Ameland-Opfer werden ungeduldig

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Ameland-Opfer werden ungeduldig
Hannover und Niedersachsen
Montag, 31. Januar 2011
KURZ GEMELDET
Infos für Senioren im Netz
Hannover: In Niedersachsen ist jetzt das
Internetportal „Senioren in Niedersachsen“ gestartet. Der Seniorenserver soll
auch älteren Menschen die Möglichkeit
geben, sich umfassend im Internet zu informieren, sagte Niedersachsens Familienministerin Aygül Özkan (CDU). Auf
den Seiten des Informationsportals fänden Ältere die Themen wieder, die sie interessierten: Informationen zum Wohnen
im Alter und zu Patientenverfügungen
ebenso wie Kultur- und Bildungsangebote.
lni
Mit Wodka im Führerhaus
Bad Fallingbostel: Ein sturzbetrunkener,
stammelnder Belgier ist mit seinem Sattelzug in Schlangenlinien auf der Autobahn 7 gefahren. Als Beamte den Mann
nach Hinweisen von Autofahrern auf einem Rastplatz bei Bad Fallingbostel kontrollierten, hatte der 36-Jährige deutliche
Probleme beim Sprechen und mit dem
Gleichgewicht, teilte die Polizei am Sonntag mit. Bei der Kontrolle am Freitagabend fanden die Beamten eine leere Flasche Wodka.
lni
Ganzes Badezimmer geklaut
Hildesheimer Allgemeine Zeitung
Ameland-Opfer werden ungeduldig
Ein halbes Jahr nach Misshandlungen im Ferienlager fordern die Eltern Ermittlungsergebnisse
VON B ERN H A RD R EMMERS
Osnabrück. Mehr als sechs Monate
sind vergangen, seitdem in Osnabrück
bekannt wurde, dass in einem Ferienlager des Sportbundes Kinder sexuell
misshandelt worden waren. Doch bis
heute liegt das Ergebnis der Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft
nicht vor. Eltern und Kinder werden nun
ungeduldig: „Das ist eine Verhöhnung“,
sagt im Gespräch mit dieser Zeitung eine
Mutter, deren Junge an dem Ferienlager
teilnahm und dort schlimmste Übergriffe beobachten musste. Die Untersuchung der Vorfälle im Haus „Silbermöwe“ auf der niederländischen Insel Ameland zieht sich hin. „Das nervt mich total“, sagt die Mutter. Die Ermittler bitten
um Geduld: „Es gibt nichts Neues“, erklärt auf Anfrage der Pressesprecher der
Staatsanwaltschaft, Alexander Retemeyer.
Rückblick: Am 8. Juli 2010 kehren
Kinder und Jugendliche zurück nach
Osnabrück. 14 Tage waren sie in einem
Ferienlager des Stadtsportbundes auf
der Nordseeinsel Ameland. Bereits einen
Tag später erscheint die Mutter eines der
Teilnehmer auf der Polizeiwache und
berichtet Ungeheuerliches: In dem mit 39
Kindern belegten Schlafsaal des Hauses
„Silbermöwe“ wurden die jüngeren unter den Jungen von einigen Älteren in die
Mitte des Raums gezerrt. Dort wurden
ihnen die Hosen heruntergezogen. Dann
versuchten die Täter den Kindern ColaFlaschen oder Besenstiele in den After
zu schieben. Derartiges muss sich mehrfach wiederholt haben in dem oft überheißen Schlafsaal direkt unter dem
Dach. Einige der Jungen versuchten zu
fliehen. Andere versteckten sich unter
Betten, hielten sich verängstigt aneinander fest, um den Quälereien durch die
Älteren zu entgehen. Das Wort „Fisten“,
so stellt sich später heraus, machte in
dem Lager die Runden. Wer diesen Begriff in eine der Suchmaschinen des Internets eingibt, der bekommt rund
298 000 Antworten. Schon der erste Blick
auf die Ergebnisliste müsste einen Betreuer von Jugendfreizeiten alarmieren.
Viel ist dort von Pornografie die Rede.
Warum Lagerleitung und Betreuer auf
Ameland nicht eingriffen, das ist bis
heute nicht geklärt.
Direkt nachdem sich die ersten Eltern
bei der Polizei gemeldet hatten, beginnen die Ermittler mit ihrer Arbeit, wenig
später informieren sie die Öffentlichkeit.
Mittlerweile ist längst wieder Ruhe
eingekehrt. Die Ermittler gehen unterdessen von zehn Beschuldigten aus dem
Ferienlager aus. Zwei von ihnen waren
selbst Opfer, bevor sie offenbar zu Tätern
wurden. Und auch einige der ehrenamtlichen Betreuer geraten in den Blick von
Polizei und Staatsanwälten. Sie haben
womöglich ihre Aufsichtspflicht nicht
wahrgenommen. Es soll rau hergegangen sein in dem Lager. Teilnehmer berichten von Liegestützen, zu denen Kinder durch ihre Betreuer verdonnert wur-
den, wenn es im Schlafsaal zu laut geworden war. Mädchen wurden laut den
Berichten gezwungen, mit der Nagelschere den Rasen neben dem Haus zu
schneiden.
Für die Ermittler ist es offenbar nicht
leicht, sich ein klares Bild von den Taten
im Schlafsaal zu verschaffen. Zeugenaussagen widersprechen sich. Derzeit, so
die Auskunft der Polizei, würden noch
Betreuer
vernommen.
Unterdessen
spricht einer der Rechtsanwälte der beschuldigten Jugendlichen von „überschießender Pubertät“ im Ferienlager.
Die Mutter im Gespräch mit dieser
Zeitung ist empört: „Durch solche Zweifel werden die Opfer ein zweites Mal
misshandelt und die Täter geschützt“,
sagt die Frau und bekräftigt noch einmal: „Mein Sohn hat das wirklich gesehen.“ Zweimal ist der damals 13-Jährige
von der Polizei ausführlich befragt worden. Zuletzt im Herbst. Seitdem haben
Mutter und Sohn von den Ermittlern
nichts mehr gehört.
Holzminden: Bei der Reparatur eines
Wasserschadens in seinem Badezimmer
sind einem Hausbesitzer in Holzminden
die Badewanne, zwei Waschbecken und
die Kloschüssel geklaut worden. Der
Mann hatte nach Polizeiangaben vom
Sonntag das vollständige Inventar seines
Bades ausgebaut und hinter dem Haus
gelagert, um den Wasserschaden zu lokalisieren. Die Diebe hätten dann vermutlich am Freitag die Gunst der Stunde genutzt und ihre ungewöhnliche Beute mit
einem Lastwagen abtransportiert.
lni
Jagd nach Geisterfahrer
Leer: Angetrunken und im Drogenrausch
ist ein 33 Jahre alter Mann am Sonnabendmorgen als Geisterfahrer auf der
Autobahn 31 unterwegs gewesen. Er sei
zwischen Rhede und Papenburg in Richtung Emstunnel gefahren, teilte die Polizei am Sonntag mit. Mehrere Verkehrsteilnehmer hätten sich gemeldet. Der erste Versuch, den Fahrer in Höhe der Anschlussstelle Weener zu stoppen, schlug
fehl. Der Mann setzte seine Fahrt unbeirrt fort. Nach zwei Kilometern drehte er
jedoch und fuhr zurück zur Anschlussstelle, wo er gestoppt und festgenommen
werden konnte.
lni
Keine heiße Spur
nach Verbrechen
Göttingen (pid). Nach dem gewaltsamen Tod eines 34-jährigen Mannes in
Göttingen hofft die Polizei jetzt durch die
Veröffentlichung eines Bildes des Getöteten auf weitere
Hinweise aus der
Bevölkerung. Die
Mordkommission
sucht Zeugen, die
den
getöteten
Christian L. näher
kannten. Außerdem erhofft sie sich
Hinweise darauf,
wo sich der 34-Jährige in der Nacht
vom vergangenen
Dienstag auf Mittwoch aufgehalten hat. Ein Spaziergänger
hatte die Leiche des 34-Jährigen am Mittwochmorgen in einer Grünanlage im Göttinger Stadtteil Leineberg entdeckt. Die
Obduktion in der Rechtsmedizin ergab,
dass der Mann einem Gewaltverbrechen
zum Opfer gefallen war. Bislang hat die
Polizei noch keine heiße Spur. Unklar ist
auch, ob der 34-Jährige dort getötet wurde, wo seine Leiche abgelegt war.
Spontandemo in
Göttingen gegen
Speichelprobe
Göttingen (pid). Bei einer Spontandemonstration von etwa 300 Angehörigen
und Sympathisanten der autonomen Szene ist es am Freitagabend in der Göttinger Innenstadt zu kurzzeitigen Ausschreitungen gekommen. Nach Angaben der
Polizei vom Sonntag warfen Demonstrationsteilnehmer Teile eines Baugerüsts
um und schleuderten angezündete Feuerwerkskörper auf Einsatzkräfte, die den
Zug begleiteten. Einige Beamten seien so
massiv bedrängt worden, dass diese daraufhin den Schlagstock einsetzten.
Anlass für die Demonstration war die
Abgabe einer von der Staatsanwaltschaft
Göttingen angeordneten Speichelprobe
eines 20-jährigen Linksaktivisten. Dieser
hatte sich der Maßnahme zunächst zu
entziehen versucht, war dann jedoch am
Freitagmorgen bei der Polizei erschienen.
Er soll vor einem Jahr bei einer Demonstration in Göttingen mit einem Böllerwurf einen Polizisten verletzt haben und
auch bereits bei früheren Demonstrationen strafrechtlich in Erscheinung getreten sein.
Die nicht angemeldete Spontandemo
bewegte sich vom Markt zum Campus.
Von dort aus hätten Demonstranten Steine auf Polizisten geworfen, die sich im
angrenzenden Nikolausberger Weg aufhielten, sagte eine Polizeisprecherin. Dabei sei ein Streifenwagen der Polizei Northeim beschädigt worden. Außerdem hätten sie versucht, eine Mülltonne anzuzünden. Dies hätten die Beamten verhindert.
Die Polizei leitete mehrere Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen
das Versammlungsgesetz, versuchter gefährlicher Körperverletzung, Landfriedensbruchs, Sachbeschädigung und Zerstörung wichtiger Einsatzmittel ein.
In der Scholvinstraße wird am Wochenende gefeiert wie eh und je. Donnerstagnacht kam bei einem Schusswechsel nur wenige Meter entfernt ein Mann ums Leben.
Burkert (2)
„Leg dir ’ne schusssichere Weste zu“
Am hannoverschen Steintor scheint die jüngste Schießerei kaum jemanden zu beeindrucken – ein Streifzug
VON H EIN RICH T HIES
Hannover. Die Steintorstraße ist verwaist. Kein Mensch ist in der Nacht zum
Sonnabend an dem Ort zu sehen, an dem
in der Nacht zuvor ein Mensch erschossen worden ist. Die kleinen Geschäfte
schlafen den Schlaf der Gerechten. Auf
die Teestube, in der es geschah, weist nur
eine Klingel hin. Nebenan wirbt ein Internet-Café um Besucher, bleibt aber so
gut wie leer in dieser kalten Nacht.
Das Nachtleben am Steintor tobt woanders. Zum Beispiel in der Scholvinstraße. Die „Sansibar“ ist rappelvoll. „Es
wird alles noch viel schlimmer“, tönt es
aus den Boxen. Hier in der Disko aber
scheint das niemand zu fürchten. „Hier
schießt keiner“, sagt Jens mit verwegenem Lächeln. „Wir verlassen uns voll auf
Herrn Hanebuth.“ Der 34-Jährige aus
Helstorf spricht von dem legendären
Kiezkönig und Hells-Angels-Präsidenten Frank Hanebuth, der unter anderem
bei der „Sansibar“ Mitgesellschafter ist
und mit seinen Türstehern auf seine Weise für Ruhe im Kiez sorgt. Die breitschultrigen, muskelbepackten Herren
mit den schwarzen Bodyguard-Uniformen und eindrucksvollen Tätowierungen beobachten die Besucher von der Zeitung in dieser Nacht besonders argwöhnisch und einsilbig. Ob sich die Schießerei irgendwie auf den Besuch auswirkt?
Antwort: „Alles okay, Junge.“ Nur auf
hartnäckiges Nachfragen erläutert ein
Kollege: „Hier ist nix passiert. Geht doch
rüber – in die Steintorstraße.“
Auch Jens weist darauf hin, dass das
Blut andernorts fließt. „Die Drei-SterneKopfschuss-Bar ist da drüben“, sagt der
junge Helstorfer scherzend, und deutet
zur „Columbus“-Bar auf der anderen
Straßenseite, wo im Juni vergangenen
Jahres ein Gast während der FußballWeltmeisterschaft zwei Männer erschossen hatte. „Da könnte es schon mal krachen, aber hier ist alles safe, keine Bedenken.“ Zum Beweis lässt Jens sich mit
seiner Begleiterin Gesa auf der Mitte der
Puff-und-Partymeile lachend fotografieren.
Auch in der „Columbus“-Bar geht es
friedlich zu. „Wenn ich hier bin, ist es immer ruhig“, sagt der Barmann, der seinen Namen nicht nennen möchte. „Rabauken gibt es natürlich überall.“ Die
holzgetäfelte Kneipe ist gut besucht.
Kaum vorstellbar, dass hier im Sommer
die tödlichen Schüsse fielen. Ob die
jüngste Schießerei alles wieder aufwühlt? Der Barmann schüttelt den Kopf.
„Die Ausländer sind ja unter sich, das
merken wir hier gar nicht.“ Anders ist
das mit dem Prozess gegen den Todesschützen aus der „Columbus“-Bar, der
gerade läuft. Doch die Stammgäste kümmert auch das wenig, sie ziehen es vor, bei
Schnaps und Bier über Hannover 96 zu
diskutieren.
Auch die meisten anderen Steintor-Besucher geben sich in ihrer Amüsierlaune
zwischen zwei und drei Uhr nachts unbeeindruckt von den Gewalttaten der
Vergangenheit. „War hier ’ne Schießerei?“, fragt ein schon älterer Besucher.
„Hab’ ich nicht mitgekriegt.“ Eine Gruppe Jugendlicher mit spürbar erhöhtem
Alkoholpegel sieht in der zurückliegenden Schießerei sogar einen zusätzlichen
Kick. „Ist doch geil, geht doch wenigstens was ab hier“, sagt einer des Trupps.
„Wie in Chicago, echt. Da mischen wir
natürlich auch mit.“ Und dann singen sie
„Hey, Baby“ und wollen sich scheckig lachen.
Die Party geht weiter zwischen „Havana-Beach“ und „Bayern-Stadl“, zwischen „Sex Inn“ und „Intensivstation“,
„Thai Eros“ und „Crazy Love“. Die
„Drehscheibe“ wirbt wie gewohnt in stereotypen Lautsprecherdurchsagen für
Striptease mit „netten, internationalen
Damen“, und das „Havana“ tönt mit Karibik-Rhythmen gegen die Kälte an und
hält Badelaken für die dünn bekleideten
Damen bereit. „Wer hier herkommt,
muss wissen, worauf er sich einlässt“,
meint der 23 Jahre alte Steffen aus Peine.
Und die 35-jährige Ina aus Linden findet, dass es in den vergangenen Jahren
viel ruhiger geworden sei im Steintorviertel: „Man weiß natürlich, dass hier
die Hells Angels für Ordnung sorgen.
Aber als Frau muss man keine Angst haben.“
Das sehen nicht alle so. „Besorg’ dir ne
schusssichere Weste“, raunt ein Besucher
dem Fotografen zu, und weist auf die
vielen Türsteher und Sicherheitsleute
hin, die es angeblich gar nicht gern sehen, wenn man in ihrem Revier ungefragt fotografiert.
Und dann, es geht auf drei Uhr zu,
stürmen plötzlich zwei tätowierte Herren aus einer der Bars auf den Reporter
zu und stoßen rüde Beschimpfungen aus.
„Verpiss dich, du Kakerlake“, gehört
noch zu den nettesten Beleidigungen. Es
hat den Anschein, dass die Verbalattacken jederzeit in handfeste Schläge
übergehen könnten. Zum Glück nähern
sich gerade zwei Polizisten, die die beiden Männer – offenkundig Sicherheitsleute – zur Räson bringen.
Die Polizei hält sich im Übrigen weitgehend im Hintergrund. Bis 1.30 Uhr
sind kaum Uniformierte im Rotlichtbezirk zu sehen, danach patrouilliert ein
Die Polizei zeigt am Steintor Präsenz.
Polizei-Kleinbus in kurzen Abständen
auf der Scholvinstraße. Unversehens
kommen die Beamten gegen halb drei zu
einem Einsatz, als vor der „Intensivstation“ zwei Männer aufeinander losgehen.
Doch die Rangelei ist schnell geschlichtet. Die Nachtschicht der Einsatzgruppe
(von 21 Uhr bis 6 Uhr früh) verläuft ohne
größere Zwischenfälle. Dies gilt nach
Auskunft der Polizeiinspektion Mitte
auch für die Fußstreifen, die in dieser
Nacht unbemerkt in Zivil unterwegs
sind.
Was sich hinter den geschlossenen, mit
Frauennamen beschrifteten Türen der
Bordelle abspielt – bei Melisa oder Alexandra im „Sex Inn“ zum Beispiel –
bleibt den Augen der Ordnungshüter natürlich verborgen. Maren muss auf jeden
Fall mit einer Erkältung rechnen. Die
junge Dame in dem ärmellosen Top
hockt bei minus drei Grad mit gesenktem Kopf auf den Stufen vor dem „Havana“ und presst die Hände vors Gesicht.
„Der geht es nicht so gut“, sagt eine
Freundin. „Wir warten auf ein Taxi.“
Neues Steuermodell hat 170 Verlierer
Innenminister Schünemann lässt Alternative zur Gewerbesteuer durchrechnen / Freiberufler werden einbezogen
VON K LAUS WALLBAUM
Hannover. In einem der heißesten
Streitthemen zwischen Kommunal- und
Landespolitikern hat Innenminister
Uwe Schünemann (CDU) jetzt eine Probeberechnung vorgelegt: Wenn man
bundesweit die Gewerbesteuer abschaffen und an ihre Stelle ein neues Modell
mit verschiedenen Steueränderungen
setzen würde, hätte das für Niedersachsen vor allem positive Auswirkungen,
erklärt der Minister: „854 Gemeinden
würden davon profitieren, 170 hingegen
hätten Einbußen.“ Das Statistische Bundesamt hatte die Probeberechnung auf
Bitten der Niedersachsen angestellt –
dabei wurden die Ist-Einnahmen der
Gewerbesteuer 2004 zur Grundlage für
die Projektion genommen.
Schünemann betont, dass er sich keineswegs bereits für diese Alternative
starkmachen wolle. Es gehe lediglich um
eine Vergleichsberechnung. Die Gemeindefinanzreformkommission
auf
Bundesebene hat nach Angaben des Niedersachsen den Vorschlag aufgegriffen
und wolle ihn in die Debatte einbeziehen.
In Niedersachsen zeigten sich CDU
und FDP bislang grundsätzlich aufgeschlossen für eine Steuerrechtsänderung, während die SPD und vor allem
der hannoversche Oberbürgermeister
Stephan Weil vehement zur Verteidigung der Gewerbesteuer aufrufen und
eine breitere Bemessungsgrundlage wollen – indem Freiberufler einbezogen
werden. Die Gewerbesteuer richtet sich
nach der Ertragskraft der Betriebe,
nicht nach ihrem Gewinn. Vor allem
deshalb war aus Reihen der FDP heftige
Kritik laut geworden, die Koalition auf
Bundesebene konnte sich bisher aber
nicht auf eine gemeinsame Marschrichtung verständigen. Die Gemeinden können mit einem Hebesatz für die Gewerbesteuer bestimmen, wie stark sie die
Unternehmen zur Kasse bitten wollen.
Das Alternativmodell hat nun mehre-
re Facetten. Zunächst sollen bei den Unternehmen nur noch die Gewinne besteuert werden – und zwar auch bei Freiberuflern, Steuerberatern, Anwälten,
Land- und Forstwirten. Eine Entlastung
der Großunternehmen soll vermieden
werden, indem der Körperschaftsteuersatz angehoben wird. Außerdem sollen
die Kommunen das Recht erhalten, ihren Anteil der Einkommensteuer mit einem Hebesatz zu steuern. Damit die
Steuerzahler nicht stärker belastet werden, soll zunächst die Einkommensteuer
um einen Prozent gesenkt werden. Auch
an der Lohnsteuer sollen die Kommunen
einen Anteil erhalten.
Die Beispielrechnung für Niedersachsen zeigt, dass Steuermehreinnahmen
für die Kommunen von 409 Millionen
Euro im Jahr zu erzielen wären. 854 der
insgesamt 1024 Gemeinden im Lande
würden von dem neuen Modell profitieren. Der größte Gewinner wäre Wolfsburg mit einem Plus von mehr als 30
Prozent, ebenso könnten Emden, die
Kreise Lüneburg, Ammerland, Goslar,
Celle, Cuxhaven, Leer, Osnabrück
(Stadt), Schaumburg, Holzminden und
Göttingen besonders gut abschneiden.
Braunschweig würde um 9,4 Prozent zulegen. Großer Verlierer wäre die Stadt
Salzgitter mit Einbußen von mehr als 20
Prozent, außerdem die Kreise Aurich
(minus 10), Diepholz (minus 5), die Stadt
Wilhelmshaven (minus 4,6), Oldenburg
(minus 1,9), Wolfenbüttel (minus 1,5) und
Wesermarsch (minus 1). Die Region Hannover würde 1,5 Prozent verlieren. Da
sie die mit Abstand größte kommunale
Einheit im Lande ist, wäre dieser Betrag
in absoluten Zahlen allerdings enorm.
Eine Größenordnung dafür hat das Statische Bundesamt jedoch nicht angegeben.
Im Innenministerium heißt es allerdings, das neue Reformmodell sei „aufkommensneutral“: Das heißt, das neue
Modell gewichte zwischen den Kommunen anders, erhöhe aber nicht die Steuerbelastung für die Bürger.
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Vorwürfe
gegen
Landesklinik
Patienten und Personal
klagen über Willkür
VON M A RINA K ORM BAK I
Hannover. Die Klagen von Patienten
und Klinikpersonal über angebliche
Missstände im Maßregelvollzug des Landeskrankenhauses Brauel (Landkreis Rotenburg) reißen nicht ab. Demnach herrsche in der psychiatrischen Einrichtung
ein Klima des Misstrauens und der Angst
– nicht nur zwischen Patienten und Klinikpersonal, sondern auch zwischen den
in Brauel beschäftigten ärztlichen Mitarbeitern und den Pflegekräften. Gegenüber dieser Zeitung sprechen Mitarbeiter
von einer „repressiven“ Klinikleitung,
Patienten und ihre Angehörigen klagen
über eine willkürliche Auslegung von
Vorschriften. Beispielsweise sei Patienten ohne Angabe von Gründen der Kontakt zu ihren Familien bis zu acht Monate lang verboten worden. Zudem würden
häufig „Kollektivbestrafungen“ vorgenommen. Die Klinikleitung wollte zu den
Vorwürfen keine Stellung nehmen.
Wegen des angespannten Verhältnisses
zwischen Patienten und Personal ordnete
das zuständige Sozialministerium bereits vor einem Jahr Mediations- und Supervisionsgespräche an. Zu deren Verlauf
wollte Ministeriumssprecher Thomas
Spieker keine Angaben machen. „Als
Aufsichtsbehörde ist uns in erster Linie
an der Personalsituation, dem therapeutischen Angebot und der Sicherheit der
Einrichtung gelegen – hier können wir
keine Mängel feststellen“, sagte Spieker.
Ende vergangener Woche haben Mitarbeiter des Sozialministeriums die Sicherheitsvorkehrungen in der Klinik
überprüft. Anlass dazu war die Flucht
von drei Männern zu Jahresbeginn; die
Patienten konnten schnell von der Polizei
aufgegriffen werden. Bei der sogenannten bauplanerischen Konferenz am vergangenen Donnerstag sei man mit der
Klinikleitung übereingekommen, schon
bald in das Sicherheitskonzept des Krankenhauses zu investieren. So soll noch in
diesem Jahr mit dem Neubau eines Pförtner- und Abfertigungsgebäudes begonnen werden. „Das Pförtnerhaus befindet
sich zurzeit noch hinter der Zaunabsperrung – es soll zwischen die äußeren Zäune verlegt werden, um ein- und ausgehende Personen besser im Blick zu haben“, sagte Spieker. Die Kosten für den
Neubau sollen rund 560 000 Euro betragen.
Vermisster
Paddler ist tot
Bad Pyrmont (lni/doe). Die Leiche eines
seit dem 9. Januar vermissten Paddlers ist
am Sonntag in der Emmer in Bad Pyrmont entdeckt worden. Ein Spaziergänger fand nach Angaben der Polizei den
Toten in der Nähe des Tierparks. Taucher
bargen die Leiche.
Der Kanufahrer war bei einem Bootsunfall zwischen Lüdge und Bad Pyrmont
in die Hochwasser führende Emmer gestürzt und seither vermisst worden. Zuvor war das Kanu mit dem 27-Jährigen
sowie zwei weiteren Insassen auf dem Nebenfluss der Weser in eine heftige Strömung geraten. Ein 17-Jähriger und ein
zwölfjähriger Junge, der eine Schwimmweste trug, konnten sich ans Ufer retten.
Der 27-jährige aus Bad Pyrmont trieb mit
dem Boot in Richtung Kurort ab. Ein Zeuge war noch ins Wasser gesprungen, um
zu helfen. Der 45-Jährige konnte jedoch
nichts mehr ausrichten. Der Helfer, das
Kind und der Jugendliche mussten im
Krankenhaus wegen starker Unterkühlung behandelt werden.
Versehentliche
Schussfahrt endet
im Tiefschnee
Ein Pistenbulli musste das verirrte Auto aus
dem Schnee ziehen.
Polizei
Hahnenklee (lni/doe). Da konnten sich
selbst die eingesetzten Beamten ein Lächeln nicht verkneifen, nachdem sie am
Sonnabendabend zu einem Einsatz auf
die Skipiste gerufen worden waren: Eine
21 Jahre alte Autofahrerin aus Goslar
war beim Wenden an der Bergstation der
Seilbahn am Bocksberg in Hahnenklee
von der Straße abgekommen. Die junge
Frau hatte dort ihren Freund von der Arbeit abgeholt. Statt aber auf die Forststraße in Richtung Auerhahn einzuschwenken, fuhr sie auf die Skipiste. „Von da an
ging es blitzschnell“, sagte ein Polizeisprecher in Goslar am Sonntag. „In rasanter Schussfahrt raste das Fahrzeug
abwärts.“ Erst 250 Meter tiefer sei der
Wagen mit der erschrockenen Frau und
deren Freund im tiefen Schnee bis zum
Bodenblech versunken. Da eine Bergung
mit einem „herkömmlichen“ Abschleppunternehmen schlecht möglich erschien,
musste das Auto von dem mit dem Walzen
der Pisten beschäftigten Pistenbulli auf
die Straße gezogen werden.