dazu Hakapää, S. 264 f.
238
Hervorhebung der wichtigsten Bestandteile dieser Vorschrift vom Verf.
239
So auch Edom/Rapsch/Veh, S. 36; Hakapää, S. 267; Nehlmeyer-Günzel, S. 151.
240
In der deutschen Übersetzung wird hierfür der Ausdruck "Seeunfall" verwendet.
241
So auch Gündling, ZaöRV 37 (1977), S. 554; Hakapää, S. 266 f.; Nehlmeyer-Günzel,
S. 150; Steiger/Demel, DVBl. 1979, S. 214.
242
Abgedruckt bei Platzöder/Graf Vitzthum, S. 17 ff.; das Abkommen wurde von der Bundesrepublik nicht unterzeichnet, gibt aber in dem hier entscheidenden Punkt lediglich
Völkergewohnheitsrecht wieder; vgl. näher hierzu o. bei § 3 IV.
70
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Eine unfallbedingte Ölverschmutzung wird jedenfalls dann gegen die Sicherheit und Ordnung des Küstenstaates verstoßen und diese zu den nach
Art. 16 Abs. 1 KMK zulässigen Abwehrmaßnahmen berechtigen, wenn eine Verschmutzung der Küste droht oder sonstige Interessen des Küstenstaates, etwa an der Erhaltung des Fischbestandes, betroffen sind.243
Schließlich verpflichtet das BRÜSSEL-Übk. den Küstenstaat, andere betroffene Staaten, insbesondere den Flaggenstaat, und betroffene Personen
vor der Ergreifung der beabsichtigten Maßnahmen zu konsultieren (Art. III)
und in jedem Fall den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (Art. V).
Durch das Protokoll über Maßnahmen auf Hoher See bei Fällen von Verschmutzung durch andere Stoffe als Öl vom 2. November 1973244 wurden
die Vorschriften des BRÜSSEL-Übk. auf weitere rund 150 in einem Anhang zum Protokoll aufgelistete Stoffe erstreckt.
2.
Der strafrechtlich relevante Regelungsinhalt
Keine der Regelungen des BRÜSSEL-Übk. und des Protokolls ist von
strafrechtlicher Relevanz. In Art. VII findet sich lediglich der schon andernorts erwähnte Hinweis darauf, daß anderweitig bestehende Rechte und
Pflichten der Vertragsstaaten nicht berührt werden. Im übrigen tragen die
Vorschriften des BRÜSSEL-Übk. jedoch - in innerstaatlichen Kategorien
gemessen - polizeirechtlichen Charakter. Es geht um die Abwehr von Gefahren für die deutsche Küste. Dies wird besonders deutlich an dem (Ausführungs-)Gesetz zu dem Protokoll von 1973 über Maßnahmen auf Hoher
See bei Fällen von Verschmutzung durch andere Stoffe als Öl vom 3. April
1985.245 Mit Artikel 4 wird das Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf
dem Gebiet der Seeschiffahrt vom 24. Mai 1965246 um die §§ 3a-3d ergänzt, die für die Behörden der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung "zur
Abwehr von Gefahren und schädlichen Umwelteinwirkungen" Eingriffsbefugnisse gegen den Handlungs- und den Zustandsstörer begründen; au243
Ähnlich Hakapää, S. 185 Fn. 27; zu Recht bedauert dieser Autor, daß in dem entsprechenden Artikel (Art. 19 Abs. 2) der UNSRK, in dem Verletzungen gegen die innocent passage aufgeführt sind, lediglich von "any act of wilful and serious pollution" die
Rede ist, die unfallbedingte Verschmutzung also nicht erfaßt zu sein scheint.
244
Protocol Relating to Intervention on the High Seas in Cases of Pollution by Substances
Other Than Oil, in Kraft getreten am 30. März 1983; BGBl. 1985 II, S. 596;
Edom/Rapsch/Veh, S. 253 (deutsch).
245
BGBl. 1985 II, S. 593.
246
BGBl. 1965 II, S. 833, i.d.F. der Bekanntmachung v. 21. Januar 1987 (BGBl. 1987 I,
S. 541).
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
71
ßerdem werden die Voraussetzungen einer Ersatzvornahme und die Verpflichtung des Störers zum Ersatz der daraus entstehenden Kosten gesetzlich geregelt. Das Ausführungsgesetz enthält in Art. 2 Abs. 4 lediglich eine
Vorschrift, welche die Verletzung der Benachrichtigungspflicht durch einen Führer eines unter deutscher Flagge fahrenden Schiffes von einem
Seeunfall als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bedroht.
3.
Exkurs: Das Internationale Übereinkommen zur Vereinheitlichung
von Regeln über die strafgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen und anderen mit der Führung eines Seeschiffes zusammenhängenden Ereignissen vom 10. Mai 1952247
Von - ausschließlich - strafrechtlicher Bedeutung ist dagegen das in der
Überschrift genannte Übereinkommen. Diese Konvention bestimmt in später Reaktion auf das berühmte Lotus-Urteil des StIGH aus dem Jahr
1927,248 daß bei Schiffskollisionen und einem anderen "incident of navigation" nur der Flaggenstaat strafrechtlich oder disziplinarisch gegen den
verantwortlichen Kapitän oder andere Besatzungsmitglieder vorgehen darf.
Dies bedeutet, daß bei einem unfallbedingten Entweichen von Öl oder anderen Schadstoffen, jedenfalls solange sich dies auf der Hohen See ereignet,249 der betroffene Küstenstaat gegen den verantwortlichen Kapitän etwa wegen fahrlässiger Gewässerverunreinigung nicht strafrechtlich vorgehen darf.
247
International Convention for the unification of certain rules relating to penal jurisdiction
in matters of collision or other incidents of navigation, BGBl. 1972 II, S. 668 (Übereinkommen), S. 653 (Zustimmungsgesetz), für die Bundesrepublik in Kraft getreten am 6.
April 1973 (BGBl. 1973 II, S. 343); vgl. dazu Oehler, Neuerer Wandel in den Bestimmungen über den strafrechtlichen Geltungsbereich in den völkerrechtlichen Verträgen, FS
Carstens, S. 437 f.
248
StIGHE 5 (1927), S. 71 ff.; s.o. § 2 II. 2.
249
Gemäß seinem Art. 4 gilt das Übereinkommen auch im Küstenmeer, nicht jedoch in den
inneren Gewässern; die Bundesrepublik hat aber einen nach Art. 4 Abs. 2 zulässigen
Vorbehalt erklärt, wonach sie sich die Verfolgung von in deutschen Hoheitsgewässern
begangenen Zuwiderhandlungen vorbehält; vgl. Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 15
und 424; unzutreffend bei Rn. 466, wonach auch bei Schiffszusammenstößen in Häfen
nur der Flaggenstaat zur strafrechtlichen Bewertung zuständig sein soll.
72
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Die Bestimmungen des Internationalen Übereinkommens zur Vereinheitlichung von Regeln usw. werden im Genfer Übereinkommen über die Hohe
See vom 29. April 1958 wiederholt. In Art. 11, der im wesentlichen den
Art. 1 bis 3 des ursprünglichen Übereinkommens entspricht, wird die Zuständigkeit des Flaggenstaates zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen
den für einen "incident of navigation" Verantwortlichen an Bord festgelegt;
alternativ - hierin liegt eine Änderung gegenüber dem ursprünglichen Abkommen - ist auch der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Kapitän oder
sonst Verantwortliche besitzt, zur Ergreifung strafrechtlicher Maßnahmen
berechtigt, d.h., neben dem Flaggenprinzip wird auch das aktive Personalitätsprinzip zugelassen.
4.
Ergebnis
Auch das BRÜSSEL-Übk. erweitert die strafrechtlichen Kompetenzen der
(Küsten-)Staaten hin zur Zulässigkeit der Ausdehnung der Strafgewalt auf
die Hohe See bei Meeresverschmutzungen nicht. Aus der Tatsache, daß
selbst das (präventive) Vorgehen gegen drohende Verschmutzungen der
eigenen Küste und damit bei unmittelbarer Gefährdung eigener Interessen
vom allgemeinen Völkerrecht verboten war und erst aufgrund einer Vereinbarung zwischen den seefahrenden Nationen erreicht werden konnte,
wird man vielmehr den Gegenschluß ziehen müssen, daß ein strafrechtliches Vorgehen gegen Meeresverschmutzungen ohne Berührung eigener
Interessen des strafenden Staates völkerrechtlich nicht zulässig ist.
§5
Zusammenfassung des 1. Teils
I.
Völkerrechtswidrigkeit des § 5 Nr. 11 StGB
Schiffe unterstehen auf der Hohen See traditionell der ausschließlichen
Hoheitsgewalt des Flaggenstaates; dies gilt auch für die Strafgewalt als Bestandteil der Hoheitsgewalt. Dritte Staaten sind grundsätzlich nicht berechtigt, in diesen aus dem Prinzip der Freiheit der Meere abgeleiteten Grundsatz regelnd einzugreifen. Zwar kann ein Staat Vorgänge an Bord eines
fremden Schiffes wie eine sonstige Auslandstat dann strafrechtlich bewerten, wenn diese eine Beziehung zur eigenen Staatshoheit - etwa durch die
inländische Staatsangehörigkeit von Täter oder Opfer - aufweisen.250 Bei
250
Freilich kann das Völkerrecht im Einzelfall die Heranziehung bestimmter Anknüpfungspunkte verbieten; ein Beispiel hierfür ist das Internationale Übereinkommen zur
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
73
Umweltstraftaten im Bereich des deutschen Festlandsockels, der jedenfalls
nach derzeit geltendem Völkerrecht noch zum Bereich der Hohen See zu
rechnen ist, besteht aus strafrechtlicher Sicht durchaus eine sinnvolle Verbindung. Auch das Völkerrecht gewährt den Küstenstaaten zwar besondere
Rechte am Festlandsockel, die den Grundsatz der Freiheit der Meere dritten
Staaten gegenüber einschränken; diese Rechte sind jedoch funktional beschränkt auf die Erforschung und Ausbeutung der Bodenschätze des Meeresgrundes und -untergrundes in diesem Bereich und betreffen den Meeresumweltschutz lediglich insoweit, als dieser in Zusammenhang mit der
Ausbeutung des Festlandsockels steht. Den Umstand der räumlichen Nähe
des Tatorts einer Meeresverschmutzung zum Inland allein zum Anlaß für
die Ausdehnung der Strafgewalt zu nehmen, verstößt gegen das Völkerrecht. Entsprechende Vorstöße Kanadas und Omans sind folglich auf den
Protest dritter Staaten gestoßen und werden überwiegend als völkerrechtswidrig beurteilt. Weder aus dem allgemeinen Völker(gewohnheits-)recht
noch aus den speziell zum Meeresumweltschutz ergangenen völkerrechtlichen Verträgen läßt sich die Befugnis eines Küstenstaates herleiten, strafrechtliche Befugnisse für Meeresverschmutzungen, die außerhalb des eigenen Küstenmeeres von ausländischen Schiffen begangen werden, in Anspruch zu nehmen.
II.
Rechtliche Folgerungen
Nachdem als Ergebnis festgehalten wurde, daß die Ausdehnung deutscher
Strafgewalt auf den Festlandsockel gegen das Völkerrecht verstößt, sind
die Rechtsfolgen zu untersuchen. In Betracht kommen zwei mögliche
Auswirkungen: Entweder wirkt sich die Völkerrechtswidrigkeit zugunsten
des einer Umweltstraftat im Bereich des deutschen Festlandsockels angeklagten ausländischen Staatsangehörigen unmittelbar aus, oder die dem
Völkerrecht widersprechende Verurteilung bedeutet lediglich ein völkerrechtliches Unrecht gegenüber dem Heimatstaat des Verurteilten, ohne daß
Letztgenannter selbst hieraus Einwände gegen die Durchführung des
Strafverfahrens erheben könnte.
Vereinheitlichung von Regeln ... bei Schiffszusammenstößen ... [s.o. § 4 VIII. 3.], das
andere Anknüpfungspunkte neben dem Flaggenprinzip ausschließt.
74
1.
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Verstoß gegen Art. 25 GG
Als einschlägige Prüfungsnorm ist Art. 25 GG heranzuziehen:
"Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes.
Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für
die Bewohner des Bundesgebietes."251
Zu den allgemeinen Regeln des Bundesrechts gehören jedenfalls die allgemein anerkannten Sätze des Völkergewohnheitsrechts.252 Die Freiheit der
Meere und die ausschließliche Hoheitsbefugnis des Flaggenstaates über
Schiffe seiner Flagge gehören zu den ehernen Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts; sie sind deshalb Bestandteil des Bundesrechts und gehen
den Gesetzen vor. Dies bedeutet allerdings nicht, daß § 5 Nr. 11 StGB
gebrochen oder die Völkerrechtswidrigkeit zur Nichtigkeit dieser Vorschrift führen würde.253 Der Sinn von Art. 25 GG liegt vielmehr darin,
"kollidierendes innerstaatliches Recht zu verdrängen oder seine völkerrechtskonforme Anwendung zu bewirken";254 Gerichte der Bundesrepublik sind kraft Art. 25 GG grundsätzlich daran gehindert, innerstaatliches
Recht in einer Weise auszulegen und anzuwenden, welche die allgemeinen
Regeln des Völkerrechts verletzt.255
-
Das bedeutet zunächst einmal, daß das Amtsgericht Hamburg,256 das
über die Umweltstraftat eines Ausländers auf einem ausländischen
Schiff im Bereich des deutschen Festlandsockels zu urteilen hätte, eine
Verurteilung nicht ausschließlich darauf stützen dürfte, daß die Tat im
Bereich des deutschen Festlandsockels begangen wurde. Bei Eintritt
eines strafrechtlich relevanten Erfolges im Inland (einschließlich des
deutschen Küstenmeeres) wäre etwa die deutsche Strafgewalt in völkerrechtlich zulässiger Weise bereits in Anwendung der §§ 3 i.V.m. 9
Abs. 1 Alt. 3 StGB gegeben.
251
Zur Bedeutung von Art. 25 GG für die Praxis deutscher Behörden und Gerichte vgl. den
gleichlautenden Beitrag von R. Hofmann in FS Zeidler, S. 1885 ff.
252
Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 103; Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 489.
253
So das Bundesverfassungsgericht allerdings noch im Konkordatsurteil; vgl. BVerfGE 6,
S. 309 (363).
254
BVerfGE 23, S. 288 (316); 36, S. 342 (365); Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 494.
255
BVerfGE 75, S. 1 (19).
256
Dieses Gericht ist gemäß § 10a StPO bei im Bereich des deutschen Festlandsockels begangenen Umweltstraftaten subsidiär zuständig, wenn sonst kein Gerichtsstand begründet
ist.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
-
75
Gelangt das Gericht hingegen zu dem Ergebnis, daß die Tat zwar im
Bereich des deutschen Festlandsockels begangen wurde, im übrigen
aber keinerlei Auswirkungen auf deutsche Interessen hatte und damit
keine sinnvolle Verbindung zwischen der Tat und der Bundesrepublik
besteht, bleibt für eine völkerrechtskonforme Auslegung von § 5 Nr. 11
StGB kein Raum: Die Erstreckung und Ausübung deutscher Strafgewalt auf diesen Täter ist wegen Verstoßes gegen eine allgemeine Regel
des Völkerrechts, die den - einfachen - Bundesgesetzen und damit auch
§ 5 Nr. 11 StGB gemäß Art. 25 GG vorgeht,257 unwirksam.258 Ist eine
Verurteilung auch nicht aufgrund von § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB259 möglich, ist der Angeklagte freizusprechen, weil er der deutschen Strafgewalt nicht unterliegt.260 Dies gilt freilich nur dann, wenn das erken-
257
Streitig ist die - hier nicht interessierende - Frage, ob Art. 25 S. 2 GG den allgemeinen
Regeln des Völkerrechts Vorrang nicht nur vor den unterkonstitutionellen Gesetzen, sondern auch vor der Verfassung selbst einräumt. Die h.M. lehnt dies ab und geht von einer
Zwischenposition zwischen Verfassung und einfachen Bundesgesetzen aus (vgl. Maunz
in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 25 Rn. 24; Rojahn in v. Münch, GG-Komm., Art. 25
Rn. 36; Stern, Staatsrecht, S. 493 ff., jeweils m.w.Nachw.).
258
Übersichten über die Rechtsprechung zur Existenz allgemeiner Regeln des Völkerrechts
und deren Anwendungsbereich finden sich bei Rojahn in v. Münch, GG-Komm., Art. 25
Rn. 22, 34; Stern, Staatsrecht, S. 490 f.
259
Nach dem Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege kann ein Ausländer für eine
Auslandstat in der Bundesrepublik bestraft werden, "wenn die Tat am Tatort mit Strafe
bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt" und der Täter "... im Inland betroffen und, obwohl das Auslieferungsgesetz seine Auslieferung nach der Art der Tat zuließe, nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist".
260
Die h.M. (vgl. BGHSt. 34, S. 1 [3]; OLG Saarbrücken, NJW 1975, S. 506 [509]; LG
Frankfurt, NJW 1977, S. 508; Dreher/Tröndle, § 3 Rn. 2b; Eser in Schönke/Schröder,
Vorbem. §§ 3-7 Rn. 2) würde allerdings das Verfahren wegen eines in dem Fehlen deutscher Gerichtsbarkeit begründeten Verfahrenshindernisses einstellen. Zwei Fallkonstellationen sind zu unterscheiden: Wenn eine konkrete Tat nicht in den Schutzbereich eines
deutschen Straftatbestandes fällt (dies war in den genannten Entscheidungen des OLG
Saarbrücken und des LG Frankfurt, in denen es um den Schutzbereich von § 170 b ging,
der Fall) ist der Angeklagte freizusprechen; er hat keinen Straftatbestand verwirklicht und
sich folglich nicht strafbar gemacht (nicht überzeugend die Begründung des OLG Saarbrücken, aaO., S. 509: "... der deutsche Strafrichter kann nur deutsches Strafrecht anwenden [...], so daß ein Strafverfahren nur durchgeführt werden kann, wenn deutsches Strafrecht Anwendung findet ..."). Unterliegt der Täter dagegen nicht der deutschen Strafgewalt (so der Fall in BGHSt. 34, S. 1), ist m.E. ebenfalls ein Freispruch die richtige Lösung, weil das internationale Strafrecht "Geltungsvoraussetzung als auch Teil des nationalen materiellen Strafrechts" ist (Eser in Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 3-7 Rn. 2 [Hervorhebung im Original]). Die Argumentation der h.M. leidet daran, daß trotz Bekenntnisses zum materiellen Charakter des internationalen Strafrechts von der fehlenden Strafgewalt auf das Fehlen deutscher Gerichtsbarkeit geschlossen (so die Begründung in
BGHSt.34, S. 1 [3]) und damit ein Verfahrenshindernis begründet wird.
76
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
nende Gericht selbst der Überzeugung ist, daß eine allgemeine Regel
des Völkerrechts in dem hier vertretenen Umfang besteht und § 5
Nr. 11 StGB vorgeht; hat das Gericht lediglich Zweifel an Existenz und
Tragweite einer einschlägigen Völkerrechtsregel oder stößt es auf
ernstzunehmende Zweifel, ohne diese zu teilen, hat es in Anwendung
von Art. 100 Abs. 2 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.261
2.
Exkurs: Die Rechtsprechung in den sogenannten Entführungsfällen
Das gefundene verfassungsrechtliche Ergebnis widerspricht nicht der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts in den sogenannten Entführungsfällen. In diesen Fällen waren die
später Verurteilten durch Anwendung von List oder Gewalt und unter Verletzung der Territorialhoheit ausländischer Staaten in das Gebiet der Bundesrepublik gebracht worden, wo sie aufgrund eines bestehenden Haftbefehls verhaftet, angeklagt und verurteilt wurden.262 In diesen Fällen war
die Frage entscheidungserheblich, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts bestehe, derzufolge die Durchführung eines Strafverfahrens gegen
eine Person gehindert sei, die unter Verletzung der Gebietshoheit eines
fremden Staates in den Gerichtsstaat verbracht wurde; diese Frage wurde
261
Vgl. Stern, Staatsrecht, S. 494 ff.; zur prozessualen Geltendmachung des hier angenommenen Völkerrechtsverstoßes s. sogleich in § 5 II. 3.
262
Vgl. BGH, Urt. v. 2.8.1984 - 4 StR 120/83 -, NStZ 1984, S. 563, bestätigt durch BVerfG,
Beschl. v. 17.7.1985 - 2 BvR 1190/84 -, EuGRZ 1986, S. 18 = NJW 1986, S. 1427 (mit
Anm. von Herdegen, Die völkerrechtswidrige Entführung eines Beschuldigten als Strafverfolgungshindernis, EuGRZ 1986, S. 1 ff.); - BGH, Urt. v. 30.5.1985 - 4 StR 187/85 -,
NStZ 1985, S. 464 = EuGRZ 1987, S. 94, bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 3.6.1986 - 2
BvR 837/85 -, NStZ 1986, S. 468 = NJW 1986, S. 3021 = EuGRZ 1987, S. 92 (mit Anm.
von Trechsel, Grundrechtsschutz bei der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen,
EuGRZ 1987, S. 69 ff.); - BGH, Beschl. v. 23.10.1985 - 2 StR 401/85 - (unveröffentlicht),
bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 3.6.1986 - 2 BvR 1451/85 - (unveröffentlicht), in der
gleichen Sache BGH, Beschl. v. 19.12.1986 - 2 StR 588/86 -, NJW 1987, S. 3087 = StV
1987, S. 138 (mit Anm. von Schubarth, Faustrecht statt Auslieferungsrecht?, StV 1987,
S. 173 ff, und Sieg, StV 1988, S. 7 f.). - Neben den genannten Anmerkungen beschäftigen
sich die folgenden Arbeiten mit der Entführungsproblematik: Herdegen, Die Achtung
fremder Hoheitsrechte als Schranke nationaler Strafgewalt, ZaöRV 47 (1987), S. 221 ff.;
F.A. Mann, Strafverfahren gegen einen völkerrechtswidrig Entführten, NJW 1986,
S. 2167 f.; ders., Zum Strafverfahren gegen einen völkerrechtswidrig Entführten, ZaöRV
47 (1987), S. 469 ff.; H. Schultz, Male captus, bene deditus?, SchwJIR XL (1984), S. 93
ff.; Vogler, Strafprozessuale Wirkungen völkerrechtswidriger Entführungen von Straftätern aus dem Ausland, FS Oehler, S. 379 ff. Ablehnend zur Zulässigkeit eines Strafverfahrens gegen einen durch Täuschung ergriffenen Straftäter wohl auch Oehler, HWiStR,
Stichwort "Internationales Strafrecht", S. 7 f.
Strafrechtliche Befugnisse im Bereich des Meeres
77
zu Recht verneint. Auf den Fall der Meeresverschmutzung übertragen bedeutet dies, daß gegen die ausländische Besatzung eines (ausländischen)
Schiffs, das im Bereich des deutschen Festlandsockels von Vollzugsbeamten des Bundes in Anwendung der Ermächtigungsgrundlage in Art. 4 des
MARPOL-Zustimmungsgesetzes263 bzw. in Art. 11 des OSLO-Übk./LONDON-Übk.-Zustimmungsgesetzes,264 aber unter Verstoß gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, angehalten und in deutsches Hoheitsgebiet verbracht wird, in der Bundesrepublik trotz des Völkerrechtsverstoßes
ein Strafverfahren durchgeführt werden könnte, weil sich der bei der Habhaftmachung der Beschuldigten begangene Völkerrechtsverstoß auf die
materielle Strafbarkeit nicht auswirkt und eine Verurteilung folglich
grundsätzlich erfolgen könnte. Ergibt die Prüfung des Tatrichters jedoch,
daß eine Verurteilung nur unter Anwendung von § 5 Nr. 11 StGB möglich
wäre, könnte sich der einzelne gemäß Art. 25 GG auf die Freiheit der Meere und die ausschließliche Hoheitsgewalt des Flaggenstaates als eine allgemeine Regel des Völkerrechts wie auf objektives Recht berufen.265 Die
Völkerrechtsregel, obgleich sie keine subjektiven Rechte des privaten einzelnen auf der Ebene des Völkerrechts und damit auch nicht auf der innerstaatlichen Ebene eröffnet, geht gemäß Art. 25 S. 2 GG der innerstaatlichen
Norm § 5 Nr. 11 StGB als objektives Recht vor.
3.
Geltendmachung des Verfassungsverstoßes
Das Strafgericht, das zu einer Verurteilung wegen einer im Bereich des
deutschen Festlandsockels begangenen Umweltstraftat nach den §§ 324,
326, 330 oder 330a StGB nur unter Anwendung von § 5 Nr. 11 StGB gelangen könnte, hätte den Angeklagten nach der hier vertretenen Auffassung
unter Beachtung von Art. 25 GG freizusprechen. Einer Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 2 bedürfte es nicht, weil
dessen Entscheidungsmonopol sich allein auf die Klärung entscheidungserheblicher Zweifel erstreckt.266
263
Gesetz vom 23. Dezember 1981 zu dem Internationalen Übereinkommen von 1973 zur
Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe und zu dem Protokoll von 1978 zu
diesem Übereinkommen, BGBl. 1982 II, S. 2.
264
Gesetz vom 11. Februar 1977 zu den Übereinkommen vom 15.2.1972 und 29.12.1972 zur
Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen durch Schiffe
und Luftfahrzeuge, BGBl. 1977 II, S. 165, zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes
vom 28. April 1980, BGBl. 1980 II, S. 606.
265
Vgl. BVerfGE 46, S. 342 (362 f.).
266
Vgl. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 192; Maunz in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 100 Rn. 41 a.E.; W. Meyer in v. Münch, GG-Komm., Art. 100 Rn. 32;
78
Deutsche Strafgewalt und Völkerrecht
Gelangt das Gericht zu der Auffassung, es bestünden Zweifel, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts in dem hier vertretenen Sinne besteht,
wäre es gemäß Art. 100 Abs. 2 GG verpflichtet, die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts einzuholen; dies würde selbst dann gelten,
wenn das Gericht selbst diese Zweifel nicht hegt, aber auf ernstzunehmende Zweifel stößt.267
Sofern das Gericht unter Verkennung des Bestandes und der Tragweite einer allgemeinen Regel des Völkerrechts und damit unter Verletzung von
Art. 25 GG die mit § 5 Nr. 11 StGB getroffene Regelung für anwendbar
hält und zu einer Verurteilung gelangt, steht dem Betroffenen die Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG offen. Zwar kann die
Verletzung von Art. 25 GG nicht unmittelbar gerügt werden, weil diese
Norm keine Grundrechte schützt und auch nicht zu den übrigen in Art. 93
GG ausdrücklich genannten Verfassungsnormen gehört. Nach der neueren
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstößt aber eine den einzelnen belastende gerichtliche Entscheidung, die auf einer dem Völkerrecht
widersprechenden Vorschrift des innerstaatlichen Rechts oder einer mit
dem allgemeinen Völkerrecht nicht vereinbaren Auslegung oder Anwendung einer Vorschrift des innerstaatlichen Rechts beruht, gegen das durch
Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. 268 Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sogar unabhängig davon, ob die verletzte allgemeine Regel
des Völkerrechts ihrem Inhalt nach Rechte oder Pflichten für den einzelnen
begründet oder wie hier ausschließlich an Staaten oder sonstige Völkerrechtssubjekte gerichtet ist.269
Stern in Bonner Komm., Art. 100 Rn. 206 ff., 238 ff.; Stern, Staatsrecht, S. 496 ff.
267
BVerfGE 23, S. 288 (316); 75, S. 1 (11); Geiger, S. 192 f.
268
Vgl. Beschl. vom 11.10.1985 - 2 BvR 336/85 -, NJW 1986, S. 1425 (1426); vgl. auch
BVerfGE 23, S. 288 (300); 31, S. 145 (177); ebenso Frowein, Anm. zur Pakelli-Entscheidung des BVerfG, ZaöRV 46 (1986), S. 286, und Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 193, der neben Art. 2 Abs. 1 GG auch Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sieht.
269
BVerfG, NJW 1986, S. 1426; vgl. auch BVerfGE 46, S. 342 (361 f.); ebenso Geiger,
Grundgesetz und Völkerrecht, S. 189 f., und R. Hofmann, FS Zeidler, S. 1885 f., Letztgenannter mit Hinweisen auf einschlägige unveröffentlichte Entscheidungen des BVerfG
aus dem Jahr 1987.

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