Den Kapitalismus zähmen
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Den Kapitalismus zähmen
Den Kapitalismus zähmen der neue Ehrenkodex des Kaufmanns Vortrag im Rahmen einer Earthday-Veranstaltung des Münchner Forums Nachhaltigkeit und der Umweltakademie e.V. am 21. April 2010 Dr. Ing. Peter H. Grassmann Vorsitzender des Vorstands, Die Umweltakademie eV. Den Kapitalismus zähmen? Gerade die Diskussion über Klimawandel und über die sozialpsychologischen Summeneffekte, die zur Finanzkrise führten, haben erneut gezeigt: Marktwirtschaft kann ohne starken Ordnungsrahmen nicht funktionieren. Marktversagen Der Klimawandel ist das größte Versagen des Marktes….. aus ökologischer Sicht Nicolas Stern, 2007 Die Finanzkrise ist das größte Versagen des Marktes….. aus sozialer Sicht Earth-Days München Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 2 Abb. 1: Die aktuell großen Versager der Marktwirtschaft Zu stark sind die emotionalen Kräfte, die die Akteure steuern. Eine gesellschaftlich tragfähige Marktwirtschaft braucht deshalb den Ordnungsrahmen, der korrigierend eingreift. Ob Klimawandel oder Finanzwelt, ohne starken Ordnungsrahmen ist das wilde Pferd der Marktwirtschaft nicht zu beherrschen. Kein Wunder, dass nach den Rückschlägen und Enttäuschungen der letzten Jahre deshalb der Ruf nach mehr "Staat" zunimmt. Kein Wunder auch, dass manche das System der Marktwirtschaft grundsätzlich infrage stellen und durch mehr Planwirtschaft ersetzt sehen wollen. Aber der Ruf nach mehr Staat geht am Problem vorbei, er kann die Lösung nicht allein bringen. Das ist der Grund für die Enttäuschungen der letzten Jahre, gerade sie haben deutlich die Grenzen staatlicher Regelung gezeigt. Denn eine neue, epochale Veränderung überlagert unsere alt gewohnte Reaktion, unseren Ruf nach der Stärke der Politik bei gesellschaftlichen Krisen. Und zudem verdrängen die unser reales und keineswegs immer ideales Verhalten in den Märkten. Es ist eine böse Überraschung, aber die Kontrolle der Märkte funktioniert von Jahr zu Jahr schlechter. Mehrere Ursachen kombinieren sich: Zu glauben, dass Eigennutz als primäre Triebkraft der Märkte am Ende immer zu guten Ergebnissen führt, hält einer genaueren Prüfung nicht stand. Es sind wesentlich komplexere emotionale Summeneffekte, die Märkte steuern. Die immer wieder zitierte „Gier“, die die Finanzkrise ausgelöst hat, wurde erst durch sie so zerstörerisch. Es ist eine Gruppendynamik, die jeder Vernunft zuwider laufen kann. Und genauso ist der sorglose Umgang mit den Risiken des Klimawandels eine Gruppendynamik, die frühzeitige Vorsorge unmöglich machte. Es ist Faktum, dass Märkte kurzfristig orientiert sind, die Verantwortung für die nächste Generation - für Generationengerechtigkeit - findet nicht genug Unterstützung. Vernunft als Korrektiv fällt ebenfalls weit gehend aus. Die sozialpsychologischen Summeneffekte erzeugen eine Komplexität, deren Zusammenspiel mit den sozialpsychologischen Gesetzen der Demokratie keine gesellschaftlich ausreichende Qualität des Ordnungsrahmens bringt. Das hat uns nun Jahrzehnte begleitet. Eine epochale Veränderung All diese Erschwernisse überlagern sich heute mit einer neuen, grundsätzlichen Veränderung unserer sozialen Beziehungen. Eine böse Überraschung Sozialpsychologie von „Großgruppen“ – emotionale Summeneffekte steuern die Märkte… das Korrektiv des “Eigennutz ist ethisch schwach Sorglose Kundschaft: Märkte unterstützen Nachhaltigkeit nicht Generationenübergreifendes Sozialverständnis gering Die epochale Veränderung: Globale online-Vernetzung Earth-Days München Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 Abb. 2: Eine böse Überraschung 3 Es ist die epochale Veränderung durch die online Vernetzung der Welt, die den Ruf nach mehr Staat noch verstärkt in die Leere laufen lässt. Nur allmählich ahnen wir, welche dramatischen sozialen Veränderungen die moderne Kommunikationstechnologie bringt. Alles ist plötzlich vernetzt. Überall stehen uns das weltweite Wissen, der Kontakt mit Partnern und Freunden und den Firmen der Zugriff auf firmeninterne Informationen zur Verfügung. Nur allmählich begreifen wir, welche soziale Umwälzung hier läuft, mit .com, facebook, Google, Twitter oder Amazon und e-bay und mit Intranet, den internen Firmennetzwerken. Online-Vernetzung führt zu neuer Qualität der Wirtschaft: Bewegungsfreiheit vom Kapital, Know-how und Wertschöpfung Sozialpsychologische Summeneffekte wirken nun global: „Gier“ und Gruppendruck in der Finanzkrise Risikoaversion in der Energietechnologie Das System-Defizit: Einen global wirkenden Ordnungsrahmen gibt es nicht die Wirtschaft ist global – Der Staat ist national Earth-Days München Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 4 Abb. 3: Global vernetzte Freiheit – ohne Ordnungsrahmen Eine Gruppe allerdings hat das sofort und damit schon lange begriffen: die Wirtschaft. Mit ihren professionellen DV-Experten baute sie schon in den neunziger Jahren diese weltweite Vernetzung aus und verstand sofort, was es bedeutet, wenn know-how und Kapital weltweit sofort verschiebbar sind, wenn firmeninterne Vernetzung alles überall online zur Verfügung stellt, auch Produktions-know-how, Geldzugriff und Mitarbeiterwissen. Die Wirtschaftswelt verlor das Nationale, sie wurde global. Es war eine neue Freiheit, die es ermöglichte, sich mit Produktion, Wertschöpfung und Kapital global frei zu bewegen, immer dahin, wo die Kosten am geringsten, die Vorschriften zu vernachlässigen und die Steuern möglichst null sind. So entstanden die wahren Gefahren der Globalisierung. Sie entstanden aus diesen neuen Möglichkeiten globaler Onlinevernetzung. Das Systemdefizit im Ordnungsrahmen Die Wirtschaft kann nun dem Ordnungsrahmen des Nationalstaats ausweichen, sie kann die Konkurrenz und die Uneinigkeit der Nationen nützen, Damit ist ein fundamentales Systemdefizit entstanden: der nationale Staat kann nicht mehr allein den Ordnungsrahmen einer gesunden Marktwirtschaft bieten. Von globalen Regeln allerdings sind wir noch weit entfernt, nur die Jüngsten im Raum werden eine funktionierende Weltgovernance vielleicht noch erleben. Wir leiden unter einer neuen und prinzipiellen Systemschwäche: das Wirtschaftsgeschehen ist global, der Staat ist national. Ein umfassend funktionierender Ordnungsrahmen existiert nicht. Die Globalisierung zähmen Dieses Systemdefizit genauer zu erläutern, aber auch Antworten darauf zu finden, ist der Inhalt des Buches BurnOut, dem man auch den Untertitel geben könnte: Die Globalisierung zähmen. Es geht um die Frage, welche Kräfte und wie mobilisiert werden können, um den „Staat“ zu unterstützen. Oder ob wir diese Systemdefizite als ausweglos und ohne Antwort der Gesellschaft als unveränderlich hinnehmen. Die Globalisierung zähmen Peter H. Grassmann Burn out Wie wir eine aus den Fugen geratene Wirtschaft wieder ins Lot bringen oekom verlag München 144 Seiten, März 2010 ISBN: 978-3-86581-191-2 Preis: 14,90 Euro Earth-Days München Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 5 Abb. 4: BurnOut – Die Globalisierung zähmen Ich meine, es gibt eine Antwort, eine Antwort, die erstaunlich viel bewirken kann. Es ist – sehr vereinfacht gesprochen – mehr wertebezogene Selbstverwaltung de Wirtschaft, es ist das interne Durchsetzen der alten Tradition des ehrbaren Kaufmanns, das Durchsetzen von Anstand und nachhaltiger Verantwortung von innen heraus als Selbstverständnis und als Pflicht des „ehrbaren Unternehmers“ im Marktgeschehen. Vor diesem Hintergrund staatlicher Schwäche fällt der Nobelpreis 2009 für Wirtschaftswissenschaften auf, der Ende letzten Jahres an Elinor Ostrom für ihre Arbeiten zur erstaunlich gut funktionierenden Organisation von Gemeinschaftsgütern verliehen wurde. Autorin: Elinor Ostrom Nobelpreisträgerin Erfolgreiche Selbstverwaltung von Gemeinschaftsgütern Earth-Days München Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 6 Abb. 5: Die Verwaltung von Gemeinschaftsgütern – Nobelpreis Wirtschaft 2009 Gemeinschaftsgüter, das sind zum Beispiel Wasserrechte, Fisch- und Ernterechte, Almennutzung und es geht um die gemeinsame Nutzung wirtschaftlicher Wertschöpfung ohne staatliche Eingriffe. Ostrom zeigt, dass diese Nutzungsrechte von der Gemeinschaft der Akteure sehr erfolgreich verwaltet werden können, ja in der Regel sogar erfolgreicher als durch staatliche Vorgaben. Funktionierende Selbstorganisation der Akteure stellt sich also – wo immer möglich - als die bessere Alternative dar, wenn es um themenbezogene Wirtschaftsordnung geht. Und genau das ist der „ehrbare Kaufmann“. Ein Unternehmer, der sich den selbst gesetzten Werteregeln seiner Gemeinschaft unterwirft. Dessen Gemeinschaft einen Ehrenkodex hat, der sicherstellt, dass der handelnde Kaufmann, wo immer er in der Welt auftritt, nicht verbrannte Erde hinterlässt und dem Nächsten aus seiner Gemeinschaft die Geschäfte erschwert. Er unterwirft sich einem Ehrenkodex und der wird überwacht und eingefordert. Das ist das, was wir wieder entdecken müssen als inhärente Ordnungsmacht. Und das geht in erstaunlich vielen Wirtschaftsbereichen. Natürlich ersetzt das nicht völlig den Staat, aber funktionierende Selbstverwaltung kann ihn erheblich entlasten, ja kann – wie gesagt - sogar oft effizienter sein und kann damit insgesamt den Ordnungsrahmen der Marktwirtschaft zielgerichtet ergänzen. Wertesichernden Branchenkodex einfordern Genau von diesem Weg verstärkter Selbstverwaltung hoffe ich sie zu überzeugen. Funktionierende Selbstverwaltung ist möglich. Unser gesamtes Normenwesen funktioniert so. Also kann das Prinzip auch erweitert werden, allerdings nur, wenn man aus Fehlleistungen lernt. Wenn man einige Spielregeln beachtet, können Staat und Gesellschaft durchsetzen, dass jede Wirtschaftsbranche eine funktionierende Selbstverwaltung hat, dass sie sich einen starken Wertekodex schafft und diesen durchsetzt. Der Wertekodex – also das Klarstellen der wichtigsten Verhaltensregeln - ist das zentrale Organ jeder Selbstverwaltung. Der Wertekodex kann den „ehrbaren Unternehmer“ branchenbezogen definieren und damit einfordern. Instrumente ökosozialer Marktwirtschaft Der Wertekodex Das traditionelle Instrument kooperativer Wertedefinition ist der Wertekodex ein bekanntes, traditionelles Instrument Heute zu oft oberflächlich missbraucht aber der Wertekodex ist flexibel in Inhalt und Sanktionen regional flexibel, teils global Der Wertekodex kann Werte durchsetzen Earth-Days München Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 7 Abb. 6: Der Wertekodex ist das übliche Instrument werteorientierter Gruppenvereinbarungen Gerade Luft und Wasser, aber auch Artenvielfalt und wohl auch das weltweite Geldsystem sind globale Gemeinschaftsgüter, deren Wert unschätzbar ist. Und dazu ist eine funktionierende Selbstverwaltung von Wirtschaftssektoren zwingend erforderlich, um die diskutierten Systemschwächen auszugleichen. Der Wertekodex als Branchenregel bietet sich als Weg an, sofern er auch Pflichten und Sanktionen kennt und nicht als reine Freiwilligkeit aufgefasst wird. Dieser Vortrag erlaubt nicht, Schwächen und Lösungen in allen Details zu beschreiben. Da verweise ich auf das Buch. Hier möchte ich nur einige Grundvoraussetzungen für einen wirksamen Wertekodex herausgreifen – Voraussetzungen, die in Vergessenheit geraten sind und damit den Wertekodex und seinen Ruf unterminiert haben. Der Branchenbezug Da ist zunächst der notwendige Branchenbezug. Wenn man fast 20 Jahre Mitglied im Vorstand großer Unternehmen war, weiß man, wie unterschiedlich die gesellschaftlichen Anforderungen an die verschiedenen Wirtschaftsbranchen sind. Ob Energieerzeugung oder Energieverteilung, ob Automobilbereich oder Stahlindustrie, ob Landwirtschaft oder Ernährungswirtschaft, immer sind die Anforderungen an verantwortungsvolles Handeln unterschiedlich. Es genügt heute nicht mehr, wenn das Angebot die Nachfrage erfüllt. Die Gesellschaft will mehr als nur das Produkt und den guten Preis. Sie drängt darauf, dass die Summeneffekte marktwirtschaftlichen Handelns auch den Ansprüchen an Nachhaltigkeit, an Generationengerechtigkeit und sozialer Fairness gerecht werden. Sie will ökosozial verantwortliches Handeln aller Akteure. Und diese Anforderung ist ohne einen entsprechenden Ordnungsrahmen nicht zu erfüllen – wie die Erfahrung der letzten Jahre zeigt. Warum aber den Staat überfordern, seine Begrenzungen übersehen in der heutigen äußerst komplexen Welt? Es liegt an der Branche als Ganzes, als Gemeinschaft, sauberes Verhalten wesentlich konsequenter einzufordern. Natürlich ist es schön, dass einzelne Unternehmer sich der Herausforderung ökosozialer Verantwortung - in neudeutsch der Corporate Social Responibility, kurz CSR – freiwillig verschrieben haben. Aber das genügt nicht. Die Gesellschaft erwartet sauberes Handeln gesamter Branchen trotz der neuen globalen Freiheiten. Es gilt also, sich als Unternehmen zusammenzuschließen und gemeinsam mit der Zivilgesellschaft die Problemkreise herausarbeiten, denen eine Branche besser gerecht werden muss. Ich fasse solche verpflichtende Definition von Werten unter dem alten Wort des Wertekodex zusammen. Er gibt die Leitlinie zum handeln und kann durchaus praxisnah und handlungsorientiert sein, braucht keineswegs nur elitäre Sonntagsregeln umfassen. Die alte Hanse, viele der Zünfte und Stände hatten strenge, praxisorientierte Wertekodices, erst die neuere Zeit hat zu einer gewissen Abflachung dieses Begriffes geführt. Aber nur deshalb, weil sich der Gesetzgeber darum nicht gekümmert hat, weil er nicht erkannt hat oder nicht erkennen wollte, welche Ordnungskraft in einem funktionierenden und durchgesetzten Wertekodex liegt. Instrumente ökosozialer Marktwirtschaft Der mitbestimmte Wertekodex Ein wirksamer Wertekodex braucht Aufmerksamkeit von Medien und Gesellschaft branchenspezifischen Tiefgang Gleichgewicht der Kräfte bei der Definition durch Mitsprache der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft Unternehmens- und personengerichtete Sanktionen und ist verpflichtend für Mitglieder Standesrecht und Standespflicht bis zum Berufsverbot Earth-Days München Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 8 Abb. 7: Ernsthafte Inhalte brauchen Mitbestimmung und Aufmerksamkeit – Aber es entsteht ein Schlüsselelement zur Durchsetzung ökosozialer Marktwirtschaft Die externe Mitsprache Damit bei der Definition des Wertekodex unangenehmen Dingen nicht ausgewichen wird, empfiehlt sich allerdings externe „Mitbestimmung“, also eine Mitsprache durch die Zivilgesellschaft und auch die themenbezogene Wissenschaft. Natürlich weiß ich, dass „Mitbestimmung“ für viele Unternehmer ein Schreckenswort geworden ist. Manches Auftreten und Versagen der Gewerkschaften hat dieses Instrument in Misskredit gebracht. In dieser analogie geht es aber um segensreiche Mitsprache der Betriebsräte bei sozialen Maßnahmen von Unternehmen, ein Beispiel, was gerade in der vergangenen Krise enormen unterstützend gewirkt hat. Es ist die Mitsprache der Betroffenen, nicht die der Ideologen und Funktionäre, die das Gemeinsame erkennen und daraus fruchtbare Diskussion entstehen lässt. Ich nenne einen so entstehenden Wertekodex einen mitbestimmten Branchenkodex und möchte Ihnen an einigen Beispielen die Möglichkeiten zeigen: Das IHK-Gesetz Zunächst: zu wenig ist bekannt, dass die Pflicht zum „ehrbaren Kaufmann“ im Gesetz steht und zwar im Gesetz für die Industrie- und Handelskammern, das jeden Unternehmer sehr Mitgliedschaft und Beachtung des Gesetzestextes zwingt. Der §1 des IHK-Gesetzes lässt sich wie folgt: IHK Gesetz § 1 IHK Gesetz Die Industrie- und Handelskammern haben… die Aufgabe, das Gesamtinteresse der Gewerbetreibenden wahrzunehmen, … …dabei obliegt es ihnen insbesondere, ….. ….für Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken. Earth-Days München Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 Abb. 8: Das IHK- Gesetz verpflichtet zum „ehrbaren Kaufmann“ Die Renaissance des Ehrbaren Kaufmanns …der sich durch hohe ethische Grundsätze, Verantwortungsbewusstsein und langfristig angelegtes, nachhaltiges Handeln im gesamtgesellschaftlichen Kontext auszeichnet. Unsere Forderung: verpflichtend und konkreter Earth-Days München Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 11 Abb. 9: Selbstverpflichtung für Mitglieder und Konkretisierung der IHK Koblenz ein weiteres noch grundsätzliches Beispiel ist das Vorgehen des amerikanischen Industrieverbandes AdvaMed. Code of Ethics The AdvaMed Code of Ethics on Interactions with Health Care Professionals is committed to leading our industry in compliance with the law and advancing the highest ethical standards in all collaborations.” Jeffrey R. Binder, Chairman, AdvaMed Board Ethics & Health Care Compliance Committee www.advamed.org/MemberPortal/About/code/ Ein wirksamer Anti-Korruptionscode Earth-Days München Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 Abb. 10: Der Anti-Korruptions-Kodex des Industrieverbandes AdvaMed, herausragendes Beispiel eines wirksamen Branchenkodex Ich war als europäischer Vertreter Mitglied im Vorstand dieses Verbandes, der alle großen Firmen der Medizintechnik zusammenschließt, gleich ob Johnson und Johnson, Siemens, Bayer oder General Electric. Konkurrenten im Markt, aber im Verband auch zu gemeinsamen Gesprächen bereit. In der Medizintechnik kann die Versuchung des ärztlichen Anwenders noch größer sein als im Pharmabereich. Denn ein Handgriff entscheidet über den Herzschrittmacher der einen oder anderen Firma, über das Kniegelenk der einen oder anderen oder über den Beschaffungspreis des jährlichen Bedarfs von Infusionslösungen, Verbandsmaterial oder medizinischen Geräten. Entsprechend groß war der Druck vieler Ärzte, sich von den Firmen Forschungsarbeiten subventionieren zu lassen, Seminare für ihre Mitarbeiter einzufordern - möglichst auf einem Kreuzfahrtschiff - oder auch den 1.Klasse-Flug für sich und die Gattin. Auch Ärzte, die Unternehmen viel Umsatz bringen oder für die Unternehmen forschen, sind keine Heiligen. Der amerikanische Staat hat entsprechend vom zuständigen Industrieverband verlangt, hier Ordnung zu schaffen. Durch die Durchsetzungskraft und den Mut einer Frau - in meinem Buch ist dies genauer beschrieben - entstand ein Antikorruptions-Kodex der Medizintechnik der USA, der diese Unsitten beseitigt hat. Dieser Code of Ethics legt fest, was zulässig ist und was nicht. Ich war dabei, als er in einem mehrjährigen Prozess erarbeitet wurde und rund 10 % der Mitglieder deshalb austraten. Der Antikorruptions-Code aber blieb, wurde kürzlich aktualisiert und wird heute von den amerikanischen öffentlichen Auftraggebern verpflichtend verlangt. Die Ausgetretenen sind also wieder drin oder mussten sich zur Beachtung verpflichten, die Korruptionsunsitten im Gesundheitswesen wurden enorm eingeschränkt. Das gleiche Prinzip lässt sich für Entartungen im Finanzbereich, für Klimaschutzmaßnahmen, im Ernährungssektor oder für Werbephilosophien anwenden. Hier fällt der Blick auf die breite Landschaft der Wirtschaftsverbände. Alle Wirtschaftsbranchen haben heute einen koordinierenden Verband, der sie berät und auch vertritt und der in der Regel Mitglied in einem nationalen Dachverband - für die deutschen Industrieverbände ist das der BDI - und auch in einem europäischen oder sogar Weltverband ist. Der BDI hat z.B, ein Klimaprogramm entwickelt: www.bdi.eu oder Earth-Days München www.wirtschaftfuerklimaschutz.eu Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 Abb. 11: die Klimainitiative des BDI freiwillig, aber ein Anfang - Die Klima –Initiative des BDI umfasst ausführliche Analysen über die notwendigen Maßnahmen zu Energie Effizienz und Energieumstellung in den Bereichen Produktion, Transport, Energieversorgung und Gebäude. Die Studie ist sehr aussagekräftig, ihr Problem ist deren Freiwilligkeit ohne jede Verpflichtung für den Einzelunternehmer, hieraus Konsequenzen zu ziehen und Anlagen sowie Geschäftsmodelle umzustellen. Es ist eben keinen verpflichtender Teil eines Wertekodex, obwohl gerade hier die Branchen mäßige durch Arbeit ideal möglich wäre. Bemühungen, den BDI und dieser Philosophie der Freiwilligkeit abzubringen und dem Beispiel der viel größeren ADvaMed zu folgen, sind bisher gescheitert. Industrie-Kooperation road-map Die road-map beschleunigt den Technologischen Wandel Technologische Zukunft hat Risiken Weltweite Vernetzung durch gemeinsamen think-tank zeigt Defizite und den chancenreichsten Weg Innovationsbeispiel Sematech der Halbleiter-Industrie (www.sematech.org / www.itrs.net) Anwendungsfelder Solarthermie/Desertec, Photovoltaik Earth-DaysinMünchen Ökonomik der Krise? Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 14 Abbildung 12: Die von einem Zentralinstitut koordinierte „road-map“ hat sich in der Halbleiterindustrie als wichtiger Erfolgsfaktor der Innovationskraft erwiesen. Kooperation mit Wertebezug Das Beispiel zeigt, dass man keineswegs von vornherein auf den good-will und die Einsicht der großen Verbände rechnen kann. In diesem Fall ist der Zusammenschluss der „Alternativen“, also der anders Denkenden ein wichtiges Instrument. Mein Lieblingsbeispiel ist der Zusammenschluss von einigen 100 Milchbauern zum Verband „die faire Milch“, der dem Verbraucher die Möglichkeit gibt, seinen preislichen Beitrag zu Landschaftsschutz, Biodiversität und „humaner“die Haltung zu bezahlen und dafür ein bisschen nervös Produkt und ein reines Gewissen zu erhalten. Kooperation von Milchbauern Earth-Days München Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 Abb. 13: „die- faire- Milch“, ein Verband einiger 100 Milchbauern, die sich auf Schutz von Landschaft und Biodiversität und gesunde Tierhaltung verpflichten Die „faire Milch“: Fair zum Verbraucher (ethisch und gesundheitlich “wertvoll”) Fair zur Umwelt (Schutz von Biodiversität und Landschaft) Fair zum Landwirt (Sichern der Existenz-Grundlage) www.die-faire-milch.de . Earth-Days München Earth-Days München Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 17 Abb 14 und 15 :Die Werteregeln des Verbandes stehen für Landschaftsbild, Biodiversität und natürliche Tierhaltung. Der Verbraucher honoriert das mit einem Preisaufschlag. Der Wertekodex ist ein universelles Instrument In alle Berufsgruppen hinein lassen sich die Beispiele fortsetzen. Nehmen Sie als Beispiel eines Berufsverbandes die Honorarordnung der Architekten. Solange diese auf Umsatz festgelegt ist und primär große und teure Gebäude belohnt, ist es selbstverständlich, das Energieeffizienz und ökologischer footprint, also der Energieaufwand bei der Erstellung kaum eine Rolle spielen. Oder nehmen Sie den Finanzbereich. Kaum hinterfragt haben die weltweite Medien, warum 2006 der Vorschlag von Herrn Ackermann, über den Weltverband der Privatbanken die Incentives und die Produkttransparenz zu ordnen, nicht durchgeführt wurde. Damals war es Goldman Sachs, die mit dem Austritt drohten. Heute wissen wir, dass genau dieses Instrument entscheidend gewesen wäre für die Abmilderung der Exzesse der Finanzkrise und dass genau diese Goldman Sachs eine der großen ethischen Versager und der Verursacher dieser Krise war. Auch heute noch wäre es sinnvoll, den damaligen Anstoß zu verfolgen, zumal der Weltverband IIF bereits ein weltweit funktionierendes Regelwerk für die Geschäftspraktiken der Privatbanken hat. Er wäre ein wichtiger Beitrag, wenn es auch das Verbot extremen hedgings und zerstörerischer Währungsspekulation nicht allein ersetzen kann. Da bleibt die Staatengemeinschaft gefordert. Immerhin aber könnte ein IIFBranchenkodex die Beteiligung oder gar Förderung solcher Geschäfte verbieten. Zusammenfassend Die Wertesicherung oder auch „Werteregulierung“ durch Branchenkodices ist möglich als problembezogene Unternehmenskooperationen, sofern man sich einigen Grundregeln unterwirft, wie in dieser Abbildung zusammengefasst. Werteregulierte Marktwirtschaft: Problembezogene Unternehmens-Kooperation branchenspezifischer Wertedefinition Wertekodex als Pflicht Mitbestimmung sichert Tiefgang mit gesetzlichem Rahmen Einbeziehung der Verbände in ISO 26000 und UN - Global Compact-Pflichten branchenweit definierte ökosoziale Verantwortung Earth-Days München Katholische Hochschulgemeinde an der Technische Universität München, 21. April 2010 9 Abb. 16: Wertesicherung durch verpflichtende Unternehmenskooperationen ist möglich, wenn diese Grundregeln beachtet werden Der mitbestimmte Branchenkodex kann Exzesse zügeln Die obigen Beispiele zeigen: das Instrument des Wertekodex kam da eingreifen, wo der Staat überfordert wird. Wie ihn also in praxi umsetzen? In Deutschland haben - wie erwähnt - die Industrie- und Handelskammern seit langem die gesetzliche Pflicht, bei ihren 5 Millionen Mitgliedern auf „Ehrbarkeit“ zu achten. Beachtet aber haben das die IHKs in den letzten Jahrzehnten kaum. Das nun einzufordern, ist es sicher der erste Ansatz, denn diese Ehrbarkeit des Unternehmers hat sich in ihrer Priorität in den letzten Jahren verschoben, der gesellschaftliche Druck hat sich erheblich erhöht. Während heute das Sozialverhalten gegenüber den Mitarbeitern in vielen Bereichen schon durch Gesetz und Tarifverträge abgesichert ist, kommen die Herausforderungen der Nachhaltigkeit und der globalen Fairness viel zu kurz. Erstes Ziel muss also sein, die Industrieund Handelskammern und deren Dachverband zu überzeugen, dass der althergebrachte Begriff des „ehrbaren Kaufmanns“ modernisiert werden muss in ein modernes Bild des „ehrbaren Unternehmers“. Das trifft auch den Gesetzgeber, denn schon die Formulierung des Gesetzes von 1956 als „vorläufig“ zeigt, wie groß die Angst des Gesetzgebers vor der skeptischen Unternehmerschaft ist. Die Mitgliedschaft in einer IHK ist gesetzlich vorgeschrieben, als Konsequenz die Vorgaben des Gesetzes zu achten, scheint selbstverständlich. Die europäische Dachgesellschaft der Handelskammern, die Eurochambers bietet darüber hinaus ideale Voraussetzung, um auch europaweit diesen zusätzlichen Ordnungsrahmen anzustoßen und damit auch die deutsche Zögerlichkeit zu überschreiben. Nun gibt es noch die Konzerne bzw die global agierenden großen Firmen. Deren Vertretung sind die mächtigen Wirtschaftsverbände, bei denen man freiwillig Mitglied ist, von denen es in Deutschland immerhin dennoch einige hundert mit mehr als 10.000 Mitarbeitern gibt und denen de facto alle größeren Firmen ergänzend zur IHK-Mitgliedschaft angehören. Auch den Wirtschaftsverbänden ist anzuraten, sich trotz der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft den Themen der Nachhaltigkeit durch die Schaffung von wirksamen Wertekodices zu stellen. Das allerdings muss mit Druck von unten, einem Druck durch die Mitglieder beginnen. Alle auf die Leitlinien der Corporatte Social Responibility oder CSR verpflichteten Unternehmen möchte ich auffordern, hierfür bei ihren Verbänden zu werben. Das gilt auch für die Nachhaltigkeitsbeauftragten der Konzerne, denen ich die Unabhängigkeit zutraue, aus Überzeugung für branchenweite Nachhaltigkeit einzutreten. Der Verband der Nachhaltigkeitsbeauftragten Econsense ist ganz besonders gefordert, diesen Ball aufzugreifen und ihn in den deutschen, noch mehr allerdings in den europäischen Dachverbänden publik zu machen. Die Europäische Kommission bzw die EUGesetzgeber kann dies durch ein Rahmengesetz unterstützen. Jedenfalls darf sich eine solche Katastrophe, wie sie sich der europäische Verband der Automobilhersteller ACEA 1997 mit seiner Unterschrift und nachfolgender Missachtung der CO2Richtlinie geleistet hat, nicht wiederholen. Der Gesetzgeber hat ein wichtiges Instrument aus der Hand gegeben, wenn er glauben würde, nur durch Gesetz und Gerichte könnte er die Ordnung sichern. Die Selbstverpflichtung und Durchsetzung gemeinschaftsfreundlichen und nachhaltigen Handelns ist ein zusätzlicher Hebel, der sich im Übrigen für Gesamteuropa anbietet. Ob Klimawandel, Finanzgebaren, Jugendschutz, Werbephilosophien, Boni oder auch Biodiversität, der verpflichtende Wertekodex kann gerade durch seine Mitbestimmung jeder Branche die Augen öffnen und den Ehrgeiz, sich als Unternehmer sozial vorbildlich einzuordnen, wieder entfachen. Es ist der ideale Weg der Wertesicherung im Mittelstand, dem wichtigsten Träger von wirtschaftlicher Kraft und Wohlstand. Kein Selbstläufer Das Instrument des verpflichtenden Wertekodex zu einem wirksamen Instrument auszubauen, liegt als Idee eigentlich nahe. So überzeugend die Argumente auch sein mögen, so ist es dennoch keineswegs ein Selbstläufer, aus folgenden Gründen: Nur ungern gestehen unsere politischen Mandatsträger ein, dass sie bei vielen Themen letztlich ohnmächtig sind. Weder können sie Widerstände der Wirtschaft leicht brechen - vielmehr sind sie von deren Goodwill gewaltig abhängig und zugleich sind sie durch die globale Freiheit der Unternehmen noch erpressbarer geworden - noch können sie international all die Abkommen durchsetzen, die sie für notwendig halten. Wir müssen alle daran arbeiten, dass die Einsicht in diese Begrenzungen realer nationaler Politik dem Profilierungsehrgeiz weicht und die Stärkung des Ordnungsrahmens durch funktionierende und kontrollierte Selbstverwaltung der Wirtschaft als zusätzlicher, teils auch international einsetzbarer Hebel erkannt wird. Natürlich wehrt sich auch die Wirtschaft gegen dieses Instrument, denn ein verpflichtender Wertekodex ist eine Einschränkung unter Freiheiten. Jede Art von Ordnungsrahmen und erst recht von „Mitbestimmung“ ist in Wirtschaftskreisen alles andere als beliebt. Nur der über dem Tageserfolg stehende Unternehmer weiß, dass Langfristigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz Voraussetzung für den langfristigen Erfolg sind. Gerade die mutigen Unternehmer sind deshalb aufgefordert, bei ihren Kammern und Verbänden - und auch bei ihren Abgeordneten - entsprechend Druck zu machen. Die Akzeptanz der Marktwirtschaft ist gefährdet. Mehr als 70 % der Bürger lehnen die heutige Form wegen ihrer Exzesse ab. Wer die daraus erwachsene Gefahr nicht erkennt, unterschätzt die Gefahren der Wut der Allgemeinheit. Schließlich wird auch bei den werteorientierten Organisationen der Zivilgesellschaft, den NGOs, die Forderung des verpflichtenden Wertekodex nicht sofort verstanden. Die meisten NGOs haben große Einzelprojekte, reichlich Profilierungsehrgeiz und meist die Hoffnung, dass schon der kontinuierliche Hinweis auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu „Vernunft“ und einer anderen Gemeinschaft führt. Wie ich aus viel Erfahrung mit diesen Gruppen weiß, ist dort die Hoffnung auf den „Gutmenschen“ die weithin akzeptierte Regel. Wie die eingehenden Erläuterungen zu den sozialpsychologischen Zusammenhängen gezeigt haben, ist das aber gegen unsere Veranlagung. Auch wenn die Bereitschaft, nachhaltig verantwortungsvoll zu handeln, in der Gesellschaft gestiegen ist, bleibt dennoch die Dominanz kurzfristiger Interessen, Gleichgültigkeit und negativer Gruppendynamik bestehen. Aber in all diesen Kreisen gibt es Vordenker und Pioniere, die sich ethisch hohe Standards und die Verpflichtung zur Nachhaltigkeit zum Grundsatz gemacht haben, und sie sind es, die die Implementierung des verpflichtenden Branchenkodex als erste anschieben können. Er ist das Instrument, das die ökologischen und ethischen Aufgaben der Wirtschaft am besten sichern kann und sollte als dringende Empfehlung Eingang finden in alle Leitlinien einer humanen Arbeitswelt und humaner Märkte. Der Lohn einer Werte umfassend sichernden Wirtschaft wird der Fortbestand der Marktwirtschaft sein auf einem ökosozial höheren Niveau.