Ausgabe 23/07 - Evangelisches Zentralinstitut für Familienberatung
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Ausgabe 23/07 - Evangelisches Zentralinstitut für Familienberatung
1 Korrespondenz Foto: Nora von der Decken Der neue Direktor - Einführung von Dieter Wentzek Seite 5 Spiritualität als Ressource Seite 10 Sexualität nach der Geburt Seite 27 SAFE® - Sichere Bindung Seite 36 Eltern-AG - mehr Elternkompetenz Seite 44 23 Herbst 2007 ISSN 0724-3995 2 Inhalt Editorial 3 Einführung von Dieter Wentzek als Direktor des Evangelischen Zentralinstituts für Familienberatung, St. Marienkirche in Berlin am 9. Mai 2007 5 Der neue Direktor im EZI 5 Ansprache zur Einführung Bischof Dr. Wolfgang Huber 6 Trösten wie eine Mutter - Predigt zu Jeremia 31,13b 7 Vortrag Prof. M. Klessmann, Spiritualität als Recource 10 31. Deutscher Evangelischer Kirchentag 6. bis 10. Juni 2007 19 Interview mit Bischof Dr. Wolfgang Huber 19 Interview mit Kerstin Griese (MdB) 20 Interview mit Präses Nikolaus Schneider 21 Das PND-Beratungsnetz wächst. Erfahrungsberichte über die Zusammenarbeit bei der psychosozialen Beratung in Verbindung mit Pränataler Diagnostik 23 Birgit Kriedner 23 Hilde Jürgens 24 Rita Klügel 25 Ursula Falcke 25 Erika Laue 26 Dr. Ruth Gnirss-Bormet Keine Zeit zu Zweit, keine Lust auf Lust - Sexualität und Partnerschaft nach der Geburt 27 Dr. Ruth Gnirss-Bormet Sexualberatung am EZI 33 Britta Vollenbroich Auswirkungen und Nutzen der Fortbildung „Sexualberatung mit Einzelnen und Paaren“ für den beruflichen Alltag 35 PD Dr. med. Karl-Heinz Brisch SAFE® -Sichere Ausbildung Für Eltern - Ein Erfolgsmodell 36 Juliane Meyer-Clason Die Eltern-AG - Das Präventionsprogramm für mehr Elternkompetenz in Problem-und Risikofamilien 44 Martin Koschorke Paarberatung am Rande der Taiga 52 Rezensionen 53 Margret Hauch „Paartherapie bei sexuellen Störungen“ von Dr. Ruth Gnirss-Bormet 53 Dr. Roland Weber „Paare in Therapie-Erlebnitensive Methoden und Übungen“ von Dr. Martin Merbach 55 Martin Koschorke „Jesus war nie in Bethlehem“ von Dr. Friedrich Hufendiek 57 Impressum Jahresprogramm 2008 - Kalendarium 59 60 3 Editorial Lebendig Das Leben annehmen wie ein Geschenk. Mit Trauernden trauern, mit Freunden fröhlich sein. Märchen und Lieder entdecken, sich die leisen Töne bewahren. Kämpfen für die gerechte Sache, wach bleiben für die Liebe. Sich andern zuwenden, ohne aufzurechnen. Nie aufhören zu hoffen, dass das Licht über die Dunkelheit siegt. Liebe Leserin, lieber Leser, unsere EZI-Korrespondenz erreicht Sie in diesem Jahr zu Vielleicht gewinnt ja auch für Sie in dieser ersten, vom neu- Weihnachten, zu einer Zeit in der Geburt, Kind, Familie mehr en Direktor verantworteten EZI-Korrespondenz, der in der als sonst in den Blick kommen und ihre spirituelle, trans- letzten Ausgabe den Mitarbeitern gewünschte „Aufbruch zu zendente Bedeutung für unser Leben und für den Glauben neuen Ufern zusammen mit dem neuen Direktor“, hier die geahnt, gespürt und gefeiert wird: „Gott wird Mensch.“ entsprechenden Konturen. Sie werden beim Lesen der Beiträge, die unsere Jahresthe- Ein besonderer Akzent liegt in dieser Ausgabe bei der men und derzeitige Entwicklung der Fort- und Weiterbildung Einführung des neuen Direktors Dieter Wentzek, der nach im EZI beschreiben, spüren, wie sich darin verdichtet auch einem Jahr Vakanz-Zeit die Nachfolge von Friedrich-Wilhelm die augenblickliche gesellschaftliche und soziale Situation Lindemann antritt, der 24 Jahre unser Institut geleitet hat. widerspiegelt. In diesem Zusammenhang hat Prof. Michael Klessmann mit Wir wollen Sie, wie jedes Jahr, gerne an den Veränderungen seinem Vortrag, anlässlich der Einführung über „Spiritualität und Bewegungen in unserem Institut teilhaben lassen und als Ressource in der Evangelischen Beratung“ in einer kriti- verbinden damit die Hoffnung, dass Sie mit uns in Verbin- schen Bewertung des Phänomens Spiritualität einen Akzent dung bleiben und damit unsere Arbeit unterstützen. gesetzt für unsere Fort- und Weiterbildung. „Kirchliche Bera- 4 tungsarbeit hat hier etwas besonderes anzubieten, weil sie Dem stärker werdenden Wunsch nach Ausbau der präventi- in der Lage ist (oder sein sollte), spirituelle Elemente, die in ven Angebote der Beratungsstellen im Bereich Frühe Hilfen der Beratungssituation begegnen, aufzugreifen und mit der und Erziehung entsprechen wir mit neuen Fortbildungs- christlichen Tradition in ein offenes Gespräch zu bringen, um angeboten. Dr. Brisch stellt sein SAFE®-Projekt zur Förderung auf diese Weise zu ihrer Versprachlichung, Formgebung und der sicheren Bindung zwischen Eltern und Kind vor, das sich Vertiefung beizutragen“ - eine spannende, vielleicht auch an unserem Institut einer großen Nachfrage erfreut. Frau neue Perspektive für Berater! Meyer-Clason stellt mit „Die Eltern-AG“ ein Präventionsprogramm vor, dass Eltern in Problem- und Risikofamilien mehr Wir dokumentieren außerdem drei Interviews, die auf un- Erziehungskompetenz vermitteln soll. Beide Projekte deuten serem Talk-Sofa anlässlich des Kirchentages in Köln geführt an, dass wir im Bereich der Kooperation mit Familienbildung wurden. Bischof Dr. Huber, Präses Schneider und die Vor- sowohl in Fortbildung als auch für die praktische Arbeit vor sitzende des Familienausschusses Frau Griese, MdB äußern Ort neue Wege der Kooperation erschließen wollen. sich zum Beitrag von Evangelischer Beratung für die Entwicklung einer seelsorglichen Kirche und zu Schwangeren- Ich hoffe, dass Sie neugierig auf diese Korrespondenz ge- konfliktberatung. worden sind und uns weiterhin verbunden bleiben. Unser PND-Projekt (Psychosoziale Beratung im Zusammen- Ich wünsche Ihnen in diesen weihnachtlichen Tagen erhel- hang mit Pränataler Diagnostik) wird in offiziellen Stellung- lende Berührungen mit dem Lebendigen und einen geseg- nahmen als vorbildlich bezeichnet. Die Vernetzung geht neten Neuanfang im neuen Jahr unter der Jahreslosung für weiter, wie die Berichte von Teilnehmerinnen der Ausbildung 2008: „Jesus Christus spricht: Ich lebe und ihr sollt auch zeigen. Die Qualifizierungskurse werden nachgefragt und leben.“(Joh. 14,19) von uns sogar in Österreich in Kooperation durchgeführt. Ihr Dieter Wentzek Drei weitere Beiträge geben einen Eindruck von dem Angebot an Sexualberatung am EZI. Frau Dr. Gnirss-Bormet stellt ihr Konzept vor und befasst sich insbesondere mit Fragen von Sexualität und Partnerschaft nach der Geburt. 5 Einführung von Dieter Wentzek als Direktor des Evangelischen Zentralinstituts für Familienberatung, St. Marienkirche in Berlin am 9. Mai 2007 Der neue Direktor im EZI Dieter Wentzek stellt sich vor Seit dem 1.1.2007 habe ich die Leitung im Evangelischen Zentralinstitut für Familienberatung übernommen. Die Herausforderung, in schwierigen Zeiten zwischen Marktorientierung und kirchlicher Profilbildung die Aus- und Weiterbildung in evangelische Beratung zu fördern und zu sichern, habe ich mit Lust und Neugier gerne angenommen. Ich bringe die berufliche Erfahrung eines langjährigen Gemeindepfarrers mit Schwerpunkte in Seelsorge, Hospizarbeit, Seelsorgefortbildung und die eines Superintendenten mit, der 7 Jahre den westfälischen Kirchenkreis Hagen geleitet hat. In dieser letzten Phase war mir besonders die Sicherung der ökumenisch getragenen psychologischen Beratungsstelle wichtig, die nach meinem Verständnis im Reformprozess unserer Kirche als ein „kirchlicher Ort“ gestaltet werden kann, an dem Menschen in Krisen stützende Beziehungen und stärkende Begegnungen erleben können. Als Ruhrgebietskind bin ich 1950 in Witten geboren und aufgewachsen, in einer Dreigenerationenfamilie auf engem ropologische Fragestellungen zu sehen und zu verstehen. Raum. Früh haben meine Frau Gabriele und ich geheiratet Die Ausbildung in klientenzentrierter Psychotherapie und und eine Familie gegründet, unsere vier Söhne sind heute die Diplomarbeit über Evaluation der Klinische Seelsor- - nach 36 Ehe- und Familienjahren - erwachsen und selbst- geausbildung bildeten die Grundlage für ein seelsorglich- ständig. beraterisches Berufsverständnis als Pfarrer. Mitgearbeitet Meine religiöse Prägung begann im Diakonissenkindergarten habe ich in der Aus- und Fortbildung für pflegende Berufe und später im CVJM. Mein Theologiestudium war geprägt von in Kirche und Diakonie und in der pastoralpsychologischen den politischen Auseinandersetzungen der 68er-Bewegung Ausbildung. Als Supervisor und Gemeindeberater habe ich und von der eigenen Begegnung mit der Theologie Paul meine beruflichen Erfahrungen zur Schärfung der Selbst- und Tillichs. Die sozialethische Dimension des christlichen Glau- Systemwahrnehmung und zur Selbstexploration, Perspektiv- bens entdeckte ich mit den Themen Frieden, Gerechtigkeit wechsel und Neuorientierung im pastoralen Berufsfeld zur und Bewahrung der Schöpfung. Sie öffneten den Horizont Verfügung gestellt. des theologischen Studiums für Pädagogik und Psychologie. Die langjährige Hospizarbeit hat mich sehr geprägt und Im Rahmen meiner theologischen Examensarbeit unter- zu den zentralen ethischen und religiösen Lebensfragen suchte ich das Verhältnis von Theologie und Psychoanalyse geführt. Ich habe gelernt, dass die Auseinandersetzung bei Oskar Pfister, der als Schweizer Pfarrer einen diskursiven mit Tod und Sterben und die damit verbundene Akzeptanz Briefwechsel mit Sigmund Freud geführt hat über die Heilung der eigenen Endlichkeit und Geschöpflichkeit zum Leben der Seele in Seelsorge und Psychotherapie. führt, zu bewusstem und vertieftem Leben, und damit zum Im anschließenden Zweitstudium Psychologie und den tragenden Grund des Glaubens. Was ich in dieser Zeit über kritischen Fragen nach dem Menschenbild und der Wis- Trauerprozesse erfahren und gelernt habe, war mir sehr hilf- senschaftstheorie lernte ich die Theologie neu über anth- reich in den Strukturveränderungs- und Fusionsprozessen 6 im Kirchenkreis, für die ich zuletzt verantwortlich war. trauensvollen Schutzraum und ein Kräftefeld für ihre In mein neues Aufgabenfeld beim EZI bringe ich Themen mit, Lebensentwicklung geben können ? die ich weiter verfolgen möchte: • • Wie kann gerade in Beratungssituationen die Aufmerk- Welche Strukturen in unserer kirchlichen Organisation samkeit und Achtsamkeit für die eigene religiöse Grün- und welche kirchliche dung geschärft werden und dafür Raum geschaffen Beziehungskultur behindern oder zerstören tragfähige menschliche Beziehungen, werden? die doch gerade in Kirche gesucht und erwartet werden Dazu gehört für mich die gemeinsame Suche nach ethischer und Orientierung in Fragen der Lebens- und der Beziehungsge- in denen Gottesbegegnungen und Glaubenser- fahrungen möglich sind? Was lässt ehemals feurige staltung als Beratende und als Ratsuchende. Christen ausbrennen? (Burn-Out) • • Wie können wir uns gegenseitig helfen, mit unserem Ich nehme die Fäden auf, die mein bisheriges, berufliches tragenden Grund in Berührung zu kommen und die Re- Leben durchziehen und werde mich im EZI neben Leitung silienzkräfte zu fördern? Wir haben in unserer eigenen und gesellschafts- und sozialpolitischem Engagement des Tradition einen reichen Schatz von Formen geistlicher Instituts, besonders in dem Bereich Supervision, Führen und Begleitung. Leiten und um die pastoralpsychologischen und seelsorger- Wie können wir Familien und Erziehende stärken und lichen Aspekte evangelischer Beratung einsetzen. fördern, damit sie bindungs- und beziehungsfähig werden und den aufwachsenden Kindern einen ver- Ansprache zur Einführung Bischof Dr. Wolfgang Huber Behaupten zu wollen, Ihr Weg hätte zielstrebig auf dieses Amt zugeführt, wäre vielleicht etwas zu gewagt; doch wer sich mit den Stationen Ihres Berufsweges befasst, entdeckt schnell am Rande und im Zentrum dieses Weges die Bereitschaft, über den Tellerrand der Theologie hinauszublicken, und spürt die Lust an pastoralpsychologischer Arbeit. Das haben Sie mir auch bei unserer ersten persönlichen Begegnung über den Dächern Dortmunds sehr anschaulich und plausibel erzählt. Lieber Bruder Dieter Wentzek, Inspiration zu diesem Weg fanden Sie in der Auseinanmit dem Sonntag Kantate im Rücken singt es sich fröhlich dersetzung mit der Theologie Paul Tillichs, konkreten Aus- und leicht. Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut druck fand diese Lust im Zweitstudium der Psychologie. Sie Wunder. So steht es über dieser Woche, die in besonderer bringen in Ihre Arbeit die Ausbildung als Psychotherapeut, Weise unserer Lust zum Singen gewidmet ist. Sie haben als Gemeindeberater und Supervisor mit, Sie haben sich sich gewünscht, dass der Vers dieser Woche auch über der besonders von der Hospizarbeit prägen lassen. Langjährig Einführung in Ihr neues Amt erklingt. Die evangelische ist ist Ihre Erfahrung in der Fortbildung pflegender Berufe, als eine singende Kirche; im Jahr des 400. Geburtstages Paul Superintendent des Kirchenkreises Hagen haben Sie reichlich Gerhardts ist sie es in besonderer Weise. Das Singen vereint Leitungserfahrung sammeln können. Ich freue mich, dass uns auch heute im Dank und in der Freude über den neuen Sie bereit sind, diesen beeindruckenden Erfahrungsschatz Direktor des Evangelischen Zentralinstituts für Familienbera- in Ihre neue Aufgabe einzubringen und heiße Sie im Namen tung. der Evangelischen Kirche von Deutschland in Ihrem neuen 7 Amt herzlich willkommen! Und als Berliner Bischof sage ich: legt die Bahn frei, auf der ein Evangelisches Zentralinstitut für Herzlich willkommen in Berlin! Familienberatung in Bewegung ist. Der Psalmvers führt an die Kreuzung von seelsorgerlichem und politisch-diakonischem Wenn wir mit dem Gottesdienst zu Ihrer Einführung mit der Engagement. Er rückt die Schattenseite unserer Gesellschaft Aufforderung Kantate ernst machen, so tun wir dies auch genauso in den Blick, wie er deren Stärken beleuchtet. Denn mit Liedern von Paul Gerhardt: Du meine Seele singe. Paul das eine wie das andere rückt in das Licht der Treue Gottes: Gerhardts Lieder fordern zu einem inneren Tapetenwechsel der Herr schafft Heil. auf. Not und Traurigkeit menschlichen Lebens verschweigen diese Lieder nicht; doch sie laden die Seele ein zur Probei- Mein Wunsch ist, dass die Mitarbeitenden im Evangelischen dentifikation frohgemuten Gesangs. Du meine Seele, singe, Zentralinstitut für Famlienberatung unter der Leitung ihres / wohlauf und singe schön. Niemand vermag zu zählen, wie neuen Direktors die Krisen und Konflikte unserer Gesell- vielen Menschen die Lieder dieses Dichterpfarrers Trost und schaft, die sich so oft in Familien verdichten, ebenso wie Halt gegeben haben, wie vielen Kindern sein Abendlied ge- das Gelingen von Beziehungen und die Versöhnung von sungen wurden, wie viele Kranke im Laufe der Jahrhunderte Menschen in das Licht der Treue Gottes rücken. In Ihrem dem Herrn mit seinen Worten ihre Wege anbefohlen haben Arbeitsfeld hören Sie oft früher als manch andere, welches oder wie viele Sterbende mit seinen Strophen aus diesem die religiösen Themen sind, die sich in den Tiefenschichten Leben geleitet wurden. unserer Gesellschaft zur Geltung bringen. Doch stets hatte Paul Gerhardt auch jene Dimension im Sinn, Mit dem Aufruf Kantate habe ich begonnen, mit Paul Ger- auf die der Psalmvers von Kantate hinweist, wenn man ihn hardt will ich enden und Ihnen mit seinen Worten Gottes nur zu Ende liest: Singet dem HERRN ein neues Lied, denn Segen und Geleit für Ihren Dienst wünschen: Wohl dem, der er tut Wunder; er schafft Heil mit seiner Rechten und mit einzig schauet / nach Jakobs Gott und Heil! / Wer dem sich seinem heiligen Arm. anvertrauet, / der hat das beste Teil, / das höchste Gut erlesen, / den schönsten Schatz geliebt; / sein Herz und ganzes Gott schafft Heil. Er wendet sich zu den Geknickten wie zu Wesen / bleibt ewig unbetrübt. Amen. den Gebeugten. Sein Trost erneuert den aufrechten Gang. Er Trösten wie eine Mutter - Predigt zu Jeremia 31,13b Dieter Wentzek „Ich will sie trösten und sie erfreuen nach ihrer Betrübnis“. war den Menschen eher zu Mute, nach Klage über die ganze Das ist die Tageslosung für den heutigen Tag. „Ich will sie Trostlosigkeit. Ohnmächtig, ausgebrannt, ohne Perspektive, trösten und sie erfreuen nach ihrer Betrübnis.“ Ich kenne so saßen sie in den Trümmern. Und da stellt sich einer hin keinen, der einen so vollmundigen Satz sagen könnte. Der und sagt voller Kraft glaubwürdig und vertrauenerweckend: Prophet Jeremia legt ihn ja auch Gott in den Mund. Ich stelle „Gott sagt: Ich will sie trösten und sie erfreuen nach ihrer mir vor, wie dieser Trostspruch wohl geklungen hat, in den Betrübnis.“ Wie kommt solch ein Wort an? Ich stelle es mir Ohren der Menschen vor 2500 Jahren. Zum Volk Israel ist vor: Da gibt es die Resignierten, die gar nicht mehr zuhören. er gesprochen, besser gesagt, zu denen, die davon übrig Von Gott erwarten sie nichts mehr. Da sind die Verängstigten geblieben sind nach den vielen Jahren der Verbannung, der mit eingeengtem Blick, die nur auf die vor ihnen liegende Gefangenschaft und Heimatlosigkeit. Zurück gekehrt sind Realität schauen, nicht mehr aufblicken, nach vorne blicken sie, nach Jerusalem, ihrer ehemals festen Burg, auf die sie können. Da sind die Zornigen und Verbitterten, die vorwurfs- immer ihr Vertrauen gesetzt hatten. Alles war zerstört, alles voll anklagen: Wo war denn Gott? Warum hat er das alles lag in Trümmern, alles was Sicherheit und Vertrauen gegeben zugelassen? hatte: der König, der Tempel, die Priester. Nach Klageliedern 8 „Ich will sie trösten und sie erfreuen nach ihrer Betrübnis.“ Das Kind erfährt, wie es ist, getröstet zu werden, wie das Ein anderer Prophet, zur gleichen Zeit, konkretisiert in sei- Leid mitgetragen wird, wie die Klagen und Anklagen seien ner Trostrede an das Volk Israel den Trost Gottes. Er nimmt dürfen, ja Voraussetzung sind, damit Trost erfahren und dazu ein Bild, das an die wohl älteste und lebenswichtigste Freude wieder gewonnen werden kann. Erfahrungen eines jeden Menschen anknüpft. Das Bild vom …und wie sich dann schließlich der verängstigte und veren- mütterlichen Trost. So schreibt Jesaja (Jes.66,10ff): gende Blick öffnet, für diese andere Wirklichkeit, die in der „Freut euch mit Jerusalem, und jauchzt alle, die ihr traurig tröstenden Mutter präsent ist. „Es ist alles gut.“ Mit diesem gewesen seid. Denn nun dürft ihr saugen und euch sättigen Wort stellt die Mutter die erlebte Not in einen größeren Rah- an den Brüsten ihres Trostes, weil ihr schlürfen dürft und men der guter Schöpfung Gottes und nimmt mich mit hinein. euch freuen an den Brüsten ihres Glanzes. Denn so spricht Ich kann spüren: Solche Worte und Gesten des Menschen, Gott: Wie eine Mutter tröstet, so will ich euch trösten.“ der mich tröstet, sind angereichert von einem Glauben und Vertrauen zu einem Gott, der immer da bleibt und für eine Das ist hier die einzige Stelle im Alten Testament, an der im Welt bürgt, in der alles gut ist und wird. Zeugnis von Gott die sonst so streng eingehaltene Scheu durchbrochen wird, Gott mit weiblicher Prädikation in Ver- Vertrauen, Treue und Trost haben in unserer Sprache die sel- bindung zu bringen. In diesem Bild vom mütterlichen Trost ben Wurzeln. Trost hat es also mit Vertrauen und Festigkeit wird --damals wie heute --jedem unmittelbar zugänglich zu tun. Die tröstende Beziehung hält die vielen Lebensängste -Trost leiblich-seelisch erfahrbar. Urvertrauen und Trost aus. In ihr ist das Vertrauen in die Welt und die gute Schöp- entstehen an der Mutterbrust und im Schoß. Trost schenkt fung Gottes repräsentiert und immer präsent. Die leiblich- die Mutter dem Kind, dann wenn es ihn nötig braucht. Jede seelische Erfahrung von Trost in existentieller Not ist deshalb und jeder von uns hat es als Kind erfahren: Wie eine Mutter der fruchtbare Boden für die Glaubenserfahrung mit dem tröstet. Kinder müssen die Welt erfahren und entdecken, um Trost Gottes. Trost gibt das Vertrauen ins Leben zurück. lebenstüchtig zu werden, sie müssen auch mutig Grenzen überschreiten. Und so kommen sie manchmal in existentielle „Ich will sie trösten und sie erfreuen nach ihrer Betrübnis“. Not. Es kann sein, das Kind überschätzt seine Kräfte und ver- Bleibt die Frage: Was ist mit den Menschen, die letzt sich. Es kann sein: das Kind hat sich neugierig von den frühkindlichen Trosterfahrungen nicht ausreichend machen Eltern entfernt und findet sich scheinbar verlassen wieder, konnten? Bleiben sie ein Leben lang argwöhnisch und fühlt sich einsam und ausgegrenzt aus der Gemeinschaft. Es misstrauisch, weil sie gelernt haben zu überleben nur durch kann sein: das Kind will die Welt entdecken und die Eltern Selbstbehauptung oder Flucht in Ersatztröster? Haben sie nur setzen Grenzen - es empfindet diese Macht, die es schützen Pech gehabt, fällt etwa Gottes Zusage entweder auf fruchtba- soll, als Gewalt – und fühlt sich ohnmächtig ausgeliefert. Und ren Boden oder – bei einigen eben auf unfruchtbaren? diese es kann sein: das Kind erlebt den Einbruch des Todes in der Familie oder einen anderen schweren Verlust. Es begreift Jeder Mensch hat irgendwann und mit irgendwem Troster- nichts. Es hat nur noch Angst. Diesen Schmerz, diese Angst fahrung gemacht, sonst hätte er gar nicht überleben können. drückt das Kind aus: da ist das Schreien des Kindes, das Aber diese Menschen brauchen im weiteren Leben Räume, Klagen, die Tränen, das Rufen nach der Mutter. Es gibt aber Zeiten und Beziehungen, in denen sie solche Erfahrungen auch der Schmerz, der verstummen und erstarren lässt. Gut, machen können. Ich glaube, mich dass das eigene Geschenk wenn dann jemand da ist. Denn jetzt braucht es Trost. Alles des Trostes und der daraus erwachsenen Lebenskraft und bleibt stehen und liegen. Trösten duldet keinen Aufschub. Freude verpflichtet und befähigt, die Welt Das Kind in seiner Not ist jetzt das Wichtigste. Und dann und zwar so zu gestalten, dass auch diese Menschen die wird es aufgenommen in den Schoß und in die schützenden Trostzusage erfahren können, durch mich, durch andere Arme der Mutter. „Es ist alles gut“, sagt die Mutter. Das kann Menschen , in Beziehung zu anderen Menschen. zu gestalten, sie so sicher sagen, weil sie davon überzeugt ist und weil dieses Vertrauen auch ihr schon geschenkt worden ist. Und Ich denke an Justizvollzugsanstalten, in denen Jugendliche das Kind spürt die Kraft, die darin steckt. einsitzen, weil sie – nie wirklich getröstet – ihre Aggressionen gegen sich selbst und andere gewendet haben. Uni-Modell- Die Augen des Kindes gehen langsam wieder auf. Der Blick projekte, die soziale Kompetenz mit diesen Jugendlichen öffnet sich. Neuer Mut weicht der Angst und dann, nach erarbeiten wollen, brauchen viel Zeit, teure Zeit, um sie nach- einer Zeit - springt das Kind vom Schoß, getröstet, gestärkt, holen zu lassen, was sie so nötig gebraucht hätten: Dass da mit neuer Freude, über die wieder gewonnene Lebenskraft. Menschen sind, die sie als Person so wichtig erachten, dass sie ihnen wertvolle Zeit schenken. 9 Gestalten - oder auch Kontextbedingungen schaffen, heißt sie zu Trostliedern in Lebens- und Todesängsten geworden. auch Räume schaffen, in denen Trost entstehen und gelebt Das gemeinsame Singen solcher Lieder verstärkt das Kraft- werden kann. Trost braucht Raum und Zeit. Umbaute Räume feld des Trostes. z.B., in denen tragfähige Beziehungen gelebt werden können. Es gibt viel trostlose Architektur und trostlos gestaltete Trost erfahre ich auch im Gebet. Das Gebet ist eine Zeit, in Stadtteile, Schulen, Kindergärten, die die Erfahrung von der der Alltag unterbrochen wird. In ihm ist die Beziehung zu Geborgenheit und Trost verhindern. Trost braucht auch Zeit Gott lebendig. Darum können im Gebet Klage und Anklage .Am Krankenbett, im Altenheim, bei der häuslichen Pflege, Raum haben, aber auch die Wahrnehmung der Freude über im Kindergarten, in der Beratung und Therapie. In einer Kin- Gottes Antwort und das eigene Aufatmen. Die Klagepsal- dergartengruppe ist es bei einem Personalschlüssel von 1 zu men mit ihrer Bewegung von der Klage zur Gewissheit sind 18 nicht möglich, ein Kind in einer ängstigenden Situation zu Zeugnisse dafür. „Ich will sie trösten und sie erfreuen nach trösten, weil einfach die Zeit fehlt. ihrer Trübsal.“ Trost und Freude wird im Alten Testament fast in einem Atemzug genannt. Wobei die Freude ganz leiblich Auch nicht in der Altenpflege, wo wir doch wissen, dass materiell beschrieben wird, mit Tanz oder im Schenken von wir selbst im Alter immer mehr auf Trost angewiesen sind, Wein und Brot. Ein alter Brauch der Juden im spanischen zuletzt so notwendig wie am Anfang des Lebens. Toledo war es, wenn jemand um einen Toten trauert, präsent zu sein, dazusitzen, solidarisch zu schweigen und vor allem „ZeitRaum“- diesen Namen hat sich die Psychologische Be- Wein, Omelett und Pfirsich mitzubringen. ratungsstelle im Kirchenkreis Hagen gegeben. Sie will sagen, hier ist Zeit inne zu halten, Ruhe zu finden und eine tragfä- Aus eigenen Trauergruppen weiß ich, wie wichtig es ist , alles hige Beziehung für eine Zeit in Anspruch zu nehmen. Hier was sinnlich und leiblich Freude macht, mitzubringen: den ist ein Raum, der die Tränen, die Klage und die Trostlosigkeit warmen Kakao mit Sahne, die duftenden Blumen und den aushält. Solche Räume und Menschen, die den Lebensängs- Klang der Musik. Denn wenn die Trauernden erst wieder ten Stand halten, ermöglichen die tröstende Verwandlung Nahrung aufnehmen und sich wieder freuen können, ist der in Lebensfreude. Diese Erfahrung wird um so tiefer und Trost angekommen und sie sind ein Schritt weiter auf dem besser möglich sein, wenn die Beraterinnen und der Berater Trauerweg. sich selbst in Beziehungsräumen gehalten wissen, die eine größere Tragfähigkeit in sich haben, als sie oder er aus sich „Ich will sie trösten und sie erfreuen, nach ihrer Trübsal.“ heraus, anbieten kann. Dazu braucht es die Erfahrung und Ich wünsche mir, dass in unserer Kirche und in all ihren die Entdeckung, was mich eigentlich selber trägt und tröstet. Einrichtungen mehr vom Geist des Trostes weht und spürbar Das ist die Glaubensfrage oder auch die Frage nach der ist. Aber was sag ich Geist des Trostes. Der Heilige Geist, Spiritualität in der Beratung. Zugespitzt formuliert wie etwa der unsere Kirche belebt und am Leben erhält, ist der selber im Heidelberger Katechismus als erste Frage: Was ist mein der Trost, der Tröster, wie der Evangelist Johannes ihn nennt einzig Trost im Leben und im Sterben? „Gott spricht: Ich will und uns verheißt. „Gott spricht: Ich will sie trösten und sie sie trösten und erfreuen nach ihrer Trübsal.“ Erfahrungen von erfreuen nach ihrer Trübsal.“ Trost gibt es auch in heiligen Räumen – und darum heißen sie so - Kirchen sind solche Räume des Trostes. Wie gut, dass Diese Tageslosung lass ich mir gerne jeden Tag sagen. Zum immer mehr tagsüber offen stehen. Sie lassen mich zur eigenen Trost und für meine Arbeit, mit denen, die Trost Ruhe kommen, sie bringen meine eigene Geschichte in dem suchen. Zusammenhang mit der Geschichte vieler Menschen, die Amen schon ihre Not vor mir dort hingetragen haben. Und vielen ist ihre Geschichte dort verwandelt worden. Musik kann auch zum Raum des Trostes werden. In ihr können sich Gefühle wie Trauer und Freude besonders gut ausdrücken. Die bedrängende Wirklichkeit verflüssigt sich beim Eintauchen in die Musik und wird ergänzt von einer anderen Wirklichkeit und neu zusammen gesetzt. Vom Trost Gottes zu singen, klingt und wirkt tiefer als über ihn zu reden. In den Liedern Paul Gerhardts kommt der Trost Gottes zum Klingen, Trost und Freude verbinden sich. Schon vielen sind 10 Vortrag zur Einführung Prof. Dr. Michael Klessmann, Wuppertal Spiritualität: Eine neue Ressource für die evangelische Beratung? 1 1. Ausgangspunkt: Die psychologische Beratungsarbeit der evangelischen Kir- sein „und ihre Glaubensüberzeugung in der Beratung nicht che hat sich im 20. Jahrhundert immer wieder schwer getan verleugnen.“(1.6). Als Ziel evangelischer Beratungstätig- mit ihrem christlich-kirchlichen Auftrag, mit ihrem evangeli- keit wird formuliert, dass Ratsuchende von einengenden schen Profil. 2 Zwängen freier werden und sich stärker als verantwortliche Das hatte damit zu tun, dass bis in die 60er Jahre hinein ein Subjekte ihres Handelns erleben sollen. „Eine so gewonnene kerygmatischer Seelsorgebegriff auch die Beratungsarbeit Eigenständigkeit bestärkt seine Integrations-, Beziehungs- zu dominieren suchte, wonach Seelsorge und Beratung vom und Bindungsfähigkeit und schließt auch den Gegenstand Paradigma der Verkündigung her begriffen werden sollten; und die Beziehungen des religiösen Lebens mit ein“(1.8). es erscheint nachvollziehbar, dass sich die Beratenden um Die Frage, ob nicht gerade in einer evangelischen Beratungs- ihrer psychologischen Fachlichkeit willen von dieser theolo- arbeit die religiöse Orientierung der Beratenden wie der Klien- gischen Zielvorgabe eigentlich nur abgrenzen konnten. ten eine besondere Wertschätzung im Prozess der Beratung Die Spannung zwischen Beratungsarbeit und Kirche hatte erfahren sollte oder welchen Stellenwert Lebensdeutung weiter damit zu tun, dass die Freudsche Religionskritik auch im Horizont der christlichen Tradition im Beratungsprozess die vorwiegend psychoanalytisch ausgerichtete Beratung haben könnte, wird nicht gestellt. Die religiöse Orientierung prägte: Religion stand von dieser Perspektive her unter dem sowohl der Ratsuchenden wie der Beratenden kommt als Generalverdacht, regressive Kompensation ungelöster bio- mögliche Ressource für den Beratungsprozess nicht in den graphischer Konflikte zu sein; es gab ja auch bis in die späten Blick. 80er Jahre viele anschauliche Beispiele einer autoritären reli- Die religiöse Großwetterlage hat sich, wie Sie alle wissen, seit giösen Erziehung mit tiefgreifend neurotisierenden Folgen. den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts deutlich verändert. Und schließlich hatte jene Spannung damit zu tun, dass im Wir sprechen von Wiederkehr der Religion, von Respirituali- Selbstverständnis psychologischer Fachlichkeit Therapie sierung – bei gleichzeitig weitergehender Säkularisierung oder Beratung einerseits und Religion andererseits klar zu und einem um sich greifenden Gewohnheitsatheismus. trennen sind, jeder Vermischung zu wehren ist (was ich Beide Bewegungen schließen sich in ihrer Gegenläufigkeit nach wie vor für grundsätzlich richtig halte, auch wenn was offenkundig gerade nicht aus. Zur Wiederkehr von Religion natürlich immer nur begrenzt gelingt, da Religion keinen ab- gehört auch, dass der Zusammenhang von Religion und gegrenzten seelischen Bereich darstellt, sondern das ganze Gesundheit, von Spiritualität und Resilienz intensiv wissen- Leben durchdringt). schaftlich erforscht und popularwissenschaftlich-medial Als Beleg für die These von der Spannung (oder mindestens aller Orten diskutiert wird. der ungeklärten Verhältnisbestimmung) zwischen der Kirche Angesichts dieser veränderten Ausgangslage liegt es nahe, als Träger und der Beratungsarbeit verweise ich auf die in neuer Weise nach der Rolle von Religiosität oder Spiritua- Leitlinien für die psychologische Beratung, die die EKD 1981 lität als Ressource im Beratungsprozess und im Selbstver- 3 Aus heutiger Sicht behandeln diese ständnis der evangelischen Beratungsarbeit überhaupt zu auf dem Höhepunkt der Seelsorgebewegung verfassten fragen. Damit könnte evangelische Beratung einen Perspek- Thesen das Thema des Religiösen mit einer auffallenden tivenwechsel vollziehen, der in bestimmten Strömungen der Zurückhaltung. Psychologische Beratung wird als Teil des di- Theologie und in manchen Bereichen der Psychotherapie akonischen Auftrags der Kirche beschrieben. Beratung habe schon länger zu beobachten ist: In der Theologie zeigt sich Anteil am Mandat Christi, Menschen zu heilen und ihnen zur eine neue Wertschätzung religiöser Erfahrung und natürlicher Konfliktbewältigung und zu Reifungsschritten zu verhelfen. Theologie; in der Psychotherapie gibt es eine Abwendung Die Beratenden sollen Mitglieder der evangelischen Kirche von einseitiger Fokussierung auf pathogene Faktoren und verabschiedet hat. 11 Defizite im biographischen Umfeld und eine Hinwendung Spiritualität und psychischer wie physischer Gesundheit zum Aufspüren von individuellen und sozialen Ressourcen, eine viel stärkere Aufmerksamkeit zuteil wird. Fähigkeiten und Stärken. Ressource bezeichnet etwas Doppeltes: Es geht um die Stärken und Fähigkeiten, die jemand in sich hat, auch wenn sie 2. Zur Attraktivität des Phänomens Spiritualität vielleicht vorübergehend verschüttet sind; und es geht um Kräfte und Stärken, die jemandem von außen zugesprochen Wenn man Spiritualität als Ressource in der psychologischen und zugeeignet werden (empowerment) – z.B. durch gelin- Beratungsarbeit wahrnehmen will, muss man zuvor verste- gende Beziehungsgestaltung, wozu auch eine religiöse oder hen, was dieses Phänomen für Zeitgenossen so attraktiv spirituelle Beziehung zu rechnen ist. macht. Matthias Kroeger versucht sich dem Phänomen zu nähern, Wenn man die Bedeutung von Religiosität oder Spiritualität indem er einen lebensgeschichtlichen Prozess beschreibt:6 von ihrer Funktion als möglicher Ressource her begreift, Irgendwann, vornehmlich natürlich in Krisenzeiten des ändert sich die Ausgangslage für die Beratungsarbeit: Es Lebens, oder angesichts ungewöhnlicher Begebenheiten, sind nicht mehr die Kirchen als Träger, welche die Beratungs- fangen Menschen an, über sich nachzudenken, über die stellen von außen dazu drängen, ihr kirchlich-religiöses Profil Schönheiten und Rätsel des Lebens und der Welt, über Liebe, zu schärfen. Es ist eher der schwer greifbare Zeitgeist, die Krankheit und Tod, über das Schöne und das Bedrohliche. Sie gesellschaftlich-kulturelle Großwetterlage, die Berücksich- fragen, was denn in der Vielfalt dessen, was uns begegnet, tigung des Lebenskontextes der Klientinnen und Klienten, wirklich wichtig ist, woran es lohnt, sein Herz zu hängen, was die es nahe legen, spirituell-religiöse Themen nicht länger denn dran ist an den Lebensfragen nach Gerechtigkeit und auszuklammern, sondern ihnen mit größerer Selbstver- Wahrheit, nach der Bedeutung des Leidens und des Bösen. ständlichkeit zu begegnen, und gerade von den kirchlichen Sie haben eine diffuse Empfindung, dass es etwas gibt, das Beratungsstellen Kompetenz und Sensibilität im Umgang mit „größer ist als unser Herz (1 Joh 3,20), Mächte, die uns be- solchen Themen zu erwarten. hüten und tragen, aber auch Kräfte, die uns bedrohen und Natürlich gab es diese Quelle zur Lebensbewältigung in schaden. Die unbestimmte Sehnsucht nach wahrem, ver- Gestalt vieler christlich-spiritueller Traditionen schon lange; söhnten Leben „jenseits“ der alltäglichen Oberflächlichkeiten gleichzeitig waren und sind sie durch ihre institutionelle bedient sich dann eklektisch und mehr oder weniger zufällig Bindung an die Kirchen für viele kirchenferne Zeitgenossen der Quellen der Religionen und Weltanschauungen, ihrer gewissermaßen verstellt. Jetzt, angesichts des Megatrends Weisheiten und Dogmen, ihrer Riten und Praktiken, macht Spiritualität,4 wie es das Wiener pastoralsoziologische Ins- Anleihen bei Esoterik und Psychotherapie – um das undeut- titut formuliert hat, kann man auf spirituelle Phänomene in lich Gefühlte in Sprache und praktizierbare Form bringen ihrer Bedeutung für Psychotherapie und Beratung in neuer zu können. So entsteht die unbegrenzte Vielfalt spiritueller Weise zurückgreifen, sie zu verstehen und zu entfalten su- Phänomene, Anschauungen und Praktiken.7 Gemeinsam ist chen, sie aber natürlich auch in therapeutischer wie theolo- ihnen die Suche nach Einheit, nach Verbundenheit mit dem gischer Hinsicht kritisch reflektieren – denn dass bei diesem Leben als Ganzen, mit anderen Menschen, mit der Natur, Thema viele Fallstricken lauern, ist unübersehbar. Zahlreiche „mit einem den Menschen übersteigenden, umgreifenden Forschungsergebnisse zu den positiven Auswirkungen von Letztgültigen, Geistigen, Heiligen...“8, die Sehnsucht, an gött- Spiritualität auf Prozesse der Heilung, auf Krankheits- oder lichen Energien partizipieren zu können, und der Wunsch, Krisenbewältigung kommen aus den USA, wo die religiöse darin die Begrenztheit des eigenen kleinen Ego transzendie- Landschaft eine tiefgreifend andere ist als in Westeuropa, ren zu können: Unbedingtes möge im Bedingten wenigstens so dass die Ergebnisse dortiger Forschungen mit Sicherheit momentan aufscheinen; dann könnten sich Prioritäten in der nicht ohne weiteres auf unsere Verhältnisse übertragen Flut der täglichen Anforderungen klären und Unterschiede 5 werden können. erkennbar werden, die wirklich einen Unterschied machen. Vieles von dem, was ich im Folgenden vorstelle, ist nicht So gesehen stellt Spiritualität eine Dimension dar, die alles neu. Psychotherapeuten wie Viktor Frankl oder Vertreter menschliche Leben und Erleben durchzieht und prägt. Von der Existenzanalyse (Ludwig Binswanger, Medard Boss daher ist es sicher angezeigt, dass die Kirchen und ihre Be- u.a.) oder die initiatische Therapie nach Karlfried Graf ratungsarbeit diese Lebensdimension würdigen und, wie es Dürckheim haben Ähnliches gedacht. Gleichwohl ist de- Kroeger formuliert, ihr Potential ehren.9 Das erscheint um so ren Wirksamkeit begrenzt geblieben, während es jetzt so notwendiger, als Spiritualität längst auch in den Kirchen, un- scheint, als ob dem Thema gerade durch die sich rapide ter Kirchenmitgliedern Einzug gehalten hat: eine Presbyterin ausweitenden Forschungen zum Zusammenhang von erzählt, dass sie wichtige Lebensentscheidungen mit dem 12 Pendel trifft; Pfarrer lassen sich von Tarot-Karten beraten. vielfältigen Differenzierungen und Funktionalisierungen Offenbar melden sich in solchen Verhaltensweisen tiefe Be- unseres Lebens in der Gegenwartsgesellschaft. Man dürfnisse, die das Phänomen Spiritualität gerade durch seine kann sogar sagen: Die Popularität des Phänomens der Diffusität beantwortet. Spiritualität kann als Ausdruck eines ganzheitlichen Einige Merkmale möchte ich noch besonders hervorhe- Protests gegen die Funktionalisierung und Ökonomisie- ben:10 rung des Menschen, wie sie uns allenthalben in unserer • Spiritualität präsentiert sich überwiegend als eine nontheistische oder besser transtheistische Orientierung, Gesellschaft begegnen, gelten. • die nicht an eine personale Gottesvorstellung gebunden bens: Wir Menschen sind nicht nur die, die ihr Leben ist (die sowieso nur noch ca. 30% der Bevölkerung erarbeiten, sondern die das Wesentliche empfangen: teilen). Es geht um einen „spirit“, eine dynamische In fast allen Meditationsformen spielen Leerwerden Wirklichkeit (man denke an die im christlichen Glauben und Loslassen, Annahme dessen, was ist, und Hingabe 11 zentrale Metapher: Gott als Geist, als spiritus sanctus) , an das Leben eine große Rolle. Angesichts einer unge- die das Leben erfüllt, die man als Macht des Heiligen, hemmt auf Aktivität, Leistung und Erfolg ausgerichteten als transzendente höhere Kraft oder Energie denken Gesellschaft erscheint vielen Menschen die Entdeckung und erfahren kann, die man sich nicht personal und dieser pathischen Dimension als etwas, das ihr Leben damit scheinbar begrenzt vorstellen muss. Auf diese Weise bekommt der Begriff Spiritualität eine weit aus- • vertieft. • von Ritualen für die Lebens- und besonders die Krisen- eher als ausgrenzend wahrgenommen werden. Viele bewältigung beigetragen. Die Reformation hatte den Menschen, die sich als spirituell verstehen, haben sich durch das Wort vermittelten Glauben des Menschen als eben deswegen von der christlichen Religion, von der Medium der Gottesbeziehung herausgestellt und Riten Kirche abgewandt. und Traditionen tendenziell als Adiophora, als Nebensa- Spiritualität stellt ein hoch individualisiertes Phänomen chen, eingestuft. Im Gefolge der 68er Bewegung hat es dar: Jeder Mensch kann seine subjektive Form finden dann noch einmal eine radikale Entritualisierung gege- und gestalten und sich damit von festgelegten dogmati- ben: Nur Spontanität und Echtheit zählten, das Einmali- schen Inhalten und Rahmenbedingungen der religiösen ge und Originelle wurde wert geschätzt. Demgegenüber Institutionen abgrenzen. So gesehen stellt Spiritualität sind es die fernöstlichen Spiritualitäten gewesen, die ein ausgeprägt synkretistisches Phänomen dar, in den Stellenwert des rituellen Vollzugs, der Wiederho- dem sich katholische, protestantische, buddhistische, lung und regelmäßigen Übung in ihrer Bedeutung für die hinduistische, esoterische und psychotherapeutische Lebensbewältigung neu eingeschärft haben. So ist es Elemente problemlos miteinander vermischen; und kein Wunder, dass das Ritualthema im Zusammenhang Autonomie des Menschen zum Ausdruck kommt: Man • Spiritualität hat zur Wiederentdeckung der Bedeutung greifende inklusive Tendenz, während die Religionen zugleich ein Phänomen, in dem die unhintergehbare • Spiritualität betont die pathische Dimension des Le- gegenwärtiger Spiritualität hohe Popularität genießt. • Schließlich darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, kann völlig nach eigenem Gusto religiös musikalisch sein dass der Begriff Spiritualität durch haltlose und heillose (um eine Formulierung Schleiermachers aufzunehmen) Versprechen auf Grund rein ökonomischer Interessen und muss nicht nach dem Takt tanzen, den andere im großen Stil missbraucht wird:13 Spiritualität erhöhe vorgeben. Spiritualität gewinnt mit diesem Zug zur Indi- die Genussfähigkeit, bringe materiellen Erfolg, Macht vidualisierung einen deutlich antiinstitutionellen Affekt. und Ansehen, kann man lesen. Spirituelle Praktiken Spiritualität bezeichnet etwas, das man erfahren und versprechen Heilung und Heil, Sicherheit, Gewissheit erleben, durchwandern und erleiden muss, was sinnlich und Eindeutigkeit in komplexen Lebensfragen. Was auf spürbar wird. Im Unterschied zu den dogmatisierten Ge- den ersten Blick attraktiv scheint, entpuppt sich bei halten der institutionellen Religionen spricht Spiritualität genauerem Hinsehen als gnadenloses Selbstoptimie- die Sinne und den Leib an, hat eine antiintellektuelle und rungsprogramm – das in den meisten Fällen scheitert. antidogmatische Ausrichtung. Erlebnis und Erfahrung Peter Sloterdijk hat es scharf auf den Punkt gebracht: – Schlüsselkategorien der Moderne überhaupt – gewin- „Es charakterisiert einen Teil der aktuellen Konsulta- nen im Bereich der Spiritualität besonderes Gewicht. tionsindustrie, dass sie spirituelle Traditionen in den Spiritualität kann man insofern als Fortsetzung der Dienst ihres Gegenteils stellt.“14 Eine sorgfältige Unter- Erlebnisgesellschaft mit anderen Mitteln verstehen.12 scheidung der Geister ist also immer vonnöten, wenn Spiritualität hat eine ganzheitliche Dimension: Sie um- von Spiritualität die Rede ist. fasst Denken, Fühlen und Verhalten und überwindet die 13 3. Inwiefern kann Spiritualität eine lebensförder- und Gesundheit. In diesem Konzept gewinnt Spiritualität als liche Ressource darstellen? Bestandteil des Kohärenzsinns eine die vielfältigen Dimensionen des Lebens integrierende Funktion. Wenn man von neueren umfassenden Gesundheits- und Der Salutogenese vergleichbar ist das Konzept der Selbst- Stressbewältigungskonzepten ausgeht, wird deutlich, dass regulation, das der Heidelberger Sozialmediziner Ronald Spiritualität oder Religiosität eine Ressource zur Lebensbe- Grossarth-Maticek entwickelt hat.20 Alle genetisch-phy- wältigung, zu Krankheits- bzw. Störungsverarbeitung und siologischen Faktoren, die das Leben bestimmen und zu Heilung darstellen kann. (Dieses „kann“ ist zu betonen, denn Krankheit oder Gesundheit beitragen, werden in hohem Maß dass Spiritualität möglicherweise auch destruktive Wirkun- durch emotional-kognitive Steuerungs- und Bewertungs- gen entfaltet, steht außer Frage). Eine spirituelle Einstellung, mechanismen überlagert. Dahinter steht ein Menschenbild, 15 (also demzufolge der Mensch erscheint „als ein hoch komplexes, nicht direkt und unmittelbar wirksam wird), beantwortet interaktives, sozio-psycho-biologisches System, das nach Bedürfnisse nach Orientierung, Selbstwerterhöhung und kompetenter Lust, Wohlbefinden, innerer und äußerer Sicher- Bindung16 – Bedürfnisse, die in der Auseinandersetzung mit heit und Sinnerfüllung strebt.“21 Die Fähigkeit zur aktiven und Lebenskrisen entstehen; daraus erklärt sich, warum spiritu- flexiblen Selbstregulation geht vielen Menschen verloren, sei elle Ressourcen gerade in Krisenzeiten aktiviert werden. es durch frühe entmutigende Sozialisationserfahrungen, die gewissermaßen als „Stress-Moderator“ fungiert durch Schockerlebnisse, denen man keinerlei Sinn abgewinIch erinnere als erstes an einen systemischen Gesund- nen kann, durch bevormundende Strukturen in Ausbildung heitsbegriff, wie ihn der Psychosomatiker Fritz Hartmann und Arbeitswelt. Um eine konstruktive, bedürfnisorientierte entwickelt hat: Selbstregulationsfähigkeit wieder herzustellen, hat Grossar- „Gesund ist ein Mensch, der mit oder ohne nachweisba- th-Maticek ein sog. Autonomietraining entwickelt, das große re oder für ihn wahrnehmbare Mängel seiner Leiblich- Ähnlichkeiten mit einem therapeutischen Beratungsangebot keit allein oder mit Hilfe anderer Gleichgewichte findet, aufweist. entwickelt und aufrechterhält, die ihm ein sinnvolles, auf Bestandteil der Selbstregulation ist nach Grossarth-Maticek die Entfaltung seiner persönlichen Anlagen und Lebens- auch die erlebte Gott-Mensch-Beziehung. Jeder Mensch, so entwürfe eingerichtetes Dasein und die Erreichung von der Autor, wünscht sich eine Beziehung zu einer lebendig Lebenszielen in Grenzen ermöglichen, so dass er sagen machenden transzendenten Quelle der Liebe, der Kommu- kann: mein Leben, meine Krankheit, mein Sterben.“17 nikation, der hilfreichen Ordnung.22 Manche erleben diese Ein solcher systemischer Gesundheitsbegriff misst dem Quelle des Leben als ihnen zugewandt, andere als gleich- individuellen Lebens- und Zukunftsentwurf, der subjektiven gültig oder sogar ablehnend. In jedem Fall habe die erlebte Deutung und Sinngebung von Krankheit und Leiden eine Gott-Mensch-Beziehung Auswirkungen auf Motivation und wichtige Bedeutung bei – der Stellenwert von Spiritualität ist Handeln, und damit indirekt auch auf Wohlbefinden und hier mühelos einzuordnen. Gesundheit, weil sie, je nach Ausprägung, Liebe, Vertrauen und Hoffnung, oder auch Angst, das Gefühl von Fremdbe- Differenzierter zeichnet der israelische 18 wissenschaftler Aaron Antonovsky Gesundheits- stimmtheit und gehemmter Liebesfähigkeit vermittele.23 mit dem Stichwort Salutogenese ein Modell, in dem die Stressoren, die täglich Aus der Sicht dieser systemischen Modelle kommt der Spi- jeden Menschen konfrontieren, auf Widerstandsressourcen ritualität eines Menschen eine große Bedeutung für dessen treffen: Körperliche, psychische, materielle und psychoso- Lebensbewältigung zu: Sie gehört zu den integrierenden ziale Ressourcen werden zusammengehalten und aktiviert Faktoren, die die Fülle der alltäglichen Einzelerfahrungen von einer zentralen subjektiven Kompetenz, die Antonovsky einem größeren Kontext und Sinnrahmen zuordnen. Sie stellt den „Kohärenzsinn“ nennt. Kohärenz bezeichnet das Gefühl, Wirklichkeitsdeutungen zur Verfügung, die Orientierung und dass es Zusammenhang und Sinn im Leben gibt, dass das Halt versprechen. Man mag aus theologischer Sicht eine sol- Leben nicht einem unbeeinflussbaren Schicksal ausgeliefert che Funktionalisierung kritisieren; zunächst einmal ist jedoch 19 ist. Bestandteil des Kohärenzsinns ist natürlich auch die festzuhalten, dass eine Wechselwirkung besteht und dass Weltanschauung eines Menschen, die Lebensphilosophie, sie von daher auch in jeder Beratung und Psychotherapie die Spiritualität, der Glaube. Je nachdem, wie eine Lebens- wahrgenommen, reflektiert und geklärt werden sollte. einstellung aussieht, von welchen spirituellen Elementen sie bestimmt ist: Sie beeinflusst den Kohärenzsinn und damit Lässt sich ein solcher Ansatz noch weiter vorantreiben, lässt auch die Widerstandsressourcen im Blick auf die Lebensbe- er sich gleichsam operationalisieren und konkretisieren, so wältigung insgesamt, speziell natürlich im Blick auf Krankheit dass man nicht bei der allgemeinen These stehen bleiben 14 muss? Ich versuche das exemplarisch an Hand von drei für Hingabe und Loslassen und ihren spirituellen Konnotationen das Feld der Spiritualität bedeutsamen Einstellungen zu nicht gezielt und direkt versuchen, eine Veränderung des zeigen. Die damit angesprochenen Themen gehören – wenn Zustands des/der Ratsuchenden zu erreichen. Es geht hier man sie aus der Sicht der Wirkungsforschung betrachtet – um das Paradox der absichtslosen Absicht. Viktor Frankl zum Bereich der nicht-spezifischen Wirkfaktoren, wie etwa hat eine Wirksamkeit per intentionem unterschieden von auch die Therapeut-Klient-Beziehung: Diese Faktoren sind einer Wirksamkeit per effectum:27 Zur letzteren Kategorie konkret schwer zu bestimmen, zeitigen aber nach aller Er- gehört Heilung durch Loslassen, Annahme und Hingabe: Es fahrung doch erhebliche Wirkungen. kann sein, dass sich Heilung und Besserung einstellen, wenn jemand lernt loszulassen, aber man kann sie sicher nicht ge- 1. In wohl allen Religionen und Spiritualitäten spielt die Er- zielt herbeiführen. Auf jeden Fall wird eine spirituell sensible fahrung des Loslassens eigener Wünsche und Vorstellungen, Beratung besonders auf diese Spannung von Aktivität und der Hingabe, der Annahme dessen, was ist, eine überragen- Hingabe / Loslassen achten. de Rolle. Im NT heißt es: „Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, 2. In deutlichem Kontrast zu dem Grundelement des der wird’s erhalten.“(Mk 8,35) Der Koran sagt: „Wer sich Gott Loslassens steht das der Leidenschaft für das Leben, das völlig hingibt, der hält sich an der festesten Handhabe“(Sure Verlangen nach einem authentischen und wahren Leben, 31,22). Und das Bhagavad-Gita formuliert: „Suche Zuflucht das mehr ist als das reine Überleben – eine Leidenschaft, bei Ihm, gib dich total hin mit Körper, Geist und Seele und du die wesentlich zur Spiritualität hinzugehört, aber nur selten wirst durch seine Gnade den höchsten Frieden und ewige thematisiert wird. In vielen spirituellen und mystischen Tra- Wohnung finden.“24 Die meisten Formen der Meditation ditionen steht die leidenschaftliche Liebe im Zentrum, das zielen darauf ab, frei zu werden von weltlichen Vordergrün- Ergriffenwerden von einer starken Sehnsucht nach einer das digkeiten und Illusionen und sich ganz in den Grund des Leben tragenden und durchdringenden Liebe, einer Liebe, Seins hinein loszulassen. in der Gott und Mensch und die Menschen untereinander Damit widerspricht spirituelle Praxis einer westlich-gesell- eins und die gesellschaftlichen und religiösen Differenzen schaftlichen Haltung, die den Menschen die Notwendigkeit gegenstandslos werden. Solche Leidenschaft ist meistens möglichst weitgehender Kontrolle über das eigene Leben verschüttet, überdeckt von gesellschaftlichen und religiösen als Maxime nahe legt. Selbstkontrolle, Kontrolle der eigenen Vorschriften und Traditionen, die Mäßigung und Zurückhal- Emotionen und Verhaltensweisen zählt zu den für einen tung fordern; wo sie jedoch zum Vorschein kommt, kann sie Erwachsenen in der Leistungsgesellschaft zentralen Kompe- eine Lebenskraft sein. tenzen. Selbst im Coping, also den Bewältigungsstrategien, Die Kehrseite leidenschaftlicher Sehnsucht ist die Erfahrung die Menschen für den Umgang mit Krankheit entwickeln des Schmerzes, der Ohnmacht und des Leidens angesichts sollen, wird dem aktiven Handeln eine besondere Rolle der Tatsache, dass die Sehnsucht so häufig nicht an ihr Ziel zugeschrieben. kommt, dass die Hindernisse für ihre Verwirklichung zu groß Hingabe, Loslassen, Annahme dessen, was ist (die Amerika- sind und die Vollendung natürlich immer aussteht. Passion ner sprechen von „spiritual surrender“) ist nicht mit Passivi- bezeichnet Leidenschaft und Leiden in einem: Sehnsucht tät und Sich-Gehen-Lassen gleich zu setzen; vielmehr wird nach Schönheit und Erfülltheit des Lebens, Zorn über das, ein solcher Zustand von Zen-Lehrern beschrieben als wache was dem im Wege steht, sowie Schmerz und Leiden ange- Achtsamkeit, als ruhige Wachheit.25 sichts der Trivialität und Brüchigkeit des Alltags sind Elemen- Religionspsychologen schreiben einer solchen spirituellen te dieser Leidenschaft. Eine spirituell sensible Beratung kann Haltung heilsame Wirkungen zu – wobei die Erklärungsan- die Passionen des Menschen zum Thema machen und sie sätze, warum sie so wirkt, stark variieren und vom Hinweis als Ressourcen würdigen und zu entfalten suchen. auf einen Placeboeffekt bis zur Annahme subtiler Energievermittlung reichen.26 Wie auch immer man die Ursachenfrage 3. In jeder Psychotherapie oder Beratung geht es darum, beantwortet: Loslassen und Hingabe eröffnen Erfahrungen dass Ratsuchende Hoffnung fassen oder vorhandene Hoff- von Selbst-Transzendenz, in der sich das Individuum von hö- nung stabilisieren. Hoffnung hat zum einen zu tun mit stabi- heren Werten und Zielen bestimmt weiß, in der ein Empfinden lem Selbstbewusstsein; Hoffnung entsteht darüber hinaus in von Verbundenheit, Dankbarkeit und Sympathie entsteht. tragfähigen Beziehungen, durch die Präsenz, Verlässlichkeit Ein Gefühl von Geborgenheit und Getragensein kann sich und Zugewandtheit anderer Personen; und schließlich lebt einstellen, das bisherige angestrengte Bewältigungsversu- Hoffnung vom Vertrauen in einen tragenden Lebenszu- che einer Krise hinter sich lässt und heilsame Gelassenheit sammenhang, in eine höhere Macht. Ein amerikanischer verbreitet. Sicher wird man in der Beratung mit dem Thema Therapeut zitiert den Satz eines Mädchens, die große Widrig- 15 keiten gut überstanden hatte: „Es gehört mehr zu mir als ich Abgrenzungen sind mir wichtig: dachte“, sagt sie.28 Einen solchen Satz kann man durchaus 1. Eine Funktionalisierung von Religion bzw. Spiritualität als einen spirituellen Satz lesen, weil er anspricht, dass we- widerspricht der originäre Intention dieser Phänomene: sentliche Dimensionen des Lebens nicht von uns selbst ge- Eine spirituelle Haltung ist zweckfrei! Sie ist dazu da, macht, sondern uns geschenkt werden. Eine Patientin sagt sich mit der Quelle des Lebens in Beziehung zu setzen, zu ihrem Therapeuten am Ende einer längeren Behandlung: der Sehnsucht nach authentischem Leben Ausdruck zu „Danke, dass Sie an mich geglaubt haben, bis ich wieder an geben, aber nicht, um bestimmte Effekte zu erzielen. mich selber glauben konnte.“29 Was hilft dem Therapeuten Eine Funktionalisierung religiöser Erfahrung hat diese an das Potential der Patientin zu glauben? Vielleicht seine schon zerstört! D.h. eine Berücksichtigung spiritueller berufliche Erfahrung, vielleicht aber auch sein eigenes Prozesse in der Beratung kann bestenfalls indirekt und Eingebettetsein in einen größeren Lebenszusammenhang, sozusagen absichtslos erfolgen. Die grundsätzliche der ihm Vertrauen in einen umgreifenden Möglichkeitsraum Unterscheidung von Psychotherapie und Spiritualität ist auch für seine Patienten eröffnet. Spiritualität lebt von der festzuhalten – was eben nicht ausschließt, dass man die durch Menschen vermittelten Erfahrung, dass wir uns einem spirituelle Orientierung eines Menschen resssourcenori- Größeren verdanken. Zu der Hoffnung, die daraus erwächst, entiert thematisiert so wie man mit anderen Fähigkeiten kann spirituell sensible Beratung entschieden beitragen. aus dessen Leben auch arbeitet. 2. Als Extremform der Funktionalisierung hat die Vermark- Ich habe jetzt mehrfach von spirituell sensibler Beratung tung oder Ökonomisierung von Spiritualität zu gelten. gesprochen. Ich meine damit eine Beratungsarbeit, die Dass dies eine Form des Missbrauchs ist – Missbrauch aufmerksam, achtsam und respektvoll mit der Spiritualität sowohl der beteiligten Personen wie auch Missbrauch von Ratsuchenden umgeht und ihr Potential, ihre Qualität des Phänomens Spiritualität als solches – ist offen- als seelische Ressource würdigt und zu stärken sucht. Ich kundig. Da sie jedoch so weit verbreitet ist (und auch unterscheide eine solche spirituell sensible Beratung von di- spirituelle Angebote der Kirche davor nicht gefeit sind), rekten spirituellen Interventionen, wie es z.B. das Gebet oder kann man kaum genug auf diesen Aspekt hinweisen. die Durchführung bestimmter spiritueller Rituale darstellen. 3. Vergleichbar der Ökonomisierung ist die Psychologisie- Es gibt in wachsender Zahl Therapeuten und Beratende, rung von Spiritualität:32 Spirituelle Therapeuten neigen die auch solche spirituellen Interventionen in ihre Therapie dazu, als erleuchtete Therapeuten aufzutreten, die im integrieren.30 Hier sehe ich die Gefahr einer Vermischung therapeutischen Prozess übersinnliche Energien und von methodisch reflektierter Therapie oder Beratung ei- eindeutiges, nicht hinterfragbares Wissen vermitteln. nerseits und Religion bzw. Weltanschauung andererseits. Spiritualität wird benutzt, um sich der Anstrengung Beide Bereiche sind, so weit das möglich ist, um der Ent- des Durcharbeitens zu entziehen, um sich die Mühe, scheidungsfreiheit der Klienten willen zu unterscheiden und Ambivalenzen zu explorieren und Unsicherheit auszu- auseinander zu halten. halten, zu ersparen. Die Autonomie von Klientinnen und Klienten ist hier tendenziell in Gefahr. 4. 4. Unterscheidung der Geister Spiritualität oder Religiosität ist nie ein ausschließlich positives oder konstruktives Phänomen, sondern immer Chance und Risiko (wie es ein Buchtitel formuliert) Weil Spiritualität ein so unabgegrenzter Begriff ist bzw. eine zugleich33 – das hat die religionspsychologische For- kaum einzugrenzende Vielfalt von Phänomenen bezeichnet, schung hinreichend erwiesen. Es war einseitig, im Ge- erscheint es unumgänglich, wenigstens einige wenige Ab- folge der psychoanalytischen Religionskritik Religiosität grenzungen vorzunehmen. Zwar hat Paul Zulehner zu Recht vorrangig als neurotisierendes Phänomen einzustufen; von der Notwendigkeit gesprochen, zunächst gegenüber es wäre genauso einseitig, wenn man nun in das andere gegenwärtiger Spiritualität eine „Haltung wertschätzender Extrem verfiele, und nur die konstruktiven Ressourcen Wahrnehmung“ einzunehmen.31 D.h. es geht um eine von Spiritualität im Blick hätte. 34 Schon die alte Unter- Haltung, die spirituelle Prozesse von innen heraus und von scheidung von Gordon Allport ist hier hilfreich: Handelt ihrer Intention und ihren Stärken her zu verstehen sucht. es sich um intrinsisch motivierte Spiritualität – kommt Wertschätzende Wahrnehmung muss jedoch gepaart sein sie wirklich von innen, entspricht einem tiefen Bedürfnis mit kritischer Reflexion, sonst segnet sie nur noch ab, was – oder ist sie eher extrinsisch motiviert, also von außen sowieso schon der Fall ist. angestoßen, als Modetrend, weil „man“ das eben macht Folgende Andeutungen (mehr kann es in diesem Rahmen oder die Teilnahme „Erfolg“ verspricht? nicht sein) im Blick auf notwendige Unterscheidungen und 16 5. Das Menschenbild mancher spiritueller Phänomene – eine Unterscheidung von Religion 1 und Religion 2 erscheint mir aus christlicher Sicht problematisch. In vorgeschlagen40: einigen Ansätzen taucht eine Wohlfühl-Spiritualität auf, und Identitätsvergewisserung, bindet den Menschen die eine Auseinandersetzung mit der Entfremdung des zurück (re-ligio) an Erfahrungen der Vergangenheit, Menschen, mit seiner Fragmenthaftigkeit und Fehlbar- macht Nichtverfügbares handhabbar, transformiert keit zu scheuen scheint. So schreibt Luise Reddemann, unbestimmbare in bestimmbare Kontingenz (Luhmann). deren Buch „Eine Reise von 1000 Meilen beginnt mit Menschen brauchen solche Ursprungsvergewisserung, dem ersten Schritt. Seelische Kräfte entwickeln und auch mit Hilfe von Spiritualität – allerdings um den Preis, fördern“ in nur drei Jahren bereits die 10. Auflage erlebt: dass sie darüber eher passiv und apathisch zu werden „Schließlich fühle ich mich besonders von einer Sicht- drohen. Deswegen ist Religion 2 unverzichtbar: Religion weise inspiriert, dass wir eigentlich vollkommen sind 2 enthält die messianischen Kräfte, die Wahrnehmung und dass es die Momente der Freude und der Inspira- dessen, was noch fehlt: die ausstehende Versöhnung tion sind, in denen wir unserer Vollkommenheit begeg- des Menschen mit sich selber, mit der Natur, mit der nen können.“35 Zustimmend zitiert sie ein belgisches Quelle des Lebens, mit Gott. Ohne diese emanzipato- Sprichwort: „Die hilfreichste Hand hängt an deinem rische Spitze wird Spiritualität, Bestandteil bürgerlicher eigenen Arm.“ Es entspricht diesem Ansatz, wenn die Behäbigkeit und verliert damit ihre eigentliche Zielrich- Autorin anregt, dass Menschen sich selber segnen soll- tung: Die Sehnsucht und Unruhe im Blick auf das, was ten, ihre Freuden und Leiden, ihren Mut und ihre Angst. sein könnte, aber noch nicht ist. Religion 1 bezeichnet Ursprungs- Nur am Rand erinnert die Autorin doch noch daran, dass der Segen ursprünglich eine göttliche Lebenszusage be- Wenn solche kritischen Perspektiven im Blick sind, ist es m.E. zeichnet: „Vielleicht möchten Sie lieber Gott/die Göttin/ gut zu verantworten, die Spiritualität einer ratsuchenden das Göttliche um das Segnen bitten.“36 Person als Ressource für deren Lebensbewältigung ins Spiel Welch ein Kontrast z.B. zu dem als spirituell zu be- zu bringen. zeichnenden Programm der Anonymen Alkoholiker, in dessen ersten drei Schritten es darum geht, die eigenen Grenzen zu akzeptieren und sich einer 5. Auseinandersetzung mit Spiritualität als Be- höheren und größeren Macht zu öffnen. standteil professioneller Kompetenz der Beraten- Aus christlicher Sicht ist die Wahrnehmung und Annahme den 41 des Fragmentarischen ein zentraler Bestandteil der Anthropologie, der nicht in Richtung auf einen spirituellen Nar- Seit S. Freud gehört es zu den unbestrittenen Einsichten, zissmus und entsprechende Machbarkeitsvorstellungen hin dass man in Psychotherapie oder Beratung mit Klienten nur übersprungen werden sollte.37 so weit kommt, wie man die anstehenden Themen selber 6. Eine weitere notwendige Frage: Bleiben Menschen mit bearbeitet und halbwegs bewältigt hat.42 Für unser Thema ihrer spirituellen Haltung und dem Wohlgefühl, das sie heißt das: Wenn Spiritualität als Ressource in der Beratung ihnen möglicherweise beschert, bei sich, auf sich selbst genutzt werden soll, müssen auch die Beratenden dieses fokussiert, oder stiftet sie an zu Solidarität und ethisch Thema in ihrer Bedeutung für sie selbst angeeignet haben. verantworteter Lebensgestaltung? Hat die „Option für Eine spirituelle Haltung für sich allein genommen kann per- die Armen“, eine zentrale Dimension des Evangeliums, sönliche Kraftquelle und Inspiration für Alltag und Beruf sein, Platz im Rahmen spiritueller Vollzüge? Dorothee Sölle als solche stellt sie aber noch keinen Bestandteil professio- hat vor einigen Jahren provokant formuliert: „Mystik ist neller Kompetenz dar. Dazu wird sie erst, wenn sie kritisch Widerstand“. 7. 38 Im Anschluss an die südamerikanische reflektiert und bearbeitet worden ist, wenn ihre spezifische, Befreiungstheologie beschreibt sie eine „Mystik der biographisch verankerte Gestalt mit ihren Chancen und ‚offenen Augen’“: „Es ist eine Einübung in die Sichtweise Schwierigkeiten so weit bewusst geworden ist, dass man Gottes, es ist die Wahrnehmung des Kleinen, des Uner- vor unbewusstem Agieren (z.B. vorschneller Identifikation heblichen, das Hören auf das Geschrei der Kinder Gottes, oder brüsker Ablehnung) einigermaßen geschützt ist und die in Ägypten in Sklaverei sind.“39 Eine reife spirituelle methodisch angemessenes Umgehen mit religiösen Themen Haltung zeichnet sich durch eine solche sensibilisierte ermöglicht wird. Wahrnehmung aus – andernfalls bleibt sie schal und in Kirchliche Beratungsarbeit hat hier etwas Besonderes anzu- sich selbst verkrümmt. bieten, weil sie in der Lage ist (oder sein sollte), spirituelle Ele- Vor dreißig Jahren hat Hans-Eckehard Bahr – in Aufnah- mente, die in der Beratungssituation begegnen, aufzugreifen me von Gedanken Erich Fromms und Theodor Adornos 17 und mit der christlichen Tradition in ein offenes Gespräch zu dabei prägend? Wie hat sich Ihr persönliches Gottesbild in bringen (es darf hier keine inhaltlichen Zielvorgaben geben!), den Zeiten der Kindheit, Jugend und des Erwachsenseins um auf diese Weise zu ihrer Versprachlichung, Formgebung verändert? Was bedeutet ein bestimmtes Gottes- oder und Vertiefung beizutragen. Spiritualität ist manchmal einer Glaubensbild für das gegenwärtige Lebensgefühl bzw. für die natürlichen Religiosität ähnlich: Sie gleicht eher einem vagen, Lebensgestaltung? Welche religiösen/spirituellen Praktiken undeutlichen Gefühl, das schwer in Sprache und Form zu sind Ihnen wichtig? usw. bringen ist. Eben das ist aber nötig, wenn es zu einer hilfreichen Integration der Spiritualität ins Leben kommen soll. 3. Eine spirituelle Einstellung von Beratenden gegenüber ihren Klienten prägt eine Grundhaltung, die der beraterischen Was bedeutet nun die These, Spiritualität müsse Bestandteil Methodenkompetenz und Fachlichkeit eine bestimmte professioneller Kompetenz sein? Ich nenne einige Punkte: Qualität verleiht. Ich denke dabei exemplarisch an folgende Punkte: 1. Ein professioneller Umgang mit spirituellen Einstellungen • Ahnung vom Geheimnis des Menschen, von seiner von Klienten schließt eine religiöse oder theologische Deu- Unverfügbarkeit oder Gottesebenbildlichkeit; daraus tungskompetenz ein, mit deren Hilfe es möglich ist, gezielt erwächst ein unbedingter Respekt vor der Würde des/ „das religiöse oder spirituelle Thema“ im Leben eines Klien- der Anderen; 43 ten zu bearbeiten. Das bedeutet konkret: Die Beraterin, • der Berater muss in der Lage sein, • • • durch die Einzigartigkeit des Lebens, des Fühlens, Den- Lebensthemen der Klienten auch auf ihre religiöse Rele- kens und Glaubens des anderen Menschen; vanz hin zu erkennen und zu bearbeiten; • Eine Haltung der Achtsamkeit und Aufmerksamkeit; Die emotionale Bedeutung von religiösen Themen • Wissen um die Geschöpflichkeit und Fragmenthaftigkeit wahrzunehmen; menschlichen Lebens, damit auch um die Begrenztheit An der hilfreichen Unterscheidung von Wahrheit und und Vorläufigkeit beraterischer Kompetenz und Verant- Unwahrheit, von dem, was für jemanden wirklich gültig wortung; ist und was Surrogat und Verführung darstellt, mitzuwir- • ken; • Bereitschaft zu staunen und sich überraschen zu lassen Vertrauen darauf, dass das Entscheidende, das eigentlich Heilsame im Leben, in Beziehungen, geschenkt wird Den Zusammenhang und die Wechselwirkung von Beziehungen zu signifikanten Bezugspersonen und zu Gott zu erkennen (Es gehört zu den interessanten und nur bedingt herstellbar und machbar ist; • Festhalten an einer Vision von Gerechtigkeit und der Fülle des Lebens. pastoralpsychologischen Einsichten, dass sich zwischenmenschliche und religiöse Beziehungsstrukturen 4. Die Auseinandersetzung mit und die Integration der eige- oft strukturell ähneln);44 nen religiösen oder spirituellen Quellen muss ein regulärer An der Verknüpfung von Lebens- und Glaubensge- Bestandteil der Aus- und Fortbildung in Beratung und Seel- schichte zu arbeiten; sorge sein. Diese Forderung ist nicht schwer zu erfüllen, weil • Religiöse Übertragungen wahrzunehmen; die „Lernstrukturen“ in Modellen der Psychotherapie und • Auch die Gefahren einer Identifikation im Zusammen- der Spiritualität nahe verwandt sind: Es geht beide Male um hang mit spirituellen Themen zu erkennen. Lernen aus Erfahrung, um Wissen, das sich aus Selbst- und • Fremderfahrung, aus der Interaktion in Beziehungen bildet Eine Deutungskompetenz – mit dem einen wesentlichen Unterschied, dass man im basiert auf entsprechender Wahrnehmungs- und Sprachfä- solche religiös-theologische Bereich der Spiritualität damit rechnet, dass man jeder Zeit higkeit, die wiederum in Vollzügen und der Reflexion persön- mitten in aller Weltlichkeit auf das unverrechenbare Geheim- licher Spiritualität fundiert ist. nis des Lebens, auf Gott, stoßen kann. 2. Die Anamnese könnte um Fragen nach der religiösen oder spirituellen Einstellung von Klienten erweitert werden – in 6. Schluss den USA spricht man diesbezüglich von „spiritual assessment“: Was sind in Ihrem Leben die Quellen der Hoffnung Von dem Psychoanalytiker Erik Erikson stammt ein Satz, der und des Vertrauens? Was hat Ihnen in Lebenskrisen in der mich immer wieder mal beschäftigt hat: Eltern müssen im- Vergangenheit geholfen? Wie hat sich Ihre persönliche spiri- stande sein, in ihrem Kind „eine tiefe, fast körperliche Über- tuelle Einstellung im Lauf der Biographie entwickelt? Welche zeugung zu wecken, dass das, was sie tun, sinnvoll ist.“45 Personen, welche Ereignisse, welche Traditionen waren Ähnliches gilt, glaube ich, für Psychotherapie, Beratung 18 und Seelsorge: Wir müssen in der Lage sein, bei unserem tun und lassen, mehr geschieht als durch unsere Kompetenz Gegenüber die Überzeugung zu wecken, dass unser Handeln veranlasst ist, mehr geschieht als wir wissen können. sinnvoll ist, hoffnungsvoll und hilfreich. Kann das gelingen? Ihnen, Herr Wentzek, wünsche ich für Ihre Leitung des EZI, Liegt darin nicht eine Überforderung? dass Sie in der Lage sind, mit dem Team zusammen etwas Ich glaube, man kann den Satz im Grunde nur sagen, wenn von dieser Haltung zu verkörpern und es denen, die bei Ihnen dahinter eine spirituelle Haltung steht: Die Überzeugung, Aus- und Fortbildung suchen, weiter zu geben. dass durch das hindurch, was wir beraterisch-methodisch 1. Vortrag aus Anlass der Einführung von Pfr. Dieter Wentzek als Leiter des EZI am 9.5.2007 in Berlin. 22. 23. Vgl. ebd. 283 ff. 2. Vgl. dazu Hartwig von Schubert u.a. (Hg.), Von der Seele reden. Eine empirisch-qualitative Studie über psychotherapeutische Beratung in kirchlichem Auftrag. Neukirchen 1998. 24. 3. Psychologische Beratung in der Kirche. Leitlinien für die Psychologische Beratung in evangelischen Erziehungs-, Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen. Hg. vom Kirchenamt der EKD. EKD-Texte Nr. 5, Hannover 1981, 4. Zitiert und aus dem Englischen übertragen aus: Brenda S. Cole und Kenneth I. Pargament, Spiritual Surrender: A Paradoxical Path to Control. In: William R. Miller (Ed.), Integrating Spirituality into Treatment. Resources for Practitioners. Washington 1999, 179 – 198, 184. 25. Vgl. ausführlicher Ludwig Frambach, Identität und Befreiung in Gestalttherapie, Zen und christlicher Spiritualität. Petersberg 1993, 136ff. 26. Vgl. Bucher 2007 (Anm. 8), 109ff.; Cole / Pargament 1999 (Anm. 24), 185ff. 27. Victor Frankl. Der Mensch auf der Suche nach Sinn. Freiburg ³1973, 73f. 28. Zitiert bei Carolina E. Yahne / William R. Miller, Evoking Hope. In: William R. Miller, Integrating Spirituality into Treatment. Washington 1999, 217 – 233, 226. 29. Ebd. 226. 30. Vgl. dazu Michael Utsch, Religiöse Fragen in der Psychotherapie. Psychologische Zugänge zu Religion und Spiritualität. Stuttgart / Berlin 2005, 236ff. 31. Zitiert bei Kurt Remele, Die Reise ins Innere: Spiritualität als Heilung. In: Paul M. Zulehner (Hg.), Spiritualität – mehr als ein Megatrend. Ostfildern 2004, 44 – 56, 49f. 32. Vgl. Eva Jaeggi, Heidi Möller, Erleuchtete Psychotherapeuten. Psychologie heute compact 8/2003, 85 – 89. 33. Gunther Klosinski (Hg.), Religion als Chance oder Risiko. Bern 1994. 34. Vgl. Bucher 2007 (Anm. 8), 137ff. 35. Luise Reddemann, Eine Reise von 1000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt. Seelische Kräfte entwickeln und fördern. Freiburg 10/ 2007, 12. 36. Ebd. 28. 37. In dem vom Kirchenamt der EKD herausgegebenem Text „Evangelische Spiritualität. Gütersloh 1979“ heißt es: “Man muß dabei zwischen Machbarem und nicht Machbarem sehr sorgfältig unterscheiden. Das Erziehen und Einüben kann immer nur bis in die Nähe des Möglichen, bis an die Schwelle führen. Die lebendige Erfahrung, der persönliche Glaube ist nicht machbar.“(33) 38. Dorothee Sölle, Mystik und Widerstand. Hamburg ²1997, 239. 39. Ebd. 364f. 40. Hans-Eckehard Bahr, Ohne Gewalt, ohne Tränen? Religion 1, Religion 2. In: Dorothee Sölle (Hg), Religionsgespräche. Zur gesellschaftlichen Rolle der Religion. ...1975, 31 – 64. 41. Zum Folgenden vgl. meinen Aufsatz: Persönliche Spiritualität als Teil professioneller Kompetenz in Seelsorge und Beratung. Fokus Beratung Mai 2004, 17 – 25. 42. Vgl. S. Freud, Die zukünftigen Chancen der Psychotherapie (1910). St.A. Erg.bd. 1975, 126: “...dass jeder Psychoanalytiker nur so weit kommt, als seine eigenen Komplexe und inneren Widerstände es gestatten...“ 43. Beispiele für eine solche Arbeit finden sich Gina Schibler / Christoph Morgenthaler, Religiös-existentielle Beratung. Stuttgart/Berlin 2002; zu meinem Verständnis von Pastoralpsychologische vgl. Michael Klessmann, Pastoralpsychologie. Ein Lehrbuch. Neukirchern ³2006. 44. Vgl. dazu Schibler/ Morgenthaler 2002 (Anm. 43). 45. Erik Erikson, Kindheit und Gesellschaft. Stuttgart 4 1971, 243. 4. Paul M. Zulehner (Hg.), Spiritualität – mehr als ein Megatrend. Ostfildern 2004. 5. Vgl. Len Sperry, Spirituality in Clinical Practice. Incorporation of the Spiritual Dimension in Psycho-therapy and Counseling. Ann Arbor 2001. Sperry stellt zu Beginn seines Buches fest, dass 94% der Amerikaner an Gott glauben, 97% glauben, dass Gebete erhört werden und 2/5 geben an, lebensverändernde spirituelle Erfahrungen gehabt zu haben (S.3). 6. Matthias Kroeger, Im religiösen Umbruch der Welt: Der fällige Ruck in den Köpfen der Kirche. Stuttgart ²2005, 35ff. 7. Eine Systematisierung spiritueller Phänomene versucht Ariane Martin, Sehnsucht – der Anfang von allem. Dimensionen zeitgenössischer Spiritualität. Ostfildern 2005. Zum Begriff der Frömmigkeit in Abgrenzung und Annäherung an den Begriff der Spiritualität vgl. Lucian Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland. München 2005. 8. Anton Bucher, Psychologie der Spiritualität. Weinheim/Basel 2007, 56. 9. Kroeger 2005 (Anm. 6), 52. 10. Vgl. zum Folgenden auch Hubert Knoblauch, Soziologie der Spiritualität. In: Karl Baier (Hg.), Handbuch Spiritualität. Zugänge, Traditionen, interreligiöse Prozesse. Darmstadt 2006, 91 – 111. 11. Biblische und moderne Konnotationen zum Begriff finden sich bei Kees Waaijman, Handbuch der Spiritualität. Bd. 2: Grundlagen. Mainz 2005, 65ff. 12. Michael Ebertz, Die Wüste lebt. Spiritualität statt Frömmigkeit? In: Maria Jepsen (Hg.), Evangelische Spiritualität heute. Mehr als ein Gefühl. Stuttgart 2004, 13 – 31, 26. 13. Genauer dazu Ariane Martin 2005 (Anm. 7), 42ff. 14. Zitiert bei Jörn Halbe, Was Sinn macht. Kompetenz kirchlicher Seelsorge und Beratung in gesellschaftlichen Spannungsfeldern. WzM 59 (2007), 152 – 163, 153. 15. Anette Dörr, Religiöses Coping als Ressource. In: Christian Zwingmann, Helfried Mosbrugger (Hg.), Religiosität: Messverfahren und Studien zu Gesundheit und Lebensbewältigung. Münster 2004, 261 – 275, 263. 16. Karl Grawe nennt vier menschliche Grundbedürfnisse: Orientierung und Kontrolle; Lustgewinn und Unlustvermeidung; Bindungsbedürfnis; Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz. In: Ders., Ressourcenaktivierung. Ein primäres Wirkprinzip der Psychotherapie. Psychotherapeut 44 (1999), 63 – 73, 67. 17. Fritz Hartmann, Krank oder bedingt gesund? MMG 11 (1986), 170 – 179, 172. 18. Dazu H. Waller, Gesundheitswissenschaft, Stuttgart/Berlin² 1996, 17 ff. 19. A. Antonovsky, Health, Stress and Coping, San Francisco 1979, 123 ff. 20. R. Grossarth-Maticek, Selbstregulation, Autonomie und Gesundheit, Berlin/New York 2003. 21. Ebd. 30. Ebd. 22. 19 31. Deutscher Evangelischer Kirchentag 6. bis 10. Juni 2007 Unter der Standüberschrift „Beratung und Supervision in der Evangelischen Kirche und Diakonie“ präsentierten sich der Fachverband EKFuL und das EZI mit einem gemeinsamen Stand auf dem Evangelischen Kirchentag in Köln. Eingeladen zu einem Interview auf unserem roten Talk-Sofa kamen Bischof Dr. Huber, Präses Schneider und die MdB Rene Röspel und Kerstin Griese, Vorsitzendes des Familienausschusses und beantworteten unsere Fragen zur Bedeutung und Entwicklung Evangelischer Beratungsarbeit aus bundesund landeskirchlicher Perspektive und aus staatlicher Sicht. Thematisch ging es vor allem um Schwangerschaftskonfliktberatung und um Fragen des Lebens im Zusammenhang von Pränataldiagnostik und Stammzellenforschung. Beratung in einer seelsorglichen Kirche Interview am EKFuL/EZI-Stand, 31. Deutscher Ev. Kirchentag, Köln Dr. Wolfgang Huber, Bischof der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Ratsvorsitzender der EKD Frage: 50 Jahre war Beratungsarbeit eine besondere Ausformung der Seelsorge als Kerngeschäft der evangelischen Kirche. Ist der Abbau an Beratungsstellen eine Orientierung an anderen Kerngeschäften? Bischof Huber: In der kirchlichen Situation war es eine ungewöhnliche Chance, ein solches spezialisiertes Angebot der Seelsorge aufbauen und so lange aufrecht erhalten zu können. Ich bedaure den Abbau dieses Angebots, aber mit Umstrukturierungen muss die Kirche sich auf zukünftige, zu erwartende Entwicklungen einstellen. Ich warne aber davor, dass immer, wenn von Umstrukturierung geredet wird, werden. Die Menschen werden nicht wegen jedem Weh- gleich unterstellt wird, es solle eine kirchliche Kernaufgabe wehchen Therapeuten aufsuchen; sie wünschen sich, ganz- preisgegeben werden. Man muss vielmehr kreativ sein, um heitlich gesehen zu werden. Das muss dazu führen, dass die Probleme zu antizipieren, man muss alle Anstrengungen die seelsorgerliche Ausbildung der Pfarrer gestärkt wird. dazu verwenden, Kompetenzen aufrecht zu erhalten. Besonders bei der Ausbildung der Vikare wird begonnen, das Ich bin fest davon überzeugt, dass die Erwartungen der umzusetzen. Dazu sollte es Kompetenzzentren für Seelsorge Menschen an die Kirche als seelsorgerliche Kirche bleiben geben. 20 Frage: Pränataldiagnostik: Was denken Sie, wofür Beratung (DFG) forderte inzwischen erneut eine Aufhebung dieser wichtig ist? Regelung, weil die Grundlagenforschung nicht ausreichend gefördert wird. Ich bin ausdrücklich gegen eine solche gene- Bischof Huber: Für die evangelische Kirche gibt es hierbei relle Zulassung der Forschung mit embryonalen Stammzellen zwei Grundsätze. Schwangerschaft ist ein Lebensverhältnis, und für eine Aufrechterhaltung des Kompromisses von 2002. in das Männer und Frauen gleichermaßen einzubeziehen Die beste Lösung wäre der vollständige Verzicht auf die For- sind. Männer sind in die Pflicht zu nehmen, der bei ihnen schung an embryonalen Stammzellen. Wenn das nicht mög- verbreiteten Distanzierung muss auch die Beratung entge- lich ist, haben die Wissenschaftler den Beweis zu erbringen, genwirken. dass die derzeit zur Verfügung stehenden Stammzelllinien Man muss akzeptieren, dass es Situationen gibt, in denen für die Grundlagenforschung nicht ausreichen; dann müsste eine Schwangerschaft nicht aufrechterhalten werden kann. man über eine Verschiebung des Stichtags – aber keines- Aber Beratung und Begleitung von Männern und Frauen wegs über seine Aufhebung – diskutieren. Die Beweislast stehen immer im Dienst des Lebens. Ein Schwangerschafts- liegt hier eindeutig bei der DFG und nicht bei der Politik. Die abbruch muss, wo immer das möglich ist, verhindert werden Wissenschaft verspielt ihren Kredit in der politischen Diskus- und kann nur dann bejaht werden, wenn die Schwangere sion, wenn sie den ganzen Arm nehmen will, sobald man ihr sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht dazu imstande den kleinen Finger gereicht hat. sieht, die Schwangerschaft fortzusetzen. Die kirchlichen Beraterinnen und Berater werden das Leben grundsätzlich Frage: Was wünschen Sie sich für die Schwangerschaftskon- bejahen. fliktberatungen? Schwangerschaftskonfliktberatung ist auf jeden Fall der Frage: Wie sieht es aus mit Ihrer Position in der Diskussion bessere Begriff als Schwangerenberatung, weil nicht die um die Stammzellenforschung? Schwangere konflikthaft ist, sondern eventuell durch eine Schwangerschaft in einen Konflikt gerät. Den Beraterinnen Kein Sinneswandel! 2001 war meine Position, die vorrangige und Beratern wünsche ich, dass sie, so wie die Kolleginnen Forschung mit adulten Stammzellen zu fördern. Nur wenn vom Stand gegenüber (Ev. Schwangerschaftsberaterinnen die Wissenschaft plausibel nachweist, dass damit nicht im Rheinland, Anm. d. Redaktion), ihre Fröhlichkeit behalten ausreichend Grundlagenforschung durchzuführen ist, dann trotz der Lasten, die diese Aufgabe mit sich bringt. Ich fand wäre über Stichtagsregelungen nachzudenken. So ist es dann es so wohltuend, dies bei Ihnen zu spüren: ich wünsche allen 2002 geschehen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft Beraterinnen und Beratern Gottes Segen für Ihre Arbeit. Beratung muss es weiter geben Interview auf dem EKFuL/EZI-Stand, 31. Deutscher Ev. Kirchentag, Köln Kerstin Griese (MdB), Vorsitzende des Bundesausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Frage: Beratungsstellen sind seit 50 Jahren aktiv und helfen Menschen in Krisen. Nun sind sie aufgrund von Finanzierungen selbst in der Krise. Sind Beratungsstellen überflüssig? Beratungsstellen muss es weiter geben. Aus meinem eigenen Wahlkreis weiß ich, dass der Bedarf höher ist als das Angebot. In den Beratungsstellen gibt es Wartelisten. Beratungsangebote sollten sich mehr einbinden in vernetzte Angebote, um beispielsweise auch Familien aus bildungsfernen Schichten erreichen zu können. Frage: Bestimmte Gruppen oder Bereiche erhalten keine finanzierten Angebote wie Studierende, alte Menschen, Erkrankte. Denken Sie da über mögliche Lösungen nach? 21 Es kommt darauf an, wo eine Kommune ihre Priorität setzt. Frage: Wertekrisen in der Gesellschaft führten immer zu Ob ein neuer Kreisverkehr finanziert werden soll oder eine Beratungsangeboten der Politik. In den 20er Jahren entstand Kita oder eine Beratungsstelle. Investitionen in den sozialen so die Sexualberatung, nach dem Krieg die Paarberatung, Zusammenhalt einer Kommune sind ein Standortvorteil. dann die Erziehungsberatung und schließlich die Schwangerschaftskonfliktberatung. Die neue Krise ist die Machbarkeit Frage: Schwerpunkt Ihrer Arbeit sind auch Frauen und Män- von medizinischer Diagnostik, die Frage nach dem Anfang ner. Männer fühlen sich derzeit sehr benachteiligt. Die Rol- und dem Ende des Lebens. Wollen Sie als Politikerin da Ein- lenzuweisung passt nicht zu ihrer Sozialisation. Auch Hartz fluss nehmen und diese brisanten Themen transportieren? IV trägt dazu bei, dass Männer aus der Versorgerfunktion Als Kirchenbeauftragte der SPD-Fraktion diskutiere ich diese gedrängt werden. schwierigen ethischen Fragen regelmäßig mit den Kirchen. Auf der Tagesordnung des Bundestages stehen zurzeit In erster Linie hat sich die Rolle der Frau verändert. Sie will die Patientenverfügungen. Da es sich hier um eine echte und muss immer häufiger Beruf, Karriere, Kinder und Haus- Gewissensfrage handelt, muss jede und jeder Abgeordnete halt unter einen Hut bringen – mit allen Schwierigkeiten, die zu einer eigenen Entscheidung kommen. Noch sind viele diese vielfachen Anforderungen mit sich bringen. Die meis- Kolleginnen und Kollegen unentschieden. ten Männer sind längst noch nicht so weit. Selbst wenn sich durch die Elterngeldeinführung die Zahl der Väter verdoppelt, Frage: Was motiviert Sie, in diesem Bereich tätig zu sein? die Elternzeit in Anspruch nehmen: 90 Prozent der Männer sind von einer wirklich partnerschaftlichen Erziehung der ge- Alle Menschen sollten gleiche Chancen haben. Seit ich in der meinsamen Kinder noch weit entfernt. Nicht Hartz IV drängt evangelischen Jugend aktiv war, war dies für mich immer ein die Männer aus einer veralteten Versorgerfunktion. Sondern ganz wichtiges Ziel. In Deutschland sind die Bildungschancen es sind die selbstbewussten jungen Frauen, für die Erfolg im mehr als anderswo vom Geldbeutel der Eltern abhängig. Das Beruf eine Selbstverständlichkeit ist. ist nicht hinnehmbar. Dagegen kämpfe ich und das verbindet mein Engagement in der Evangelischen Kirche und in der sozialdemokratischen Politik. Kirche ist Freundin des Lebens Interview auf dem EKFuL/EZI-Stand, 31. Deutscher Ev. Kirchentag, Köln Nikolaus Schneider, Präses der Ev. Kirche im Rheinland Frage: Denken Sie, dass Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen in der evangelischen Kirche wichtig sind? Die Kirche braucht die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen unbedingt, da ungewollte Schwangerschaften eine Katastrophe sind. Die Kirche ist Freund des Lebens, und es ist wichtig, dass Leben bewahrt wird: das Leben der Mutter, des Vaters und das entstehende Leben. Und dies sollte nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Schwangerschaftskonfliktberatung kann nur sein an der Seite der Betroffenen mit den Betroffenen. Wir müssen die Bereitschaft aufbringen, lange Wege zu gehen, auch schwierige Wege zu gehen. 22 Frage: Der Druck auf die Paare, mithilfe von Pränataldiag- Gesellschaftsbereiche daran ein Interesse haben. Ich kann nostik und Präimplantationsdiagnostik das perfekte Kind zu mir keine Kirche vorstellen ohne Beratung und Seelsorge, produzieren, wächst. In dieser normativ-biografischen Krise denn die Kirchen und Gemeinden besitzen Kompetenz, die der betroffenen Menschen bekommen sie bei uns Beratung. grundsätzliche Menschenliebe Gottes weiter zu tragen und Die Menschen haben Angst davor, ein behindertes Kind auf die Perspektive zu bezeugen, dass das Leben stärker ist als die Welt zu bringen. Was denken Sie dazu? der Tod. Dies ist das Kerngeschäft der Kirche, und das ist auch besonders wichtig, gerade, wenn andere Möglichkeiten Die Frage, ein behindertes Kind auszutragen oder nicht, ist versagen. eine schwierige Frage. Ich habe Verständnis für Paare, die z. B. aufgrund erheblicher Vorbelastung oder des Alters wissen Frage: Die Beratungsstellen wandern zur Diakonie und wollen, ob eine Behinderung der Kinder vorliegt und Präna- müssen 100 Prozent refinanziert werden. Werden Sie sich tal- bzw. Präimplantationsdiagnostik in Anspruch nehmen. einsetzen für kirchliche Beratungsstellen? Wir selber haben zusammen vier Schwangerschaften erlebt und drei Kinder bekommen. Und haben uns nie darüber Wir wollen Kirche und Diakonie nicht gegeneinander aus- Gedanken gemacht. Wir haben uns gedacht, wir nehmen es, spielen. Beide haben einen Verkündigungsauftrag. Und 100 wie es kommt. Man muss genau abwägen, wo man Gott ins Prozent Refinanzierung einer Beratungsstelle kann es nicht Handwerk pfuscht – auch, wenn man vorher helfen kann, geben. wenn Pränataldiagnostik sinnvoll ist. Ich bin jedoch erschrocken, dass bei bestimmten Diagnosen, z. B. Down-Syndrom, das medizinische System, der Arzt mit der Diagnose gleich auch die Abtreibung empfiehlt. Hier gibt es gesetzlichen Nachsteuerungsbedarf. Da sollte Beratung zwischengeschaltet werden. Wie z. B. im Bonner Modellversuch. Beratungsinhalte sollten sein, was ein Leben mit einem behinderten Kind bedeutet. Auch fehlen einer Gesellschaft mit Designer-Babys, in der Krankheit nur als medizinisches Problem gesehen wird, wichtige Grunddimensionen des Lebens. Wenn eine Gesellschaft wichtige Grundsätze des Zusammenlebens preisgibt, ist das furchtbar. Frage: Sie sind hier auch am Stand des EZI. Was müssen die Berater/innen in der Ausbildung lernen? Die Berater/innen müssen großes Einfühlungsvermögen, Menschenliebe und gute Kenntnisse des Sozialrechtssystems besitzen. Es sollten Menschen sein, die gerne leben, Persönlichkeiten, die Lebensermutigung ausstrahlen. Frage: Vielleicht eine unangenehmere Frage: Die Kirche hatte immer als Kerngeschäft die Begleitung von Menschen in biografischen Krisen. Inzwischen ist das Thema Tod und Trauer von Bestattungsunternehmen und Heimen gemanagt. Ältere Menschen gehen zum Arzt oder Psychotherapeuten oder buchen ein Wellness-Paket. Hat sich die Kirche von ihrem Kerngeschäft verabschiedet, denn Beratungsstellen sind seit 50 Jahren eine besondere Ausprägung der kirchlichen Seelsorge? Ich sehe es nicht nur negativ, dass es säkuläre Formen dieses kirchlichen Kerngeschäfts gibt. Das zeigt, dass andere 23 Das PND-Beratungsnetz wächst. Erfahrungsberichte über die Zusammenarbeit bei der psychosozialen Beratung in Verbindung mit Pränataler Diagnostik. Das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und netzung mit den anderen, mit PND befassten Professionen Jugend beauftragte das EZI 2002 damit, ein Curriculum zur entwickelt hat. Weiterbildung in „Psychosozialer Beratung bei pränataler Wir stellen in diesem Heft die Beiträge von fünf Teilnehmerin- Diagnostik“ zu entwickeln und durchzuführen. Es sollte mög- nen des Curriculums vor, die bei unterschiedlichen Trägern lichst von einem interdisziplinären DozentInnenteam geleitet arbeiten (Diakonie, Donum Vitae, DRK, Gesundheitsamt) und werden und auch für TeilnehmerInnen aus unterschiedlichen in unterschiedlichen Regionen von Deutschland tätig sind. Disziplinen offen sein. Sabine Hufendiek Ziel des Curriculums sollte - neben dem Erwerb von Beratungskompetenz in diesem speziellen Fachgebiet - sein, die Erfahrungen verschiedenen, mit PND befassten Professionen zu einer Ich arbeite in Paderborn und in Lippstadt als Beraterin. besseren Zusammenarbeit anzuregen. Paderborn ist eine von der Katholischen Kirche geprägte, Seit 1995, als der Gesetzgeber das Schwangeren- und Fami- ländliche Stadt mit ca. 135.000 Einwohnern, Lippstadt hat ca. lienhilfeänderungsgesetz verabschiedete, sollen Schwange- 73.000 Einwohner. ren- und Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen Schwan- Voller Elan und positivem Tatendrang begann ich 2003 mit gere und ihre Familienangehörige in allen Fragen rund um der Vernetzungsarbeit einzelner mit PND befassten Berufs- Schwangerschaft und Geburt beraten. Das bedeutet auch, gruppen. Zunächst stellte ich das PND-Beratungsangebot dass Beratungsstellen die geeignete Anlaufstelle sind, wenn bei den niedergelassenen Gynäkologen mit Hinweis auf Frauen sich informieren wollen zu allen Fragen rund um das die Teilnahme an der zweijährigen Fortbildung PND am EZI Thema pränatale Diagnostik. schriftlich vor. Ich hatte einen Fragebogen zum Abfragen des In der Realität sieht es allerdings oft so aus, dass Frauen/ Interesses am Thema und zur Klärung einer Zusammenarbeit Paare dieses Beratungsangebot nicht kennen. dem Brief beigefügt. Die Rückmeldung und das Interesse AnsprechpartnerInnen für schwangere Frauen sind bei uns der Ärzte war sehr unterschiedlich. Einige antworteten gar zuallererst GynäkologInnen. Dass es darüberhinaus ein Ange- nicht, andere meldeten Interesse an, wieder andere waren bot für psychosoziale Beratung gibt, ist nicht bekannt. Selbst skeptisch. ÄrztInnen haben wenig Kenntnis davon oder verstehen das Da ich mich auch persönlich vorstellen wollte, besuchte ich Angebot als eine Konkurrenz zur ärztlichen Beratung. alle Frauenärzte. Die meisten Gynäkologen zeigten Interesse Im Juni 2003 startete das erste Curriculum „Psychosoziale am psychosozialen Beratungsangebot bei PND. Aber es Beratung bei pränataler Diagnostik“mit 25 Teilnehmenden. folgte zunächst so gut wie keine Überweisung einer ratsu- Es endete 2005. chenden Frau. (siehe Abschlußbericht des Curriculums; einzusehen auf der Internetseite des EZI unter Berichte). Nicht nur das Bekanntmachen des Beratungsangebots war Zwei Jahre nach Beendigung des ersten Durchgangs des Cur- mir wichtig, ganz entscheidend für mein Verständnis von PND riculums „Psychosoziale Beratung im Kontext von pränataler waren Hospitationen in den unterschiedlichen Bereichen. Diagnostik“, erbaten wir von einigen Teilnehmerinnen des Curriculums eine Rückmeldung über den Stand ihrer Arbeit. So habe ich als erstes in der PND-Abteilung im Lippstädter Vor allem waren wir interessiert zu hören, wie sich die Ver- Krankenhaus mehrmals hospitiert. Ultraschalluntersuchun- 24 gen, Nackenfaltenmessung etc. habe ich mit verfolgen Einen Arbeitskreis, bestehend aus allen mit PND befassten können. Das Vertrauen des Chefarztes in mich als Beraterin Berufsgruppen habe ich 2006 in Lippstadt gemeinsam mit wuchs langsam, aber stetig. Er schickte mir zunächst zöger- den Kolleginnen des SKF und der AWO gegründet. Es kamen lich Patientinnen zur Beratung. Seit etwa 2006 ist es für ihn Vertreter der Lebenshilfe, Gynäkologinnen, PND-Chefarzt, zum Standard geworden bei positivem Befund und medizini- Hebamme, Nerven- und Kinderarzt, Vertreterin der Lebens- scher Indikation Frauen/Paare in die Beratung zu schicken. hilfe. In 2007 ist ein weiterer Arbeitskreis geplant. Es ist schon viel erreicht, es gibt noch viel zu tun, um Frauen ein Durch den Kontakt zur PND-Abteilung des Krankenhauses plurales Angebot psychosozialer Beratung vor, während und hospitierte ich bei dem kooperierenden Humangenetiker in nach PND zu offerieren. Mein Tatendrang wird immer wieder Hannover. Ich konnte ein Beratungsgespräch verfolgen mit aktiviert. Die Thematik PND liegt mir sehr am Herzen. „ einem Paar, das ein Kind mit Down-Syndrom erwartetet. Ich fand immer mehr zu meiner eigenen Einstellung gegen- Birgit Kriedner Donum Vitae Beratungsstelle, Lippstadt u. Paderborn über den ethischen Fragen bei PND; durch die Anregungen im Kurs in Berlin und durch Hospitationen in Behinderteneinrichtungen. Ich war in der Frühförderstelle der Caritas (Ar- Ich möchte rückmelden, dass die Einbindung der psychoso- beitskreis Selbsthilfekreis Mütter mit Down-Kindern), bei der zialen Beratung bei PND in der Vernetzung mit den einschlä- Lebenshilfe (Besuch und Gespräch zuhause bei einer Mutter gigen ÄrztInnen und anderem Fachpersonal in Köln gute mit einem Spina-bifida-Kind. Sie hatte sich bewusst für das Fortschritte macht. Kind entschieden), in der Blindenschule (dreimal) in Pader- Ein Arbeitskreis „PND“ existiert seit ca. 6 Jahren, aber wir born, wo schwerst mehrfach behinderte Kinder beschult psychosoziale Beraterinnen der Schwangerenberatungs- werden. Das waren meine eindrucksvollsten Hospitationen. stellen blieben gemeinsam mit einer Humangenetikerin lange unter uns. Ein weiterer Humangenetiker kam vor ca. Hospitationen halte ich für außerordentlich wichtig, wenn 1 1/2 Jahren hinzu, selten kommt eine niedergelassene man im PND-Bereich arbeiten möchte. Denn dadurch wird Gynäkologin in den Kreis. Gemeinsam haben wir uns über man sensibilisiert und gerät in eine stärkere eigene Aus- eine offizielle Gründung eines Qualitätszirkels informiert einandersetzung mit der Thematik. Ich habe mich durch (wegen des Anreizes der Fortbildungspunkte) und auch über Hospitationen mit der ethischen Frage und der Schuldfrage die Inhalte nach Vorbild des Heidelberger Modells. Das war beschäftigt. Hospitationen haben daneben noch einen aber zu hoch angesetzt und passte nicht zu unserer Grup- ganz anderen pragmatischen Zweck: Man macht sich als penzusammenarbeit. Vor ca. 1 Jahr hat sich der PND-Arzt Beraterin bekannt und knüpft Kontakte zu den einzelnen der Uni-Klinik im Arbeitskreis PND vorgestellt und seinen Einrichtungen. Wunsch nach Zusammenarbeit erklärt. Die Aufbauarbeit in Paderborn habe ich gerade erst begon- Vor einigen Monaten konnten wir eine niedergelassene nen. Hier ist für mich erschwerend, dass die Kollegin des Hebamme, mit der ich bei einer dramatischen Betreuung SKF den Schwerpunkt PND-Beratung seit einigen Jahre inne zusammengearbeitet hatte, zur Mitarbeit im Arbeitskreis hat. Die Kollegin möchte diesen Schwerpunkt als einzige gewinnen. Beraterin in Paderborn inne haben. Aber ich habe mich jetzt Sie ist Stellvertreterin für das Kölner Hebammennetzwerk, entschlossen, auch in Paderborn Beratung anzubieten. Ein wodurch wir uns eine vertiefte Zusammenarbeit mit ihren erster Besuch bei einem Pränataldiagnostiker mit Degum Hebammen-Kolleginnen erhoffen. II-Qualifikation war erfolgreich: er überwies eine junge Frau Zum nächsten Treffen kommen die katholischen und evange- an mich mit Diagnose Down-Syndrom. lischen Uni-Klinik- Seelsorgerinnen in den Arbeitskreis PND. Am schwierigsten war es, einen Psychiater/Psychologen zu Ich möchte abschließend sagen, dass es eine mühselige, finden, der auch bereit ist, Gutachten zu schreiben. Aber nicht selten frustrierende Arbeit ist, Ärzten klarzumachen, auch das ist letztlich gelungen. wie wichtig die psychosoziale Beratung bei PND ist. Als Be- Neueste Entwicklung: im PND Bereich hat sich einer „unse- raterin habe ich das Gefühl, durch „gute“ Beratung den Arzt rer“ Humangenetiker im Arbeitskreis mit einem Laborarzt von meiner Arbeit überzeugen zu müssen. Um Beratung zu und der Uni-Klinik als sogenanntes Kompetenznetz „gestylt“ leisten, ist eine immer wiederkehrende Auseinandersetzung zusammen getan. Sie werben mit einer Rundumversorgung mit dem Thema PND unerlässlich. inklusive der Einbindung der psychosozialen Beratung als Qualitätsmerkmal bei den niedergelassenen GynäkologIn- Fachtagungen, Workshops, Fortbildungen besuchte ich. nen. 25 Die Verabredung mit dem Kompetenznetz beinhaltet, dass sichere Wertschätzung der Professionen, sowie eine selbst- die beteiligten ÄrztInnen direkt bei einer psychosozialen Be- verständlichere Zusammenarbeit nach sich ziehen. raterin einen Termin für die Patientinnen/Paare ausmachen. Weitere Themen sind schon seit der Fortbildung im EZI für Ich merke, dass unser Selbstbewußtsein als psychosozialen mich die Arbeitsbedingungen für Sozialpädagoginnen, die BeraterInnen wächst und das wirkt zurück auf die ÄrztIn- diese Beratung anbieten. Hier muss noch viel getan werden nen. von Seiten der staatlichen Geldgeber, um Rahmenbedingun- Hilde Jürgens, gen zu schaffen. Gesundheitsamt der Stadt Köln Die Zeit für Vernetzungsarbeit, Zeit für PND-Beratungsarbeit und Zeit für Dokumentation und beständige Weiterbildung sind nötig. Unterstützend und förderlich für den Aufbau einer Vernetzung oder für die Verbesserung der Kooperation mit Gynä- Erfreulicher Weise gibt es viel zu tun im Zusammenhang kologen und Pränataldiagnostikern waren auch die Projekte mit PND; sowohl Beratungen als auch konzeptionelle Über- der letzten Jahre. Vor allem wenn Bundesorganisationen legungen und Veranstaltungen in der Öffentlichkeit, um wie die BzGA dahinter stehen, lassen sich unterschiedliche auf diesen Schwerpunktbereich der Schwangerenberatung Disziplinen leichter zu einer Vernetzung, einem interprofes- hinzuweisen. sionellen Qualitätszirkel bewegen. Meine Erfahrungen in Bezug auf interdisziplinäre/interpro- Spannend wird die Implementierung nach der Modellphase. fessionelle Vernetzung habe ich nach Abschluss der EZI- Im Projekt in Bayern haben wir alle Supervision und doch gibt Fortbildung erweitert durch das Modellprojekt IQZ als Mode- es für mich als Projektleitung immer wieder Situationen, die ratorin sowie als Projektleiterin des DONUM VITAE Projektes mich sehr herausfordern. in Bayern „Unter anderen Umständen schwanger“. Gerne möchte ich den Kontakt zum EZI behalten, da dort Aus meiner Sicht als psychosozialer Beraterin geht es vor- meine PND-Wurzeln gewachsen sind. wärts, sowohl vor Ort als auch im Bundesgebiet; aber überall in sehr kleinen Schritten. Sozialpädagoginnen, Beraterinnen leisten intensive Aufklä- Rita Klügel, Donum Vitae Beratungsstelle in Augsburg rungs- und Informationsarbeit bei den MedizinerInnen über die Aufgabenbereiche einer staatlich anerkannten Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen (im Bundesgebiet Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen oder integrierte Beratungsstellen). Sie informieren über die psychosoziale Zwei Jahre sind nun seit Abschluß der Fortbildung zur psy- Beratung im Kontext von PND, damit überhaupt ein interpro- chosozialen Beratung im Kontext von PND vergangen. fessioneller Kontakt entstehen kann. Diese zeitaufwendige Das Netzwerk, dass während der Fortbildung geknüpft Arbeit kann nicht überall geleistet werden, ohne das andere wurde, besteht. Willkommen geheißen wird mein Beratungs- wichtige Inhalte zu kurz kommen. angebot bei allen, die mit behinderten Menschen arbeiten: Bei MedizinerInnen ist trotz der inzwischen weit verbreiteten die offenen Hilfen, die Frühförderstelle, der Leiter der Diskussion zum Thema Beratung im Kontext von PND immer Behinderteneinrichtungen „Sonnenhof“, sie unterstützen noch wenig Interesse an Zusammenarbeit vorhanden. und wertschätzen meine Arbeit. Mehrfach haben wir bei Hospitationen der Beraterinnen in der Medizin tragen viel der Durchführung öffentlicher Veranstaltungen zur PND ko- zum gegenseitigen Kennen lernen bei, ziehen aber nicht operiert: Filmvorführungen mit Diskussion, Vortrag zur Ethik immer dauerhafte Kooperation der Professionen nach sich. mit Christiane Kohler-Weiss, Podiumsdiskussionen unter Bei den SozialpädgogInnen in Bayern bemerke ich, dass die verschiedenen Berufsgruppen. Bereitschaft sich durch Fortbildungen für die PND-Beratung Auch bei den Hebammen wird stets die Wichtigkeit einer zu qualifizieren, zunimmt. psychosozialen Beratung betont. Immer wieder bekomme Ohne die EZI-Fortbildung - sicher spielt auch meine Grund- ich Beratungsanfragen aufgrund der Vermittlung einer Heb- motivation eine große Rolle - wären viele meiner Aktivitäten amme. nicht möglich gewesen, wäre auch das Bayernprojekt nicht Bei den „Hebammentagen“ im Juni dieses Jahres vertrat ich in dieser Weise auf den Weg gebracht worden. die Stimme der psychosozialen Beratung auf dem Podium Eine „zertifizierte“, auch von der Ärztekammer anerkannte zum Thema „hoffentlich gesund - und wenn nicht?“. Vernet- Weiterbildung für SozialpädagogInnen und BeraterInnen zung wurde dort gefordert, zahlreiche Stimmen aus dem rund um die PND, könnte eine Grundlage für verstärkte und Publikum berichteten, daß sie eine psychosoziale Beratung 26 vermisst hätten und eine Frau berichtete mit Baby auf dem Leider werden bisher noch zu wenig Frauen bei negativem Arm, daß Beratung (bei mir) für sie hilfreich gewesen sei. Befund ermutigt, zu einem Gespräch in die Beratungsstelle Im Diakoniekrankenhaus konnte ich beim Ultraschall (DEGUM- zu gehen, um für sich Hilfe bei der Stufe 3) hospitieren, der Professor fand mein Interesse an Entscheidungsfindung in Anspruch zu nehmen. der Thematik bemerkenswert. Von dort kamen bisher keine Dass psychosoziale Beratung den Frauen/Paaren helfen betroffenen Eltern in meine Beratung. Er handelt im Auftrag kann, eine für sich tragfähige Entscheidung zu treffen, wird der niedergelassenen Kollegen, antwortete er auf meine von ärztlicher Seite noch nicht gesehen. Frage nach Überweisungen. Diese wissen von meinem Bera- Es ist noch ein langer Weg, bis eine befriedigende interdiszi- tungsangebot. Im Herbst 2006 konnte ich es noch einmal im plinäre Arbeit zu Stande kommt. Qualitätszirkel der Gynäkologen vorstellen, die Rückmeldung Frauen in Notsituationen fanden zu mir den Weg durch die war, es ist dort bekannt, Diskussionsbedarf bestand nicht. Sozialarbeiterin des Krankenhauses oder durch Veröffentli- Warum kommen die Beratungskontakte so selten zustande? chungen in der Presse. Diese Frage kann ich noch immer nicht loslassen. In der Es sind zum Beispiel Frauen, die ihr Kind tot geboren oder Fortbildung habe ich erfahren, wie wichtig es ist, sich mit früh verloren haben. Widerständen auseinanderzusetzen, Widerständen, die Durch diese Frauen wurde ich angeregt, ein offenes Grup- unlösbaren Entscheidungskonflikte, die unerträglichen Emo- penangebot für Frauen, die ihr Kind tot geboren oder früh tionen, zu spüren und auszuhalten. Das ist für Beraterinnen verloren haben, zu gründen. ebenso schwer wie für andere Berufsgruppen, am schwers- Diese Gruppe trifft sich monatlich in der Schwangerschafts- ten für die betroffenen Paare. Ich erlebe auch dieses, dass beratungsstelle. Am Eltern sich dem nicht stellen können, daß sie das Angebot 19. Mai 2005 war das erste Treffen. zum Gespräch nicht annehmen. Zur Gruppe gehören 7 Frauen. Die Frauen haben hier einen Manche ermutigende Erfahrungen konnte ich machen, aber Ort gefunden über ihre Gefühle, Sorgen und Nöte zu reden. ebensoviele, die mich zur Bescheidenheit in meinen Erwar- Aber auch über das, was ihnen gut gelingt, sie bestärkt tungen führen. Den langen Atem für diese Arbeit werde ich und glücklich macht. Es gibt kein festes Programm in dieser aber nicht aufgeben. Gruppe. Ursula Falcke Diakonieverband Schwäbisch Hall Meinen theoretisch praktischen Hintergrund bildet meine Ausbildung in psychosozialer Beratung bei pränataler Diagnostik am EZI. Als Moderatorin der Gruppe ist meine Aufgabe, jeweils aufzunehmen, was die Frauen zu den Treffen mitbringen. Sie Die Beratung zur Pränatalen Diagnostik hat ihren festen Platz haben eine Menge Belastendes im Gepäck. in der Beratungsarbeit der Schwangerschaftsberatungsstelle Unser soziales und gesellschaftliches Umfeld in dem häufig in Weißensee. nicht getrauert wird und wesentliche Dinge des Lebens selten Schwangere fragen nach. Sie möchten etwas wissen über zum Thema gemacht werden, verursacht, dass die Frauen die Untersuchungen, deren Notwendigkeit, den Aussage- einen speziellen, geschützten Ort brauchen. Es ist gut, dass wert und die Kosten. die Beratungsstelle ihnen so einen Ort anbieten kann. Sehr hilfreich bei diesen Gesprächen lässt sich die Broschüre Pränataldiagnostik von der BZgA nutzen. Bei diesen Gesprächen wird deutlich, das die Frauen/Paare schon vor der Geburt viel über ihr Kind wissen wollen. Der legitime Wunsch nach einem gesunden Kind und die Hoffnung dies durch die Untersuchungen bestätigt zu bekommen, steht dabei an erster Stelle. Gedanken was wäre wenn die Hoffnungen nicht erfüllt würden? kommen den Frauen meist erst durch Nachfragen von Seiten der BeraterIn. Zu den Praxen, die den feindiagnostischen Ultraschall durchführen, bestehen telefonische und persönliche Kontakte. Diese sind von großer Wichtigkeit. Auch zu den Kliniken, die die Frauen weiter betreuen, gibt es Kontakte. Erika Laue DRK Beratungsstelle, Weißensee, Thüringen 27 Dr. Ruth Gnirss-Bormet Keine Zeit zu Zweit, keine Lust auf Lust - Sexualität und Partnerschaft nach der Geburt „Jedes Geschenk war ein großes Wunder, dass man etwas bekam, bedeutete, dass einer da war, der einen mochte.“ Astrid Lindgren: Rasmus und der Landstreicher Foto: Nora von der Decken www.nora-von-der-decken.de In einer Untersuchung der Universitätsklinik Bonn1 wurden Frauen nach ihrer Sexualität sechs Monate nach der Geburt befragt. Die Ergebnisse sind so beeindruckend, dass sie hier vorgestellt werden sollen. • Jede zweite Frau berichtete von einer Verschlechterung geht oft mit Trockenheit und vermehrter Verletzbarkeit der ihrer Sexualität. Scheide einher, dies kann Ursache sein für die Schmerzen • 40% der Frauen berichteten über sexuelle Lustlosigkeit. beim Verkehr. • Jede dritte Frau hatte Schmerzen beim Verkehr und Erstmals wurde untersucht, ob die Frauen schon vor der klagte über mangelnde sexuelle Befriedigung. Schwangerschaft sexuelle Probleme hatten. Erstaunlicher- Stillende Frauen waren am häufigsten betroffen: sie weise gaben nur 5% der Frauen an, diese Probleme schon klagten u.a. über Lustlosigkeit und Schmerzen beim vor der Geburt gekannt zu haben. Verkehr. Ein weiteres Ergebnis: Die Frauen mit der Verschlechterung • ihrer Sexualität erlebten sich auch psychisch stärker belastet, Als Gründe für diese Veränderung der Sexualität werden sie fühlten sich sozial unsicherer, depressiver und gereizter. u.a. der hohe lustmindernde Prolaktin-Spiegel sowie der geringere Östrogen-Spiegel und die größere Müdigkeit wäh- Sexuelle Probleme nach der Geburt sind somit keine rend des Stillens vermutet. Ein niedriger Östrogen-Spiegel Seltenheit, sondern finden sich bei jeder zweiten Frau - 28 und verdienen deshalb Beachtung - zumal sie sonst schnell es schlafe nie durch. Sie komme kaum mal in Ruhe zum chronisch werden können. Arbeiten. Immer habe sie das Kind im Schlepptau. Sie be- Aus der Sexualberatung ist auch der folgende Zusammen- neidet ihren Mann um seine Autonomie, um sein Studium. hang bekannt: Einerseits wirkt sich psychische Belastung Sie sei immer daheim. Sie fühle sich oft wie eingesperrt. Ihr bei Frauen häufig sexuell dämpfend aus, andererseits wirkt Mann habe mehr Freiheit und verstehe nicht, was sie so sich die gestörte Sexualität als Stressor für die Frauen aus, unglücklich mache. vor allem, wenn der Partner dafür kein Verständnis zeigt und Sexualität einfordert. Nach meinen Erfahrungen besteht hier ein großer Bedarf an Aus meiner Sicht ist die Patientin in einer Situation, in der sie kompetenter Beratung, damit die Sexualität vorübergehend sich überlastet und überfordert fühlt und die der Situation für die Frau in den Hintergrund treten kann, ohne dass sich ihrer Mutter bei ihrer Geburt viel ähnlicher ist, als sie es je daraus ein schwerwiegendes sexuelles Problem und eine erwartet hätte. Sie hatte vor der jetzigen Geburt zwei Fehl- ernste Krise in der Beziehung entwickelt. geburten, was die Sexualität in den letzten Jahren ohnehin Hier ist Beratung, Information und Prävention nötig und schon belastete. Sie muss das für sie schwierige Geburtser- sinnvoll. lebnis körperlich und seelisch noch verarbeiten. Außerdem hat sie eine große Angst vor Trennungen. Sie möchte ihrem Ein Beispiel aus meiner Praxis, an dem sich typische Kind die eigene Erfahrung von Verlassenheit und Alleinsein Konflikte verdeutlichen lassen: ersparen und es vor allem besser betreuen, als sie selbst be- Eine 28 Jahre alte Frau hat nach zwei Fehlgeburten vor sechs Monaten eine gesunde Tochter geboren. Die Geburt sei relativ schnell gegangen, allerdings habe sie große Angst vor einer nächsten Geburt. Sie habe die Trennung von ihrem Kind ganz schwierig erlebt. Sie habe einen großen Schrecken empfunden, dass ihr Baby plötzlich draußen war und nicht mehr in ihr drinnen. Dieser Schock stecke ihr immer noch in den Gliedern. Sie sucht die Gynäkologin auf, weil seit der Geburt Schmerzen aufgetreten sind, die den Geschlechtsverkehr unmöglich machen. Etwa sechs Wochen nach der Geburt hatten sie und ihr Mann wieder probiert, miteinander zu schlafen. Sie habe ihren Mann nicht so lange warten lassen wollen. Seither habe sie es noch ab und zu probiert, doch unverändert bestehen Schmerzen und das Gefühl, „zu eng“ zu sein. Zu ihrem körperlichen Befinden befragt, erzählt sie, dass sie entsetzlich müde ist und vom Herumtragen ihres Kindes oft Rückenschmerzen hat. Sie stillt ihre Tochter noch voll, um sie so möglichst gut vor dem Auftreten allergischer Erkrankungen zu schützen, die in der Familie bekannt sind. Seit der Geburt haben sie und ihr Mann nie durchgeschlafen. Zu ihrer Lebensgeschichte erzählt die Patientin, dass ihre Mutter schon früh wieder habe arbeiten gehen müssen und dass sie bereits im Alter von drei Monaten fremdbetreut wurde, denn die Mutter habe für sie nie viel Zeit gehabt. Ihre jetzige Lebenssituation beschreibt sie so: Ihr Mann und sie sind finanziell sehr unter Druck, da ihr Mann noch studiert. Insgesamt findet sie die Situation viel anstrengender, als sie es erwartet hatte. Zwar sei ihr Kind gesund, aber treut wurde und ihm mehr geben, als sie selbst bekommen hat. An ihrem Wohnort hat sie kein soziales Netzwerk. Sie muss recht schnell wieder Geld verdienen - als selbständige Schneiderin kann sie allerdings zu Hause arbeiten. Sie erwartet jegliche Unterstützung durch den Vater ihres Kindes, der vermutlich ebenfalls sehr belastet ist. Offenbar erfährt sie kaum Hilfe durch ihre Mutter. Sie hat auch keine Unterstützung durch Freundinnen, die ihr das Kind zumindest gelegentlich einmal abnehmen würden. Sie fühlt ihre Bedürftigkeit deutlich: Sie bräuchte dringend Zuwendung, Unterstützung, Anerkennung und Geborgenheit und ist enorm irritiert, wenn ihr Mann sie gelegentlich allein lässt, um Studienkollegen zu besuchen. Sie empfindet dann ihre Isolation noch deutlicher. Sie spürt, dass sie manchmal Zeit für sich bräuchte, weiß aber nicht, wie das zu organisieren sein könnte, wenn nicht ihr Mann das Baby nimmt, und mag ihn oft nicht danach fragen. Sie hat vielleicht Angst, dass ihr Mann sie ebenso verlässt wie ihr Vater die Mutter. Vielleicht teilt sie die Ansicht ihrer Mutter, dass Männer gehen, wenn man sich nicht genug um sie kümmert. Sie möchte sexuell schnell wieder „gut funktionieren“, eine gute Geliebte sein, um die befürchtete Entfremdung und das Verlassenwerden abzuwenden. Gleichzeitig sind ihre Bedürfnisse nach Unterstützung und Erholung nicht ausreichend befriedigt, was sie mit Groll erfüllt. Ihr fehlt das, was der bekannte Säuglingsforscher Daniel Stern2 als eine absolute psychologische Notwendigkeit für jede Mutter beschreibt: Eine bestätigende, Halt, Unterstützung und Anerkennung gebende Umwelt. Er nennt dies die unterstützende Matrix. 29 Traditionelle Gesellschaften geben im Wissen um die Wich- In unserer Gesellschaft sind viele junge Eltern nach den tigkeit von Kindern und Kindererziehung einem Elternpaar Antrittsbesuchen der Familie im Krankenhaus völlig auf sich bereits während der Schwangerschaft, aber erst recht nach alleine gestellt. Im Folgenden werde ich die Situation von der Geburt, viel direkte persönliche Unterstützung und Paaren beschreiben, die Eltern geworden sind und zusam- Anerkennung. So werden häufig Speisen und Leckereien menleben. Die Situation alleinerziehender junger Mütter ist zum Besuch mitgebracht, der Vater muss für einige Wochen in psychologischer wie auch wirtschaftlicher Hinsicht oft nicht mit auf die Jagd oder zur Feldarbeit gehen, die Frau noch viel schwieriger. wird von der Hebamme regelmäßig massiert und vor allem Die Leistung der jungen Eltern für die Gesellschaft wird nicht weibliche Familienangehörige unterstützen bei der Pflege direkt beantwortet, belohnt und unterstützt. und Betreuung des Säuglings. Die Situation junger Mütter Viele Frauen vermissen in ihrem direkten Umfeld jemanden, Viele Mütter sind unsicher, ob sie gut genug für ihr Kind sor- der sich mit ihnen am Gedeihen ihres Babys freut, sie ver- gen können, weil ihnen, wie Stern schreibt, diese erfahrenen missen, ihr Baby stolz zeigen zu können - bei Festen in der Mütter in der Umgebung fehlen, weil ihnen die bestätigende Familie, beim Marktbesuch - wie es in traditionelleren Kul- mütterliche Matrix, fehlt. Außerdem sind Eltern heute viel turen durchaus noch üblich ist. Der Besuch im Supermarkt weniger auf das Elternsein vorbereitet als jede Generation - wo schreiende Babys kaum gerne gesehen werden - kann vor ihnen - sie hatten weniger Möglichkeiten im persönlichen diese öffentliche Anteilnahme nicht ersetzen. Umfeld, bei jüngeren Geschwistern, Nichten und Neffen den Sie vermissen in ihrem Umfeld eine erfahrene, ihnen zuge- praktischen Umgang mit Säuglingen zu beobachten und un- wandte Mutter, die auch einen aufmerksamen und liebevol- ter Anleitung zu üben - weil es weniger Kinder in den Familien len Blick auf das Baby wirft. Und die mit ihrer mütterlichen gibt, weil man oft weit voneinander entfernt wohnt und weil Kompetenz Sicherheit und Bestätigung geben kann, dass man vor der Geburt durch die Berufstätigkeit zu sehr be- sie als junge Mutter ausreichend gut sind - wie Winnicott es schäftigt war. Viele junge Frauen und Männer hatten vor der ausdrückte - eine „good enough mother“ sind. Geburt ihres eigenen Kindes noch nie ein Baby auf dem Arm - eine Tatsache, die vielleicht mitverantwortlich dafür ist, dass so große Bedenken bestehen, das Wagnis der Elternschaft einzugehen. Dies verstärkt die Angst, den Zustand des eigenen Kindes nicht gut genug beurteilen zu können, außerdem fehlt auch Erfahrung und Wissen, was man bei kleineren Störungen der Befindlichkeit des Kindes tun kann - wie es früher oft durch Miterleben und Mittun in der Familie erworben wurde. Häufige Besuche beim Kinderarzt können die Folge sein. Dort aber wird aufgrund von Zeitmangel und VerFoto: Nora von der Decken www.nora-von-der-decken.de ständnisschwierigkeiten 30 auf diese Ängste oft nur unzureichend eingegangen. Bezugsrahmen heraus. Es ist selten üblich, mit dem Baby am Die Hochkonjunktur der Ratgeberliteratur lässt das Ausmaß bisherigen Arbeitsort eingeladen zu werden, um die Geburt der Verunsicherung deutlich werden. gemeinsam zu feiern - wenn es passiert, ist dies oft ein freudiges Ereignis, an das sich Mütter ein Leben lang erinnern. Viele Frauen verlieren mit dem Mutterwerden den Kontakt Viele Frauen bedrückt bereits jetzt die Frage, ob sie den zu ihrem bisherigen Bekanntenkreis und zu ihren Arbeitskol- Wiedereinstieg nach der Elternzeit bewältigen werden und legen, sie fallen mit der Geburt aus dem bisherigen sozialen ob es ihnen ausreichend gut gelingt, Beruf und Muttersein zu vereinbaren. Die Situation junger Väter - auch Väter brauchen eine Lobby! Die Leistungen des Vaters für die Familie werden eben- können, weil ihre berufliche und wirtschaftliche Situation falls noch nicht genügend gewürdigt. ihnen kaum Freiheiten lässt, z.B. Teilzeit zu arbeiten. Viele Auch junge Väter brauchen Anerkennung, Rat, Unterstützung junge Väter würden gerne mehr mit ihrem Baby machen. und Trost - auch von erfahrenen Vätern, die für ihre neue Situation Verständnis haben. Mit der Geburt fühlen sie sich Zitat aus einer Beratung: stärker verantwortlich, für die Familie zu sorgen. Sie machen „Ich hab das Gefühl, wir haben mit dem Umzug hierher eine sich - zu recht - mehr Sorgen als bisher, ob das Geld reicht, völlig falsche Entscheidung getroffen. Einvernehmlich haben ob sie eine Arbeit haben, ob die Stelle sicher ist. wir entschieden, dass ich eine anspruchsvolle Stelle hier an Viele Männer arbeiten deshalb nach der Geburt länger als der Universität annehme, weil wir uns langfristig bessere vorher - haben zu Hause aber weniger Zeit sich zu erholen. Perspektiven davon versprachen. Nun hat meine Frau hier Sie beneiden manchmal ihre Partnerin um die Möglichkeit, keine Freundinnen, findet keinen Job, ihre Eltern sind weit mehr zu Hause und mit dem Baby zusammen zu sein. Au- weg, sie hat Heimweh. Ich komm abends total erledigt nach ßerdem spüren sie vielleicht, wie schwierig die Situation für Hause, vermisse meine früheren Kollegen, kämpfe am neuen ihre Partnerin ist, spüren vielleicht auch, wie sie selbst um Arbeitsplatz um Anerkennung, habe viel Ärger. Abends sind das Privileg beneidet werden, arbeiten gehen zu können und wir oft nur noch kaputt, gereizt. Keiner hat noch die Kraft, Karriere zu machen - ohne daran wirklich etwas ändern zu dem andern zuzuhören. Und dann schreit mit Sicherheit noch unser Sohn los - den mir meine Frau dann auf den Arm drückt - weil sie ihn ja schon den ganzen Tag um sich hatte. Auch Väter brauchen eine Lobby!“ Häufig geht es gar nicht um Sexualität, wenn Männer nach der Geburt auf eine sexuelle Zurückweisung heftig reagieren. In der ungewohnten Dreiersituation können Gefühle von Zurückgesetzt sein aus der eigenen Kindheit aktiviert werden. Väter vermissen die Anerkennung für all das, was sie für die Familie tun. Manche Männer fürchten um ihren Platz in der neuen Familie, sie Foto: Nora von der Decken www.nora-von-der-decken.de fühlen sich draußen, den- 31 ken, ihre Bedürfnisse seien vielleicht nur noch lästig und sie hätten die Liebe der Frau an das Kind verloren. Wenn der Vater das Baby als Konkurrenz sieht und mit ihm um die Aufmerksamkeit der Frau zu kämpfen beginnt, erfährt er von ihr keineswegs die ersehnten Reaktionen wie Zuwendung und Bestätigung, sondern sieht sich mit einer wütenden, grollenden und in aller Regel erst recht lustlosen Frau konfrontiert. Und wenn es in dieser Zeit zu gegenseitigen Enttäuschungen kommt, bestimmt dies oft den ganzen weiteren Verlauf der Partnerschaft. Das ganze System Vater, Mutter und Kind, die isolierte Kleinfamilie, ist ohne Unterstützung von außen häufig strukturell und emotional überlastet. Dies zeigt sich auch in den häufigen sexuellen Problemen, die viele Frauen, im geringeren Umfang auch Männer, nach der Geburt ihres Kindes erleben. Ein vorübergehendes sexuelles Desinteresse ist vielleicht - wie Stern in seinem Buch bemerkt - im Sinne des Babys und seiner Betreuung durchaus sinnvoll. Vor der Empfängnisverhütung mit der Pille wurde zur Vermeidung einer frühen erneuten Schwangerschaft häufig längere Zeit Abstinenz praktiziert. In einigen traditionellen Gesellschaften gab es dazu klare Regeln: es wurde so lange auf sexuellen Verkehr verzichtet, bis das Kind sich beim Nachbarn eine Mahlzeit organisieren konnte - also von der dauernden Pflege der Eltern unabhängig war. Das Kind ist Foto: Nora von der Decken www.nora-von-der-decken.de dazu vielleicht im Alter von zwei Jahren in der Lage. Die Aufgaben in der Beratung liegen auf der Hand, denn Für uns heute ist das eine schwierige Vorstellung. Die die Notwendigkeit einer unterstützenden mütterlichen Angst vor Trennungen ist so präsent, dass man sich solche Matrix für junge Eltern ist evident. sexuellen Durststrecken in der Beziehung kaum vorstellen Information ist wichtig: kann. Die Verfügbarkeit der Pille lässt Karenzzeiten bezüglich Vielen jungen Eltern hilft es, wenn sie verstehen, dass ihnen Sexualität weniger notwendig erscheinen. Und in unserer diese direkte „warme“ Unterstützung durch die Gemein- modernen Gesellschaft leben wir kaum noch mit den Prin- schaft mehr fehlt als den Generationen vor ihnen. zipien der Vorratswirtschaft. Ein Vater und Paartherapeut Die amerikanische Soziologin Arlie Hochschild unterscheidet wünschte jungen Paaren, dass sie eine Speckschwarte zur in diesem Zusammenhang zwischen „warmer“ und „kal- Verfügung hätten, eine Speckschwarte an Liebe, aus den ter“ Betreuung. Sie weist darauf hin, dass in einer „kalten“ guten Zeiten vor der Geburt des ersten Kindes, von der sie Betreuung der Versuch unternommen wird, gesellschaft- dann im ersten Jahr erst mal zehren könnten. Ein für uns liche Bedürfnisse nach Unterstützung, z.B. bei der Kinder- ungewohntes Bild - es gibt kaum mehr Kammern im Haus, betreuung und bei der Fürsorge für Kranke und Alte, durch wo Vorräte aufbewahrt werden können. die Bereitstellung finanzieller Mittel sowie durch perfekte, institutionelle, professionelle Organisationsstrukturen zu Durch die unrealistische Erwartung, dass Sexualität bereits beantworten. Eine „warme“ Betreuung - z. B. innerhalb der kurz nach der Geburt wieder möglich ist wie zuvor, und den Familie bzw. innerhalb des sozialen Netzwerks, hat darüber Druck, sie deshalb auch gefälligst zu praktizieren, durch die hinaus andere Qualitäten: In der Kinderbetreuung gilt es, das fehlende unterstützende Matrix, die mangelhafte direkte per- Recht der Kinder nach spontaner Reaktion, Zuwendung und sönliche Unterstützung des Paares entwickeln sich aus der Aufmerksamkeit durch einzelne bedeutsame Erwachsene seelischen Not und Überforderung der jungen Eltern heute oft auf Dauer zu beachten, was in Institutionen nur in seltenen ernstere Störungen, die Gefahr laufen, chronisch zu werden. Fällen möglich ist. 32 Es macht einen Unterschied, Hilfe, Zuwendung und Unter- abzustimmen und das nicht immer nur in die Verantwortung stützung durch einen Menschen zu bekommen, der uns der einzelnen Mütter und Väter zu geben. kennt und liebt und der spontan handelt, weil er ein Bedürfnis Wir können den Müttern und Vätern Anerkennung zeigen von uns erkennt und beantwortet. Eine von einem solchen und aussprechen für alles, was trotz widriger Umstände gut Menschen gekochte Suppe hat einen anderen Geschmack gelingt: die Kinderbetreuung, das Stillen, das Arbeiten trotz und macht uns anders satt als eine Suppe, die von „Essen Schlafmangel. auf Rädern“ vorbei gebracht wird. Wenn wir mit dem Paar Verständnis entwickeln für die Astrid Lindgren gebraucht für solche mit Liebe gekochten schwierigen Rahmenbedingungen, unter denen ihre Part- Speisen die Metapher vom Brot, das den Hunger stillt nerschaft und ihre Sexualität in dieser Zeit oft leiden - dann (im Roman: Mio, mein Mio). kann das Paar diese Krise in der Partnerschaft und Sexualität häufig konstruktiv angehen und lösen. Es macht einen großen Unterschied, ob man um die Veränderungen in dieser Zeit weiß, ob man in der Lage ist, objektive Schwierigkeiten Herausforderung für die Paarbeziehung und subjektive Befindlichkeiten zu verstehen und zu benennen oder ob man diese Schwierigkeiten als persönliches Das Paar mit einem kleinen Kind muss weitere Veränderun- Versagen erlebt und Angst hat, nicht zu genügen. gen bewältigen, die unter Umständen Anlass zu Streit bieten können: Auch wenn die persönliche Unterstützung durch die Familien möglich ist, muss die Abgrenzung und Einbeziehung der Empfehlungen für die Praxis Ursprungsfamilien neu verhandelt werden. Ist die Mutter/ Schwiegermutter zu oft da oder zu selten? Ist sie hilfreich Für viele junge Mütter und Väter bedeutet es eine Erleich- oder verunsichernd? Und sind sich beide in der Einschätzung terung, in einer Beratung über sexuelle Probleme nach der dieser Frage einig? Geburt sprechen zu können und zu erfahren, dass diese Weiter: Das Geld wird knapper und muss für drei reichen. Probleme häufig auftreten. Manchmal kann auch Literatur Mobilität und Wohnraum werden oft eingeschränkt. zu diesem Thema eine Hilfe bedeuten. Zeit zu zweit und für Sexualität wird knapp. Wenn der eine Konkrete Hinweise zum Umgang mit Sexualität, mit den ver- ausgeht, bleibt der andere zuhause. Die Aufgabenteilung des änderten Wünschen und Bedeutungen können wichtig und Paares steht neu zur Debatte. Hilfreich in dieser Phase sind notwendig sein. Manchmal erholt sich die Sexualität alleine das Gespräch mit anderen „Betroffenen“, Freiräume durch dadurch, dass das Kind endlich durchschläft, dass die Eltern Unterstützung von außen und wenn möglich auch das Teilen wieder mehr Zeit füreinander haben und ausgeschlafen der Verantwortung einerseits für das Kind und andererseits sind. Manchmal müssen sie lernen, Zeiten für ein zärtliches für die Erwerbstätigkeit, weil dadurch das gegenseitige Ver- Zusammensein zu planen. ständnis wachsen kann. Viele Frauen brauchen nach der Geburt viel Zeit und Ruhe, um sich auf sexuelle Kontakte mit dem Partner einzustellen. Durch die Geburt des Kindes orientieren Eltern sich um, sie Ihr Bedürfnis nach körperlicher Nähe ist durch den intensi- freuen sich an anderen Dingen als bisher, sie definieren Wer- ven Kontakt mit ihrem Baby befriedigt bis übersättigt. Sie te und ihre Rolle in der Familie und Gesellschaft neu. möchten zuerst einmal Zeit für sich alleine - möchten einmal Diese Umorientierung kann viel persönliches Wachstum und gemütlich baden, einmal richtig ausschlafen, träumen von Glück bedeuten, geht aber auch mit Konflikten und Reibun- einer Massage. Manchmal wirkt es Wunder, wenn diese gen einher. Eine Beratung kann helfen, notwendige Verände- Wünsche erfüllt werden. Viele Klientinnen erzählen, wie gut rungen zu ermöglichen und erfolgreich zu bewältigen. es ihnen tut, wenn sie wieder Zeit haben für regelmäßige sportliche Betätigung, weil sich ihr Körpergefühl dadurch Wir können beim Aufbau einer unterstützenden elter- spürbar verbessert. Oft können in der Beratung gemeinsam lichen Matrix mitwirken, indem wir helfen, Familienzen- die notwendigen Schritte entwickelt werden, wie Sexualität tren als Orte der Begegnung für Eltern und ihre Kinder zu wieder lustvoll erlebt werden kann. In dieser Zeit wünschen schaffen. Wir können in der öffentlichen Diskussion darauf sich viele Frauen zärtliches körperliches Zusammensein, bei hinweisen, wie es gelingen kann, die unterschiedlichen Zeit- dem etwas entstehen kann, aber nicht muss. Das entspannte strukturen der Arbeitswelt der Eltern, der Betreuungszeiten Zusammenliegen und Sich-Streicheln, das Sich-Anschauen der Kinder und der Organisation des Haushalts aufeinander und Miteinander-Reden kennen viele Paare aus dem Anfang 33 ihrer Beziehung. Sich wieder miteinander vertraut machen Vielleicht braucht es auch ein ganzes Dorf, damit Eltern gute ohne Druck lässt die verloren geglaubte Sexualität oft wie- und glückliche Eltern werden können. Oder Menschen, die der erwachen. Nicht wenige Frauen spüren eigene sexuelle dieses Dorf ersetzen. Wünsche erst dann wieder, wenn sie die seelische und körperliche Veränderung bewältigt haben und spüren, dass sie sich in Freiheit entscheiden können, selber auf den Partner zuzugehen und aktiv zu werden. 1. Andrea Wendt, Michael Berner, Levente Kriston u. Anke Rohde: „Erleben der Sexualität nach Schwangerschaft und Entbindung“, in: Y. Stöbel-Richter, A. Ludwig, P. Franke, M. Neises, A. Lehmann (Hg.): Anspruch und Wirklichkeit in der psychosomatischen Gynäkologie und Geburtshilfe, Psychosozial-Verlag, 2006 2. Daniel Stern: Die Geburt einer Mutter, Piper-Verlag, 2002 3. Florence Weiss: „Elternschaft bei den Iatmul in Papua-Neuguinea“, in: Dieter Bürgin (Hg.): Triangulierung - der Übergang zur Elternschaft, Schattauer-Verlag, 1998 4. Arlie Russell Hochschild: “Ideals of Care: Traditional, Postmodern, Coldmodern, Warm-modern”, in: Karen Hansen and Anita Garey: Families in the U.S. Kinship and Domestic Politics. Philadelphia Temple University Press, 1998, 527-537 Die Sexualberatung muss die Rahmenbedingungen und die Lebensphase der Klienten und Klientinnen - und damit auch die gerade zu bewältigenden Lebensaufgaben des einzelnen und des Paares einbeziehen und anerkennen, denn: Sexualität ist selten besser als der Alltag, in dem sie gelebt wird. Zum Abschluss sei an ein afrikanisches Sprichwort erinnert, das sagt, dass es ein ganzes Dorf braucht, damit ein Kind gut groß werden kann. Dr. Ruth Gnirss-Bormet Sexualberatung am EZI Sexuelle Funktionsstörungen kommen häufig vor, ja gehören In unserem Kurs „Sexualberatung“ möchten wir ein Basis- zu den häufigsten psychosomatischen Störungen über- wissen vermitteln, um mit diesen Problemen im Beratungs- haupt. Dennoch wird in Beratungen, in Psychotherapien und kontext umzugehen. Erklärtes Ziel ist es, anschaulich werden bei Arztbesuchen weiterhin nur selten über diese Probleme zu lassen, wie in einer achtsamen, respektvollen und doch gesprochen. genauen und konkreten Weise über die sexuellen Probleme gesprochen werden kann. In der Werbung und in den Medien ist Sexualität Dauerthema – dieses Gerede über Sexualität verschleiert die Tatsache, Auch geht es darum, zu verstehen, wie Sexualität gelernt dass es den meisten Klienten, aber auch vielen Beratern, wird und im Zusammenhang steht mit frühen und frühesten Ärzten und Psychotherapeuten noch immer schwer fällt, Erfahrungen: über sexuelle Probleme zu sprechen. Wie wurde man als Kind gehalten und liebkost? Durfte man Viele unserer Kursteilnehmer berichten, dass im Studium mit und am eigenen Körper Erfahrungen sammeln? Durfte und in der Weiterbildung das Thema Sexualität kaum oder man den Kontakt zu Mutter und Vater abbrechen, wenn man gar nicht behandelt wurde. Entsprechend existieren auch Ruhe brauchte? Glückte die körperliche Interaktion mit den auf Seite der Fachpersonen häufig Unsicherheit, Hilflosigkeit, Eltern im täglichen Umgang, beim Stillen, Füttern und Spielen und befangenes Schweigen, wenn Klienten andeuten, dass – wie Winnicott sagte – oft genug? sie sexuelle Probleme haben. 34 Und es geht um die Frage, wie Sexualität neu gelernt und umgelernt werden kann, wenn sie für unbefriedigend gewor- Sexualität ist Kommunikation mit dem Körper und durch den Körper den ist oder schon immer unbefriedigend war. Wir Menschen sind soziale Wesen; wir sind auf KommuniEs geht um die Vermittlung fachlicher Kompetenz, um Wissen kation angewiesen – auch auf Kommunikation mit unserem über sexualmedizinische Themen: Körper. Sexualität ist eine wichtige Form der Kommunikation mit und über den Körper. Über Sexualität werden menschli- Welche Ursachen kann Lustlosigkeit haben? Welche se- che Grundbedürfnisse nach Nähe, Kontakt, aufeinander zu xuellen Probleme sind häufig bei Jugendlichen und jungen gehen, nach Berühren und Berührt werden, aber auch nach Erwachsenen? Welchen Einfluss haben moderne Medien Auseinandersetzung und Abgrenzung erfüllt – oder auch auf die individuell und partnerschaftlich gelebte Sexualität? nicht. Themen wie Beziehung, Akzeptanz, Anziehung und Was ist bekannt über die sexuellen Probleme nach der Ge- Geborgenheit bestimmen mit darüber, wie wohl es uns ist burt? Welche Ursachen können Erektionsstörungen haben? und wie glücklich oder unglücklich wir sind. Sexualität hat Welche Auswirkungen haben psychische und körperliche neben der Funktion der Fortpflanzung und neben der Funk- Krankheiten auf sexueller Funktion und sexuelles Erleben? tion, Lust zu bereiten, eine zutiefst soziale Funktion – und manchmal ist ein persönlich empfundenes Ungleichgewicht Es werden niederschwellige Interventionsstrategien darge- zwischen diesen drei Funktionen die Ursache sexueller stellt, die Möglichkeiten der Beratung dargestellt, anderer- Probleme. seits aber auch deutlich gemacht, wann zur Sexualtherapie oder zur medizinischen Abklärung überwiesen werden Sexualberatung und das dafür notwendige Wissen wird sollte. am EZI seit langem vermittelt – zuerst durch Frau Dr. Vreni Middendorp und Dr. P. Gehring, seit einigen Jahren von mir. Ziel unseres Kurses ist es, über den Zugewinn an fachlicher Kompetenz mehr Mut für die Auseinandersetzung mit den Wir freuen uns, dass es 2004 gelungen ist, den Kurs durch die sexuellen Problemen der Klienten/Patienten zu machen. DGfS – die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung – zertifizieren zu lassen. Teilnehmer, die Grund- und Vertiefungskurs besucht haben, können nun ein Zertifikat erhalten, dass ihnen Sexuologisches Basiswissen für die Sexualberatung bescheinigt. An dieser Stelle möchten wir uns beim Fortund Weiterbildungsausschuss der DGfS, besonders bei Frau M. Hauch, Hamburg, herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken. 35 Britta Vollenbroich Auswirkungen und Nutzen der Fortbildung „Sexualberatung mit Einzelnen und Paaren“ für den beruflichen Alltag Ich habe im Jahr 2006 die Fortbildung „Sexualberatung mit • Kompetenzsteigerung bezüglich des Themas „jugend- Einzelnen und Paaren“ im EZI in Berlin bei Frau Dr. Ruth liche Sexualität“; dadurch verbesserte Weitergabe von Gnirss-Bormet mit der Zertifizierung durch die „Deutsche Informationen sowie professionellere Herangehenswei- Gesellschaft für Sexualforschung“ absolviert. Der (durchaus se hinsichtlich der Beratung von Jugendlichen enorme) Gewinn durch diese Fortbildung für meine berufliche Tätigkeit in der Beratungsstelle für Schwangerschafts- • rungsgeschichte“ konflikte und Familienplanung des Pari Sozial in Ahaus lässt sich folgendermaßen umschreiben: Sensibilisierung durch Reflektion der eigenen „Aufklä- • Bereicherung der Schwangerenberatung durch das Thema „Lustlosigkeit nach Schwangerschaft und Geburt“ Klärung und Abgrenzung der Bereiche „Sexualberatung“ und • „Sexualtherapie“ Erhöhte Aufmerksamkeit in der Beratung hinsichtlich möglicher Traumatisierungen durch vergangene Operationen, Geburtserlebnisse, Schwangerschaftsabbrüche, • • für Menschen mit sexuellen Problemen • Input durch Empfehlung wichtiger Literatur Besserer Zugang zum Thema „Sexualität“ durch Ausein- • Vernetzung mit anderen BeraterInnen • Entstandene persönliche Kontakte mit anderen Kursteil- andersetzung mit Idealen und Mythen • • Vermehrte Sicherheit und Kompetenz in der Paarbera- nehmerinnen, die einen Austausch sowohl beruflich als tung auch privat ermöglichen Strukturiertere Erstgespräche durch konkrete Fragen, die sich an das „Hamburger Modell“ anlehnen • • etc. Steigerung der eigenen Identitätsfindung als Beraterin Abschließend kann ich die Fortbildung nur als absolute Kom- Durch Steigerung der Professionalität: verstärkte Akqui- petenzerweiterung betrachten, die mir in meinem berufli- se für die Paar- und Sexualberatung der Beratungsstelle chen Alltag immer wieder sehr hilft. Neben einer Vielzahl an bei GynäkologInnen Sachinformationen habe ich vor allem von der Art und Weise Zunahme der Themen „männliche Lust“, „weibliche des Vortrages von Frau Gnirss als auch von ihrer menschli- Lust“ und „Leistungsanspruch an Sexualität“ in der Sexualpädagogik chen Haltung gegenüber ihren KlientInnen profitiert. 36 Dr. med. Karl-Heinz Brisch SAFE ®- Sichere Ausbildung Für Eltern - Ein Erfolgsmodell Prävention gewinnt in den letzten Jahren zunehmend an großen Nachfrage erfreut und sind froh, diesen Erfolg auch Bedeutung. Beratungsstellen sind aufgefordert, im Vorfeld 2008 und 2009 durch weitere Kurswochen mit Dr. Brisch potentieller Störungen tätig zu werden. Mit dem im Oktober fortsetzen zu können. ® 2007 erstmalig durchgeführten Safe -Mentorentraining konnten wir nun ein Elterntraining in unser Jahresprogramm Dr. Ingeborg Volger aufnehmen, das die Lücke zu den bereits praktizierten Programmen der Elternbildung schließt, die in der Regel mit zweijährigen oder älteren Kindern und deren Eltern arbeiten. Den vom 15. bis 19. Oktober 2007 mit 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmern stattgefundene SAFE® -Kurs wurde von der Stiftung „Bündnis für Kinder - gegen Gewalt“ gefördert. Das SAFE® -Programm zeichnet sich durch eine Reihe von Besonderheiten aus, denen allen gemeinsam die konsequente Anwendung der Erkenntnisse der Bindungsforschung ist: Karl-Heinz Brisch Unterbrechung der transgenerationalen Weitergabe von Gewalt: Primäre Prävention durch „SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern“ Zusammenfassung Es wird das präventive Modellprogramm „SAFE® – Sichere Ausbildung für Eltern“ dargestellt, das eine sichere Bindung 1. Der Beginn des Programms bereits während der Schwangerschaft. In dieser Zeit beschäftigen sich die Eltern noch mit dem phantasierten Kind und müssen ein reales Kind noch nicht beantworten. 2. Die Auseinandersetzung mit und Aneignung von bindungstheoretischen Kompetenzen. Die Verschränkung von Wissenserwerb, Feinfühligkeitstraining und der persönlichen Selbsterfahrung bietet Eltern eine fundierte Basis zur Entwicklung einer bindungsorientierten Haltung, ihrem Kind gegüber. 3. Einzeltherapeutische Angebote für traumatisierte Eltern zwischen Eltern und Kind zum Ziel hat. Dieses Programm zeigt Möglichkeiten auf, wie bereits während der Schwangerschaft sowie bis zum Ende des ersten Lebensjahres langfristig die sichere Bindung gefördert und negative Auswirkungen auf die Bindungsentwicklung des Säuglings zu seinen Eltern verhindert werden können. Insbesondere wird durch eine präventive traumazentrierte Psychotherapie angestrebt, die Teufelskreise der Weitergabe von Gewalterfahrungen und Deprivation über Generationen zu brechen und auf diese Weise eine primäre Prävention der Traumatisierung von Kindern durch ihre Bindungspersonen zu verhindern. ermöglichen eine frühzeitige Unterstützung. Auf diese Weise kann die Kontaktgestaltung zum Baby positiv beeinflusst und Gefährdungen des Kindes abgewendet werden. Die therapeutische Bearbeitung elterlicher Beeinträchtigungen kann helfen, Chronifizierungen vorzubeugen. 4. Das Angebot einer Hotline, die es Eltern in Not ermöglicht, jederzeit Kontakt zu ihrem SAFE® -Mentor aufzunehmen. So können befürchtete Kindeswohlgefährdungen abgewendet werden. Der folgende Beitrag von Dr. Brisch gibt einen umfassenden Einblick in den theoretischen Hintergrund, in Ziele und Inhalte des SAFE® - Programms. Wir freuen uns, dass das SAFE® - Programm sich einer so Ziele der primären Prävention Eine primäre Prävention im psychischen Bereich sollte die Förderung der psychischen Gesundheit von Eltern und Kind zum Ziel haben. Die Entwicklung eines sicheren Bindungsverhaltens ist hierbei eine grundlegende Zielsetzung, die mit erheblichen Vorteilen für die Entwicklung von Kindern verbunden ist. Kinder mit einer sicheren Bindungsentwicklung sind in der Lage, sich in Notsituationen Hilfe zu holen, sie haben mehr freundschaftliche Beziehungen, ein ausgeprägtes und differenziertes Bewältigungsverhalten, sie können auf verschiedenste Bewältigungsstrategien zurückgreifen, können partnerschaftliche Beziehungen eingehen, die eine 37 gewisse emotionale Verfügbarkeit für den Partner beinhalten entsteht auf diese Weise ein Teufelskreis von traumatischen und für beide Seiten befriedigend sind. In ihren kognitiven Erfahrungen, die von der Eltern- auf die Kindergeneration Funktionen sind Kinder mit einer sicheren Bindung kreativer, übertragen werden, so dass wir aufgrund der Traumatisie- ausdauernder und differenzierter. Ihre Gedächtnisleistun- rung Bindungsstörungen über Generationen diagnostizieren gen und ihr Lernverhalten sind besser. Sie lösen Konflikte können. Man könnte annehmen, dass solche Weitergaben konstruktiver und sozialer und zeigen in Konfliktsituationen von Entwicklungsstörungen genetisch bedingt wären; eine weniger aggressives Verhalten. Auch die Sprachentwicklung Familienanamnese zeigt aber, dass die „Familiengeschich- von Kleinkindern ist besser und weist weniger Störungen auf ten“ von Gewalt seit Generationen durch unfeinfühlige bis (Dieter et al. 2005; Klann-Delius 2002). Alle diese positiven gewalttätige Verhaltensweisen der Eltern gegenüber ihren Effekte sind bei Kindern mit unsicherer Bindungsentwicklung Kindern weitergegeben werden (Brisch 2003b, 2004a). verlangsamt oder weniger ausgeprägt; Kinder mit Bindungsstörungen dagegen zeigen in all diesen Entwicklungsbereichen sogar erhebliche Irritationen und psychopathologische Zielgruppe für eine Prävention Auffälligkeiten (Brisch 1999, im Druck a, 2003a; Zeanah & Emde 1994). Die Zielgruppe für eine primäre Prävention zur Förderung einer sicheren Bindungsentwicklung sind insbesondere Das Ziel einer primären Prävention sollte daher darin be- werdende Eltern – sowohl Erst- wie auch Mehrgebärende –, stehen, die Eltern möglichst bereits vor der Geburt für die damit diese schon mit Beginn der Schwangerschaft in ihren emotionalen Bedürfnisse und Signale ihrer Kinder zu sensibi- Kompetenzen und Fähigkeiten geschult und für die Bedürf- lisieren. Feinfühlige Eltern, die emotional für die Signale ihrer nisse ihres Kindes emotional und auch kognitiv sensibilisiert Kinder verfügbar sind, fördern eine sichere Bindungsent- werden. Grundsätzlich sollten die Eltern die Motivation wicklung ihrer Kinder. Wenn die Eltern dagegen traumatisie- mitbringen, sich auf die emotionale Entwicklung ihres Kindes rend auf ihre Kinder einwirken, indem sie ihnen gegenüber einzulassen und hierfür als unterstützende Maßnahme ein körperliche, emotionale oder sexuelle Gewalt ausüben, Präventionsprogramm in Anspruch zu nehmen. Die klinische können bei den Kindern aus diesen Erfahrungskontexten Erfahrung zeigt, dass Eltern gerade während der Schwan- Bindungsstörungen mit verschiedensten Mustern entstehen gerschaft sehr mit ihren eigenen traumatischen Erfahrungen (Brisch 1999). In der Prävention sollten die Eltern daher für aus ihrer Kindheit beschäftigt sind. Gerade die Beziehung zu die Signale ihrer Kinder mit Videofeedback sensibilisiert und den eigenen Eltern – sowohl mit den positiven Bindungser- sollte feinfühliges Interaktionsverhalten der Eltern mit ihrem fahrungen wie auch mit traumatischen Erfahrungen – wird Säugling eingeübt werden. Gerade die Videodemonstration wieder aus der Erinnerung wachgerufen und ist den Eltern von Interaktionsverhaltensweisen zwischen Eltern und Kind während der Schwangerschaft, mit allen affektiven Erinne- erweist sich als hervorragendes Instrument und Hilfsmittel, rungen von Freude, Angst, Wut und Enttäuschung, oftmals um die Eltern für die Signale ihrer Säuglinge zu sensibilisieren sehr nahe. Die Eltern überlegen sich, ob sie im Entwurf einer und ihnen eine angemessene Interpretation der Signale zu eigenen Mutterschaft oder Vaterschaft so werden möchten ermöglichen (Bakermans-Kranenburg et al. 1998; Downing & wie ihre Eltern oder ob sie auf gar keinen Fall die eigenen Er- Ziegenhain 2001; Thiel-Bonney 2002; Bodeewes 2002; Beebe fahrungen mit ihren Eltern in der neuen eigenen Elternschaft 2003; Downing 2003; Papoušek 2000; Grossmann et al. 1985; wiederholen möchten. Kindler & Grossmann 1997). Gerade während der Schwangerschaft sind die Eltern aufAus der klinischen Arbeit ist bekannt, dass Eltern mit eigenen grund der eigendynamischen Prozesse bei der Beschäftigung unverarbeiteten traumatischen Erfahrungen dazu neigen, mit ihrer Kindheit und Vergangenheit sehr motiviert und diese Erfahrungen mit den Kindern zu inszenieren, und sie bereit, sich mit den selbst erlebten Erfahrungen nochmals so zu Mitakteuren in einem alten Theaterstück machen. auseinanderzusetzen. Ist ein Baby erst einmal geboren, sind Genau dies sind die klassischen Situationen, in denen die die Eltern mit vielen dynamischen Prozessen beschäftigt, die Eltern durch Reaktivierung alter Traumata vielfältige heftige aus den täglichen Anforderungen – wie Füttern, Wickeln und Affekte wie Wut, Scham und Angst wiedererleben und – un- Schlaf des Babys – entstehen. Daher treten nach der Geburt bewusst, ungewollt und mit eingeschränkter Fähigkeit zur Erfahrungen und Gefühle aus der eigenen Kindheit – positive Handlungssteuerung – ihre Kinder zu Opfern von körper- wie schmerzliche – wieder in den Hintergrund. lichen, emotionalen oder sexuellen Gewalttaten machen. Genau diese Verhaltensweisen der Eltern aber führen zur In dieser Phase nach der Geburt benötigen die Eltern während Entwicklung von Bindungsstörungen bei ihren Kindern. Es des ersten Lebensjahres zusätzliche Hilfestellungen, da viele 38 Fragen erst in dem Moment auftauchen, wenn sie konkret die Eltern in Elterngruppen. Die Gruppe mit den Eltern, die durch das Baby damit konfrontiert sind. Oft sehen wir Eltern gleichzeitig in ähnlichen Schwangerschaftsphasen sind, in der psychosomatischen Ambulanz erst dann, wenn viele stellt dabei für das gesamte Programm einen wesentlichen interaktionelle Schwierigkeiten mit Füttern, Schlafen, Bezie- haltenden Rahmen dar. Es entsteht über die Kursdauer, von hungsaufbau sich bereits chronifiziert haben, ein Baby also der 20. Schwangerschaftswoche bis zum Ende des ersten etwa bereits über mehrere Wochen täglich für viele Stunden Lebensjahres, eine große Gruppenkohäsion. Die individuelle weint und sich nicht beruhigen läßt. Die Eltern suchen un- Traumapsychotherapie sowie die Benutzung einer Hotline sere Ambulanz oftmals erst zu einem Zeitpunkt auf, wenn werden von den Eltern individuell in Anspruch genommen. sie bereits im Stadium der psychischen Dekompensation Somit kombiniert SAFE® gruppentherapeutische Effekte wie sind. Um solche Zustände möglichst frühzeitig abzufangen auch individualtherapeutische Möglichkeiten in einem einzi- und den Eltern unmittelbar bei den ersten Irritationen und gen Präventionsprogramm. Schwierigkeiten eine Hilfestellung anzubieten, sollte ein Präventionsprogramm Eltern mit einem Säugling möglichst während des ersten Lebensjahres in der Adaptationsphase SAFE® – pränatales Modul nach der Geburt unterstützen. Im pränatalen Modul treffen sich die Elterngruppen an vier Sonntagen während der Schwangerschaft, beginnend ab ca. Inhalte des Programms SAFE® der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) und dann folgend in der 24., 28. und der 32. SSW. Das Programm beginnt bereits Auf diesem Hintergrund wurde ein primäres Präventions- sehr frühzeitig zu einem Zeitpunkt, an dem in der Regel die programm mit dem Namen „SAFE – Sichere Ausbildung für Ultraschall-Fehlbildungsdiagnostik abgeschlossen ist und es Eltern“ entwickelt, das spezifisch eine sichere Bindungsent- somit an der Existenz und der Fortführung der Schwanger- wicklung zwischen Eltern und Kind fördern, die Entwicklung schaft keinen großen Zweifel mehr geben sollte. Der Sonntag von Bindungsstörungen verhindern und ganz besonders die hat sich als exzellenter Kurstag bewährt, da die Elternpaare Weitergabe von traumatischen Erfahrungen über Genera- an diesen Tagen in der Regel sehr entspannt teilnehmen kön- tionen verhindern soll. Aus diesem Grund wurde auch der nen und besonders auch die Väter stärker motiviert sind. ® Name SAFE gewählt, der symbolisch impliziert, dass die ® Entwicklung sowohl für die Eltern als auch für das Kind sicher Die Inhalte des pränatalen Moduls beinhalten umfassende sein soll. Informationen und den Austausch in der Gruppe, etwa über Kompetenzen des Säuglings und der Eltern, Erwartungen der Die Eltern werden über die Auslage von Informationsmaterial Eltern – z. B. an das ideale Baby, die ideale Mutter, den idealen in Apotheken, Arztpraxen (Gynäkologen, Kinderärzte), Fa- Vater –, über Phantasien und Ängste der Eltern, die pränata- milienbildungsstätten, Schwangerschaftsberatungsstellen le Bindungsentwicklung und Eltern-Säuglings-Interaktionen. sowie durch Presseberichte über das Präventionsprogramm Diese Interaktionen werden mit Videobeispielen veranschau- informiert und für neue SAFE -Gruppen geworben. Es gibt licht, und die Eltern werden dabei gezielt geschult, die Signale unterschiedliche Finanzierungsmodelle, die jeweils davon eines Babys genau wahrzunehmen und richtig zu interpre- ® abhängen, wo die SAFE -Gruppen stattfinden und wer der tieren. Das Video-Interaktionstraining ermöglicht den Eltern, Organisator ist. Teilweise werden SAFE®-Gruppen über ganz spezifisch an konkreten Videoaufnahmen etwa zum Familienbildungsstätten oder Schwangerschaftsberatungs- Füttern, Stillen, Wickeln sowie zum Spiel und Zwiegespräch stellen organisiert und angeboten und auch über Zuschüs- zwischen Eltern und Kind erste Erfahrungen zu sammeln se finanziert, so dass die Eltern selbst nur einen kleinen und sich auf die Signale des Säuglings feinfühlig einzustellen. Teilnehmerbeitrag zahlen müssen; manchmal werden die Hierbei werden auf diese intensive Weise anhand von kurzen Gruppen aber auch etwa von niedergelassenen Hebammen Videosequenzen auch elterliche Kompetenzen und die Reak- und Psychotherapeuten organisiert, die direkt von den Eltern tionsbereitschaft des Säuglings geschult. ® eine verabredete Honorarvergütung erhalten, die sie zuvor mit diesen vereinbart haben. In der Regel werden die Grup- Weiterhin erlernen die Eltern bereits von Kursbeginn Stabili- pen gemeinsam von einem Leiter (einer Leiterin) und einer sierungs- und Entspannungsverfahren, um mit stressvollen Co-Leitung über den gesamten Zeitraum von der Schwan- Situationen während der Schwangerschaft und nach der gerschaft bis zum Ende des ersten Lebensjahres geführt. Geburt besser umgehen zu können. Es ist aus der Forschung Das SAFE®-Programm besteht insgesamt aus vier Modulen. bekannt, dass sich Ängste und Stresserleben während der Im pränatalen sowie im postnatalen Modul treffen sich Schwangerschaft sowohl auf die emotionale Bereitschaft 39 der werdenden Mutter, sich im Sinne der vorgeburtlichen Schlafen sowie der Aufbau der emotionalen Beziehung im Bindung auf den Säugling einzulassen, als auch auf den Säug- Mittelpunkt. Die Eltern bringen die Babys zu den Terminen ling selbst und seine Reizbarkeit und Stresstoleranz negativ mit, so dass das Bindungsverhalten der Eltern und das des auswirken können. Weiterhin können die Eltern die pränatal Kindes sowie das Explorationsverhalten des Babys in der gelernten Stabilisierungs- und Entspannungstechniken sehr Gruppe direkt beobachtet und daraus gelernt werden kann. gezielt nach der Geburt einsetzen, wenn stressvolle Phasen Während dieser Zeit werden von den Eltern und ihrem Baby mit dem Säugling entstehen, und in der Regel entwickeln auch individuelle Videoaufnahmen angefertigt, mit Interakti- sich solche Phasen bei allen Eltern-Kind-Paaren früher oder onen beim Wickeln, Füttern, Stillen, Spielen. Diese Videosze- später. Solange das Baby aber noch im Bauch versorgt ist, nen werden sowohl mit der Mutter als auch mit dem Vater in haben die Eltern mehr Zeit und innere Bereitschaft, solche einem individuellen Feedbacktraining besprochen. Ziel ist es, Entspannungsverfahren zu erlernen. Ist das Baby erst ein- dass die Eltern nun mit den realen aktuellen Erfahrungen mit mal da, und fordert es die Eltern Tag und Nacht, finden sie ihrem Baby lernen sollen, dessen individuelle Signale besser weniger bis oft keine Ruhe mehr, sich auf das Erlernen neuer zu erkennen, richtig zu interpretieren und angemessen und Entspannungsverfahren einzulassen. prompt hierauf zu reagieren. Irritationen und emotionale Schwierigkeiten der Eltern sowie Fehlinterpretationen und Projektionen aus der eigenen Kindheitsgeschichte können SAFE ® – postnatales Modul bereits in diesem Stadium, also frühzeitig, erkannt und besprochen sowie korrigiert werden. Wenn die Eltern einver- Nach der Geburt werden die Elterngruppen bei sechs standen sind, können ihre individuellen Videoaufnahmen mit ganztägigen Sonntagsseminaren im 1., 2., 3., 6., 9. und 12. ihrem Baby auch in der Gruppe als Feedbacktraining für alle Monat fortgeführt. Die Eltern werden somit während der Teilnehmer verwendet werden. Die Eltern sind meist sehr schwierigsten Zeit der Kindesentwicklung und Adaptation motiviert, die Aufnahmen mit ihren Interaktionsverhaltens- nach der Geburt des Säuglings sowie auch in der Phase der weisen auch der Gruppe zur Verfügung zu stellen, damit zum Umstellung in der Partnerschaft und der Neuentwicklung einen alle aus den positiven Interaktionen lernen können, einer Beziehung zu dritt mit dem Säugling unterstützt. zum anderen andere aus Feinabstimmungsschwierigkeiten oder „Mißverständnissen“ in der Interaktion Hinweise darauf Auch postnatal zeigt sich die Kohäsion in der Gruppe als bekommen, was sie bei ihrem Baby vielleicht anders sehen hilfreicher Faktor, da alle Eltern in einem vergleichbaren Ent- oder besser interpretieren könnten. Wegen der Vertrau- wicklungsprozess stecken. Einzelne Eltern mit ihren Säuglin- ensbeziehungen, die sich bis dahin innerhalb der Gruppe gen treffen sich auch außerhalb der Gruppensonntage, um entwickelt haben, bestehen in der Regel keine größeren sich auszutauschen und gemeinsame Aktivitäten zu unter- Schwierigkeiten, sehr offen über Ängste, Befürchtungen und nehmen. Es entwickelt sich somit eine Eltern-Peer-Gruppe, auch interaktionelle Schwierigkeiten zu sprechen. die sich bereits vor der Geburt stabilisierend auf die Eltern ausgewirkt hat. Dieser positive Effekt intensiviert sich noch nach der Geburt. Die postnatalen Inhalte beziehen sich auf Individuelle Traumapsychotherapie die Verarbeitung des Geburtserlebnisses, das nicht immer mit positiven Erfahrungen verbunden ist. Manchmal erfolgt Mit allen Eltern wird ein Erwachsenen-Bindungs-Interview die Geburt als „Notfall“ durch Kaiserschnitt oder auch zu früh (Adult Attachment Interview – AAI) durchgeführt. Der (Frühgeburt), so dass in der Gruppe und auch individuell eine spezifische Zweck dieses Interviews ist es, jeweils bei der intensivere psychotherapeutische Hilfestellung notwendig werdenden Mutter und dem werdenden Vater festzustellen, ist, damit sich die Eltern-Kind-Beziehung nicht mit Angst und welche Bindungsressourcen und welche traumatischen Schrecken entwickelt. Unverarbeitete Erlebnisse von der Erfahrungen, die eventuell noch ungelöst sind, von ihnen mit Geburt können sich negativ auf den Aufbau der Eltern-Kind- in die Beziehung zu ihren Kindern hineingebracht werden. Interaktion und -Bindung auswirken. Auch die postpartale Nach den bisherigen Erfahrungen gibt es bei ca. 30% der Depression, an der 12–15% aller Mütter laut Längsschnittstu- Eltern solche ungelösten traumatischen Erfahrungen, die dien erkranken, könnte durch eine frühzeitige psychothera- eine individuelle Traumapsychotherapie benötigen. peutische Gruppenbegleitung vielleicht verhindert werden. Besonders diese ungelösten traumatischen Erfahrungen sind von großer Bedeutung, weil die klinische Erfahrung zeigt, Als weitere Inhalte nach der Geburt stehen die elterlichen dass Kinder durch ihre Verhaltensweisen ganz ungewollt bei Kompetenzen, die Triangulierung zwischen Mutter, Vater ihren Eltern traumatische Erfahrungen und die dazugehöri- und Kind, interaktionelle Schwierigkeiten mit Füttern, Stillen, gen Affekte wieder wachrufen können. Diese sind wie „Geis- 40 ter im Kinderzimmer“ (Fraiberg et al. 1975), die ungerufen Hotline kommen. So kann etwa das Weinen eines Kindes, die Suche nach Zärtlichkeit, können Wutanfälle oder auch Forderungen Ein weiteres Interventionsmodul besteht in einer Hotline. des Kindes nach Nähe und Kontakt ungelöste traumatische Gerade nach der Geburt sind Schwierigkeiten mit Adaptati- Erfahrungen bei der Mutter oder dem Vater in Erinnerung onsprozessen – etwa beim Einschlafen – relativ typisch, so bringen. Wenn dies unkontrolliert und unbewußt geschieht, dass Eltern hier in der Regel zum ersten Mal in Not geraten, können sich die Eltern plötzlich auf einer imaginären Bühne wenn ihr Baby sich nicht ablegen läßt und stundenlang „im Kampf“ befinden. Ihr Kind wird im schlimmsten Fall weint, ohne dass sie das Baby beruhigen können oder ohne gleichzeitig Akteur und Opfer in einem alten traumatischen dass sie für das unstillbare Schreien einen Grund ausmachen Theaterstück, in dem ihm eine Rolle zugeschrieben wird, können (Brisch, im Druck b). Aus der klinischen Erfahrung ist die es sich selbst nicht ausgesucht hat. Es kann etwa von bekannt, dass die Eltern in diesen sehr stressvollen Situati- selbst zur Zielscheibe und Projektionsfläche für gewalttätige onen oft erst viel zu spät Hilfe suchen. Im schlimmsten Fall Phantasien werden, und im schlimmsten Fall kann es zu ei- kommen sie erst in die Kinderklinik, wenn es bereits zu einer ner realen Wiederholung von Gewalterfahrungen kommen, Gewalthandlung gegenüber dem schreienden Baby gekom- indem das Kind unbeabsichtigt von der Mutter oder dem Va- men ist. ter geschüttelt wird. Solche oft zeitlich kurzen traumatischen Reinszenierungen können fatale Folgen haben, da das Kind Die Hotline bietet den Eltern die Möglichkeit, die SAFE®- etwa durch eine Hirnblutung oder eine Augenblutung nach Gruppenleiter(innen) anzurufen und sich unmittelbar Rat und einem Schütteltrauma zeitlebens behindert oder geschädigt Unterstützung zu holen. Hierbei ist es von großem Vorteil, sein kann. dass die- oder derjenige, die/der an der Hotline erreichbar ist, den Eltern bereits aus den Gruppensitzungen vor der Geburt Wenn sich in dem Bindungsinterview zeigt, dass die Eltern bekannt ist und hier ein Vertrauensverhältnis entstanden solche unverarbeiteten eigenen traumatischen Erfahrungen ist (Brisch 2000b). Die Häufigkeit der Inanspruchnahme der mitbringen, werden sie von uns darauf hingewiesen, dass Hotline ist sehr unterschiedlich und schwankt sowohl beim diese Erfahrungen wegen der bisherigen Nichtverarbeitung einzelnen Elternpaar als auch zwischen den Elternpaaren, einen gewissen Risikofaktor für die Entwicklung des Kindes je nach individuellen Krisen- und Belastungssituationen, die und die Eltern-Kind-Beziehung darstellen. Es könnte sich sich nur schwer voraussagen lassen. Die möglichen Interven- eine Möglichkeit ergeben, in der die Eltern solche eigenen tionen sind jetzt sehr gezielt einsetzbar, weil die individuelle traumatischen Erfahrungen mit ihrem Kind zu irgendeinem Geschichte der Eltern und ihre Ressourcen sowie ihre beson- Zeitpunkt wiederholen und sich dadurch der Teufelskreis von deren Risiken und Schwierigkeiten dem/der Gruppenleiter/in etwaiger selbsterlebter Gewalt und der Weitergabe dieser durch die vorausgegangenen Seminartage sowie auch durch Gewalt in der nächsten Generation wiederholt. das Erwachsenen-Bindungsinterview sehr gut bekannt sind. In der Regel konnten die Fähigkeiten der Eltern, Signale eines Es ist ein spezielles Ziel von SAFE®, diese Teufelskreise zu Babys wahrzunehmen und zu interpretieren, auch schon vor durchbrechen. Wenn die Eltern sich motivieren lassen der Geburt anhand des Videotrainings erkannt und gefördert und bereit sind, können wir mit ihnen bereits während werden. Aufgrund der individuellen Videoaufnahmen, die der Schwangerschaft beginnen, ihre psychische Situation mit den Eltern selbst und ihrem Baby etwa beim Wickeln und durch gezielte Stabilisierungstechniken aus der Traumapsy- Füttern gemacht wurden, sind die elterlichen Kompetenzen chotherapie zu verbessern. Nach der Geburt besteht die und Ressourcen sehr gut bekannt, so dass bei einem Anruf Möglichkeit, den Eltern in individuellen traumazentrierten über die Hotline eine rasche und gezielte Intervention und psychotherapeutischen Sitzungen durch eine Verarbeitung Beratung ermöglicht werden kann. Falls die Eltern eigene der traumatischen Erlebnisse mit modernen Methoden der unbewußte Ängste und Erwartungen auf ihr Baby projizieren Traumatherapie (z. B. mit der Methode des Eye Movement und diese die Ursache der Interaktionsstörung sind, können Desensitization Reprocessing – EMDR [Hofmann 1999]) zu solche Probleme im Rahmen einer Eltern-Säuglings-Therapie helfen. Gerade dieser Anteil von SAFE zielt auf Prävention frühzeitig erkannt und behandelt werden (Brisch 1995a; durch Vermeidung einer Wiederholung des erlebten Traumas Bakermans-Kranenburg et al. 1998; Beebe 2000; Bodeewes mit den eigenen Kindern. 2002; Papoušek 2000; Zelenko & Benham 2000; Brisch et al. ® 2005a). Ziel des gesamten SAFE®-Programms ist es, dass nach dem Ablauf des ersten Lebensjahres möglichst viele Kinder von 41 Eltern, die an der SAFE®-Gruppe teilgenommen haben, si- Schwangerschafts-, Geburts- und Nachgeburtsbegleitung chere Bindungsmuster aufweisen und sich die Erfahrungen – untersucht werden können. Zur Kontrollgruppe gehören der elterlichen Traumata nicht mit dem Säugling wiederholt ebenfalls Eltern, die sich im gleichen Zeitfenster – bis zum haben. Ende des ersten Lebensjahres ihres Säuglings – an Sonntagen zu ganztägigen Seminartagen treffen. In der SAFE®- und in der Kontrollgruppe werden jeweils zu den gleichen Zeitpunkten mit verschiedenen Videoaufnahmen die Mutter- SAFE® -Mentorenausbildung Kind- und Vater-Kind-Interaktion beim Wickeln, Füttern sowie beim Spielen evaluiert, außerdem wird am Ende des Zur Verbreitung des Programms besteht die Möglichkeit, sich ersten Lebensjahres die Entwicklung der Bindungsqualitäten als SAFE -Mentor am Dr. von Haunerschen Kinderspital in der Säuglinge untersucht und ausgewertet. München ausbilden zu lassen (Info unter http://hauner.klini- Zusätzlich werden mit Hilfe von Fragebogen prä- und kum.uni-muenchen.de/dt_psy.htm). In Zukunft sollen auch postnatale Daten erhoben, und bei allen Eltern werden regionale Ausbildungsgruppen entstehen. Hierzu können Erwachsenen-Bindungsinterviews durchgeführt. Sowohl bei sich grundsätzlich alle Berufsgruppen, die mit Schwangeren, den Müttern als auch bei den Vätern werden vor und nach Eltern und ihren Säuglingen arbeiten, als potentielle SAFE®- solchen Interviews – sowie auch bei den Kindern vor und Mentoren melden, wie etwa Schwangerschaftsberaterin- nach der Untersuchung der Bindungsqualität – physiolo- nen, Hebammen und Stillberaterinnen, Krankenschwestern, gische Stressparameter anhand von Untersuchungen der Geburtshelfer, Psychologen, Kinderärzte, Kinder- und Ju- Werte des Stresshormons Cortisol im Speichel erhoben. ® gendlichenpsychotherapeuten. Entscheidend für die Arbeit in SAFE®-Gruppen ist die Fähigkeit, sich auf Schwangere und Eltern mit Säuglingen einzulassen und aus der alltäglichen Zusammenfassung und Ausblick beruflichen Praxis bereits konkrete praktische Erfahrungen in der Arbeit mit dieser Zielgruppe mitzubringen. Die Bindungsentwicklung während der Schwangerschaft, Die Ausbildung zum SAFE -Mentor umfasst drei ganztägige der Geburt und während der ersten Lebensmonate ist sehr Seminartage und zusätzliche Praxistage, die je nach prak- verletzlich und durch viele Stressoren leicht zu irritieren. tischer Vorerfahrung unterschiedlich lang und intensiv sein Jegliche Form von äußerer und innerer emotionaler Sicher- können. Die Mentoren organisieren dann jeweils vor Ort un- heit für die (werdenden) Eltern während Schwangerschaft, ter ihren spezifischen Arbeitsbedingungen SAFE -Gruppen. Geburt und in der postnatalen Zeit fördert die sichere Bin- Vorzugsweise wird mit Mentorenpaaren, d. h. mit Gruppen- dungsentwicklung. Durch vielfältige Komplikationen während leitung und Co-Leitung, gearbeitet. Dieses Leitungsmodell der Schwangerschaft, der Geburt und danach kann Angst eröffnet die Möglichkeit, dass ein Mentor jeweils Inhalte ver- das vorherrschende Gefühl der Mutter bzw. des Vaters sein. mitteln kann, während der andere die gruppendynamischen Wenn aber die Eltern große Angst erleben, wird ihr eigenes Prozesse im Auge behält und die Gruppe leitet. Bindungsbedürfnis aktiviert. Ängstliche Eltern können in der Seit 2007 werden von dem Autor auch am Evangelischen Bindungsentwicklung zu ihrem Kind überängstlich, gehemmt Zentralinstitut für Familienberatung in Berlin SAFE®- Men- oder hilflos reagieren. Oft können sie nur eingeschränkt die toren/Mentorinnen ausgebildet. Diese Ausbildung umfasst Signale ihres Kindes wahrnehmen, richtig interpretieren und fünf ganztätige Seminartage, die die Theorie- und Praxistage angemessen und prompt reagieren. Es besteht die Gefahr, integrieren. dass eigene ungelöste Affekte, besonders wenn sie durch ® ® traumatische ungelöste Situationen wieder wachgerufen Evaluation und Forschung zum Programm SAFE ® werden, von den Eltern auf die Kinder projiziert werden. Es gibt verschiedene Formen der präventiven Psychothe- In der Pilotphase konnten das SAFE -Programm und seine rapie, die pränatal, perinatal oder postnatal beginnen und Inhalte sehr gut realisiert werden. Inzwischen wird eine erfolgreich eingesetzt werden können. In den hochtechni- prospektive randomisierte Längsschnittstudie durchgeführt, sierten Bereichen einer prä-, peri- und postnatalen Medizin die die SAFE®-Gruppenintervention im Vergleich zu einer ist die psychologische Betreuung von betroffenen Eltern herkömmlichen Schwangerschafts- und Geburtsvorberei- sowie des Personals eine dringende Notwendigkeit. Eine tung und Stillbegleitung evaluiert. Die Kontrollgruppe trifft präventive Psychotherapie in diesem Zeitraum könnte sehr sich für die gleiche Seminardauer und -häufigkeit wie die zum Abbau der Angst der Eltern beitragen und die emoti- SAFE®-Gruppe, so dass die Effekte der unterschiedlichen onalen, kognitiven und somatischen Entwicklungsprozesse Interventionen – SAFE -Gruppe versus konventionelle von Kindern fördern. Eine regelmäßige Supervision für das ® ® 42 gesamte Team der Mediziner und des Pflegepersonals könn- könnten bei Bedarf Intervallbehandlungen zu späteren te sehr zur emotionalen Entlastung und zum Verständnis von Zeitpunkten im Laufe des ersten und zweiten Lebensjahres Teamprozessen beitragen, so dass diese Erkenntnisse sich folgen. erleichternd auf die Arbeitsatmosphäre und die Förderung einer positiven Entwicklung der Patienten auswirken könn- Es wäre ein wünschenswertes Ziel, dass solche präventi- ten. ven psychotherapeutischen Interventionen dazu führten, dass kompetente Eltern für die Bedürfnisse und Signale Zukünftige Ansätze einer präventiven Psychotherapie in die- ihrer Kinder emotional verfügbar sind: Eltern, die über sem Zeitraum könnten mit einer Konzeptionssprechstunde ihre eigenen inneren Befindlichkeiten sowie Affekte und beginnen und sich mit Fragen der künstlichen Befruchtung, Spannungen selbstreflexiv nachdenken können und die der pränatalen Diagnostik, der pränatalen Behandlung bei möglichst eigene traumatische Erfahrungen aus der Zeit vor vorzeitiger Wehentätigkeit sowie den förderlichen Bonding- der Schwangerschaft gut verarbeitet haben. Falls dieses Ziel prozessen im Kreißsaal und der Wochenstation beschäfti- nicht erreicht wird, könnten die Eltern begleitet und könnte gen. Hier könnten neben den allgemeinen auch spezifische durch Beratung sowie Psychotherapie ihre Angst abgebaut SAFE -Gruppen angeboten werden, die sich besonders an werden – mit dem großen Ziel, möglichst viele Kinder trotz solche Frauen richten, die frühere Tot- und Fehlgeburten Anfangsschwierigkeiten in der prä- und postnatalen Zeit auf durchgemacht haben, oder auch an solche, die bereits in den Weg einer sicheren Bindungsentwicklung mit ihren El- der Vorschwangerschaft unter depressiven Erkrankungen tern zu führen. Der größte Gewinn einer solchen Entwicklung gelitten haben. Auf diese Weise könnten alte Teufelskreise bestünde darin, dass sich sicher gebundene Kinder auch der Weitergabe von Ängsten und traumatischen Erfahrungen empathie- und beziehungsfähiger entwickeln und damit von einer Generation auf die nächste durchbrochen werden, einen großen Vorteil für die befriedigende Gestaltung von so dass langfristig Sicherheit für die werdenden Eltern be- späteren Beziehungen haben. ® stünde. Einer Beratung und Begleitung in der Anfangszeit Literatur Bakermans-Kranenburg, M., F. Juffer und M. H. van IJzendoorn (1998): Interventions with video feedback and attachment discussions: Does type of maternal insecurity make a difference? Infant Mental Health Journal, 19, 202–219. Beebe, B. (2000): Brief mother-infant treatment using psychoanalytically informed video microanalysis: Integrating procedural and declarative processing. Bulletin of the Association for Psychoanalytic Medicine, 37, 2000. Beebe, B. 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Karl Heinz Brisch Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Ludwig-Maximilians-Universität München Pettenkoferstr. 8 a 80336 München / Germany Tel. +49-(0)89-5160-3954 Fax +49-(0)89-5160-4730 email: [email protected] Informationen zur SAFE®-Mentoren Ausbildung: In München: [email protected]; http://hauner.klinikum.uni-muenchen.de/dt_psy.htm In Berlin: [email protected] Brisch, Karl Heinz Dr. med. habil., Privatdozent, ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychotherapeutische Medizin, Nervenheilkunde, Psychoanalytiker für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Gruppen. Er leitet die Abteilung Pädiatrische Psychosomatik und Psychotherapie an der Kinderklinik und Poliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist Dozent sowie Lehr- und Kontrollanalytiker am Psychoanalytischen Institut Stuttgart. Sein Forschungsschwerpunkt umfasst den Bereich der frühkindlichen Entwicklung zu Fragestellungen der Entstehung von Bindungsprozessen und ihren Störungen sowie der Prävention. Er publizierte zur Bindungsentwicklung von Risikokindern sowie zur klinischen Bindungsforschung und verfasste eine Monographie zur Anwendung der Bindungstheorie in der psychotherapeutischen Behandlung von Bindungsstörungen. Der Autor ist Gastprofessor am Psychology Department, University of Auckland, Neuseeland, und deutscher Vorsitzender der Gesellschaft für seelische Gesundheit in der frühen Kindheit (GAIMH e. V. – German-Speaking Association for Infant Mental Health). Bundesweite Tagung am 13.-14. Februar 2008 im Kirchenamt der EKD, Hannover. Bei dieser Tagung soll die Zukunft der Familienpolitik in den Blick genommen werden, Entwicklungen von Organisationen, Institutionen und Netzwerken systematisiert, analysiert und die ersten Ergebnisse der Wirkungsforschung des bundesweiten Netzwerkes „Mehrgenerationenhäuser“ vorgestellt werden. Programm und Anmeldung http://www.eaf-bund.de/fileadmin/pdf/PDF/eafNetzwerktagung.pdf Die Einladung zu dieser Tagung geht an: Mitarbeitende und Vertretende der Trägereinrichtungen aus den Bereichen der Kindertagesstätten, der Familienbildung, der Schule, der Erwachsenenbildung, der Beratung, der Mehrgenerationenarbeit, der Familienpolitik. Besonders eingeladen sind auch MultiplikatorInnen und Entscheidungsträger aus Kommunen und Kirchengemeinden/ Kirchenkreisen, sowie Hauptamtliche und Ehrenamtliche aus Projekten schon bestehender Netzwerke. 44 Juliane Meyer-Clason Die Eltern-AG Das Präventionsprogramm für mehr Elternkompetenz in Problem- und Risikofamilien Von der Ich-AG zur Eltern-AG “Eltern-AG. Das Empowerment-Programm für mehr El1 wachsenenpädagogische Übungen enthält. Ein „Drehbuch ternkompetenz in Problemfamilien“ , so heißt ein neuer mit Hauptdarstellern“, eine „Gebrauchsanleitung zum Lesen“ Elternkurs, der ab 2004 an der Magdeburger Akademie und die „Eltern-AG für eilige Leser“ rahmen das Buch. für Praxisorientierte Psychologie (MAPP e.V.) 3 2 von Prof. und seinen Mitarbeitern entwickelt Die Eltern-AG liest sich als ein begeisterter Appell mitzuma- und erprobt wurde. Die Formel „Eltern-AG“ erinnert an die chen und zu helfen, die Gesellschaft zu verändern. Dieses Ich-AG, ein Instrument der Sozialpolitik, das arbeitslos Ge- Anliegen vertrat und verkörperte der Philanthrop Armbruster meldeten eine Existenzgründung ermöglichen soll. In der auch als Organisator des breit angelegten Empowerment- Eltern-AG sollen sozial schwache, bildungsferne Eltern von Kongresses, der im September dieses Jahres an der Hoch- der Schwangerschaft bis zum Schuleintritt ihrer Kinder mit schule Magdeburg-Stendal stattgefunden hat. Hier trafen Meinrad Armbruster 4 zu erzieherischer Kompetenz und sich Vertreter aus Wissenschaft, Politik, Unternehmerschaft, mehr Selbstwirksamkeit, also zu einer nachhaltig gesicher- Therapie und sozialen Organisationen, um Ideen zur Ent- ten, konstruktiven Eltern-Existenz befähigt werden. „Com- wicklung einer Bürgergesellschaft auszutauschen, in der alle Hilfe von Empowerment 5 mander M. Power“ , wie der Autor sich selbstironisch nennt, eine Tätigkeit und Grundsicherung erhalten und auch die geht davon aus, dass die Ursachen für psychische Störungen Schwächsten und Fernsten sich der Solidarität der Gesell- und soziale Probleme in einer ungünstigen sozialen Lebens- schaft sicher sein können.7 welt und in Erziehungsfehlern in der frühen Kindheit liegen, und hier setzt das Präventionsprogramm an. Aber nicht nur das. Die „Risiko-Eltern“6, in Folge von Globalisierung und diskriminierender Bildungspolitik marginalisiert, sollen wie- Das Umfeld: 134 Präventionsprogramme für Familienbildung und Familienberatung? der zu Partizipanten der Gesellschaft werden. Armbrusters Anliegen ist nicht nur ein pädagogisches sondern auch ein An Elternkursen herrscht derzeit kein Mangel in Deutschland emanzipatorisches. – Triple P, Kess erziehen, Starke Eltern – Starke Kinder, Rendsburger Elterntraining, Step, STEEP™, Erziehungsführerschein, Entsprechend beinhaltet das 265 Seiten dicke Buch zur Kompetenztraining für Eltern sozial auffälliger Kinder (KES) Eltern-AG keineswegs nur Aufbau, Ablauf und Methodik sind nur einige davon. Sie alle, auch die Eltern-AG, propa- (Teil I) eines Elternkurses. Armbruster analysiert im zweiten gieren den „autoritativen“8 Erziehungsstil. Dieser vertritt die Teil aus einem systemisch-ganzheitlichen Blickwinkel die Auffassung einer aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen gesellschaftlichen Randbedingungen der Zielgruppe mit und Wissenstände asymmetrischen Eltern-Kind-Beziehung ihren wirtschaftlichen, psychologischen, neurobiologischen bei Gleichwertigkeit der Personen. Er „zeichnet sich durch und gesundheitlichen Auswirkungen und beschreibt den … emotionale Wertschätzung und flexible Kontrolle aus philosophischen, psychologischen und pädagogischen Hin- und wird den Bedürfnissen der Kinder nach Zuwendung … tergrund der Eltern-AG und seines Empowerment-Konzepts. Freiheit innerhalb klarer Grenzen und stabiler Strukturen Im dritten Teil folgen Theorie, Empirie und Forschung. Es sowie Autonomie und Schutz am meisten gerecht“9. Und sie wird über die Ausbildung der Mentoren Auskunft gegeben, alle zielen auf die Steigerung der elterlichen Erziehungskom- ein „Praxisbuch“ berichtet über die Erfahrungen von drei petenz und die Verbesserung der Bedingungen kindlicher Teilnehmerinnen, gefolgt von der „Werkzeugkiste“, die er- Entwicklung. Was die Eltern-AG von den anderen Program- 45 men unterscheidet, ist ihr emanzipatorisches Anliegen, Eltern, die unter Risikobedingungen leben, haben meist die systemisch-ganzheitliche Herangehensweise und die eine psychologische Grundverfassung, die von ungünstigen Tatsache, dass die Zielgruppe nicht nur über das Alter der Partner- und familiären Beziehungen und einem Mangel an Kinder, sondern bildungsspezifisch definiert ist. Während die sozialen Stützsystemen und Netzwerken gekennzeichnet ist. anderen Programme sich ganz allgemein an Eltern richten, Ihre beeinträchtigten Lernbedingungen verhindern das Ein- sind hier nur Teilnehmer und Teilnehmerinnen zugelassen, üben von Problemlösestrategien. Ihre Stresstoleranz und die die die Auswahlkriterien soziale Benachteiligung, Bildungs- Erwartung an die eigene Selbstwirksamkeit sind gering und ferne und Migrationshintergrund erfüllen. werden mit übermäßiger Verdrängung und Vermeidungsverhalten kompensiert. Daraus entstehen stabile Muster, Für die pädagogische Elternarbeit mit bildungsfernen die den Umgang mit Familie und Institutionen prägen und Menschen ist die Frage nach der Relevanz dieses großen die die Befriedigung der eigentlichen Bedürfnisse – stabile gesellschaftskritischen Entwurfs ebenso nahe liegend wie Beziehungen zu Partner und Kindern – verhindern. das Interesse daran, welche neuen, Erfolg versprechenden Methoden und Abläufe im Elternkurs selbst angewandt wer- „Wie die PISA-Studie nachdrücklich aufzeigt“14 ‚sind Risikoel- den. Deshalb werden im Folgenden die gesellschaftlichen tern’ in Deutschland bildungsfern, weil sie – im Vergleich zu Rahmenbedingungen, wie Armbruster sie sieht, dargestellt, anderen Ländern – einen unterdurchschnittlichen Zugang zu dann sein Empowerment-Konzept und schließlich Aufbau, Bildung haben, was sie daran hindert, am Erwerbs- und Kul- Ablauf und Methodik des Elternkurses. turleben teilzunehmen. In dem Maße, in dem Bildung Grundlage jeglicher beruflichen und ökonomischen Lebenssituation ist, ermöglicht diese nicht nur einen sozialen Status über Be- Die Ausgangssituation: „Die gesellschaftlichen Randbedingungen“10 rufspositionen, sondern auch über gesellschaftlich wichtige Handlungsweisen und Kompetenzen. Bildungsferne zieht insofern nicht nur schlechte sozioökonomische Lebenslagen Eltern-AG-Eltern „kommen aus dem unteren Drittel der nach sich, sondern auch einen schlechteren Gesundheitszu- Gesellschaft, zum Teil schon in der zweiten oder dritten stand. Da kognitive Kompetenzen und Motivationen primär Generation, haben vielfach unvollständige Bildungsbiogra- durch den Bildungshintergrund des Elternhauses gestützt phien, sind massiv von gesellschaftlichem Abstieg bedroht werden, haben auch die Kinder von Risikoeltern geringe oder schon arbeitslos, häufig Empfänger öffentlicher Chancen, die Bildungsarmut ihrer Eltern zu überwinden. Re- 11 Hilfen“ , ein Teil von ihnen sind Migranten. Es sind Eltern, sultat der erlittenen Ausgrenzung sind Gefühle von Versagen die unter Risikobedingungen leben und im Wesentlichen drei und eigener Schuld, denn ein Bewusstsein für die globalen Hauptmerkmale aufweisen: Deprivation, Bildungsferne und wirtschaftlichen Zusammenhänge und ihre Auswirkungen Migrationshintergrund. ist nicht vorhanden. ‚Risikoeltern’ sind in sensorischer, emotionaler, sozialer und In einer ähnlichen Situation finden sich Eltern und Kinder materieller Hinsicht depriviert im Vergleich zu Eltern, die an- mit Migrationshintergrund. Soziale und kognitive Kompe- deren Schichten angehören. Die meisten dieser Eltern haben tenzen sind Grundvoraussetzung für Bildung, Spracherwerb in ihrer eigenen Kindheit emotionale Mangelerfahrungen ge- und Integration. Einwanderer haben meist nur wenige Mög- macht. Ihre fundamentalen psychischen Grundbedürfnisse lichkeiten, diese Kompetenzen zu erwerben. Entsprechend 12 sind bereits können sich auch die Kinder von Migranten meist nicht in die in ihrer frühen Kindheit verletzt worden oder sie sind durch Mehrheitsgesellschaft integrieren, ihre Bildungsabschlüsse Langzeitarbeitslosigkeit, Armut und sozialen Ausschluss sind in den Bereichen Real- und Fachschulabschluss sowie zermürbt. Dabei empfinden sie denselben Anspruch auf Abitur deutlich unterrepräsentiert15. Ein Ausschluss von stabile Verhältnisse, ausreichendes Einkommen und gesell- Chancengleichheit und Partizipation, der sich über Generati- schaftliche Teilhabe, erleben aber täglich die Kluft zwischen onen fortsetzt, ist die Folge. nach Bindung, Kontrolle, Selbstwert und Lust Anspruch und Realität. Diese Erfahrung führt zu Demotivation, Resignation und Vermeidungsverhalten, eine Haltung, Diese sich auf allen Ebenen abspielende soziale Benachtei- die ihnen von der Mehrheitsgesellschaft „wie zum Hohn … ligung von Risikoeltern wirkt sich besonders gravierend auf als Beweis für Passivität, Faulheit und Gleichgültigkeit“13 Säuglinge und Kleinkinder aus, die die Folgen dieser Benach- ausgelegt wird. teiligung ungefiltert zu spüren bekommen. Dysfunktionale Interaktionsmuster kennzeichnen die Eltern-Kind-Beziehung: chaotische Zeitstruktur, inkonsistentes Erziehungsverhalten 46 mit einem Wechsel von Nachlässigkeit, Gewähren lassen und ‚Risikoeltern’ Überverwöhnung und andererseits unvorhersehbare, strenge Disziplinierungsmaßnahmen, häufig wechselnde Bezugs- ‚Risikoeltern’ sind den Herausforderungen der modernen personen, Vaterabwesenheit und generell ein ausgeprägter Gesellschaft, die Individualisierung auf der einen und Globa- Mangel an männlichen Rollenvorbildern. Daraus resultiert ein lisierung auf der anderen Seite mit sich bringt, in besonderer erhöhtes Risiko für die Ausbildung von Bindungsstörungen, Weise ausgeliefert. Wenn als Folge von Individualisierung impulsivem und provokativem Verhalten oder depressivem neue Lebensweisen und Familienformen – z. B. Ein-Eltern- Rückzug bei den Kindern. (siehe Abb.1) oder Patchworkfamilien – entstehen, so stellen die damit einhergehenden Freiheiten für Familien mit sozialer Benachteiligung eine besonders hohe Anforderung wenn nicht gar Überforderung dar. In dem Maße, wie es keine allgemeingültigen Rollenmodelle mehr gibt, müssen alle Regeln des Zusammenlebens selber erdacht und ausgehandelt werden, was hohe kommunikative und Problemlösefähigkeiten voraussetzt. Zusätzlich verlangt die Struktur des Arbeitsmarktes Mobilität und Flexibilität, Eigenschaften, die zwar euphemisiert und als Vorteile dargestellt werden, die aber im Grunde eine „Umverteilung von Risiken vom Staat und der Wirtschaft auf die Individuen“17 bedeuten. Sozial schwache Familien werden von der Globalisierung mehr als alle anderen benachteiligt, da es in der Regel ihre Arbeitsplätze sind, die in billigere Produktionsländer verlagert werden und ihnen auf die Weise verloren gehen. Die Globalisierung eröffnet ihnen jedoch keine Aufstiegsmöglichkeiten. Im Gegenteil, Kinder aus armen Elternhäusern haben kaum je die Chance, sich aus eigener Kraft durch Bildung zu emanzipieren. Die gesellschaftliche Realität bildungsferner Menschen steht Abb. 1. Bildungsabschlüsse im Vergleich (nach Diefenbach et al. 2002) Armbruster zufolge dem Grundgesetz verankerten Recht auf Erziehung ihrer Kinder entgegen: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die Jugendliche, die aus sozial schwachen, bildungsfernen zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung Familien stammen, geraten heute in erschreckend hoher wacht die staatliche Gemeinschaft. … Sie sind also weder Anzahl ins gesellschaftliche Abseits und erleben sich als Beauftragte noch Treuhänder des Staates bei der Erziehung 16 gesellschaftlich „überflüssig“ . Bei ca. einem Viertel der ihrer Kinder.“18 Es wird vorausgesetzt, dass alle Eltern über Hauptschulabgänger sind die Kenntnisse der zentralen irgendwelche intuitiven Fertigkeiten zur Erziehung verfügen. Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen mangelhaft Grundsätzlich befähigen diese sie zur Erziehung, unabhängig und ihre Frustrationstoleranz ist gering, so dass sie den von Erziehungsstil und -zielen, und alle Eltern, ganz gleich, an sie gestellten Anforderungen weder leistungsmäßig welcher Schicht sie angehören, übernehmen zunächst unre- noch im Sozialverhalten gewachsen sind. Ihre Erwerbs- flektiert die Muster, die sie selber als Kinder erfahren haben. biographien sind in der Regel von Abbrüchen, Phasen mit Alle Eltern – so wird unterstellt – besitzen Kompetenzen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und/oder Arbeitslosigkeit die für eine positive Entwicklung ihrer Kinder erforderlich gekennzeichnet. Entsprechend gering sind ihre Sozialversi- sind und alle sind motiviert, ihr Möglichstes für solch eine cherungsbeiträge, Rücklagen für das Alter können sie nicht Entwicklung tun. Alle Eltern haben den Wunsch, stolz auf ihr bilden. Wie ihren Eltern prägt sich auch ihnen ein, dass sie Kind zu sein, zu wissen, was ihr Kind gut kann, ihrem Kind zwar in der Gesellschaft leben, aber dennoch nicht dazu gute Ausbildungschancen zu geben, ihnen eine bessere gehören. Darüber hinaus sind eine gravierende soziale Be- Zukunft ermöglichen und eine gute Beziehung zu ihrem nachteiligung der Familie, schlechte Zukunftschancen des Kind zu haben. Aus dieser Diskrepanz zwischen der Realität, Jugendlichen aufgrund eines niedrigen Bildungsniveaus so- dass bildungsfernen Eltern aufgrund ihrer gesellschaftlichen wie Migrationshintergrund bekanntlich diejenigen Faktoren, Randlage Erziehungskompetenzen verloren gegangen sind die auch die Jugendkriminalität besonders begünstigen. und dem Recht auf Erziehung, entsteht ein gesamtgesell- 47 schaftlicher Handlungsbedarf, der von Familienpolitik und Freire geprägt. Die Eltern-AG zielt nicht nur auf die Erhöhung Familienbildung zurzeit nicht adäquat aufgegriffen wird. der Erziehungskompetenz der Eltern ab, sondern auch auf Armbruster antwortet mit seinem Empowermentkonzept eine Veränderung der aktuellen, gesellschaftlichen wie auf diesen gesellschaftlichen Widerspruch und Missstand. individuellen Rahmenbedingungen in der Erziehung. „Die (siehe Abb.2) Erziehungsfähigkeit der Eltern ist der zentrale Schutzfaktor der frühen kindlichen Entwicklung. Die Eltern-AG möchte erreichen, dass sich die von Deprivation betroffenen Eltern mit ihrer Liebe, … ihren Fähigkeiten und Begabungen in die Erziehung einzubringen lernen,“20 dass sie den Kindern Zeit für ihre Entwicklung lassen und ihnen dabei eine positive Bindungsbeziehung, emotionale Sicherheit und Zuwendung und angemessene Stimulation anbieten. Wenn deprivierte Eltern lernen, dass sie selbst liebenswert und kompetente Erzieher sind, zeichnet sich ein Weg aus der sich über Generationen weitergegebenen Marginalisierung ab. Erhalten sie Zuspruch und positive Verstärkung, so können sich gewichtige Veränderungen ergeben, die einen günstigen Kreislauf initiieren können: Abb. 2: Risikokonstellation für die Entstehung psychischer Störungen bei elterlicher Deprivation Eltern trauen sich mehr zu und werden aktiver. Dadurch werden in ihrer Umwelt positive Zuschreibungen ausgelöst, was Dem Konzept der Eltern-AG liegen die Ideen der systemi- wiederum bei ihnen zu einem positiveren Lebensgefühl führt. schen Theorie und Praxis zugrunde, weil „sich die komplexen „Sie werden wacher, aktiver, energischer, konzentrierter und Probleme der Eltern-Kind-Interaktion unter den gesellschaft- zielgerichteter in einer Weise, die durch die Überzeugung der lichen Bedingungen der sozialen Benachteiligung auf den eigenen Wirksamkeit gekennzeichnet ist. Eine solche Haltung verschiedenen Systemebenen nicht lösen lassen, solange wirkt ihrerseits anregend auf die situativen Gegebenheiten man keine ganzheitliche Betrachtungsweise zu Grunde zurück. Das positive Echo der Umwelt wiederum stärkt die legt“19. Systemtheorie, Konstruktivismus, Humanistische Überzeugung bei den Betroffenen, dass die Welt es gut mit Psychologie, Existentialismus und Spiritualität sind der ihnen meint.“21 philosophisch-psychologische Nährboden, aus dem das Menschenbild der Eltern-AG sich speist. Die Menschen Empowerment hat ganz allgemein zum Ziel, die Möglichkei- stehen in einer unaufhebbaren wechselseitigen Abhängig- ten von marginalisierten Menschen zu erweitern, ihr Leben keit voneinander und von ihrer Umwelt, sie streben nach zu bestimmen, sich ihrer Lebenskräfte selbst zu bemäch- Selbstverwirklichung und Ganzheit. Ihre Lebensentwürfe tigen, Experten in eigener Sache zu werden und ihnen die sind subjektiv und müssen respektiert werden, der Einzelne Macht über ihre gesellschaftlich bedingt so gewordenen trägt jedoch Verantwortung für sich und seine Umwelt. Alle Lebensverhältnisse zurückzugeben. Empowerment beinhal- menschlichen Entwicklungen streben nach Transzendenz. tet grundsätzlich zwei Richtungen, die Einwirkung auf sich Für Armbruster ist ‚Risiko’-Elternschaft eine Systemstörung selbst sowie die Einwirkung auf andere. Beide sind miteinan- in den gesellschaftlichen Beziehungen, für die es nur eine der verknüpft, denn die Emanzipation der Adressaten dient gesellschaftliche, aber keine individuelle Verantwortung immer auch der eigenen. geben kann. Gleichzeitig ist ‚Risiko’-Elternschaft eine Zuschreibung der mächtigeren Mehrheit über eine Minorität, Empowerment setzt eine bestimmte Haltung und Form sie ist keine objektive Tatsache sondern eine Konstruktion, der Kommunikation voraus, die auf der Idee der gleichen die dem Machterhalt dient. Augenhöhe basieren. Enthierarchisierung ist angesagt, der Experten-Klienten-Habitus ist out. Empowerment meint Der pädagogische Hintergrund der Eltern-AG ist von der Selbstbemächtigung auf Seiten der Schwachen bei gleich- Reformpädagogik nach Freinet, Korcak, Montessori und zeitigem Disempowerment der professionellen Helfer. Werte 48 und Normen aller Beteiligten stehen gleichberechtigt neben- Feldforschung. Im ersten Schritt nehmen sie Kontakt zu allen einander. Die Eltern-AG-Mentoren sind Teil der Gruppe, sie relevanten Institutionen einer bestimmten Region oder eines sind allerdings verantwortlich für eine gleiche Verteilung von Stadtteils auf und werben für eine Kooperation. Im zweiten Autorität, Macht, Zuständigkeiten und Kontrolle. Hilfsstrate- Schritt werden die Eltern ‚aquiriert’. Sie werden an Orten, gien werden gemeinsam geplant und durchgeführt, denn die an denen sie sich gewohnheitsgemäß aufhalten, wie zum Mentoren widersetzen sich der „gesellschaftlich inszenierten Beispiel Spielplätze, durch Werbemaßnahmen wie Stehgreif- 22 Hilfsbedürftigkeit“ . theater oder Grillen zum Mitmachen eingeladen und über die Eltern-AG informiert. Dieses Vorgehen ist eine Konsequenz 23 Das „kompensatorische Modell“ des Empowerment-Kon- aus der allgemeinen Erfahrung, dass ‚Risiko-Eltern’ von der zepts der Eltern-AG schreibt den ‚Risiko-Eltern’ nur in gerin- Vielzahl der Unterstützungsangebote in Form von Elternkur- gem Maß Verantwortung für ihre Situation zu, fordert sie aber sen, Elterninformationsabenden etc. nicht erreicht werden, zugleich auf, Verantwortung für die Lösung der Probleme zu weil diese zu hochschwellig sind bzw. sie zahlreiche negative übernehmen. Statt vorhandene Schwächen zu analysieren, Erfahrungen mit Jugendämtern, Schulen oder Sozialarbeitern statt Psychopathologisierung und Therapeutisierung werden gemacht haben und deshalb Institutionen meiden. Daher die eigenen Einstellungen hinsichtlich Selbstwirksamkeit, nutzen die Mentoren bei der ‚Aquise’ eine Streetworkvor- Kontrolle und Belastbarkeit in den Mittelpunkt gestellt und gehensweise, um Zugangsbarrieren zu verringern. Sind 10 positiv konnotiert. Die Erfahrung von zunehmender Selbst- Eltern gefunden und ein Ort ermittelt, kann sich die Gruppe wirksamkeit im familiären Alltag führt zu einer generalisiert konstituieren. positiveren Ergebniserwartung und fördert das allgemeine Vertrauen in die eigenen personalen Kompetenzen. Die In der Initialphase finden die ersten 10 Sitzungen statt. Im Grundpfeiler dieses Ansatzes von Empowerment sind Fokus liegt hier die Herausbildung von geregelten Abläufen, Ressourcenorientierung und Positive Psychologie mit ihrer die Bearbeitung der Gruppen- und Erziehungsregeln und die zentralen Technik des Refraiming sowie Klientenorientierung Förderung einer Gruppenidentität. Dabei geben die Mentoren und Lebensweltorientierung. Rahmen und Struktur des Ablaufs vor. Die Sitzungen 11-20 bilden die Konsolidierungsphase. Während die Struktur stets die gleiche bleibt, übernehmen nun zunehmend die Eltern die Der Elternkurs für Kinder von 0-6 Jahren Gestaltung der Kurstreffen und damit die Mitverantwortung für das Gruppengeschehen. Auf Wunsch der Eltern können Die Eltern-AG ist ein Präventionsprogramm zur Steigerung auch zusätzliche Aktivitäten wie Spiel- und Bastelnachmit- der Erziehungskompetenz bei ‚Risiko’-Eltern von Kindern tage oder Ausflüge stattfinden. Nach Ablauf der beiden zwischen 0 und 6 Jahren und für Schwangere. Das Programm Phasen mündet die Eltern-AG in eine Selbsthilfegruppe, die ist kostenlos und gewährleistet Vertrauensschutz sowie dann von den Eltern selbständig weitergeführt wird. eine Kinderbetreuung. Es können pro Gruppe zehn Eltern teilnehmen, sofern sie die Auswahlkriterien Bildungsferne, Jede Eltern-AG-Sitzung besteht aus drei Kernelementen á 30 soziale Benachteiligung oder Migrationshintergrund erfüllen. min: a. „Kognition: Schlaue Eltern“, b. „Stressmanagement: Interessenten, die diese Kriterien nicht erfüllen, werden an Relax“, c. „Soziales Lernen in der Gruppe: Mein aufregender andere Angebote weitervermittelt und gegebenenfalls zu ei- Familienalltag“.24 nem Schnuppertermin begleitet. Der Ort, an dem die ElternAG stattfindet, sollte nah und erreichbar für alle Teilnehmer Im ersten Teil ‚Schlaue Eltern’ halten die Mentoren nach und Teilnehmerinnen sein. Jede Eltern-AG-Gruppe wird in einer kurzen Begrüßung einen leicht verständlichen Kurzvor- ihrer Leitung möglichst paritätisch mit einem Mann und ei- trag von ca. 10 min zu einem der Inhalte, die sich die Eltern ner Frau besetzt, um den Teilnehmern und Teilnehmerinnen gewünscht haben und die für sie aktuell von Bedeutung sind. eine Vater- bzw. Mutteridentifikation zu ermöglichen. Jede Anschließend folgt eine Diskussion von ca. 20 min, in der die Eltern-AG-Sitzung wird von den Mentoren standardisiert Eltern als Experten für ihre Kinder ihre Erfahrungen zum The- dokumentiert und evaluiert. ma einbringen und sich austauschen können. Die Arbeit mit den motivational hoch besetzten, persönlichen Anliegen der Die Aktivitäten der Eltern-AG sind in zwei Phasen gegliedert, Eltern garantiert eine hohe Aufmerksamkeit der Teilnehmer erstens die ca. sechswöchige Vorlaufphase zur ‚Aquise’ und Teilnehmerinnen. Gleichzeitig erhöht das gesteigerte der Eltern und zweitens die Gruppentreffen mit Initial- und persönliche Engagement ihre Aufnahmebereitschaft und Konsolidierungsphase mit 20 Treffen á 1,5 Stunden. In der damit auch ihr Selbstbewusstsein. Vorlaufphase betreiben die Mentoren eine Art zweischrittige 49 Bei ‚Risiko-Eltern’ führt der Alltag zu Dauerstress und zu verschiedenen Ansätzen der autoritativen Erziehung ent- einem Erregungsniveau, das permanent überhöht ist, Vor- nommen und sollen den Eltern eine Orientierung für ihren bilder für einen konstruktiven Umgang mit Stress haben sie Alltag geben. Mit autoritativ ist hier gemeint, dass Kinder nicht. Sie empfinden, ohne es zu wollen, ihre Kinder als große nicht gleichrangig aber gleichwertig sind, dass die Beziehung Belastung bzw. als Ursache für ihren Stress, dabei werden zwischen Eltern und Kindern aufgrund unterschiedlicher diese zu Empfängern der negativen Emotionen. In den Erfahrungs- und Wissensstände asymmetrisch ist und sein ersten 15 min des ‚Relax’-Teils erzählen sich die Eltern ge- soll. (siehe Abb.3) genseitig, wie sie mit Stress umgehen, welche Lösungen sie versucht und zu welchen Ergebnissen diese geführt haben. Die Mentoren lenken dabei die Aufmerksamkeit der Eltern auf ihre Körperwahrnehmung und unterstützen sie dabei, ihre Selbstwahrnehmung zu sensibilisieren. In den zweiten 15 min greifen die Mentoren die Erfahrungen der Eltern auf, laden zum Ausprobieren ein oder sie bringen Übungen als Anregung mit, die die Eltern für sich oder gemeinsam mit ihren Kindern zuhause als Inseln der Entspannung in ihren ELTERN-AG Randgruppen -Eltern Tag einbauen können. Das dritte Kernelement ‚Mein aufregender Familienalltag’ bietet den Eltern 30 min, die sie zur freien Diskussion über Themen ihrer Wahl, zum Vertiefen bestimmter Erziehungsthemen oder für Berichte aus ihrem Alltag nutzen können. Die Mentoren achten darauf, die Versuche der Eltern zu würdigen und sie in der Überzeugung, ihre Kinder zu lieben und sich um eine positive Erziehung zu bemühen, zu bestärken. Die Mentoren versäumen keine Gelegenheit, die Versuche Abb. 3: Das Strukturmodell der ELTERN-AG der Eltern positiv zu konnotieren, sie zu loben und sie anzuerkennen. Eltern werden in dem Prozess, ein stärkeres In der Eltern-AG wird vor allem auf implizite Lernvorgänge Selbstvertrauen im Hinblick auf ihre Erziehungskompetenz gesetzt, also auf die unbewusste Aneignung von Fertigkei- zu gewinnen, unterstützt und darin bestärkt, dieses Selbst- ten und Erfahrungen. Armbruster geht davon aus, dass sich vertrauen auch auf Situationen im Alltag, etwa Gespräche psychische Grundbedürfnisse in Vermeidungs- und Annähe- mit Erziehern oder Lehrern, zu transferieren. rungsschemata manifestieren.27 Menschen mit bruchstückhaften Bildungskarrieren können bei der Konfrontation mit Inhaltlich unterfüttert werden die drei Kernelemente von den 25 expliziten Lernvorgängen erhebliche Widerstände mobilisie- Mentoren mit den „Sechs goldenen Erziehungsregeln“ : ren. In impliziten, unbewussten Lernsituationen ist es für sie Respekt vor dem Kind, Förderung und Ansprechbarkeit, leichter neues Verhalten einzuüben, Vermeidungsverhalten Grenzen-Setzen und Konsequenz, Verstärkung des er- ablegen und zu einer „Haltung des Annäherns“28 gelangen. wünschten Verhaltens und Ignorieren des unerwünschten Der Teil ‚Kognition’, in dem es um explizite, bewusste Wis- Verhaltens, Konstruktives Austragen von Konflikten und sensaufnahme geht, wird deshalb gezielt kurz gehalten. Gewaltfreie Erziehung. Die Regeln werden nicht wie bei den anderen Elternkursen nacheinander und aufeinander auf- Die Mentoren haben die Funktion von Begleitern und Ermög- bauend behandelt, sondern sie werden von den Mentoren in lichern, die sich auf gleicher Augenhöhe mit den Teilnehmern die Kurzvorträge und Gespräche mit den Eltern eingebracht, und Teilnehmerinnen befinden. Sie zeichnen sich aus durch sozusagen en passant. Ziel ist, dass daraus für die Eltern ein „empathisches Moderieren, vollständiges und bedingungs- gemeinsames Arbeitsmodell wird, „das sich im Laufe der freies Akzeptieren und Echtheit, … und eine Haltung des Entwicklung zu einer Art von allgemeinem Weltverständnis Nichtwissens“29. Sie tragen die Verantwortung für eine posi- verfestigt“26 und sich ihnen eher implizit als explizit einprägt. tive Gruppenatmosphäre und für eine Kultur des Lobes und Die Eltern-AG geht davon aus, dass es bestimmte, basale der Wertschätzung. Sie bereiten den fruchtbaren Boden, auf Erziehungspraktiken gibt, die ein gutes Klima in einer Familie dem positives Erfahrungslernen stattfinden kann und zielen erzeugen und risikoreiche Lebensbedingungen weitgehend mit ihren Interventionen stets auf die Befriedigung ungestill- neutralisieren können. Die sechs Regeln wurden aus den ter Grundbedürfnisse der Eltern nach Selbstwirksamkeit, 50 Akzeptanz und Bestätigung, nach Selbstwerterhöhung und eigene unbewusste innere Haltung zum Kind zu verändern. Steigerung des Wohlbefindens. Körperübungen als Bestandteil eines Elternkurses sind ein guter Weg zu besserer Selbstwahrnehmung und Entspan- In die Eltern-AG-Treffen werden erwachsenenpädagogische nung, können Lernvorgänge allgemein und eine positive Methoden eingebaut, die das implizite Lernen spielerisch un- Eltern-Kind-Beziehung im Besonderen unterstützen helfen. terstützen und den Eltern ermöglichen, neues Wissen leicht und nachhaltig aufzunehmen. Dabei sollen möglichst alle Ob dieses Programm geeigneter ist für bildungsferne Eltern, Sinne der Teilnehmer und Teilnehmerinnen angesprochen, ob sie mit diesem zufriedener sind als sie es mit anderen abstrakte Konzepte konkret gemacht, bereits bekannte wären, ob sie sich in einer bildungsspezifisch homogenen Informationen genutzt, Emotionen ausgelöst, Interesse ge- Gruppe eher akzeptiert, unterstützt und zugehörig fühlen weckt, Lust und Spaß bereitet, vereinfacht und ohne Zwang und besser lernen können als in einer bildungsheterogenen, wiederholt werden. Die seit den Anfängen der Eltern-AG ge- ob sich die sechs goldenen Regeln nachhaltig zu einem sammelten Methoden tragen der spezifischen Struktur der ‚allgemeinen Weltverständnis’ verfestigen, ob ihnen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen Rechnung. Es sollte kein Transfer von der Eltern-AG-Erfahrung zum Umgang mit den Schreiben erforderlich sein, eine Exponierung Einzelner wird Institutionen gelingt und ob sich schließlich alle Eltern-AG- ausgeschlossen, Übungen, die engen Körperkontakt erfor- Teilnehmer und -Teilnehmerinnen empowern (lassen) wollen, dern, werden gemieden. Am Ende der Eltern-AG erhalten alle muss anhand von Evaluations- und Forschungsergebnissen Eltern das Zertifikat ‚Elternführerschein der Eltern-AG’ sowie überprüft werden.31 Wenn aber ein Weg von der Ich-AG zur ein Schatzbuch, das alle Tipps und Tricks, Bilder, Spielanlei- Eltern-AG, von der Vereinzelung zur Gemeinschaft, wenn tungen, Pläne zur Vorbereitung von Festen und dergleichen Reintegration in Richtung Mitte der Gesellschaft im Sinne von enthält und die in der so genannten ‚Schatzkiste’ gesammelt mehr Partizipation glücken soll, dann ist eine Gruppe Gleich- wurden. gesinnter nötig, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, sich empowern lassen und sich selber empowern. Empowerment als eine „Option für die Armen und die Anderen“? Der besonders niedrigschwellige Zugang zur Eltern-AG ist sicher ein entscheidender Vorteil, wenn es darum geht, bildungsferne Eltern zu erreichen und zu gewinnen. Diesen Prof. Armbruster alias ‚Commander M. Power’ ist ein „Sozial- Eltern auf Augenhöhe zu begegnen, heißt nichts anderes, romantiker, der keine Ungerechtigkeit erträgt und unerschüt- als ihre Menschenwürde zu achten und sie als gleichwer- terlich an das Gute im Menschen glaubt“30, und von diesem tig anzusehen. Das ist für jede Form von sozialer Arbeit Glauben ist jedes Kapitel des Buches durchdrungen. Allein Voraussetzung, wenn sie erfolgreich sein will. Es ist ein Teil sein Enthusiasmus und seine evidenzbasierte Überzeugung, des Expertentums der Mentoren, dass sie ihre möglichen, dass die Eltern-AG einen relevanten Beitrag zur Änderung schichtspezifischen Vorurteile reflektieren und nicht agieren. der schier aussichtslosen Lage von marginalisierten Eltern Wenn Fachleute und Bildungsferne also einander auf Augen- liefern kann, macht dieses Buch lesenswert. höhe begegnen, kann auf beiden Seiten eine „Haltung der Annäherung“32 stattfinden. Unmittelbar einleuchtend ist, dass die Situation der Sozial Schwachen eine gesamtgesellschaftliche Lösung verlangt, Dass die Emanzipation der Anderen immer auch der eigenen die sich gegen Marginalisierung richtet und für Partizipation dient, ist der Kerngedanke des Empowermentkonzepts, wie sorgt und nicht auf dem Rücken von Pädagogen, Thera- Prof. Armbruster es versteht. Dieses Konzept findet seine peuten und Jugendämtern ausgetragen werden kann. Das Entsprechung in einem von der Befreiungstheologie abge- Empowerment-Konzept, das in der amerikanischen Gemein- leiteten christlichen Menschenbild, welches beinhaltet, dass wesenarbeit entstanden ist und einen emanzipatorischen „ich meine Freiheit nur behaupten und beanspruchen kann, Anspruch birgt – in Deutschland bekannt gemacht und wenn ich sie gleichzeitig für alle Menschen behaupte“33. verbreitet durch Heiner Keupp, Professor für Sozial- und Ge- Insofern kann Empowerment auch als eine Form von Nächs- meindepsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität tenliebe, nämlich als „Option für die Armen und die Anderen München –, ist als Fundament und übergeordnetes Ziel (Fremden)“34 gesehen werden. Empowerment wäre dann eines Elternprogramms sicher geeignet. Implizites Lernen ist das weltliche Gegenstück der christlichen Praxis, die auch ein wichtiger Lernvorgang, wenn es, wie in der Kindererzie- „nur dann richtig [ist], wenn sie … sich nicht nur um die Op- hung, nicht nur um Wissenszuwachs geht sondern vor allem fer auf der ‚Strasse nach Jericho’ kümmert sondern bei der darum, neue, ermutigende Erfahrungen zu machen und die Bekämpfung der Räuberei mitwirkt.“35 51 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. Carl Auer Verlag, Heidelberg 2006; www.eltern-ag.de Der MAPP e.V. ist der gemeinnützige Mitgliederverein der Magdeburger Akademie für Praxisorientierte Psychologie und arbeitet als An-Institut eng mit der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH) zusammen: mapp-ev. org Prof. Meinrad Armbruster, Lehrtherapeut und Supervisor in systemischer Beratung und Therapie, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut und Psychologischer Psychotherapeut, seit 2000 Professor für Pädagogische Psychologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal Sich und andere dazu befähigen, das eigene Leben selbstverantwortlich zu gestalten. Eltern-AG, S. 12 Ebd., S. 6 Thesenpapier zum Magdeburger Memorandum, EmpowermentKongress, Magdeburg 2007, S. 1 Eltern-AG, S. 42 Ebd. Ebd., S. 142ff Ebd., S. 18f Ebd., S. 191 Ebd., S. 33 Ebd., S. 23 Ebd., S. 36 Ebd., S. 146 Ebd., S. 150 Ebd., S. 151 Ebd., S. 157 Ebd., S. 164 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. Ebd., S. 171 Ebd., S. 173 Ebd., S. 174 Ebd., S. 39ff Ebd., S. 42 Ebd., S. 44 Ebd., S. 190f Ebd., S. 45 Ebd., S. 27 Ebd., S. 12 Hier wäre es lohnenswert, einen Vergleich der Lernmethoden und -erfolge verschiedener Elternprogramme im Hinblick auf ihre Bildungsund Schichtspezifik anzustellen. Vgl. Anm. 26 Hermann Steinkamp in: „Qualitätsentwicklung – Eine Option für die Güte“, hrsg. von Maria Dietzfelbinger u. Achim Haid-Loh, Untersuchungen aus dem Evangelischen Zentralinstitut für Familienberatung, Berlin, Nr. 19, Berlin 1998, S. 308 Ebd., S. 308 Ebd., S. 307 Angaben zur Autorin Juliane Meyer-Clason ist Erwachsenenpädagogin und Psychologische Ehe-, Lebens- und Familienberaterin (EZI). Sie arbeitet freiberuflich in Berlin und Potsdam als Beraterin und Leiterin von Elterngruppen. Martin Koschorke Paarberatung am Rande der Taiga Khabarovsk. Hauptstadt des „Fernen Ostens“, einer der sie- die Grenze gekommen, suchen sie der russischen Polizei zu ben Regionen Russlands, 8.500 Km hinter Moskau. Zwischen entgehen, die sie gerne aufgreift und abschiebt. Holzhäusern und sozialistischen Wohnblocks schießen Glaspaläste, modernste Wohnanlagen und orthodoxe Kir- Der Sommer bringt mit bis zu 40° fast unerträgliche Hitze, chen mit vergoldeten Kuppeln aus dem Boden. Zwei grüne, Stechmückenschwärme und Waldbrände, die die Sicht ver- blumenreiche Alleen durchziehen die Stadt bis zu den Ufern hüllen und das Atmen erschweren. Die Winter bescheren des Amur, einem der mächtigsten Ströme der Erde, 2.800 Temperaturen bis zu –40° und die Eisskulpturen lokaler Km lang, auf Hunderten von Kilometern Grenze zwischen Künstler. Die schönste Jahreszeit ist der September, er taucht Russland und China. Auf der Ulica Muravjeva Amurskogo, die Landschaft in goldenes Licht. Unweit der Stadt beginnt dem Nobelboulevard, bieten Läden in geschmackvoll res- die Taiga, wo sibirische Tiger – kräftiger und schwerer als ihre taurierten Gebäuden der Gründerzeit bis spät in den Abend indischen Vettern – und Bären in Wildnis leben. alles, was westlicher und neuerdings auch russischer Luxus zu bieten hat. Der nahegelegene Markt beeindruckt durch Die Ureinwohner, die Nanai, haben sich an den Rand der das Völkergemisch dieses Riesenlandes, Russen mit hellen Zivilisation zurückgezogen. Dort suchen sie ihre Sprache blauen Augen, Kasachen, Tartaren, Burjaten, Koreaner – sie und Kultur zu wahren. Stolz zeigen sie Steinskulpturen aus sind die Nachkommen jener Gefangenen, die die Japaner prähistorischer Zeit und Handarbeiten mit Farben und For- im russisch-japanischen Krieg missbrauchten und die Korea men unglaublicher Schönheit, die an die Kunstwerke aust- nicht wieder aufnehmen will – Chinesen, Mongolen. Letztere ralischer Aborigines erinnern und direkt zum Unbewussten verstecken sich eher. Auf der Suche nach Arbeit illegal über sprechen. 52 Angst vor dem großen Nachbarn Die sozialen Unterschiede sind enorm und haben sich den Jahren der Herrschaft Putins noch verschärft. Eine junge Der ferne Osten Russlands ist ein Land grenzenloser Weite. dynamische Mittelschicht treibt Handel mit der ganzen Welt Auf einer Fläche, die fast der Größe Westeuropas entspricht, und fährt flotte japanische oder westeuropäische Autos, leben 4 Millionen Menschen. Auf der anderen Seite der vielen Alten geht es schlecht, bei rund 100 € Monatsrente. russisch-chinesischen Grenze, in der Mandschurei, sind es 260 Millionen. Von den eleganten Terrassen Khabarovsks am Ufer des Amur geht der Blick bei klarem Wetter über Die abgebrannte Datsche den drei Kilometer breiten Strom hinüber zu den Hügeln Chinas. China ist allgegenwärtig. Nach China fährt man in 40 Kaum zu Stillen ist der Durst nach allem Wissen, das mit Minuten mit einem Flussdampfer, um billig einzukaufen oder Psychologie zu tun hat. Bis 1990 gab es in Russland östlich sich massieren zu lassen. Aus China kommen Gemüse und des Urals keinen einzigen Doktor in Psychologie. Das heißt, Orangen. Nach Südchina fliegt man, um günstig Urlaub zu Psychologie existierte nicht als Lehrfach an Hochschulen machen. Aber China beunruhigt. „Es sind so viele!“ hörte ich und Universitäten. Klarissa Vorobjeva war die erste ost- immer wieder. Ansiedlungen unter einer Million gelten dort russische Psychologin, die in Psychologie promovierte, in noch nicht einmal als Stadt. St. Petersburg, mit einer Arbeit über die therapeutische Wirkung des Buches. Dort lernte sie auch Psychoanalyse. Freitag im September ist ein beliebter Hochzeitstag. Ohne Nach Khabarovsk zurückgekehrt gründete sie den fernöst- Probleme kann man da drei Tage lang bei schönem Wetter lichen Psychologenverband um zu verhindern, dass sich feiern. Eine kirchliche Trauung gehört dazu. Die orthodoxe eine Reihe rivalisierender Fachverbände entwickelt. Sie und Kirche hat ihre einstige soziale Funktion wiedergefunden: An ihre Freundin Galina Puchkova verkauften ihre Wohnungen Stelle der Partei, die abgedankt hat, verkörpert sie russische und gründeten das Fernöstliche Institut für Psychologie und Identität und Tradition, unter wohlwollender Billigung durch Psychoanalyse, das beide heute leiten. Regierung und Geheimdienst. Fast alle Gotteshäuser sind, dank privater Spenden, aufwendig renoviert. Reiche Paare Das Institut ist privat, lebt ohne staatliche Unterstützung und lassen sich in der vor zwei Jahren neu errichteten Kathedrale hat drei Fakultäten: je eine für Psychologie, für Psychoanaly- einsegnen, deren goldener Zwiebelturm weithin zu sehen se und für Psychologie im Management. Die Kurse sind voll, ist, ärmere Paare in einfachen Gotteshäusern. Oftmals obwohl die Abschlüsse den Absolventen meist keine klare heiraten mehrere Paare zusammen. Danach geht es zum berufliche Perspektive bieten. Das Lehrpersonal – überwie- ausführlichen Fototermin, entweder vor den Wasserspielen gend Frauen, davon inzwischen fünf Personen mit Promotion des Leninplatzes oder auf den Uferterrassen des Amur. und psychoanalytischer Zusatzausbildung. Die Teilnehmer Mischehen sind nicht selten, und sie sind kein Problem. an der Fortbildung in Paarberatung, zu der ich eingeladen Aber kein russischer Junge heiratet ein chinesisches Mädchen. war – nur Frauen. Überall begegnete ich dem gleichen Inter- Dagegen kommen zunehmend chinesische Männer ins Land, esse, einer fast unstillbaren Sehnsucht, sich selbst kennen zu um Russinnen zu heiraten. Mir wurde ein Fall berichtet, wo lernen, Prozesse zu verstehen, zu wissen, zu lernen. Ob es der chinesische Ehemann des Landes verwiesen wurde, weil die Studierenden des Instituts waren oder die 300 Studenten er nachweislich zum chinesischen Geheimdienst gehört. Die der psychologischen Fakultät der Universität, stundenlang russische Mutter besucht ihren Mann nun mit ihrer Tochter alle saßen sie mucksmäuschenstill und sogen die Informationen drei Wochen in Harbin in der Mandschurei. Die Russen befürch- auf wie trockene Schwämme: über Trennungsberatung und ten, dass solchen Heiraten politische Absicht zugrunde liegt. Mediation, Schwangerschaftskonflikt und Pränataldiagnostik. Nachher kamen sie mit ihren Fragen nach Paardynamik, Mädchen müssen schön sein und Jungen stark, so wurde Abbruchsregelung und Homosexualität. mir erklärt. Und die jungen Frauen in Khabarovsk sind schön, hoch gewachsen, mit leicht distanziert-kokettem Blick, gut Im lokalen Fernsehsender, beim Warten auf ein Interview, gekleidet, häufig im Minirock und auf extrem hohen Stöckel- fragte mich der Chef der familientherapeutischen Abteilung schuhen. Die Männer kleiden sich eher dunkel, traditionell des städtischen Krankenhauses, was ich von Bert Hellinger im Anzug. Die Küche scheint Domäne der Frauen zu sein, halte. „Faszinierend und gefährlich,“ antwortete ich. Sein das Schaschlik am Wochenende Sache der Männer. Um die Team nahm sich zwei Stunden Zeit, um mit mir meine fünf Kinder kümmern sich beide. Lehrer, Arzt und Richter sind Vorbehalte gegenüber Person und Methode Hellingers zu weitgehend Frauenberufe, die Männer streben ins Business. diskutieren. In Russland besteht eine große Nachfrage nach Zum Leben reicht ein Beruf oft nicht aus. zeitgemäßer Psychologie. Dieser Markt wird derzeit von den 53 verschiedensten westlichen Therapieverfahren geradezu die Brandstifter hatten sich in der Etage geirrt. Wieder einen überschwemmt – wie in der ehemaligen DDR Anfang der Tag später erhielt sie einen anonymen Anruf: Hältst Du Deine neunziger Jahre. Kandidatur immer noch aufrecht? Anzeigen bei der Polizei blieben ergebnislos. Im Gegenteil, die Polizei wollte ihr noch Um die Interessen von Psychologie und Beratung auch poli- eine Strafe verpassen – der Brand ihres Landhauses habe die tisch zu vertreten wurde Klarisa Vorobeva von der Hochschu- anderen Häuser des Dorfes gefährdet. Sie konnte jedoch an le, an der sie Vorlesungen hält, gebeten, bei den im Februar Hand von Rechnungen beweisen, dass alle Bauarbeiten von 2007 anstehenden Wahlen als unabhängige Abgeordnete für öffentlichen Firmen unter Beachtung der entsprechenden das von der Regierungspartei dominierte Regionalparlament Vorschriften ausgeführt worden waren. zu kandidieren. Daraufhin brannte ihre Datsche ab, in die sie mich im Herbst des vergangenen Jahres noch eingeladen Klarissa Vorobeva ist inzwischen Duma-Abgeordnete. Dort hatte. Kriminelle Brandstiftung, meinten die Feuerwehrleu- setzt sie sich für die Belange der Familien, der Frauen, Kinder te. Tags darauf brannte es in der Wohnung, die unter ihrer und Jugendlichen ein. Stadtwohnung im zehnten Stock eines Hochhauses liegt – Rezensionen Margret Hauch (Hrsg.) Paartherapie bei sexuellen Störungen Das Hamburger Modell: Konzept und Technik Unter Mitarbeit von S. Cassel-Bähr, G. Galendary, R.A. Kleber, C. Lange, P. Linzer, W. F. Preuss und A. Rethemeier Stuttgart: Thieme 2006, 204 S., ISBN 3-13-139451-X, € 39,95 Sexuelle Funktionsstö- Im Jahr 1970 wurde das Buch „Human Sexual Inadequacy“ rungen kommen in der von Masters und Johnson veröffentlicht. Die beiden amerika- Durchschnittsbevöl- nischen Sexualforscher stellten in diesem Buch erstmals kerung häufig vor. In ihren paartherapeutischen Ansatz zur Behandlung sexueller der Beratungssituation Funktionsstörungen dar, der in den USA, in Canada und werden sie dennoch Europa die Sexualtherapie revolutionierte. Dieser Ansatz verhältnismäßig selten wurde in der Folge u.a. von der Abteilung für Sexualfor- thematisiert. Berater schung am Universitätskrankenhaus Eppendorf in Hamburg berichten in diesem übernommen und in den folgenden Jahren weiterentwickelt, Zusammenhang, sich modifiziert und im Rahmen eines Forschungsprojekts der für diese Fragen nicht DFG evaluiert. Psychodynamisches und paardynamisches genügend ausgebildet Verständnis der sexuellen Symptomatik ergänzte die eher zu fühlen und nicht verhaltenstherapeutische Herangehensweise von Masters zu wissen, wie eine und Johnson und wurde ein wichtiges Kennzeichen des wirksame Beratung und Behandlung sexueller Störungen Hamburger Modells. 1980 wurde das „Hamburger Modell aussehen könnte. der Paartherapie sexueller Störungen“ erstmalig in Form eines Behandlungsmanuals von Gerd Arentewicz und Gunter Das o.g. Manual, geschrieben von M. Hauch und dem Team Schmidt vorgestellt. Dieses Buch war für Ausbildung und Pra- Hamburger Paartherapeuten der Zweiten Generation, bietet xis der Sexualtherapeuten im deutschsprachigen Raum von eine hervorragende Möglichkeit, sich über die Paartherapie, großer Bedeutung und erlebte drei Auflagen. Nach nunmehr aber auch die Einzeltherapie bei sexuellen Störungen genau- 25 Jahren wurde dieses Buch grundlegend überarbeitet. er zu informieren. Damit werden die Weiterentwicklungen dieses erfolgreichen 54 Behandlungsmodells einem größeren Publikum zugänglich Mit dem Einbeziehen des Körpers und seiner Lerngeschichte gemacht. M. Hauch und ihre KollegInnen sind alle sowohl in eröffnet diese Therapiemethode Zugang auch zu vorsprach- der Ausbildung angehender Sexualtherapeuten in Hamburg lichen Erfahrungen und erlaubt, im Rahmen der Therapie mit wie auch in der praktischen Arbeit als Therapeuten sexueller der verändernden Potenz neuer Berührungs- und Begeg- Störungen tätig. nungserfahrungen zu experimentieren. Auch für Patienten mit Störungen der Sexualität im Rahmen körperlicher Erkrankungen oder Behinderungen oder bei physisch oder sexuell traumatisierten Patienten ist durch diese Methode ein neuer Was ist das Besondere am Hamburger Modell? Zugang zur Sexualität möglich. Hier gibt es einen konkreten Handlungs- und Erfahrungsraum neben der Sprache. Bei Es weist drei wesentliche Elemente auf: dieser erfahrungsorientierten Therapie sind die Klienten von 1. Das Paar wird behandelt, wenn die sexuelle Störung im Anfang an mitgestaltend, handelnd und reflektierend in den Kontext partnerschaftlicher Sexualität auftritt und beide therapeutischen Prozess einbezogen. Durch die durchge- Partner zu einer Therapie motiviert werden können. hende Betonung und Stärkung der Selbstverantwortlichkeit Die therapeutische Arbeit orientiert sich am Fokus und Selbstwirksamkeit im Therapieprozess und durch die körperlicher Erfahrungen und Interaktionen (zwi- konkrete Erfahrung, dass Veränderung, Lernen und Ausein- schen den therapeutischen Sitzungen macht das Paar in andersetzung möglich sind, wird Autonomie entwickelt. Das Einzelübungen und Paarübungen neue körperliche Erfah- Wahrnehmen und Vertreten eigener Grenzen wird ebenso rungen, dies anhand klar strukturierter Verhaltensvorga- gefördert wie die Bereitschaft, diese Grenzen handelnd aus- ben, die aus den von Masters und Johnson entwickelten zuloten und den eigenen und partnerschaftlichen Spielraum Übungen entwickelt wurden. Auf diese Weise wird im zu erweitern. Das von Schnarch in den USA - und in der Folge Rahmen der Therapie - um mit Winnicott zu sprechen von Clement in Deutschland - als Differentiation bezeichnete - durch die klar strukturierten Handlungsvorgaben ein Modell von Individuation im Rahmen einer Partnerschaft ist sicherer Ort für neue Lernerfahrungen geschaffen, ein somit nicht neu, sondern seit jeher ein wichtiges Anliegen „optional space“. Es wird ein Erfahrungs- und Spielraum des Hamburger Therapiemodells. Bei den Übungen und im eröffnet, in dem ein neues Kennenlernen des eigenen therapeutischen Gespräch kann praktiziert werden, was Körpers, der eigenen sexuellen und partnerbezogenen Stierlin als „bezogene Individuation“ bezeichnet hat. Wünsche wie auch ein genaueres Kennenlernen des Im Manual wird deutlich, wie mit der Entwicklung von Selbst- Partners - mit dessen sexuellem Erleben, Wünschen verantwortung, eigenverantwortlichem Handeln und neuen und Ängsten - möglich wird. körperlichen und seelischen Erfahrungen im Rahmen der Ausgehend von diesen Erfahrungen ist Sexualität „Übungen“ Auseinandersetzung, Versöhnung, Wachstum, explizit Thema und Vehikel und steht im Fokus der echte Begegnung und Intimität möglich wird. Diese Erfah- psychotherapeutischen Arbeit. Zum einen sind es die rungen sind in einen therapeutischen Rahmen eingebettet, neuen Körper-und Beziehungserfahrungen selbst, die der seitens der Therapeuten von einer Haltung der Transpa- einen veränderten Umgang mit sich selbst und dem renz, des Respekts und Achtung gegenüber den Patienten Partner ermöglichen. Außerdem werden aufgrund der ausgeht, aber Konfrontation im Dienste der Entwicklung individuellen Erfahrungen bei den Übungen intra- und möglicher Potentiale zwingend beinhaltet und somit Modell interpersonelle Klärungen und Auseinandersetzungen ist für den Umgang des Paares miteinander. 2. 3. möglich - z. B. mit den Vorbildern und Aufträgen der eigenen Herkunftsfamilie bezüglich Sexualität - die im Prozess der Therapie bearbeitet werden können. Zum Aufbau des Manuals: Das empathische Verstehen sexueller Erlebensweisen und sexueller Symptome im Kontext der jeweiligen Biografie, Im einleitenden Theorieteil wird das praxisnahe Vorgehen aber auch der jeweiligen Paargeschichte und -dynamik, ist besonders deutlich. Grundlage dieser Therapie und wird anhand vieler klinischer Die drei Kapitel „Wer wird behandelt?“, „Was wird behan- Beispiele verdeutlicht. delt?“ und „Wie wird behandelt?“ stellen die Indikationen, die Vorraussetzungen seitens der Patienten und die behan- Die Bedeutung von Lerndefiziten und Selbstverstärkungs- delbaren Störungen vor und machen mit den Grundlagen mechanismen und die Möglichkeit, diese durch eigenes Ver- des therapeutischen Vorgehens vertraut. stehen und Handeln aufzulösen, kann eindrucksvoll gezeigt werden. 55 Der 2. Teil des Buches ist der genauen Darstellung des Das Manual ist so konzipiert, dass der Text auch für Sexu- konkreten Ablaufs einer Paartherapie bei sexuellen Störun- alberater sowohl für die Arbeit mit Einzelnen wie auch mit gen gewidmet. Paaren Anregungen bietet. Ein detaillierter Leitfaden zur Sexualanamnese sowie Dar- Nach den Beschreibungen der Ziele der jeweiligen Therapie- stellungen einzelner Übungselemente sind hilfreich für die phase wird das konkrete therapeutische Vorgehen erläutert Praxis. und mit vielen Fallbeispielen veranschaulicht. In einem Unterabschnitt werden die für die jeweilige Thera- Zu empfehlen ist dieses Buch allen, die bereits im Bereich piephase wichtigen Themen diskutiert. von Sexualberatung oder Sexualtherapie tätig sind - aber auch allen BeraterInnen, ÄrztInnen und PsychotherapeutIn- Trotz der Beteiligung vieler Autorinnen und Autoren ist nen, die ihre Kompetenz in der Beratung und Behandlung die Darstellung kohärent und gut lesbar. Die Ebene der sexueller Störungen verbessern wollen. körperlichen Erfahrungen in den Einzel- und Paarübungen, der Prozess der Therapie, die verhaltenstherapeutische, Dr. Ruth Gnirrs-Bormet psychodynamische und systemische Elemente beinhaltet, kann vermittelt werden. Dr. Roland Weber (Hrsg.) „Paare in Therapie – Erlebnisintensive Methoden und Übungen“ 2006, 1. Aufl. 240 S. Pbm, Klett-Cotta, ISBN-13: 9783608890280 Was machen Sie in Ihren zu einer erlebnisorientierten Paarberatung, der von einem Paarberatungen, wenn sehr erfahrenen Meister des Fachs zusammengestellt wurde diese festgefahren sind, und sehr universell, d.h. meinem Erachten nach auch thera- wenn pieschulenübergreifend einsetzbar ist. die Erkenntnisse der Supervision nicht so richtig greifen, wenn Sie Der Einstieg in das Buch, sozusagen der oberste Schub sehr gut den Konflikt oder dieses Handwerkskastens, ist sehr kurz, fast schon zu kurz. die Dynamik des Paares In zwei knappen Kapiteln wird der theoretische Hintergrund, erkannt haben, aber das von dem der Autor ausgeht, sowie die Bedeutung und das Paar sich weigert, sich Verständnis erlebnisintensiver Methoden in der Paarbera- auf Sie und die Beratung tung skizziert. Beim ersten Lesen des Buches war ich an einzulassen. Kurz gesagt, dieser Stelle etwas unzufrieden und wollte ausführlicher was machen Sie, wenn Sie über Roland Webers theoretische Konzeption von Paarthe- mit Ihrem Latein am Ende rapie informiert werden. Doch wie würde das Buch wirken, sind. Vielleicht beginnen Sie in der Literatur nach neuen wenn an dieser Stelle mehr stände und es mit einem Mal 400 Methoden zu suchen, wie man das Paar und die Therapie Seiten hätte. Das Buch wäre dicker, schwerer, würde nicht aus dieser Erstarrung befreien kann. Mit Roland Webers mehr in die Manteltasche passen und wäre schon ein Werk- Buch „Paare in Therapie – Erlebnisintensive Methoden und zeugschrank. Es wäre kurzum ein anderes Buch. Außerdem Übungen“ wird Ihnen nun diese Suche erleichtert. Auf ca. verweist Roland Weber ja auf weiterführende Literatur und 270 Seiten sind sehr anschaulich Interventionen in ihrem löst dieses vermutlich auch für ihn bestehendes Problem der praktischen Ablauf dargestellt und mit unzähligen Fallbe- Kürze. Und jetzt nach einem weiteren Lesen denke ich, dass spielen illustriert. Sie erhalten also einen Handwerkskasten er gut daran tat. 56 Kapitel 3 schildert 18 Werkzeuge, so genannte Kurzinterven- Teile-Arbeit beispielsweise werden zuerst die theoretischen tion in der Paarberatung. Damit sind Übungen gemeint, die Ansätze von Parts Party nach Virginia Satir, der Inneren in jeder Phase der Paarberatung ohne große Vorbereitung Familie von Richard Schwartz, der Konferenz mit der inne- einsetzbar sind. Das heißt aber nicht, dass diese Interven- ren Familie von Gunther Schmidt sowie der Metapher vom tionen nicht gut eingebettet sein sollten, wie Roland Weber inneren Team nach Friedrich Schultz von Thun vorgestellt. richtigerweise andeutet. Diesen Gedanken wünschte ich Danach schließt sich die Darstellung des methodischen Vor- mir noch ein wenig ausgearbeiteter, beobachte ich doch gehens an, dass in einem ersten Schritt die „Teile-Sprache“ teilweise einen sehr intuitiven Umgang mit Methoden in der eingeführt werden muss, um danach das Innere Team zu er- Paarberatung. heben, dann aufzustellen und schließlich nach bestimmten Gesichtspunkten auszuwerten. In einem weiteren Unterka- Um Sie ein wenig auf diese Kurzinterventionen neugierig zu pitel wird dann diese Methode anhand von Fallbeispielen zu machen, möchte ich sie ohne weitere Erklärungen nennen: Kinderwunsch, Fremdgehen, Auslandsaufenthalt nochmals Ressourcenübung, Zeichen erkennen, Bild der Beziehung, veranschaulicht. Partner-Landkartencheck, Inselspiel, 3-Felder-Beziehungsanalyse, Stressmanhattan, Faustübung, Aufeinander zuge- Wenn Sie mit diesem Buch arbeiten erhalten Sie viele neue hen, Was uns verbindet, Sich Durchsetzen, Umschuldung, Anregungen und/oder nochmals eine sehr gute Auffrischung Stellenwert der Beziehung, Kompromisse eingehen, Dissozi- Ihrer Kenntnisse über erlebnisorientierter Methoden in der ieren, Ja-Nein-Übung, Führen und führen lassen, Teufelskreis Paarberatung. Obwohl zwar für jedes der Werkzeuge Anwen- Übung. dungsgebiete hervorgehoben werden, kommen mögliche Schwierigkeiten in der Anwendung der Methoden zu kurz. In Kapitel 4 sind schließlich drei grundlegende weiterfüh- Herr Weber verschweigt seine negativen Erfahrungen mit rende Interventionen beschrieben: Skulpturarbeit, Time- den Interventionen, was ich persönlich auch hilfreich fände. Line-Arbeit und Teile-Arbeit. Dieses Kapitel nimmt den Trotzdem finde ich das Buch, wie Sie sicherlich bereits größten Teil des Buches ein, da sehr gut nachvollziehbar bemerkt haben, sehr lesens- und empfehlenswert als ein diese größeren Interventionen an längeren Fallbeispielen gutes Nachschlagewerk, ein Impulsgeber und eine Nacht- beschrieben werden. Sie als Leser erhalten hier eine sehr tischlektüre – und vielleicht ein Muss für Paarberater – aber konkrete Einführung in diese Handwerkzeuge der Paarbera- das sollten Sie selbst entscheiden. tung, die besser als der Besuch mancher Fortbildungsveranstaltung ist. Alle Unterkapitel sind ähnlich strukturiert. Nach einer kurzen theoretischen Einführung mit der Vorstellung bestimmter theoretischer Konzepte zu dieser Intervention wird das methodische Vorgehen genau beschrieben und anschließend an verschiedenen Fällen illustriert. Bei der Dr. Martin Merbach P.S. Und Sie können Dr. Weber und die „Erlebnisintensiven Übungen und Methoden“ auch live am EZI erfahren (26. bis 28. Juni 2008) 57 Martin Koschorke (Hrsg.) Jesus war nie in Bethlehem 2007. 140 S. 23 cm, Gebunden, Verlag: Wissenschaftliche Buchgesellschaft ISBN: 3534204883 zeitge- Neues wird man hinter diesem Buchtitel mit dem Namen nössischer Jesusliteratur Bethlehem, mit einem traditionellen Bild und einem schwer überschwemmt den erkennbaren und lesbaren Autorennamen nicht erwarten. schrieb Darum muß für die Verbreitung dieses aus dem Rahmen der ein Rezensent zu Joseph sonstigen Jesusliteratur fallenden Buches eine besondere Ratzingers Buch „Jesus Werbetrommel geschlagen werden. „Eine Flut von Büchermarkt“, von Nazareth“. Dennoch würde ich das Buch von Das Verwirrspiel mit dem Buchtitel ist beim Lesen rasch be- Martin als endet. Auf Seite 34 ist der programmatische Satz zu lesen: wichtige Leselektüre emp- „Die Fakten der Weihnachtsgeschichte kann man getrost fehlen. einer kritischen Überprüfung unterziehen. Nachweisbar fal- Es ist spannend und leicht sche Fakten für richtig zu halten, hat mit Glauben nichts zu lesbar. Es ist exegetisch solid gearbeitet und auf ein breites, tun. Dass die Weihnachtslegenden Mitteilungen enthalten, auch soziologisches Forschungsfundament gestellt. Man die wahr sind, die uns innerlich guttun und seelisch Nahrung prüfe die Anmerkungen und das Literaturverzeichnis. geben, kann man nicht beweisen. Man kann es nur spüren Koschorke und erfahren. Daher ist es letztendlich völlig gleichgültig, ob Koschorke schreibt sehr allgemeinverständlich und kann Jesus in Bethlehem oder Nazareth geboren ist.“ Nichttheologen getrost empfohlen werden. Auf jeder Seite erkenne ich den geschickten Lehrer, den begabten Schrift- Wie eine gute Touristenführung erscheint der Anfang. Die Le- steller, der komplexe Sachverhalte genial zu vereinfachen serIn wird in das Bethlehem von heute geführt. Sie empfängt versteht. knappe historische Informationen, auch grauenhafte, wie die über Kreuzzüge. Warum das z.T. scheußliche Theater, fragen Beim Lesen oder gar beim Vorlesen passiert es: längst aufgeklärte Christen, wenn Jesus gar nicht in Bethlehem, Vertrautes und viele Male Gelesenes und Gehörtes er- sondern in Nazareth geboren wurde. Die weltweit blühende scheint einem in einem neuen Licht. Bert Brecht, dessen Weihnachtskultur, die kurz ins Bild gesetzt wird, folgt der Weihnachtsgedicht, „Die gute Nacht“ am Anfang zitiert wird, Legende, nicht den Fakten. könnte nach der Lektüre den Autor grüßen und sagen: Ja, hundert Mal habe ich alles gehört, aber dieses Mal vieles wie Diese wird im zweiten Teil des Buches unter dem Titel: „Vom zum ersten Mal vernommen. Kind in der Krippe und was es uns sagen will“, mit großer Auslegungskunst interpretiert. Hier erleben die Lesenden Ich dachte beim Lesen an Lehrer, die Religionsunterricht eine sehr eindrucksvolle Dolmetscherarbeit an der Weih- erteilen. Viele Stücke des Buches sind sehr geeignet, um sie nachtslegende. Schülern in die Hand zu geben, damit sie Referate daraus machen. Eine Vertretungsstunde ex tempore gehalten wäre Koschorke ist das Gegenbeispiel zum Göttinger Theologie- mit der Lektüre des Buches gut bedient. professor G. Lüdemann, der mit dem Ausweis der Nichthistorizität biblischer Erzählungen („Das Abendmahl ist nicht Das Titelbild des 19. Jahrhunderts mit dem ausgeschnittenen von Jesus eingesetzt worden“ vgl. Frankfurter Rundschau Jesuskind hätte ich nicht gewählt. Emil Noldes 1918 gemaltes vom 18.10.07, S.36) seinen Unglauben bekennen will. Bild „Familie“ hätte mir besser gefallen. Mancher Käufer vermutet hinter dem Buchdeckel trotz des provokativen Titels Der Autor von „Jesus war nie in Bethlehem“ führt den Lesen- längst bekannte Weihnachtsgeschichten. Weihnachten ist den gute exegetische Werkstattarbeit vor. Die Weihnachts- „verpredigt und verkrippt“, las ich bei einem Kritiker. texte der Bibel werden sorgfältig verglichen, detektivisch 58 geprüft, wie beim Puzzle auseinander genommen und neu Zeit“, verknüpft. Als gutes Beispiel in diesem Zusammenhang zusammen gesetzt. Wer war Jesus von Nazareth, wer waren empfinde ich die Erzählung, die berichtet, wie Jesus mit dem seine Eltern und Geschwister? Wie war die Baufirma Joseph für den jüdischen Glauben zentralen Sabbatgebot umgeht. und Co.? Wie kommt es zum Auszug aus der Herkunftsfa- Die Befreiung des Menschen, auch die von falschem Nor- milie? Das Altbekannte kommt neu und unkonventionell zur menverständnis ist ein Kernstück der Frohbotschaft. Was Sprache, versehen mit den Erkenntnissen der Fachexegese. dient den Menschen, was kommt ihm wahrhaft zugute, ist ein Prüfstein für alle Ethik. Dass die Kirche im Laufe ihrer Ge- Auf allen Seiten wird spürbar, dass das Buch leichter, spie- schichte die Gehalte der Botschaft Jesu auf den Kopf gestellt, lerischer, auch kunstvoller geschrieben ist, als viele andere ja verraten hat, macht dieses Buch unmissverständlich klar. Jesusbücher. Gelegentlich dachte ich beim Lesen an einen Bänkelsänger, der eine Moritat vorträgt, wenn es heißt: Der Teil II mit der Überschrift „Vom Kind in der Krippe – und was Zimmermannssohn „schwingt große Reden“, „spielt den es uns sagen will“ ist für mich wie ein Stück Theologie des Wunderheiler“, „treibt Verrückten, die Geister sehen die Neuen Testaments. Er ist sprachlich und inhaltlich so schön, Geister aus“. Ich empfand die Erzählung Jesu vom reichen dass überlastete Prediger und Lehrer zur Weihnachtszeit gut Kornbauern als kleines Kabinettstück einer modernen daran tun, sich in diesem Buch umzusehen, daraus Anlei- Bibelauslegung. Der reiche Kornbauer mutiert zum reichen he machen oder gar vorlesen können. Das Geheimnis der Unternehmer der Computerbranche, der über Nacht an Geburt soll aufleuchten. Bethlehem, das kleine Provinznest einem Herzinfarkt stirbt. Diese Kunst der sprachlichen Ver- überwindet das mächtige Rom, stellt es in den Schatten. gegenwärtigung gewohnter Texte in die heutige Lebenswelt Krieg, Gewalt, die teuflische Droge Macht kommen als The- finde ich in diesem Buch beispielhaft und in grosser Fülle. men so zur Sprache, dass ich sie trotz meiner dauerhaften Dabei spüre ich keinen Hauch von stilistischer Anbiederei. Beschäftigung mit diesen Lebensthemen neu höre. Die älteste Erwähnung von Weihnachten kommt zur Sprache. Gut zu lesen ist das Thema „Fest der Frauen“, ein Thema Sie ist ein übernommener Hymnus beim Apostel Paulus. des Weihnachtsevangeliums und der Bibel, in einer von Jesu Davidsohnschaft, die als biblische Langweiler bekann- Männern dominierten, patriarchalischen Welt; hier nun ten Stammbäume, die prophetischen Verheissungen, die ein Exempel wunderbarer Befreiung. An dieser Stelle des Messianität Jesu, die Hoheitstitel, all das bringt Koschorke Koschorkebuches wird der Abstand zum Jesusbuch des so zur Sprache, dass man ihm gerne folgt. Jungfrauengeburt Papstes besonders deutlich, der sein Werk aus der Sicht und das Thema der Gottesmutterschaft Mariens mit all den des Johannesevangeliums bestimmt sein läßt, aber von der Streitigkeiten in der Kirchengeschichte habe ich selten in so wichtigen Rolle der Frau in der Kirche des Johannes wenig gut verständlicher Weise vorgeführt bekommen. Der Leser zu sagen weiß. erlebt „Wendezeit“, ein Stück Zeitgeschichte, die politische Omipräsenz und Macht Roms. Die biblische Sequenz „Als die Wie dann Rom wieder zur Herrschaft kommt, Nachfolge der Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn“ empfängt Kontur, Cäsaren statt des Nazareners erfolgt, die Kirchenstrukturen der wird lebendig. Macht eine dauerhafte Gegenpredigt zur Bethlehemswelt halten, all dies findet sich in diesem Buch einducksvoll dargestellt. Alttestamentliches Erzählgut kommt in diesem Buch angemessen zur Geltung. Die allen vertrauten Bilder der Weih- Käme dies in einem Weihnachtsgottesdienst zur Sprache, nachtsgeschichte von Joseph, dem schweigenden Zeugen müßte man, folgt man der Darstellungsweise Koschorkes, des rechten Tuns, dem rauen Hirtenvolk auf Bethlehems nicht Dom oder Kirche fluchtartig verlassen. Fluren, von den Weisen aus der Ferne und den Engeln, von Übermalung befreit, erstehen neu und bedeutsam vor den Mit Ochs und Esel endet dieses wichtige Weihnachtsbuch. Augen der Lesenden. Der Autor hat Humor, aber vergisst nicht die Dunkelseite der Christentumsgeschichte. Die beiden Tiere waren auch Ge- Der Autor kann als Theologe und Soziologe die Bindekraft von genstand antisemitischer Ausdeutungen und Anspielungen. Traditionen und Institutionen plausibel machen. Will man die Wer das Buch kauft, wird weihnachtlich reich beschenkt. Inkarnation, die Fleischwerdung des Wortes als Befreiungs- Er hat Freude an der Wahrheit, die Verborgenes aufdeckt, geschichte verstehen, muss manchmal schmerzlich sein kann, aber im Evangelium der dieser Hintergrund bedacht werden. In Koschorkes Buch wird die Weihnachtsgeschichte Menschenfreundlichkeit Gottes vor allem schön ist. mit der Praxis und der Predigt des Mannes aus Nazareth, mit den zwei Jahren der im Evangelium erzählten, „erfüllten Dr. Friedrich Hufendiek 59 Wie kam Jesus in die Krippe? Jahr für Jahr feiert die Christenheit die Geburt ihres Erlösers. Jahr für Jahr zieht es Tausende von Pilger nach Bethlehem. Nur: Jesus ist nicht in Bethlehem geboren. Doch wie kam die Krippe nach Bethlehem? War Jesus wirklich ein Nachfahre des legendären Königs David? Hielt er selbst sich für Gottes Sohn? Historisch war manches anders, als die Weihnachtsgeschichte es berichtet. Daran kann man Anstoß nehmen – oder dadurch Anstöße bekommen. Martin Koschorke stellt lebendig und für jeden verständlich dar, warum die Geschehnisse so und nicht anders erzählt werden. Damit führt er den Leser ins Innere der Weihnachtsgeschichte. Martin Koschorke Jesus war nie in Bethlehem 2007. 140 S., geb. E 19,90 [D]/ sFr 33,90 ISBN 978-3-534-20488-5 Impressum Herausgeber Evangelisches Zentralinstitut für Familienberatung gem. GmbH , Auguststraße 80 10117 Berlin - Mitte Tel.: 030 / 283 95 200, Fax: 030 / 283 95 222, Email [email protected], www.ezi-berlin.de ISSN 0724-3995 Redaktion Dieter Wentzek, Christine Korth Bilder Nora von der Decken, www.nora-von-der-decken.de Gestaltung Reiner Kolodziej, graphic und design, Tel. 030 773 93 288 Druck mediaray-graphics, druckerei im Kirchenkreis Steglitz Schönhauser Str. 15, 12165 Berlin, Tel. 030 796 06 31 Die EZI-Korrespondenz wird Freunden und Förderern des Instituts zugesandt. Sie ist Im Handel nicht erhältlich. Konto-Nummern des Fördervereins des Evangelischen Zentralinstituts für Familienbertung: Postgiroamt Berlin (BLZ 100 100 10) Kto.-Nr.: 751 52 - 104 Die Arbeit des Evangelischen Zentralinstituts für Familienberatung gem. GmbH wird aus Mitteln des BMFSFJ gefördert. 60 Evangelisches Zentralinstitut für Familienberatung Veranstaltungskalender 2008 07.01. - 10.01. SAFE ® - Sichere Ausbildung Für Eltern / Trainingsprogramm zur frühen Förderung einer sicheren Bindung 23.06. - 27.06. Spaß bei Paarberatung - auch mit schwierigen Paaren 26.06. - 28.06. Paartherapie mit allen Sinnen - Erlebnisintensive Übungen und Methoden 11.01. - 13.01. Weiterbildung in Supervision / Workshop 9/6 14.01. - 18.01. Schwangerschaftskonfliktberatung / Einführungskurs 16/1 A 27.06. - 29.06. 18.01. - 20.01. Untreue als Thema in der Paarberatung - Zwischen Schock, Scheitern und Neubeginn Psychosoziale Beratung im Kontext pränataler Diagnostik / Workshop III 04.07. - 06.07. Weiterbildung in Supervision / Workshop 9/8 21.01. - 23.01. Einmalige Beratung - Chance oder Scheitern? 07.07. - 10.07. 23.01. - 25.01. Gewalt zwischen den Generationen Paarcoaching - Konfliktkultur & Kommunikationskompetenz in Familien 28.01. - 01.02. Paarberatung / Aufbaukurs 21/2 11.07. - 14.07. Weiterbildung in Supervision / Workshop 10/1 11.02. - 15.02. Fortbildung für Sekretärinnen, Verwaltungsangestellte in Beratungsstellen für Ehe-, Lebens- und Erziehungsberatung und Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung 15.07. - 17.07. Techniken und Grundlagen einer ressourcenorientierten Traumaberatung, -behandlung und Traumatherapie / Aufbaukurs 11.02. - 15.02. Psychosoziale Beratung im Kontext pränataler Diagnostik / Kurs 2 17.07. - 19.07 Erstkontakte mit Kindern - Winnicotts Squiggle-Technik in der Praxis 15.02. - 17.02. Psychosoziale Beratung älterer Menschen 29.08. - 31.08. 18.02. - 20.02. Sprachfähig werden für spirituelle Themen in Beratung und Supervision 01.09. - 12.09. 19.02. - 22.02. Rolle und Verantwortungsprofil der „Erfahrenen Fachkraft nach § 8a“ „Hinter den Kulissen von Institutionen“ - Zugänge zu unbewussten Inhalten und verdeckten Prozessen IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung® / Intensivkurs 49/1 15.09. - 19.09. Schwangerschaftskonfliktberatung / Einführungskurs 16/1 B 22.02. - 23.02. Bindung, Bindungsstörung und Trauma 15.09. - 19.09. Sexualberatung mit Einzelnen und Paaren / Vertiefungskurs IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung® / Intensivkurs 48/2 IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung® / Zulassungstagung für den Kurs 49 19.09. - 21.09. Im Spiegel des Anderen. Narzissmus und Paarbeziehung 19.09. - 21.09. „Fremd(e) in der Beratung - Interkulturelle Aspekte in der Beratungsarbeit“ 22.09. - 26.09. Weiterbildung in Supervision / Intensivkurs 9/5 10.03. - 14.03. Weiterbildung in Supervision / Intensivkurs 9/4 26.09. - 27.09. Beratung und Therapie von Bindungsstörungen 31.03. - 02.04. Trauerbegleitung bei Ab- und Umbauprozessen in kirchlichen Organisationen 29.09. - 01.10. Projektive Testverfahren in der Beratung 03.10. - 05.10. 31.03. - 04.04. Führen und Leiten - Instrumente für Leitungskräfte 06.10. - 17.10. 03.04. - 05.04. Eltern-Kind-Beratung bei frühen Interaktionsstörungen Weiterbildung in Supervision / Workshop 10/2 IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung®/ Intensivkurs 48/3 07.04. - 11.04. Sexualpädagogische Arbeit und Familienplanung mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen / Grundlagenkurs IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung® / Intensivkurs 47/4 20.10. - 24.10. Sexualpädagogische Arbeit und Familienplanung mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen / Vertiefungskurs 23.10. - 25.10. 28.04. - 02.05. Sexualberatung mit Einzelnen und Paaren / Grundkurs 25.10. - 28.10. Liebesfreud - Liebesleid: Die Liebe, eine vernachlässigte Dimension in der Paartherapie SAFE ® - Sichere Ausbildung Für Eltern / Trainingspro- 05.05. - 07.05. Werkstatt Leitungssupervision - kirchliche Personalführung in Krisenzeiten 28.10. - 29.10. Fachtagung für Mentorinnen und Mentoren 29.10. - 31.10. Zentrale Arbeitstagung der Mentorinnen und Mentoren IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung® / Intensivkurs 47/5 IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung® / Zulassungstagung für den Kurs 50 25.02. - 07.03. 07.03. - 08.03. 14.04. - 25.04. 07.05. - 09.05. Sexualität als Thema in der Schwangerschaftskonfliktberatung, Möglichkeiten und Grenzen einer Beratung zu sexuellen Themen im Kontext einer Schwangerschaftskonfliktberatung gramm zur frühen Förderung einer sicheren Bindung 03.11. - 14.11. 14.11. - 15.11. 08.05. - 10.05. Workshop „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ 14.05. - 16.05. FGG - Reform und die Herausforderungen an die Praxis Strukturierte Angebote für hochstrittige Familien 17.11. - 21.11. Schwangerschaftskonfliktberatung / Aufbaukurs 15/4 16.05. - 17.05. Suizidgefährdung und Krisenintervention bei gefährdeten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen 17.11. - 21.11. Sexualberatung mit Einzelnen und Paaren / Grundkurs 21.11. - 24.11. Weiterbildung in Supervision / Workshop 9/9 19.05. - 23.05. Paarberatung / Aufbaukurs 20/5 24.11. - 25.11. 21.05. - 22.05. Traumata - Vom Zwang der Sprachlosigkeit, des Vergessens und der Wiederholung zum heilsamen Erinnern / Grundlagenkurs „Was wollen Sie eigentlich von mir?“ - Beratungsprozesse bei Jugendlichen mit und ohne schwere Störungen 24.11. - 26.11. 23.05. - 26.05. Weiterbildung in Supervision / Workshop 9/7 30.05. - 01.06. Lern- und Leistungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen „Sündenbock, Schwarzes Schaf, Prügelknabe“ - Ausgrenzung am Arbeitsplatz, Umgang mit Mobbing in Beratung und Supervision Kinder im Blick - KIB® 30.05. - 01.06. Paarbeziehung und Sucht 02.06. - 06.06. Schwangerschaftskonfliktberatung / Aufbaukurs 15/3 02.06. - 06.06. Paarberatung / Aufbaukurs 22/1 09.06. - 13.06. 13.06. -14.06. 16.06. - 18.06. 26.11. - 28.11. 28.11. - 30.11. Psychosoziale Beratung im Kontext pränataler Diagnostik / Workshop IV 28.11. - 30.11. Weiterbildung in Supervision / Intensivkurs 10/1 IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung® / Zulassungstagung für den Kurs 49 „Quatsch nicht rum - spiel jetzt weiter!“ Tiefenpsychologisch orientierte Beratung mit Kindern und Jugendlichen 01.12. - 03.12. „Familien aufbauen“ - Erlebnisintensivierende Methoden der Familientherapie und Familienberatung Notfallpsychologische Akutinterventionen (NoPAI) / Grundkurs 01.12. - 05.12. Schwangerschaftskonfliktberatung / Aufbaukurs 16/2 16.06. - 20.06. Paarberatung / Aufbaukurs 21/3 04.12. - 06.12. 19.06. - 21.06. Fokusbildung in Beratung und Psychotherapie Die „unerhörten“ Botschaften der „ADHS“-Kinder“ - Beziehungsdynamisches Verstehen und Handeln 23.06. - 25.06. Supervision für „Erfahrene Fachkräfte im Kinderschutz“ Chancen und Risiken der Aufgabenwahrnehmung nach § 8a 08.12. - 12.12. Weiterbildung in Supervision / Intensivkurs 10/2 Auguststraße 80 10117 Berlin - Mitte Tel. 030 / 283 95 200 www.ezi-berlin.de