Corporate Justice und die Politik der Schweiz

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Corporate Justice und die Politik der Schweiz
Bern, 20. März 2012
Fachtagung: Recht ohne Grenzen. Klare Regeln für Schweizer Konzerne. Weltweit.
Peter Niggli
Corporate Justice und die Politik der Schweiz –
eine kritische Bilanz
Die Schweiz – ein Paradies für Multis?
Die Schweiz dürfe keine Industrieförderungspolitik betreiben – wenn Industrien untergingen
oder Produktionsstätten ins Ausland verlegt würden, entspreche das den „Gesetzen des
Marktes“. So lautet das Glaubensbekenntnis von Bundesrat und Economiesuisse seit dreissig
Jahren. Begehren aus der Maschinen-, Uhren-, Chemie- oder aus anderen Industrien, das
Dogma aufzuweichen und im gegebenen Fall wenigstens ein bisschen Industrieförderung
zuzulassen, werden regelmässig abgeblockt.
Allerdings gibt es schon eine Art „Industriepolitik“ der Schweiz – aber eine andere. In der
gleichen Zeitperiode unternahm die Regierung alles, um den Finanzplatz zu fördern. Dazu
weichte sie gesetzliche und steuerliche Auflagen auf und gewährte gewissen Ausländern bis
vor kurzem Asyl für unversteuerte Einkünfte und Vermögen. Damit verknüpft ist die zweite
Achse unserer „Industriepolitik“: Seit Ende der achtziger Jahre fördern Bund und Kantone die
Ansiedlung von Hauptquartieren multinationaler Unternehmen in der Schweiz. Günstige
Steuern, international tätige Banken, qualifiziertes Personal und ein Staat, der sich nicht in die
Wirtschaft einmischt, das sind die „Standortvorteile“, die wir bieten.
Das Resultat unserer Standortpolitik lässt sich sehen. Zu den einheimischen multinationalen
Unternehmen sind viele neue „Immigranten“ hinzugekommen – hier ruft niemand nach „Ventilklauseln“. Allein in den letzten zehn Jahren kamen über 300 Headquarters hinzu. Pro Kopf
der Bevölkerung weist die Schweiz heute die weltweit höchste Dichte an international tätigen
Firmen auf und ist Nummer zwei, was Direktinvestitionen im Ausland betrifft.
Dank der neuen Zuwanderer ist die Schweiz heute Sitz zahlreicher Bergbaumultis und fungiert
als international führende Drehscheibe im Rohstoffhandel. Damit sind neu Hunderte von
Schweizer Unternehmen in Branchen tätig, in denen Umweltverschmutzungen und
Menschenrechtsverletzungen besonders häufig aktenkundig werden. Neben den Rohstofffirmen wandern die Hauptsitze von noch riskanteren Firmen ein: International tätige Sicherheitsund Söldnerunternehmen wie die Aegis Defence Services in Basel. Oder die global tätige
Firma Arcanum in Zürich, die, wie ihr Name „die Geheimnisvolle“ schon sagt, nachrichtendienstliche Beratung für geopolitisch oder sonstwie heikle Geschäfte anbietet. Zu ihren
Beratern gehört der ehemalige Mossad-Chef Meir Dagan.
Haben Bundesrat und Verwaltung noch den Überblick? Kennen sie die Multis, deren Wohltaten, aber auch deren Missetaten international nun der Schweiz angerechnet werden? Seit
2010 höre ich die ehemalige Aussenministerin und hohe Vertreter ihres Ministeriums sowie
des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) sagen, dass sie hier eine Lücke haben. Ausgerechnet in dem Land, in dem sich PolitikerInnen und Unternehmenschefs traditionellerweise
bestens kennen! Der Bundesrat war deshalb bereit, dem Parlament einen Bericht über die
Rohstoffdrehscheibe Schweiz zu unterbreiten, die Reputationsrisiken zu ergründen und allfällige Massnahmen vorzuschlagen. Der Nationalrat lehnte das entsprechende Postulat
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Fässler letzten Freitag aber knapp ab. Nichts wissen wollten: die geschlossene SVP und FDP
sowie die Mehrheit der BDP und einige CVP-Vertreter.
Freiwillige Massnahmen reichen nicht aus
Seit Ende der neunziger Jahre häufen sich die Initiativen, internationale Konzerne in ihrem
Einflussbereich für die Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards zu sensibilisieren. Es gibt zahlreiche freiwillige Vereinbarungen. Die grösste ist der Global Compact der
Uno, der 2000 aus der Taufe gehoben wurde. Die Multis, die ihn unterzeichnen, verpflichten
sich, die Menschen- und Arbeitsrechte sowie international vereinbarte Umweltnormen und
Antikorruptionsrichtlinien in ihren Filialen und bei ihren Zulieferern schrittweise umzusetzen.
Auf staatlicher Ebene wurde der Global Compact ergänzt durch Richtlinien der OECD für
Multis, die aber nur Empfehlungscharakter haben. In vielen Konzernen gibt es heute eine
kleine Gruppe mittlerer Kader, die mit Corporate Social Responsibility-Fragen beauftragt sind
und oft grosses persönliches Engagement zeigen.
All diese Vereinbarungen haben etwas bewirkt. Aber ihre Grenzen treten immer klarer hervor:
Erstens gibt es ein krasses Free Rider-Problem. Längst nicht alle Unternehmen treten solchen
freiwilligen Vereinbarungen bei. Damit vermeiden die Free Rider Kosten, die denjenigen
Unternehmen entstehen, die z. B. wegen der Menschenrechtsverpflichtung existenzsichernde
Löhne einführen, vermehrt Umweltkosten internalisieren und Entsprechendes auch von ihren
Lieferanten einfordern. Die Wettbewerbsnachteile, die daraus entstehen, zwingen die
freiwilligen Massnahmen im vornherein in ein enges finanzielles Korsett – man tut etwas, aber
nicht zuviel, damit sich Free-Ridertum nicht allzu sehr lohnt.
Zweitens sind allfällige Reputationsgewinne durch die Free Rider gefährdet – deren Verstösse
gegen Menschenrechte und Umweltstandards färben auf alle anderen Unternehmen ab.
Drittens wenden die Unternehmen ihre internen Social Responsibility-Richtlinien nicht immer
kohärent an. Beispiele sind etwa der Textilkonzern Triumph, der in Artikel 4 des internen
Verhaltenskodexes ausdrücklich die Diskriminierung von gewerkschaftlich Organisierten verbietet. Trotzdem entliessen die Tochterunternehmen in Thailand und den Philippinen aktive
GewerkschafterInnen. Oder der Baustoffkonzern Holcim, ein Global Compact-Mitglied, das in
Guatemala an einer Firma beteiligt ist, die in schwere Menschenrechtsverletzungen verwickelt
ist, worüber diesen Januar an einer In-House-Debatte der Abteilung Menschliche Sicherheit
des Aussenministeriums berichtet worden ist. Holcim ist mit 20 Prozent an dieser Firma
beteiligt, was nach Global Compact Mitverantwortung mit sich bringt.
Viertens lehnen die Unternehmen, die sich freiwillig verpflichten, in der Regel ein unabhängiges Monitoring ihrer Bemühungen ab – damit verringern sie das Vertrauen der Öffentlichkeit
in ihre Massnahmen.
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Postulat Hildegard Fässler (SP), 11.3803
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Fünftens bleiben die Interpretation und Anwendung der freiwilligen Vereinbarungen den Unternehmen vorbehalten. Das gilt etwa für die Konsequenzen, die sie aus den sozialen Menschenrechten für die Unternehmenspolitik ziehen (Existenzlohn). Oder für Managementfragen:
Global Compact-Mitglieder können ihre Verpflichtungen in die lohn- und aufstiegswirksame
Beurteilung der Kader aufnehmen oder eben nicht. Mit letzterem Punkt entscheidet sich, wie
ernsthaft das Unternehmen seine freiwillig eingegangenen Verpflichtungen umsetzen will.
Wir denken deshalb, es ist Zeit, einen Schritt vorwärts zu machen. Wir haben nichts gegen
freiwillige Vereinbarungen. Wir sehen jedoch, sie genügen nicht. Es braucht mehr Verbindlichkeit und gleich lange Spiesse für alle. Deshalb braucht es auch staatliches Handeln.
Mangelnde Kohärenz
Das staatliche Handeln war bislang schwach ausgeprägt und wenig kohärent. Für das Seco,
die federführende Institution, ist Corporate Social Responsibility primär eine Sache der Un2
ternehmen selber und seien „staatliche Interventionen so gering wie möglich zu halten“. Für
Bundesrat und Verwaltung waren deshalb, oder sind es noch, die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Konzerne das Non-plus-Ultra.
Der Bundesrat und verschiedene Verwaltungsstellen förderten den Global Compact und viele
Brancheninitiativen. Zum Beispiel die Global Business Initiative on Human Rights. Oder die
Voluntary Principles on Security and Human Rights im Rohstoffbereich. Die Extractive
Industries Transparency Initiative betreffend der Finanzströme im Rohstoffbereich. Oder den
Kimberley-Prozess, das heisst die Zertifizierung von Diamanten, um Warlords die Kriegsfinanzierung durch „Blutdiamanten“ zu erschweren. Die Schweiz engagierte sich schliesslich
auch für das Montreux Dokument (2008), das die Respektierung des internationalen Rechts
durch private Sicherheitsfirmen fördern will, und den daraus hervorgegangenen Code of
Conduct (2010).
Bremserin einer aktiveren staatlichen Rolle war bislang vor allem das Seco. Es beansprucht in
der Bundesverwaltung bei Fragen der Corporate Social Responsibility-Politik die Führung.
Diese Führung blieb bisher ziemlich lahm. Das zeigt sich etwa in der Art und Weise, wie das
Seco die Anwendung der OECD-Richtlinien für Multis überwacht. Die Richtlinien verlangen
von jedem OECD-Mitglied, einen Nationalen Kontaktpunkt einzurichten, bei dem Beschwerden eingereicht werden können, wenn Multis die OECD-Richtlinien verletzen. In der Schweiz
ist der Kontaktpunkt beim Seco angesiedelt, was Fragen aufwirft bezüglich seiner Unabhängigkeit. Die verantwortliche Person fungierte oft nur als Briefträger, indem sie die Beschwerde
an die betreffende Unternehmung weiterleitete und deren Antwort den Beschwerdeführern
übergab. Eine Würdigung der Beschwerde durch das Seco gab es nicht. Andere Länder wie
Norwegen, Holland oder auch England kennen viel aktivere nationale Kontaktpunkte. Seit
kurzem ist nun ein Prozess im Gang, in den auch die sog. Stakeholders einbezogen sind und
in dem es um die künftige Ausgestaltung und Stärkung des Kontaktpunkts geht.
Eine aktivere Rolle übernahm das Aussenministerium. Vor allem die ehemalige PA IV, jetzt
Abteilung menschliche Sicherheit genannt. Sie vertrat die Schweiz im Ruggie-Prozess. 2005
setzte der neu gebildete Uno-Menschenrechtsrat John Ruggie als Uno-Sonderbeauftragten für
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CSR-Konzept des Seco, 11.12.2009, S. 4
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Menschenrechte und Unternehmen ein. Ruggies Aufgabe war es, einen Handlungsrahmen
auszuarbeiten, wie die Respektierung der Menschenrechte durch die Privatwirtschaft
verbessert werden könnte. Ruggie ging davon aus, dass es primär die Pflicht des Staates sei,
die Menschenrechte durchzusetzen bzw. zu schützen – auch vor Verletzungen durch
Unternehmen. Gleichzeitig haben nach Ruggie aber auch alle Unternehmen, unabhängig ihrer
Grösse, eine Verantwortung, dass ihre Tätigkeiten die Menschenrechte nicht verletzen.
Ruggie entwickelte einen Handlungsrahmen aus drei Pfeilern:
1. Protect: Der Staat hat die Pflicht, die Menschenrechte zu schützen, auch vor Verletzungen
durch Unternehmen. Daraus leitet sich eine Verpflichtung für die Staaten ab, dafür zu sorgen,
dass Mutterkonzerne in ihrem globalen Einflussbereich die Menschenrechte einhalten.
2. Respect: Die Unternehmen stehen in der Verantwortung, die Menschenrechte zu
respektieren.
3. Remedy: Der Zugang zu Rechtsmitteln für Wiedergutmachung muss gewährleistet sein.
Der Chef der Abteilung menschliche Sicherheit, Claude Wild, sagte in einem Interview dazu:
„Das aktuelle Schweizer Recht betrachtet die Mutterhäuser und ihre Tochterunternehmen im
Ausland als separate juristische Einheiten. Während die Mutterhäuser von den Einnahmen der
Tochterunternehmen im Ausland profitieren können, ist es nicht möglich, sie für Verstösse
letzterer haftbar zu machen. Diese Situation muss im Sinne einer echten Verantwortung der
Unternehmen im Bereich der Menschenrechte verbessert werden. Mutterhäuser müssen
vermehrt Verantwortung für ihre Tochterunternehmen im Ausland übernehmen – besonders
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im Rohstoffsektor.“
Die EU-Kommission forderte im Oktober 2011 die EU-Mitgliedsländer auf, das Ruggie-Rahmenwerk in ihre nationale Politik zu übernehmen und bis Ende 2012 darüber Bericht zu erstatten. Verschiedene Mitgliedstaaten Einzelstaaten wie Dänemark, Norwegen, Holland oder
Deutschland verfügen heute im Bereich „Wirtschaft und Menschenrechte“ über eine politische
Gesamtstrategie. In der Schweiz sind wir davon noch um einiges entfernt.
Gibt es ein zartes Erwachen?
In der Bundesverwaltung zeigen sich erste Zeichen eines zarten Erwachens. Das Problembewusstsein steigt. Deza-Direktor Martin Dahinden sagte an einer Veranstaltung an der Uni
Zürich im letzten November: „Der Rohstoffhandel in der Schweiz ist eine politische Zeitbombe“. Der Bundesrat wäre bereit gewesen, dem Postulat Fässler zu entsprechen, das einen
Bericht zum Rohstoffplatz Schweiz verlangte. Wie schon gesagt, sprach sich im Nationalrat
eine knappe Mehrheit von Nichtwissenwollenden dagegen aus. Parteipolitische Gründe
dürften den Ausschlag gegeben haben – das Postulat stammte aus der „falschen“ linken
Ecke. Wie dem auch sei, verwaltungsintern ist seit kurzem eine interdepartementale Task
Force daran, sich mit dem Rohstoffplatz zu beschäftigen. In der Antwort auf die Interpellation
von Graffenried räumte der Bundesrat ein, das bestehende Schweizer Recht erlaube es „nur
bedingt“, die ausländischen Geschäftstätigkeiten von Unternehmen mit Sitz in der Schweiz zu
erfassen. Der Bundesrat kündigt aber an, das Aussen- und Volkswirtschaftsministerium
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Interview mit dem Fastenopfer Info vom 3.10.2011
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würden einen „Mehrparteiendialog“ über die Ruggie-Leitlinien lancieren, „um die möglichen
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Auswirkungen dieser Leitlinien auf unser Land zu diskutieren“.
Mehr als ein zartes Erwachen war die Reaktion des Bundesrats auf die Einwanderung des
Sicherheits- und Söldnermultis Aegis Defence Services. Dem Bundesrat lagen verwaltungsintern seit 2004 zwei gewichtige Berichte zur Problematik von Sicherheitsmultis in der Schweiz
vor. Das hohe Gremium erachtete aber damals jede zwingende Regulierung als unnötig. Das
änderte schlagartig, als die Sonntagspresse 2010 den Fall von Aegis skandalisierte. Nun ist
schon ein Gesetz zur Regulierung der in der Schweiz domizilierten Sicherheitsfirmen in
Vernehmlassung. Der Bundesrat ist also bereit einzugreifen, wenn Reputationsschäden
befürchtet werden!
Beherztes Eingreifen erwarten wir generell – nicht nur für Söldner-, sondern auch für Rohstofffirmen und schweizerische Multis überhaupt:
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Dafür sind die Konsequenzen aus dem Ruggie-Prozess für die Schweiz zu ziehen.
Wir erwarten, dass der seit geraumer Zeit angekündigte Multiparteienprozess in den
nächsten Wochen endlich beginnt.
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Dafür ist der Nationale Kontaktpunkt, der die Einhaltung der OECD-Richtlinien überwachen sollte, zu stärken und zu einem unparteiischen, unabhängigen Gremium
auszubauen, das die verschiedenen Stakeholders aktiv einbezieht.
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Dafür sind die gesetzlichen Gegebenheiten der Schweiz zu prüfen und zu verändern,
damit die Leitung multinationaler Schweizer Unternehmen in ihrem Einflussbereich
aktiv für die Einhaltung der Menschenrechte und Umweltnormen sorgt.
Die Schweiz hat eine besondere Verantwortung
Hat die Schweiz eine besondere Verantwortung, hier aktiv zu werden? „Natürlich“, sagt alt
Ständerat Dick Marty und Botschafter unserer Kampagne ‚Recht ohne Grenzen‘, „denn die
Schweiz bezeichnet die Verteidigung der Menschenrechte als einen wichtigen Pfeiler ihrer
Aussenpolitik. Zudem gibt es nirgends eine solch hohe Dichte von multinationalen Konzernen.
Wenn sich die Mutterunternehmen und ihre Filialen im Ausland nicht an die Menschenrechte
halten, beschädigen sie auch den Ruf unseres Landes. Der Schweiz droht grosser Schaden,
wenn sie nicht aktiv wird. Einmal könnte die Schweiz das gute Beispiel geben und nicht immer
mit Verspätung folgen.“
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Antwort des Bundesrats auf die Interpellation von Graffenried (GPS), 11.4083
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