I. Übersetzung - Lycée cantonal de Porrentruy

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I. Übersetzung - Lycée cantonal de Porrentruy
LYCEE CANTONAL
PORRENTRUY
MATURITE 2004
ALLEMAND
Temps à disposition : 120 minutes
Matériel à disposition : aucun
I. Übersetzung
Kindheitserinnerungen
Je suis née le 19 août 1950, en Italie du Sud, dans une petite ville qui s'appelle Maglie.
Nous étions cinq enfants. Je suis la dernière. Ma mère disait toujours qu'elle ne m'avait
pas voulue et je sais qu'elle a tout fait pour que je ne vienne pas au monde, mais en vain.
Mon père était paysan et s'occupait de la vigne1. Même s'il ne m'embrassait jamais et
que j'en souffrais, il est encore aujourd'hui une figure très importante pour moi.
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L'été, nous habitions à la campagne et comme nous pouvions manger les légumes qui
avaient été plantés par mes parents, nous n'avions pas faim. Mais en hiver, nous devions
retourner en ville, et là, la vie était plus difficile. Mon père n'avait pas de travail et en
plus il dépensait le peu d'argent que nous avions pour s'acheter de l'alcool2.
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Pendant la journée, ça allait. Je jouais avec mes copines, nous faisions de grandes
promenades dans la campagne, nous volions des figues3 et nous ne pensions plus à la
faim. C'est quand nous rentrions le soir que ça devenait dur. Nous entendions les gens
manger quand nous passions devant leurs fenêtres, et ça sentait si bon ! Chez nous, à la
maison, ma mère donnait à chacun un bout de pain avec parfois un peu d'huile d'olive4.
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Malgré cela, je peux affirmer que j'ai eu une enfance heureuse, bien que ça puisse
paraître bizarre aujourd'hui. C'est drôle à dire, mais je me souviens avec plaisir de cette
période, quand j'étais une toute petite fille.
d'après Sylviane Roche et Marie-Rose de Donno, L'Italienne
1
la vigne : der Rebbau
l'alcool : der Alkohol
3
la figue : die Feige, n
4
l'huile d'olive : das Olivenöl
2
II. Textverständnis und Stellungnahme
Lesen Sie den Text und lösen Sie dann die zwei untenstehenden Aufgaben. Schreiben Sie pro Aufgabe
je ungefähr _ Seiten.
1. Beschreiben Sie möglichst ausführlich und mit eigenen Worten, was für Methoden Canettis
Mutter anwendet, damit ihr Sohn rasch Deutsch lernt. Erklären Sie auch, warum sie diese
Methoden wählt und wie Canetti darauf reagiert.
2. Finden Sie, dass Fremdsprachen wichtig sind ? Beschreiben Sie, wie man nach der Matur seine
Sprachkenntnisse (insbesondere seine Deutschkenntnisse) vertiefen kann! Argumentieren Sie!
Wie Elias Canetti Deutsch lernte
Vor dem Ersten Weltkrieg lebte der achtjährige Elias Canetti für einige Zeit mit seiner Mutter und
seinen Brüdern in Lausanne. Zu jener Zeit konnte er nur Spanisch und Englisch. Da die Familie
plante, nach Wien zu ziehen, begann die Mutter, Elias Deutschstunden zu geben. In seiner
Autobiographie ‚Die gerettete Zunge’ erzählt er davon.
Nicht sehr lange nach unserer Ankunft in Lausanne gingen wir in eine Buchhandlung. Mutter fragte
nach einer englisch-deutschen Grammatik, nahm das erste Buch, das man ihr gab, führte mich sofort
nach Hause zurück und begann mit dem Unterricht.
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Wir sassen im Speisezimmer am grossen Tisch und sie hielt das Lehrbuch so, dass ich nicht
hineinsehen konnte. „Du brauchst es doch nicht“, sagte sie, „du kannst sowieso noch nichts
verstehen.“ Sie las mir einen Satz deutsch vor, und liess mich ihn wiederholen. Da ihr meine
Aussprache missfiel5, wiederholte ich ihn ein paar Mal, bis er ihr korrekt schien. Das geschah aber
nicht oft, denn sie spottete über meine Aussprache, und da ich um nichts in der Welt ihren Spott
ertrug, gab ich mir Mühe und sprach es bald richtig aus. Dann erst sagte sie mir, was der Satz auf
englisch bedeute.
Das aber wiederholte sie nie, das musste ich mir sofort ein für allemal merken6. Dann ging sie rasch
zum nächsten Satz über, und es kam zur selben Prozedur: sobald ich ihn richtig ausgesprochen hatte,
übersetzte sie ihn, sah mich streng an, damit ich’s mir merke, und war schon beim nächsten Satz. Ich
weiss nicht, wie viel Sätze sie mir das erste Mal vorsprach, aber ich fürchte, es waren viele. Dann
sagte sie: „Wiederhole das für dich. Du darfst keinen Satz vergessen. Nicht einen einzigen. Morgen
machen wir weiter.“ Sie behielt das Buch, und ich war ratlos mir selber überlassen. Ich hatte keine
Hilfe. Miss Bray, meine Gouvernante, sprach nur englisch und während des übrigen Tages weigerte
sich die Mutter, mir die Sätze vorzusprechen.
Am nächsten Tag sass ich wieder am selben Platz. Mutter nahm die Sätze vom Vortag wieder her,
liess mich einen nachsprechen und fragte, was er bedeute. Mein Unglück wollte es, dass ich mir seinen
Sinn gemerkt hatte, und sie sagte zufrieden: „Ich sehe, es geht so!“ Aber dann kam die Katastrophe
und ich wusste nichts mehr; ausser dem ersten hatte ich mir keinen einzigen Satz gemerkt. Die Mutter
sagte: „ Du hast dir doch den ersten gemerkt, also kannst du’s. Du willst nicht. Du willst in Lausanne
bleiben. Ich fahre nach Wien. Du kannst allein in Lausanne bleiben.“ Ich glaube, dass ich das weniger
fürchtete als ihren Spott. Denn wenn sie besonders ungeduldig wurde, schlug sie die Hände über dem
Kopf zusammen und rief: „Ich habe einen Idioten zum Sohn!“
Ich geriet in eine schreckliche Verzweiflung. Es geschah, was ich heute noch nicht begreife: ich passte
wie ein Teufel auf und lernte den Sinn der Sätze sofort zu behalten. Ich lebte nun in Angst vor ihrem
Spott und wiederholte mir untertags, wo immer ich war, die Sätze. Ich hatte ja kein Buch, das mir zur
Kontrolle diente, sie verweigerte es mir erbarmungslos7. Sie hatte die Idee, dass man besser lerne,
wenn man Schwierigkeiten überwinden müsse, und dass Bücher für Sprachen schlecht seien; dass man
sie mündlich lernen müsse und ein Buch erst unschädlich 8 sei, wenn man schon etwas von der Sprache
wisse. Sie achtete nicht darauf, dass ich vor Kummer9 wenig ass. Den Terror, in dem ich lebte, hielt sie
für pädagogisch.
Nach Elias Canetti, Die gerettete Zunge (1977)
5
missfallen: nicht gefallen
sich etwas merken: retenir quelque chose
7
erbarmungslos: sans pitié
8
unschädlich: ungefährlich
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Kummer: Angst und Sorgen
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