Beihefte der Francia 42

Transcription

Beihefte der Francia 42
Beihefte der Francia
Bd. 42
1997
Copyright
Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publikationsplattform der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche
Institute im Ausland (DGIA), zur Verfügung gestellt. Bitte beachten
Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist
aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen,
das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die
vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nichtkommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende
unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner
Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich verfolgt werden.
Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehunge n 1945-196 0
Les relations économiques franco-allemandes 1945-1960
deutsches
historisches
institut
historique
allemand
paris
T \ <xn i
B E I H E F T E DE R F R A N C I A
Herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut Paris
Band 42
DIE DEUTSCH-FRANZÖSISCHE N
WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN 1945-196 0
LES RELATIONS ÉCONOMIQUES FRANCO-ALLEMANDE S
1945-1960
herausgegeben von
publié par
Andreas Wilkens
*
JAN THORBECKE VERLAG SIGMARINGE N
1997
DIE DEUTSCH-FRANZÖSISCHE N
WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN 1945-196 0
LES RELATIONS ÉCONOMIQUES
FRANCO-ALLEM ANDES 1945-1960
Kolloquium des Deutschen Historischen Institut s Paris
8.-10. Dezember 199 4
Colloque tenu à Plnstitut Historique Allemand de Paris
du 8 au 10 décembre 1994
herausgegeben von
publié par
Andreas Wilkens
.4-
1
JAN THORBECKE VERLAG SIGMARINGE N
1997
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahm e
Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen
1945-1960: Kolloquium de s Deutsche n Histori schen Instituts Paris 8.-10. Dezember 1994 = Les relations économique s franco-allemande s 1945-1960
/ hrsg. von Andreas Wilkens. - Sigmaringen : Thorbecke, 1997
(Beihefte der Francia; Bd. 42)
Beitr. teilw. dt., teilw. franz.
ISBN 3-7995-7343-7
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahm e
[Francia / Beihefte] Beihefte de r Franci a / hrsg .
vom Deutschen Historischen Institut, Paris. - Sig maringen: Thorbecke
Früher Schriftenreihe
Reihe Beihefte zu: Francia / 01
ISSN 0178-1952
Bd. 42. Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen 1945-1960. -1997
BEIHEFTE DER FRANCIA
Herausgeber: Prof. Dr. Werner Paravicini
Redakteur: Dr. Stefan Martens
Deutsches Historisches Institut, Hôtel Duret de Chevry, 8, rue du Parc-Royal, F-75003 Paris
Institutslogo: Heinrich Paravicini, unter Verwendung eines Motivs
am Hôtel Duret de Chevry
© 199 7 by Jan Thorbecke Verlag GmbH & Co., Sigmaringen
Alle Rechte vorbehalten. Ohne schriftliche Genehmigun g des Verlages ist es nicht gestattet, das Werk
unter Verwendung mechanischer, elektronischer und anderer Systeme in irgendeiner Weise zu verarbeiten und zu verbreiten. Insbesondere vorbehalten sind die Rechte der Vervielfältigung - auc h von Teilen
des Werkes - au f photomechanischem oder ähnlichem Wege, der tontechnischen Wiedergabe, des Vortrags, der Funk- und Fernsehsendung, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, der Übersetzung
und der literarischen oder anderweitigen Bearbeitung.
Dieses Buch ist aus säurefreiem Papier hergestellt und entspricht den Frankfurter Forderungen zur Verwendung alterungsbeständiger Papiere für die Buchherstellung.
Gesamtherstellung: M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH & Co. Verlagsanstalt, Sigmaringen
Printed in Germany • ISBN 3-7995-7343-7
5
INHALTSVERZEICHNIS
TABLE DE S MATIÈRES
Andreas WILKENS
Vorwort 7
Avant-propos
Jacques BARIÉTY
Les enjeux des relations économiques franco-allemandes au XX e siècle 1
Raymond POIDEVI N
9
1
Les conditions d'une difficile repris e des relations économiques après 1945 . . 1
9
Gérard BOSSUA T
Les conception s française s de s relation s économique s ave c l'Allemagn e
(1943-1960) - Détruire, supporter , coopérer : le Quai d'Orsa y e t le Ministère
des Finances entre l'illusion et la résignation 2
5
Hanns Jürgen KÜSTER S
Konrad Adenauer und die Idee einer wirtschaftlichen Verflechtun g mi t Frankreich 6
3
Christoph BUCHHEI M
Die deutsch-französische n Wirtschaftsbeziehunge n i m Spiegel de r Zahlungsbilanz 1945-197 0 8
5
Volker HENTSCHE L
Zwischen Zahlungsunfähigkei t un d Konvertibilität. Frankreic h un d Deutsch land in der Europäischen Zahlungsunion 10
Ulrich ALBRECH T
Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960) 13
1
5
Wilfried LOT H
Deutsche und französische Interesse n auf dem Weg zu EWG und Euratom . . 17 1
Andreas WILKENS
Verständigung vo n Wirtschaf t z u Wirtschaft . Interessenausgleic h zwische n
deutscher und französischer Industrie 1947-195 5 18
Werner BÜHRER
Frankreich und das Ruhrgebiet - Mytho s und Realität 22
9
5
6
Inhaltsverzeichnis
Sylvie LEFÈVR E
Les sidérurgistes françai s propriétaire s d e charbonnages dan s l a Ruhr
(1945-1954) 23
7
Matthias KIPPIN G
Welches Europa soll es sein? Der Schuman-Plan und die deutsch-französische n
Industriebeziehungen 24
9
Claude CARLIE R
Les débuts de la coopération aéronautique: le Groupe O 27
3
Félix TORRES
Les archives d'entreprise en France: Histoire et mise en perspective 28
1
Horst A. WESSE L
Deutsche Wirtschaftsarchive: Bestände, Forschungen, Entwicklungen 29
1
Rainer HUDEMANN
Wirtschaftsbeziehungen i m deutsch-französischen Verhältni s de r Nachkriegsperiode: Stand und Perspektiven der Forschung 30
9
Roger FAUROU X
Les relations économiques franco-allemandes: Aujourd'hui et demain
321
Bibliographie 32
9
Personenregister/Index de s noms de personnes 35
1
Die Autoren/Les auteurs 35
5
7
VORWORT
Während sic h die politischen deutsch-französische n Beziehunge n nac h 194 5 kaum
über einen Mangel an Forschungsbemühungen beklage n können, wurde den Wirtschaftsbeziehungen bislan g nur eine vergleichsweise begrenzte Aufmerksamkeit zu teil. Dies mag umso mehr überraschen, als sich Deutschland und Frankreich in den
1950er Jahren sehr bald zu den beiderseitig wichtigsten Handelspartnern entwickel ten. Ausgehend von den bislang vorhandenen punktuellen Vorarbeiten ist zu großen
Teilen hinsichtlic h de s wirtschaftliche n Unterbau s de r deutsch-französische n
Annäherung nach dem Zweiten Weltkrieg noch Erschließungsarbeit zu leisten.
Die im vorliegenden Band versammelten Beiträge zu dem vom 8. bis 10. Dezember 199 4 im Deutschen Historische n Institu t Pari s organisierten Kolloquiu m zu m
Thema »Di e deutsch-französische n Wirtschaftsbeziehunge n 1945-1960 « sin d au f
den bilaterale n Ker n de s Wirtschaftsverhältnisse s Deutschland-Frankreic h ausge richtet. Dennoch ist die Analyse der Entwicklung der zweiseitigen Beziehungen insgesamt nicht vom Kontext der europäischen Wirtschaftsintegration abzulösen . Vielmehr ist das Verhältnis zwischen deutscher und französischer Wirtschaf t al s Teil eines übergreifende n Prozesse s de r zunehmende n Verflechtun g de r europäische n
Volkswirtschaften z u analysieren.
Die Eingrenzung auf die Zeitspanne von 194 5 bis 1960 erfolgte aus mehreren naheliegenden Gründen: In Deutschland wie in Frankreich ist der Zugang zu den einschlägigen archivalische n Quelle n gegenwärti g bi s etw a Anfan g de r 1960e r Jahre
möglich. Auf der Basis teilweise erst jüngst zur Konsultation freigegebener Archiv materialien können somit nunmehr die gesamten 1950er Jahre historiographisch bearbeitet werden. Die Beschränkung auf einen relativ begrenzten Zeitraum sollte wiederum eine intensive Bearbeitung der Periode mit sich thematisch berührenden Einzelbeiträgen erlauben . Schließlic h erschein t i m Rückblic k di e Zeitspann e vo m
Kriegsende bis zur Kooperation i m Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemein schaft (EWG ) al s Phas e de r Grundlegun g de r zeitgenössische n deutsch-französi schen Beziehungen. In diesem intensiven Jahrzehnt wurden gleichfalls die langfristigen Weichenstellungen vorgenommen , die Grad und Tempo der westeuropäische n
Integration i n politischer und wirtschaftlicher Hinsich t langfristi g bestimme n sollten.
Die einzelnen Kolloquiumsbeiträge gruppieren sich um drei Themenbereiche: In
einem ersten Ansatz werden die Rahmenbedingungen und die politischen Vorgaben
der deutsch-französische n Wirtschaftsbeziehunge n analysiert . Welch e Spezifizitä t
kam de m Handelsaustausc h i n den 1950e r Jahren i m Vergleich mi t andere n Zeit abschnitten de s 20. Jahrhunderts zu ? Welche Konzepte un d Perzeptione n besaße n
die politischen Entscheidungsträger der unmittelbaren Nachkriegszeit in Frankreich
und Deutschland? Welchen Einfluß nahmen die wichtigsten Vertreter der Ministerialbürokratie in beiden Ländern?
Ein zweite r Themenbereic h umfaß t spezifisch e Einzelproblem e de s zwi schenstaatlichen deutsch-französische n Wirtschaftsverhältnisse s de r 1950e r Jahre,
das i n manche r Hinsich t vo n eine r asymmetrische n Entwicklun g gekennzeichne t
8
Andreas Wilkens
war: Interessengegensätze un d -kongruen z i n den einzelnen Phasen des Wiederanknüpfen, der Normalisierung und des Ausbaus der Handels- und Wirtschaftsbezie hungen; die Diskussion um die Währungskonvertibilität; Ansätze zu Kooperationen
im Bereich der militärischen Rüstung; deutsch-französische Divergenze n und Kompromisse auf dem Weg in die EWG.
Schließlich thematisiert ein dritter Komplex die deutsch-französischen industriel len und privatwirtschaftlichen Beziehungen . Hierbei werden einige Fallbeispiele von
Unternehmenskooperationen i n Schlüsselbereiche n analysiert , etw a de r Schwer industrie, de r Flugzeugindustrie , de r Rüstungsindustrie . Welch e frühe n Kontakt e
und Verbindungslinie n verliefe n zwische n de n deutschen un d französische n Wirt schaftsverbänden? Welche n Einfluß nahmen Akteure der privaten Wirtschaft au f die
europapolitischen EntScheidungsprozesse in beiden Ländern?
Die Erörterung de r Sachfragen wir d schließlic h abgerundet durc h zwe i Beiträge
über Arbeitsmöglichkeite n un d Forschunge n i n deutschen un d französische n Un ternehmensarchiven*.
Das Anliege n de s Kolloquium s wa r es , da s Forschungsdefizi t i m Bereic h de r
deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehunge n de r Nachkriegsperiod e durc h ein e
Reihe innovativer Beiträg e zu reduziere n un d somi t z u eine r notwendigen Ergän zung de r überwiegen d diplomatiegeschichtlic h orientierte n deutsch-französische n
Zeitgeschichtsforschung beizutragen . Dabe i wurd e allerding s kein e isoliert e Be trachtung der wirtschaftlichen Sphär e angestrebt, vielmehr sollte gerade die Problematik von Interdependenz oder Autonomie zwischen den politischen und den wirtschaftlichen Entscheidungsbereiche n zu den zentralen durchgehenden Fragestellungen des Kolloquiums gehören.
Ein vielfache r Dan k bleib t a m End e abzustatten : de r Robert-Bosch-Stiftung ,
Stuttgart, und der Robert Bosc h (France) SA, die die materielle Durchführung de s
Kolloquiums kräftig förderten; Herrn Professor Werner Paravicini, der als Direktor
des Deutschen Historische n Institut s de m Projekt all e wünschbare Unterstützun g
gewährte; den drei Diskussionsleitern de s Kolloquiums, denen zwar nicht die Last
eines schriftlichen Beitrage s aufgebürdet wurde , deren wichtiger Einsatz aber dennoch hervorgehoben werden soll: Herrn Professor François Caron, Universität Paris IV, Herrn Professo r René Lasserre, Universität Cergy-Pontois e un d Leite r des
Centre d'Information et de Recherche sur l'Allemagn e Contemporain e (CIRAC),
Herrn Professor Horst Möller, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, München.
Schließlich se i den Mitarbeiter n de s Deutschen Historische n Institut s Paris , die
bei der Vorbereitung des Kolloquiums wie bei der Drucklegung des Sammelbandes
mit Hand anlegten - sonderlich Frau Sabine Bröhl, Frau Ursula Hugot, Frau Margarete Martaguet, mein Kollege Stefan Martens - gleichfalls mei n herzlicher Dank gewiß.
Der zu r Einleitun g de s Kolloquium s gehalten e Vortrag ist bereit s getrenn t veröffentlich t worden :
Hans L. MERKLE, Ein deutsches Unternehmen in Frankreich. Die Bosch-Gruppe und der Neubeginn
in den deutsch-französischen Beziehunge n ab 1945, Bonn 1995.
9
AVANT-PROPOS
Alors que l'on ne peut se plaindre d'un déficit d e la recherche sur les relations politiques franco-allemandes , le s relations économique s n'on t suscité , par contre , jusqu'à présent qu'un intérêt relativement limité. Cela peut paraître d'autant plu s surprenant que, dès les années cinquante, la France et l'Allemagne sont devenues l'une
pour l'autr e de s partenaires commerciau x majeurs . I l existe sans dout e de s étude s
préliminaires ponctuelles. Mais si l'on considèr e les bases économiques du rappro chement franco-alleman d aprè s l a Deuxièm e Guerr e mondiale , o n constat e que ,
pour une très large part, un travail approfondi reste encore à effectuer.
Les contributions au colloque tenu à l'Institut Historique Allemand de Paris du 8
au 10 décembre 1994 sur l e thème des »Relation s économique s franco-allemande s
1945-1960« qui sont présentées dans ce volume se concentrent, dans une large mesure, sur l'aspec t bilatéra l de s relations économique s entr e l a France e t l'Allemagne .
Mais l'analyse du développement des relations bilatérales ne saurait être détachée du
contexte de l'intégration économique européenne. Les relations entre les économies
allemande et française seron t don c à analyser comm e faisant parti e d'un processu s
beaucoup plus large d'interdépendance croissante des économies européennes.
La limitation à la période entre 1945 et 1960 a été choisie pour plusieurs raison s
évidentes: Les archives d e base ne son t accessible s qu e jusqu'au débu t de s année s
soixante; ou bien, si l'on veut formuler cel a de manière positive, les sources d'archives aujourd'hui ouverte s à la consultation, et pour certaines tout récemment, le sont
au moins jusqu'à 1960, ce qui signifie qu'il est maintenant possible d'étudier l'ensem ble de s année s cinquant e su r l e plan historiographique . L a concentration su r un e
période relativement restreinte devait permettre de traiter celle-ci d'une manière intensive avec des contributions dont les thèmes se recoupent. Enfin, nous considérons
que c'est dans le laps de temps qui va de la fin de la guerre à la coopération dans le cadre de la Communauté économiqu e européenne (CEE) qu'ont ét é posées les bases
des relations franco-allemandes actuelles ; c'est également pendant cette décennie intense que furent prises les décisions qui allaient déterminer les degrés et la cadence de
l'intégration européenne tant au niveau politique qu'au niveau économique.
Les contribution s d u colloqu e s e regroupent autou r d e troi s axe s thématiques :
tout d'abord il s'agit d'analyser les bases politiques et les conditions générales des relations économique s franco-allemandes . Le s thème s d e cett e premièr e étap e sont
entre autres: la mise en perspective des années cinquante par rapport à l'ensemble du
vingtième siècle; la dimension économique de l'intégration à l'Ouest d e la République fédérale; les conceptions et les perceptions des décideurs politiques en France et
en Allemagne; le rôle de la haute administration dans le développement des échanges
économiques.
La deuxième sphère thématique contient quelques problèmes particuliers spécifi ques des relations économiques franco-allemandes de s années cinquante: la difficil e
reprise des relations commerciales au niveau des Etats; les mobiles de l'extension des
relations économiques bilatérales ; les problèmes monétaires et la discussion autou r
de la convertibilité des monnaies; les premiers pas d'une coopération dans le domai-
10
Andreas Wilkens
ne de l'armement militaire ; convergences et divergences d'intérêt entr e la France et
l'Allemagne lors de la mise en place de la CEE.
Un troisième ensemble, enfin, réunit les thèmes touchant aux relations industrielles franco-allemandes e t aux relations dans le domaine de l'économie privée: le rôle
des techniciens allemands en France après 1945; des exemples de cas de coopération
entre entreprises: dans l'industrie aéronautique et de l'armement ou dans l'industri e
lourde; la reprise de s contacts entr e le s organisations patronale s française s e t allemandes; de quelle manière les acteurs de l'industrie privée ont-ils pesé sur le processus décisionnel en matière européenne - dans un pays comme dans l'autre?
Ce troisième ensemble thématique sera complété par deux contributions présen tant les possibilités de travail et de recherches dans les archives d'entreprises françai ses et allemandes*.
Nous espérons que ce colloque, par une série de contributions innovatrices, aura
contribué à réduire le déficit de la recherche dans le domaine des relations économiques franco-allemandes d e l'après-guerre fournissant ains i un complément nécessaire à la recherche sur l'histoire contemporaine franco-allemande, jusqu'ici largement
centrée sur l'histoire diplomatique. Tout en se gardant de viser à une analyse isolée de
la sphère économique, il importait plutôt de placer le problème de l'interdépendance
ou de l'autonomie entr e les domaines de la politique et de l'économie a u cœur des
réflexions et d'en faire le fil conducteur des débats.
Enfin, i l me reste à adresser d e multiples remerciements : à la Fondation Rober t
Bosch, Stuttgart, et à la Robert Bosch (France) SA, qui n'ont pas lésiné sur leur concours matériel; au Professeur Werner Paravicini, Directeur d e l'Institut Historiqu e
Allemand, qui a apporté tout son soutien au développement du projet; aux trois présidents de séance qui, certes, n'ont pas été accablés par la demande d'une contribution écrite, mais qui, néanmoins, ont rempli un rôle essentiel: le Professeur Françoi s
Caron, de l'Université d e Paris IV, le Professeur Ren é Lasserre, de l'Université d e
Cergy-Pontoise, Directeur du Centre d'Information e t de Recherche sur l'Allema gne Contemporain e (CIRAC) , l e Professeur Horst Möller , Directeur d e l'Institu t
für Zeitgeschichte de Munich.
Que les collaborateurs de l'Institut Historique Allemand de Paris, qui m'ont apporté leur aide pour l'organisation du colloque comme pour la préparation des actes - en
particulier Mesdames Sabine Bröhl, Ursula Hugot, Margarete Martaguet et mon collègue Stefan Martens - trouvent ici également l'expression de ma gratitude cordiale.
Andreas Wilkens
* Le texte de la conférence introductiv e du colloque a été déjà publié séparément: Hans L. MERKLE,
Une entreprise allemande en France. Le groupe Bosch et le renouveau des relations franco-allemandes à partir de 1945, Bonn 1995.
11
JACQUES BARIÉTY
LES ENJEUX DE S RELATIONS ÉCONOMIQUE S
FRANCO-ALLEMANDES
AU XX e SIÈCL E
Tout en remerciant l'Institut historiqu e allemand de Paris de la confiance qu'i l veut
bien me manifester e n me demandant de donner un exposé introductif à ce colloque
sur les relations économiques franco-allemandes d e 1945-1960, je suis conscient de
mon audace, tant d'autres ayant travaillé plus que moi sur cette problématique. Aussi bie n pensé-j e qu e c'es t a u »généraliste « d e l'Allemagn e (j'abhorr e l'expressio n
»spécialiste de l'Allemagne«) que l'on a fait appel pour placer la réflexion sur le thème de ce colloque dans une perspective de plus longue durée; c'est dans cet esprit que
je vais essayer d'accomplir m a tâche. On me permettra de le faire en partant des publications d e l'historiographi e français e e n priorité, san s qu e j'oubli e pour autan t
l'historiographie allemande.
De fait, voici tout juste trente ans, à l'automne 1964, j'étais à Berlin où j'assistais au
Deutscher Historikertag. Je fus alors le témoin de la présentation par Fritz Fischer de
ses thèses sur l'impérialisme allemand, le rôle de la puissance économique et son influence su r la politique extérieure du Reich, voire le déclenchement d e la guerre en
1914. Je fus auss i témoin de l'empoignade intellectuell e qui suivit; j'entends encore
Egmont Zechlin frapper d e sa main de bois de mutilé le pupitre des orateurs. L'impression qu e j'ai gardée de cette scène n'a jamais cessé de me faire réfléchi r su r les
rapports de l'économie et de la politique1.
Certes, plus personne, aujourd'hui, n e prendrait le s thèses de Fritz Fischer pour
l'alpha et l'oméga de la réflexion scientifique sur l'histoire de l'Allemagne contemporaine. Il n'en reste pas moins, à mon sens, que Fischer a ouvert une nouvelle phase de
la recherche historique sur la place de l'Allemagne dans la vie internationale à l'époque contemporaine, même si ses thèses ont été contestées et nombre de ses démonstrations réfutées. En particulier il mit en valeur deux axes de réflexion:
- la place des forces et des projets économiques dans la vie politique internationale;
- la continuité et/ou la discontinuité des projets, malgré les changements de structures politiques, du fait de la permanence des forces économiques profondes et de leur
représentants.
Je n'ouvrirai pas ici une »disputatio« théologique sur les rapports de l'économie et
de la politique. Je ferai simplement deux remarques:
- l'économie est dans la politique comme l'oxygène est dans l'air;
- 199 4 et 1914 paraissent se situer sur deux planètes différentes; 1945 fut, à coup sûr,
une césure décisive.
1 Fritz FISCHER , Griff nac h de r Weltmacht . Di e Kriegszielpoliti k de s kaiserliche n Deutschlan d
1914/18, Düsseldorf 1961.
12
Jacques Bariéty
Ces affirmations, qui sont les miennes, n'interdisent pas de se poser la question de
savoir si, et dans quelle mesure, le poids du passé, et en particulier les expériences de
l'après-première guerr e mondial e ont instrui t e t influencé le s décideurs de l'aprèsseconde. Peut-être cette question légitime-t-elle ma participation à ce colloque.
Avant 1914
Ici je parle sous le contrôle de mon ami Raymond Poidevin qui, plu s que personne en
France a travaillé sur les relations économiques et financières entr e l'Allemagne et la
France dans les années qui ont précédé la Première Guerre mondiale2. Je pens e aussi à
la thèse de Pierre Guillen sur le Maroc3.
L'opinion générale aujourd'hui es t que, malgré des »coups d'épingle« (tarif françai s
de 1910, rivalités d e financement dan s le s Balkans), les relations économique s e t
financières entre la France et l'Allemagne n'étaient pas fondamentalement mauvaise s
avant la Première Guerre mondiale. Soyons net: contrairement à la thèse de Lénine,
elles ne furent pa s à l'origine du déclenchement de la guerre de 1914. Sans doute il y
eut, dan s le s année s précédan t l a guerre, certains durcissement s dan s le s relation s
économiques; elles contribuèrent au durcissement des relations politiques, mais non
l'inverse. Citons deux exemples.
Le Maroc . Il fit l'objet d e deux graves crises entre la France et l'Allemagne, en 1905 et
en 1911. Aujourd'hui, l'interprétation général e des historiens est que l'enjeu économi que réel bien faible entre la France et l'Allemagne, voire marginal. L'épreuve de force se
fonda d'abord sur des question s de prestige, l'un des ressort s de l a politique. De plu s l'affaire était réglée en 1914 et personne ne songea à la rappeler durant la crise de juillet 1914.
La »Bagdad-Bahn«. Au débu t d e 1914 un accor d implicit e d e partage e n zone s
d'influence fut conclu. Personne n'y pensa pendant la crise de juillet 1914.
Ni l e Maroc n i la Bagdad-Bahn n'ont laiss é l a moindre trac e dan s le s relation s
franco-allemandes.
En revanche , il faut prendr e e n compte deux préoccupations d u premie r avant guerre qui ont laissé des traces dans la mémoire collective française jusque dans le second après-guerre et, osons le dire, plus tard encore: le poids de la puissance industrielle de l'Allemagne et celui de sa puissance commerciale.
La puissance industrielle de l'Allemagne a fait peur aux Français. Rappelons qu'en
1913 le Zollverein, qui, i l est vrai , comprenait la Lorraine annexée et le Grand Duché de
Luxembourg, a produit 25% de l'acier fabriqué dans le monde, du fait de ses ressources
en charbon, donc en coke, et en minerai de fer. L'acier était à cette époque la base de la
puissance industrielle, mais aussi l'élément décisif de l a puissance militaire, avec les armements d'alors . D e plus, ce rapport d e force sidérurgiqu e entr e l'Allemagn e e t la
France, très défavorable à la France, se chargeait, du côté français, du supplément d'un
poids psychologique, voire affectif: c'était le minerai de fer de la Lorraine annexée, la
2 Raymond POIDEVIN, Les relations économiques et financières entre la France et VAllemagne, 18981914, Paris 1969. Du même, et pour Pensemble du XXe siècle, on se reportera d'une part au recueil
d'un ensemble de ses articles scientifiques, Péripétie s franco-allemandes, 1995, et d'autre part à un
numéro spécial de la Revue d'Allemagne don t il fut l e maître d'oeuvre, Le s relations économique s
franco-allemandes au XXe siècle, Revue d'Allemagne 25 (1993).
3 Pierre GUILLEN, L'Allemagne et le Maroc de 1870 à 1905, Paris 1967.
Les enjeux des relations économiques franco-allemandes au XXe siècle
13
»minette«, qui avai t permis a u Reich allemand, e n combinaison ave c le coke de la
Ruhr, de bâtir son empire industriel. On peut dès lors comprendre la très grande sensibilité française, avan t 1914, devant l'implantation d e Thyssen en Normandie et les
ambitions allemandes en Lorraine restée française, notamment dans le bassin de Briey.
La puissance commerciale de l'Allemagne. Les historiens savent bien aujourd'hu i
que la conquête de s marchés extérieur s fut un e nécessité vitale pour l'Allemagn e
d'avant 1914, pour compenser les indispensables achats de matières premières nécessaires à l'industrie et les achats de produits agro-alimentaires nécessaires à l'alimentation d'une population en rapide expansion démographique, sur un sol alors relativement ingrat . Il n*en reste pas moins que la dynamique expansio n de s exportation s
allemandes, du »Made in Germany«, suscita en France, dans les années qui précédèrent l a guerre, une véritable psychose, qui s e cristallisa e n 1914 dans l e mythe d u
voyageur de commerce-espion. Sur un mode plus sérieux et plus grave, il faut citer ici
le livre que le grand universitaire français Henri Häuser publia en 1915, »Les méthodes allemandes d'expansion économique«.
La »Grande Guerre«, Paprès-première guerre et Pentre-deux guerres
La »Grand e Guerre « amen a une cristallisation e t un renforcemen t de s craintes qu i
étaient apparues en France avant 1914, du fait de l'accroissement de la puissance industrielle allemande. En effet, duran t cette guerre, les matériels jouèrent un rôle de plus
en plus important (artillerie, sous-marins, chars) et ces matériels étaient à base d'acier;
la crainte française devant la puissance de la sidérurgie allemande s'en accrut d'autant.
Aussi n'est-il pas surprenant de voir que la restriction du potentiel industriel de l'Allemagne, et notamment d e son potentiel sidérurgique , devint alor s l'un de s buts de
guerre de la France. La France réussit à faire partager ce projet par ses alliés, comme le
montra la Conférence économique interalliée de Paris de juin 1916. Un nom s'impose
ici, celu i d e Clémente l qu i fu t ministr e dan s le s gouvernement s françai s d'octobr e
1915 à novembre 1919 4. A travers diverses péripéties, le projet, venant des craintes de
l'avant-guerre qu i s'étaien t cristallisée s pendan t l a guerre e t d e so n fait , s e retrou vèrent dans le Traité de Versailles en 1919. On croit pouvoir dire que l'enjeu économique de la guerre pour la France, la diminution de la puissance industrielle allemande,
n'était plus pour la France un problème de concurrence commerciale, mais était devenu un problème de sécurité, un problème politique d'équilibre européen. C'est ainsi
que l'on a eu l'occasion d'analyser le Traité de Versailles comme un projet de restructuration économique du continent européen avec, au coeur, un projet de transfert d e
potentiel sidérurgique aux dépens de l'Allemagne et en faveur de la France, de la nouvelle unio n belgo-luxembourgeois e e t d e l a Pologne renaissante . Par l'additio n d e
clauses territoriales, douanières, commerciales et de réparations, le Traité de Versailles, s'i l avait été intégralement appliqué, aurait retiré à l'Allemagne près de la moitié de
son potentie l charbonnie r (sourc e énergétiqu e alor s primordial e e t l'un e de s deu x
composantes de la puissance sidérurgique) et aurait permis à la France de devenir la
première puissance sidérurgique d'Europe à la place de l'Allemagne5.
4 Georges SOUTOU, L'or et le sang, Paris 1989.
5 Jacques BARIÉTY, Les relations franco-allemandes après la première guerre mondiale, Paris 1977.
14
Jacques Bariéty
On compren d dè s lors l'importance d e la »guerre froide« franco-allemand e de s
années qui suiviren t e t qu i trouva so n point hau t dan s le »combat d e la Ruhr« d e
1923. Au-delà d e l'exécution o u no n d u Trait é d e Versailles e t d e la politique de s
réparations, il s'agissait de l'équilibre fondamental des forces en Europe. Certes, plusieurs tentatives furent déj à alor s essayées de remplacer cette épreuve de forces pa r
une coopération, sans véritable succès. En fin de compte, la France, par les accords de
Locarno de 1925 - si on les analyse en corrélation avec les négociations économiques
du mêm e temps - abandonne so n projet économiqu e d e 1919 et accepte de fait l a
supériorité de l'Allemagne dans ce domaine, espérant fonder sa sécurité sur la détente et la confiance, et non plus sur les rapports de force. Il s'ensuivit une normalisation
des relations économiques franco-allemandes, marqué e par l'Entente International e
de l'Acier d e septembre 1926, négociée sous la houlette du Luxembourgeoi s May risch, et par le traité de commerce franco-allemand d'aoû t 1927.
On peut véritablement parler d'une normalisation car le traité franco-allemand d e
1927 servit de modèle à toutes sortes de traités de commerce bilatéraux conclus entre
Etats européens a u cours des années suivantes. Il y eut même, à l'occasion d u plan
Briand d'unio n européenn e d e 1929-1930, des projets d e »marché commun« e t de
»monnaie européenne«; les expressions se trouvent dans les études faites autou r de
Louise Weiss, alors trè s proch e d'Aristid e Briand , e t exposée s dan s l e périodiqu e
»L'Europe nouvelle«6.
Quoi qu'il en soit, l'évolution politique en Europe montra vite que de tels projets
étaient pour le moins prématurés. Il n'en reste pas moins que la dégradation des relations entre l'Allemagne devenue nazie et la France, pour des raisons politiques, n'entraîna pas de dégradation des relations économiques. Des travaux récents montrent
que les relations économiques et financières entr e la France et l'Allemagne restèrent
bonnes jusqu'en 1939. Bref, les relations économiques franco-allemandes n e tinrent
aucune place dans le déclenchement de la seconde guerre mondiale7.
Uaprès-deuxième guerre. Les années 1945-1960
Je ressens toute la présomption que j'ai d'en parler, alors que tant de savants exposés
vont suivre. On me permettra de n'avancer que quelques réflexions. Il me semble que
deux facteurs radicalement nouveaux, qui ne sont pas sans relations entre eux, sont à
prendre en considération pour comprendre l'après-seconde guerr e mondiale: d'une
part la disparition, du moins pour quelques années, de l'Etat allemand, ce qui occasionna une césure totale qui n e s'était pas véritablement produit e e n 1919; d'autre
part la présence active, après 1945, de partisans d'une Europe fédérale et supranationale, ou au moins de partisans de relations bilatérales franco-allemandes privilégiée s
au cœur d'une Europe d'Etats solidaires.
Toutefois i l import e d e s e rappeler que , plusieurs année s duran t aprè s 1945, le
poids du passé et de l'après-première guerre mondiale continua de peser sur les rela6 Louis e Weiss, PEuropéenne, hg. v. der Fondation Jean Monnet pour l'Europe/Centre de recherches
européennes, Lausanne 1994.
7 Voir en particulier les travaux de Raymond Poidevin, de Gérard Bossuat ainsi que la récente thèse de
Sylvain SCHIRMANN, Les relations économique s e t financières franco-allemande s 1932-1939, Paris
1995.
Les enjeux des relations économiques franco-allemandes au XXe siècle
15
tions économiques franco-allemandes, comme sur les relations politiques. Il y eut du
côté français d'abord un renouveau du projet de 1919 de restriction drastique du potentiel sidérurgiqu e e t industrie l allemand , e t pour le s mêmes raisons . La second e
guerre mondiale avait été aussi une guerre de matériel dans laquelle le potentiel industriel de l'Allemagne avait été pour celle-ci un atout de premier ordre. D'autre part on
en était encore à l'époque o ù le charbon étai t la principale source d'énergie, et cela
resta le cas jusqu'en 1955. Enfin, entr e 1919 et 1945, il n'y avai t eu qu'un quar t de
siècle; les grands décideurs d e l'après-seconde guerr e avaient déj à vécu e n adultes,
voire e n personnage s importants , l'après-premièr e guerre . E n c e qui concern e d e
Gaulle, il est évident que sa première politique allemande, celle de 1945, ne peut se
comprendre que par référence à 1919.
Aussi n'est-il pas surprenant d e constater que la France, bénéficiant temporaire ment, ave c l'aid e d e ses alliés, d'une suprémati e politiqu e total e su r l'Allemagne ,
chercha d'abord à utiliser cette situation pour renverser le rapport des forces économiques qui avait naguère prévalu entr e les deux pays: politique spécifique e n Sarre,
projets d'internationalisation d e la Ruhr, limitation des autorisations de production,
réparations et contrôles divers8.
Entre 1947 et 1949, les débuts de la guerre froide, le blocus de Berlin et la naissance
de la République fédérale, dans un cadre dont il était spécifié qu'i l serait européen,
créèrent une situation tout à fait nouvelle. Sans doute s'est-il agi pour les Alliés occidentaux d'abord d'»ancre r à l'Ouest« leur s zones d'occupation e t leur potentiel humain, technologique et industriel, dans la grande épreuve de force planétaire qui s'engageait avec l'Union soviétique de Staline9. Du moins les partisans d'une construction
européenne surent-ils saisir l'occasion. Ici les noms de Jean Monnet, de Robert Schuman et de Konrad Adenauer s'imposent. Dès 1950-1951 la Communauté Européenne
du Charbon e t de l'Acier avai t placé les relations économiques entr e la France et la
jeune Républiqu e fédéral e d'Allemagn e su r une rout e tout e nouvelle . Désormais,
dans les relations économiques franco-allemandes, il n'y eut plus seulement le jeu des
forces économique s et les initiatives des entreprises; il y eut la volonté politique des
Etats: volonté du rapprochement entre les deux pays dans le cadre de la construction
ouest-européenne e t bientô t volont é d'effort s commun s dan s l a dur e compétitio n
économique et commerciale mondiale, rendue toujours plu s féroce par l'évolutio n
des techniques. 1955 fut san s doute une date importante, avec la liquidation du contentieux su r la Sarre et la création d e la Chambre d e Commerce franco-allemande .
1957 aussi bien sûr, avec la création de la Communauté Economique Européenne, et
surtout l'accord entre de Gaulle et Adenauer, dès la fin de 1958, sur la » mise en oeuvre
de cette Communauté, excluant de la laisser se dissoudre dans une sorte de vaste zone
de libre-échange ouverte à toutes les compétitions extra-européennes.
Les chiffres son t l à pour illustre r l e développement d u partenaria t économiqu e
entre la France et la République fédérale: entre 1957 et 1970, les échanges entre les
deux pays ont quadruplé; en 1958, la R.F.A. est devenue le premier fournisseur d e la
France, et, en 1961, elle est devenue le premier client; depuis 1962, la France est deve8 Marie-Thérèse BITSCH , Un rêve français: le désarmement économique de l'Allemagne (1945-1947),
dans: Relations internationales 51 (1987 ) p. 313-329.
9 Cyril BUFFET, Mourir pour Berlin. La Franc e et PAllemagne, 1945-1949, Paris 1991.
16
Jacques Bariéty
nue le premier client et le premier fournisseur de l'Allemagne. Depuis 1964, la R.F.A.
dépasse la »zone franc« (c'est-à-dir e à peu près l'ancienne »Unio n française«) dan s
ses échanges avec la France10.
Ces données quantitatives ne suffisent pa s à rendre compte de l'évolution. Il y eut
aussi un »saut qualitatif« décisif, avec l'interpénétration de s entreprises et l'établissement de filiales ou d'usines dans le pays partenaire. Il faut mentionner encore les liaisons entr e banques e t l'ouvertur e de s cotation s e t transaction s e n bourses. On n e
saurait enfin oublier le facteur humain: embauche à tous les niveaux, dans des entreprises de l'autre pays, travailleurs frontaliers (Alsac e et Lorraine) sans oublier les effets, économiquement inquantifiable s mai s psychologiquement influents , des nombreux mariages mixtes.
Certes, on ne saurait parler d'une »intégration« des deux systèmes économiques et
de la création d'un systèm e commun et unique. Mais il s'est produit, dès les années
qui font l'objet de ce colloque, une »interpénétration« qui a conduit à ce que je voudrais définir comme une »interdépendance«.
Uaprès 1960
Voici qui nous amène aux années d'après 1960. Est-il licite d'en parler? Certes, la date
de 1960 a été choisie par les organisateurs du colloque pour la raison légitime que ce
fut, jusqu'à aujourd'hui, l a date butoir d'ouverture de s archives françaises e t il n'est
pas de bon travai l d'historie n san s utilisation de s archives. Toutefois, entr e 1960 et
1995 trente-cinq années se sont écoulées, autant qu'entre 1914 et 1949, entre l'attentat
de Sarajevo et la naissance de la République fédérale, dirais-je pour illustrer mon propos. Même en attendant l'ouverture des archives, n'est-il pas légitime que l'historien
réfléchisse sur ces trente-cinq dernières années, en soi, et aussi pour éclairer les quinze
années 1945-1960. Je me contenterai d'indiquer quatre pistes de réflexion11.
1. Le traité franco-allemand d e janvier 1963 et le »moteur franco-allemand« (pou r
employer l'expressio n d u chancelie r Kohi , que je trouve bie n préférable au x mots
»couple« ou »noyau«). Si, en soi, le traité n'a pas apporté tous les effets qu'e n attendaient ses auteurs, loin de là, il n'y en eut pas moins un état d'esprit et une pratique de
relations bilatérales que l'on a qualifiés, selon les temps et la plus au moins grande intensité, de »privilégiées« ou d'«exemplaires«. Dans quelle mesure cette tendance profonde a-t-ell e imposé s a marque à l'évolution général e de s relation s économique s
entre les deux pays? Quels furent les domaines et les périodes qui échappèrent à cette
tendance profonde, et pour quelles raisons?
2. La dissymétrie des économies et le déséquilibre des échanges.
On ne peut que constater que le rapide relèvement, puis l'essor continu et spectaculaire de l'économie e t du commerce allemands ont conduit à cette situation. Sans
doute fut-ce là pour l'économie française un défi et un stimulant, donc une incitation
au progrès. Il n'en reste pas moins que l'ancienneté et l'avance de la puissance industrielle et commerciale allemande ont permis à l'Allemagne, une fois la reconstruction
10 François BILGER, Les relations économiques franco-allemandes de 1945-1971, dans: Revue d'Allemagne 4 (1972) (=Cent ans de rapports franco-allemands, 1871-1971) p. 649-674.
11 On pourra se reporter aux articles et aux recensions publiés par la Revue d'Allemagne, en particulier
par Alfred Losser et Sabine Urban.
Les enjeux des relations économiques franco-allemandes au XXe siècle
17
faite e t le s discriminations d e l'immédiat après-guerr e disparues , de retrouver un e
place eminente, voire prééminente, ce qui ne resta pas sans avoir des effets psychologiques e t politiques e n France. La dissymétrie n'es t d'ailleur s pa s toujours dan s le
même sens. Pensons par exemple au nucléaire, pas seulement militaire, mais aussi et
d'abord civil. De Gaulle et d'autres avant lui en ont voulu le développement pour des
raisons d'indépendanc e e t d e puissanc e nationale s françaises . Pou r s'e n teni r a u
nucléaire civil, on sait quelle part il a pris dans le bilan énergétique de la France, et
dans le bilan de la production française d'électricité, aujourd'hui entr e 75 et 80%. On
sait la dissymétrie des prix de l'électricité e n France et en Allemagne. Imagine-t-on
le Train à Grande Vitesse et le Réseau Express Régional sans le nucléaire? Pour les
raisons qui sont les siennes, pression écologique, emploi des mineurs de la Ruhr, relations avec les pays producteurs de pétrole, l'Allemagne a choisi une autre politique
énergétique. Ces divergences ont rendu impossible la définition d'une politique franco-allemande commune, et donc européenne, en réplique aux »chocs pétroliers«. On
le voit, la communauté d'intérêts n'est pas encore parfaite.
3. La monnaie.
En revanche un grand pas en avant vers l'intégration a été fait ave c la volonté de
politiques monétaires solidaires, en attendant la monnaie commune, si elle doit voir
le jour. La logique du »march é commun« y conduisait. L a caducité des accords de
Bretton Woods et la disparition de tout système monétaire international digne de ce
nom, dues entre autres à la politique monétaire américaine, rendit la définition d'une
politique monétaire européenne de plus en plus nécessaire et urgente. On en sait les
étapes: »serpen t monétaire « d e 1972, »Système Monétair e Européen « imagin é a u
sommet de Brème de juillet 1978. Français et Allemands en furent les promoteurs: citons les noms de Georges Pompidou, Valéry Giscard d'Estaing, Helmut Schmidt et
Raymond Barre . Aprè s u n temp s d'hésitatio n ave c l e gouvernemen t Mauro y e n
1981-1982, François Mitterran d repri t e t maintin t fermemen t cett e politiqu e
monétaire au cœur de laquelle se trouve le souci d'avoir un franc aussi près que possible de la parité avec le mark. C'est resté, malgré quelques contestations remarquées,
la doctrine officielle des gouvernements français jusqu'à aujourd'hui. On sait enfin la
place que le projet de monnaie unique tient dans le traité de Maastricht et les débats
autour de sa mise en oeuvre. C'est l'intégration supranationale qui est en jeu.
4. La réunification de l'Allemagne.
N'oublions pas que tout ce qui s'est fait entre la France et la République fédéral e
entre 1945 et 1960, et qui fait l'objet de ce colloque, s'est fait avec une partie de l'Allemagne, la plus importante certes, mais en présence d'une Union soviétique puissante et
perçue par les deux partenaires comme une menace et une menace commune. L'effon drement de l'empire soviétique et la réunification d e l'Allemagne ont donc fait disparaître les conditions initiales du rapprochement franco-allemand e t de l'interpénétration de leurs économies dans le cadre de la construction européenne. La disparition de
ces conditions initiales devait-elle arrêter ou freiner l e mouvement? On constate que
ce n'est pas le cas. Certes, on ne peut dire aujourd'hui d e façon certain e ce qu'il adviendra du projet même de Maastricht, mais on peut dire, à la lumière de l'évolution
de ces dernières années, que les transformations acquise s ou amorcées entre 1945 et
1960 dans les relations économiques franco-allemandes n'on t pas été remises en cause
par les événements de 1989-1990 et qu'elles ont donc dépassé le point de non-retour.
RAYMOND POIDEVIN
LES CONDITIONS D'UN E DIFFICIL E REPRIS E DES
RELATIONS ÉCONOMIQUE S APRÈ S 1945
Dans l'immédiat après-guerre, le rétablissement de relations économiques normales
s'avère bien difficile. L a reprise est particulièrement complex e e n raison du statut
spécifique de l'Allemagne et parce que la partie se joue très souvent non pas à deux
mais à trois, quatre et même à cinq partenaires.
A l'évidence, il fallait d'abord régler le contentieux né de la guerre ce qui a posé
aux responsables français de nombreuses questions toutes liées entre elles et dépendant pour une large part de l'attitude de s Anglo-Américains. I l n'est pas possible
d'évoquer ici les suites de toutes les mesures économiques prises à Potsdam, notamment tout ce qui concerne les restitutions, les réparations, pas plus que des questions
clés pour la France comme la Sarre et la Ruhr. Sur ces deux dernières questions nous
disposons pour la Sarre des Actes du Colloque de Sarrebruck organisé par Rainer
Hudemann1 et pour la Ruhr des travaux de Werner Abelshauser2 et de Werner Bührer3. Dans toutes ces questions - qui affectent fortement les relations économiques apparaît bien le souci de la France d'obtenir des garanties d'un partenaire momentanément affaibli. C'est à cet aspect que je limiterai mon propos:
- en rappelant d'abord la vision française de l'avenir économique de l'Allemagne en
1945/46,
- en examinant ensuite les efforts français pour limiter la production d'une Allemagne qui doit rester un partenaire surveillé et contrôlé, ce qui me conduira aussi à
dire un mot de quelques moyens utilisés en Zone Française d'Occupation (ZFO)
pour s'en assurer,
- en évoquant enfin très brièvement quelques contacts entre industriels pour préparer l'avenir.
Sur tou s ces points il s'agit surtout de présenter un éta t très partiel de la question.
Dès le début de 1945, la France précise ses vues sur un désarmement économique
et financier de l'Allemagne. L'étude de Marie-Thérèse Bitsch permet de les rappeler4.
Il s'agit de réduire le potentiel économique de l'Allemagne afin d'assurer définitivement la sécurité de la France en l'empêchant de reconstituer un appareil de guerre.
Mais il s'agit aussi d'éliminer le concurrent allemand et de permettre à la France de
devenir une grande puissance industrielle. Bien entendu l'Allemagne doit restituer
les bien s prélevés, payer des réparations e n nature. Mais les responsables françai s
1 Rainer HUDEMANN, Raymond POIDEVIN, Die Saar 1945-1955, München 1992.
2 De r Ruhrkohlenbergbau seit 1945. Wiederaufbau , Krise, Anpassung, München 1984.
3 Ruhrstah l und Europa. Die Wirtschaftsvereinigung Eisen - und Stahlindustrie un d die Anfänge der
euorpaischen Integration 1945-1952, München 1986.
4 Marie-Thérèse BITSCH, Un rêve français: le désarmement économiqu e d e l'Allemagne (1944-1947),
dans: Relations internationales 51 (1987 ) p. 313-329.
20
Raymond Poidevin
n'entendent pa s détruir e complètemen t l'industri e ca r ell e es t indispensabl e à la
restauration économique de l'Europe. Elle doit être suffisante pou r nourrir la population allemande et lui garantir un niveau de vie convenable. Il convient surtout de la
réorganiser e t de l'intégrer dan s une organisation international e nouvelle . Pour at teindre tous ces objectifs, il faut maintenir un contrôle interallié, détacher la Ruhr, la
Sarre, la Silésie du reste de l'Allemagne, réduire la production industrielle en plafonnant certaine s productions , notammen t cell e de l'acier, en contingentan t certaine s
importations (pétrole , métau x no n ferreux) . Pa r contre , pou r l e charbon , i l fau t
accroître la production et privilégier les exportations.
A Potsdam les trois Grands prévoient des dispositions économiques qui vont dans
le sens des vues françaises notammen t l a destruction o u le démontage des capacités
de production excédentaire , la livraison d e ces équipements au x Alliés au titre des
réparations. Il est prévu de maintenir un potentiel industriel permettant d'assurer à la
population allemande un niveau de vie moyen ne dépassant pas celui des autres pays
européens.
Il est clair aussi que le plan adopté par le Conseil de contrôle allié le 26 mars 1946
répond pou r l'essentie l au x espoirs français quan t au x niveaux de production à atteindre en 1949 5. La production de bon nombre d'industries est limitée par rapport à
1936 de manière sévère pour certaines d'entre elles: 40% pour l'acier, les métaux non
ferreux, les produits chimiques de base. Alors que la production d'électricité est plafonnée à 9 milliards de Kwh, celle de charbon, elle, ne doit pas descendre au-dessous
de 150 millions de t. dont 45 au moins réservées à l'exportation. L'ensembl e de l'industrie devra donc se contenter en 1949 d'atteindre 50 à 55% du niveau de 1938 et les
exportations devront financer pou r moitié les importations d e denrées alimentaire s
et pour moitié les frais d'occupation .
Mais, très vite, la France doi t perdr e se s illusions suit e à la ferme intentio n de s
Anglo-Américains d'assure r l e relèvement rapid e d e l'économie allemande . Dès le
début de 1947, le principe d'une révision du plan de mars 1946 étant admis, on élabore, côté français, un nouveau programme plus réaliste qui n'envisage cependant que
peu d'aménagement s de s niveau x d e production . Alor s qu e certain s document s
préparatoires insistent sur la nécessaire contribution de l'Allemagne à la reconstruction européenne, ce qui conduit à ne pas »brider l'économie allemande par des clauses économiques uniquement stériles« , on reste méfiant dan s plusieurs domaines: il
faut contrôle r l e commerc e extérieu r afi n d'évite r l e retou r à un e concurrenc e
déloyale, mettre fin aux concentrations excessives , limiter les intégrations verticales
ou horizontales, établir une législation anti-trust6. La France fait toujours de la livraison de charbon allemand une question d'intérêt vital7.
A l a conférence d e Moscou, George s Bidaul t expliqu e qu e la position français e
s'inspire toujours d e trois notions fondamentales (sécurité , réparations, équilibre de
la balance des comptes allemands). Pour les satisfaire, il convient d e limiter la consommation de charbon et la production de l'acier, cette dernière ne devant pas dépas5 Ibid . p. 323.
6 Ibid . p. 325.
7 Raymond POIDEVIN, La France et le charbon allemand au lendemain de la Deuxième Guerre mondiale, dans: Relation internationales 44 (1985) p. 365-377.
Les conditions d'une difficile repris e des relations économiques après 1945 2
1
ser le s 7,5 millions d e t. prévu s e n 1946. Cette doubl e limitatio n étan t acquise , la
France pourrait se montrer moins rigoureuse pour les industries de transformation.
Le plan Marshall, qui bénéficie aussi aux trois zones d'occupation occidental e de
l'Allemagne, ne risque-t-il pas de compromettre les thèses françaises concernan t les
limitations de production et l'avenir économique de l'Allemagne8? D'emblée, dès le
27 juin 1947 9, Bidault rappelle que la reconstruction de l'Allemagne pose des questions non résolues: niveau de l'industrie, réparations, régime de la Ruhr. Pour les productions o n peut prévoi r de s augmentation s pou r l'agricultur e e t l e charbon mai s
pour d'autres: sidérurgie, électricité, des réserves s'imposent. Dans une circulaire aux
postes diplomatiques, le 4 juillet 1947 10, le Quai d'Orsay rappell e que la position de
la France reste inchangée en ce qui concerne la répartition d u charbon allemand, le
niveau d e production d e l'acier, le régime économique d e la Ruhr. Quelques jour s
plus tard, il fait connaître aux Américains qu'en ce qui concerne l'acier, il ne peut être
question de dépasser le plafond fixé en 1946. En tout cas pou r Bidault »il est essentiel
qu'aucune décision relevant le niveau industriel allemand ne soit prise actuellement«
et de mettre Washington e n garde en précisant bie n que »commencer le travail européen en abandonnant les réparations et en augmentant le niveau de l'industrie allemande aurait des conséquences très graves en Europe. Aucun gouvernement françai s
ne pourrait l'admettre«11. La tâche entreprise serait »irrémédiablement compromise«
et du coup »il n'y aurait pas d'Europe«12. Dans une note aux ambassadeurs de France
à Londres, Washington et Moscou, il revient sur ce thèm e à la veille de la Conférence
des Seize 13: »On n e peut pas imaginer qu e le premier act e de la reconstruction eu ropéenne consist e à augmenter l e potentiel d e l'Allemagne e t ne pas avantager, au
contraire, les peuples victimes de l'agression nazie« . De son côté, le président de la
République, Vincent Auriol affirme qu'»il faut permettre à l'Allemagne de subsister,
mail i l ne faut pa s l'aide r à reconstituer so n industri e lourde« 14. Au cœu r d e l'été
1947, ces prises de position très fermes permettent à la France d'arracher aux AngloAméricains la promesse d'avoir son mot à dire lors des discussions à venir sur le niveau futur de l'industrie allemande.
En fait Paris, pour prix de la réalisation du plan Marshall, doit renoncer à son opposition au relèvement industriel de l'Allemagne15. Au lendemain de Raccord francoaméricain du 28 juin 1948 et des recommandations de Londres, la Direction des Af faires économiques du Quai d'Orsay rédige , le 8 octobre 1948, une note pessimiste
qui souligne les déceptions éprouvées par la France quant à sa politique économique
8 Raymon d POIDEVIN, Frankreich, de r Marshall-Plan und da s deutsch e Proble m 1947-1948 , dans:
Charles S. MAIER, Günte r BISCHO F (éd.), Deutschland un d de r Marshall-Plan, Baden-Bade n 1992 ;
version français e abrégé e dans : L e pla n Marshal l e t l e relèvemen t économiqu e d e l'Europe , Pari s
1993. - Voir auss i Gérar d BOSSUAT , L a France , l'aid e américain e e t l a constructio n européenn e
1944-1954,1.1, Paris 1992, p. 120 sq.
9 A l'ouverture de la Conférence des Trois (France, URSS, Royaume-Uni).
10 Archives Ministère des Affaires étrangère s Paris (AMAE), série Y, t. 228.
11 II le dit à Clayton, sous-secrétaire américain aux Affaires économiques , AMAE, série Y, 1.129.
12 Ibid .
13 Vincent AURIOL, Journal du Septennat, 1947, p. 337.
14 Ibid . p. 362.
15 Raymond POIDEVI N (not e 8).
22
Raymond Poidevin
allemande16. Le relèvement allemand se fait trop vite à son gré et »les limitations imposées à la renaissance allemande paraissent de toutes parts débordées ou sur le point
de l'être«. On s'inquièt e surtou t d e la progression rapid e de la production d'acier .
Robert Schuman évoque devant la commission des Affaires étrangère s de l'Assemblée, le 9 mars 1949, cet essor considérable qui provoque une préoccupation françai se »d'autant plus légitime que les prix allemands sont inférieurs de 20% aux prix intérieurs français«17. Fin 1949, tout en affirmant qu e la politique française reste la même face à un développement industrie l alleman d inquiétant , il reconnaît qu e »c'es t
une politique comportant des restrictions, des limitations, des interdictions« et qu'il
sera difficile d e toujours mainteni r l'Allemagne dans ce cadre18. Il prône vis-à-vis de
la jeune République fédérale d'Allemagne »une politique compréhensive et positive,
notamment dans le domaine économique.«19 Il se pose aussi en partisan convaincu de
l'intégration d e l'Allemagne dans l'Europe car son concours est indispensable pour
organiser, équiper, coordonner l'ensemble de l'économie européenne. Schuman rappelle encore que l'industrie allemande, désormais privée d'un débouché important l'Europe oriental e - pèsera sur le s autres marché s »o ù ell e sera de plus en plus en
concurrence« ave c la production de s pays d'Europe occidentale , un problème qui,
dit-il, »exige une étude et une solution d'ensemble«.
La menace pour la France est fortement souligné e par Jean Monnet dans son mémorandum d u 3 mai 1950 20. Il y affirme qu e »l a continuation d u relèvemen t d e la
France sera arrêtée si la question de la production industrielle allemande et sa capacité de concurrence n'est pas réglée rapidement«. Il pense que l'Allemagne - qui produit de l'acier à un prix inférieur aux prix français - va demander à augmenter sa production qui de 11 millions de t. passera à 14 millions alors que celle de la France plafonnera o u mêm e baissera . L e tablea u bie n sombr e d e Monne t correspon d à l a
réalité. Les producteurs allemands favorisés par le bas prix des combustibles, la modération de s charges sociales , la pratique d u dumping , reviennen t su r le s marchés
mondiaux avec des atouts majeurs alors que plusieurs indices annoncent au début de
1950 un ralentissement de la demande, annonce d'une redoutable crise de surproduction. Pou r Monne t le s condition s économique s e t politique s d'un e entent e indis pensable à l'Europe sont claires: éliminer, en France, la crainte de la domination industrielle allemande ; libére r l'industri e allemand e de s discrimination s née s d e l a
défaite. L e charbon e t l'acier peuven t constitue r un e première étap e sur l a voie de
l'unité économique . Pou r l a France, assurer u n accè s au charbo n e t a u cok e d e la
Ruhr même après la disparition des contrôles alliés est une solution propre à calmer
bien des inquiétudes. Cette assurance paraît d'autant plu s nécessaire qu'elle ne peut
plus compter sur un échange coke-minerai de fer car la sidérurgie allemande a remplacé la minette lorraine par des minerais suédois beaucoup plus riches.
Les projets de pool charbon-acier, le rôle de Monnet, de Schuman, dans la déclaration du 9 mai 1950 sont bien connus 21. Les négociations qui conduisent au traité de
16 AMAE, série Y, 1.131.
17 Raymond POIDEVIN, Robert Schuman. Homme d'Etat, Paris 1986, p. 249.
18 Ibid . p. 254,
19 Ibid . p. 255.
20 Ibid . p. 250.
21 Revoir tous ces aspects dans l'ouvrage cité en note 17, chapitre XIII.
Les conditions d'une difficile repris e des relations économiques après 1945 2
3
Paris instauran t l a CEC A (18 avril 1951) montrent qu e toute s le s inquiétude s
françaises face à la concurrence allemande n'ont pas disparu . On sait bien à Paris que
la R.F.A. s'est lancée dans l'aventure du plan Schuman parce qu'elle espérait retrouver par le biais du levier européen l'égalité des droits et obtenir la suppression des
contrôles alliés sur sa production et son exportation de charbon et d'acier. Avec la
menace consécutive à la guerre de Corée, l'Occident doit pouvoir compter sur l e potentiel allemand . L'accroissemen t d e la demande d'acier n e peut que conduire les
Trois occidentaux à relever rapidement le plafond de la production allemande. Du
coup, Paris doit faire face à une montée des exigences allemandes lors des négociations sur la création de la CECA, sur la Sarre, sur l'Autorité internationale de la Ruhr,
sur le démembrement de s cartels 22. Les sidérurgistes lorrain s ne manquent pas de
rappeler qu'ils craignent la fin d'un contrôle qui compromettrait leur approvisionnement en coke ou fines à coke de la Ruhr »une question de vie ou de mort« pour leurs
entreprises. Si Schuman et Monnet cèdent facilement malgré les critiques sur l'Autorité internationale de la Ruhr (AIR) dont les compétences seron t progressivement
transférées à l'autorité du Plan, la question de la déconcentration donne lieu à une
position intransigeante de la France. Pour Monnet, il s'agit d'un préalable avant la
mise en route de la CECA. Il écrit, dans une lettre à Schuman, le 22 décembre 1950,
que la réorganisation des industries de la Ruhr est d'un intérêt capital pour la France
tant du point de vue politique que du point de vue économique23. Sur ce dernier aspect, il précise que »nos industriels ne pourront pas lutter à armes égales si elles retrouvent en face d'elles des Konzern tels que ceux qui ont existé autrefois«. De son
côté Schuman répète devant la Commission des Affaires étrangères, le 2 février 1951,
que le »démembrement des grand s trusts de la Ruhr doit être un fait accompli« avant
d'envisager le statut de la CECA24. Il faut une forte pression franco-américaine pour
imposer au chancelier Adenauer - qui doi t faire face à une viv e résistance du patrona t
et des syndicats de la Ruhr - la promesse de liquider le comptoir de vente unique du
charbon (Deutscher Kohlenverkauf , DKV) et d'assurer la déconcentration de s industries sidérurgiques25. Le traité de Paris, signé le 18 avril 1951, est loin d'apaiser les
sidérurgistes lorrain s chez lesquels domine l'impression que leurs concurrents ont
obtenu des avantages et des assurance s formelles alors leurs vœux à eux n'ont pas ét é
pris en considération. La peur de la concurrence allemande reste très forte même si
l'on parvient à l'enfermer dans une organisation européenne.
Toutes les péripéties que je viens d'évoquer n e doivent pas faire oublier d'autres
faits moins importants mais qui montrent bien le souci français d'affaiblir u n rival
économique qu'il s'agit de surveiller tout en essayant de tirer parti d'avantages que la
situation de vainqueur permet d'obtenir. C'est le cas de la politique française de participations financières dans la ZFO comme le souligne bien l'étude de Sylvie Lefèvre
qui aboutit à un bila n modeste: 53 sociétés franco-allemandes ont été créées dans cet-
22 Dir k SPIERENBURG , Raymond POIDEVIN , Histoir e d e l a Haut e Autorit é d e l a CECA , Bruxelle s
1993, chapitre I.
23 Ibid . p. 27.
24 Archives Assemblée nationale Paris.
25 Voir note 22.
24
Raymond Poidevin
te zone entre la fin de 1945 et le début de 194926. On veut y voir un moyen de surveiller le potentiel économique après l'occupation, de contrôler l'activité de concurrents
ou fournisseurs e t de profiter de s efforts d e ceux-ci dans le domaine technique o u
commercial. Ces deux aspects apparaissent bien dans la thèse de Marie-France Ludmann sur »L e contrôle d e l'industrie chimiqu e e n zone français e d'occupation« 27,
dans ses études sur le transfert de techniciens allemands en France28 et le contrôle de
la recherche scientifique en ZFO29.
J'évoquerai enfin , trè s brièvement, car nous aurons plusieurs rapports à ce sujet,
un autre aspect du problème: comment se sont comportés les milieux d'affaires pou r
préparer le terrain en vue de rétablir des relations normales? Tout commence par des
contacts officieux entr e industriels. Tout en suivant de très près l'évolution des problèmes politico-économiques immédiat s concernant la Ruhr, la Sarre, ils tentent de
jeter quelques bases pour l'avenir. Werner Bührer dans des études minutieuses retrace bien, d'après le s archives allemandes, l'histoire d e ces contacts, longtemps infor mels30. Dès 1948, P«Association pour le commerce et l'industrie française en Allemagne« (ACIA) song e à la création d'un e Chambre d e commerce; cette idée, prématurée pou r de s raison s politiques , n'abouti t pas . Au printemp s 1949, les contact s
s'intensifient. L'«Associatio n français e pou r le s relations économique s ave c l'Allemagne« succède à PAO Aen mars 1949; un mois plus tard est fondé à Francfort u n
»Arbeitskreis Frankreich« . En septembre 1949, c'est la »Deutsche Vereinigung zu r
Förderung der Wirtschaftsbeziehungen mi t Frankreich« (DEFRA) qui voit le jour.
Toutes ces initiatives, marquées souvent par des rivalités internes, sont encouragée s
par les milieux officiels. On évoque des plans pour une coopération franco-alleman de, notamment dans la sidérurgie car le charbon, l'acier restent au centre des échanges. Des accords commerciaux sont conclus à partir de 1948 non sans mal car le problème des prix sarrois complique les négociations d'autant plus qu'elles doivent respecter le programme de l'OECE e t régler le problème de la balance des paiements.
On évoqu e des plans pour u n cartel international d e l'acier... Su r tous ce s points,
W. Bührer, C. Buchheim, A. Wilkens vont nous apporter les fruits de leurs recherches.
26 La politique française de prises de participations financières dans sa zone d'occupation 1945-1949,
dans: Aspekte de r deutsch-französische n Wirtschaftsbeziehunge n 1945-1957 , éd. pa r Werner
SCHOLZ, Leipzig 1993 .
27 Di e Kontroll e der chemischen Industri e in der französischen Besatzungszon e 1945-1949 , Mainz
1989.
28 Dans : Relations internationales 46 (1986) p. 195-208.
29 Dans : Revue d'Allemagne 20 (1988) p. 397-414.
30 Ouvrage cité en note 3 et Wegbereiter der Verständigung. Deutsch-französische Industriellenkon takte 1947-1955, dans: Revue d'Allemagne 23 (1991) p. 73-86.
GÉRARD BOSSUAT
LES CONCEPTIONS FRANÇAISES DES RELATIONS ÉCONOMIQUES
AVEC L'ALLEMAGNE (1943-1960)
Détruire, supporter, coopérer. Le Quai d'Orsay et le Ministère des Finances
entre l'illusion et la résignation
L'Allemagne occidentale donne aussi l'impression
d'une force potentielle encore considérable
et dont l'expansion s'orientera dans des directions
où elle risque de devenir un danger pour la France.
Commission d'information sur l'Allemagne,
Conseil de la République, avril-mai 1949.
Les rapports économiques franco-allemands permettent de déceler les antagonismes
franco-allemands, d e mesurer les peurs françaises d e l'Allemagne. Ils sont aussi un
bon moyen de tester la volonté de les surmonter dans l'appareil de l'Etat et chez les
industriels. Le s rapports économiques , peut-être plus qu e le s rapports politiques,
révèlent brutalement les enjeux , les ambitions, les stratégies des deux Etats1. Les deux
nations ont été récemment vaincues. L'une en 1940, l'autre en 1945. Elles sont toutes
deux dans une situation difficile. Il leur faut reconquérir influence, puissance et crédibilité internationale . L'Allemagne es t une donné e fondamental e pou r l a France:
»Le destin économique de l'Allemagne est un sujet qui nous est trop familier et nous
touche de trop près pour que nous puissions l'aborder avec un esprit aussi libre que
s'il s'agissait du sort de l'économie canadienne ou brésilienne par exemple«, enseigne
en 1959 Jean François-Poncet2. Le milieu des hauts fonctionnaires du Quai d'Orsay
et des Finances, en rapport direct avec les centres de décisions politiques, se prête
parfaitement à une analys e de s conception s française s de s relation s économique s
avec l'Allemagne.
1 Marie-Thérèse BITSCH , Un rêve français: le désarmement économique de l'Allemagne (1944-1947),
in: Relation s Internationales (RI) 51 (1987 ) p. 313-329; Nicole PIETRI, Le miracle économique ouestallemand au début des années cinquante, analysé par les représentants français auprès de la République fédérale d'Allemagne, in: RI 51 (1987 ) p. 331-342.
2 Jean FRANCOIS-PONCET, Politique économique de l'Allemagne occidentale, 1959-60, fascicule 1 et 2,
Les cours de droit, Institut d'Etudes Politiques.
26
Gérard Bossuat
I. Le temps de Putopie et de la peur (1943-1949)
Les années de guerre et d'après-guerre, jusqu'au plan Marshall, sont placées sous le
signe de la peur de l'Allemagne. Cette Allemagne si puissante et bientôt vaincue fait
envie e n raiso n d e se s capacité s industrielles . Ell e es t dangereuse . E n 1945 les
Français avaient des doute s sur l a pérennité de leur sécurité. Il fallait désarmer économiquement e t militairemen t l'Allemagne 3. L a sécurit é économiqu e es t u n thèm e
nouveau, car la France sait que la puissance est d'ordre économique. Le CNR et le
GPRF ont des ambition s de modernisation pour la France que l'abaissement définitif
de l'Allemagne peut faciliter.
Les projets de 1943-44
Les différents projets pour l'après-guerre concoctés par les services du GPRF mettent évidemment l'Allemagne au cœur de la réflexion. L e tableau suivant évoque le
destin de l'Allemagne vu par les Français.
Place de l'Allemagne dans les projets français pour l'après-guerre
Origine
Date
Alphand, »autres« juille
t 1942
Intitulé du projet
Avenir de l'Allemagn e
Problèmes économique s
de l'après-guerre, un point
de vue français
Note su r la thèse française de
la reconstruction économiqu e
Note d e réflexio n
Unions économiques à Pouest
de PEurope
Alphand
03/08/1943
Monnet
05/08/1943
CFLN
17/10/1943
Conversations de Gaulle, Diethelm, Mayer, Alphand
CFLN
17/10/1943
Conversations Monnet, Diet helm, Mayer, Alphand
Commissariat aux
Affaires étrangères
du CFLN
23/10/1943
note
Blum-Picard
12/07/1944
Organisation économiqu e
de PEurope
Problème rhénan
Quai d'Orsay
août 1944
Quai d'Orsay
(Alphand)
09/11/1944
Union économique européenn e
Fédération métallurgiqu e
européenne avec
participation allemand e
Création d'un pays industriel
européen: Ruhr, Sarre, Rhénanie, Luxembour g (Monnet )
Union économique: France,
Bénélux, peut-être Rhénanie,
Italie, Espagne, Suisse
(de Gaulle)
Fédération de l'Europe occidentale: Pays-Bas, Belgique,
Luxembourg, France;
Fédération balkaniqu e
Organisations par produits
Détachement des territoires
périphériques
Création d'un Etat Rhénan
Procès-verbal de la réunion du
9 novembre, présidence Alphand , puissant et autonome par
sur le désarmement économiqu e rapport à l'Allemagne, non contigu avec l'Alsace
de l'Allemagn e
3 Annie LACROIX-RIZ, Sécurité française et menace militaire allemande avant la conclusion des alliance s
occidentales: les déchirements du choix entre Moscou et Washington (1945-1947), in: R I 51 (1987)
p. 289-312.
Les conceptions françaises des relations économiques avec l'Allemagne (1943-1960) 2
7
Origine
Date
Intitulé du projet
Avenir de l'Allemagne
Quai d'Orsay
décembre 1944
Quai d'Orsay,
DAEF
07/07/1945
Désarmement économique,
détachement des régions
périphériques
Réduction de la puissance
économique allemande
Quai d'Orsay
01/08/1945
Mémorandum exposant le point
de vue français concernant
l'armistice avec l'Allemagne
Note sur le désarmement
économique et financier
de l'Allemagne
Pour notre action en Allemagne
Quai d'Orsay,
DAP
Monnet
08/09/1945
24/09/1945
Régime politique de la région
rhéno-westphalienne
Coordination of german
coal production
Priorité aux intérêts français
dans la gestion de la Zone
française d'occupation
Détachement du Reich;
Sarre rattachée à la France
Production de charbon
allemande sous l'autorité
d'un dictateur du charbon
La tendance générale des divers projets pour l'Allemagne es t de préparer son désarmement économique . L'idé e du Quai d'Orsa y es t de contrôler le s industries e t le
commerce extérieu r allemands . I l repouss e l a pastoralisatio n d e l'Allemagn e qui
générerait le chaos. Il propose de priver l'Allemagne de certaines de ses régions industrielles. Ainsi la riche région rhéno-westphalienne serai t incorporée dan s un ensemble économique groupan t la Grande-Bretagne, la France, la Belgique et la Hollande.
L'Etat rhéno-westphalien indépendant et l'ensemble germanique seraient placés sous
un contrôl e internationa l permanent 4. Ce s considération s son t développée s pa r d e
brillants géographes français, en présence d'Hervé Alphand : de Martonne, directeur
de l'Institu t d e Géographie , Sorre , professeu r à l'Institu t d e Géographie , Meary ,
agrégé de géographie, André Siegfried, politologue, essayiste et auteur de »L'Ame des
peuples«. L'Eta t rhénan, distinct de l'Allemagne, n'aura pas de frontière avec l'Alsace.
L'Allemagne sera-t-ell e viable, s e demand e A . Siegfried , s i ell e es t privé e d e l'Eta t
Rhénan, de l a Prusse orientale , de la Poméranie, d e la Silésie e t de l'Autriche? L a
question d'un e 'dégermanisation ' d e l'oues t d e l'Allemagn e es t posée , mai s ell e es t
écartée car où déporter 14 millions d'Allemands 5?
Sur le court terme , certaines administration s françaises , comm e l e ministèr e d e
l'Economie nationale , s'emploient à saisir en Allemagne les biens nécessaires au relèvement français, d'autres veulen t utiliser au profit d e la France le travail des prisonniers de guerre6. Le Quai d'Orsay approuve la lettre de l'Economie nationale 7.
Le Qua i d'Orsay , e n décembr e 1945, demande d e récupére r le s bien s spoliés ,
d'exiger de s réparations, de désarmer économiquement l'Allemagne , tou t en y con Archives du Ministère des Affaires étrangères (AMAE), Y 1944-1949, vol. 362, DAEF, 9 novembre
1944, note, a/s du désarmement économique de l'Allemagne.
Archives du Ministère de PEconomie et des Finances (AMEF), B 8786, DAE, JMB, pv de la réunion
du 9 novembre 1944 sous la présidence d* Alphand sur le désarmement économique de l'Allemagne.
AMAE, Y1944-1949, vol. 363; il y a 700.000 PG allemands en France en octobre 1945, on parle de 1,7
millions PG nécessaires.
AMEF, B 8786, lettre non signée du Ministère de l'Economie national e au Ministère des Affaire s
étrangères, 31 octobre 1944, n° 196.
28
Gérard Bossuat
servant une capacité de production mise au profit des économies des Nations Unies8.
Le désarmement économique allait de soi, mais l'intérêt commandait de ne pas faire
de l'Allemagne une zone de pauvreté. L'autre thèse se lisait en filigrane: pourquoi ne
pas mettre l'économie allemande au service de l'Europe?
Les instructions de 1945 pour la Zone française d'occupation (ZFO)
Les intentions françaises concernan t l'Allemagne transparaissent à propos de la gestion de la zone française d'occupation . La directive du GPRF »pour notre action en
Allemagne« du 1 er aoû t 1945, pose le primat du politique sur l'économique, de la sécurité et de l'intérêt de la France sur l'intérêt économique de la zone.
Les Français ont pratiqué des prélèvements économiques ou ont pillé. Un particulier suggère au ministre en septembre 1945 de transférer e n Alsace les usines Volkswagen9. Un citoye n de la Confédération Helvétique , installé en Allemagne du Sud
dans le commerce et la fabrication de montres et de bijoux a été spolié de son bien par
les Français, après avoir été pillé par les troupe s marocaines. Il est arrêté en novembre
1945, interrogé brutalement, accusé de nazisme. Les 320 machines de sa fabrique auraient été expédiées à Besançon en mai 1946. Bref il a été victime d'une armée française incapable de faire la distinction entre Suisses alémaniques et Allemands. D'autres
spoliations d e Suisses on t ét é signalées 10. Emile Laffon , l'administrateu r civi l de la
ZFO, veu t tirer de la zone le maximum d'avantages 11. Mais cette politique butte sur
la nécessité affichée de ne pas réduire à la famine les Allemands de la zone. Toutefois
l'économie de la zone est orientée vers la France et les prix fixés par le gouverneur. Il
est sans doute délicat de chiffrer le s avantages obtenus par la France dans la ZFO. Un
document d u Directeu r Généra l de l'économie e t des finances d e la zone, de mars
1948, le rapport Filippi, estime à $ 336 millions les avantages indirects, en capital, en
revenu reçus par la France12.
Les usines de guerre sont liquidées: usines de guerre souterraines, usines de surface, établissement s de recherches de guerre13. Des dispositions sont prises pour attirer
en France la main d'œuvre allemande spécialisée dans les hautes technologies 14. A la
fin de 1947, il y aurait eu 6772 Allemands spécifiquement recrutés 15. Kœnig, le com8 AMEF, B 8786, décembre 1944, Projet d'armistice avec l'Allemagne, MAE, DAE, secret, destinée
à G. Guindey, »Mémorandum exposant le point de vue français concernant l'armistice avec l'Allemagne«.
9 AMEF, B 43711, M. Mathis , Président des Automobiles Mathis à New-York, lettre du 12 septembre
1945.
10 AMEF, B 8875, avril 1949, affaire Hanart.
11 Bénédicte GRANGE, Emile Laffon et la ZFO en Allemagne, 1945-1947, maîtrise, Paris I, Directeur
R. Girault, p. 129; sa note est de septembre 1945.
12 AMEF, B 8829, rapport Filippi, 6 pages, 8 mars 1948 plutôt que 1947 (il y a un dout e sur la date).
13 Service Historique de l'Armée de l'Air (SHAA), E 2903, Commandement en chef français en Allemagne, DGCD, Le contrôle du désarmemen t en 1947, mai 1948.
14 Gérard BOSSUAT, Armement et relations franco-allemandes, 1945-1963, in: Histoir e de l'Armement
en France, 1914-1962. Institutions, industries, innovations, relations internationales, Actes du colloque du 19 novembre 1993, CHEAR, ADDIM, 1994, p. 147-206.
15 AMAE, Europe 1944-1949, Allemagne, vol. 110, brochure du CCFA, Groupe français du Conseil
de contrôle, »Les travailleurs allemands en 1947 en Allemagn e et en France«, p. 42.
Les conceptions françaises des relations économiques avec l'Allemagne (1943-1960) 2
9
mandant d e la ZFO, avertissait : »C'es t u n véritabl e prélèvement d e matièr e grise ,
pour employer une expression imagée, et nous avons tout à y gagner et rien à y perdre. Soyon s sûrs que du jour où un Gouvernement alleman d sous une forme quel conque sera reconstitué, il fera tout son possible pour arrêter cette véritable hémorragie humaine, se rendant compte du grave préjudice subi de ce fait«.
Des directives ont été communiquées à l'administrateur de la zone, Emile Laffon ,
le 21 septembre 1945, pour prépare r l'incorporatio n économiqu e d e la Sarre à la
France et instituer une administration autonome à direction française16. Le rattachement économique de la Sarre à la France est prononcé le 20 novembre 1946 jusqu'au
règlement de la paix. Les Anglais et les Américains donnent difficilement leu r accord,
à Moscou, le 19 avril 1947.
Le projet des Affaires étrangères et du gouvernement en 1945
Marie-Thérèse Bitsch rappelle excellemment l'existence d'un projet français d e désarmement économiqu e d e l'Allemagne 17. I l a été formulé pa r le s représentants d u
CFLN devant le Comité interallié pour l'étude de l'Armistice et envoyé à Kœnig, commandant e n chef d e la zone française d'occupation , sou s la forme d'un e »Note su r
le désarmement économique et financier de l'Allemagne« le 7 juillet 1945. Il prétend
réduire le potentiel économique allemand, limiter la production d'acier à 6 à 7 millions de tonnes pour éviter tout réarmement. Il envisage de désarmer scientifiquemen t
toute l'Allemagn e (universités , laboratoires). L a peur e t l'intérê t économiqu e gui dent les responsables français. Il s'agit de »libérer dans la mesure du possible l'industrie française d e la concurrence de l'industrie allemande et tirer parti du démantèlement d e celle-c i pou r augmente r considérablemen t l a puissance industriell e d e la
France«18. Pourtant l a perception de l'avenir d e l'Allemagne n'est pas univoque. Le
rapport de Pierre-Olivier Lapie, président de la Commission des Affaires étrangère s
de l'Assemblée Nationale, s'oppose à la désertification économiqu e de l'Allemagne
pour éviter une dépression économique dangereuse pour tous 19. Cette position modérée évoqu e l'unit é européenne . C e thèm e étai t celu i de s projet s d e Monne t o u
d'Alphandenl943.
Néanmoins une position dure triomphe au sein du gouvernement français. Il faut
détacher définitivement le s principales régions industrielles allemandes (Ruhr, Sarre,
Silésie) du corps allemand. De Gaulle explique par exemple en octobre 1945 que la
Ruhr est un gage et l'instrument d e la grandeur industrielle française 20. La Ruhr, internationalisée, sera mise au service des économies occidentales . La rive gauche du
Rhin, le Bade et le Wurtemberg s'orienteron t ver s la France. Monnet lui-mêm e ne
16 GRANGE (voir n. 11) p. 87.
17 Voirn. 1.
18 AMEF, B 43711, CGAAA, le Commissaire général à M. Schweitzer, note du CCFA, GFCC, délégation économiqu e e t financière , comit é du nivea u d e l'industrie , note , déterminatio n d u nivea u d e
l'industrie allemande, Berlin-Frohnau, 7 janvier 1946.
19 Pierre-Olivier LAPI E y fait allusion dans son livre De Léon Blum à de Gaulle, Paris 1971, p. 35: »Les
rapports qu e j'avais établis pou r l a commission de s Affaires étrangère s a u cours de s année s précé dentes«. Il se situe fin 1946.
20 Revue de la zone française, n° 1,15 novembre 1945, cité par GRANGE (voir n. 11) p. 47.
30
Gérard Bossuat
néglige pas cette doctrine. Il dit aux Américains pressés de restaurer l'Allemagne: »La
restauration économique de l'Europe qui est une des conditions fondamentales de la
paix, exige d'abord qu e la France restaure sa puissance économique et elle ne peut y
parvenir sans avoir satisfait ses besoins essentiels en charbon...«21.
Mais rapidement le s représentants d u Group e françai s d u Consei l d e contrôle à
Berlin se rendent compte de l'impossibilité d'appliquer les thèses françaises sur l'Allemagne. Comment donner du travail à la main d'oeuvre allemande dans des usines
démantelées? Comment nourrir les millions d'Allemands e t les réfugiés? »L'utilisa tion de l'équipement industriel de l'Allemagne et le sort de la population qui en vit ne
peuvent être dissociés« remarquent les Finances. Encourager l'industrie légère en Allemagne à la place de l'industrie lourde pénalisera les industries françaises. Le désarmement économiqu e d e l'Allemagne es t don c impossible . La séparation de s territoires à l'ouest apporterai t un e sécurit é politique, pas économique . L e désarroi se
manifeste pa r de s propositions intenable s d e placer le s 6 millions d e réfugiés alle mands des territoires d e l'est à l'étranger 22. Cel a s'appell e une déportatio n écono mique.
Au début de l'année 1946 la politique française de désintégration territoriale et économique du Reich a atteint ses limites. La France ne peut l'imposer. Elle est dangereuse socialement. Elle contient en germe une concurrence redoutable pour l'économie française. La direction du Trésor appelle les autres ministères à plus de mesure23.
L'idée européenne au secours de la France
L'échec des projets de 1945 se pare alors d'une rhétorique européenne et régionaliste.
Le gouvernement français prétend renforcer le sentiment régional en Allemagne par
la créatio n d'autorité s économique s internationale s d e caractèr e régiona l pou r l a
vallée du Rhin, la Ruhr etc... 24. La Ruhr serait intégrée dans un nouvel Etat rhénowestphalien »soumis économiquement à une organisation internationale de caractère
régional à créer sur la base des »autorités« américaines... ou de sociétés d'économi e
mixtes«25.
Le problème du charbon illustre bien le recours au discours européen. Les Français veulent du coke de la Ruhr. La solution du problème est du ressort des alliés. Devant les difficultés prévisibles pour faire redémarrer la production de charbon, et aussi pour facilite r l'accè s d e l'économie français e a u coke, Monnet propos e le 25 septembre 1945 de créer une autorité supérieure dans la Ruhr chargée de réorganiser la
21 Archives Jean Monnet d e l a Fondation Jean Monnet pou r l'Europ e à Lausanne (FJME) , AMF
5/3/106, tel. ambaF, Washington, 3 mai 1946, n° 357 DET, Négociations sur le charbon allemand le
1er mai, discussion Lecœur, Clayton, Thorp.
22 AMEF, B 43711, CCFA, CFGC, Berlin-Frohnau, 7 janvier 1946, délégation économique et financière, comité du »niveau de l'industrie«, note, Détermination du niveau de l'industrie allemande,
8 pages dactylogr., note transmise par le CAAA aux Finances (Schweitzer), le 15 février 1946.
23 AMEF, B 43711, Brunet, 315 cd, PPS, 18 février 1946, note pour le Ministre, objet: Niveau de l'industrie allemande.
24 FJME, AMF 4/3/93, note sans origine ni auteur, 15 février 1946, Avant-projets concernant les négociations à engager par la France au sujet de l'Allemagne.
25 FJME, AMF 4/3/46, Bases d e négociation s franco-américaines , 15 février 1946 [documents d u
CGP?].
Les conceptions françaises des relations économiques avec l'Allemagne (1943-1960) 3
1
production. Il demande l'instauration d'un dictateur de la Ruhr26. De Gaulle est d'accord, mai s pas Eisenhower . Quan d l'Europ e peu t servi r le s intérêts économique s
français, l'idée européenne est donc bien accueillie.
Inventer des voies nouvelles?
La gestion de la zone française d'occupation en Allemagne révèle que la politique de
destruction du potentiel économique est intenable. Laffon, l'administrateu r généra l
de la zone, dès janvier 1946 admet qu'i l es t nécessaire »d'oriente r l'économi e allemande vers les industries de paix«. Il doit tenir compte de la tendance nouvelle des
Américains et des Anglais à revenir sur les démantèlements en raison de la dégradation des rapports Est-Ouest27. Elle traduit néanmoins une évolution sut generis. Laffon a compris qu'il est impossible de tourner les populations allemandes vers la France si celle-ci les dépouille de moyens d'existence 28. Or l'attitud e de s autorités fran çaises es t d'exporte r systématiquemen t l a production d e la zone pour satisfair e l a
demande française 29. I l n'est pa s question e n principe de compenser ce s ponctions
par des importations de produits alimentaires ou industriels, même s'il faut consentir
à la zone un prêt de blé français. La prise de conscience de Laffon o u du ministère des
Finances n'empêche pas de poursuivre l'exploitatio n d e la zone. Les Français sont
accusés de prélever des stocks industriels et alimentaires dans leur zone, d'incorporer
certaines industries dans l'industrie française, de conserver à usage français le s péniches, les wagons de chemins de fer et le bois de la zone française 30.
La prise de conscience de l'impasse conduit Léo n Blum, alors éphémère chef d e
gouvernement en novembre 1946, à ordonner la fin des prélèvements de consommation. Un a n plus tard Koeni g demande de réduire les prélèvements d e textile et de
chaussures31, puis de les faire cesser32. Le gouvernement renonce à la séparation politique de la Rhénanie du Reich, mais veut la création d'une autorité internationale de
la Ruhr33. Pierre-Olivier Lapie rappelle que Bidault et de Gaulle voulaient faire éclater l'Allemagne e n divers Etats, joindre la Sarre à la France et maintenir une faibl e
production industrielle. Telles n'étaient pas les idées de Léon Blum34! Cependant, Bidault avant de céder le pouvoir a pris la décision de créer un cordon douanier entre la
Sarre et l'Allemagne. Léon Blum récuse le glissement vers une union politique fran co-sarroise. Un e nouvell e politiqu e d e zon e es t défini e dan s l e burea u d e Blum à
Matignon le 2 janvier 1947, d'après P. O. Lapie. La situation économique de la Zone
française d'occupatio n ser a améliorée . L a France supporter a l e déficit éventue l e n
26 FJME, AMF 4/3/6, résumé d'une conversation entre M. Monnet et M. Clayton, le 24/9/1945.
27 180 0 usines sont répertoriées dans les trois zones pour être démontées dont 164 en zone française.
En juillet 1947 elles ne sont plus que 681.
28 Communication de M. Maurice Grimaud, colloque organisé par l'Institut Universitaire Européen,
1-2 octobre 1990, citée par GRANGE (voir n. 11) p. 175, annexe.
29 Ibid. , p. 141.
30 AMEF, B 8802, MAE, tel. Washington, 24 juillet 1946, n° 558/DET.
31 60 0 tonnes de textiles au lieu de 900,299000 paires de chaussures au lieu de 653318.
32 AMEF, B 87799, Kœnig, cabinet civil, à M. le secrétaire d'Etat aux Affaires Allemandes et Autrichiennes, 14 mars 1948, ts. objets: prélèvements en Allemagne.
33 Cf. le mémorandum remis par le gouvernement français le 1er février 1947.
34 LAPIE (voir n. 19) p. 36.
32
Gérard Bossuat
dollars du commerce inter-zone. Kœnig et Laffon ont approuvé cette nouvelle orientation. La politique allemande générale de la France fut redéfini e dan s deux memoranda publiés le 21 janvier 1947 et datés du 17 janvier. Le premier concernait l'orga nisation provisoire de l'Allemagne pendant l'occupation, le second son organisation
constitutionnelle. Un troisième publié le 1 er février portait sur le statut de la Ruhr. Il
proposait de créer une Autorité de la Ruhr, inspirée d'un projet de 1945 d'Autorité
économique du Rhin.
Ainsi le gouvernement de Léon Blum a voulu infléchir la politique allemande de la
France. Malheureusement cette inflexion n' a pas de suite en raison des aléas institutionnels français. Les Français continuent de croire que les pays voisins de l'Allemagne sont capables de fournir l'acier dont l'Europe a besoin. L'acier français doit remplacer l'acier allemand 35. La politique française concernan t le s réparations n'est pas
définie. Le délégué français à l'IARA demand e le 30 janvier 1947 des instructions à
son ministre 36! Pou r l a conférenc e d e Mosco u de s quatr e ministre s de s Affaire s
étrangères d'avri l 1947, Alphand s'accroch e encor e a u thèm e d e l a sécurité »poli tique, militaire, et économique« 37! Le langage est presque identique à celui de 1945.
La Sarre devra être rattachée économiquement à la France. Sarre, Rhénanie et Ruhr
seront politiquement autonomes par rapport à l'Etat fédéral. Mais Ruhr et Rhénanie
resteront dans l'unité économiqu e allemande, tout en étant occupées militairement.
L'industrie d e la Ruhr ser a propriété de s pays voisins, administrée internationale ment. Les industries seront décartellisées. Les pratiques de démantèlement se poursuivent. Une nouvelle usine Borsig de Berlin en secteur français, reconstruite après le
démantèlement de la précédente, est de nouveau démantelée. Les contradictions de la
politique française perdurent 38.
Une nouvelle donne, les accords de Londres de juin 1948 et le plan Marshall
Ces contradictions inciten t le s conseillers politiques e t les experts à privilégier des
solutions européennes. Une première doctrine préconise l'intégration des économies
européennes pour brider les Allemands. La seconde la préconise au nom de l'égalité
entre nations européennes , génératrice d e sécurité 39. Le plan Marshall favorise évi demment le concept d'intégration européenne ou d'organisation planifiée des économies. Mais la question de la sécurité économique et militaire de la France reste posée.
Les négociations sur l'ERP entre l'été 1947 et avril 1948 ont accéléré la révision des
rapports franco-allemands .
Monnet voulai t mettr e l'Allemagn e a u servic e d e la Franc e (e t d e l'Europe ) e n
1945. En juillet 1947 il constate que la France ne peut se permettre d'être en opposi35 Raymond POIDEVIN, La France et le charbon allemand au lendemain de la deuxième Guerre mondiale, in: RI 44 (1985) p. 365-377.
36 AMAE, Y 1944-1949, vol. 366, Bruxelles, 31 janvier 1947, Spitzmuller à M. le MAE, mémorandum
de PIARA au Conseil des ministres des Affaires étrangères.
37 AMEF, B 8786, Note du 22 février 1947, a/s règlement de paix avec l'Allemagne, DAEF, ts, H . Alphand, n° 1129,23 pages.
38 AMAE, Y 1944-1949, vol. 366, notes et télégrammes concernant le mois de mars 1947 et vol. 367;
Cyril BUFFET , L'affaire Borsig 1945-1950, un exemple de la politique française des réparations, in:
Revue d'Allemagne 22 (1991 ) p. 55-71.
39 LAPIE (voir n. 19) p. 145.
Les conceptions françaises des relations économiques avec l'Allemagne (1943-1960) 3
3
tion avec ses alliés sur le problème allemand 40. L'Allemagne sera reconstruite. Or il
apparaît que la France a besoin de l'Allemagne mais que l'Allemagne n'a probablement pas besoin de la France. Le 18 août 1947, Monnet propose de dépasser l'antagonisme franco-allemand e t de faire de la Ruhr un »actif européen«. Monnet reconnaît
toutefois qu e le s Américains accorden t un e priorité à l'Allemagne 41. L a Directio n
d'Europe du Quai d'Orsay conseille d'accepter l'Allemagne dans la nouvelle Europe
occidentale, sans pour autant céder sur la Ruhr42.
Les accords de Londres du 1 er juin 1948 sur l'Allemagne, négociés entre les 3 alliés
occidentaux, ressuscitent un Etat allemand fédéral à l'Ouest. Les thèses du détachement politique de la Ruhr sont abandonnées, tout comme celles de l'internationalisation des industries et des mines de la Ruhr. Les Français venaient donc d'abandonner
leur politique allemande antérieure et de perdre une bataille. Ces dispositions don naient un nouveau cadre aux rapports économiques franco-allemands. Le s optimistes comme Lapie trouvaient que ce texte »entrouvrait l'avenir vers une coopération
politique e t économique ave c l'Allemagne« 43. L e blocus de Berlin et les manifesta tions antifrançaises contr e les démantèlements renforcent l e sentiment qu'une époque se termine. Kœnig doit protester contre les assertions d'un haut fonctionnaire allemand d e la Bizone, Engel, stipendié par le s Etats-Unis, qui accuse les Français de
mettre la main sur des entreprises industrielles et commerciales de la ZFO44. Les autorités françaises en Allemagne, réalistes, reconnaissent qu'il faut tirer les conséquences de l'évolution de s rapports internationaux à propos de l'Allemagne45. L'idée européenne, »bonne à tout faire« dan s les cas difficiles, revien t en force. La direction
d'Europe a u Quai d'Orsa y conseill e de rechercher un e »collaboratio n européenn e
constructive« et de reconnaître à l'Allemagne l'égalité des droits. Ainsi »la France en
retirerait un bénéfice moral immense qui pourrait lui rendre d'un seul coup sa place
dans la direction politique du continent« 46. En mai 1948, elle conseille de rechercher
la sécurité de la France dans l'interdépendance et la solidarité économique européennes plus qu e dans des »solution s d e coercition discriminatoire s actuellemen t envi sagées pour l'Allemagne« 47.
Le vent tournait. Monnet et son équipe du Commissariat général du Plan décident
de tenir compt e d'une Allemagne reconstruite pour l e plan français d e modernisa-
40 FJME, AMF 14/1/4, Mémorandum de Jean Monnet pour Georges Bidault sur la conférence de Paris, sur les causes du refus de PURSS et sur la coopération avec la Grande-Bretagne, les Etats-Unis,
surtout face aux problèmes allemands, 22 juillet 1947.
41 FJME, AMF 14/1/10,18 août 1947, JM, Relèvement des niveaux de Pindustrie allemande.
42 AMAE, Europe 1944-1949, Allemagne, vol. 82, RF, DE 8 mai 1948, note, a/s politique allemande de
la France.
43 LAPIE (voir n. 19) p. 159.
44 AMAE, Europe 1944-1949, Allemagne, vol. 84, Kœnig, Commandant en chef en Allemagne, 30 décembre 1948, n° 5834/CC/CD, à Robertson, Berlin et L.D.Clay, très confidentiel.
45 AMAE, Y 1944-1949, vol. 372, Commandement e n chef en Allemagne, CC/6 mars 1948, à M. le
MAE Georges Bidault, n° 119/EU, Les alliés et l'économie allemande.
46 AMAE, Y 1944-1949, vol. 372, RF, 1er avril 1948, Roger Fabre, note sur les aspects économiques du
problème allemand.
47 AMAE, Y 1944-1949, MAE, direction d'Europe, 21 mai 1948, note a/s des problèmes allemands.
34
Gérard Bossuat
tion48. Désormai s le s relations économique s franco-allemande s son t envisagée s e n
termes d'échanges et non plus de réparations ou de domination. Ce courant réaliste
est repérable autour de Jean Monnet, à la direction Europ e et aux Affaires écono miques du Quai d'Orsay, chez certains parlementaires comme Lapie, chez les Socialistes comme Léo n Blum. Il s'appuie sur le s intellectuels progressiste s te l Mauric e
Duverger49. U n jeun e stagiair e d u Quai , Romai n Gary , héro s d e la France libre ,
34 ans, évoque les abandons de souveraineté au profit d'un e organisation démocra tique en Europe et la création de sociétés mixtes franco-allemandes pou r développer
FOutre-mer50. Gary parle de ses idées dans La Nuit sera calme 51, exagérant son rôle:
»J'ai fait avec Fabre et avec Maillard la première proposition jamais formulée su r la
création d'une communauté charbon-acier. Et j'ai pondu aussi la toute première note
-mea culpa- sur la création d'une Europe«. Les thèmes européens surgissent en pleine lumière au début de l'été 1948. Ils bénéficient indiscutablemen t de la réflexion sur
une organisation européenne de coopération économique et de l'espérance du Congrès de La Haye. Ils sont relayés par des industriels qu i évoquent le s entretiens de
Remagen en 1945 entre industriel s allemand s e t français. »Nou s avon s besoi n de s
ressources industrielle s allemandes« , disent-ils. Un certai n nombre d'entre eu x demandent des autorisations d'investissements en Allemagne, surtout en zone française
d'occupation52.
Le problème est de savoir si la politique française e n Allemagne se transforme. Le
4 septembre 1948 Alphand indique aux Länder de la zone française qu e les prélèvements seront compatibles avec le plan Marshall. Les petites entreprises ne seront plus
touchées (cas de l'horlogerie du Wurtemberg)53. Le ministre des Affaires étrangères ,
Robert Schuman, décide en octobre 1948 de limiter les transferts d e machines54. Le
2 octobre 1948 Ramadier, Ministre de la Défense nationale, parle de »politique constructive« d u gouvernemen t françai s à propos d e »l'ancie n problèm e franco-alle mand«55. Mais cett e nouvell e politiqu e suscit e de s réserve s a u Qua i d'Orsay : »L a
France ne saurait à la fois assumer en se plaçant aux côtés de ses alliés anglo-saxons
les responsabilités les plus périlleuses et voir les garanties minima qu'elles a obtenues
vis-à-vis d e l'Allemagn e perdr e tout e consistanc e e t tout e efficacité« 56. Ell e es t
récusée par le Président d e la République, Vincent Auriol, le 11 novembre 1948 à
48 AMAE, Europe 1944-1949, Allemagne, vol. 83, V HT, 23 juin 1948, Perspectives économique s alle mandes et relèvement de l'économie française, conversations du 18 juin 1948: Alphand, Paris, Sauvagnargues, Monnet, Boutteville, Hirsch, Vergeot, van Helmont; AMAE, Europe 1944-1949, Allemagne, vol. 87, C.M./V.H., 21 août 1948, cr réunion su r les affaire s allemande s tenue s a u CGP l e 20
août 1948.
49 AMAE, Europe 1944-1949, Allemagne, vol. 83,24 juillet 1948, note du MAE, sans origine.
50 AMAE, Europ e 1944-1949, Allemagne, vol . 83, MAE, DE , 30 novembre 1948, Perspectives d'un e
politique française à l'égard de l'Allemagne; un travail de Romain Gary , jeune collaborateur d e Camille Paris, communiqué pour avis à M. Massigli et à M. Bonnet, le 17 décembre 1948.
51 Publié chez Gallimard, L'air du temps, Paris 1974, p. 143-144.
52 Voir le carton B 8800 aux Archives du Ministère de l'Economie e t des Finances.
53 AMAE, Y 1944-1949, Alphand, SEAA A à GCCFA , Berlin , Baden-Baden , 4 septembre 1948,
n°176.
54 BUFFET (voir n. 38) p. 68.
55 AMAE, CE 51, conclusion de la réunion du 2 octobre chez Ramadier.
56 AMAE, Europe 1944-1949, Allemagne, vol. 87, DAEF, LH, 8 octobre 1948, note pour le Président.
Les conceptions françaises des relations économiques ave c l'Allemagne (1943-1960) 3
5
Rethondes: »S'il est nécessaire que l'Allemagne contribue à la prospérité européenne ,
tout en assurant dignement son existence, il serait cette fois impardonnable de laisser
restaurer l'arsenal d e la Ruhr entr e les mains des complices d'Hitler o u d'une collec tivité allemande susceptible de s'en servi r contre la paix du monde« . Alphand fai t sa voir aux Etats-Unis l e 6 décembre 1948 »que le gouvernement françai s es t inquiet d e
la tendanc e qu i se manifest e actuellemen t d e refair e d e l'Allemagn e l a puissance l a
plus fort e d e l'Europe e t le centre de l'économie d u continent« 57. Les relations fran co-allemandes n e son t don c pa s normalisée s e n 1948 malgré, o u à caus e d u pla n
Marshall.
Les relations franco-allemandes dans le cadre de l'OECE
En effe t l e plan Marshal l contribu e à relever l'Allemagne . Le s Françai s n'accepten t
pas de voir l'Allemagne s e relever si rapidement. Les Etats-Unis imposent à l'Europe
occidentale d'accorder à la Trizone la clause de la nation la plus favorisée 58. La signature entre les Etats-Unis e t la zone française d'occupatio n d e l'accord ERP , en juillet
1948, met à mal l a politique français e d'occupation 59 . Le s service s constaten t e n oc tobre 1948 que la production d'acie r d e la Bizone augment e plus vite que cell e de la
France60. Il s noten t avec inquiétud e qu e l'EC A considèr e l'Allemagn e comm e l a
pierre angulaire de l'ERP61 . La France retrouve l'Allemagne su r les marchés d'expor tation. Ses industriels dénoncent l e dumping allemand, même si Alphand, expressio n
des modernistes a u Quai, demande d'exporter l e fer e t la fonte d e Lorraine vers l'Al lemagne62. Les Français s e battent pour réduir e l a part d'aide américain e affecté e à la
Bizone au détriment d e la France. Mais l'aide à la Bizone est augmentée de $120 millions et celle à la France diminuée de $ 45 millions63. En 1949, la Trizone, i.e. de facto
les Etats-Unis, refuse d e favoriser l e commerce français. Ell e refuse d'achete r massi vement l'acier, les fruits e t légumes, les vins français; elle refuse d e vendre le bois allemand. Ell e aggrave son défici t avec la zone dollar 64. L a victime de l'Allemagne subi t
le redressement d e l'agresseur .
Le fait qu e le plan Marshall profite plu s à l'Allemagne qu' à la France, renforce-t-i l
le clan des réalistes ? L e discour s d e Vincent Aurio l es t un discour s d'arrêt . Mai s le s
services font de s propositions. En mai 1949, la DAEF imagin e la création d'entente s
industrielles entr e la France, le Bénélux e t l'Allemagne pou r diminue r l a concurren ce65. La France veut évite r qu e l'Allemagn e import e à outrance de s Etats-Unis . Ell e
57 AMAE, Y 1944-1949, vol. 373, DAEF à Washington, 7 décembre 1948, n° 5467-71.
58 AMAE, CE 48, VL, 2 juillet 1948, note, Accord bilatéral, échange de note relatif à l'Allemagne.
59 AMAE, C E 51, 22 juin 1948, réunion interministériell e d u 21 juin 1948, projet d'accor d bilatéra l
entre la ZFO e t les USA (ERP) .
60 AMAE, CE 49, Baraduc, 22 octobre 1948, DAEF, a/s production d'acier en France.
61 AMAE, CE 50, Bonnet, 1 décembre 1948,21h 15, n° 975-76.
62 AMAE, CE 49, HA, 1 septembre 1948, note pour le Président.
63 AMAE, CE 49, Alphand, 9 septembre 1948, tel. à Washington.
64 AMAE, CE 53, GB, Paris, 6 juillet 1949, tel. à Washington n° 3744, Alphand, p.o., a/s programme allemand d'importations .
65 AMAE, Europ e 1944-1949, Allemagne, vol . 96, note, Coopératio n économique , VL, 20 mai 1949,
Concurrence allemand e sur les marchés d'exportation .
36
Gérard Bossuat
se méfie des investissements allemands réalisés grâce à la contre-valeur de l'aide. Elle
demande que l'Allemagne accepte davantage de biens non essentiels, les seuls disponibles e n Franc e pou r l'exportation . Ell e réfut e l a conceptio n allemande , e n fai t
américaine, d'une ouverture libérale des frontières économiques entre l'Europe et les
Etats-Unis66. Les vigoureuses protestations françaises fon t reveni r les Américains à
de meilleures dispositions mais les Français constatent qu'en se fermant à la production européenne, l'Allemagne risque de décourager l'effort d'équipemen t de l'industrie européenne.
Le débat sur la dévaluation du DM
En septembre 1949 le problème de la dévaluation du D M manifeste bie n les intentions françaises. La décision concernant la valeur de la monnaie allemande dépend de
la Haute Commission alliée. Les Français justifient leur s positions au nom de l'intégration d e l'économi e Allemand e dan s l'économi e européenne 67. Mai s Alexandr e
Parodi, Secrétaire général du Quai d'Orsay, saisit l'occasion pour réviser les relations
entre la France et la Trizone. L'affrontement su r le DM est aussi un problème francoaméricain. Les Français désirent que les consommateurs allemands payent plus cher
leur charbon, ou que les prix intérieurs et extérieurs du coke allemand soient égalisés.
Ils proposent un e faibl e dévaluatio n a u no m d e l'intégratio n d e l'Allemagne dan s
l'économie européenne 68, mais surtout pou r n e pas favoriser le s exportations alle mandes. Les instructions reçues de Paris le 18 septembre 1949 sont sans ambiguïté:
»Le gouvernemen t françai s désire , pou r évite r l a concurrenc e allemand e su r le s
marchés extérieurs, que le Mark ne soit pas dévalué dans la même proportion qu e
la livre, ni mêm e que le franc«. I l propose don c 10% puis 15% »au gran d maxi mum«69. Or le s Américains étaien t décidé s à dévaluer fortemen t l e Mark (d e 20 à
25%). McCloy expliqu e que le gouvernement américai n veut favoriser le s recettes
d'exportation de l'Allemagne pour diminuer la charge des contribuables américains.
Britanniques e t Américains s'accorden t su r 20%. Erhard veut 25%. Les Françai s
menacent de revenir sur la libération des échanges intereuropéens 70. Parodi accepterait de transiger à 20% si les Allemands et leur mentor américain abandonnent les
pratiques discriminatoire s su r le prix du charbo n alleman d à l'exportation. Rome ,
Bruxelles, Luxembourg approuvent la France. Les Hauts Commissaires envisagen t
20% ou 22,5% et une égalisation de s prix d u charbo n alleman d aprè s la dévaluation71. Le 22 septembre Parodi donne l'instruction d e ne pas aller au delà de 20%.
66 AMAE, DE-CE, vol. 368, GB, CE, 6 juillet 1949, Alphand, p.o., projet alleman d d'importatio n
pour 1949-1950.
67 AMAE, CE 83, Coopération économique, A. Parodi, 18 septembre 1949, à Haussaire Bonn.
68 AMAE, CE 83, Schneiter, 21 septembre 1949, à Bonn 61-65.
69 AMEF, B 43718, HCRFA, DG des Affaires économiques et financières, PLB, Baden-Baden, 18 septembre 1949, note pour M. l'Ambassadeur de France, Haut Commissaire de la République, objet:
dévaluation éventuelle du Mark.
70 AMAE, CE 83, A. Parodi, 22 septembre 1949, à Washington, 4980-83; AMEF, B 43718, tel. départ,
22 septembre 1949, n° 2137, Parodi à Bonn, Washington et Londres, communiqué à Guindey, Filippi, Schweitzer, Perrineau.
71 AMAE, CE 83, François-Poncet, n° 712-716,24 septembre 1949.
Les conceptions françaises des relations économiques avec l'Allemagne (1943-1960) 3
7
L'ECA et l'ambassade américaine sont en désaccord. Après 11 heures de conversations franco-américaine s su r l e prix d u charbo n l e 27 septembre, l a décision es t
prise pa r le s Haut s Commissaire s l e 28 septembre 1949 à 7 heures d e fair e un e
dévaluation d e 20%. La Haut e Commissio n n' a pa s voulu l e taux d e 25% pour
éviter un développement excessi f de s exportations allemandes. »Il est normal que
la Haute-Commissio n ai t élev é un e digu e contr e u n débordemen t de s exporta tions allemandes qui eût submergé les autres Etats d'Europe occidentale«, dit François-Poncet72. Adenauer es t forcé d'accepte r cett e dévaluation 73. Mais il refuse d e
laisser augmenter le prix du charbon allemand sur les marchés intérieurs. Il refus e
de reconnaître les discriminations e n faveur d u marché intérieur du charbon allemand. Cette négociation a nourri la frustration allemand e et française. Ell e est la
dernière manifestation d'un e politique française »d'endiguement « économiqu e de
l'Allemagne a u titr e de s prérogatives d e vainqueur d e l a Seconde Guerr e mon diale. Elle ne contribue pas à encourager le nouveau cours des relations franco-al lemandes.
Conclusion
Les Français on t tent é maladroitemen t d e se prémunir contr e un e revanch e allemande en tentant d e réduire l a force d e l'économie allemande . Ils ont favoris é a u
maximum l e développemen t d e l'économi e français e e n cherchan t à élimine r l e
concurrent allemand . Cett e politiqu e a ét é combattu e pa r certain s cercle s poli tiques français avan t le plan Marshall. Mais le plan Marshall l'a fai t échouer , dans
une ambianc e d e suspicion e t de trahison de s intérêt s français . Le s Français son t
sur la défensive. Il ne peuvent plus rien imposer. Ils s'efforcent d e sauver à la petite
semaine les intérêts économiques français introduit s en Allemagne à la faveur de sa
défaite74. L a faibless e politico-économiqu e d e l a Franc e l'oblig e à accepte r un e
coopération forcé e ave c l'Allemagne: »Notr e économi e es t liée au plan Marshall ,
plan qu i s'appui e su r l'intégratio n économiqu e d e l'Allemagne occidental e e t su r
un partage de prospérité«, reconnaît le Quai d'Orsay 75. Si le diagnostic est fait avec
justesse, la définition d'un e politique cohérente tarde. Les gouvernements ont une
grande part d e responsabilité. Elle est atténuée par l'état d'espri t généra l qui diabolise l'Allemagne et espère encore un affaiblissement durabl e de l'éternel ennemi.
La naissance d e la RFA donne à la France u n vrai partenaire. L'heur e d e vérité a
sonné aprè s le s accords d e Washington d u 8 avril 1949 et ceux du Petersber g d u
22 novembre 1949. La France doit choisir entre le dépit et une raisonnable coopération.
72 AMEF, B 43718, Bonn, 28 septembre 1949, en clair, François-Poncet.
73 AMAE, CE 83, François-Poncet, Bonn, 28 septembre 1949, n° 135; par ailleurs le dollar est passé de
272 FF à 350 FF et la £ de 1097 FF à 980 FF; dans le premier cas le FF a été dévalué par rapport au
dollar et dans le second le FF a été réévalué par rapport à la £.
74 AMAE, Y 1944-1949, vol. 326, CCFA, Baden-Baden, 10 mai 1949, note sur le contrôle de l'industrie
allemande.
75 AMAE, Europe 1944-1949, Allemagne, vol. 83, MAE, DE, 30 novembre 1948, Perspectives d'une
politique française à l'égard de l'Allemagne.
38
Gérard Bossuat
IL Le temps de la Vigilance (1949-1954)
En dépi t de s tendance s nouvelle s qu i on t ét é décelées e n 1948, des modification s d e
l'environnement internationa l e t intereuropéen , le s relation s économique s d e l a
France avec l'Allemagne resten t prudentes .
L'offre allemande
L'Allemagne a tenté, la première semble-t-il , d'entrer e n coopération avec la France.
Franz Blücher, ministre d e l'ERP , expliquait : »L a premièr e tâch e qu e l'Allemagn e
doit s e fixer es t une entente économiqu e avec la France qui ne soit pas seulement u n
modus vivendi mais qu i puiss e tou t naturellemen t conduir e à un e entent e poli tique«76. Adenauer propose bizarrement à la France de participer a u fonctionnemen t
de l'industri e allemande . Le s Françai s auraien t l e droi t d e siége r dan s le s conseil s
d'administration de s société s allemande s financée s pa r le s capitau x américains 77.
Adenauer incit e l e banquier Pferdmenge s à établir de s contact s ave c le s milieu x in dustriels français 78. En effet l'investissemen t françai s e n Allemagne est faible 79.
Capitaux investis en Allemagne en 1949 (en millions de DM )
France Pays-Ba
200 90
s US
0 130
A Grande-Bretagn
0 50
e UEB
0 18
L tota
0 308
l
0
La RFA fait des efforts manifeste s d e séduction. Elle pense en retour être accueillie
dans une petite Europe en gestation, le Finebel, une association économique et finan cière. Schuman y es t favorable. I l n'a pas su entraîne r l e gouvernement français . Le s
milieux économique s e t financier s allemand s s'intéressen t à l'Afrique française . Le s
autorités française s dan s l a ZF O désignen t le s entreprise s allemande s intéressante s
aux milieu x économique s français 80. Bref ! le capitalism e alleman d s e réveille . Ade nauer propos e un e unio n économiqu e franco-allemand e l e 22 mars 1950, curieusement formulée lor s d'une intervie w faite par Kingsbury-Smith 81.
Une offre partagée?
La répons e français e n'es t pa s unanime . Commen t répondr e favorablemen t quan d
on souhait e e n Allemagn e un e Franc e agricole ? Cett e perceptio n traditionnell e de s
76 Le Monde du 8 novembre 1949, cité par Françoise BERGER , Le s relations économiques d e la République Français e ave c l a Républiqu e fédéral e d'Allemagn e 1949-1955, maîtrise Pari s I, directeur
R. Girault , 1991, p. 29; AMAE, C E 53, Bonn, Bérard, 5 novembre 1949, 507, Conférence d e presse
de Blücher, suite à la réunion de l'OECE.
77 AMEF, B 8801, tel. HCRF Bonn , 15 octobre 1949, à CGAAA, 340.
78 Konra d ADENAUER, Briefe 1947-1949 , bearb. von Hans-Peter MENSING , Berlin 1984, lettre à KindtKiefer, 30 mars 1948, cité par Laurent STRAUSS , Les relations d'Adenauer ave c les responsables poli tiques français, mai 1949-mai 1955, maîtrise Paris-I, directeur R. Girault, 1988, p. 113.
79 AMEF, B 8801, HCRF Baden-Baden , 17 janvier 1950, René Pias, IG des territoires occupés, parti,
études de Favereau, chef de service à la division économique et financière, du 20 décembre 1948, participation des entreprises françaises en Allemagne.
80 Voir n. 79.
81 AMEF, B 43622, MAE, JD B/DAEF, 31 janvier 1950, très confidentiel, 900, fiche pour Guindey .
Les conceptions françaises des relations économiques avec l'Allemagne (1943-1960) 3
9
Français par les Allemands rappelait étrangement le temps de l'Europe d'Hitler. C e
type de coopération maladroitement - et volontairement? - présentée n'était pas acceptable par les Français. Au moment de Finebel, un député socialiste français, Francis Leenardt, réagit avec brio: »L'Allemagne intégrée dans un groupemen t régiona l
c'est l a France jardi n potager , c'es t l e rêve d'Hitle r réalis é malgr é s a défaite, c'es t
l'Europe allemande« 82. Léon Blum dénonça aussi le »trust franco-allemand«. L'Eu rope se ferait avec l'Allemagne et non pour l'Allemagne 83.
Pourtant, commen t n e pas teni r compt e d e l'Allemagn e comm e l'écri t u n hau t
fonctionnaire français , Pierre Baraduc, en janvier 1950: »La constitution d'une association régionale à laquelle l'Allemagne serait invitée à participer apparaîtrait comme
particulièrement opportune« 84. Cette opinion est partagée par un socialiste influent ,
Pierre-Olivier Lapie, député de Lorraine. Il désire une entente Lorraine-Ruhr. Pierre
Pflimlin, MRP (démocrate-chrétien), ministre de l'Agriculture, voit l'intérêt économique d e renforce r le s exportation s agricole s ver s l'Allemagne 85, alor s qu e Simo n
Meyer, directeur de l'Economie générale et des Finances auprès du Commandement
français e n Allemagne , le s justifi e pou r de s raison s d e sécurit é politique 86. Andr é
François-Poncet, Haut Commissaire de la République en Allemagne, encourage vivement le gouvernement à signer un accord commercial ave c l'Allemagne (fi n 1949) 87.
Mais il rejette l'offre d'Adenaue r d'union économique du 22 mars 1950. Qu'Adenauer
s'adresse au Haut Commissaire et non pas à la presse américaine! Adenauer ne l'a-t-il
pas fait d'ailleurs pour sortir l'Allemagne de ses difficultés d e paiements?
Du côté des producteurs français, l'offre allemand e était redoutée et attirante. L'Allemagne peut fournir des biens industriels achetés jusqu'alors dans la zone dollar. Mais
l'industrie français e dénonc e le dumping allemand. En mai 1949 la commission d'information sur l'Allemagne du Conseil de la République, présidée par E. Pezet , accepte
le relèvement de l'Allemagne mais s'inquiète pour la France: »Le problème de la sécurité vis-à-vis de l'Allemagne se pose en termes économiques bien plus que militaires«88.
Pourtant les signes d'une normalisation se multiplient quand l'Allemagne entr e à
l'OECE l e 31 octobre 1949. Certes la RFA suscite des appréhensions et les Français
veillent à maintenir les distances. Alphand repousse la participation de l'Allemagne
au group e consultati f d e coordinatio n de s exportation s d e produit s stratégique s
(COCOM)89. Toutefois Français et Allemands évoquent un accord commercial. Les
divergences se banalisent. Les Français et les Allemands discutent de s mérites réci82 AN, F 60 ter, vol. 472, cr des séances de l'Assemblée nationale, l ere séance du 24 novembre 1949,
J.O.,p.6217.
83 Gérard BOSSUAT, La SFI O et la construction européenne (1945-1954), in: Cahier s Léon Blum, n° 21,
1987, La SFIO et la politique extérieure de la France entre 1945 et 1954, p.45; Le Populaire, 19-20
novembre 1949, in: Léo n Blum, Œuvres 1947-1950, Paris 1963, p. 302.
84 AMAE, CE 56, PB CE, 7 janvier 1950, note pour le comité interministériel, coopération européenne.
85 Le Monde du 15 novembre 1949, cité par BERGE R (voir n. 76) p. 38.
86 AMEF, B 33887 et B 8875, S. Meyer, Bad Godesberg, 11 janvier 1950, publiée aussi dans Gérard
BOSSUAT, D'Alger à Rome (1943-1957), choix de documents, GEHEC, Louvain-la-Neuve 1989, p. 113.
87 AMAE, CE 53, François-Poncet, Bonn, 13 septembre 1949, n° 19-20.
88 AMAE, Europe 1944-1949, Allemagne, vol. 84, Rapport de l a commission d'information sur l'Allemagne, 25 avril-5 mai 1949, Conseil de la République.
89 AMAE, CE 53, Alphand, Paris, 21 décembre 1949, n° 945, Haussaire.
40
Gérard Bossuat
proques d e l'économie administré e et de la libération général e des échanges. Anglais
et Français enregistren t l'amélioratio n d u commerc e alleman d su r le s marchés tiers .
L'état généra l de l'Allemagne s'améliore 90.
Production e t consommation d e charbon e n Allemagne (1946-1948)
(en millions de tonnes )
année charbo
n allemand charbo
n allemand
(production) (consommation
)
1946 57,
1947 75,
1948 91^
8 51,
8 70,
28
0
9
4
Production e t consommation d'acie r e n France, Allemagne et Grande-Bretagn e
(1946-1958) (en millions de tonnes )
année Franc
e Allemagn
e Grande-Bretagn
(prod./cons.)
1946
1947
1948
1958
- 2,7/
2 3,2/3,
6 5,7/6,
- 27,5/
4,7/
6,4/6,
8,5/7,
15/
- 12,9/
6 12,9/11,
4 15,1/13,
- 22/
e
-
6
5
-
Exportations d e biens d'équipements d e la France, de l'Allemagne e t de la
Grande-Bretagne (1947-1948) (en millions de dollars )
année Franc
1947
1er sem. 1948
2e sem . 1948
e Allemagn
115
106
143
e Grande-Bretagn
5 67
19 86
29
e
0
7
993
La négociatio n d e l'accor d commercia l franco-alleman d d u 10 février 1950 (novembre 1949-févrie r 1950) a ét é âpr e - »le verb e es t plu s qu'excessif « -, ponctuée
d'interruptions d e séances , d e menace s e t d'ultimatums , l'autr e étan t bie n entend u
toujours l'éterne l coupable 91. François-Poncet , promp t à trace r u n portrai t d'un e
plume incisive , n'hésite pa s à dire d'Adenauer qu'i l es t parfois »violent« , »ambigu« ,
et Bérard le traite de »maître-chanteur«. Mais il a aussi de l'admiration pou r le relèvement allemand . L a direction d'Europ e d u Qua i es t parfois trè s ambiguë . A l a veille
du pla n Schuma n ell e n'écart e pa s un e tutell e de s puissances occupante s su r l'Alle magne92. Voil à don c qu'émerg e régulièremen t l e thèm e d e l a Franc e violenté e pa r
l'Allemagne, alors que de nouveaux rapports économique s son t tissés en février 1950,
90 AMAE, DE-CE, vol. 368, note du 18 mai 1949, a/s concurrence allemande sur les marchés tiers.
91 Françoise BERGER, Le s relations économiques de la République française avec la République d'Allemagne (1949-1955), Bulletin IPR, n° 4, été 1992, p. 68.
92 AMAE, Europe 1949-1955, Généralités, DE, 7 avril 1950, note sur l'intégration de l'Allemagne dans
l'Europe occidentale.
Les conceptions françaises des relations économiques avec l'Allemagne (1943-1960) 4
1
et que par solidarité le gouvernement français accept e des importations allemandes
supplémentaires dan s l'Union français e pou r améliore r la balance commerciale de
la RFA.
Le plan Schuman du 9 mai 1950, l'instrument des nouveaux rapports
Faut-il mettre le plan Schuman au chapitre de la défiance française enver s l'Allemagne ou à celui de la confiance? L a thèse officielle es t connue; Schuman a voulu une
politique de confiance.
Jean Monnet espère mettre l'industrie française en état de concurrencer l'industri e
allemande. Il s'agit donc de corriger l'avantage naturel dont bénéficie l'Allemagne (le
charbon) e n établissan t de s règle s commune s d e concurrence. 93 L e projet Monne t
sert les intérêts économiques à court terme de la France. Il fait disparaître la domination de l'industrie allemand e su r l'industrie français e ains i que la peur. Il a une dimension idéale de construction européenne fédérale par nécessité.
Le plan Schuman est une mesure de confiance envers l'Allemagne. Mais il rassure
aussi les méfiants, car il bride l'Allemagne non par l'action unilatérale mais par celle
d'une Haute Autorité. Il ne normalise pas encore les rapports franco-allemands puisqu'il les place dans la sphère éthérée de la supranationalité. Le projet a été vigoureusement contesté par les Finances qui préféraient l a coopération à l'OECE a u tête-àtête franco-allemand e t à la Haute Autorité. Cependant i l ouvre un espac e pour la
coopération franco-allemande. L e projet de pool vert, un des »clones« du plan Schuman, est un moyen de parler des problèmes économiques franco-allemands à travers
une rhétorique »européenne« . L'agriculture française veu t vendre en Allemagne. Le
succès des exportations dépend de la fin de la méfiance franco-allemande 94. Le s projets européens ont le pouvoir »magique« de reléguer les affrontements nationaliste s à
un passé lointain. La France a très largement profité de la libération des échanges inaugurée par l'accord d e commerce du 10 février 1950. Le plan Schuman renforce la
tendance favorable à la France dans les échanges avec l'Allemagne95. Dire que l'Europe est un objectif commu n aux Allemands et aux Français est une déclaration de paix
symbolique e t nécessair e pou r surmonte r le s affrontement s économique s e t com merciaux réels.
La négociatio n d u trait é d e Pari s su r l a CECA, plu s qu e l e traité lui-même , a
donné l'occasion aux Français de réaliser un de leurs objectifs de 1945: la décartellisation de l'industrie allemande. Monnet croit sans aucun doute à la naissance d'une Europe supranationale, unie, où l'Allemagne aura les mêmes droits. Mais il entend aussi
donner aux Français des garanties de sécurité96. La négociation est l'occasion de réaliser la fameuse décartellisation des industries allemandes prévues par l'ex loi 75 de la
Bizone et la nouvelle loi 27. Un accord a été conclu entre les Français, les Anglais et
93 FJME, AMG 1/1/6, Jean Monnet, 3 mai 1950, »De quelque côté qu'on se tourne...«.
94 FJME, AMF 15/6/15, Valay, 6 juin 1950, Ministère de l'Agriculture à M. le Ministre de s Affaire s
étrangères, à l'attention personnelle de M. Schuman.
95 AMEF, B 8875, S. Meyer, échange s commerciau x France-Allemagn e occidentale , ma i 1950 [date
probable]; Simon Meyer est le directeur général de l'Economie et des Finances en ZFO.
96 FJME, AMG 6/6/6bis, 16 septembre 1950, J.M. à R.S.
42
Gérard Bossuat
les Américains le 22 décembre 1950. Mais Monnet est d'avis, tout comme FrançoisPoncet, d'associer le gouvernement de la RFA à cette décartellisation97.
La décartellisation est justifiée par le fait que les ententes donnent aux industriels
allemands des avantages sur leurs concurrents européens (économie d'échelle, sécurité d'approvisionnement, ententes sur les prix, petit nombre de centres de décision).
Les industries française s n e peuvent lutter à armes égales face à »des Konzerns tels
que ceux qui existaient autrefois et qui contrôlaient simultanément une partie importante de la production de charbon, acier, industries mécaniques et transports« explique Monnet. Ainsi prendra fin »l a domination de s magnats de la Ruhr su r la politique allemande« 98. Les alliés proposent la dissolution du Deutscher Kohlenverkau f
(DKV) avant le 1 er octobre 1952, la constitution d e 27 sociétés sidérurgiques indé pendantes à la place des 12 anciennes, la limitation de la liaison sidérurgie-charbon à
11 entreprises sidérurgiques et à 75% de leur besoin de coke. Mais pour amadouer les
Allemands qui suspendent le s négociations d u plan Schuman en décembre 1950, le
gouvernement français décide d'accepter la dissolution de l'AIR99.
Malgré les très vives réactions des milieux industriels et politiques allemands 100, le
14 mars 1951 Adenauer accepte la décartellisation e t la loi 27 de la Haute Commission Alliée101. Le traité est signé en avril 1951. L'accord de décartellisation contribue
efficacement à évacuer partiellement le s peurs françaises d'un e submersion de la sidérurgie française pa r la sidérurgie allemande. Mais il faut tout e l'habilet é e t la volonté de Monnet pour faire appliquer les mesures arrêtées le 14 mars.
Les questions sidérurgiques ont donc pesé très lourd dans les rapports franco-allemands. Le plan Schuman n'a pas tout réglé. Les Français surveillent de très près les
projets allemands d'investissements dans la sidérurgie. Français et Britanniques refu sent les projets concernan t August Thyssen à Hamborn e t les Hüttenwerke à Wattenstedt102. L'offre d e Flick de vendre aux Français la mine Harpener témoigne-t-elle
d'un nouvea u cour s dans les relations franco-allemandes 103? L'affair e découl e de la
décartellisation. L'Etat a approuvé l'achat 104. Cet intérêt des sidérurgistes français e t
de l'Etat pour Harpener témoigne d'un manque de confiance dans les pouvoirs d'égalisation de la Haute Autorité. Le message signifiait qu'i l valait mieux posséder un e
mine allemande que s'en remettr e à la Haute Autorité. Alain Poher y voyait un intérêt politique et pratique pour l'avenir de la sidérurgie française dan s la perspective
97
98
99
100
101
102
103
104
FJME, AMG 6/6/3, Monnet, note pour Monsieur Schuman.
FJME, AMG 20/5/5,22 décembre 1950, Jean Monnet au Président Schuman.
FJME, AMG 13/2/1,1 mars 1951, J. Monnet, projet de lettre aux chefs de délégation.
FJME, AMG 13/2/10, mémorandum su r la déconcentration de la Ruhr et la conclusion des négociations du plan Schuman, 8 mars 1951.
FJME, AMG 13/3/6, lettre du chancelier Adenauer à la Haute Commission Alliée, application de
la loi 27 de la Haute Commission Alliée.
AMAE, CE 71, O.W., 31 août 1952, tel. à Bonn, n° 3955.
AMEF, 1 A 461, affaire Harpene r Bergbau, réunion du 30 juillet 1953 (Charvet, Blot, Schweitzer,
Nathan, Delouvrier etc.).
Le prix de vente est de 200 millions de DM, soit 35 millions de dollars ou 16 milliards de FF. La
mine produisait 6 millions d e tonne s d e charbo n cokéfiabl e pa r an . Le s sidérurgiste s accepten t
d'emprunter 15 milliards de francs à 4,1/2% (AMEF, B 43622, Chambre syndicale de la Sidérurgie
française, service 431,23 février 1953, à M. René Mayer, président du Conseil des ministres, possibilités d'acquisitions par la France d'un domaine houiller dans la Ruhr).
Les conceptions françaises des relations économiques avec l'Allemagne (1943-1960) 4
3
du march é commu n d e l'acier 105. L e groupemen t de s sidérurgiste s français , SIDE CHAR, repren d l a mine e n 1954 106. Avec l'argent reçu , Flick a acquis des participa tions dan s Neuves-Maisons , e t e n Belgiqu e che z Hainaut-Sambre . E n avri l 1956 la
transaction es t présentée par l'ambassade de France comme une bonne affaire pou r la
coopération intereuropéenn e alor s qu'ell e es t lié e en 1953 à une pris e d e gag e fran çaise dans la Ruhr 107.
Quelques année s plu s tar d le s Français doiven t s e rendre à l'évidence. Le s entre prises sidérurgique s allemande s s e reconcentrent dan s l a sidérurgie. L a décartellisa tion est un échec et la Haute Autorité de la CECA a laissé faire.
Le contrôle du charbon de la Ruhr par les aciéries
1949 6
1953 (loi 27) 1
1955 24,5
1956 3
0%
4%
%
8%
Avant l a guerre neu f aciérie s contrôlaient 95% de l'acier d e la Ruhr, e n 1956 neuf
aciéries contrôlent 75% de l'acier de la Ruhr108. »L'aveni r montrera s i cette évolutio n
doit êtr e considéré e comm e dangereuse « écri t san s convictio n Andr é François Poncet109.
Le regard de l'autre à l'OECE
L'ère d u soupço n continu e à l'OECE. Le s Français s'étonnen t d u défici t alleman d à
PUEP e n 1950. »Il es t probabl e qu e l'Allemagn e pratiqu e un e politiqu e délibéré e
d'importations massive s d e manièr e à pouvoir tire r part i d e so n endettemen t pou r
imposer plus tard ses produits à ses créditeurs« écrit Baraduc, un homme du nouvea u
cours110. So n défici t s'accroî t e n octobr e 1950. Les réaction s d u Qua i d'Orsa y son t
extrêmes. L'Allemagn e agi t contr e le s »principe s d e l a collaboratio n européenne «
écrit J . L . Mandereau 111. L a délégatio n français e dénonc e le s solution s protection nistes et nationales de l'Allemagne. L'aggravation d e la situation allemande en févrie r
1951 pousse le s Finances à inciter l e Haut Commissair e françai s à intervenir auprè s
105 AMEF, 1 A 461,24 juillet 1953, A. Poher à E. Faure, Ministre des Finances.
106 AMEF, B 43622, HCRF, François-Poncet, 19 juin 1954, à Georges Bidault, cession de la mine Harpener à des intérêts français approuvé e par les délégués d'associations minières . [SIDECHAR es t
constituée d e Châtillon-Commentry e t Neuves-Maisons, l a Chiers, Knutange, Lorraine-Escaut ,
Société métallurgique de Normandie, Pont-à-Mousson, La Providence, UCPMI, SIDELOR, USINOR.]
107 AMEF, B 43622, F. Leduc, chargé, Louis Joxe, ambaF en RFA, 18 avril 1956, n° 542, à Christian
Pineau.
108 AMAE, Europe 1956-1960, Allemagne, vol. 74, E. Dennery amba F en Suisse à MAE, 11 février
1956, ententes et concentrations industrielles dans la Ruhr; d'après le Berner Tagblatt.
109 AMAE, DE-CE, vol. 368, A. François-Poncet, 16 mai 1955, à MAE, A. Pinay.
110 AMAE, CE 54, JPB, 29 avril 1950, note, Echanges commerciau x d e l a France ave c les pays d e
l'OECE.
111 AMAE, CE 71, JLM, Coopération économique, 27 octobre 1950, note pour le président, Situation
de l'Allemagne vis-à-vis de l'UEP.
44
Gérard Bossuat
d'Adenauer112. Le s alliés parlent d'établi r u n comité de tutelle sur l'Allemagne.113 Ni
la France ni la Grande-Bretagne n e sont disposée s à accorder d e nouveaux crédit s à
l'Allemagne. Ce s réactions française s susciten t de s insinuations. La France forcerai t
l'Allemagne à acheter des produits alimentaire s et des matières premières françaises .
François-Poncet recommand e qu e de telles vente s »n e prennent pa s de proportio n
anormale«. Il plaide pour l'équilibr e de s échanges franco-allemands, l'ouvertur e des
marchés des T.O.M. français, ouverture qu'Erhard »dan s une certaine mesure, et non
sans raison, considère comm e un corollaire du plan Schuman« , écrit-il 114. Or les administrations française s hésiten t manifestemen t à équilibre r le s échange s entr e l a
France et l'Allemagne. Elle s entendent pousse r le s ventes françaises a u maximum 115.
Car la France se rend compte que l'Allemagne redevient puissante en dépit de ses difficultés, comme le montrent le s progrès stupéfiant s de s investissements allemand s et
de la production de machines-outils:
Effort alleman d d'investissement s
% d'investissements ne t (après amortissement) par rapport au PNB116
année Grande-Bretagn
1949 12,
1950 10,
1951 12,
6 13,
8 12,
2 15,
e Franc
e RF
A
2 16,
3 16,
1 20,
8
7
2
Production allemand e de machines-outils
année e
1949 5697
1951 13105
1952 (prévisions)
n tonnes
3
3
170 000
D'ailleurs en 1953 l'Allemagne triomph e à l'UEP qu i lui rembourse de s excédent s
en or 117. En 1954 l'excédent tota l cumulé de l'Allemagne à l'UEP es t de 1 milliard de
dollars. L'Angleterre, en difficulté, demand e à l'Allemagne u n plan de bon créancier.
La France entre à son tour dans un déficit important à l'UEP. Désormais l'Allemagn e
critique la France.
Résistances françaises dans les T.O.M.
Le Bavarois Johannes Semler, député CSU en 1952 et délégué allemand au Conseil de
l'Europe, militai t pou r un e contribution allemand e a u développement de s T.O.M.
112 AMAE, CE 72, TCT, Finances, à MAE, 19 février 1951, RFA et EPU pour Haussaire, Bonn.
113 AMAE, CE 72, PAC, 16 mars 1951, note, L'Allemagne, conversations avec Sir Edmund Hall-Patch
et Charpentier.
114 AMAE, CE 72, Bonn, 6 avril 1951, n° 2141-43.
115 AMEF, B 8875, note de réunion, Relations économiques franco-allemandes, 20 janvier 1951.
116 AMAE, DE-CE, vol. 368, DGAEF, n° 8289, Bad Godesberg, 3 octobre 1952, Investissements en
Grande-Bretagne, France et RFA.
117 AMAE, CE 72, J.M. 1227,14 octobre 1953, à ambaF Haussaire, Bonn, a/s position de l'Allemagne
à l'UEP.
Les conceptions françaises des relations économiques avec l'Allemagne (1943-1960) 4
5
français. Fallait-i l souteni r le s ZOI A d e Labonn e e t aide r a u développemen t
d'industries d'armemen t e n Afrique Noir e ou du Nord? Eirik Labonne rêve d'une
participation allemand e à la ZOIA n° l (Su d de l'Algérie, Sahara) 118. Mais la pru dence réfrène l'enthousiasm e d e Semler. L'Institut économiqu e d e Munich (IFO )
souligne la précarité des plans imaginés à Paris119. En septembre 1952, Semler soumet à l'Assemblée européenn e de Strasbourg un »plan d'Union colonial e EuropeAfrique, pour la mise en valeur des territoires africains dépendan t de la France, de
la Grande-Bretagne et de la Belgique«120. Il prévoit la création d'une Banque européenne d'investissements . L e thèm e d e l'Eurafrique , un e vieill e idée , revenai t à
l'ordre d u jou r e n Allemagne. Le délégué français à l'Office Militair e d e Sécurité
(OMS) juge l'Afrique comm e un »magnifiqu e terrai n d e jeu« pour l a force d'ex pansion allemande 121 et François-Poncet comm e le cadre de l'expansion économi que allemande, d'après le s industriels allemands 122. Des projets concret s son t étu diés à partir d e février 1952 dans le cadre de la ZOIA n ° 1: charbon d e Djerada ,
groupe d'industries dan s la région de Colomb-Béchar, fabricatio n aéronautiqu e à
Agadir.
Cependant le s Français n e sont pas disposés à s'appuyer résolumen t su r l'espri t
»d'expansion« de s industriel s allemands . L'attentism e prévaut . L e ministèr e d u
Commerce et de l'Industrie et celui des Colonies récusent la présence allemande, hésitent sur la demande d'un consula t allemand à Casablanca. Les articles de la presse
allemande sur le sort des anciennes colonies allemandes comme le Togo ou le Cameroun indisposent les fonctionnaires français. En mai 1954 le Quai d'Orsay prend des
mesures d e précaution s concernan t le s visa s délivré s au x ressortissant s allemand s
pour l e Togo et le Cameroun. O n surveill e de près une mission minièr e allemand e
aux confins AEF/Libye.
Conclusion
La période 1949-1954 est donc à la fois celle d'une immense espérance avec le plan
Schuman. Mais est-il bien le reflet d'une évolution des esprits envers l'Allemagne? Le
plan Schuman correspond au courant favorable à une nouvelle donne avec l'Allemagne. Il est dans l'esprit de ceux qui ont toujours refusé d'écraser l'Allemagne, sachant
combien i l serai t inquiétan t d e s'engage r encor e dan s l e cycl e d u mépris . Mai s
l'Allemagne rest e suspecte , d'autan t plu s qu'ell e connaî t croissanc e e t réussit e
économiques. So n appéti t pou r l'expansion , comm e di t Andr é François-Poncet ,
n'est-il pas périlleux pour la France?
118 AMAE, Europe 1949-1955, Allemagne, vol. 475, note de Eirik Labonne du 8 mars 1951.
119 Constance KOUKOUI , L'Afrique francophone au Sud du Sahara 1950-1960. Entre convoitise allemande et chasse-gardée française, maîtrise Paris-I, directeurs R. Girault, G. Bossuat, 1992, p. 67.
120 Ibid . p. 82.
121 Ibid . p. 102.
122 AMEF, 1 A 461, HCRFA, 17 juillet 1953, 1447/Eu, ambaF en Allemagne, a/s tractations francoallemandes au sujet du Maroc.
46
Gérard Bossua t
III. 1954, Mendès France, un fondateur méconn u
de Pentente franco-allemand e
Mendès Franc e e n arrivant a u pouvoir e n juin 1954 appréciait l e succès économiqu e
allemand. Il perçoit l'Allemagn e comm e une voisine avec laquelle des relations ami cales son t souhaitables , mai s auss i comm e un e concurrente 123. I l croi t l'Allemagn e
redoutable pou r l a France. Mai s le s Françai s doiven t conveni r qu'il s on t besoi n d e
biens d'équipemen t e t d u march é allemands . L'amélioratio n d e l a situatio n écono mique allemande, les gains réalisés par l'Allemagne à l'UEP124 , le règlement des dettes
allemandes e n dollars e t en sterling l e 27 février 1953, montrent à l'envie qu e l'Alle magne neu f an s aprè s s a défaite es t rétablie . E n conséquenc e la confianc e es t pré férable.
La rencontre décisive de la Celle St-Cloud
Quand Pierr e Mendè s Franc e rencontr e Adenaue r e n octobr e 1954, les relation s
franco-allemandes reviennen t de loin. Adenauer a accusé la France d'avoir trahi l'Eu rope en rejetant l e traité de CED. Jean-Marie Soutou, un haut fonctionnaire français ,
proche collaborateu r d e Mendè s France , a magnifiquemen t prouv é qu e Mendè s
France était convaincu qu'i l fallait alor s renouer ave c l'Allemagne. Mendès France le
dit à Adenauer aprè s l a dramatique conférenc e d e Bruxelle s d u 22 août 1954 125. Il a
compris qu'i l n e fallai t pa s laisse r l'Allemagn e devan t u n vid e aprè s l'éche c d e l a
CED. Devan t le monument e n l'honneur de s résistants de la Nièvre, le 19 septembre
1954, il réclame une réconciliation franco-allemand e dan s un cadr e plus vaste que le
tête-à-tête126. Ses préoccupations dépassen t les relations économiques 127.
Les entretien s d e la Celle St-Clou d e t de Pari s entr e Adenaue r e t Mendès Franc e
du 19 au 23 octobre 1954 aboutissent à un accor d su r la Sarre mais aussi sur les questions économiques e t culturelles. Adenauer veut voir derrière l'entente économiqu e
une entente politique. Les Français jugent avoi r sauvé leurs intérêts en Sarre puisque
les liens économiques ave c la France seront maintenus y compris en cas d'européani sation du territoire 128.
Rendant compte de ses entretiens a u peuple français dan s un discours radiodiffus é
le 24 octobre 1954, Mendès France met en avant les relations économiques franco-al lemandes, le s accord s agricole s à long term e e n faveu r d e l'agricultur e française . I l
évoque l'associatio n de s capitau x françai s e t allemands . I l redout e certe s le s risque s
123 Pierre GUILLEN , Pierr e Mendè s Franc e e t l'Allemagne , in : Ren é GIRAUL T (dir.), Pierre Mendè s
France et le rôle de la France dans le monde, Grenoble 1991, p. 39-54 (p. 40).
124 AMEF, B 43717, N o t e pou r M . Delouvrier , problème s de s excédent s e t de s dette s allemandes ,
12 février 1954. A cette époque d e la fin d e l'année 1953, l'Allemagne étai t l e premier créditeu r ne t
de l'UE P (se s créance s représentaien t 164% de so n quota , soi t 821 millions d e dollars/uc. ) tandi s
que la France était un débiteu r ne t (832 millions de dollars, soit 160% de son quota) .
125 GIRAULT (dir., voir n. 123) intervention d e Jean-Marie Soutou .
126 Pierre MENDÈ S FRANCE , Gouverner c'es t choisir , Œuvres complète s III, Paris 1986, p. 323-330.
127 GUILLEN (voi r n. 123).
128 D D F 1954,21 juillet—31 décembre, n° 290, [23] octobre 1954, note du départemen t su r les résultat s
des entretiens franco-allemands .
Les conceptions françaises de s relations économiques ave c l'Allemagne (1943-1960) 4
7
d'une distorsio n entr e l a puissanc e économiqu e français e e t allemande . I l l'écart é
toutefois e n raiso n de s progrè s extraordinaire s d e l'agricultur e e t d e l'énergi e d e l a
France. Confianc e donc 129. Mendè s Franc e es t à l'origine d u premie r vra i trait é d e
commerce franco-allemand. Le s décisions de coopération économiqu e portent sur la
création d'u n comit é économique franco-allemand , l a canalisation d e la Moselle, des
investissements mixte s franco-allemands . L'Outre-me r peu t deveni r u n lie u d e
coopération franco-allemande . Adenaue r e t Mendè s Franc e s'apprêten t à négocie r
des engagements commerciaux à long terme, à lancer une coopération dans les industries des armements e t à signer un accor d culturel . Ainsi les dimensions économiqu e
et culturell e renforcent-elle s l'accor d pass é dan s l e domain e politiqu e à propos d e
l'entrée d e l'Allemagne dan s l'OTAN .
Un accord commercial de courte durée
A l a radio, le 15 janvier 1955, Mendès Franc e annonce: »Un accor d commercia l a été
signé qu i consacr e u n nouve l accroissemen t d e no s échanges . Il assur e à notre agri culture e n particulier d e nouveaux débouchés . L'Allemagne nou s achèter a deu x foi s
plus d e bl é qu e pendan t l a campagn e précédente« . I l annonc e auss i l a préparatio n
d'un accor d commercia l su r 3 ans (sign é e n aoû t 1955) 130. L'accord d e court e durée ,
rétroactif (1 er octobr e 1954-31 mars 1955), prévoit la livraison par la France d'impor tantes quantités d e produits agricole s français (blé , orge, beurre, un poste nouveau) ,
contre l'avi s d u ministèr e alleman d d e l'agriculture 131. E n contreparti e l'industri e al lemande es t autorisé e à exporter pou r 6 milliards d e francs supplémentaire s dan s la
zone franc (produit s chimiques, machines-outils pou r Citroën , navires, tracteurs). 132
Ceci di t le s céréales française s n e son t pa s a u norm e d'humidit é requises . Le s Alle mands protesten t contr e le s subvention s accordée s au x exportation s française s d e
blé133. L'Allemagne préfèr e l e blé du r américai n a u bl é tendre français 134. De s livrai sons agricole s a u titre du précéden t accor d commercia l d u 14 janvier 1954 n'avaient
pas été honorées à la suite de litiges. Les Français avaient interdit les importations d e
fleurs coupée s e t d e fromage allemands 135. Les Allemands bloquen t e n rétorsio n le s
importations de vins français136. André François-Poncet s e plaint des Allemands: »Ils
font preuv e d'un e bonn e volont é ostentatoir e qu i dissimul e un e manœuvre : nou s
placer dans des conditions optima de concurrence pa r rapport au x autres pays four nisseurs, constater que, malgré ce régime préférentiel e t bien que le marché alleman d
129 MENDÈS FRANC E (voir n. 126) p. 411: France et Allemagne ont besoin l'une de l'autre, allocution ra diodiffusée, 24 octobre 1954.
130 Ibid . p. 672: allocution radiodiffusée , 15 janvier 1955.
131 AMAE, Europe 1949-1955, Allemagne, vol. 478, HCRFA, Bad Neuenahr, 4 décembre 1954.
132 AMEF, 1 A 461, M. des Finances, DREE, Clappier, 23 décembre 1954, note pour l e ministre, Négociations commerciales franco-allemandes .
133 Vendu 26 DM l e quintal e t acheté aux fermiers françai s 34 DM.
134 AMAE, Europe 1949-1955, Allemagne, vol. 478, HCRFA, 4 janvier 1955, à Pierre Mendès France .
135 AMEF, B 8875, François-Poncet, 26 mars 1954, n°l571-76, Difficultés d e réalise r l'accor d com mercial du 14 janvier 1954.
136 AMAE, Europ e 1949-1955, Allemagne, vol . 478, François-Poncet, Bonn , 5 février 1955, pour l a
DREE.
48
Gérard Bossuat
soit cette année très avide des produits en cause, nous sommes incapables de livrer les
quantités prévues (la chose ne fait pas de doute pour eux) et en tirer alors argument
pour limite r dan s les accords à venir les contingents qu i seron t réservé s à ces produits«137. Des accords à long terme n'étaient donc pas évidents à signer.
Le pool des armements
Le pool des armements aurait dû constituer un élément important de la coopération
économique entre la France et l'Allemagne. Cette affaire a été préparée avant la rencontre Mendès France-Adenauer du 19 octobre de la Celle St-Cloud, par Alexandre
Parodi, Secrétair e généra l d u Qua i d'Orsay , Andr é François-Ponce t e t Françoi s
Seydoux entre autres.
Les Français cherchent d'abord à vendre du matériel militaire aux Allemands. La
présence bien connue de nombreux technicien s allemand s au service de la Défens e
nationale française leur paraît être un argument de vente. Mais il est aussi question de
créer des usines mixtes d'armement e t de présenter au x Allemands les appareils les
plus modernes , y compri s le s prototypes secrets 138. L'offre français e a été bien accueillie par Adenauer. Mendès France lors de la rencontre de Baden-Baden du 14 janvier 1955 a dû cependant prouver au x Allemands qu e le pool d'armements n' a pas
pour but d'empêcher le réarmement allemand ni de léser l'industrie allemande 139.
Cette coopération a mal fonctionné. Les industriels français auraient communiqué
des prix supérieurs de 33% aux prix des services officiels français 140. François-Poncet
doit lancer un avertissement aux autorités parisiennes: »Tarde venientibus ossa« car
Anglais e t Américain s s e pressent e n RFA 141. L'Agenc e d'Armemen t es t a u poin t
mort en février 1955 en raison de l'opposition de la Grande-Bretagne à des formules
supranationales et des réserves d'Erhard su r la validité économique des formules de
coopération142. En juin 1955 on parle de l'avion d'entraînement Moräne Saunier, du
chasseur MD Mystère, mais rien ne se fait. Devant les offres américaines , les Français
insistent auprè s d'Adenaue r e n novembr e 1955 143. Les difficulté s s'expliquen t pa r
trois raisons. Les Français veulent plus vendre que coopérer. Les Américains imposent leurs matériels financés aisémen t en crédits off-shore 144. Le s Allemands ne sont
pas convaincus de la pertinence technique et financière des offres françaises .
137 Ibid. , François-Poncet, 28 janvier 1955, de Bonn, à DREE, Ministère des Finances.
138 AMAE, Europe 1949-1955, Allemagne, vol. 208, microfilm P 6901, DAEF, 13 octobre 1954, a/s
coopération franco-allemande pour la production d'armements.
139 DDF 1955, t. 1, annexe, cr de la conversation entre M. Mendès France et le chancelier Adenauer,
14 janvier 1955, p. 232.
140 AMAE, Europe 1949-1955, Allemagne, vol. 478, François-Poncet, Bonn, 12 février 1955, à Edgar
Faure.
141 AMAE, Europe 1949-1955, Allemagne, vol. 208, Bonn, 13 mai 1955, n° 1838.
142 AMAE, Europ e 1949-1955, Allemagne, vol . 857, HCRF, OMS , élémen t français , n ° 505/HC /
OMS/COM, M. Coignard, à M. Seydoux, directeur d'Europe, MAE, Coblence, 9 mars 1955, note,
à propos du projet d'agence des armements.
143 DDF 1955, t. 2, n° 356, C. de Margerie, chargé d'affaires à Bonn, à M. Pinay, MAE, Bonn, 10 novembre 1955, n° 4330-4332.
144 Crédits américains en dollars destinés à financer l'achat par les pays de l'OTAN soit de matériels
construits en Europe, soit de matériels américains.
Les conceptions françaises des relations économiques ave c l'Allemagne (1943-1960) 4
9
Les T.O.M., espace nouveau de coopération
Les première s négociation s franco-allemande s d'envergure , e n avri l 1955, confirment que les Allemands s'intéressent au x T.O.M. Le gouvernement français encou rage cet intérêt145. Les Français acceptent sans hésiter le droit d'établissement des Allemands en Algérie. Mais ils restent réticents pour le Maroc. Pour la Tunisie tout dépend des négociations franco-tunisiennes. Il s ne veulent pas accorder de traitement
plus favorabl e au x Allemand s qu'au x autre s étrangers . Il s adopten t un e attitud e
libérale dans les T.O.M. garantissent les investissements s'ils sont productifs e t confirment le s consulats au Maroc, à Alger et à Dakar146. Des firmes allemandes comme
Krupp, Stahlunion , Klöckner , Ott o Wolff , Dema g poursuivent l'étud e des projets
d'industrie lourd e dans le Sud algérien et au Maroc. Les Allemands cèdent, comme
les Américains avant eux, au mythe d'un nouvel Oural dans l'Atlas. Péchiney et Vereinigte Aluminium-Werke projettent d e valoriser la bauxite de Guinée. Des projets
concernant le barrage du Konkouré, des usines de pâtes à papier en AEF, des palmeraies au Gabon réapparaissent147. Les fonctionnaires français acceptent les investissements allemands mais ils les préfèrent européen s ou américains. Ils ne sont donc pas
favorables à une coopération bilatérale franco-allemande dan s les T.O.M. La Direction des Affaires économique s d u Quai d'Orsay évoqu e le risque de voir la France
supplanter par l'Allemagne dans ces territoires148.
La longue durée
Un accord commercial de longue durée est signé par le gouvernement Edgar Faure,
le 5 août 1955 149. Il intéresse d'abord les échanges de produits agricoles 150. Le choc du
23 octobre 1954 est à l'origine du processus de coopération; car auparavant »tous les
projets de coopération avaient échoué« estiment les Allemands151. La négociation est
difficile, mais l'accord est impressionnant d'après les observateurs suisses152.
145 AMEF, B 43695, cr entretiens franco-allemands d e Bonn, 30 avril 1955, Coopération industrielle .
146 AMEF, B 8801, DAEF, 16 avril 1955, note, a/ s Aide-mémoir e alleman d e n date du 13 avril su r la
coopération franco-allemande e n Afrique.
147 Voir le très éclairant article de Sylvie LEFÈVRE , Projets franco-allemands d e développement écono mique en Afrique du Nord (1950-1955), in: Revue d'Allemagne 25 (1993), p. 581-588.
148 KOUKOUI (voi r n. 119) p. 143; cf. n . 147.
149 Accords commerciau x franco-allemand s d e janvier 1950, du 4 octobre 1950, du 23 juillet 1951,
23 janvier 1953, 30 mai 1953,14 janvier 1954,15 mai 1954.
150 AMEF, 1 A 395, YM, DREE , Drillien , 24 mars 1955, note pou r l e Ministre , n°195 , Prochaine s
négociations franco-allemandes .
151 AMAE, Europ e 1949-1955, Allemagne, vol . 478, SB, 11 mars 1955, Europe, note , Négociation s
d'une convention d'établissement entr e la France et l'Allemagne.
152 AMEF, B 8876, Attaché financier , Berne , n° 150, Bulletin d'informatio n économiqu e e t financier ,
août 1955, signification e t conséquence s d u nouve l accor d commercia l franco-allemand ; AMAE ,
Europe 1949-1955, Allemagne, vol . 478, YM, DREE , not e pou r l e ministre , Accor d commercia l
franco-allemand du 5 août 1995.
Gérard Bossuat
50
L'importance de l'accord est lié à la situation commerciale
franco-allemande su r le long terme: en milliards de francs courants
année Importation
1929 13
1938 6
1948
1949
1950
1951
1952
1953
1954
1955
1956
1958
3
68,
69,
102,
116,
110,
120,
15
200,
27
s d'Allemagne Exportation
09
03
6 23,
4 39,
9 84,
1 7
7 79,
7 99,
5 125,
2 158,
1 169,
4 22
s vers PAllemagne
4
6
0
5
4
9
3
9
5
1
3
1
La zone franc a tendance à plus importer qu'exporter153. Elle a donc intérêt à fixer au
plus haut et sur le long terme les contingents d'exportation vers l'Allemagne. Certes
la situation commercial e française s'es t améliorée. L'Allemagne es t devenue le premier partenaire commercial de la France154. Mais la situation est inquiétante. Le déficit »structurel« des échanges entre la France et l'Allemagne est selon les années plus
ou moin s compens é pa r l'excéden t de s T.O.M. e t d e la Sarre su r l'Allemagne . E n
1954 l'excédent »français « correspon d e n fai t a u développemen t de s exportation s
de la Sarre »française« su r l'Allemagne. Or »si la Sarre venait à ne plus être en union
économique avec la France, écrit le ministère des Finances, notre balance commerciale avec l'Allemagne deviendrait , toutes choses égales d'ailleurs, nettement défici taire«155.
Pinay et Adenauer s e rencontrent le s 29 et 30 avril 1955. Ils créent un comité de
fonctionnaires charg é de réfléchir à la coopération bilatérale 156. Les ratifications pa r
la France des accords de Paris intégrant la RFA dans l'UEO favorisen t ce s négociations commerciales157.
Quels sont leurs points forts? L e nucléaire intéresse les Français qu i offrent au x
Allemands de créer avec la Belgique une usine de séparation isotopique pour un usage
civil158. En juillet la commission franco-allemande chargé e de l'examen des projets
153 AMEF, 1 A 395, YM, DREE, Drillien, 24 mars 1955, note pour le Ministre, n°195, Prochaines
négociations franco-allemandes.
154 Second, les USA, 3e l'UEBL, 4e la Grande-Bretagne.
155 AMEF, B 54925, YM, DREE, note pour le Ministre, n° 355,13 juin 1955, Etat actuel des relations
économiques franco-allemandes.
156 DDF 1955, t. 1, n° 247, M. Pinay, MAE aux représentants diplomatiques de France à l'étranger,
4 mai 1955, cire. n° 40, secret, réservé.
157 AMAE, Europe 1949-1955, Allemagne, vol. 478, HCRFA, DGAP, Bad Godesberg, 23 avril 1955, à
M. Pinay, MAE, a/s coopération économique franco-allemande.
158 AMEF, B 43695, cr entretiens franco-allemands de Bonn, 30 avril 1955, Coopération industrielle.
Les conceptions françaises des relations économiques avec l'Allemagne (1943-1960) 5
1
de canalisation de la Moselle est mise en place159. Les Allemands réclament une convention d'établissement . Mai s faut-i l un e conventio n libéral e d u typ e d e cell e d u
Conseil de l'Europe o u une autre? Les Allemands acceptent d'importer de s quantités élevées de céréales, mais ils sont réticents sur les autres produits e t surtout ils
veulent des compensations de 1 pour l 160. Les Français prétendent n'offri r e n contre-partie qu e 75% des exportations française s e n Allemagne 161, sans doute pou r
prévenir l e déficit commercial , san s doute encor e par réflex e protectionniste . Ca r
aux yeux du ministèr e d e l'Industrie, l'appéti t alleman d pour le s marchés françai s
paraissait délirant. Mais dans ce domaine porteur pour les Français la réalisation de
l'accord d u 5 août 1955 connaît de s vicissitudes. L a France avai t promis 450.000
tonnes de blé de meunerie, elle les remplace difficilement pa r de l'orge et des céréales secondaires 162. Chaque partie défend ses intérêts e t ceux de ses mandants. Les
Français veulent place r leurs excédent s d e sucre. A la suite de l'accord d u 5 août
1955, la France devient l e premier client e t le premier fournisseur d e l'Allemagne .
L'Allemagne et la France ont presque créé un marché commun agricole avant la date! Un protocole confidentiel es t signé. Connu, il aurait suscité la colère du monde
paysan français. En échange d'exportations françaises de céréales, la France doit accepter 380 t de houblon, 1000 t de fromages e t 60 t de graines de betteraves à sucre
allemands.
Conclusion
L'apport de Mendès France, d'Edgar Faure et d'Adenauer aux relations économiques
et politiques franco-allemandes es t bien plus important e t significatif qu'un e historiographie traditionnelle le dit. Des années 1954-1955 date la reconnaissance par la
France de la réalité du redressemen t alleman d e t la définition d'un e véritable politique de coopération économique. La coopération organique est devenue une réalité
durable. Les deux pays ont reconnu leur intérêt pour une industrie d'armement commune. Mendès France a réussi à orienter durablement l'agriculture française e t celle
des T.O.M. ver s l'Allemagne ; plu s généralemen t Franc e e t Allemagne on t accept é
d'imbriquer étroitemen t leu r commerce. De Gaulle n'a don c pas tout invent é dans
les relations franco-allemandes !
159 DDF 1955, t. 2, n°35, François-Poncet, ambaF à Bonn, à M. Pinay, MAE, Bonn, 15 juillet 1955, tel.
2766-2774.
160 AMAE, Europe 1949-1955, Allemagne, vol. 478, PS/DAEF, 2 avril 1955, note pour le Président,
a/s négociations commerciales franco-allemandes.
161 AMEF, 1 A 395, PS, 2 avril 1955, DAEF, note pour le Président, a/s négociations commerciale s
franco-allemandes.
162 AMEF, B 54925, DREE, 20 décembre 1956, note pour le Ministre, 859, réunion de la commission
mixte du 8 novembre au 15 décembre.
52
Gérard Bossuat
IV. Relations économiques et grand œuvre franco-allemand (1955-1958)
Le nouveau gouvernement français de Front républicain, dirigé par le socialiste Guy
Mollet, est décidé à poursuivre l'œuvre du précédent163.
Surmonter les obstacles
Quelle que soit la volonté d'ouverture ver s l'Allemagne d e la diplomatie française ,
une certaine tension subsiste liée à la question sarroise. Le référendum d'européani sation de la Sarre a échoué. Le 23 octobre 1955 67,7% des Sarrois votent contre. La
Sarre reviendra à l'Allemagne. L'affair e sarrois e trouble les relations économiques .
Maurice Faure refuse de réunir le comité économique franco-allemand avan t »l'heureux aboutissemen t d e la négociation sarroise « dit-i l au x Allemands 164. Le premier
comité économique franco-allemand s e réunit le 11 mai 1956 165. Les Allemands veulent parle r de s question s commerciale s mai s auss i de s question s économique s
d'intérêt commun . Le s Allemands s e plaignent de s contraintes administrative s qu i
pèsent sur leurs exportations, alors que la balance franco-allemande es t bénéficiair e
pour la France en 1955. Ils soulèvent encore le problème du droit d'établissement des
Allemands dans la zone franc. Il n'y a à Dakar que six Allemands166! La seconde session du Comité se tient le 11 janvier 1957 à Bonn, alors qu'elle avait été fixée au 31
juillet 1956 167. Une troisième session a lieu le 17 mai 1957 à Paris.
Retour au calme en Sarre
Malgré l'échec d u statut d'européanisatio n d e la Sarre, les hauts fonctionnaires de s
Finances contestent le recul français e n Sarre. Ramadier, le ministre des Finances et
des Affaires économiques , demande à Guy Mollet d'être ferme sur l'échange de billets, le taux des péages sur la Moselle, l'utilisation par la France de l'hydroélectricité
du canal d'Alsace, le charbon du Warndt168. Ce ministère, soucieux de bonne gestion
financière e n Sarre, avait en fait une position de fond plus conservatrice que le Quai
d'Orsay ou Guy Mollet.
L'accord a été sign é à Luxembourg l e 4 juin 1956. D'une par t Gu y Molle t e t
Christian Pineau ont rassuré Adenauer sur leurs conversations avec les Soviétiques à
Moscou, d'autre part les deux parties se sont mis d'accord sur l'amodiation des mines
de charbon du Warndt pour 20 ans, le financement d e la canalisation de la Moselle à
hauteur de 300 millions DM par la RFA, l'acceptation par la RFA de la modification
du plan d'aménagement d u canal d'Alsace 169. Le 27 octobre 1956 la RFA accepte de
163
164
165
166
AMAE, Europe 1956-1960, Allemagne, vol. 26, DGP, 3 février 1956, tel. pour Adenauer.
DDF 1956,1.1, n° 117, cr des conversations franco-allemandes de Paris, 20-21 février 1956.
Voir le carton AMEF, B 43695.
AMEF, B 43695, MAE, DAEF, cr réunion constitutive du comité économique franco-allemand ,
Paris, le 11 mai 1956.
167 Ibid .
168 Archives départementale s d e PAveyron, Fonds Ramadie r (Archive s départementale s d e l'Aveyron), 52 J 118,30 mai 1956, R. Sadrin et P.P. Schweitzer, note pour le président, n° 244 cd.
169 DDF 1956,1.1, n° 366, Conférence franco-allemande de Luxembourg, directives des Ministres, le
5 juin 1956.
Les conceptions françaises des relations économiques avec l'Allemagne (1943-1960) 5
3
prendre à sa charge dans l a proportion d e 120 à 370 les frais d e canalisation d e la
Moselle170. Les aciéries de Völklingen retournent à la famille Röchling et la France
renonce à sa politique sarrois e séculaire. Cette affaire »ouvr e des perspectives in téressantes à l a foi s pou r l a coopératio n propremen t franco-allemand e e t pou r
l'édification progressiv e d e l'Europe... « écri t alor s l'ambassadeu r d e Franc e à
Bonn, M. Couve de Murville171. La Sarre est rattachée politiquement à l'Allemagne le
1er janvier 1957 et économiquement le 5 juillet 1959. L'approfondissement d e la coopération franco-allemande peu t se poursuivre dans de meilleures conditions.
Armements, la déception
Dans le domaine des armements, le gouvernement français poursui t son objectif d e
vendre mais aussi de lier les deux pays par des programmes de production. Un premier mémorandu m a été envoyé le 28 avril 1956, confirmé pa r Wormser l e 11 mai
1956, et un second le 25 septembre 1956 172. Wormser indique que la France a l'intention de développer une »véritable coopération« su r les plans industriel, politique et
militaire. Des plans d'étude communs seraient établis, les techniciens recevraient une
formation commune . Les Français comprennent que les Allemands vont passer des
commandes »d'un montant considérable«. Weniger du Ministère allemand de la Défense approuve , mai s l'industri e français e est-ell e capabl e d e fourni r le s matériel s
dans les délais? La création d'un comit é ad hoc sur les questions des armements est
décidé.173 Wormser suggère que les industriels français et allemands prennent contact
sur le terrain du nucléaire civil174.
Malgré ce beau programme la réponse allemande se fait attendre à la grande déception de s Français 175. Les accords su r l a Sarre le 27 octobre 1956 débloquent mani festement l e processus. Un protocole d'accord su r la coopération franco-allemand e
dans l'armement es t proposé par les Français le 3 novembre176. Il prévoit l'harmonisation des conceptions militaires , l'étude e n commun de s matériels, la standardisation de s armements. Adenauer paraî t accepter 177 et Strauss, nouveau ministr e de la
170 DDF 1956, t. 2, n° 235, M. Pineau, MAE, aux représentants français à l'étranger, Paris, 2 octobre
1956, cire. n° 73/SGL. Bilan des conversations Adenauer/Mollet sur la Sarre après leur rencontre
du 29 septembre dans Fonds Ramadier, 52 J 118, note pour le président, PPS et R. Sadrin du 12 octobre 1956, DT 546 CD, négociations sur la Sarre, l'affaire Röchling, la canalisation de la Moselle et
le canal d'Alsace.
171 DDF 1956, t. 3, n° 59, Couve de Murville, ambaF à Bonn à M. Pineau, MAE, tel. 3320-3324, Bonn,
30 octobre 1956.
172 AMAE, Europe 1956-1960, Allemagne, vol. 26, DGAP, Europe, sd Europe centrale, 22 octobre
1956, note sur l'ordre du jour de la rencontre Guy Mollet/Konrad Adenauer, rencontre prévue le 5
novembre.
173 AMEF, B 43695, MAE, DAEF, cr réunion constitutive du comité économique franco-allemand ,
Paris, le 11 mai 1956.
174 Ibid .
175 DDF 1956, t. 2, n° 188, cr d'entretiens franco-allemands, lundi 17 septembre, conversations entre
MM. Maurice Faure, von Brentano et Hallstein.
176 AMAE, Europe 1956-1960, Allemagne 26, DGAP, Europe, Europe centrale, 3 novembre 1956,
Questions franco-allemandes.
177 DDF 1956, t. 3, n° 104, Couve de Murville, ambaF à Bonn à M. Pineau, MAE, tel. 3349-3353,
Bonn, le 3 novembre 1956; DDF 1956, t. 3, n° 123, note pour le président d u Conseil e n vue
54
Gérard Bossuat
Défense, fai t savoi r a u généra l Valluy, le 6 novembre, qu'il désir e visiter Colomb Béchar178.
La question de la coopération franco-allemande dan s le domaine des armements
est placée sous un jour nouveau après Suez. Devant Adenauer, le 6 novembre 1956,
Guy Mollet et Christian Pinea u lisent et commentent le s lettres de Boulganine aux
Occidentaux et à l'ONU; Adenauer leur fait part de ses doutes concernant la sécurité
de l'Europe sou s la Pax Atomica américano-soviétique 179. »Nou s devons nous unir
contre l'Amérique, dit-il,... Naturellement l'Angleterre doit faire partie de ces pays
européens«. La coopération franco-allemande s'inscri t désormais dans une réflexion
sur la défense européenne.
Français e t Allemand s estimen t nécessaire s d e »préserve r l a pleine capacit é de s
pays européen s e n matièr e atomique« . Adenauer accept e qu'Eurato m n e contrôl e
pas le s matière s fissile s à usage militaire . I l ouvr e l a voie a u développemen t d e la
bombe française e t pourquoi pas européenne, à terme. Lors de la session du comité
économique franco-allemand à Bonn, le 11 janvier 1957, Wormser rappelle l'intérê t
d'établir de s liens entre industriels français e t allemands dans le domaine nucléaire.
H. Bereman du ministère de la Défense de RFA évoque les contrats conclus avec les
Français en matière d'armement et fait allusion aux projets de coopération du général
Ailleret en matière de protection contre les armes ABC. Wormser demande que les
deux ministres, Strauss et Bourgès-Maunoury, règlen t ensembl e cette question, »la
semaine prochaine« , à Colomb-Béchar, o ù l e ministre alleman d es t attendu 180. E n
effet l e 17 janvier 1957 est signé le protocole d e Colomb-Béchar. Ce t accor d cré e
un Comité militaire franco-allemand e t des sous-comités Terre, Mer, Air181. Le document évoque une coopération dans le domaine des armes nouvelles. Toutefois i l
serait fau x d'imagine r u n pla n d'ensembl e d e développemen t d'arme s atomiques .
Rien n'interdit de penser que les deux ministres en ont parlé »off the record«. Nous
avons toutefois de précieux renseignements sur ce texte. Le 2 février 1957, le général
Lavaud informa les services français des décisions des deux ministres: »Dans le cadre
des Traités de l'OTAN et de l'UEO, le gouvernement français et le gouvernement allemand ont décidé de créer un comité militaire des deux pays... et de confier à ce Comité la mission d'établir un programme d'action ayant pour but: - d'harmoniser les
178
179
180
181
des entretiens prévus au cours de la visite à Paris du chancelier Adenauer, Paris les 3 et 5 novembre
1956.
DDF 1956, t. 3, n° 149, Couve de Murville, ambaF à Bonn à M. Pineau, MAE, tel. 3408-3414,9 novembre 1956.
AMAE, Europe 1956-1960, Allemagne, vol. 26, cr entretiens Guy Mollet/Konrad Adenauer du 6
novembre 1956, en présence de Pineau, Faure, Couve de Murville, von Brentano, von Maltzan, etc.
Voir aussi: Georges-Henri SOUTOU, Les accords de 1957 et 1958: vers une communauté stratégique
et nucléaire entre la France, l'Allemagne et l'Italie?, in: Matériaux pour l'histoire de notre temps 31
(1993) p. 1-12.
AMEF, 1 A 445, cr 2e session du Comité économique franco-allemand, Bonn, 11 janvier 1957.
Archives de la DGA (Chatellerault), cartons 122,123,133, Coopération franco-allemande en matière d'études e t de fabrication d'armements, date non précisée, mais 1960, source non indiquée;
voir aussi carton 12, 1957-1962, Organisation et gestion, dossier, archives de l'IG Bonté; DTIA,
note, 28 décembre 1959, 2916, Coopération franco-allemande; ces documents évoquen t l'accord
de Colomb-Béchar ; cf . auss i entretie n ave c IG Robineau d u 28/9/92 et lettre à G. Bossua t d u
1/10/1992: »Je peux ajouter qu'après avoir cherché - en vain - à Chatellerault, ce document dont
j'avais entendu parler à l'époque (et presque jamais ensuite), j'ai pu en voir une copie dans le carton
Les conceptions françaises des relations économiques ave c l'Allemagne (1943-1960) 5
5
conceptions militaires des deux pays concernant l'organisation , le s doctrines d'emploi et l'armement d e leurs forces armée s en particulier dans le domaine des armes
nouvelles et de créer les moyens de combat nécessaires pour réaliser ces conceptions ,
- d'entreprendre, dès maintenant, des études communes de matériel d'armement répondant à des caractéristiques générales approuvées par les deux parties ainsi que des
recherches techniques dans les domaines reconnus de part et d'autre comme présentant un intérêt pour la mise au point de matériels nouveaux; à cet effet, d'établi r des
accords d'exécution entre les deux gouvernements dans le domaine des études et recherches y compris les dispositions techniques, économiques et financières à insérer
dans les accords, - de promouvoir un programme d'armements communs« 182.
Que signifie »matériels nouveaux« et »armes nouvelles«183? Il est assez frappant de
noter l a concordance entr e le s préoccupations française s concernan t l a fabricatio n
d'un missil e stratégiqu e sol-sol 184 permettan t d'emporte r un e bomb e nucléair e
américaine ou française et les accords de Colomb-Béchar. Le protocole est en accord
avec ce que l'on sait du développement du programme nucléaire militaire français 185
et avec la volonté d'Adenauer de disposer d'une capacité nucléaire186. L'attaché militaire français à Bonn insiste sur la volonté de Strauss de doter l'armée allemande d'armes atomiques sans violer ouvertement les articles restrictifs des traités187.
Dans le courant de l'année 1957 le général Lavaud évoque l'étude et la fabrication
d'un missil e sol-sol (un IRBM). Les Allemands sont invités à concevoir, financer e t
construire sur le sol français un IRBM (engin sol-sol à longue portée d'après Lavaud)
dont on imagine mal qu'il ne soit pas dot é d'une bombe nucléaire188. Chaban-Delmas
et Strauss se mettent d'accord l e 20 novembre 1957 pour mener des études et des fabrications communes dans le domaine aéronautique, dans le domaine des engins, et
faire une première approche »d'une action commune dans le domaine des recherches
nucléaires dans le cadre et dans le respect des accords de Paris«189. Un accord tripartite
est signé le 25 novembre 1957 entre les trois ministres français, alleman d et italien.
15T848, classement provisoire, au SHAT à Vincennes«; voir les extraits de cet accord tels qu'ils ont
été rapporté s pa r l'I G Robinea u dans : IG A Robineau , IG A Assens , Relation s internationale s
(1945-1975), fasc. 1.5, octobre 1991, projet, dactylog.
182 Service Historiqu e d e l'Armée d e l'Air (SHAA) , E 2905, le général de division Lavaud , conseille r
technique M DN e t FA, à M. le SE FA Terre, Air, Marine, M. le Général, chef d'EM généra l des Forces armées, n° 001560/DN/CAB/ARM.TS, l e 2 février 1957.
183 Eckar t CONZE, La coopération franco-germano-italienne dan s le domaine nucléaire dans les années
1957-1958, un poin t d e vu e allemand , in : Revue d'histoir e diplomatiqu e 104 (1990 ) p. 115-132
(p. 121).
184 Maurice VAÏSSE , L e choi x atomiqu e d e l a Franc e (1945-1958), in: Vingtièm e siècl e 32 (1992 )
p. 21-30 (p. 28).
185 Colette BARBIER , Le s négociation s franco-germano-italienne s e n vu e d e l'établissemen t d'un e
coopération militair e nucléair e a u cours de s année s 1956-1958, in: Revue d'histoir e diplomatiqu e
104 (1990) p. 81-113 (p. 87).
186 BOSSUAT (voir n. 14).
187 SHAA, E 2186, Attaché militaire, n° 1.293/AM, Bonn , 12 novembre 1956, Générai Le Hingrat à M.
de la D R
188 Hans-Pete r SCHWARZ, Adenauer, le nucléaire et la France, in: Revue d'histoire diplomatique (1992)
p. 297-311.
189 D D F 1957, t. 2, n° 359, M. Pineau , MAE , au x ambassadeur s d e Franc e à Bonn , Rome , tel .
4678-4685, Bonn, 20 novembre 1957.
56
Gérard Bossuat
Cet accor d d u 25 novembre mentionn e expressémen t le s arme s nucléaire s d'aprè s
Georges-Henri Soutou . L'intérê t alleman d pou r de s arme s atomique s es t évident .
Adenauer l e dit lui-même au Bundestag le 20 et 21 mars 1958 190. Il parle d'armes tac tiques. On es t en droit d e douter qu'i l n e s'agisse qu e de cela. Un documen t d e 1960
se réfère explicitement au volet nucléaire de l'accord. C e document précise: »Ce der nier domaine n' a pas été étudié jusqu'à présent« 191. En effet , d e Gaulle a écarté tout e
coopération nucléair e avec l'Allemagne .
Dans ces conditions si propices à une coopération franco-allemandes, quell e ne fu t
pas l a surpris e de s autorité s française s d'apprendr e qu e l a RFA avai t chois i l e Star fighter a u lie u d u Mirag e III pour équipe r l a flotte aérienn e allemande 192. Ce choix ,
politique avan t d'êtr e technique , illustr e peut-êtr e l e doubl e je u d'Adenauer . L'ac cord secre t tripartit e su r un e usin e d e séparatio n isotopiqu e e n avri l 1958 aurait ét é
d'après Schwarz une tentativ e pou r force r le s Américain s à accélére r l'armemen t
nucléaire d e l'Allemagne . Le s Françai s n'ont-il s pa s ét é manipulés ? S i tel es t l e cas,
l'histoire officiell e e t vertueuse de l'entente franco-allemande es t à revoir.
Outre-mer, une aventure commune?
Le second volet important de la coopération économiqu e franco-allemande es t l'Ou tre-mer. Des projets son t évoqués. Les plus avancés en 1958 sont ceux du Konkouré ,
du Mékambo , de MlFERMA, du Kouilou-Niar i e t d'une sociét é de développement a u
Gabon.
Projets de développements pouvant intéresse r la coopération franco-allemand e
ou européenne dans les T.O.M. français (1955-1957)193
Projet Lie
u Région
s
mines de fer Tindou
f sud-algérie
n
mines de fer (MlFERMA) For
t Gouraud Mauritani e
cuivre (MICUMA) Akjouj
t Mauritani
e
usine d'aluminium et barrage Konkour
é Guiné
e (AOF)
usine de cellulose Gabo
n (AEF)
plantation de palmiers à huile su
r l'Ogoué Gabo
n (AEF)
plantation d'hévéas Côt
e d'ivoire
plantation de bananes et d'agrumes Niar
i
Gaston Defferre , ministr e de la France d'Outre-mer, voulai t européaniser l e FIDES
en mai 1956. La conséquence e n serait le libre accès des Européens au x T.O.M. I l fa cilite l'installation de s consulats allemand s à Dakar e t Abidjan aprè s le voyage d'un e
190 DDF 1958, t. 1, n° 207, M. Couve de Murville, ambaF Bonn, à M. Pineau, MAE, Bonn, 21 mars
1958, tel. 696-702.
191 Archives de la DGA, extrait des cartons 122, 123, 133, Coopération franco-allemande en matière
d'études et de fabrication d'armements, date: 1960, source non indiquée.
192 DDF 1957, t. 2, n° 413, M. Couve de Murville, ambaF Bonn, à M. Pineau, MAE, Bonn, 3 décembre
1957, tel. 2942-2945 TS, réservé.
193 AMEF, B 43695, MAE, DAEF, cr réunion constitutive du Comité économique franco-allemand,
Paris, le 11 mai 1956 et Comité économique franco-allemand du 11 janvier 1957.
Les conceptions françaises des relations économiques ave c PAllemagne (1943-1960) 5
7
délégation allemande en Afrique noire du 15 au 31 mars 1957 194. Cette mission a suscité un intérêt extraordinair e de la part des Allemands de la Deutsche Bank 195. Le s
voyageurs allemand s suggèren t d'accueilli r de s étudiants africain s dan s le s écoles
techniques allemandes. Les réactions françaises son t peu chaleureuses. Ils proposent
une coopération entr e firmes allemande s et françaises e n Afrique pou r créer , sur le
schéma européen du XIXe siècle, des industries de base en Afrique. Le représentant
du patronat français d e l'Union française , Bourlet, approuve. Les deux parties veulent que les investissements privés prennent le relais des investissements publics. Allemands et Français sont fascinés par les immenses ressources inexploitées de l'Afri que Noire. Un autre voyage a lieu du 15 novembre au 7 décembre 1957 (députés
CDU, SPD et libéraux allemands) . Il donne lie u à une émission télévisé e et à une
émission radio de 90 mn1%.
La période 1956-57 est caractérisée par une grande attention franco-allemande au x
questions africaines. Mais les réalisations tardent. D'une part, l'aggravation du déficit
commercial français à l'UEP empêche les Français d'ouvrir leur s frontières. D'autr e
part les Allemands sont méfiants. Il n'est pas aisé de définir les bons investissements
dans des territoires largement inconnus. L'Allemagne refuse d e s'engager politique ment dans les T.O.M. aux côtés d'une métropole contestée. Elle n'entend pas garantir au x T.O.M. français de s débouchés commerciau x à long terme en raison de ses
achats de produits tropicaux en Amérique Latine. Les bananes et le café des pays africains ne correspondent pa s aux goûts des Allemands! En fait l'effor t économiqu e
que devrait consentir la RFA dans les T.O.M. français paraît disproportionné avec les
avantages escomptés. Les Allemands souhaitent associer à cette entreprise européenne les pays colonisés eux-mêmes197.
L'incertitude concernan t l'évolutio n d e l'Afrique noir e limit e l'engagemen t d e l a
RFA dans les T.O.M. français. Mais l'enjeu du Marché commun est tel que PAuswärtiges Amt accepte une coopération intereuropéenne en Afrique. L'administratio n allemande a été poussée par les industriels allemands. Ainsi lors de la seconde session du
comité économique franco-allemand d u 17 mai 1957, le représentant de la Gutehoffnungshütte (M. Wasmuht) parle d'une entente entre les sidérurgistes allemands pour
investir en Afrique noire parce qu'il y a le Marché commun. L'Allemagne est prête à ne
pas regarder uniquement vers le Brésil, le Labrador et le Venezuela. Elle accepte la création d'un FEDOM au profit des T.O.M. européens auquel elle cotise largement.
Coopération ou concurrence?
La coopération franco-allemande dan s les pays tiers a été envisagée. Une lettre commune aux missions diplomatiques françaises e t allemandes en Amérique Latine, en
194 Corinne THIBLET , L a coopération gouvernemental e économiqu e e t technologiqu e franco-alle mande entre 1956 et 1958, maîtrise Paris-I, directeurs R. Girault, G. Bossuat, septembre 1993, p. 73
et KOUKOU I (voi r n . 119) p. 160. La délégation allemand e visit a d u 15 au 30 mars 1957 Dakar,
Akjoujt, For t Gouraud, Konakry, le site du Konkouré, Abidjan, Pointe-Noire, le site du Kouilou ,
la vallée du Niari, Franceville, Brazzaville, Douala, Edéa.
195 AMEF, B 43695, cr 3e réunion du Comité économique franco-allemand 17 mai 1957.
196 KOUKOUI (voir n. 119) p. 164.
197 THIBLET (voir n. 194) p. 79.
58
Gérard Bossuat
Afrique arabe, en Asie est prévue pour les inciter à réfléchir ensemble sur l'industrialisation, les communications, l'action commune, et apprécier l'activité de l'URSS198.
L'a-t-elle été? Des projets ou des réalisations communes ont été faits: coopération en
Egypte pour la centrale d'Assouan, aciérie en Argentine, barrage et centrale électrique à Ceylan, raffineri e d e pétrole e n Finlande , électrification de s chemin s d e fe r
au Portugal, production de fer, d'engrais, de matières plastiques en Sardaigne, projet
de chemin de fer en Arabie Saoudite, aciérie et chemins de fer au Brésil, aluminium
au Cong o belge , proje t e n Chin e continentale 199. Cett e coopératio n ponctuell e
n'empêche pas, loin de là, le développement d'une très forte concurrence franco-allemande sur les marchés tiers. L'Allemagne cultive depuis l'époque d u plan Marshall
des relations particulière s ave c certains marché s orientau x o u proche-orientau x e n
raison de son non-engagement colonial où elle rencontre les entreprises françaises 200.
Le Marché commun, obstacle ou encouragement à la coopération?
Les négociations du Marché commun ont inquiété les industriels français qu i craignent l a »confrontatio n direct e d e l'économi e français e ave c l'économi e alleman de...«201. Aussi les Français requièrent-ils des Allemands des efforts particuliers pour
réduire leur excédent commercial sur la France. Par ailleurs les Français sont particulièrement troublés de voir la grande industrie allemande considérer le Marché commun comme un pas vers la libération des échanges plutôt que comme une organisation autonome dans les relations économiques internationales 202. En fait l'industri e
française accept e aisémen t le s premières étape s d u March é commu n a u profit de s
échanges bilatéraux. En revanche la question de la zone de libre-échange entraîne des
affrontements doctrinau x intenses.
1957, l'année du Marché commun, marque certainement un changement dans les
relations économique s franco-allemandes . L a Franc e es t devenu e plu s crédibl e e n
raison de la loi-cadre de juillet 1956 sur l'autonomie de s T.O.M., de la coopération
dans l e domaine des armements, de la liquidation e n octobre 1956 du contentieu x
franco-allemand su r la Sarre et de la signature des Traités de Rome. L'inconnu de la
guerre d'Algérie pèse aussi en négatif dans les rapports politiques franco-allemands .
Une coopération modifiée par le retour au pouvoir du général de Gaulle?
Le retour au pouvoir du général de Gaulle a suscité une réelle appréhension en Allemagne. Mai s l a coopératio n d'Eta t s e poursuit. D e Gaull e sédui t Adenaue r aprè s
l'entrevue d e Colombey-les-Deux-Eglises , l e 15 septembre 1958. La conventio n
d'établissement e t de navigation franco-allemande d u 27 octobre 1956 est ratifiée le
16 décembre 1958.
198 AMEF, B 43695, projet de lettre commune franco-allemande, non datée, peut-être janvier 1957.
199 AMAE, Europe 1956-1960, Allemagne, vols. 80 à 82.
200 AMAE, Europe 1956-1960, Allemagne, vols. 80 à 82, E. Dennery ambaF en Suisse à MAE, 10 janvier 1956.
201 AMEF, 1 A 445, cr 2e session du Comité économique franco-allemand, Bonn, 11 janvier 1957.
202 AMAE, DE-CE, vol. 629, Louis Joxe, ambaF en RFA, à C. Pineau, MAE, 13 février 1956.
Les conceptions françaises des relations économiques avec l'Allemagne (1943-1960) 5
9
Le retour du général de Gaulle a offert à certains hauts fonctionnaires ou diplomates français l'occasion de stigmatiser la politique de rapprochement franco-allemand ,
voire même d'espérer la suspendre203. Le thème du danger allemand réapparut. Etaitce une opinion partagée? Un certain trouble persiste au Quai d'Orsay. La RFA a-t elle définitivement choisi l'Europe et le Marché commun204? Signe de ces hésitations,
de Gaulle abandonne la coopération nucléaire avec l'Allemagne205. Trois jours après
Colombey, le 17 septembre 1958, de Gaulle proclame haut et fort l a vocation de la
France, de l a Grande-Bretagn e e t de s Etats-Uni s à diriger l e mond e atlantiqu e e t
donc à limiter la possession des armes nucléaires à ces troi s pays. Les Allemands confirment d'ailleur s en octobre 1958 le choix du Starfighter américai n au détriment du
Mirage. François Seydoux, l'ambassadeur de France en Allemagne, parle des »suites
graves« de ce choix par les Allemands206. En fait il n'y aura pas politiquement de suites graves à cette affaire; l'entrevu e d e Gaulle-Adenauer d e Bad Kreuznac h de novembre 1958 renforce la coopération politique franco-allemande. Le s Allemands acceptent les réserves de la France sur la zone de libre-échange, ils acceptent l'harmonisation des politiques sociales et tarifaires207.
Dans l e domain e de s armements , d e Gaull e es t d'accor d pou r poursuivr e l a
coopération dans le domaine classique et sans aucune référence à l'OTAN208.
Bilan en 1960 de la coopération militaire franco-allemand e
Terre
Air
char de 501 (prototype)
Tourelles de 100 mm Institut de Recherche d e
Saint-Louis
VTOL-Mirage Dragueur s
entraînement d e l'armé e
allemande en Franc e
AS 20
Torpilles G 7 G7 A
munitions ant i cha r
de 90 et 105 mm
camionnettes 4x4
Unimog
chenillettes Hotchkis s
Mer
Etudes
Transall
Hawk, engi n sol-ai r
Moräne 73 3
Nord 2501 (Noratlas)
CM 170 Fouga Magister
Frelon
B réguet Atlanti c
ATAR volan t
203 AMAE, Europe 1956-1960, Allemagne, vol. 27, Xavier de Montjoye, consu l général de France à
Kiel, 27 août 1958, n° 56/AMB, à ambaF RFA.
204 AMAE, Europe 1956-1960, Allemagne, vol. 29, DGAP, Europe, 27 novembre 1959, note, a/s la
France et l'Allemagne.
205 Maurice COUV E D E MURVILLE , L e monde en face. Entretiens ave c Maurice Delarue, Paris 1989,
p. 15; voir aussi François SEYDOUX, Mémoires d'outre-Rhin, Paris 1975, p. 224.
206 DDF 1958, t. 2, n° 296, M. François Seydoux, ambaF à Bonn, à M. Couve de Murville, MAE, tel.
2489-2500,28 octobre 1958.
207 AMAE, Europe 1956-1960, Allemagne, vol. 27, JPB, DGAEF , coopération et intégration, 5 septembre 1958, note, l'Allemagne occidentale et la Zone de libre-échange.
208 SHAA, E 21119, Le général Lavaud à M. le délégué ministériel pour l'armée de l'Air et M. le chef
d'EM de l'armée de l'Air, 17 novembre 1959.
60
Gérard Bossuat
Cette coopération est importante, mais elle a été touchée par Péchec du Mirage III
provoquant d e profonde s désillusion s d u côt é français . L a décisio n d'achete r de s
matériels américain s li e l'industrie aéronautiqu e allemand e pour de s années à celle
d'outre-Atlantique. La coopération européenne n'est plus possible.
Dans le domaine commercial le déficit français persiste. En 1964, le conseiller commercial français constate encore un déficit et explique: »La situation s'est détériorée,
la responsabilité en incombe principalement à l'expansion de s ventes allemandes de
produits finis« 209. Le développement des exportations allemandes est extraordinaire,
bien que les ventes françaises aien t été multipliées par deux en 5 ans et qu'elles aient
été supérieures à celle de l'Italie ou de la Grande-Bretagne210. Les Français déplorent
les retards concernan t l a canalisation d e la Moselle en raison de la défaillance alle mande211. Les Français s'efforcent d e maintenir les liens commerciaux entre la France
et la Sarre. Il faut éviter un effondrement d e ce commerce212. Les tensions subsistent
sur les projets d e zone de libre-échange. 213 En 1959 les exportations française s ver s
l'Allemagne plafonnent parc e que l'industrie français e es t au sommet d e son effor t
d'exportation e t parce qu'il y a des problèmes agricoles, de plus les réglementations
phytosanitaires allemande s sont rudes 214. Ces difficultés inciten t les services à s'appuyer sur le Marché commun qui traite les questions agricoles dans un cadre multilatéral215.
Conclusion
En 1956 la puissance économique de l'Allemagne suscit e de nouvelles inquiétude s
en France. »Notre économie dépend davantag e du commerce franco-allemand qu e
l'économie allemande « remarque-t-o n a u Quai d'Orsay 216. L'Institu t d e l'Industri e
allemande de Cologne rassure l'opinion publiqu e française: »L e Français n'a rien à
envier à l'Allemand qu i a encore sur lui de grands retards« (nombr e de voitures et
consommation alimentaire) 217. Pourtant l e mouvement généra l portait l'Allemagn e
vers un enrichissement encore plus grand. La sécurité des Français était-elle menacée?
La IVe République a choisi de coopérer avec l'Allemagne dans un cadre économique
209 AMEF, B 54925, Bad Godesberg, Conseiller commercial à M. le Ministre des Finances, DREE,
23 avril 1964, n° 2460, Les échanges commerciaux entre la France et la RFA en 1963.
210 AMEF, B 54925, Bad Godesberg, 29 septembre 1964, 5100 Conseiller commercial au Ministre des
Finances, DREE, 29 septembre 1964, n°5100, Echanges franco-allemands d e produits industriels
élaborés (1959-1963).
211 DDF 1958, t. 2, n° 399, M. Couve de Murville, MAE, à M. François Seydoux, ambaF à Bonn, 9 décembre 1958, tel. 4408-4413.
212 AMAE, Europe 1956-60, Allemagne, vol. 27, DAEF, 8 septembre 1958, Etat des relations économiques franco-sarroises.
213 AMAE, DE-CE, vol. 755, Bonn, 25 mars 1959, entretiens franco-allemands d'Aix-la-Chapelle.
214 AMEF, B 54925, projet d'articles signé par le Ministre pour un numéro spécial franco-allemand du
»Journal de l'Industrie« et »Industriekurier«, 20 avril 1959.
215 AMAE, DE-CE, vol. 653, Note pour le Ministre, 16 décembre 1960,0.W., a/s politique agricole.
216 AMAE, Europe 1956-1960, Allemagne, vol. 27, DAEF, 9 septembre 1958, RM/MM, a/s relations
économiques franco-allemandes.
217 AMAE, Europe 1956-1960, Allemagne, vol. 74, ambaF C. de Margerie, chargé d'affaires en RFA, à
C. Pineau, MAE, 23 juillet 1956, réponse à Réalités, de M. Hellwig, directeur de l'Institut de l'Industrie allemande de Cologne.
Les conceptions françaises des relations économiques avec l'Allemagne ( 1943-1960) 6
1
et militair e européen . C e choi x étai t partag é pa r le s responsable s politique s alle mands. L'étaient-ils par les milieux industriels allemands? Les milieux économiques
allemands ont souvent critiqué la France. Ils se tournaient plus vers l'Angleterre e t
l'ensemble de l'OECE que vers la France. Le Marché commun leur paraissait couper
sans raison valable l'Europe. Les politiques allemands ont sauvé la coopération fran co-allemande et compris que la sécurité de la France était la clef de la paix en Europe.
Cette sécurit é passai t pa r un e harmonisatio n économiqu e bilatéral e e t intereu ropéenne. Mais un doute subsiste. Dans la coopération militaire et nucléaire, qui est
le dupe de l'autre?
Conclusion générale
Les questions économiques n'échappent pas au domaine politique. Il serait absurde
de les traiter séparément. Les motivations politiques déterminent l'actio n de s hauts
fonctionnaires de s Finances et du Quai d'Orsay qui n'ignorent pas les enjeux économiques et commerciaux. Les relations franco-allemandes n'on t jamais été simples. La
peur de l'Allemagne a été dépassée de 1945 à 1958 grâce à l'intelligence politique de
Monnet, Blum, Schuman, Mendès France, Mollet, Gaillard et de Gaulle. Le triptyque »détruire, supporter, coopérer« ren d compte sommairement d e l'évolution de s
rapports. Chez certains hauts fonctionnaires françai s perduren t sino n la volonté de
détruire l'Allemagne , d u moin s cell e de la contenir. Un e nouvell e conceptio n de s
rapports fondée sur la coopération se développe à partir de 1945, apparaît en 1948 et
émerge au temps de Mendès France. Cette coopération a plusieurs niveaux. Il y a une
coopération d e supériorit é e t un e coopératio n égalitaire . L a premièr e conceptio n
aspire à établir u n rappor t d e puissance économiqu e e n faveur d e la France. Cette
coopération suppose que le partenaire allemand se plie aux conditions françaises. Sa
récompense serai t d e partage r l e pouvoi r économiqu e dan s le s T.O.M . L a parti e
française accepterai t un e perte de souveraineté économiqu e dans la mesure où elle
aurait balisé les voies de cette coopération et où elle ne serait pas dépossédée du pouvoir politique. La coopération à égalité, plus classique, tend à s'imposer progressivement avec tous ses risques. Cette coopération a pour but d'aplanir les obstacles protectionnistes aux échanges privés. Elle offre un e possibilité d'expansion a u plus fort
économiquement. L'Allemagne risque donc de dominer. Ce retour à la coopération
libérale est tempéré par l'intervention de s responsables politiques des deux pays et
par le facteur Europ e qui établissent de s règles du jeu. Mais dans ce dernier cas , la
France est incapable d'imposer seule les règles du jeu à l'Allemagne. Elle doit en passer par la synarchie européenne. Il n'est pas sûr qu'elle y parvienne. Mais l'Europ e
est rassurante.
La période 1945-1960 est marquée par l'abandon des revendications françaises les
plus illusoires . E n revanch e qu'e n est-i l vraimen t d e la coopératio n économique ?
Est-elle vraiment au cœur des relations franco-allemandes? Que l est son sens quand
Erhard demande essentiellement l'abaissemen t de s barrières? L a coopération peut elle se limiter à l'accroissement des échanges? Il a existé une autre coopération d'Etat,
relevant de la volonté des gouvernements. La France a impulsé des actions (Moselle,
Alsace, exportations agricoles, position française en Sarre) et caressé des projets dans
les T.O.M. Elle a surtout tenté de bâtir une industrie d'armement commune. En dépit
62
Gérard Bossuat
de certaine s réussites , cett e coopératio n d'Eta t n' a pa s débouch é su r un e inter pénétration des intérêts économiques français e t allemands au point de faire de l'ensemble franco-allemand u n même espace économique.
Les hauts fonctionnaires ont été l'expression somme toute banale des opinions sur
l'Allemagne du peuple français et de leurs représentants. Cependant leur sens du réel
les a empêchés de verser dans le mythe de la destruction de l'économie allemande en
1945. Parmi eux des hommes plus fins ont conseillé aux ministres - à moins qu'ils ne
soient l'instrument d e ces ministres - une politique d'entente ave c l'Allemagne qu i
serve à la fois les légitimes intérêts économiques de la France et ceux de la paix en Europe. Les constructions européennes ont cadré à partir de 1957 la coopération fran co-allemande. Elles sont le cadre parfait d e la sécurité de la France et du développement concerté des économies allemande et française. Elles le restent toujours autan t
au milieu des années quatre-vingt-dix ca r le rapport de force économique bilatérale
est défavorable à la France.
HANNS JÜRGEN KÜSTERS
KONRAD ADENAUE R UN D DI E IDE E EINE R
WIRTSCHAFTLICHEN VERFLECHTUN G MI T FRANKREIC H
»Ich möchte Ihnen die psychologische Lage in Deutschland erläutern«, begann Bundeskanzler Adenauer seine Unterredung mit dem französischen Außenministe r Antoine Pinay am 29. April 195 5 in Bonn. »Die Verständigung mit Frankreich is t fü r
Deutschland scho n ein alter Gedanke und wurde nicht ers t nach dem Zusammen bruch erfunden. Scho n 192 5 hat die Reichsregierung auf Grundlage eines von zwei
Großindustriellen und von mir selbst ausgearbeiteten Vorschlags es versucht, zu einer Zusammenarbeit mit Frankreich zu kommen. Leider ist nichts daraus geworden.
Dann kam der Nationalsozialismus. Sie kennen meine Stellungnahme dazu, und Sie
kennen auc h di e Einstellun g Hitler s z u Frankreich . Nac h de m Krie g ka m Her r
Schuman mit seine m Vorschlag eine r Montangemeinschaft. I n eine m persönliche n
Brief erklärte er mir, das Wesentliche an diesem Vorschlag sei die enge Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland. Ich habe dann ohne erst die Industriellen zu befragen, mich voll für diesen Gedanken eingesetzt.«1
Daß Adenaue r au s gan z unterschiedliche n Motive n z u de n große n Verfechter n
des europäischen Integrationsgedanken s zählt 2 und dami t di e Verständigung unte r
den Staate n insonderhei t Westeuropa s förderte , is t gemeinhi n bekannt . Wenige r
deutlich wurde bisher, aufweiche methodischen Ansätze er bei seinen Überlegungen
zur Verflechtung de r deutschen und französischen Wirtschaf t zurückgrif f un d welche politischen Bedingunge n e r mit einer solchen Zusammenarbeit verknüpfte . I m
folgenden solle n dies e beide n Aspekt e ebens o nähe r beleuchte t werde n wi e jen e
komplizierten Vorgänge, die trotz mancher Widerstände in den fünfziger Jahren zur
Gründung de r Europäische n Wirtschaftsgemeinschaf t un d zu m Scheiter n de r eu ropäischen Freihandelszone mit Großbritannien führten .
Adenauers Gedanken einer Wirtschaftsverflechtung mi t Frankreich wurzelten in
Überlegungen zu r Beseitigun g de r französische n Besatzun g de s Ruhrgebiete s i m
Dezember 1923 . In Verhandlungen mi t dem Präsidenten de r Hohen Interalliierte n
Rheinlandkommission, Tirard, entwickelte Adenauer das Konzept für eine Verständigungspolitik mit Frankreich3. Es basierte auf vier Prämissen: (a) die singulare Stel1 Aufzeichnun g übe r die Besprechung Adenauer-Pinay , 29.4.1955 , in : Bundesarchiv, Koblen z (BA) ,
Nachlaß (NL ) Herber t Blankenhor n 351/45b ; auch: Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus , Ba d
Honnef-Rhöndorf (StBKAH) , NL Konrad Adenauer 111/97.
2 Hans-Pete r SCHWARZ , Adenauer un d Europa , in : Viertel)ahrshefte für Zeitgeschicht e 2 7 (1979 )
S. 471-523.
3 Niederschrif t übe r eine Besprechung mit Vertretern des besetzten Gebiets am 9. Januar 1924, in: Di e
Kabinette Marx I und II, 30. November 1923 bis 3. Juni 1924. 3. Juni 1924 bis 15. Januar 1925, Bd. 1,
November 192 3 bis Jun i 1924, Dokumente Nr. 1 bis 213, bearb. von Günter ABRAMOWSKI, Boppard
am Rhei n 1973, S. 211-215.
64
Hanns Jürgen Küsters
lung de s Deutsche n Reiche s gegenübe r Frankreic h au f de m Kontinent , d a di e
Reichsregierung weder von den Vereinigten Staaten noch von England Hilfe z u erwarten hatte, (b) die innenpolitische Lag e in Deutschland, die Befürchtungen eine s
Auseinanderbrechens des Reiches aufkommen ließ , wenn die Besatzungsfrage nich t
einer Lösun g zugeführt würde , (c) die spürbare Verschlechterung de r wirtschaftli chen Verhältnisse im Rheinland, und (d) die Einbeziehung ernstzunehmende r For derungen Frankreichs nach Reparationen und zukünftigen Sicherheitsgarantien .
Zwei Meinungsströmungen beherrschte n i n Adenauers Einschätzun g di e damalige französische Politik : Die Auffassung, da ß die Sicherheit vor Deutschland nich t
durch Verträge gewährleistet werde, weshalb die Oppressionspolitik bi s zum möglichen Auseinanderbreche n de s Reiche s fortzusetze n se i un d de r besetzt e Tei l
Deutschlands als Pufferstaat erneut e Aggressionen besser abwehren könne. Die gegenteilige Ansicht wolle e s zu diese m Bruc h ers t ga r nicht komme n lassen . In de r
Abspaltung eine s Teil s vo n Deutschlan d läge n fü r Frankreic h vornehmlic h zwe i
große Risiken : ein mehr ode r weniger umfangreiche r Verzich t au f Reparationslei stungen und die Stärkung nationalistischer und revisionistischer Kräfte al s natürliche
Reaktion auf den Zerfall Deutschlands durch Abtrennung seines westlichen Teils, wobei die Anwendung von Waffengewalt zu r Wiederherstellung der Reichseinheit nicht
ausgeschlossen sei4.
Die Schaffun g eine s dauerhafte n Friedenszustande s wa r - wi e Adenauer s Vor schläge vom 12. Dezember 1923 belegten5 - a n zwei Bedingungen gebunden: Einerseits die Errichtung eines westdeutschen Bundesstaates innerhalb des Deutschen Reiches, der auf Grund seines größeren politischen Gewichtes einen verstärkten Einflu ß
auf die Entwicklung Deutschlands nehmen, einer Entwicklung des föderalistische n
Denkens Vorschub leisten und ein e politisch gleichberechtigt e Roll e im Reichsverbund gegenüber der Dominanz der Reichsregierung spielen könnte. Andererseits die
deutsch-französische Industrieverflechtung ; mi t ihr wollte Adenauer hauptsächlic h
drei Problem e lösen : zu m eine n di e Reparationsfrage , inde m di e wirtschaftliche n
Verhältnisse an Rhein und Ruhr in einer für all e Beteiligten tragbaren Form geord net, Arbeitsplätz e geschaffe n un d de r Lebensstandar d de r Bevölkerun g gesicher t
würden; zum anderen die Besatzungsfrage durc h Abzug der französischen Truppe n
und schließlich die Beseitigung der interalliierten Kontrolle in Form der Rheinlandkommission. Diese r Bundesstaa t könnt e innerhal b de r vo m Reic h vorgegebene n
Bereiche ein e eigen e Gesetzgebun g betreiben , worunte r Adenaue r vornehmlic h
Zölle un d de n Postverkeh r rechnete . Di e Nutzun g de r rheinisch-westfälischen ,
lothringischen und luxemburgischen Industrien, die als einheitlicher wirtschaftliche r
Organismus gewachse n seien, werde zu gegebene r Zeit auf der Basis der gegenseitigen Vorteile gemeinsame Handels- und Wirtschaftsinteressen entwickeln . Die friedenserhaltenden Effekte sa h Adenauer darin, daß weder Frankreich noch die Regierung un d Bevölkerun g de s westdeutsche n Bundesstaate s ei n Interess e hätten , di e
gesamte Region zu einem Kriegsschauplatz zu machen.
4 Ibid . S. 212.
5 Gegenvorschla g Adenauers zur Denkschrift Tirards , 12.12.1923, in: Karl Dietrich ERDMANN , Adenauer in der Rheinlandpolitik nach dem ersten Weltkrieg (Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften), Stuttgart 1966, S. 327-331.
Konrad Adenauer und die Idee einer wirtschaftlichen Verflechtun g mit Frankreich 6
5
Der Kölne r Oberbürgermeiste r wollt e aber nicht zuletzt durc h di e Etablierun g
eines Bundesstaate s i n Westdeutschlan d di e Gefah r de s Reichszerfall s abwenden .
Das konnt e abe r nur gelingen , wenn da s deutsch-französische Verhältni s generel l
bereinigt würd e un d de r au f Deutschlan d lastend e Druc k vo n Reparation , Besat zung un d alliierte r Kontroll e beseitig t wäre . Mit de n Industrielle n Hug o Stinne s
und Paul Silverberg, die den wirtschaftlichen Verflechtungsansat z mittrugen 6, versuchte Adenauer Reichskanzler Marx und Außenminister Stresemann für das Konzept z u gewinnen . Besondere n Wer t legt e Adenaue r darauf , da s Reparationspro blem statt auf der Schiene des Geldtransfers über Warenlieferungen z u lösen, für die
einzelne Wirtschaftszweige au s Geldquellen des Reichs Vergütungen erhalten sollten. Es wäre zugleich ein e Art Konjunkturförderungsprogramm , da s in Deutsch land Arbeit sicherte.
Bei Kriegsende 1945 beurteilte Adenauer das deutsch-französische Verhältni s pessimistischer denn je. I n einem Gespräch mit dem amerikanischen Offizier Just Lunning Ende März in Köln skizzierte er die Entwicklung des Deutschen Reiches, das
auf zwe i historische n Wurzel n gründe : di e römisch e Kultu r un d da s preußisch e
Deutschland, das ersterem seinen Willen aufgezwungen habe . Die Ideallösung einer
künftigen Staatsgestaltun g sa h er wiederum i n der Errichtung eine s Bundesstaates,
bestehend au s Österreich, Rest-Preußen, Westdeutschland mi t Westfalen un d de m
Rheinland sowie Süddeutschland. Falls sich diese Föderation nicht bilden lasse, müsse das Rheinland eine n separaten Staa t schaffen. Di e französische Besatzungsherr schaft würde das Rheinland und dessen Kultur völlig zerstören, wenn es dazu Gelegenheit erhielte, nahm Adenauer an 7. Sei n Hauptziel war zuvorderst die Abwehr der
Oppression als beherrschende s Instrumen t französische r Deutschlandpoliti k de r
Nachkriegszeit. Er plädierte daher für eine britisch-amerikanische Vormachtstellung
im Rheinland.
Von August 194 5 an operierte Adenauer wieder mit dem Verflechtungskonzept i n
der Absicht, die wirtschaftliche Ausbeutun g Deutschlands durch Frankreich mittel s
Angebot einer weitgehenden Zusammenarbeit in Grenzen zu halten. In einem Memorandum vom 1. September 1945 , da s über den Schweizer Diplomaten von Weiss französischen Offiziere n au s de m Stab e d e Gaulie s weitergereich t wurde , sprac h sic h
Adenauer für di e dauerhafte wirtschaftlich e Zusammenarbei t und Verflechtung, aber
auch fü r ein e möglichs t eng e kulturelle un d auc h politische Annäherun g zwische n
Deutschland un d Frankreich aus . Er knüpfte dara n die Bedingung, daß die Früchte
der wirtschaftlichen Kooperatio n dem Rheinland nicht vorenthalten bleiben dürften .
Adenauer bedient e sich des Ansatzes von 192 3 und wollte zum zweiten Mal durch
Verflechtung übergezogen e Reparationsforderunge n abwehren , dami t mögliche n
separatischen Überlegunge n au f französische r Seit e entgegenwirke n un d Sicher 6 Ausführunge n vo n Stinnes über eine deutsch-französische Industriegemeinschaf t i n der Besprechung
vom 13.12.1923, in: Di e Kabinette Marx I und II (wie Anm. 3) S. 101-103.
7 Berich t des amerikanischen Offiziers Just Lunning über Begegnungen und Gespräche mit Adenauer
am 27./28.3.1945, 4.4.1945, in: National Archives and Record Administration, RG 226, Records of
the Offic e o f Strategi e Services , Correspondence-France (Includin g 1945) , Entry 75 , S. 4f., abge druckt in: Hann s Jürgen KÜSTERS, Hans Peter MENSING (Hg.), Kriegsende und Neuanfang am Rhein.
Konrad Adenaue r i n de n Berichte n de s Schweize r Generalkonsul s Franz-Rudolp h vo n Weis s
1944-1945, München 1986 , S . 24f .
66
Hanns Jürgen Küster s
heitsbefürchtungen abwiegeln . Wenngleich er zugestand, daß die Wirtschaftskoope ration zunächs t Frankreic h zugut e komme n müsse , s o sollte di e deutsch-französi sche Zusammenarbei t doc h de m Aufba u un d de r Prosperitätsentwicklun g beide r
Länder dienen . Da s Rheinland durft e kein e Koloni e werden , di e Arbeit de r Rhein länder sollte sich im beiderseitigen Interess e lohnen .
In eine m Memorandum , da s Adenauer Mitt e Septembe r 194 5 über Verbindungs leute Genera l Billott e zukomme n ließ , wandte e r sich gege n ein e Entindustrialisie rung Deutschlands , di e dem Rheinstaat de n Boden entzög e un d die verfolgte Stär kung der wirtschaftlichen Kraf t Frankreich s durc h Verflechtung mi t einer leistungs fähigen Industri e gefährden würde 8 .
In modifizierte r For m taucht e der Gedanke dan n in Adenauers Intervie w mit der
Vertreterin vo n »New Chronicle« , Barbar a Page , auf 9. Hintergrun d wa r jedoch wie
1923 nu n verstärk t sein e Sorge , da ß übe r di e Zweiteilun g Deutschland s auc h de r
westliche Teil auseinanderfiele. Die wirtschaftliche Verbindun g Westdeutschlands zu
Frankreich un d Belgien hätt e gleic h vier Zielrichtungen. Si e garantierte de n Zusammenhalt de r westlichen Besatzungszonen , bildet e die Grundlage fü r ein e Verständigungspolitik un d Friedenssicherung, baut e Sicherheitsängst e au f französischer Seit e
ab und verhinderte vielleicht ein e internationale Kontroll e de s Rhein-Ruhrgebietes.
In ähnliche r Form , jedoch meh r für die Schaffung eine s westdeutschen Bundesstaa tes plädierend , äußert e sic h Adenaue r i m Juni 194 6 gegenüber de m französische n
Diplomaten Pierr e Arnal 10.
Im Herbs t 194 6 kam für Adenaue r ein e weitere Sorg e hinzu : die Gefahr de r Abtrennung de s Saargebietes vo n Deutschland. Di e Rede de s amerikanischen Außen ministers Byrne s i n Stuttgar t nährt e i n ih m die Befürchtung, di e dre i Westmächt e
könnten sic h insgehei m längs t übe r di e Saarfrag e verständig t haben : Brite n un d
Amerikaner stimme n de r Abtrennung de s Saarlandes vo n Deutschland z u und leh nen dafü r di e Forderun g Frankreich s nac h eine r Internationalisierun g de s Ruhr gebietes und der Abtrennung des linken Rheinufers ab11.
Adenauer war sich der Tatsache bewußt, daß auf französischer Seit e zwei Schwie rigkeiten seine m Verflechtungsgedanken entgegenstande n un d nur schwer z u über winden waren. Nach den Kriegserfahrungen un d infolge des verschärften Ost-West Konflikts ga b es in Frankreic h kein e einflußreiche n Kräfte , di e für ein e Verständi gungspolitik mi t Deutschlan d eintraten . Und : Zu weitreichend e Konzessione n a n
Deutschland, di e Voraussetzung fü r ein e Verständigungspolitik waren , setzte n jed e
französische Regierun g erheblichem innenpolitischen Druc k au s und brachten sie in
Gefahr, darübe r zu stürzen 12.
8 KÜSTERS , MENSING (wi e Anm. 7) S. 200f. Pierre BILLOTTE, Le temps des armes, Paris 1972 , S. 385-390.
9 Konra d ADENAUER , Erinnerunge n 1945-1953 , Stuttgart 1965 , S . 34f. Aktennotiz übe r ei n Gespräc h
mit ausländischen Pressevertretern, 9.10.1945, in: Adenauer Briefe 1945-194 7 (Adenauer Rhöndor f er
Ausgabe, hg. von Rudolf MORSEY , Hans-Pete r SCHWARZ) , bearb . vo n Han s Pete r MENSING , Berli n
1983, S . 123f .
10 Pierr e ARNAL , Conra d Adenaue r sous l'occupatio n britanniqu e (1945-1947), in : Revue d'Histoire
Diplomatique 8 1 (1967) S. 68-76.
11 ADENAUE R (wi e Anm . 9 ) S . 103 .
12 Ibid . S. 252.
Konrad Adenaue r und di e Idee einer wirtschaftlichen Verflechtun g mi t Frankreich 6
7
Eine mögliche Kursänderung vernahm Adenauer im März 1948, als er von einem
Vertreter Bidault s hörte , die Regierung i n Paris habe eine Kommission beauftragt ,
mögliche Verflechtungen de r westdeutschen un d französische n Wirtschaf t z u prü fen. Es war für Adenauer ein Signal, über seine Kontakte zum Bankier Pferdmenge s
die Prüfung der Angelegenheit anzuregen 13.
Adenauers Vorschlag einer Zollunion wurd e im März 195 0 zu eine m Zeitpunk t
publik gemacht , al s di e westlich e Deutschlandpoliti k un d di e westeuropäisch e
Außenhandels- und Wirtschaftspolitik vo r einer Vielzahl grundsätzlicher Umorien tierungen stand . Die Gründung de r beiden deutsche n Staate n im Herbst 194 9 verstärkte bei den Westmächten die Sorge um ein Wiederaufkeimen de s deutschen Nationalismus. Di e daz u paralle l verlaufend e Einbettun g de r Bundesrepubli k i n di e
OEEC war nur ein unzureichender Ansatz, die Westdeutschen aus der handelspolitischen Isolation herauszuführen 14. Di e uneinheitliche Beurteilun g unter den westeuropäischen Staate n i n de n Fritalux-Verhandlunge n - vo r alle m zwische n De n
Haag und Paris - hinsichtlich der Einbeziehung der Bundesrepublik in Bemühungen
um den Abbau der Prohibitivzölle, den Verzicht auf diskriminierende Fiskalpraktiken und die Einführung eine s Systems der Wechselkursflexibilität zu r Austarierung
von Zahlungsbilanzungleichgewichten erfordert e neu e Lösungsansätze 15. Denn das
im Juli 194 9 zwischen der französischen Regierun g und der für di e Westzonen zu ständigen Joint Export-Import Agency paraphierte Handels- und Zahlungsabkom men, das die Wirtschaftsbeziehungen fü r das neue Marshall-Plan-Jahr regelte, wurde
im Lichte de s angestrebte n zollpolitische n Zusammenschlusse s au f de m Wege der
Ausweitung de r Fritalux-Vereinbarungen au f di e Bundesrepublik gesehen . Infolg e
der von den vier Mächten auf der Außenministerkonferenz i n Paris im Jun i 1949 angeregten Vereinbarunge n übe r de n innerdeutsche n Hande l wa r z u allede m ein e
Lücke in der westlichen Embargostrategie gegenübe r Osteurop a entstanden , die es
durch weiter e Vereinbarunge n z u schließe n galt . Gleichzeiti g wurd e de r bundes deutsche Außenhandel au f Initiativ e der amerikanischen Regierun g den Bedingun gen der Cocom unterworfen 16. In der Deutschlandpolitik hatten sich die Westmächte zu r Revisio n de s Besatzungsstatut s verpflichtet , di e spätesten s i m Mär z 195 1
wirksam werde n sollte . Daz u sollt e da s Londone r Außenministertreffe n de r dre i
Westmächte vom 11. bis 14. Ma i 1950 erste Grundsatzbeschlüsse zustande bringen.
Wichtiges Motiv für Adenauer, einen erneuten Vorstoß zu einer deutsch-französi schen Wirtschaftsverflechtun g z u machen , war jedoc h di e sic h zuspitzend e Saar frage. Die drei westlichen Außenminister hatten sich am 10. Novembe r 1949 in Paris
definitiv darau f geeinigt , di e Westbindung de r Bundesrepubli k mi t de r Eingliede rung in den Europarat zu beginnen und gleichzeitig die Saar als assoziiertes Mitglied
13 Schreibe n Adenaue r a n Kindt-Kiefer , 30.3.1948 , in: Adenauer Brief e 1947-194 9 (Adenaue r Rhön dorfer Ausgabe) , bearb. von Han s Peter MENSING , Berli n 1984 , S. 195.
14 Schreibe n de s Generalsekretär s de r Alliierte n Hohe n Kommissio n fü r Deutschland , Handley Derry, an Adenauer, 12.11.1949 , in: BA, B 122/2176.
15 Richar d T . GRIFFITHS , France s M.B . LYNCH , L'échec de la »Petit e Europe« : les négociations Frita lux/Finebel, 1949-1950, in: Revue Historique 274 (1986) S. 159-193.
16 Di e Kabinettsprotokoll e de r Bundesregierung , Bd . 1 , 1949 , hg . fü r da s Bundesarchi v vo n Han s
BOOMS, bearb . vo n Ulric h ENDERS , Konra d REISER , Boppar d a m Rhei n 1982 , S . 263 , Anm . 47 .
Schreiben Adenauer a n McCloy, 2.2.1950, in: BA, VS-B 102/5.
68
Hanns Jürgen Küsters
aufzunehmen17. Di e Verkündung der Saar-Konventionen Anfan g März 195 0 ließ in
Bonn erheblich e Zweife l dara n aufkommen , o b Frankreich wirklic h z u eine r Verständigungspolitik mi t Deutschland berei t sei. Adenauer drängte eigentlich auf eine
Revision der Saar-Konventionen, war aber schon fürs erste zufrieden, wenn die Aufnahme der Saar als assoziiertes Mitglied de s Europarats unte r de m Vorbehalt eine r
endgültigen Regelung in einem Friedensvertrag stünde.
Die beiden Interviews, die Adenauer im März 1950 dem amerikanischen Journalisten Kingsbury-Smit h gab , belegten, daß Adenauers Gedank e de r wirtschaftliche n
Verflechtung stet s instrumentellen Charakte r zu r Lösun g politischer Frage n hatte.
Wie der einzige Teilnehmer an beiden Unterredungen, der damalige kommissarische
Leiter des Presseamtes, Heinrich Böx, im Jahre 1983 erklärte18, ging nicht Adenauer
von sich aus auf die Zollunion ein . Vielmehr war in dem ersten Gespräch 19 nur die
Rede von einer vollständigen Union zwischen Frankreich und Deutschland au f der
Grundlage jener Überlegungen, die Adenauer bereit s 194 5 hatte ventilieren lassen .
Eine Union sollte das Mittel sein, alle Differenzen übe r die Saar und andere Probleme beizulegen. Sie würde die innenpolitischen Gegne r einer deutsch-französische n
Annäherung ruhigstellen, die in den Saar-Konventionen neue Munition für nationalistische Parolen bekamen.
An die Schaffung eine r solchen Union knüpft e Adenaue r dre i Bedingungen: fü r
Großbritannien, Italien und die Benelux-Länder mußte die Teilnahme offen sein, der
Eindruck eine r deutsch-französische n Achs e sollt e vermieden , di e Optio n fü r di e
Rückkehr der Saar zu Deutschland offengehalten werden . Durch die Aufnahme de r
Saar in die Union wäre das Problem im beiderseitigen Interess e lösbar. Im Grund e
ging es Adenauer darum, mehrere Gefahren abzuwehren. Er wollte französische Bestrebungen zur Annexion der Saarkohlengruben auf 50 Jahre neutralisieren, nationalistische Stimmungen für ein e Oppressionspolitik i n Frankreich, die den Verständigungspolitikern Schwierigkeite n bereitete n un d de n Revisioniste n i n Deutschlan d
Aufwind gaben , Einhalt gebieten und der Tendenz extrem national Gesinnter, die eine außenpolitische Orientierung Richtung Moskau das Wort redeten, entgegenwirken.
Adenauer selbs t führte i n dem zweiten Interview 20 verschiedene Motive für sei n
Angebot ins Feld: die ständig steigenden politischen Spannungen im Ost-West-Verhältnis, die generelle Bereitschaft z u kühnen Entschlüssen, die den Verständigungspolitikern in Frankreich Unterstützung bietet, und den Westmächten ein Instrument
an die Hand geben , um ihre Postponement-Politik z u überwinden, die von der Sowjetunion z u ihre n Gunste n ausgenutz t werde . D a si e gegenwärti g keine n Krie g
17 Conferenc e o f th e US , U K an d Frenc h Foreig n Ministers , Paris , November 1949 , Minutes o f th e
First Meeting , hel d i n th e Frenc h Ministr y o f Foreig n Äf fairs, 9.11.1949, in : Amhers t College ,
Robert Frost Library, Amherst/Mass., John J. McCloy Papers , Séries 2 Diaries DY1 2 1 Diary 194 9
Jul-Dec. Record of a Restricted Meeting held at the Quai d'Orsay at lOth November 1949 , in: Public
Record Office, Londo n (PRO), FO 371 General Correspondence/76784 .
18 Intervie w mit dem Vf. 3.3.1983 .
19 Übersetzun g des englischen Wortlauts des Interviews von Adenauer mit Kingsbury Smith, 7.3.1950,
in: Presse- un d Informationsam t de r Bundesregierung, Bonn , Biographische s Archiv . Teilabdruc k
in: ADENAUE R (wi e Anm . 9 ) S . 312 .
20 Intervie w Adenauers mi t Kingsbury Smith, 21.3.1950, in: Mitteilung an die Presse Nr. 347/50. Presse- und Informationsamt de r Bundesregierung, Bonn, Pressearchiv F 1/25.
Konrad Adenauer und die Idee einer wirtschaftlichen Verflechtung mit Frankreich 6
9
wolle, werde i m Weste n ei n falsche s Sicherheitsgefüh l produziert , da s Moska u zu r
Aufrüstung nutze . Unwahrscheinlic h war , da ß di e Vereinigte n Staate n ihr e Bereit schaft zu r Verteidigun g de s Westen s i m Konfliktfal l aufrechterhielten . Präventio n
könnte deshalb nur gelingen, wenn der Westen geschlossen agierte und von der Aussichtslosigkeit de r Eroberun g gan z Europa s überzeug t wäre . Z u beachte n ware n
außerdem di e innenpolitische n Gegensätz e un d Instabilitäten , vo r alle m i n Groß britannien zwische n Konservative n un d Labour-Parte i übe r de n Umfan g de s Ver teidigungsengagement de s Westens , di e kommunistische n Kräft e i n Italie n un d di e
dauernden Streik s in Frankreich .
Zur bessere n Erklärun g seine s Zollunionsvorschlags verglic h Adenauer di e aktu elle Situation mi t der am Ende der Napoleonischen Kriege . Deutschland wa r damal s
in ein e Vielzah l kleine r Staate n mi t eigene n Währungen , Zollgrenze n un d Armee n
geteilt. Zur Überwindung dieses Zustandes war der Deutsche Zollverein eingerichte t
worden, de r ei n Zollparlament schu f un d freie n Güteraustausc h garantierte . Es wa r
der Anfang de r Einigung im Deutschen Reich . Ähnliche Vorbildfunktion hab e nun mehr de r Benelux-Verband , di e Fritalu x un d de r Nordisch e Rat . De r Ansat z eine r
deutsch-französischen Zollunio n bedeute nichts anderes, als über die wirtschaftlich e
Vereinigung zu einer politischen Union zu gelangen. Diese Methode sollte erneut er probt werden .
Konkret schlu g Adenaue r di e Schaffun g zweie r Organ e vor : ei n gemeinsame s
Wirtschaftsparlament, da s sic h au s gesetzgebende n Körperschafte n beide r Lände r
zusammensetzt, un d ei n Regierungsorgan, da s von Frankreich un d Deutschlan d be stimmt würde und de m Wirtschaftsparlament gegenübe r verantwortlich wäre . Durc h
allmähliche Ausweitun g de r Kompetenze n sollt e di e Vereinigun g beide r Lände r
schrittweise vorangetrieben werden. Auf die konkrete Situation bezogen, impliziert e
die Offerte verschieden e Vorteile . Es konnte sowoh l au f Teilbereiche der Wirtschaf t
als auch auf politische Teilbereiche, in denen Frankreich zur Kooperation berei t war,
Anwendung finden . Al s Beispie l dafür , wi e Lände r miteinande r verschmolze n wer den könnten, nannte Adenauer die Saar-Konventionen. Diese Regelung würde prak tisch au f di e Wirtschaf t Frankreich s un d Deutschland s ausgedehn t un d dami t ihr e
Spitze gegen Deutschland verlieren .
Die Realisierun g eine r Zollunio n impliziert e de n Schrit t zu r Gleichberechtigun g
und Gleichbehandlun g i n de n deutsch-französische n Beziehungen , i n di e di e ge meinsame Verantwortung un d di e gegenseitige Nutzun g de r wirtschaftlichen Kapa zitäten un d Ressource n eingebrach t wurden . Übe r di e wirtschaftliche Verflechtun g
konnte di e Lösun g de r politische n Frage n erziel t werden : Befriedigun g de r Sicher heitsansprüche, Aufhebun g de r einseitige n Kontroll e Frankreich s übe r deutsche s
Wirtschaftspotential, Fortsetzun g de r Verständigungspoliti k un d di e Beilegun g de s
Konflikts übe r di e Saarfrag e i m Sinn e de s Offenhalten s de r Rückkehroptio n z u
Deutschland.
De Gaull e stellt e übrigens di e Gedanken Adenauer s wenig e Tage später i n Bezu g
zur Schlacht auf den Katalaunischen Feldern , wo Attila dank gemeinsame r Anstren gungen vo n Galliern , Germane n un d Römer n geschlage n wurde . Mi t pathetische n
Worten bezeichnet e de r Genera l di e Vereinigun g Deutschland s mi t Frankreic h al s
Fortsetzung de s Werks Kar l des Großen . Allerding s sa h de Gaulle mi t Blick au f di e
Saar, di e einstweile n ei n Faustpfan d i n de r Han d Frankreich s blieb , durchau s di e
70
Hanns Jürgen Küsters
Chance, daß bei einer wirtschaftlichen Verbindun g dieser Streitpunkt an Bedeutung
verlieren würde21.
Adenauer suchte Kontinuitätslinien seiner Politik durch Rückgriff au f die Überle gungen von 192 5 - wi e er fälschlicherweise de s öfteren behauptet e - aufzuzeigen 22.
In einer Unterredung mit den Hohen Kommissare n am 22. März 195 0 kam er erstmals in seiner Kanzlerzeit darauf zu sprechen23. Er habe damals den Plan einer Zollunion der Regierung Marx vorgetragen, der auch Billigung erfuhr, allerdings nie umgesetzt wurde . Bezeichnenderweis e setzt e Adenaue r diese n Hinwei s auc h hand schriftlich au f das Originalschreiben, mit dem er Schumans Plan zur Schaffung eine r
Hohen Behörd e a m 8 . Mai 195 0 beantwortete 24. Eine n konkrete n Zollunionspla n
gab es wohl nicht , dafür abe r die Idee einer irgendwie geartete n Verflechtung. Al s
Adenauer sic h im März 195 3 an das Schreiben Schuman s erinnerte , behauptete er,
sein erster Gedanke sei gewesen, das ist der Weg, Deutschlan d wieder politische und
wirtschaftliche Gleichberechtigun g z u geben 25. Zunächst wa r e s jedoch da s Signal
Schumans, de m amerikanisch-britische n Kur s de r sic h abzeichnende n Westbin dungspolitik mi t Deutschlan d praktisch e Ta t folge n z u lasse n un d da s Geset z de s
Handelns nicht Washington und Paris anheim zu geben. Von dem Journalisten Fritz
Sänger, der im Auftrag de s Kanzlers die Stimmungslage für ein e Verständigung mit
Deutschland i m parlamentarische n Umfel d de s französische n Senat s un d einige r
Parteien erkundete, wurde diese Trendwende Ende Mai 1950 bestätigt26.
Im April erwartete Adenauer von den Westmächten zunächs t Entgegenkomme n
in der Beitrittsfrage zu m Europarat, die er erst dann dem Deutschen Bundestag vorlegen wollte, wenn klargestellt sei, daß die Saar-Konventionen kei n Hindernis dar stellten. Di e vo m Kanzle r gefordert e Gest e bezo g sic h au f di e Bekanntgab e de s
nichtveröffentlichten Zusatze s der Verständigung unter den drei westlichen Außenministern, daß die amerikanische und die britische Regierung der Forderung Schumans, die Saar zum Beitritt in den Europarat einzuladen , vorbehaltlich der endgültigen Regelung des Friedensvertrages erfolge.
In eine r resümierende n Betrachtun g übe r di e Saar-Vereinbarunge n i m Zusam menhang mi t de n Parise r Abkomme n vo m Oktobe r 195 4 ga b Adenaue r zu , da ß
tatsächlich die französische Regierung in den ersten Nachkriegs jähren »sehr wesent21 Conférence de Press e tenue au Palai s d'Orsay, 16.3.1950, in : Charles d e Gaulle , Discour s e t Mes sages: Dan s l'Attente, Févrie r 1946-Avril 1958 , o.O . [Paris ] 1970 , S . 344-358 , hie r S . 348-350 .
Keesing's Archiv der Gegenwart 20 (1950) S. 2302F.
22 Informationsgespräc h mi t Lachmann , 29.1.1963, in: Adenauer Teegespräche 1961-196 3 (Adenaue r
Rhöndorf er Ausgabe), bearb. von Hans Peter MENSING, Berli n 1992, S. 320-333, hier S. 329.
23 ADENAUE R (wi e Anm . 9 ) S. 319. Akten zu r Auswärtigen Politi k de r Bundesrepublik Deutschland ,
Bd. 1 : Adenauer un d di e Hohe n Kommissar e 1949-1951 , hg . i m Auftra g de s Auswärtige n Amte s
von Hans-Pete r SCHWAR Z i n Verbindung mi t Reiner POMMERIN , bearb . von Frank-Lotha r KROLL ,
Manfred NEBELIN , Münche n 1989 , S. 147-174, hier S. 165f .
24 Persönliche s Schreibe n Adenauer s a n Schuman, 8.5.1950 (Kopi e de s Original s i m Besit z de s Vf.) ;
Teilabdruck in : Adenaue r Brief e 1949-195 1 (Adenaue r Rhöndor f er Ausgabe) , bearb . vo n Han s
Peter MENSING, Berli n 1985 , S. 208f.
25 Bundesrat , Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten , Niederschrif t übe r die 33 . Sitzung, 30.3.1953,
Tagebuch Nr. Ausw. 28/ 53, Exemplar Nr. 20, S. 8f., in : Bundesrat, Archiv P 50 A.
26 Schreibe n Sänger an Adenauer, 26.5.1950, in: Archiv der sozialen Demokratie, Bonn, NL Frit z Sänger Bd. 242; auch Interview Sänger mit Adenauer: Friede durch wirtschaftliche Zusammenarbeit , in:
Stuttgarter Nachrichten, 13.5.1950 .
Konrad Adenauer und die Idee einer wirtschaftlichen Verflechtung mit Frankreich 7
1
lieh« zur wirtschaftlichen Erholun g der Saar beigetragen habe. Für den Aufbau de r
Hüttenwerke und die Gestaltung der Bergwerke mußte sie zunächst erhebliche Beträge aufwenden . Al s sic h di e Stimmungslag e de r Bevölkerun g a n de r Saa r gege n
Frankreich und mehr auf Deutschland richtete, seien die lothringische Hüttenindu strie und die französischen Bergwerk e intensiver modernisiert worden 27.
Trotz de s Schuman-Plan s stan d da s erst e deutsch-französisch e Handelsabkom men in der Bundesrepublik unter keinem günstigen Stern. Die parlamentarische Opposition nahm es 1951 zum Anlaß einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht 28.
Vordergründig drehte es sich um die Frage, ob dieses Wirtschaftsabkommen di e politischen Beziehungen des Bundes im Sinne eines Staatsvertrages regelte und deshalb
der Zustimmung des Bundestages bedurfte . Währen d di e Bundesregierung di e Zustimmungspflicht negierte 29, pochte di e Mehrhei t de s Rechtsausschusse s de s Bun destages auf da s Ratifikationserfordernis 30. Hinte r de r von der SPD-Fraktion 195 1
angestrengten Klag e vor de m Bundesverfassungsgerich t wurde n di e eigentliche n
Gründe sichtbar , die die Opposition bewegten . Sie konnte au f di e von der Regierung betrieben e Intensivierun g de r handelspolitische n Verbindunge n mi t Frank reich keine n Einflu ß nehmen . Dabe i stan d wenige r di e Frage i m Mittelpunkt, o b
überhaupt ein e handelspolitisch e Beziehun g aufgenomme n un d de r Hande l gan z
oder teilweis e liberalisier t würde . Bedeutsame r wa r di e Frage, ob durc h derartig e
Vereinbarungen Tatsachen wie die Existenz einer unter französischem Einflu ß ste henden Saar-Regierung anerkannt und politische Entscheidungen mi t unwiderruf lichen Integrationswirkungen gefäll t würden, die in eine politische Option fü r de n
Westen münden und somit implizit die Abtrennung der Saar von Deutschland ak zeptiert bzw. eine Wiedervereinigung im Westen wie im Osten negativ beeinflusse n
würde. Da s Bundesverfassungsgerich t ga b i n seine n Leitsätze n de r Bundesregie rung recht, daß ein Staatsvertrag nicht politische Beziehungen regele , wenn er sich
nur allgemein mit öffentlichen Angelegenheiten , dem Gemeinwohl und den Staatsgeschäften befasse 31.
Bei den Verhandlungen über die Ratifizierung des Vertrages über die Europäische
Verteidigungsgemeinschaft, di e sich nach der gescheiterten Berliner Außenministerkonferenz de r Vier Mächte im Februar 195 4 zuspitzten, tauchte die Frage zusätzlicher wirtschaftliche r Hilfsmaßnahme n de r Bundesrepubli k fü r Frankreic h wiede r
auf32. Bei ihrem ersten Zusammentreffen a m 22. August 195 4 in Brüssel gestand der
27 Protokol l übe r di e Ausführungen de s Herrn Bundeskanzler s i n de r Besprechun g mi t den Koah tionsfraktionsvorsitzenden übe r die Pariser Abkommen übe r die Saar am 8.11.1954, in: StBKAH,
NL Adenauer 111/82.
28 Klag e der Sozialdemokratischen Fraktio n des Bundestages, vertreten durch ihren 1 . Vorsitzenden,
Bundestagsabgeordneten Dr . Kur t Schumacher , gege n di e Bundesregierun g wege n de s Deutsch Französischen Wirtschaftsabkommens vo m 10. Februar 1950,4.7.1951 , Wortlaut in: BA, B 122/2176.
Zur Begründung der Klage Schreiben Arndt an das Bundesverfassungsgericht, 1.12.1951 , ibid.
29 Schreibe n Erhard an das Bundesverfassungsgericht, 2 . Senat, 12.12.1951, ibid.
30 Ibid. , Anlag e 1 Stellungnahme de r Mehrhei t de s Rechtsausschusses zu m Ratifikationserforderni s
bei Handelsverträgen, gezeichnet von Wahl und Arndt, 15.3.1950.
31 Leitsätz e zum Urteil vom 29. Juli 1952 über die Deutsch-Französischen Wirtschaftsabkommen vo m
10. Februar 1950, ibid.
32 Andrea s WILKENS , Das Programm von La Celle-St.Cloud. Der Ausbau der deutsch-französische n
Wirtschaftsbeziehungen 1954-1957 , in: Revue d'Allemagne 24 (1993) S. 565-580.
72
Hanns Jürgen Küsters
französische Ministerpräsiden t Mendès France de m Kanzle r ziemlic h unverblüm t
ein, der hervorstechende Zu g der allgemeinen psychologische n Lag e des französi schen Volkes sei ein starker Minderwertigkeitskomplex . Da s stagnierende Produk tionsniveau se i geradezu erschreckend . Sei t dem End e der zwanzige r Jahre se i die
französische Produktio n nur um 3 Prozent gestiegen. In Wahrheit wollten die Franzosen nicht einsehen, daß sie den Krieg verloren hatten. Vor den Deutschen hätte n
sie Angst. Auf den Vorschlag Adenauers, die Lage durch eine engere wirtschaftlich e
Zusammenarbeit z u verbessern, beipielsweise durch ein e langfristige Abnahmever pflichtung französischen Weizens , sagte Mendès France zu, den »spektakulären« Vorschlag, der gerade in ländlichen Gebieten politische Wirkung habe, prüfen zu lassen33.
Adenauer gewann aus dem Gespräch den Eindruck, Mendès France sei es zuvorderst daru m z u tun , di e französisch e Wirtschaf t z u stärken . De r amerikanisch e
Außenminister Dulles bestätigte ihm am 16. September 1954, daß Druck auf Frankreich, das jährlich für die Kriegführung in Indochina fast eine Milliarde Franken ausgegeben habe, sich am besten wirtschaftlich ausübe n lasse. Die französische Regie rung habe die Vereinigten Staaten bereits um finanzielle Unterstützun g fü r di e Regierungen Vietnam, Laos und Kambodsch a nachgesucht , allerdings in der Absicht ,
selbst di e Mittel z u erhalten , u m si e anschließend a n die Regierungen verteile n z u
können. Würde Washington den Regierungen diese Hilfe direkt zukommen lassen,
bedeutete das einen gewissen Schock für französische Wirtschaftsvertreter, vo r allem
aber für di e Bank von Frankreich. Auch Adenauer fand, »ma n müsse den Hahn etwas zudrehen , dürf e ih n jedoch nich t gan z abstellen« . Die Regierun g sollt e eine n
Denkzettel verpaßt bekommen, denn die Abstimmung in der Nationalversammlung
über die EVG durfte nich t ganz ohne Konsequenzen bleiben . Andernfalls glaubte n
die Franzosen nicht, daß die Vereinigten Staaten es dieses Mal ernst meinten 34. Daß
Adenauer nichtsdestoweniger die wirtschaftlich e Verflechtung al s Basi s deutsch-französischer Beziehungen ansah, demonstrierte der Abschluß des Abkommens der beiden Handelskammern von 1954 , das die Bestimmungen der Pariser Verträge untermauerte und zu einer Stabilisierung beitragen sollte.
Die Frage der wirtschaftlichen Verflechtun g mi t Frankreich war in den Beziehungen zwischen Adenauer und Bundeswirtschaftsminister Erhar d stets ein Aufhänge r
für grundsätzlicher e Auseindersetzunge n übe r di e deutsche Europapolitik . Imme r
wieder ging es dabei um die Frage, inwieweit die Bundesregierung der französische n
Regierung i n Wirtschaftsfragen Entgegenkomme n zeige n sollte . Bereits 195 0 hatte
sich ein grundlegender wirtschaftstheoretischer Meinungsstrei t zwischen Auswärtigem Amt und dem Bundeswirtschaftsministerium darübe r entzündet, ob das Konzept de r Sektorintegratio n de s Schuman-Plan s eine n geeignete n Ansat z zu r euro päischen Integratio n darstelle . Adenauer hiel t sich aus alledem weitgehend heraus .
Er sah die Früchte wirtschaftlicher Verbindunge n mit Frankreich stets als Mittel zur
Verbesserung politische r Beziehungen . Auc h au f de n Vorschla g de r französische n
Regierung zur technischen Zusammenarbeit, mit dem sie hoffte, au s der Wiederbe33 Aufzeichnun g über die Unterhaltung zwischen Herrn Mendès France und dem Bundeskanzler. Anwesend ferner Staatssekretär Hallstein, Brüssel, 22. Augus t 1954,27.8.1954, in: StBKAH III/l 11 .
34 Aufzeichnun g übe r ein Gespräch Adenauer-Dulles, 16.9.1954 , in: StBKAH III/ l 11. Konra d ADE NAUER, Erinnerungen 1953-1955 , Stuttgart 1966 , S . 308-313.
Konrad Adenauer und die Idee einer wirtschaftlichen Verflechtun g mit Frankreich 7
3
waffnung de r Bundesrepublik fü r di e eigene Rüstungsindustrie Nutze n z u ziehen ,
reagierte er zurückhaltend. Ohne finanzielle Unterstützun g der Vereinigten Staaten
konnte Bon n wenig ausrichten. Auc h wa r e r sich den Gefahre n de s französische n
Vorschlags eines Rüstungspools bewußt35. Erhards Folgerung, »man geht wohl nicht
fehl in der Annahme, daß Frankreich auf Grund einer dort schon vorhandenen Rüstungsproduktion mi t Wirtschaftlichkeitsüberlegungen de n Aufbau eine r deutschen
Produktion vo n Waffe n un d Gerä t mindesten s star k behinder n möchte« 36, zeigt e
dem Kanzler ein weiteres Mal an, daß sein Wirtschaftsminister groß e Bedenken gegen eine einseitige wirtschaftliche Annäherung an Frankreich hegte. Noch deutlicher
wurde es , als Erhar d i m Novembe r 195 4 den Teilnehmer n de r GATT-Tagun g i n
Genf klarmachte , »es sei keineswegs die Absicht, etwa eine besondere wirtschaftlich e
Achse zwischen Paris und Bonn zu begründen«. Besonderen Wert legte er auf die Feststellung, es werde »also weder der Form noch dem Inhalt nach in den wirtschaftlichen
Bereichen zwische n Frankreich und Deutschlan d ein e Vereinbarung zustand e kom men, die wir nicht auch gegenüber allen anderen Ländern einzugehen bereit wären«37.
Auf Erhard s »Gedanke n z u de m Proble m de r Kooperatio n ode r de r Integrati on«38, in denen er sich im März 1955 für die Fortentwicklung der europäischen Einigung i m Rahme n de r intergouvernementale n Zusammenarbei t à l a OEEC aus sprach, reagierte Adenauer mit der Verdeutlichung seiner Zielrichtung: »Ich bin der
Auffassung, da ß man , wie die Ding e einma l gekomme n sind , von de r Integratio n
wirklich wichtige r wirtschaftliche r Teilgebiet e z u eine r Integratio n au f politische r
Ebene kommen kann und wird. Der umgekehrte Weg, der an sich der richtige wäre,
ist leider durch das Schicksal, das die EVG in der französischen Nationalversamm lung erlitten hat, bis auf weiteres unmöglich«39.
Als der neue französische Außenminister Pinay Ende April nach Bonn kam, versicherte Adenaue r ih m al s erste s sein e Treu e zu r Verständigungspoliti k un d wirt schaftlichen Kooperatio n mi t Frankreich. Auch Pinay beteuerte, die von Schuman
begonnene Traditio n de r Wiederversöhnun g mi t Deutschlan d weiterverfolge n z u
wollen. Er sei immer für di e EVG gewesen, weil er darin die Möglichkeit zur engeren Zusammenarbeit gesehen habe40. Hinsichtlich einer intensiveren Kooperation in
der Flugzeugindustrie bremst e Erhard allz u groß e Erwartungen i n einen schnelle n
Aufbau de s deutsch-französische n Wirtschaftskomitees . Zufriede n hört e er , da ß
Handelsverträge in diesem Gremium nicht beraten werden sollten. Vielmehr war an
einen politisch-wissenschaftlichen Ausschu ß gedacht, der gemeinsame Projekte auf
dem Sektor der Luftfahrtindustrie un d anderer Bereiche wie Verkehr und Sozialwesen koordinieren und keinesfalls einen Überwirtschaftsrat dirigistische r Art verkör35 Not e d e la délégation française su r le problème de la production de s armements, 30.9.1954, Conférence de s Ministres de s Affaire s Étrangères , Londres , 28 septembre-3 octobr e 1954, in: Documents Diplomatiques Français (DDF) 1954 Annexes (21 Juillet—31 Décembre), Paris 1987, S. 298f.
36 Schreibe n Erhard an Adenauer, 18.10.1954, in: Ludwig-Erhard-Stiftung, Bonn (LES), NL Ludwig
Erhard 1.1)3.
37 Schreibe n Erhard an Adenauer, 13.11.1954, ibid.
38 Ludwi g ERHARD, Gedanken zu dem Problem der Kooperation oder der Integration (Private Studie,
vertraulich), März 1955 , in: Privatarchiv (PA) Hans von der Groeben, Rheinbach, Akte Deutsch e
Unterlagen zu den Integrationsverhandlungen (DUIV) 2.
39 Schreibe n Adenauer an Erhard, 13.4.1955, ibid.
40 Aufzeichnun g über die Besprechung Adenauer-Pinay, 29.4.1955 (wie Anm. 1).
74
Hanns Jürgen Küsters
pern sollte. Konkret schlug die französische Seite die Einrichtung eines Beamtenausschusses und eine s Ausschusses von Persönlichkeiten de r Wirtschaft vor . Der erste
würde die Arbeiten vorbereiten, der zweite Ausschuß beratend tätig werden. Zudem
könnte man unterscheiden zwischen Studiengruppen, die sich mit langfristigen Per spektiven wie zum Beispiel in der Sozialpolitik, den Produktionskosten und Investitionen auseinandersetzt , sowi e Arbeitsgruppen , di e Kooperationsprojekt e behan deln. Während Erhard diesen Vorschlag für unnütz hielt, weil die Verantwortung zu
95 Prozent be i den Regierungen liege , die je nach Bedarf di e entsprechenden Sachverständigen konsultieren, war Adenauer meh r von dem Vorschlag Pinays angetan,
die Außenminister sollten sich alle 6 bis 8 Wochen treffen, u m aufgrund vo n Vorarbeiten eines Sekretariats kleine, aber konkrete Fortschritte z u erzielen, ohne jedesmal mit einem Vertrag vor die Parlamente ziehen zu müssen41.
Adenauer war sich nicht sicher, ob die Regierung Faure wirklich zu einer neuen
Offensive i n de r Integrationsfrag e berei t wäre . Wichtige r al s da s Ergebni s de r
Außenminister-Konferenz vo n Messina war ihm zunächst die Klärung der Saarfrage.
Die Verhandlungen des Brüsseler Sachverständigenausschusses durften sic h nicht zu
einer neuen Konfrontationslinie mi t Frankreich entwickeln . Adenauer hielt »e s für
notwendig, daß sich die Bundesrepublik i n Paris hinsichtlich neue r Verhandlunge n
über di e Saarfrage nich t i n eine n Gegensat z z u Frankreic h stellt . Es is t leider vo n
deutscher Seite zu viel geschehen, was der französischen Regierun g Anlaß zu Beanstandungen gebe n könnte, daß es mir notwendig erscheint , zu r Zei t nichts zu tun ,
was als Gegensatz zur französischen Regierun g ausgelegt werden oder gar die Bundesregierung in einem zweideutigen Licht erscheinen lassen könnte.«42
Aus Washington war keine große Unterstützung zu erwarten. Adenauer wies verschiedentlich auf die »große Unkenntnis in europäischen Angelegenheiten« i n amerikanischen Regierungskreise n hin , »di e dort bi s zu m Präsidente n hi n herrscht« 43.
Doch auc h die französische Regierun g ga b nicht richtig zu erkennen, ob sie in der
Europapolitik wieder eine Führungsrolle übernehmen wollte, wie einst unter Schumans Ägide. Eines stand für de n Kanzler fest: Er wollte sich nicht damit abfinden ,
daß wege n de r Spaltun g de r französische n Nationalversammlun g di e europäisch e
Idee an Boden verlöre44.
Adenauer war nicht auf ein bestimmtes Einigungskonzept festgelegt. Wirtschafts verhandlungen beurteilt e e r meh r nac h politische n Wirkunge n un d wenige r nac h
außenwirtschaftlichen Lehrmeinungen . E r entschie d pragmatisch , legt e vo r alle m
Wert auf gleichberechtigtes und gleichgerichtetes politisches Handeln mit den westeuropäischen Mächten . Mi t seine r Richtlini e vo m 19 . Januar 1956 45 hoffte e r de n
Streit, wie marktwirtschaftliche un d freihändlerische Prinzipie n in geeigneter Form
auf europäischer Ebene zu implementieren wären, beizulegen. Dabei hatte er für die
Brüsseler Verhandlunge n klar e Prioritäte n zugunste n de s Gemeinsame n Markte s
41 Niederschrif t übe r die Besprechungen Adenauer-Pinay, 30.4.1955, vormittags, in: StBKAH 111/97.
42 Schreibe n Adenauer an von Brentano, 22.10.1955, in: StBKA H 11.02.
43 Schreibe n Adenaue r a n Heuss , 22.5.1955, in: Heuss-Adenauer. Unsere m Vaterland e zugute . De r
Briefwechsel (Adenaue r Rhöndorfe r Ausgabe) , bearb. von Han s Pete r MENSING , Berli n 1989 ,
S. 179-185, hier S. 184.
44 Aufzeichnun g über die Unterredung Adenauer-Segni, 8.2.1956, in: StBKAH 111/68.
45 Wortlau t in: Konra d ADENAUER, Erinnerungen 1955-1959 , Stuttgart 1967 , S . 253-255.
Konrad Adenaue r un d di e Idee einer wirtschaftlichen Verflechtun g mi t Frankreich 7
5
und einer Zollunion gesetzt. Die lockere Kooperation, wie sie die Regierungen in der
OEEC praktizierten , genügt e ihm nicht. Über alle m durfte de r politische Charakte r
des Ansatzes nicht außer acht bleiben. Zu beenden vermochte er die Auseinanderset zungen damit aber nicht 46.
Der Spaak-Bericht, den der Expertenausschuß i m April 195 6 vorlegte47, zwang die
Bundesregierung un d ihr e fünf EGKS-Partne r i n der Frage Zollunion ode r Freihan delszone Farb e z u bekennen . Gege n de n Widerstan d Erhard s stimmt e da s Bundes kabinett au f Dränge n Adenauer s zu , auf de r Grundlag e de s Berichts Regierungsver handlungen de r Sech s zu eröffnen 48. Auc h de r Bundesverband de r Deutsche n Indu strie unterstützte di e Entscheidung der Außenminister-Konferenz End e Mai 195 6 in
Venedig49, wie deren Vorsitzender Ber g dem Bundeskanzler ausdrücklic h mitteilte 50.
Damit waren die Weichen in Richtung Zollunion gestellt , der Durchbruch abe r noc h
längst nicht erzielt .
Der Methodenstrei t zwische n Auswärtige m Am t un d Bundeswirtschaftsministe rium hatte sich längst auf die Fragen ausgeweitet, mit welcher Ernsthaftigkeit Groß britannien da s i m Juli vo n de r OEE C vorgeschlagen e Konzep t eine r industrielle n
Freihandelszone51 wirklich verfolge un d welch e Sonderstellung de n Briten zu m Ge meinsamen Mark t einzuräume n sei . Währen d Erhar d de n Freihandelszonen-Vor schlag unterstützte, setzte die Politische Abteilun g im Auswärtigen Am t au f de n er folgreichen Abschlu ß de r Brüssele r Regierungsverhandlungen . Adenaue r wollt e je de Vermischun g diese r Beratunge n mi t dene n i n de r OEE C tunlichs t vermeiden ,
schon allein um die sich anbahnende Verständigung mit Frankreich über die Saarfra ge nicht zu gefährden. I n Arbeitsgruppen de r OEEC sollt e die britische Haltung zu r
Frage de r Commonwealth-Präferenze n un d de r Einbeziehun g landwirtschaftliche r
Produkte zunächs t abgeklär t werden . Erhard warnt e Adenauer vo r eine r allzu fran kophilen Haltun g des Auswärtigen Amtes , die angesichts volkswirtschaftlich unsin niger Forderunge n de r französische n Regierun g nac h Harmonisierun g vo n Sozial 46 Vgl . den Beitra g de s Vf. , De r Strei t u m Kompetenze n un d Konzeptione n deutsche r Europapoliti k
1949-1958, in : Ludol f HERBST , Werne r BÜHRER , Hann o SOWAD E (Hg.) , Vo m Marshallpla n zu r
EWG. Di e Eingliederun g de r Bundesrepubli k Deutschlan d i n die westliche Welt , Münche n 1990 ,
S.335-370.
47 Regierungsausschu ß eingesetz t vo n de r Messina-Konferenz , Berich t de r Delegationsleite r a n di e
Außenminister, Brüssel , 21.4. 1956, MAE 12 0 d/56 (korr.) , in: Jürgen SCHWAR Z unte r Mitarbei t vo n
Hildegard KUNZ , Madelain e Frfr . vo n BUTTLA R (Hg.) , Der Aufbau Europas . Pläne und Dokument e
1945-1980, Bonn 1980 , S. 278-334.
48 Vgl . di e Studi e de s Vf. , Di e Gründun g de r Europäische n Wirtschaftsgemeinschaft , Baden-Bade n
1982, S . 660; Fondements de la Communauté économique européenne, Luxembourg 1990, S. 143-146.
49 Konferen z de r Außenminister , Entwur f de s Protokolls de r Konferen z de r Außenministe r de r Mit gliedstaaten de r EGKS , Venedig, 29. und 30 . Mai 1956 , MAE 12 6 d/56, 8.6.1956 , in : Politisches Ar chiv des Auswärtigen Amtes , Bonn (PAAA) , Abteilung 2, Referat 200 , Az. 86.00 Bd. 1.
50 Schreibe n Ber g an Adenauer, 28.5.1956, in: PA von der Groeben, DUI V 7 .
51 Organisatio n for European Economi c Co-operatio n (OEEC) , Council, Resolution Concernin g th e
Study of the Relationship betwee n the proposed Europea n Custom s Unio n an d Member Countrie s
not Taking Part therein , c(56)196, 21.7.1956, Scale 1 , in: Her Majesty' s Stationer y Offic e (Hg.) , Ne gotiations for a European Fre e Trad e Area . Documents Relating t o th e Negotiation s fro m July ,
1956, t o December, 1958 . Cmnd. 641, London 1959 , S. 7. Telegramme Pineau au x Représentants Di plomatiques d e France à PÉtranger, 28.7.1956, in: D DF 1956, Tome II (1er Juillet-23 Octobre), Paris
1989, S. 182-184.
76
Hanns Jürgen Küsters
kosten al s Vorbedingun g fü r de n Beitrit t zu r EW G unerträglic h sei . Außerde m
warnte de r Wirtschaftsminister , »wen n Frankreic h jetz t au f einma l un d au f diese m
besonderen Sekto r europäisch denke n und handel n will, dann is t es immerhin ange bracht, di e mögliche n Hintergründ e diese s Verhalten s z u analysieren« . Erhar d be zweifelte, o b Frankreic h de n Gemeinsame n Mark t überhaup t wolle . Seiner Ansich t
nach scheuten sich die Franzosen nur, das Odium eine s erneuten Scheiterns der Integration auf sich zu nehmen 52.
In der Kabinettssitzung vom 6. Oktober 195 6 verteidigte Adenauer den Vorschlag
des Vizepräsidenten de r Hohe n Behörde , Fran z Etzel , hinsichtlich de r innenpoliti schen Widerständ e i n Frankreic h gege n de n Gemeinsame n Markt . Mollet wolle
wirklich den europäischen Fortschritt , spric h den Gemeinsamen Markt . Die Beden ken Erhard s richtete n sic h unte r andere m auc h gege n di e französische n Angebote ,
deutsche Firme n a n Industriewerke n i n Afrik a z u beteiligen 53, di e unte r gemeinsa mer Beteiligun g un d Regi e errichte t würden . Si e stärkten lediglic h da s französisch e
Industriepotential. I n Adenauer s Auge n dagege n wa r di e französisch e Wirtschaf t
krank, man mußte ihr helfen. Mit Blick auf das von Frankreich favorisierte Euratom Projekt lie ß Adenauer keine n Zweifel daran , daß auch er »auf de m Wege über Eura tom möglichs t schnel l dahin kommen« wollte , »daß Atomwaffen hergestell t werde n
können«. Frankreich wa r au f de m Forschungsgebie t weite r al s die Bundesrepublik .
Auch teilt e de r Kanzle r keinesweg s de n vo n Atomministe r Strau ß gehegte n Opti mismus hinsichtlic h de r finanzielle n Gebefreudigkei t de r deutsche n Industrie . Vo n
daher konnt e de r Euratom-Vertra g auc h fü r di e Bundesrepubli k förderlic h sein .
Sollten jedoch die Franzosen de n Vertrag über den Gemeinsame n Mark t i n die Län ge ziehen , s o würd e de r Euratom-Vertra g nich t ratifizier t werden , hie ß e s zu m
Schluß. Adenauer lie ß von dem Junktim zwische n beiden Verträgen also nicht ab.
Als a m 20./21 . Oktobe r 195 6 die Außenministerkonferen z de r EGKS-Staate n i n
Paris übe r di e französisch e Forderun g de r Harmonisierun g vo n Sozialkoste n kei n
Einvernehmen erzielte 54, glaubte Erhard, die Verhandlungen i n die OEEC verlager n
zu können. Auftrieb hatt e ihm die öffentliche Erklärun g Adenauers Ende Septembe r
1956 in Brüsse l gegeben . Der Kanzle r hatt e sic h dort gege n supranational e Einrich tungen un d starre n Perfektionismu s ausgesprochen 55. Di e künftige n Beziehunge n
in de n Europäische n Gemeinschafte n sollte n undogmatisc h gestalte t werden , al s
Staatenbund ohn e Vetorech t einzelne r Mitglieder , jedoc h be i Entscheidunge n di e
Rechte jeweiliger Minderheite n wahren 56. End e Oktobe r verteilt e Erhar d unte r de n
Kabinettskollegen de n 3 0 Seite n umfassende n »Entwur f eine s europäische n Pro 52 Schreibe n Erhard an Adenauer, 25.9.1956, in: LES, N L Erhar d 1.1)4.
53 Sylvie LEFEVRE, Projets franco-allemand s de développement économiqu e e n Afriqu e du nor d
(1950-1954), in: Revue d'Allemagne 25 (1993) S. 581-588.
54 Entwur f eine s Protokolls über die Konferenz de r Außenminister der Mitgliedsstaaten der EGKS in
Paris am 20. und 21. Okotber 1956 , MAE 460 d/56,13.11.1956, in : PAAA, Abteilung 2, Referat 200,
Az. 86.00 Bd. 2.
55 Red e Adenauer s vo r de n Grande s Conférences Catholique s in Brüssel , 25.9.1956 , in : Hans-Pete r
SCHWARZ (Hg.) , Konra d Adenauer . Rede n 1917-1967 . Ein e Auswahl , Stuttgar t 1975, S . 327-332 ,
hier S. 330.
56 Aufzeichnun g übe r da s Gespräc h Adenauer s mi t de m Führe r de r britische n Labour-Opposition,
Gaitskell, 19.9.1956 , in: StBKAH 111/68 . ADENAUER (wie Anm. 45) S. 219-222, hier S. 220.
Konrad Adenauer und die Idee einer wirtschaftlichen Verflechtun g mi t Frankreich 77
gramms«57, da s de n We g zu r Abkeh r vo m »gefährliche n Han g zu m Perfektionis mus«58 wies. Ziel blieb zwar die Schaffung eine s Gemeinsamen Marktes . Die Brüsseler Regierungsverhandlungen, di e den Europagedanken »au f das Niveau kleinliche n
Krämergeistes« herabzögen 59, sollte n jedoc h i n der OEE C fortgeführ t werden . De r
EGKS-Ministerrat könnt e sic h zur ständige n Einrichtun g erklären , und di e Organ e
der Montanunion würde n mi t denen der OEEC zusammengelegt .
Adenauer jedoch blieb auf Intervention des Auswärtigen Amte s hart und lie ß sich
auch durc h vo n Brentano s Warnunge n vo r eine m Besuc h i n de r französische n
Hauptstadt au f dem Höhepunkt de r internationalen Krise n in Ungarn und a m Suezkanal nicht beirren 60. Mit seiner Anwesenheit in Paris wollte er der Regierung Mollet
politischen Rückenwin d fü r di e bevorstehend e Ratifizierun g de r Saarabkomme n i n
der Nationalversammlung geben 61. Sein Fingerspitzengefühl ga b ihm recht . Die Regierung Molle t wa r i n de r Frag e de r soziale n Harmonsierun g kompromißbereit .
Marjolin un d Carstens 62 handelten ein e für beid e Seiten tragbare Formel aus , die bei
der Stippvisit e de s Bundeskanzler s a m 6 . Novembe r 195 6 i n Pari s angenomme n
wurde. Ei n deutliche s Zeiche n dafür , da ß di e französisch e Regierun g di e Fluch t i n
den Gemeinsamen Mark t antrat . Nur ei n vertiefter Zusammenschlu ß i n der Sechser Gemeinschaft konnt e die Vierte Republik au s ihrer desolaten wirtschaftlichen Situa tion retten . Übergangsbestimmungen un d Schutzklauseln , Berücksichtigun g massi ver Interesse n de r Landwirtschaft , di e Möglichkeit, finanziell e Laste n fü r di e Kolo nien au f di e EWG-Partne r abzuwälze n un d di e Aussich t au f stärker e Kontrolle n
über di e deutsch e Wirtschaf t bote n de r französische n Regierun g günstig e Voraus setzungen, dringlich e Reformmaßnahme n endlic h i n Gan g z u bringen . Di e franzö sische Wirtschaft , darübe r ware n sic h di e Experte n einig , mußt e de m harte n euro päischen Wettbewerb ausgesetz t werden, wenn sic h Frankreich z u eine m moderne n
Industriestaat entwickel n sollte .
Adenauers Konzessione n be i der Finanzierung des Investitionsfonds un d de r Eu ratom-Vertrag bescherte n Frankreic h Vorteil e bei m Ba u de r Atombomb e un d si cherten di e Zustimmun g de r Nationalversammlun g z u de n Römische n Verträgen .
Die deutsch-französische Bindun g im Gemeinsamen Mark t und seine Konzessione n
an die Regierung Molle t begründe t Adenaue r i m Februar 195 7 mit zwe i Argumen ten. Zum einen brauchte der technische Fortschritt, die Modernisierung im Kommu nikationswesen größer e Wirtschaftsräume. Si e seien zugleich Voraussetzung fü r da s
politische Zusammenwachsen. Zu m andere n schiene n deutsch e Finanzmittel fü r di e
Lösung koloniale r Problem e Frankreich s sinnvol l angelegt e Investitione n fü r di e
57 Bundesministe r fü r Wirtschaft , Entwur f eine s europäische n Programms , 29.10.1956 , in : BA , N L
Franz Etzel 254/84.
58 Schreibe n Erhard an Adenauer, 29.10.1956, ibid.
59 Schreibe n Erhard an Etzel, 16.11.1956 , in: PA von der Groeben, DUIV 3.
60 Schreibe n von Brentan o an Adenauer, 31.10.1956, in: Arnulf BARIN G unte r Mitwirkung vo n Bolk o
von OETINGER , Klau s MAYER (Hg.), Sehr verehrter Herr Bundeskanzler! Heinrich von Brentano im
Briefwechsel mi t Konrad Adenauer 1949-1964 , Hamburg 1974 , S. 199.
61 Informationsgespräch , 5.11.1956 , in : Adenaue r Teegespräch e 1955-195 8 (Adenaue r Rhöndorfe r
Ausgabe), bearb. vom Vf., Berli n 1986, S. 156-169 hier S. 159.
62 Kar l CARSTENS , Erinnerunge n un d Erfahrungen , hg . vo n Ka i vo n JENA , Reinhar d SCHMOECKE L
(Schriften des Bundesarchivs, 44), Boppard am Rhein 1993, S. 203-209. Robert MARJOLIN, Le travail
d'une vie. Mémoires 1911-1986, Paris 1986, S. 283-303.
78
Hanns Jürgen Küster s
bundesdeutsche Exportindustri e z u sein , wei l ih r insbesonder e au f de m afrikani schen Kontinen t neu e Absatzmärkte eröffne t würden . Zudem stellte n die deutsche n
Zahlungen i n den EWG-Investitionsfond eine n Beitrag zur Entwicklungshilfe dar 63.
Wollten sic h die Sechs nicht vo n de n übrigen Partner n de r OEE C vorwerfe n las sen, lediglich di e Schaffun g eine s exklusive n Handelsraum s i m Blic k z u haben , de r
die übrige n europäische n Partne r diskriminiert , dan n konnte n si e Verhandlunge n
über ein e Freihandelszon e nich t rundwe g ablehnen . A n da s Verhandlungsangebo t
der Sechs , da s Spaa k i m Februa r 195 7 verkündete, schiede n sic h wege n de r dami t
verbundenen harte n Bedingunge n di e Geister . Unveränder t sollte n di e i m EWG Vertrag geregelten Fragen des Zollabbaus und der mengenmäßigen Beschränkungen ,
der gemeinsam e Außentarif , di e Einbeziehun g de r Agrarprodukt e un d da s Schutz klauselsystem bestehe n bleiben 64. Di e Handelsbeziehunge n wäre n nich t au f di e
Grundsätze eine r klassischen Freihandelszon e beschränkt . Vielmehr würden si e den
Bedingungen des Gemeinsamen Marktes möglichst weit angenähert - nac h französi schen Vorstellunge n mindesten s soweit , da ß i m EWG-Vertra g zugestanden e Über gangs- un d Sonderregelunge n kein e Beeinträchtigun g erführen . De r Gegensat z z u
dem britischen Vorschlag einer ausschließlich industriellen Freihandelszone ohne Einbeziehung der Landwirtschaft wa r eklatant .
Das Bundeskabinett legt e am 28. Januar 195 7 erste Grundsätze fest 65. Die Freihan delszone sollte auf den Abbau de r Zölle und Kontingentierunge n fü r de n Warenver kehr sowie die Beseitigung der Beschränkungen i m Dienstleistungsverkehr begrenz t
bleiben. Regelungen mußte n gefunde n werden , di e keine Gegensätz e zu m Gemein samen Mark t schufen . Ein e Woch e späte r beschlo ß da s Kabinet t di e Einbeziehun g
landwirtschaftlicher Güter 66 . Di e Bundesregierung unterstützt e dami t di e Maximal position de r Regierung i n Paris. In der Praxis lief si e auf di e Identität von EWG un d
Freihandelszone hinaus . Der föderalistisc h gesinnt e Flüge l i m Bonne r Auswärtige n
Amt wa r nich t bereit , de n i m EWG-Vertra g erzielte n Konsen s mi t Frankreic h auf zukündigen. Di e gewährte n Schutzklausel n erleichterte n de r französische n Indu strie den Übergan g un d federte n di e harten Wettbewerbsbedingunge n au f de m Ge meinsamen Markt ab - Garantien , die in einer Freihandelszone nicht vorgesehen un d
im Kreis der OEEC-Staaten schwerlic h zu vereinbaren waren. Zu alledem wollte die
Bundesregierung die Ratifizierung de s EWG-Vertrages in der Nationalversammlun g
nicht gefährde n un d di e deutsch-französisch e Entent e unnöti g belasten . Staatsse kretär Hallstein beeilte sich, am 21. März 195 7 dem Deutschen Bundestag im Name n
des Bundeskanzler s z u versichern , Bon n unterstütz e di e EW G un d werd e be i de r
63 Kanzler-Tee , 22.2.1957, in: ADENAUER (wie Anm. 61) S. 178-189.
64 Interimsausschu ß fü r de n Gemeinsame n Mark t un d EURATOM , Gemeinsam e Erklärun g vo n
Herrn Spaa k i m Name n de r sech s Mitgliedstaate n vo r de m Ministerra t de r O E E C a m 12 . Februa r
1957, MA E 94 6 d/57 , 6.5.1957 , in : PA vo n de r Groeben , Interimsausschu ß fü r de n Gemeinsame n
Markt un d Euratom , Freihandelszone (1)(I.)1 .
65 Kabinettsvorlag e de r Bundesminister de s Auswärtigen, der Finanzen, für Wirtschaft , fü r Ernährung ,
Landwirtschaft un d Forste n un d fü r wirtschaftlich e Zusammenarbei t vo m 28.1.1957 , 401-318-02 777/57, zit . nach : Bundesministe r fü r Wirtschaft . Abteilun g V A 2a. Arbeitsunterlage Kiesswetter ,
Die Europäische Freihandelszone , 11.5.1957,4 , in: PA von de r Groeben , DUIV 8 .
66 Ergebnisprotokol l übe r di e Ressortbesprechun g i m Auswärtige n Am t a m 31 . August 195 7 übe r
Fragen der Freihandelszone, 3.9.1957, 3 S. , ibid. hier S. 2.
Konrad Adenaue r und die Idee einer wirtschaftlichen Verflechtun g mi t Frankreich 7
9
Verwirklichung der Freihandelszone mithelfen. An ihr würde keines der beiden Projekte scheitern 67.
Die Deutsche n verfolgte n als o ein e Doppelstrategie . Di e Vereinbarunge n de s
EWG-Vertrages durfte n nich t substantiel l i n Frage gestell t werden . Folglic h nah m
man di e mit der Errichtun g de s Gemeinsame n Markte s verbundene n Ungleichbe handlungen de r OEEC-Lände r i n Kauf . Umgekehr t sucht e si e einen Mittelwe g i n
technischen Kompromissen , u m von dem Grundsat z de r Gleichbehandlun g mög lichst weni g z u opfer n un d nur dort Korrekture n de s EWG-Vertrages zuzulassen ,
wo si e zu r Verknüpfun g vo n EW G un d Freihandelszon e unerläßlic h waren . S o
schlidderte die Bundesregierung unversehen s in das Dilemma, auf beide Hauptkon trahenten, Frankreic h un d Großbritannien , Rücksich t nehme n z u müssen , ohn e es
jeder Seite recht machen zu können. Die innere Zerstrittenheit macht e sie besonders
anfällig, weil si e letztlich keine m Lage r eindeuti g zuzuordne n war . Jedoch la g darin
auch eine gewisse Stärke der deutschen Position , die der einen wie der anderen Seit e
erheblich meh r politische s Gewich t verleihe n konnte . Adenaue r wußt e da s bestens
und lie ß sich einstweilen von niemandem vereinnahmen .
Am 8 . Mai 195 7 erklärte de r Kanzle r bei m Besuc h de s britische n Premier s i n
Bonn, da ß die Inkraftsetzung de r Verträge Vorran g habe . Adenauer verwie s außer dem au f di e Schwäch e Frankreich s un d betont e di e Notwendigkeit de r britische n
Beteiligung am Aufbau Europas . Macmillan wollte seinen Gesprächspartne r prinzi piell auf eine Freihandelszonen-Vereinbarung festlegen 68. Dabe i schätzt e e r die Unterstützung durc h di e Bundesregierung günstige r ein , als sie in Wirklichkeit war . Im
Sinne Erhard s glaubt e Macmillan , di e Deutschen sähe n e s als eine Katastroph e an ,
wenn di e EWG nich t durc h ein e Freihandelszon e ergänz t würde 69 . Vo n Brentan o
und Frankreich s Außenminister Pineau verständigten sich jedoch am 4. Mai, die Freihandelszonen-Verhandlungen ers t dan n aufzunehmen , wen n di e Verträge von Rom
ratifiziert wären .
Als der französische Staatssekretä r Maurice Faure Mitte November zu Gesprächen
über ein e deutsch-französisch e Nuklearkooperatio n nac h Bon n kam , überschüttete
er Adenauer mit antibritischen Tiraden. Großbritannien strebe die zweite Weltmachtstellung an , beabsichtige, die europäisch gesinnt e Regierun g Frankreich s z u stürzen ,
wolle mit der Freihandelszone nu r den Gemeinsamen Mark t treffe n un d die alte britisch-amerikanische Führerschaf t Wiederauflebe n lassen . Londo n heg e insgehei m
einen Plan, mit skandinavischen Ländern eine separate wirtschaftliche Vereinigun g als
Gegenstück zur EWG zu gründen70. Adenauer reagiert e gelassen, konnte er doch aus
deutschlandpolitischen Überlegunge n nich t auf Großbritannien verzichten .
67 Regierungserklärun g Hallstein , 21.3.1957 , in : Verhandlungen de s Deutsche n Bundestages , Steno graphische Berichte, 2. Wahlperiode 1953 , Bd. 35, S. 11327-11334.
68 Harol d MACMILLAN , Ridin g th e Stor m 1956-1959 , London , Melbourne , Toront o 1971 , S. 435.
Memorandum o f a Conversation Adenauer - Dulles , 26.5.1957, in: Foreign Relations of the United
States (FRUS ) 1955-1957 , Vol. IV, Western Europea n Securit y an d Integration , Washingto n D.C .
1986, S. 557f.; auch : FRU S 1955-1957 , Vol. XXVI, Central an d Southeastern Europe, Washington
D.C. 1992 , S. 264f., hier S. 265.
69 Macmillan , Diaries , 8. und 12.5.195 7 (Auszüge), zit. in: Alistair H o m e , Macmilla n 1957-1986 , Vol.
II of the Officiai Biography, London 1989 , S. 33,637.
70 Gespräc h Adenauer-Faure , 16.11.1957 , in: BA, NL Blankenhorn 351/81b .
80
Hanns Jürgen Küsters
Die Sechs standen nunmehr vor der Entscheidung, den Integrationsprozeß qualitativ voranzutreiben oder den Wirtschaftsraum z u erweitern. Heraus kam eine Politik des Sowohl-als-auch. Man wollte vertragsgemäß mit der ersten Stufe der Zollsenkung zu m 1 . Januar 195 9 beginnen un d versprac h de n Briten , zum gleiche n Zeit punkt erste Maßnahmen der Liberalisierung in der Freihandelszone einzuleiten.
Schon Mitte Januar 1958 baute die französische Regierung erste Verhandlungsbarrikaden auf. Si e machte weitere Liberalisierungsschritte i n der Freihandelszone von
der Harmonisierun g de r Wettbewerbsbedingungen unte r de n Industrie n un d de r
Ausweitung de s Commonwealth-Präferenzsystem s au f di e übrige n europäische n
Partner abhängig71. Forderungen, die für britische Ohren vollkommen unakzeptabel
waren. Das Board o f Trade bestätigte di e französische Behauptung , das Vereinigte
Königreich genieß e mit der Freihandelszone un d de m Commonwealth eine n doppelten Handelsvorteil. Doch Macmillan spielte auf Zeit in der Hoffnung, de r wirtschaftliche und politische Bankrott der Vierten Republik würde die Regierung in Paris alsbald zu einer kompromißbereiteren Haltun g zwingen. Nur z u gut wußte der
Premier, daß der Trumpf i n Händen de r Franzosen lag , die Freihandelszone scheitern z u lassen . Auf lang e Sicht rechnet e Macmillan durchau s mi t de r handelspoli tischen Teilung Westeuropas, was möglicherweise auch das Aus für di e NATO und
eine Umorientierun g de r britische n Politi k bedeute n konnte 72. Bei m Treffe n a m
18. Apri l 195 8 in London wollt e e r Adenauer von der Lauterkeit de r eigenen Absichten überzeuge n un d ermuntert e ihn , gegenübe r Frankreic h standhaf t z u blei ben73. Die Freihandelszone se i keine Sabotage der EWG, sondern ein e notwendige
Ergänzung un d di e technische n Problem e be i entsprechende m politische n Wille n
leicht z u lösen , wenn de r Kanzle r seine n Einflu ß i n Paris ausspiele , argumentiert e
Macmillan. Unverhohlen drohte der Brite mit Konsequenzen in der Verteidigungspolitik, falls Großbritannien in eine Wirtschaftsfehde gege n den Kontinent gezwungen werde - konkret : die EWG mit Zollsenkungen beginne , ohne daß die Freihandelszone zustand e gekomme n sei . Westeuropa könn e ebe n nicht militärisc h geein t
und wirtschaftlich geteil t sein.
Adenauer ho b de n politische n Wer t de r Verhandlunge n hervo r un d spielt e di e
handelspolitischen Differenze n herunter 74. Von Brentano dagege n setzt e au f prag matische Vereinbarungen de r Sech s mit de n OEEC-Ländern 75. Alle s i n allem war
der Kanzler unverändert darau f bedacht , in gewisser Übereinstimmung mi t Groß britannien zu handeln, wenngleich die Realisierung der britischen Pläne zur Redu zierung ihre r Streitkräft e au f de m Kontinen t i n seinen Augen verheerende Folge n
für den Westen hätte.
71 Zu m Inhalt des Memorandums de r französischen Regierung , Februar 1958 , in: Heinrich von SIEG LER (Hg.) , Dokumentatio n de r Europäische n Integratio n 1946-196 1 unte r besondere r Beachtun g
des Verhältnisses EWG-EFTA, Bonn, Wien, Zürich 1961, S. 162.
72 Mitteilun g Macmillan an den britischen Botschafter i n Washington, Harold Caccia, 7.4.1958, zit. in:
HÖRNE (wi e Anm . 69 ) S . 35,637 .
73 Aufzeichnun g Lloy d a n Macmillan, 25.3.1958, in : PRO, Prime Ministers Offic e (PREM ) 1 1 Cor respondence/Papers 1951-64/2341 .
74 Intervie w mit Herbert Altschull, 14.5.1958 , in: ADENAUER (wie Anm. 61) S. 262-275, hier S. 265.
75 Protokol l de r dritten Arbeitssitzung Adenauer-Macmillan , 18.4.1958,10.3 0 Uhr , in: BA, NL Blan kenhorn 351/87.
Konrad Adenauer und die Idee einer wirtschaftlichen Verflechtung mi t Frankreich 8
1
Die innenpolitisch e Entwicklun g i n Frankreic h weckt e be i Adenaue r allerding s
erhebliche Zweifel , o b da s Nachbarlan d angesicht s de r katastrophale n wirtschaftli chen un d finanzielle n Lag e di e vertragliche n Verpflichtunge n bei m Aufba u de r
EWG einhalte n würde ode r o b di e Regierung gezwunge n wäre , auf di e Ausnahme regelungen un d Ausweichklausel n de s EWG-Vertrag s zurückzugreifen . Da s hätt e
die Entstehun g de r EW G belaste t un d vielleich t gan z i n Frag e gestellt . We r konnt e
schon sagen , o b di e neu e Regierun g i n de n Freihandelszonen-Verhandlunge n wei terhin ihren restriktiven Kur s beibehalten oder mehr Kompromißbereitschaft zeige n
würde. Adenauer jedenfalls schätz e die Haltung de Gaulies völlig negativ ein.
Obschon de r Genera l öffentlic h di e Römische n Verträg e gutgeheiße n habe , s o
deutete der Kanzler gegenüber Bundespräsident Heuss an, lasse doch die ablehnende
Einstellung Frankreich s zu r Freihandelszon e di e Neigung erkennen , die wirtschaft liche Integratio n hinauszuzögern , wen n nich t ga r z u verhindern . Offiziel l abe r un terstützte Adenaue r di e Regierun g d e Gaulle , wei l si e di e einzig e Alternativ e zwi schen eine r Volksfront-Regierun g un d Bürgerkrie g sei , lie ß vo n Brentan o Anfan g
Juni 195 8 gegenüber Macmillan verlauten 76.
Nun drehte n sic h die Verhandlungen i m Grund e nu r noc h darum , o b Frankreic h
bereit wäre, Abstriche vo n de n i m EWG-Vertrag eingehandelte n Ausweichklausel n
zugunsten eine r großeuropäische n Lösun g zuzulassen . Di e französische Wirtschaf t
wäre dan n noc h schnelle r un d unte r verminderte n Garantie n de m internationa len Handels - un d Wettbewerbsdruc k ausgesetz t worden . Angesicht s de r Schwäch e
Frankreichs wa r das eine existentielle Frage. Umgekehrt stellt e sich das Problem, o b
die Briten berei t wären, unter Gewährun g gleiche r Vergünstigungen fü r di e Partne r
im Hande l mi t de n Commonwealth-Länder n i n ein e Freihandelszon e einzutreten .
Adenauer teilt e Macmillan s Einschätzung , da ß d e Gaull e lediglic h di e wirtschaftli chen Gefahren fü r Frankreic h seh e und de n politischen Implikatione n z u wenig Ge wicht gebe , obwohl er Pläne für ein e größere wirtschaftliche Zusammenarbei t Euro pas nicht ablehne 77. Die Bundesregierung befan d sic h angesichts der starren Haltun g
Frankreichs un d de r taktisch geschickte n Verhaltensweis e de r britische n Regierung ,
die Kompromißbereitschaft signalisierte , als die Unnachgiebigkeit de r französische n
Seite offensichtlich war , in einer schwierigen Lage .
Spätestens i m Augus t hatt e sic h d e Gaull e entschieden , de n EWG-Vertra g zu r
Modernisierung de r französischen Wirtschaf t z u nutzen , und di e Einhaltung einge gangener vertragliche r Verpflichtunge n akzeptiert . Voraussetzun g fü r di e Erholun g
der französische n Wirtschaf t wa r jedoch , di e Verwässerun g de r EW G durc h ein e
Freihandelszone z u verhindern 78.
Was Adenaue r un d d e Gaull e bei m erste n Zusammentreffe n a m 14 . Septembe r
1958 i n Colombey-les-deux-Eglise s zu r Freihandelsfrag e wirklic h besprachen , is t
noch immer schwerlich auszumachen. Beide stimmten wohl überein, die EWG müs se in de r vorgesehene n For m wirksa m werden 79. Gewi ß wa r e s auch Adenauer , de r
heftige Kriti k a n de r N A T O un d de r Politi k Großbritannien s übte . Unkla r is t je 76 Record of Conversation Macmillan - vo n Brentano , 7.6.1958 , Washington , 8.6.1958 , in : PRO ,
PREM 11/2345 .
77 Zu r Korrespondenz Macmilla n - Adenauer : MACMILLAN (wi e Anm. 68) S. 452.
78 Mauric e COUVE DE MURVILLE, Außenpolitik 1958-1969 , München 1973 , S. 287.
79 Jea n LACOUTURE, De Gaulle , Bd. 3: Le Souverain 1959-1970, Paris 1986, S. 295.
82
Hanns Jürgen Küsters
doch die Reaktion des Kanzlers auf die Äußerung de GauUes, die Freihandelszone
dürfe nich t di e EWG behinder n ode r di e Franzosen ersticken 80. De r Genera l lie ß
sich damit eine Hintertüre offen 81. Al s er den Kanzler auf einen gemeinsamen Kurs
gegen Großbritannie n einstimme n wollte , wei l di e Freihandelszon e ein e Illusio n
sei82, wic h Adenaue r de r Antwor t aus 83. Die Kompromißmöglichkeite n schiene n
ihm noc h nich t vollend s ausgereiz t z u sein . D e Gaulle , s o berichtet e wiederu m
Adenauer de m britische n Premierministe r Anfan g Oktobe r i n Bonn , hab e zuge stimmt, daß die Freihandelszone am 1. Januar 1959 in Gang sein müsse84. Bei genauer Analyse der Verhandlungslage konnte der Vorbehalt de Gaulles allerdings nur bedeuten, da ß di e Freihandelszon e de r EW G angenäher t würd e ode r nich t zustan dekäme. Adenauer und de Gaulle hatten zwar eine politische Verständigung erzielt.
Im Detail steckte aber ein unlösbarer Widerspruch.
Bei Adenauer wuchs die Skepsis, als er drei Tage nach seinem Besuch von de Gaulles Plan eines nuklearpolitischen Dreier-Direktoriums 85, gemeinsam mit Briten und
Amerikanern, erfuhr , wa s vor de m Hintergrun d de r Geheimgespräch e vo n Strau ß
mit Chaban-Delma s Anfan g de s Jahres 195 8 über ein e deutsch-französisch e Nu klearwaffenkooperation86 ein e Brüskierung der Deutschen war. Für Macmillan war
es der Beleg dafür, daß man de Gaulle nicht vertrauen konnte87. Der Premier ging davon aus, daß der General in seinem Kampf um die Hegemonie in Europa entschlossen war, das Vereinigte Königreich vom Kontinent abzukoppeln.
Am 31. Oktobe r war eine britische Ministerrunde übereingekommen, äußerstenfalls bis Ende November auf eine klare Stellungnahme de Gaulles zur Freihandelszone z u warten . Ansonste n sollte n di e Verhandlunge n abgebroche n werden 88. Di e
Schuld für das Scheitern wollte man den Franzosen zuschieben. Nach der EWG-Ministerratssitzung am 14. November 195 8 erklärte der französische Informationsmi nister Soustell e di e Freihandelszonen-Verhandlunge n fü r gescheitert 89. Noc h a m
gleichen Abend kündigt e Maudlin g di e Einstellung de r Verhandlungen de s Regierungsausschusses an . Die Brite n nutzte n ihrerseit s di e erste Gelegenheit , de n Ab bruch zu bestätigen, die die Franzosen ihnen boten, ohne daß London dafür verant wortlich zu machen war. Couve de Murville bezweifelte späterhin, daß es sich überhaupt um eine wirkliche Krise gehandelt habe90.
80 Charle s D E GAULLE, Memoire n de r Hoffnung . Di e Wiedergebur t 1958-1962 , Wien , München ,
Zürich 1971 , S. 222.
81 Hans-Pete r SCHWARZ , Adenauer. Der Staatsmann, Stuttgart 1991 , S. 455.
82 Pierr e MAILLARD, De Gaull e et l'Allemagne. L e rêve inachevé, Paris 1990, S. 159f .
83 ADENAUER (wie Anm. 45) S. 433. D E GAULL E (wie Anm.
80) S. 222.
84 Record of Visit of the Prime Minister to Bonn, October 8-9 ;. 1958, in: PRO, PREM 11/2328.
85 Schreibe n de Gaulle an Eisenhower, an Macmillan und Memorandum, 17.9.1958 , alle in: Charles D E
GAULLE, Lettres, Notes e t Carnets, Juin 1958-Décembre 1960, Paris 1985, S. 82-84, 87.
86 Mauric e VAÏSSE, AUX origine s du mémorandum d e septembre 1958, in: Relations internationales 58
(1989) S. 253-268. Gérard BOSSUAT , Les armements dans les relations franco-allemandes (1945-1963).
Les nationalisme s à l'épreuve de s temp s nouveaux , in : Revue d'Allemagn e 25 (1993 ) S. 601-615,
hier S. 606-611.
87 MACMILLAN (wie Anm. 68) S. 453. Macmillan, Diaries , 9.10.1958 (Auszug) , zit. in: HÖRN E (wi e
Anm. 69) S. 110,644.
88 Aufzeichnun g Macmillan, 31.10.1958, in: MACMILLAN (wie Anm. 68) S. 455.
89 Wortlau t der Erklärung, 14.11.1958, in: SIEGLER (wie Anm. 71) S. 215.
90 COUVE DE MURVILLE (wi e Anm . 78 ) S . 320f .
Konrad Adenauer und die Idee einer wirtschaftlichen Verflechtung mi t Frankreich 8
3
Erhards zufolge wa r die intransigente Haltung Frankreichs an allem Schuld. De
Gaulle gegenübe r hab e ma n »wahr e Engelsgedul d bezeugt « un d »bi s zu r Selbst entäußerung« zu verhindern versucht, daß mit Sonderwünschen Sand in die Maschine gestreut werde, schrieb er dem Kanzler91. Aber auch Adenauer fühlte sich von de
Gaulle ein weiteres mal getäuscht. Seine Hoffnung richtet e sich auf die Bemühungen
des Auswärtige n Amtes , de n komplette n Bruc h de r Sech s mi t Englan d un d de r
OEEC zu verhüten92.
Die französisch e Regierun g fühlt e sic h i n ihre m Widerstand , de r ihre r Ansich t
nach auc h i m Interess e de r Deutsche n liege n mußte , nur halbherzi g unterstützt 93.
Beim Treffen arf t 26. Novembe r 195 8 in Bad Kreuznach wollte de Gaulle den Kanzler ein zweites Mal auf ein e gemeinsame Linie gegen die Briten einschwören 94. Als
Ergebnis de s Vorbereitungsgesprächs a m 19 . November 1958 95 hatten Außenmini ster Couve de Murville und Staatssekretä r va n Scherpenberg ein e »Punktation« 96
vereinbart, mi t de r Pari s ein e Annäherun g a n di e Haltun g de r Bundesregierun g
suchte97. Die Beratunge n sollte n nich t gänzlic h abgebrochen , sonder n de r EWG Kommission di e Verhandlungsführung übertrage n werden . Beabsichtig t war , ein e
Verständigung auf der von der EWG-Kommission vorgeschlagenen Linie der einseitigen provisorischen zehnprozentigen Zollsenkung anzustreben, die Verhandlungen
nicht übe r di e Freihandelszone , sonder n übe r di e Assoziierung fortzuführe n un d
den Verhandlungsstand von der EWG-Kommission prüfen zu lassen.
Doch auch die über die Gespräche in Bad Kreuznach überlieferten Quelle n weisen markante Abweichungen auf. De Gaulle betonte, die Verträge von Rom müßten
unter allen Umständen ausgeführt werden. Der eingeschlagene Weg se i fortzusetzen,
und »auch den tieferen politischen Grundgedanken dieser Integrationsform« müss e
man im Auge behalten, notierte der deutsche Botschafter be i der NATO, Blankenhorn98. Der General selbst erweckte später den Eindruck, als habe Einigung darüber
geherrscht, den Verhandlungen ein Ende zu bereiten99. Der Kanzler vermerkte in einer
Notiz, er habe eine Option gegen England vermieden100. Die angenommene deutschfranzösische Punktation bestätigte seine Argumentation. Danach war die Fortsetzung
von Verhandlungen zwischen EWG und OEEC nicht ausgeschlossen. Die Punktation
91 Nich t abgesandtes Schreiben Erhard an Adenauer, 21.11.1958, in: LES, NL Erhar d 1.1)6.
92 Theodo r Heuss. Tagebuchbriefe 1955/1963 . Eine Auswahl aus Briefen an Toni Stolper, hg. und eingeleitet von Eberhard PIKART , Stuttgart 1970 , S. 369.
93 François SEYDOUX, Beiderseit s des Rheins. Erinnerungen eines französischen Botschafters , Frank furt am Main 1975, S. 217f .
94 Schreibe n d e Gaull e a n Adenauer, 21.11.1958 , in : DE GAULL E (wi e Anm . 85 ) S. 135f . Zuvo r hatt e
Blankenhorn vo n d e Gaull e z u höre n bekommen, da ß ihm daran läge, mit Adenauer für de n Ge meinsamen Mark t un d di e Freihandelszon e »neu e Lösunge n anzustreben« . Tagebuchnoti z Blan kenhorn, 24.11.1958, in: BA, NL Blankenhor n 351/92b.
95 Aufzeichun g Gespräc h van Scherpenberg - Couve de Murville, 19.11.1958 , in: BA, N L Blanken horn 351/94.
96 Deutsch-französisch e Punktation , ibid.
97 Berich t Adenauer s vo r de m Bundesparteiausschu ß de r C D U i n Bonn , 28.11.1958 , in : SCHWAR Z
(wie Anm. 55 ) S. 385-392, hier S. 390f.
98 Tagebuchnoti z Blankenhorn, 26.11.1958, in: BA, NL Blankenhor n 351/92a.
99 D e Gaull e (wie Anm. 80) S. 224.
100 »Treffe n i n Ba d Kreuznach« . Memoirenunterlagen , sowi e Rundtelegram m Carstens , 27.11.1958 ,
beide zit. nach: SCHWARZ (wie Anm. 81) S. 466,1023.
84
Hanns Jürgen Küsters
unterstrich die gemeinsame Front der EWG-Staaten, aber auch, daß Großbritannien
nicht außen vor bleiben sollte. Adenauer mußte jedoch klar gewesen sein, daß Verhandlungen über die Assoziierung keine Aussichten auf ein gütiges Ende verhießen.
Strenggenommen hatt e er sich letzten Endes auf die Seite de Gaulles geschlagen,
weil er um die Bedeutung stabiler Verhältnisse in Frankreich wußte. Wenn das Land
in kommunistische Händ e geriete , hätte das unabsehbare Folge n fü r di e westliche
Welt. Sicherlich wollte auc h er nicht de n engere n Zusammenschluß i m Gemeinsa men Markt gefährden. Zudem sah er mit Skepsis die anhaltenden Diskussionen um
eine neu e Ost-West-Gipfelkonferen z un d di e Fehle r Großbritannien s i m Nahe n
Osten. Ebenso mißtraute er der amerikanischen Politik . In de Gaulle fand e r einen
Verbündeten be i de r Verteidigun g deutschlandpolitische r Rechtspositione n unte r
Chruschtschows Berlin-Ultimatum 101. Doc h ebenso wichtig war ihm: Großbritan nien blie b aufgrund de r deutsche n Haltun g nich t ausgeschlossen , obscho n i n dem
Zusammenspiel die Position der Bundesregierung die Gewichte deutlich zugunsten
Frankreichs verlagerte . Letzte Vermittlungsbemühungen Adenauer s i m Dezembe r
halfen da wenig102.
Als Fazit bleibt festzuhalten: Schon seit den zwanziger Jahren verföchte Adenauer
den Gedanke n eine r enge n wirtschaftliche n Zusammenarbei t al s Grundlag e de r
deutsch-französischen Verständigungspolitik . Sie hatte bei ihm jedoch stets funktio nalen Charakter zur Verfestigung und Weiterentwicklung der politischen Beziehungen in Europa. Wirtschaftliche Bindunge n und Prosperität waren für ihn das Fundament jede r wirkliche n Aussöhnungspoliti k un d kei n Zie l u m seine r selbs t willen .
Über die Jahrzehnte hinweg änderte Adenauer seine Grundauffassung kaum . Flexibel
gestaltete er dagegen die politischen Konditione n un d Intentionen , di e er mit eine r
wirtschaftlichen Verflechtun g verknüpfte . Di e Palette reichte von Abwehr französi scher Reparationsforderunge n nac h de n beide n Weltkriege n übe r di e Stärkung de r
französischen Wirtschaf t zu r innen- und außenpolitischen Eindämmun g kommunistischer Kräfte bis hin zum Druckmittel, um Widerstände der Regierung in Paris aufzuweichen. Das ändert e nicht s a n seiner Überzeugung vo n der Notwendigkeit de r
Wirtschaftskooperation. Vielmehr ist es Beleg für seinen bekannten Pragmatismus.
In eine m Gespräc h mi t Serg e Groussad , de r bi s 196 2 für de n »Figaro « schrieb ,
wurde Adenauer im März 1958 nach dem Einfluß gefragt, den die französische Zivilisation auf seine Bildung ausgeübt habe 103. Der Kanzler antwortete, Französisch als
dritte Fremdsprache acht Jahre auf dem Gymnasium gelernt zu haben und über französische Literatur und Geschichte gut unterrichtet zu sein. Die Zäsur in den bilateralen Beziehungen setzt e er mit Gründung der Montanunion an . Neben den Wirtschaftsverbindungen se i jedoch der Kultur - und Jugendaustausch de r beste Beweis
dafür, da ß sich zwischen Deutschen und Franzosen ein freundschaftliches nachbar schaftliches Verhältni s entwickel t habe . Damit bestätig t Adenaue r au f gan z ander e
Weise, da ß di e wirtschaftlich e Verbindun g ei n fundamentale s Elemen t darstellte ,
letztlich aber nur Mittel zum Zweck war.
101 Schreibe n de Gaulle an Adenauer, 21.11.1958, in: DE GAULLE (wie Anm. 85) S. 135f .
102 Schreibe n de Gaulle an Adenauer, 20.12.1958, ibid. S. 155.
103 Informationsgespräc h mi t Groussad , 27.3.1958 , in : ADENAUE R (wi e Anm . 61 ) S . 257-261 , hie r
S. 257f.
CHRISTOPH BUCHHEI M
DIE DEUTSCH-FRANZÖSISCHE N WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGE N
IM SPIEGE L DE R ZAHLUNGSBILAN Z
1945-1970
In einer Zahlungsbilanz werden alle wirtschaftlichen Transaktione n zwische n zwei
Regionen, genauer, zwischen den Einwohnern zweier Regionen verbucht. Dabei erfolgt di e Verbuchun g periodenbezogen , als o z.B . für ei n Jahr. Jede Leistun g un d
Zahlung geht prinzipiell doppelt in die Zahlungsbilanz ein. Die erfaßten Transaktionen werde n i n bestimmt e Unterbilanze n gegliedert . Di e wichtigsten sin d di e Leistungsbilanz mi t de r Handels- , der Dienstleistungs - un d de r Übertragungsbilanz .
Letztere dient der Verbuchung unentgeltlicher Leistungen wie Auslandshilfe, Reparationen, Überweisungen von Emigranten ode r Zahlungen a n internationale Orga nisationen. Außerdem gib t es noch die Kapitalbilanz, die ein Abbild de r Veränderung der Kapitalverflechtun g zwische n de n Wirtschaften zweie r Gebiet e ist. U.a.
werden hier auch Direktinvestitionen, d.h. der Kauf von oder die Beteiligung an ausländischen Unternehmen durch Inländer bzw. umgekehrt, erfaßt. Die Devisenbilanz
schließlich ist das letzte Glied jeder Zahlungsbilanz. Die Zahlungsbilanz is t immer
ausgeglichen; allerdings sprich t ma n von eine r positiven ode r negative n Zahlungs bilanz un d mein t dami t eine n Zustand , i n de m e s z u Devisenzu - ode r -abflüsse n
kommt.
Die Zahlungsbilanz ist ein geeignetes Mittel, um ein umfassendes Bil d der Beziehungen zweier Länder zu erhalten, soweit sich diese in Leistungs- und Finanzströmen niederschlagen . Wen n auc h di e Zahlungsbilan z primä r ei n Spiege l de r Wirt schaftsbeziehungen ist , geht sie doch teilweise darüber hinaus. So finden beispiels weise der Tourismus oder die Truppenstationierung ebenfalls ihren Niederschlag in
der Zahlungsbilanz . Au f de r andere n Seit e werde n Wirtschaftsbeziehunge n nich t
direkt reflektiert, soweit es sich dabei um institutionelle Kontakte oder eine gemeinsame Wirtschaftspolitik handelt . Indirekt kann man jedoch aus der Entwicklung der
Zahlungsbilanz, wie gezeigt werden wird, Rückschlüsse darauf ziehen.
Im folgenden werden nun nacheinander die Bewegungen innerhalb verschiedener
Unterbilanzen de r Zahlungsbilan z zwische n Westdeutschlan d un d Frankreic h be trachtet. Dabei wird jeweils auch eine Erklärung des Beobachtbaren, z.B. die Finanzierung von Defiziten, die zunehmende Verflechtung oder die sich ändernde Zusammensetzung einzelner Ströme betreffend, versuch t werden. Auf diese Weise soll also
die Natur de r Wirtschaftsbeziehungen zwische n Westdeutschland un d Frankreich ,
ausgehend von statistischen Zahlen, verdeutlicht werden.
86
Christoph Buchheim
Die Handelsbilanz
Im betrachteten Zeitraum waren die in der Handelsbilanz verbuchten Leistungsströme zwischen Westdeutschland und Frankreich insgesamt am größten. So belief sich
der Export Westdeutschlands nac h Frankreich bereits 194 7 auf 11 7 Mill. $, der Import aus Frankreich auf 38 Mill . $*. Damit betrug der Wert des gesamten Außenhandels beider Länder in jenem Jahr 15 5 Mill. $, wovon etwa 140 Mill. $ allein auf den
Handel zwischen Frankreich und der französischen Zon e entfielen. Charakteristisch
war da s hoh e Defizi t vo n 6 3 Mill. $ im Handelsaustausc h Frankreich s mi t seine r
Zone. Schon 1945/46 hatte es bei 39 Mill. $ gelegen2.
Gemäß den im September 1945 vom Alliierten Kontrollrat verabschiedeten Regelungen fü r de n deutschen Impor t un d Expor t ware n deutsch e Ausfuhren vo n den
Empfängerländern primär in Dollars zu bezahlen. Diese Vorschrift war ein wesentlicher Bestandteil der sogenannten Dollarklausel, die für den deutschen Außenhandel
der unmittelbaren Nachkriegszei t bestimmen d war 3. Die französische Militärregie rung hielt sich beim Export ihrer Zone ebenfalls an diese Klausel und zwar auch im
Verkehr mit Frankreich 4. Zudem achtete sie im allgemeinen darauf, daß für di e exportierten Waren angemessene Preise gezahlt wurden. Auf der anderen Seite hatten
französische Stelle n die feste Absicht, die französische Zon e möglichst weitgehen d
zum Wiederaufbau Frankreich s heranzuziehen und für diesen Zweck auszubeuten 5.
Deshalb wurde n di e verschiedenen Branche n de r zonale n Wirtschaft i n die inner französische Wirtschaftsplanun g integriert 6, und es wurde ein System privilegierter
Betriebe im besetzten Gebiet geschaffen, di e vor allem für den französischen Bedar f
produzierten7. Auf diese Weise wurde der Export der Zone nach Frankreich i n der
Tat maximiert, ohne Rücksicht darauf, daß Frankreich dafür letztlic h in Dollars, an
denen es selbst außerordentlich knap p war, bezahlte. Folgende Passagen aus einem
Brief des französischen Finanzministerium s a n das »Commissariat Général aux Affaires Allemandes et Autrichiennes« kennzeichnen klar die damalige Situation8:
»Il est certain que les versements faits par le Trésor français a u Général Commandant en Chef en Allemagne, augmentés des engagements pris aux Etats-Unis pour le
compte de ce dernier, sont pour le moins égaux aux sommes dues au titre des marchandises et des services payables en dollars mis à la disposition de la France.«
Hier wird als o offe n darau f hingewiesen , da ß di e Lieferunge n de r Zon e nac h
Frankreich in Dollars vergütet wurden. Weiter hieß es in dem Brief:
1 OEE C Statistical Bulletins, Foreign Trade, Séries I, Yearbook 1937-1951, S. 10 0 f.
2 Bundesarchi v (BA) Koblenz B 102/24573, Außenhandel der französischen Besatzungszone .
3 Christop h BUCHHEIM , Die Wiedereingliederung Westdeutschlands in die Weltwirtschaft 1945-1958 ,
München 1990 , S . 1 ; für das Folgende vgl. ibid. , S. 35-42.
4 B A Koblenz B 102/24573 , Der Außenhandel in der französischen Besatzungszone , S. 4.
5 Klaus-Dietma r HENKE, Politik der Widersprüche. Zur Charakteristik der französischen Militärregierung
in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Vierteljahrshefte fü r Zeitgeschichte 30 (1982) S. 515.
6 Nachwor t des Herausgebers Werner ABELSHAUSER in: Mathias MANZ , Stagnation und Aufschwun g
in der französischen Besatzungszone , 1945-1948, Ostfildern 198 5 (= Diss. Mannheim 1968), S. 9 3 f .
7 Rudol f LAUFER , Industrie und Energiewirtschaft i m Land Baden 1945-1952. Südbaden unter französischer Besatzung, Freiburg u. a . 1979, S . 76-79.
8 Archives de POccupation Française en Allemagne et en Autriche à Colmar, C. C. F. A., Cabinet Civil,
ECO I D 12, Officomex (paque t 124), 22.4.47 .
Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen im Spiegel der Zahlungsbilanz 1945-1970 8 7
»Les programmes français d'importation ont dû être diminués dans de très fortes
proportions e t il ne serait pas concevable qu'en ce qui concerne la zone le trésor se
borne à un simple rôle de bailleur de fonds san s avoir la faculté d'intervenir au moment opportun pour que les programmes et leur exécution soient établis et réalisés
compte tenu des possibilités de financement.«
Aus diesem Grund wird die Schaffung eine r Kommission zur Planung und Überwachung des Außenhandels de r Zone vorgeschlagen, in der auch ein Vertreter des
Finanzministeriums sitze n sollte. Das bedeutet abe r umgekehrt, daß sich die Rolle
dieses Ministeriums tatsächlic h auf die des Zahlmeisters beschränk t hatte . Faktisch
zahlte Frankreic h demnac h i n Höh e de s Defizit s seine s Handel s mi t seine r Zon e
enorme Dollarsummen an sein Besatzungsgebiet und ermöglichte es der Zone damit,
dringend notwendige Nahrungsmittel gegen Dollar vor allem in den USA einzukaufen. Eine List der Geschichte wollte es, daß die Ausbeutungsabsicht Frankreich s so
für die französische Zone zur Wohltat geworden ist.
Im Herbst 1947 schließlich zog das Finanzministerium die Notbremse. Es weigerte sich, weiterhin entsprechend den zonalen Lieferungen nach Frankreich Dollars zu
zahlen, und macht e vielmehr sein e Dollarzuteilungen a n die Zone von der eigenen
Dollarverfügbarkeit abhängig 9. Damit wurde offensichtlich, daß die Zone für Frankreich letztlich eine finanzielle Las t darstellte, was die französische Bereitschaft , de n
Außenhandel der Zone mit demjenigen der Bizone zu verschmelzen, erhöhte. Dieser
Schritt wurde denn auch zu für Frankreich günstigen Bedingungen - ein e finanzielle
Beteiligung Frankreich s a n de r Deckun g de s Außenhandelsdefizit s Westdeutsch lands war ausgeschlossen worden - i m Oktober 194 8 vollzogen10. Seither waren die
drei Westzonen bezüglich des Außenhandels mit Frankreich also gleichgestellt.
Die Defizite Frankreichs im Handel mit Westdeutschland hörten jedoch nicht auf,
zumal die Exportbereitschaft de r deutschen Industri e infolge de r Währungsrefor m
stark stieg. War zuvor der Erlös eines Ausfuhrgeschäftes fü r da s exportierende Unternehmen i m wesentliche n gleic h de m Inlandsstopprei s de s betreffende n Gutes ,
was angesichts der zurückgestauten Inflatio n praktisc h imme r zu eine m Substanzverzehr führte, so wurde nun der ausländische Marktpreis zu einem festen Wechselkurs in D-Mark umgerechnet. Das machte Exporte für die deutsche Wirtschaft wieder rentabel 11. Im Jahr 1949 standen deutschen Ausfuhren nac h Frankreich in Höhe
von 217 Mill. $ Einfuhren au s Frankreich von nur 73 Mill. $ gegenüber. Zwar erzielten di e mi t Frankreic h währungsmäßi g verbundene n überseeische n Gebiet e be i
ihrem Handel mit Westdeutschland eine n Überschuß von 26 Mill. $. Dieser reichte
jedoch bei weitem nicht zur Deckung des gewaltigen französischen Defizit s aus12.
Frankreich konnte damals aber noch auf Ziehungsrechte gegen Westdeutschland
zurückgreifen. Die Höhe dieser Ziehungsrechte war im »Abkommen über den innereuropäischen Zahlungs - un d Verrechnungsverkehr « vo m Oktobe r 194 8 und i m
Folgeabkommen vo n 194 9 festgelegt worden . Die USA, interessiert a n einer Ausweitung des innereuropäischen Handels, hatten durchgesetzt, daß prospektive Gläu9 Ibid. , Dossiers M. Dobler, Ile série 3, Commerce Extérieur (carton 160), Note au sujet du commerce
Zone-France.
10 BUCHHEI M (wie Anm. 3) S. 41 f.
11 Ibid. , S. 55-64.
12 Wi e Anm. 1.
88
Christoph Buchheim
bigerländer im Handel Westeuropas ihren Schuldnerländern solch e Ziehungsrechte
einräumten, wodurc h letzter e Ware n ohn e Gegenleistun g beziehe n konnten . I n
Höhe dieser Ziehungsrechte wurde ein Teil der Marshallplan-Gelder für die Gläubigerländer in bedingte Hilfe umgewandelt, d.h. diese konnten darüber nur verfügen ,
soweit si e tatsächlich ihre n europäische n Schuldner n Ziehungsrecht e gewährten 13.
Aufgrund de r beiden Abkommen machte Frankreich, vor allem im Herbst 194 8 und
im Frühjahr 1949 , Ziehungsrechte von 76,4 Mill. $ gegen Westdeutschland gelten d
und konnte damit einen beträchtlichen Teil seines Handelsbilanzdefizits decken 14.
1950 erfolgte ei n Umschwung. Frankreic h erzielt e eine n Überschu ß i m Handel
mit der Bundesrepublik, der sich bei Einbeziehung der französischen Überseegebie te noch um rund 80 Mill. $ vergrößerte15. Das hatte verschiedene Ursachen: Zum einen hatte Frankreich 194 9 den Franc stärker abgewertet als die Bundesrepublik die
D-Mark16. Zum anderen geriet die an Primärgütern - abgesehe n von Kohle - arm e
Bundesrepublik i n der Korea-Krise gegenübe r der im Rahmen der OEEC ne u gegründeten Europäischen Zahlungsunion (EZU), zu der auch Frankreich gehörte, generell in ein tiefes Defizit 17, der Frankenraum dagegen wies hohe Überschüsse auf18.
Nach Ausschöpfung ihre r regulären Quote und eines von der EZU gewährten Sonderkredits mußte die Bundesrepublik im Februar 195 1 die im Jahr 194 9 begonnene
und seitde m schrittweis e ausgeweitet e liberalisiert e Einfuh r au s OEEC-Mitgliedsländern aussetzen. In enger Absprache mit dem Managing Board der EZU ging sie
daraufhin fü r eine Übergangszeit z u einer strikten bilaterale n Importkontingentie rung über 19. In dieser Situation zog auch Frankreich be i der Hilfe für Deutschland
mit und gewährte, bei Aufrechterhaltung seine r Liberalisierung, der Bundesrepublik
großzügige zusätzlich e Einfuhrkontingente 20. S o kam es, daß die Bundesrepublik
bereits 1951 nicht nur mit der EZU insgesamt, sondern auch mit dem französische n
Währungsgebiet speziel l wiede r Handelsüberschüss e aufwies 21. 195 2 setzte si e di e
Liberalisierung erneut in Kraft, während jetzt Frankreich, nicht zuletzt infolge einer
inflationären Binnenentwicklung , gezwungen war zu entliberalisieren22. Nun war es
an de r Bundesrepublik, Frankreic h handelspolitisc h entgegenzukommen , wa s si e
auch tat23. Trotzdem blieb 1952 und 1953 ein hoher deutscher Überschuß im Handel
13 Werne r ABELSHAUSER, Der Kleine Marshallplan. Handelsintegration durch innereuropäische Wirtschaftshilfe 1948-1950 , in: Helmut BERDIN G (Hg.) , Wirtschaftliche un d politische Integratio n in
Europa im 19. un d 20. Jahrhundert, Göttingen 1984, S. 212-224.
14 Ban k fü r Internationalen Zahlungsausgleic h (BIZ) , 20 . Jahresbericht, S . 234; 21. Jahresbericht,
S. 222-225.
15 Wi e Anm . 1 .
16 BIZ , 21. Jahresbericht, S. 139; Claud e FOHLEN, Frankreich 1920-1970, in: Carl o M. CIPOLLA, Knut
BORCHARDT (Hg.), Europäische Wirtschaftsgeschichte, Bd . 5 , Stuttgart u. a . 1980, S. 121.
17 Volke r HENTSCHEL, Die Europäische Zahlungsunion und die deutschen Devisenkrisen 1950/51, in:
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 37 (1989) S. 715-758.
18 BIZ,21.Jahresbericht,S.236 .
19 BUCHHEI M (wie Anm . 3 ) S. 13 1 f .
20 Werne r BÜHRER, Wirtschaftliche Zusammenarbeit im multilateralen Rahmen. Die Bundesrepublik
und Frankreich in der OECE, in: Revu e d'Allemagne 25 (1993 ) S. 559 f.
21 Wi e Anm . 1 .
22 BUCHHEI M (wie Anm. 3 ) S. 133; BIZ, 23 . Jahresbericht, S. 1 2 f.
23 Wi e Anm . 20 .
Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen im Spiegel der Zahlungsbilanz 1945-1970 8 9
mit Frankreich bestehen . Allerdings wuchs die deutsche Ausfuhr nac h Frankreic h
1953 kaum24.
Seit dieser Zeit bis heute wies der Außenhandel Frankreichs mit der Bundesrepublik praktisch Jahr für Jahr einen Negativsaldo für Frankreic h auf, s o daß man von
strukturellen Gründe n dafür spreche n muß. Französische Stellen versuchten in den
fünfziger Jahren , das Defizit wenigstens einzudämmen, indem sie hartnäckig an der
Kontingentierung von Fertigwaren, an deren Export Deutschland besonder s inter essiert war, festhielten 25 un d die Industrie Frankreichs obendrei n durch hohe Zölle
schützten26. Zwar nah m de r Wert des Handels zwische n beide n Länder n nac h der
deutschen Statistik von 1,3 Mrd. DM 1950 auf 3,8 Mrd. DM 1958 zu. Jedoc h bedeutete das ein nur unterdurchschnittliches Wachstum , und der Anteil dieses Handel s
am gesamte n westdeutsche n Außenhande l fie l vo n 6,6 % au f 5,5% . Die USA , die
Niederlande, meist auch Belgien-Luxemburg und teilweise Schweden waren damals
bedeutendere Außenhandelspartner für die Bundesrepublik als Frankreich27.
Das ändert e sic h schlagarti g 1959 . I n jene m Jah r erhöht e sic h besagte r Antei l
sprunghaft au f 7,4% , und 196 0 stieg er weiter auf 9%. Damit war Frankreich nach
den US A zweitwichtigste r Handelspartne r de r Bundesrepublik . Allei n di e deut schen Import e au s Frankreic h stiege n i n jenen beide n Jahren u m 150% , und di e
deutschen Exporte verdoppelten sich fast 28. Ersteres war u.a. die Folge einer massiven Steigerun g de r Konkurrenzfähigkei t französische r Ware n aufgrun d zweie r
großer Abwertungen 195 7 und 1958 29. Letzteres dagegen ist wohl rückführbar au f
die mit Beginn des Jahres 195 9 in Kraft getreten e Erweiterung von Einfuhrkontin genten und eine erste Senkung der Binnenzölle um 10%, wa s den Vereinbarungen im
Rahmen der EWG entsprach 30. Im Zuge der in der Folgezeit weiterbetriebenen Beseitigung von Hemmnissen des Handels innerhalb der EWG, die Mitte 1968 mit der
Etablierung de r Zollunio n abgeschlosse n wurde , nahm auc h di e Handelsverflech tung zwische n de r Bundesrepubli k un d Frankreic h zu . Mitt e de r sechzige r Jahre
wurde Frankreich zum größten Handelspartner der Bundesrepublik mit einem Anteil vo n run d 11% , eine Konstellation , di e sic h seitde m nich t meh r geänder t hat .
Gleichzeitig war di e Bundesrepublik abe r auch der größt e Handelspartne r Frank reichs mi t eine m Anteil, der sic h ga r auf run d 19 % belief 31. 196 9 schließlich, dem
Jahr einer erneuten Abwertung Frankreichs und der zweiten Aufwertung Deutsch lands sowie dem ersten Jahr nach Vollendung der EWG-Zollunion, betrug der Anteil
des deutsch-französischen Handel s am gesamten Außenhandel der Bundesrepubli k
13%32.
24 Statistische s Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1954, S. 306.
25 BÜHRE R (wie Anm . 20 ) S . 56 1 f .
26 FOHLE N (wie Anm . 16 ) S . 124 .
27 Statistische s Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, verschiedene Jahrgänge.
28 Statistische s Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1961, S . 316.
29 BIZ , 28. Jahresbericht , S. 141-144 ; 29. Jahresbericht , S. 214-216.
30 Vertra g zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Artike l 14 , 33 ; Werne r WEIDENFELD, Wolfgang WESSELS (Hg.), Europa von A-Z. Taschenbuch der europäischen Integration, Bonn
2. Auflage 1992, S. 17 f .
31 Statistische s Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1967, S. 318, 84*f.
32 Statistische s Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1971, S . 299.
90
Christoph Buchhei m
In längerfristiger Perspektiv e betrachtet, muß man sagen, daß die außerordentliche Dynamik der Entwicklung des deutsch-französischen Handel s in den sechziger
Jahren unmittelbar mit der Konstituierung der EWG und der Errichtung einer Zollunion in ihrem Rahmen zusammenhing. Das zeigt sich ebenfalls daran, daß nicht nur
der deutsche Außenhandel mit Frankreich, sondern auch derjenige mit den anderen
EWG-Mitgliedsländern i n jener Periode überproportional star k zunahm, der Handel mit den EFTA-Staaten dagegen viel langsamer wuchs. Die vollständige Liberalisierung des Handels innerhal b der EWG entfaltet e demnac h eine enorme handelsschaffende und , i n geringere m Maße , wohl auc h handelsumlenkend e Kraft . Nac h
1970 aber, das sei gleich hinzugefügt, steigerte sich der deutsche Handel mit den fünf
ursprünglichen EWG-Mitgliedern langsamer als mit den vormaligen EFTA-Staaten
- offenba r ein e Konsequenz des Beitritts von EFTA-Ländern zur EG und der Etablierung einer EG und EFTA umfassenden Freihandelszon e im Jahre 1977 33. Beide
Episoden belegen meines Erachtens ganz klar, daß Handelsliberalisierung immer eine starke dynamische Kraft innewohnt .
Letzteres spiegelt sich auch in einer charakteristischen Änderung der Warenstruktur de s Handels al s Folge von Liberalisierun g un d Wachstu m wider. Das sol l nu n
durch einen Vergleich der Zusammensetzung des deutsch-französischen Außenhan dels in den Jahren 1952,195 7 und 1970 belegt werden. 1952 wurde ausgewählt, weil
sich damals der Hande l innerhal b der EZU eingespiel t hatte und weil es das letzte
Jahr vor Errichtung der Montanunion und dem Beginn der kleineuropäischen Integration gewesen ist. In gleicher Weise war 1957 das letzte Jahr vor Inkrafttreten de s
EWG-Vertrags un d auc h das letzte volle Jahr der Existenz der EZU; 195 8 erfolgte
nämlich de r Übergan g Frankreichs , Deutschland s un d andere r westeuropäische r
Staaten zur Konvertibilität. 197 0 existierte einerseits bereits die Zollunion zwischen
den EWG-Ländern. Andererseits waren die sechs Gründungsmitglieder diese r Gemeinschaft noc h unter sich. Außerdem bestand noch das System fester Wechselkur se, wi e in Bretton Woods vereinbart, wenn auch starke Spannungen nicht mehr zu
übersehen waren.
Betrachtet man in der Tabelle das Jah r 1952 , s o erkennt man, daß im deutsch-französischen Außenhandel damals noch die komplementären Bestandteil e überwogen.
Das heißt, jedes Land verkaufte de m anderen primär Güte r solcher Kategorien, an
denen der Partner Mangel litt und die dementsprechend desse n eigene gesamtwirtschaftliche Produktio n ergänzten , sei n Angebo t vervollständigten . Dabe i stande n
bei den Importen der Bundesrepublik a n erster Stelle Rohstoffe. Dies e hatten einen
Anteil von 29% a n den gesamten Einfuhren au s Frankreich inne. Eine wichtige Rolle spielten aber auch Nahrungsmittel, konnte damals Westdeutschland sein e Bevölkerung damit doch bei weitem nicht selbst versorgen, weshalb ja auch die ausländischen Hilfslieferungen i n der zweiten Hälfte de r vierziger Jahre ganz überwiegend
aus Nahrungsmittel n bestanden . Insgesam t setzt e sic h de r deutsch e Impor t au s
Frankreich 1952 zu mehr als 60% aus Primärgütern zusammen.
33 Christop h BUCHHEIM , Di e Wirtschaftsbeziehunge n Westdeutschland s z u Westeurop a 1945-1970 ,
in: Francesc a SCHINZINGER, Klau s SCHWABE (Hg.), Deutschland und der Westen im 19. und 20. Jahr hundert, Bd. 2, Stuttgart 1994 , S. 47.
Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehunge n i m Spiegel der Zahlungsbilanz 1945-197 0 9 1
Außenhandel der Bundesrepublik mit Frankreich (Mill. DM)*
1952
Importe Exporte
Nahrung, Getränke, Tabak
148,3
Rohstoffe
176,4
- Eisenerz , -schrott
26,9
Brennstoffe
44,9
- Kohl e
26,5
Tier. u. pflanzl. Öle
0,8
Chemische Erzeugnisse
34,4
Fertigwaren nach Beschaffenheit 149,5
- Textilprodukt e
60,5
- Eise n und Stahl
54,2
Maschinen/Fahrzeuge
29,4
- Maschine n und Elektrotechnik 18,1
- Kraftfahrzeug e
8,8
Verschiedene Fertigwaren
16,0
- Bekleidun g
3,4
Summe (inkl. anderer Posten)
1957
Importe Exporte
23,5
26,5
0,4
480,1
462,8
0,0
92,4
149,1
30,7
15,1
274,3
246,1
26,0
30,2
3,4
392,7
240,2
47,9
59,2
42,4
1,3
64,7
563,6
231,0
223,0
147,8
64,3
24,4
65,1
10,5
50,0
60,5
8,4
646,0
623,7
2,1
191,5
383,9
23,5
191,9
833,7
745,5
50,4
73,1
1,3
605,6 1079,8
1546,9
2255,0
1970
Importe Exporte
2370,6
693,2
103,2
275,2
54,5
30,7
1051,5
3795,8
899,3
1254,3
4179,0
2264,4
1584,0
1142,3
471,4
457,9
307,1
17,2
958,9
835,6
54,9
1512,7
3877,4
551,2
1558,8
6541,9
4770,1
1323,8
1533,5
183,0
13901,8 15485,5
* Saarland 195 2 und 195 7 bei Frankreich, 1970 bei der Bundesrepublik
Quelle: Statistische s Bundesamt , Fachseri e G , Reih e 5 : Special Trad e o f th e Fédéral Republi c of Ger many according to the Standard International Trade Classification (SITC) , verschiedene Jahrgänge
Noch erstaunlicher jedoch ist, daß zu jener Zeit der deutsche Export nach Frankreich ebenfalls zu rund 50% aus Primärgütern bestand, wohingegen bei der Ausfuh r
der Bundesrepublik insgesamt mit mehr als 80 % bereits wieder die gewerblichen Erzeugnisse eindeutig dominierten 34. Das lag an der übergroßen Kohlenausfuh r nac h
Frankreich, die allein 43% ausmachte. Demnach schlu g sich in der Handelsbilan z
tatsächlich di e entscheidend e Abhängigkei t Frankreich s vo n de r deutsche n Stein kohle nieder. Derartige Einfuhren ware n die Voraussetzung für di e Verwirklichung
des Monnet-Plans und den Ausbau der französischen Stahlindustrie . Viele der fran zösischen Vorschläge zur Behandlung Deutschland s in der Nachkriegszeit, z.B. der
Plan einer Internationalisierun g de s Ruhrgebiets, die Ruhrbehörde ode r der Schumanplan, lassen sich direkt auf diese Notwendigkeit zurückführen 35. Interessan t ist,
daß der Kohlenausfuhr Deutschland s nach Frankreich eine relativ hohe Stahleinfuh r
von dort gegenüberstan d (9 % der Gesamtimporte) . In gewissem Sinne waren also
die französischen Vorstellungen , Kohlenproduktio n un d -expor t Deutschland s z u
maximieren, einen Teil von dessen Bedarf a n Stahl aber durch Importe zu decken 36,
im gegenseitigen Handel Realität geworden.
Außer Kohl e exportiert e di e Bundesrepubli k scho n 195 2 vor alle m Maschine n
und Anlagen nach Frankreich. Dies diente dem Wiederaufbau, und es entsprach dem
34 BUCHHEI M (wi e Anm . 3 ) S . 18 6 f .
35 Ala n S. MILWARD, The Reconstruction of Wester n Europe 1945-51, London 1984 , S. 126-164 ; Michel MARGAIRAZ , L'Etat, le s finance s et Péconomie. Histoir e d'un e conversio n 1932-1952, Paris
1991, S. 966 f.
92
Christoph Buchheim
Monnet-Plan, der ja enorme Investitionen, vor allem in den Grundstoffindustrien ,
vorsah, um ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum un d eine n steigenden Lebens standard z u erreichen 37. 194 8 stammte noc h ei n Großtei l de r Investitionsgüterim porte Frankreichs aus den USA. Bi s 1952 nahmen diese jedoch nur um ein Drittel zu,
wohingegen diejenige n au s Westdeutschlan d sic h versiebenfachten . Z u jene r Zei t
kamen bereits mehr als 20% der gesamten Einfuh r Frankreich s a n solchen Güter n
aus der Bundesrepublik, der Anteil der USA hieran aber war seit 1948 von 40% auf
knapp 30% zurückgegangen . Die Tatsache, daß Maschinen und Anlagen in Deutschland wieder verfügbar waren , dämmte also das enorme Defizit de r Dollarbilanz des
Frankenraums ein , da s damal s au f de r weitgehen d unelastische n französische n
Nachfrage nac h Basisgütern wie Getreide, Kohle und Metallen beruhte 38. Auch Investitionsgüter gehörte n z u diese r Kategorie , un d e s war vo n große m Vortei l fü r
Frankreich, da ß sic h wenigsten s dafü r ein e alternativ e Bezugsmöglichkei t auftat .
Das galt umso mehr, als erstens die Nachfrage Deutschlands nach französischen Produkten, worunter nicht zuletzt Agrargüter fielen, wesentlich elastischer war als diejenige der USA und zweitens in Form der EZU ein Clearingmechanismus existierte,
der die Defizitabdeckung mi t Dollars nur begrenz t erforderlic h machte . Man muß
feststellen, daß der Handel mit der Bundesrepublik französische Einfuhre n au s den
USA teilweise substituierte und so dazu beitrug, die Dollarlücke Frankreichs zu verkleinern, wa s seinerseit s ein e unabdingbar e Voraussetzun g fü r de n schließliche n
Übergang zur Konvertibilität auch des Französischen Franc darstellte39.
Bis 1957 änderte sich nicht viel an der Struktur des Außenhandels zwischen beiden Ländern . Nach wi e vor beliefe n sic h die Nahrungsmittelimporte de r Bundesrepublik au s Frankreich au f etw a ein Viertel der Gesamteinfuhr au s jenem Land .
Nach wi e vor spielte n auc h Rohstoffe ein e wichtige Roll e im deutschen Import ,
wenn auch ihr Anteil auf 16% zurückgegangen war. Be i der deutschen Ausfuhr nach
Frankreich dominierte n weiterhi n Kohl e (28%) und Maschine n (33%) . Allerdings
hatten sic h ihr e relative n Positione n vertauscht . Insgesam t belie f sic h de r Antei l
komplementärer Güte r 195 7 beim deutschen Import aus Frankreich auf circa 40%,
gegenüber meh r al s 50 % 1952 , und bei m deutsche n Expor t nac h Frankreic h au f
rund 60%, d.h. er war etwa gleich hoch wie 1952. Offensichtlich hatte n Wirtschaftswachstum un d Außenhandelsliberalisierun g noc h keine n durchschlagende n Effek t
gehabt, wobei letztere, wie gesagt, im Falle Frankreichs auc h noch nicht allzu weit
gegangen war.
Auf ein e verblüffende Beobachtun g muß jedoch noch hingewiesen werden. Der
Handel mit Eisen und Stahl zwischen Deutschland und Frankreich war 195 7 wichti ger geworden, und, was noch bezeichnender ist , er war in jenem Jahr fast ausgeglichen. Deutschen Einfuhren fü r rund 220 Mill. DM standen Ausfuhren vo n mehr als
190 Mill. DM gegenüber, wohingegen 1952 die Importe fast vier Mal so groß wie die
Exporte waren. 1957 kann man in diesem Bereich nicht mehr von Handel mit kom36 Constantin GOSCHLER, Christoph BUCHHEIM, Werner BÜHRER, Der Schumanplan als Instrument
französischer Stahlpolitik, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 37 (1989) S. 174-177 .
37 FOHLE N (wie Anm . 16 ) S . 118 .
38 OEE C Statistical Bulletins, Foreign Trade, verschiedene Serien.
39 Vgl . hierzu generell BUCHHEIM (wie Anm. 3) S. 171-17 9 .
Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehunge n i m Spiegel der Zahlungsbilanz 1945-197 0 9 3
plementären Gütern sprechen. Und das scheint ganz eindeutig eine Folge der Montanunion gewesen zu sein. Bereits 1953 und 1954 war der gemeinsame Markt für alle
vom EGKS-Vertrag dafür vorgesehenen Produkte errichtet worden, d.h. quantitative Handelshemmnisse und die Binnenzölle wurden für den Handel in diesen Gütern
zwischen de n Mitgliedsländer n de r Montanunio n aufgehoben 40. Darübe r hinau s
mußte aufgrund de s Vertrags auch jegliche Diskriminierung von Anbietern anderer
EGKS-Staaten beseitig t werden, was nicht zuletz t di e Frachtraten betraf 41. Infolg e
dieser umfassenden Liberalisierun g spielten also Staatsgrenzen keine Rolle mehr für
die Reichweit e de s Absatze s einzelne r deutsche r ode r französische r Stahlunter nehmen. Vielmehr bestimmte n darübe r nu n nu r noc h ökonomisch e Faktoren , u.a.
die Distanz und die Transportverbindungen zu m Verbraucher. So kam es, daß Süddeutschland verstärkt Stahl aus dem Saargebiet, das damals statistisch noch bei Frankreich erfaßt wurde, und Lothringen bezog, weil die Frachtkosten von dort niedriger
als vom Ruhrgebiet waren. Nordfranzösische Küstenregione n dagegen importierten
offenbar Ruhrstahl , dessen Transport, da auf dem Wasserweg möglich, günstiger war
als derjenige vo n Lothringe r Stahl . Bei Eisen un d Stah l entwickelt e sic h demnac h
aufgrund de r Liberalisierung im Rahmen der Montanunion sehr früh ei n intraindustrieller Austausch zwischen beiden Ländern. Dieser Wirtschaftssektor nah m damit
das spätere Muster des Handels vorweg.
Seit Mitte 1968 war, wie bereits erwähnt, die Zollunion zwischen den EWG-Ländern verwirklicht. Das bedeutet, was vorher nur für Montanprodukt e galt , nämlich
die Beseitigung aller Handelsbarrieren zwischen den Mitgliedsstaaten, war damit auf
sämtliche Güte r ausgedehn t worden . Di e Folge n davo n lasse n sic h schö n a n de r
Struktur des deutsch-französischen Außenhandel s 1970 beobachten.
Nach wi e vor waren Nahrungsmitte l be i der deutsche n Einfuh r au s Frankreic h
wichtig. Dabei wurden 197 0 im Vergleich zu 1957 vor allem mehr Obst und Gemüse, Fleisc h und Käse importiert. Ansonsten ist die Bedeutung des Handels mit komplementären Gütern jedoch sehr geschrumpft. Rohstoff e hatte n nur noch einen Anteil von 5 % a n den Gesamtimporte n de r Bundesrepublik au s Frankreich inne , der
Kohleexport belie f sic h auc h nu r noc h au f 5% . Primärgüter insgesam t betruge n
noch rund ei n Viertel der Importe Westdeutschlands un d gu t 10 % seiner Exporte.
Der ganze Rest des gegenseitigen Handels setzte sich aus Halb- und Fertigwaren zusammen. Hier dominierte eindeutig der intraindustrielle Austausch. So stellten chemische Erzeugnisse 8 % de r deutschen Import e aus Frankreich und 10 % der deutschen Exporte dorthin. Bei Eisen und Stahl beliefen sich die entsprechenden Anteile
auf 9% bzw. 10%, bei Kraftfahrzeugen au f 11 % un d knapp 9%. Bei Maschinen erzielte die Bundesrepublik zwar nach wie vor einen großen Handelsbilanzüberschuß.
Trotzdem kan n ma n auc h hie r nich t meh r von eine m komplementäre n Austausc h
sprechen, beliefen sic h die diesbezüglichen deutschen Importe aus Frankreich doch
immerhin auf gut 16% der Gesamteinfuhr .
Die Liberalisierung zwischen beiden Ländern trug insofern entscheiden d zu dieser Handelsstruktur bei , als sie es für di e Firmen profitabel machte , sich jeweils auf
40 Ludol f HERBST , Di e Bundesrepubli k i n de n Europäische n Gemeinschaften , in : Wolfgan g BEN Z
(Hg.), Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland , Bd. 2, Frankfurt/M. 1989 , S. 217 f .
41 Vertra g zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft fü r Kohle und Stahl, Artikel 4.
94
Christoph Buchheim
einzelne Produktlinien z u spezialisieren und dies e weit über den nationalen Mark t
hinaus abzusetzen . Di e i m Zug e de s Wachstum s imme r differenzierte r werdend e
Nachfrage de s heimische n Markte s wurd e hingege n vermehr t durc h Import e ge deckt. Der Effekt wa r Wachstum für di e Unternehmen aller beteiligten Länder und
gleichzeitig eine Steigerung der Export- und Importquoten. Mit anderen Worten, die
deutsche un d di e französische Volkswirtschaf t verschmolzen , was den Absat z de r
Industrie betrifft, i n der Tat mehr und mehr zu einem großen Markt, womit sich die
Zweckbestimmung der EWG ökonomisch erfüllte .
Dienstleistungs- und Übertragungsbilan z
In der Dienstleistungsbilanz werden Transaktionen im Rahmen von Dienstleistungsgeschäften verbucht . Hierunte r falle n Frachten , Versicherungsprämien , Lizenzen ,
der Reiseverkehr, Regierungsleistungen ; abe r auch Kapitalerträg e werden i n dieser
Bilanz erfaßt. Frachten und Versicherungsleistungen stehe n im Zusammenhang mit
dem Warenverkehr, und sie wachsen mit diesem. Hier ist die Bilanz meist annähernd
ausgeglichen, was auch für die Bundesrepublik und Frankreich im betrachteten Zeitraum galt 42. Zwei andere Beobachtungen erscheine n abe r erwähnenswert: Seit dem
Ende de r fünfzige r Jahr e - nac h de r völlige n Befreiun g de s Erwerb s vo n Reise devisen vo n Beschränkunge n i n de r Bundesrepubli k - stiege n di e Aufwendunge n
der Deutschen für Auslandsreisen sehr rasch an, so daß die Reiseverkehrsbilanz bald
ein beträchtliches Defizit aufwies 43. Im Vergleich zu Ländern wie Österreich, Italien
oder Spanien profitierte Frankreich hiervon zunächst erstaunlich wenig. Die Ausgaben deutscher Reisender in Frankreich und französischer Touriste n in Deutschland
hielten sich die gesamten sechziger Jahre hindurch annähern d di e Waage. Erstmals
im Jahre 1970 trat ein größerer Negativsaldo von rund 200 Mill. DM für die Bundesrepublik i n dieser Bilanz auf . Offensichtlic h führt e di e offizielle deutsch-französi sche Freundschaft länger e Zeit nicht zu ausgedehnten Kontakten der Bevölkerungen
beider Länder.
Die zweite Beobachtung betrifft di e Bilanz der Regierungsleistungen. Es fällt auf ,
daß Deutschland hie r in den sechziger Jahren einen positiven Saldo erzielt hat, der
zwischen 196 0 und 197 0 meist in einer Größenordnung vo n 200 bis 400 Mill. DM
lag. 1970 machte er immerhin ei n Viertel des gesamten Handelsbilanzüberschusse s
aus. Verantwortlich dafür waren relativ hohe Einnahmen von ausländischen militärischen Dienststellen, d.h. von den in Deutschland stationierte n französischen Trup pen. Deren Ausgaben für Käuf e von Gütern und Leistungen in der Bundesrepublik
beliefen sich z.B. 1970 auf 300 Mill. DM. Relativ zu den diesbezüglichen Einnahmen
von den USA, die damals mehrere Milliarden D-Mark betrugen, ist das zwar nicht
gar zu viel. Dennoch ist bemerkenswert, daß die Bundesrepublik auch von den ehemaligen Besatzungstruppen Frankreichs, die im Zeichen des Kalten Krieges hier blieben,
wirtschaftlich profitier t hat . In den fünfziger Jahre n dagegen haben vermutlich noch
die von der Bundesrepublik aufgebrachten Stationierungskosten überwogen.
42 Vgl. , auch für das Folgende, Fax der Deutschen Bundesbank an den Autor vom 21.9.94.
43 BUCHHEI M (wie Anm. 33) S. 49 f.; Deutsch e Bundesbank (Hg.), 40 Jahre Deutsche Mark. Monetäre
Statistiken 1948-1987, Frankfurt/M. 1988 , S. 258.
Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehunge n i m Spiegel der Zahlungsbilanz 1945-197 0 9 5
Die Übertragungsbilan z wa r i m Fall e Westdeutschland s i n de r unmittelbare n
Nachkriegszeit besonders wichtig. Denn sie diente der Verbuchung sowohl der Auslandshilfe als auch der Besatzungskosten und Reparationen. Vor allem die USA und
Großbritannien haben hohe Summen zur Bezahlung von Einfuhren, besonder s von
Nahrungsmitteln, in ihre Zonen ohne deutsche Gegenleistung aufgewendet. Frank reich hat eine ähnliche Hilfe nich t gewährt . Allerdings hat Frankreich di e Importe
seiner Zone, auch aus den USA, in großem Umfang vorfinanziert un d hierauf dan n
die für Exporte des französischen Besatzungsgebiet s nach dem Frankenraum fälligen
Zahlungen angerechnet. Der Saldo der Zahlungen für all diese Handelsgeschäfte de r
französischen Zone , einschließlich einiger kleiner anderer Transaktionen, belief sich
zum Zeitpunkt de r Verschmelzung des Außenhandels diese r Zone mit demjenige n
der Bizone im Oktober 1948 auf knapp 16 Mill. $ zugunsten Frankreichs. Dieser Betrag wurde als französischer Beitra g zum Kapita l der Joint Expor t Impor t Agenc y
(JEIA), dem alliierten Amt, das für di e Abwicklung des westdeutschen Außenhan dels bis 1949 zuständig war, angesehen44. Er wurde von Frankreich bei den Verhandlungen um das Londoner Schuldenabkommen als französischer Antei l an der alliierten Wirtschaftshilfe fü r Westdeutschland in der Nachkriegszeit geltend gemacht und
als solcher von der Bundesrepublik auch anerkannt 45.
Einen wesentlic h größere n Poste n i n de r Übertragungsbilan z de r frühe n Zei t
stellten die sogenannten Besatzungslaste n dar . Darunter fiele n i m wesentlichen di e
Kosten, die Westdeutschland für die Militärregierung, den Unterhalt der Besatzungstruppen und Displace d Person s sowie für di e Durchführung de r Demontagen un d
Entmilitarisierungsmaßnahmen z u tragen hatte. Diese Lasten sind auf der Basis der
von den Besatzungsmächten anerkannte n Zahlen der Länderhaushalte vom Institut
für Besatzungsfrage n zusammengestell t worden 46. Hiernach beliefe n sic h die Ausgaben für Besatzungslaste n i n der französischen Zon e bis zur Währungsreform au f
rund 2 Mrd . RM und danac h bi s 194 9 noc h einma l au f 87 5 Mill . DM . Be i de n
genannten Summe n handel t e s sich um ein e Untergrenze. So führt da s Institut fü r
Besatzungsfragen noc h 26 Mill. RM und 81 Mill. DM an von den Besatzungsmächten nicht anerkannte n Besatzungslaste n auf . Außerde m sin d z.B . die Koste n de r
Nutzung öffentliche r Gebäud e durc h di e Besatzungsmächt e nich t enthalte n un d
auch nicht der verausgabte Teil der DM-Erstausstattung, die den Besatzern anläßlich
der Währungsreform eingeräum t worden ist.
Natürlich handelt e es sich bei den Besatzungslasten u m hohe Beträge. Dennoch
erscheint die vielfach vorgebrachte deutsche Kritik daran aus den folgenden Grün den weitgehend unangebracht 47:
1. Di e Bedarfsdeckun g vo n Besatzungstruppe n au s den Ressource n de s besetzte n
Landes ist völkerrechtlich unstrittig.
44 B A Koblen z B 102/24573 , Erläuterun g z u de r Aufstellun g de r französische n Ansprüch e au s de r
Nachkriegs-Wirtschaftshilfe, 3.12.51 .
45 BUCHHEI M (wi e Anm . 3 ) S . 72-74 .
46 Institu t fü r Besatzungsfragen , Sech s Jahre Besatzungslasten. Ein e Untersuchun g de s Problem s de r
Besatzungskosten i n den drei Westzonen und in Westberlin 1945-1950 , Tübingen 1951 , S. 253-259;
Anlage 2c.
47 Vgl . BUCHHEI M (wi e Anm . 3 ) S . 7 8 f .
96
Christoph Buchheim
2. Finanziel l haben die alliierten Staaten von der Besetzung als solcher nicht profi tiert, im Gegenteil, sie haben einen Teil der entstehenden Kosten, z.B. für die Besoldung ihrer Truppen, selbst getragen.
3. Bi s zu r Währungsrefor m sin d di e für Dienst- , Werk - un d Nutzungsleistunge n
ausgegebenen Beträge, die den größten Teil der Besatzungslasten darstellten, zum
Schwarzmarktkurs in harte Währung umzurechnen. Solche Leistungen sind nämlich nicht exportierbar , un d ei n Ausländer , de r si e im Inlan d konsumier t hätte ,
hätte dafür niemals die offiziellen Preis e bezahlen müssen. Daß es einen Schwarzmarkt gegebe n hat , war abe r ein e Folge de r Kriegsfinanzierun g un d nich t di e
Schuld der Alliierten48.
4. Auc h die besonders kritisierten, von den Franzosen verlangten Pauschzahlungen,
d.h. deutsche Kontributionen i n bar, die u.a. einen Teil der Besoldung der fran zösischen Truppe n ausmachten , ware n nac h amerikanische r Ansich t durchau s
vertretbar. Bezahlten die Soldaten und ihre Familien damit doch Leistungen aus
der deutschen Wirtschaft, di e bei Briten und Amerikaner n direk t z u den Besatzungskosten geschlagen worden sind.
Insgesamt belief sich die Gesamtstärke der Franzosen und der Briten in ihrer jeweiligen Zone im Herbst 194 8 auf je etwa 10000 0 Personen. Die Besatzungslaste n
pro Angehörigen der Besatzungsmacht differierten allerding s erheblich. In der britischen Zone waren e s 1949 14500 DM, in der französischen Zon e dagegen nur gu t
9000 DM 49. Offensichtlic h beruht e di e diesbezüglich e deutsch e Kriti k speziel l a n
den Franzosen also weitgehend auf einer Fehlperzeption.
Laut Abschlußbericht der Inter-Allied Reparation Agency (IARA) erhielt Frankreich deutsche Reparationen i m Wert von 86, 7 Mill. $ auf de r Preisbasis von 1938.
Darunter befan d sic h deutsche s Auslandsvermögen , da s ebens o wi e di e Handels schiffe nich t eindeutig West- oder Ostdeutschland zugeordne t werden kann, in Höhe
von rund 7,6 Mill. $.12 Mill. $ wurden für Beuteentnahmen angesetzt, 17,5 Mill. für
die wirtschaftliche Eingliederun g de s Saargebietes. Der Wer t de s Demontagegute s
betrug 32 Mill. $ zuzüglich 5 Mill. $ für von Frankreich einseitig abgebaute Anlagen
für den eigenen Bedarf. Die an Frankreich übereigneten Handelsschiffe schluge n mit
gut 6 Mill. $ zu Buch50. Bemerkenswert an der Zusammenstellung ist, daß die IARA
offenbar versuch t hat , auch Beute und einseitig e Entnahmen z u zähle n und dami t
das Reparationskonto Frankreich s z u belasten . Eine möglichst vollständig e Erfas sung der tatsächlich erbrachte n Leistunge n Deutschlands a n die Besatzungsmächt e
lag ja durchaus im Interesse der anderen Mitglieder der IARA, bedeutete das doch
faktisch eine n höheren Anteil für si e am durch die IARA verteilten Rest, damit die
vereinbarten Quoten jedes Reparationsgläubigers am gesamten Reparationsaufkom men eingehalten würden. Nur so ist wohl auch zu verstehen, daß Frankreich sich für
das Saargebiet ebenfalls einen gewissen Reparationswert hat anrechnen lassen müssen.
Mit Sicherheit handel t e s sich dennoch be i der angeführte n Angab e z u den von
Frankreich empfangenen Reparationen um eine viel zu geringe Zahl. Z.B. wurde von
48 Ibid. , S. 90 f.
49 Institu t für Zeitgeschichte , Archiv, MF 260, 7/29-3/24, Office o f US High Commissioner for Germany to McCloy, 14.11.49; ibid., POLAD 802-39, Heidelberg Despatch No. 498,15.9.48.
50 Inter-Allie d Reparation Agency, Final Report, 1961, S. 68.
Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehunge n i m Spiegel der Zahlungsbilanz 1945-197 0 9 7
deutscher Seit e häufig di e Bewertung de s Demontagegutes mi t sogenannte n Rest werten, dene n angeblic h überhöht e Abschreibungssätz e zugrundelagen , kritisiert .
Allerdings gab es auch deutsche Stimmen, die meinten, daß diese Restwerte durchaus kaufmännischen Gesichtspunkte n entsproche n haben . Unabhängig von diesem
Streit war der Wert für die Reparationsgläubiger offenbar i n der Tat höher. Selbst die
IARA hat den damals aktuellen Handelswert in Dollars auf etwa das Dreifache des
Restwertes geschätzt 51.
Außerdem komme n verschieden e Reparationsleistunge n Deutschlands , wi e de r
Arbeitseinsatz deutscher Kriegsgefangener ode r die Unterbewertung deutscher Exporte, in der Rechnung ga r nicht vor. Bezüglich letztere r Kategori e existiere n allerdings ziemlich übertriebene Vorstellungen, vor allem was die Lieferungen nac h
Frankreich angeht, von denen teilweise gar angenommen wird, es habe sich um unbezahlte Entnahmen au s laufender Produktio n gehandelt 52. In Wahrheit hat Frank reich sei t Augus t 194 5 alle seine Bezüg e au s de r französische n Zon e bezahlt , wie
weiter oben bereits ausführlich dargelegt . Meist wurden dem auch realistische Preise
zugrundegelegt, wora n di e Militärregierun g de r Zon e ei n große s Interess e hatte .
Man kann höchstens von den folgenden Unterbewertungen ausgehen 53:
Eventuell ha t Frankreic h gemä ß Kontrollratsbeschlu ß bi s Ende 194 6 vom Wert
der Gütereinfuhr au s seiner Zone, abgesehen von Kohle , einen Abschlag von 20%
einbehalten. Das entsprach rund 1 0 Mill. $. Außerdem wurden deutsch e Holzlieferungen unte r Weltmarktpreis vergütet, woraus ein Verlust für die Zone von etwa
30 Mill. $ entstanden sein dürfte. Etw a die gleiche Summe hat Frankreich gespart ,
wenn man davon ausgeht, daß bis August 194 7 deutsche Kohle zu einem Preis 5 $
unter dem Weltmarktpreis exportiert worden ist 54. Insgesamt belief sich die Unterbewertung deutsche r Export e nac h Frankreich demnac h au f etw a 7 0 Mill. $. Das
war fü r di e damalige n Verhältniss e ein e nich t unbeträchtlich e Summe , di e abe r
dennoch wei t unte r de n i n de r Literatu r teilweis e anzutreffende n Schätzunge n
bleibt.
Schließlich is t noc h au f di e Mitnahm e geistige n Eigentum s i n For m vo n For schungsergebnissen, Konstruktionsunterlagen und Fachleuten durch alle vier Besatzungsmächte al s einer weiteren spezifische n Reparationsar t z u verweisen. Abgesehen davon, daß hier ebenfalls eine Aufteilung auf West- und Ostdeutschland unmöglich ist, muß jegliche Schätzung des von den Alliierten darau s gezogene n Nutzen s
hochspekulativ bleiben . Allerdings ist nicht auszuschließen, daß es sich dabei sogar
um den höchsten Wert gehandelt hat, den jedenfalls die Westmächte an Reparationen
aus Deutschland herausgeholt haben 55.
51 BUCHHEI M (wi e Anm . 3 ) S . 8 5 f .
52 HENK E (wi e Anm . 5 ) S . 52 3 f .
53 Zu m Folgenden siehe BUCHHEIM (wi e Anm. 3) S. 93-95.
54 Di e deutschen Kohleexporte nach Frankreich wurden errechnet aus den Angaben bei MILWARD (wi e
Anm. 35) S. 133, sowie BA Koblenz B 102/24573, Außenhandel der französischen Besatzungszone .
55 So das Ergebnis von BUCHHEI M (wi e Anm. 3 ) S. 86-88, 95; an neuerer Literatur zu dem Thema ge nerell vgl . John GIMBEL , Science , Technology, an d Réparations: Exploitation an d Plunder i n Post war Germany, Stanford 1990 ; Burghard CIESLA, 'Intellektuelle Reparationen* der SBZ an die alliierten Siegermächte? Begriffsgeschichte, Diskussionsaspekt e un d ein Fallbeispiel - Di e deutsche Flugzeugindustrie 1945-1946 , in : Christoph BUCHHEI M (Hg.) , Wirtschaftlich e Folgelaste n de s Kriege s
in der SBZ/DDR, Baden-Bade n 1995 , S. 79 ff .
98
Christoph Buchheim
Seit de n fünfzige r Jahre n verlo r di e Bilan z de r unentgeltliche n Übertragunge n
zwischen der Bundesrepublik und Frankreich dann viel ihres relativen Gewichts innerhalb der gesamten Zahlungsbilanz. Einerseits wurden die Besatzung und die Zahlung von Reparationen beendet, andererseits wuchs die Bedeutung anderer Transaktionen, vor allem des Handels, erheblich an. Eine Position der Übertragungsbilan z
ist für diese Zeit jedoch noch erwähnenswert, nämlich die deutschen Wiedergutmachungszahlungen an im Ausland lebende Opfer des Nationalsozialismus. Beginnend
um die Mitte der fünfziger Jahr e erreichten diese Leistungen beträchtliche Summen,
von dene n ei n vergleichsweise geringe r Tei l auch nac h Frankreic h floß . Immerhi n
aber addierten sic h letztere Zahlungen zwische n 196 0 und 197 0 doch au f run d 3, 4
Mrd. DM 56, also auf meh r als die offiziell ausgewiesen e eigentliche Reparationslei stung an Frankreich und auch mehr als die Summe der von Franzosen verursachten
Besatzungslasten.
Die Kapitalbilanz
Der international e Kapitalverkeh r de r Staate n Westeuropa s i n de r Nachkriegszei t
war zunächst vielfach von Verboten bzw. scharfen Einschränkungen geprägt. Davon
machten Frankreich und di e Bundesrepublik kein e Ausnahme. Auslandsinvestitionen von Franzosen waren i n den fünfziger un d sechzige r Jahren durchwe g staatlicherseits genehmigungspflichtig. Je nach Situation der französischen Zahlungsbilan z
wurde die Genehmigung einmal großzügiger und dann wieder sehr restriktiv erteilt,
woraus sic h teilweis e groß e Schwankunge n de r französischen Investitionstätigkei t
im Ausland ergaben 57. Ausländische Investoren in Frankreich wurden grundsätzlic h
französischen Staatsbürger n gleichgestellt , was z.B. bedeutete, daß für Direktinve stitionen eine Geschäftsführungsgenehmigung erforderlic h war . Außerdem mußte n
sich Ausländer aber noch an die Devisengesetze halten, die u.a. meist eine spezielle
Erlaubnis fü r solch e Direktinvestitione n vorsahen 58. Fü r Deutsch e wa r ein e wirt schaftliche Betätigung in Frankreich zunächst fast ganz ausgeschlossen. Zwar waren
Beteiligungen Deutsche r a n französische n Unternehme n sei t de m Wirtschaftsab kommen vom Juli 1951 grundsätzlich möglich, jedoch in der Praxis wurden fast keine Genehmigungen erteilt . Ein Dekret vo n 194 7 verbot darübe r hinau s den Deut schen de n Rückkau f ihre r frühere n Besitzunge n i n Frankreich. Ja, selbst deutsch e
Handelsmarken konnten erst seit 1955 von ihren deutschen Eigentümern wieder erworben werden. Vorher war bei ihrer Verwendung auf nach Frankreich exportierten
Gütern die Bezahlung einer Lizenzgebühr an die französische Domänenverwaltun g
notwendig. All diese speziellen Einschränkunge n fiele n ers t nac h Inkrafttreten de s
deutsch-französischen Niederlassungsabkommen s i m Jahr e 1959 . Ers t dadurc h
wurde Deutschen in Frankreich Inländerbehandlun g sowi e Eigentumsschutz zuge-
56 Wi e Anm. 42.
57 Hans-Eckar t SCHWARRE R (Hg.), Förderung private r Direktinvestitionen . Ein e Untersuchun g de r
Maßnahmen bedeutender Industrieländer, Hamburg 1972, S. 344-346, 376 f.
58 A M Nr. 33 vom 13.8.59 (Wirtschaftsarchiv de r Universität Mannheim); Niederlassungen i n Frankreich, in: Deutsche Außenwirtschaft, 11.3.1961.
Die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehunge n i m Spiegel der Zahlungsbilanz 1945-197 0 9 9
sichert un d de r Beteiligungserwer b fü r si e erleichtert 59. Die s wurd e dan n durc h di e
Regelungen im EWG-Vertrag zusätzlic h abgesichert .
Bis zum Abschlu ß de s Londoner Schuldenabkommen s vo n 1953 , das der Konso lidierung der deutschen Altschulde n diente , kann ma n von privatem internationale n
Kapitalverkehr fü r Westdeutschlan d nich t sprechen. Erst danach wurde der Transfe r
von Erträgnisse n ausländische r Vermöge n i n der Bundesrepublik schrittweis e zuge lassen, ebenso wi e die Repatriierun g vo n Auslandskapital . Di e Genehmigun g deut scher Investitione n i m Auslan d wurd e großzügige r gehandhabt 60. Da s schlu g sic h
deutlich i n der Zahlungsbilan z vo n 195 4 nieder, di e erstmals wieder eine n größere n
privaten internationale n Kapitalverkeh r auswies , auch abgesehen von den Tilgunge n
im Rahme n de s Schuldenabkommens 61 . 195 7 wurden dan n Auslandsinvestitione n
Deutscher in beliebiger Höhe generell erlaubt, und Mitte 195 8 wurde die liberalisierte Kapitalmark (Libka-Mark),womi t allei n Ausländer bi s dahin i n der Bundesrepu blik Vermögen erwerben konnten, abgeschafft, s o daß Investitionen von Ausländer n
in Westdeutschlan d a b diese m Zeitpunk t gan z fre i waren . Di e D-Mar k wa r dami t
faktisch konvertibel , die ausländischen Direktinvestitione n i n Westdeutschland stie gen stei l an 62. Letztere s hin g gewi ß auc h mi t de r Gründun g de r EW G zusammen ,
wodurch vo r alle m di e amerikanische n Direktinvestitione n i n de r Bundesrepubli k
stark angeregt wurden .
Im folgenden wir d nur noch die Direktinvestitionstätigkeit betrachtet . Eine spezielle Diskriminierung französische r Investitione n i n Deutschland ga b es in der Nach kriegszeit niemals . Dennoc h entwickelte n sic h di e Direktinvestitione n Frankreich s
in de r Bundesrepubli k nich t schnelle r al s di e deutsche n Direktinvestitione n i n
Frankreich. Anfang 196 0 belief sic h das solcherart i m Nachbarland investiert e Kapi tal in beiden Fällen noch auf weniger als 100 Mill. DM63 . Diese niedrige Summe spiegelt demnac h gan z deutlic h di e zahlreiche n Erschwerniss e de r Investitionstätigkei t
von Ausländern und im Ausland wider, die im vorigen Abschnitt geschildert worde n
sind. Da s ändert e sic h i n den sechzige r Jahren, wobei di e EWG-Mitgliedschaf t bei der Länder zusätzlich fördernd wirkte . Bis 1970 stieg der Bestand deutscher Anlage n
in Frankreich u m knap p 1, 7 Mrd. , derjenig e französische r Anlage n i n Westdeutsch land u m 1, 1 Mrd . DM 64 . Man kan n demnac h fü r dies e Zei t zumindes t vo m Begin n
der Kapitalverflechtun g de s beiderseitige n Unternehmenssektor s sprechen . Zwe i
59 Wi e Anm. 58 ; Hoffnung fü r deutsch e Frankreich-Vermögen , in : Handelsblatt 16./17.5.58 ; Andreas
WILKENS, Da s Program m vo n L a Cell e - St . Cloud . De r Ausba u de r deutsch-französische n Wirt schaftsbeziehungen 1954-1957 , in: Revue d'Allemagne 25 (1993) S. 575 ff .
60 BUCHHEI M (wi e Anm . 3 ) S . 16 4 f .
61 Deutsch e Bundesban k (Hg.) , Deutsches Geld - un d Bankwese n i n Zahlen 1876-1975 , Frankfurt/M .
1976, S . 342 , 344 ; Christop h BUCHHEIM , Da s Londone r Schuldenabkommen , in : Ludol f HERBS T
(Hg.), Westdeutschland 1945-1955 . Unterwerfung, Kontrolle , Integration, München 1986 , S. 223-227.
62 BUCHHEI M (wi e Anm. 3) S. 165 f.; DERS . (wie Anm. 61) S. 227-229; Deutsche Bundesbank (Hg. ) (wi e
Anm. 61) S. 343 .
63 Di e deutschen Direktinvestitionen i m Ausland, in: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, De zember 1965 , S. 26; Ausländische Beteiligunge n a n Unternehme n i n de r Bundesrepublik , in : Mo natsberichte de r Deutsche n Bundesbank , Janua r 1972 , S. 34 ; in Verbindun g mi t de n Angabe n de r
Deutschen Bundesban k übe r laufend e Direktinvestitionen , di e dem Auto r a m 28.11.94 gefaxt wur den.
64 Fa x der Deutschen Bundesban k vo m 28.11.94.
100
Christoph Buchheim
Regionen waren durch Auslandsinvestitionen besonder s eng mit dem Nachbarland
verbunden, nämlich das Elsaß, wo durch deutsche Investoren sehr viele Arbeitsplätze geschaffen worden sind, und das Saarland65.
Die branchenmäßige n Schwerpunkt e de r deutsche n Investitione n i n Frankreic h
lagen in der Chemie und Stahlindustrie, im Maschinenbau und der Elektrotechnik 66.
Alle dre i deutsche n Unternehme n de r Großchemi e gründete n auße r Verkaufsnie derlassungen Produktionsbetriebe i n Frankreich, teilweise als Gemeinschaftsunter nehmen mit französischen Firmen 67. Insgesamt mu ß man sagen, daß die Branchen,
die im Export nach Frankreich dominierten, auch bei den deutschen Direktinvesti tionen in jenem Land an vorderster Stelle standen. Bei den französischen Investitio nen in der Bundesrepublik ware n ebenfall s di e Stahl- und di e chemische Industri e
stark beteiligt . Weiter e Schwerpunkt e ware n Mineralölverarbeitun g un d -hande l
(Total) sowie die Energiewirtschaft, außerde m di e Industrie de r Steine und Erden ,
von Glas und Feinkeramik und der Großhandel. Aber auch so bekannte Hersteller
von Konsumgüter n wi e Allibert , Mouline x un d Rossignol unterhielten damal s
schon Niederlassungen in Deutschland68, wie umgekehrt Adidas und Salamander in
Frankreich69.
Die Betrachtung der Zahlungsbilanz insgesamt zeigte deutlich die Entwicklung des
Verhältnisses Westdeutschland s z u Frankreic h vo n de r Besatzungszei t mi t eine m
großen Gewicht der Reparationen und Besatzungslasten in der Übertragungsbilanz
über di e Zei t restriktive r Devisengesetzgebun g un d Einfuhrkontrolle , i n de r di e
Handelsintegration beide r Länder weiterhin stockte, bis hin zu verstärkter Zusam menarbeit im Rahmen der EWG, als beide Volkswirtschaften füreinande r di e jeweils
größten Handelspartner wurden und auch die gegenseitige Verflechtung de s Unternehmensbereichs durc h Direktinvestitione n sowi e ei n größere r Reiseverkeh r be gann. Diese ganz e Sequen z dauert e wesentlic h länge r al s im Fall e der Integratio n
Westdeutschlands mi t anderen Ländern, was nicht zuletzt an großen Widerstände n
in Frankreich lag. Die kleineuropäische Integration hat aber entscheidend dazu beigetragen, diese Widerstände zu überwinden. Insofern hat sie, außer ihrer politischen
Bedeutung, ein e wichtige Roll e gespiel t bei m Aufbau de s wirtschaftlichen Funda ments der deutsch-französischen Zusammenarbeit .
65 Da s Elsaß lockte deutsche Investoren, in: Handelsblatt, 27.6.66, Beilage; Die Franzosen in Deutschland, in: Frankfurte r Allgemein e Zeitung, 12.11.68: Deutsche Unternehmen in Frankreich, in: Junge
Wirtschaft, Juni 68.
66 SCHARRE R (wi e Anm . 57 ) S . 605; Henry KRÄGENAU , International e Direktinvestitionen . Ergän zungsband 1978/79, Hamburg 1979 , S . 16 6 f.
67 Deutsch e Gesellschaften i n Frankreich - französisch e Gesellschafte n i n Deutschland, in: Handelsblatt, 13.6.60 ; Deutsche Unternehme n i n Frankreic h (wi e Anm . 65) ; Bayer AG , Meilensteine ,
S. 310-313.
68 Ausländisch e Beteiligungen an Unternehmen in der Bundesrepublik, in: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Januar 72, S . 38 ; Di e Franzosen in Deutschland (wie Anm. 65).
69 Neu e Auslandsbeteiligungen in Frankreich, in: Deutsche Zeitung und Wirtschafts-Zeitung, 4.10.60.
VOLKER HENTSCHE L
ZWISCHEN ZAHLUNGSUNFÄHIGKEI T U N D KONVERTIBILITÄ T
Frankreich und Deutschland i n der Europäischen Zahlungsunio n
Einleitung
Die Europäische Zahlungsunio n (EZU ) wa r vielleicht di e wichtigste, wirkungsvoll ste und wohltuendst e Einrichtun g wirtschaftliche r Integration , die es seit dem End e
des Zweiten Weltkriegs in Europa gab, mit Sicherheit ist sie die historiographisch a m
wenigsten beachtete .
In un d dan k de r EZ U befreit e sic h Westeurop a binne n wenige r Jahr e vo n de n
Wachstums- un d wohlstandsfeindliche n Fessel n strikte r Devisenbewirtschaftun g
und weitgehende n Handelsbilateralismus' . Da s gescha h zu m eine n mi t Hilf e ver traglich festgelegter Verfahre n un d Mechanisme n un d zu m andere n durc h praktisc h
geübte Solidarität der Regierungen und Zentralbanken , die allmählich jenes Vertrauen schaffte , da s e s End e de r fünfzige r Jahr e auc h de n Länder n mi t prekäre n Zah lungsbilanzen un d schwache n Währunge n al s möglic h erscheine n ließ , de n Schrit t
von de r administrierte n Transferierbarkei t fü r begrenzt e Zweck e zu r allgemeine n
Konvertibilität z u wagen . Da s größt e un d wichtigst e unte r diese n Länder n wa r
Frankreich. Ohn e dere n Wagni s hätte n sic h wohl auc h di e Lände r mi t Zahlungsbi lanzüberschüssen, starke n Währunge n un d de m Dran g zu r Konvertierbarkei t de n
Übergang dazu um diese Zeit noch nicht zugetraut. Das größte und wichtigste unte r
diesen Länder n wa r Deutschland . Wobe i i m übrige n höchs t zweifelhaf t ist , da ß e s
ohne di e Verfahre n un d Mechanisme n de r EZ U bemerkenswert e Zahlungsbilanz überschüsse, stark e Währunge n un d de n Dran g zu r Konvertibilitä t i n Europ a aus gangs der fünfziger Jahr e überhaupt gegebe n hätte. Ich glaube, daß es sie nicht gege ben hätt e und halt e auc h deshal b di e EZU fü r di e historisch notwendig e Vorausset zung der Konvertierbarkeit .
Diese Meinun g wir d siche r nich t vo n jederma n geteilt ; andererseit s ha t ih r abe r
bislang niemand wahrhaft überzeugen d z u widerstreiten vermocht. Der jüngste Versuch, dies zu tun , wurde vo n Barr y Eichengree n unternommen 1 un d fie l i m Verfah ren sonderba r gewunde n un d i m Ergebni s einigermaße n widersprüchlic h aus . Ei chengreen behauptet zunächs t au f der Grundlage eine s modelltheoretischen Raisonnements, daß di e EZ U un d allgemein e Konvertibilitä t scho n u m 195 0 praktisch e
währungswirtschaftliche Alternative n i n Europ a gewese n seie n un d leg t anschlie ßend i n historisch-politischer Argumentatio n dar , daß allgemeine Konvertibilität al s
bis tief i n die fünfziger Jahr e hinein wirtschaftspolitisch inopportun , weil abträglic h
1 Barr y EICHENGREEN , Reconstructin g Europe's trade and payments. The EPU, Manchester 1993.
102
Volker Hentschel
für Wachstu m und Wohlstand angesehe n werden müsse. Die Argumente, die seine
Feststellung begründen, sind richtig und widerrufen deshalb die ihnen vorangehende
Behauptung. Denn was damals mit guten Gründen als wirtschaftspolitisch inoppor tun zu gelten hatte, kann heute nicht als praktische Möglichkeit herhalten.
Die unwiderlegte Bedeutsamkeit der EZU als notwendige und vorteilhafte Bedin gung de r Rückkeh r zu r Währungskonvertibilitä t i n Westeurop a (dere n ökono misch-politischen Vorzüg e vo r de r Devisenbewirtschaftun g al s selbstverständlic h
gelten) steht nun in auffälligem Mißverhältni s zu r geringe n wissenschaftlichen Be achtung, di e de r Einrichtun g bishe r geschenk t wurde . Al s bezeichnen d dafü r er scheint, daß die einzige umfassende Studie über die EZU nicht von Ökonomen oder
Wirtschaftshistorikern, sonder n von zwei - wen n es bei allem Respekt vor dem gelungenen, wiewohl etwa s englandlastigen Buc h erlaubt is t - »EZU-Veteranen « ge schrieben wurde2.
Das wissenschaftliche Schattendasei n de r EZU ist ein Grund dafür , si e zum Gegenstand diese s Aufsatzes z u machen . Ein zweite r Grun d ist , daß die EZU i n den
fünfziger Jahre n eine wichtige, vielleicht die wichtigste Arena des wirtschaftspoliti schen Miteinanderhandelns und Miteinanderstreitens der beiden Länder war, u m deren ökonomisch-politische Beziehungen zueinander es in diesem Buch geht und daß
jene beiden Länder dabei auf im Zeitverlauf wechselhafte, sachlich zumeist différente und politisch häufig kontroverse Weise Schlüsselrollen in der EZU spielten.
In mancher Hinsicht waren Frankreich und Deutschland die Exponenten zweier,
freilich ni e abschließend un d imme r nu r unklar bestimmter , währungswirtschaftli cher Lager mit unterschiedlichen Positione n un d Interessen , Argumentationslinie n
und Verhaltensweisen in der EZU. Wobei Frankreichs und Deutschlands Positionen
und Interessen, Argumentationslinien und Verhaltensweisen in der EZU als Bündelung und Widerschein ihnen je allgemeiner, sachlich tiefer- und zeitlich weiterreichender wirtschaftlicher Lage n und Entwicklungen sowie wirtschaftspolitischer Grund sätze und Handlungsmuster gesehen werden können. Die streitbare Behandlung der
außenwirtschaftlichen Problem e un d Zumutunge n Frankreich s un d Deutschland s
läßt di e EZ U deshal b auc h al s europäisch e Schul e de r nationale n Interessen - un d
Konfliktartikulation, de s geregelten, auf Bemühen um gegenseitiges Verständnis gegründeten, Konfliktaustrag s un d de s beiderseit s erträgliche n Interessenausgleich s
erscheinen3.
Daraus ergib t sic h ein dritter Grun d de r kleinen Studie , der freilich mancherle i
Zweifeln begegne n dürfte. Ic h teile die Zweifel un d führe de n Grund trotzde m ins
Feld. Europ a befinde t sic h erneu t i n eine m währungswirtschaftliche n Entschei 2 Jaco b J. KAPLAN, Günther SCHLEIMINGER , The European Payments Union. Financial Diplomacy in
the 1950s, Oxford 1989.
3 De r deutsche Vorsitzende des EZU-Direktoriums hat das schon 1953 folgendermaßen gekennzeich net: Die EZU wirke durch »ein beeindruckendes Maß von Zusammenarbeit, von gegenseitiger Erziehung und von Beschränkung des nationale n Eigeninteresses zugunsten eines europäischen Gesamtinteresses. Diese Imponderabilien ... bewerte ich ... höher als irgendeinen spektakulären Erfolg unserer
Arbeit, wie etwa den erreichte n Liberalisierungsdurchschnitt , di e Zunahme de s innereuropäische n
Güteraustauschs oder die von der EZU innerhalb eines Jahres bewältigten Umsätze.« Hans Karl von
MANGOLDT, Di e EZ U un d ihr e Aufgabe n be i de r Neuordnun g de s internationale n Zahlungsver kehrs, Kieler Vorträge N.F. 3 , Kiel 1953, S . 7f .
Zwischen Zahlungsunfähigkeit un d Konvertibilitä t
103
dungs- und Formierungsproze ß vo n schwerwiegender Bedeutung . Der Prozeß voll zieht sich unter gelegentliche n Turbulenzen un d erfüllt viel e mit Sorgen. Er ist ebenso umstritten, wie es die EZU und der Übergang zur Konvertibilität eins t waren un d
Frankreich un d Deutschlan d sin d abermal s di e nationalen Protagoniste n i n Diskur s
und Disput . Unter solche n Umständen lieg t die Frage nahe, ob wir aus dem vergan genen für de n gegenwärtigen Vorgan g etwas lernen können. Ic h glaube bei aller ein geborenen Skepsis , da ß wi r da s können . Di e Geschicht e biete t zwa r kein e Hand lungsanleitungen, aber sie ist ein Erfahrungsschatz, de r einerseits zur Vorsicht anhal ten, andererseit s abe r auc h Bedenke n zerstreue n un d Mu t mache n kann . Di e
Erfahrungen mi t de r EZ U un d de m problematische n Übergan g zu r Konvertibilitä t
scheinen mir geeignet zu sein, den Deutschen heute Mut zur Währungsunion z u ma chen un d di e Franzose n vo r euphorische n Erwartunge n i n di e Währungsunio n z u
bewahren. Die EZU lehrt , daß gutgeordnet e supranational e Einrichtunge n Strategi en der Krisenbewältigung entwickeln , die ihren Nutzen wirkungsvoll gege n Gefähr dungen ihre r Zwecke , di e vo n ihne n selbs t ausgehen , z u schütze n vermögen . Un d
der Übergang zu r Konvertibilitä t lehr t einerseits , daß an der Größ e un d Vielfal t de r
Sorgen, di e einig e a n derle i eingreifend e Entscheidunge n knüpfen , ebensovie l Dra matisierung der tatsächlichen Gefahre n ist , wie sich von dem Heil , das andere davo n
erwarten, als Schimäre erweisen wird .
Das alle s ließ e sic h - hochgespann t wi e e s stellenweis e klinge n ma g - empirisc h
breit unterlege n un d eingehen d begründen . Daz u wär e freilic h meh r Rau m vonnö ten, al s hie r zu r Verfügun g steh t un d diese s Buc h wär e auc h nich t de r angebracht e
Ort dafür . Deshal b beschränk e ic h mic h au f de n Versuch, die thesenhaft zugespitz ten Feststellunge n i m Folgende n exemplarisc h z u verdeutliche n un d dabe i nac h
Kräften plausibe l zu machen. Zu diesem Zweck beginne ich mit einer knappen Skiz ze von Ursprung, Absicht und Funktionsweise de r EZU .
Zweck und Funktionsweisen der EZU
Die EZU existiert e vom 1 . Juli 195 0 bis zum 29. Dezember 1958 . Sie wurde i m Rah men der OEEC in s Leben gerufen, um den westeuropäischen Länder n einige Vorteile allgemeiner Währungskonvertibilität z u verschaffen, ohn e sie den Gefahren allge meiner Währungskonvertibilität auszusetzen . Und si e wurde zugunste n allgemeine r
Konvertibilität aufgelöst , al s jene Gefahren nich t mehr bedrohlich zu sein schienen.
Die Gefahre n bestande n i n de r Aussich t au f defizitär e Zahlungsbilanze n be i er schöpften Devisenreserven , auf internationale Zahlungsunfähigkeit und/ode r au f die
Notwendigkeit, di e Währun g au f Koste n eine r dramatische n Verschlechterun g de r
Terms o f Trad e un d eine r unerträgliche n Verteuerun g de r Nahrungsmittel - un d
Rohstoffimporte abzuwerten . Di e Aussich t erga b sic h für gan z Westeurop a au s ei nem große n Bedar f a n Einfuhre n au s de m Dollarrau m un d au s de r höchs t einge schränkten Fähigkei t europäische r Güter , mit amerikanischen Güter n au f de n inter nationalen Märkte n z u konkurrieren ; un d si e erga b sic h fü r di e einzelne n euro päischen Lände r weite r au s de r Unsicherhei t übe r di e Konkurrenzverhältniss e
innerhalb Europas . Dami t di e Aussich t nich t zu r Wirklichkei t wurde , befleißigte n
sich all e westeuropäischen Lände r mi t Ausnahm e de r Schwei z amtliche r Handels lenkung durc h strikt e Devisenbewirtschaftung . E s ist bekannt , da ß dergleiche n de n
104
Volker Hentschel
internationalen Hande l nicht nur stark einschränkt, sondern in seinen engen Grenzen auch noch verzerrt. Die Wachstumskräfte werde n dadurch geschwächt , Wohlstandsverluste sind die Folge. Unter den damaligen Umständen erhöhte dies den Zuschußbedarf Europas aus den USA.
Die EZU war nun das Ergebnis mehrjähriger Bemühungen , jene Wohlstandsverluste und den Zuschußbedarf durc h - wen n man so will - Europäisierun g und da durch ermöglichte Lockerung der Devisenbewirtschaftung z u minimieren. Das geschah auf folgende Weise4. Die europäischen Länder schlössen sich samt ihren Überseegebieten zu einem Handelskreis zusammen. Im Wirtschaftsverkehr mi t Ländern
außerhalb diese s Kreises , namentlic h i m Verkeh r mi t de n USA , wurd e weiterhi n
strenge Devisenbewirtschaftung praktiziert . Dadurc h verhinderte ma n die Manifestation de s latente n Dollardefizit s i n Europa . Innerhal b de s Kreise s gal t hingege n
fortan ei n vertraglic h vereinbarte r Liberalisierungskode x au f de r Grundlag e eine s
multilateralen Verrechnungs - und Kreditmechanismus . Der Kode x bestimmte, daß
sofort 60 % und wenig später 75 % des innereuropäischen Handel s der Devisenbewirtschaftung entnomme n würden und er untersagte die amtliche Diskriminierun g
der Exporte einzelner Länder. Die Beachtung des Kodex sollte durch einen Verrechnungs- und Kreditautomatismu s ermöglich t werden , der folgendermaßen funktio nierte: Die Regulierung des innereuropäischen Handels geschah nicht durch Zahlungen in europäischen Währungen. Über den Kalendermonat hinweg wurden die bilateralen Forderungen und Verbindlichkeiten lediglich auf Länderkonten bei der Bank
für Internationale n Zahlungsausgleic h verbucht . A m End e de s Monat s stellt e di e
BIZ die Überschüsse und die Defizite jede s Landes mit allen anderen Ländern fes t
und rechnete sie gegeneinander auf. Dabei kamen Gesamtüberschüsse oder Gesamtdefizite (sog . Nettopositionen) de r Mitgliedsländer heraus . Überschüsse begründe ten Forderunge n an , Defizite begründete n Verbindlichkeite n gege n di e Organisa tion. Die Verbindlichkeiten wurden zum Teil kreditiert, zum andern Teil mußten sie
durch Gold- oder Dollarzahlungen an die EZU beglichen werden. Die Forderungen
wurden zu m Teil in Gold ode r Dolla r ausgezahlt , de n anderen Teil hatten di e Berechtigten der EZU zu kreditieren. Die Kreditanteile waren anfangs groß und wurden mi t Zunahm e de r Nettopositio n kleiner . Die Summ e der monatliche n Netto positionen (sog . kumulativ e Nettoposition ) wa r begrenz t (Quote) . Dami t ware n
auch die Kreditfähigkeiten un d die Kreditverpflichtungen limitiert . Wenn die Quotengrenzen erreich t wurden , ware n de n Schuldner n 60 % ihre r Defizit e kreditier t
worden und hatten die Gläubiger 60% ihrer Überschüsse als Kredit gewährt. Wurden die Quotengrenzen überschritten , mußte n weitere Defizite i n vollem Umfan g
mit Dollar beglichen werden. Wenn ein Land dazu nicht in der Lage war, konnte es
aus der EZU ausgeschlossen werden. Das galt auch, wenn Länder gegen den Liberalisierungskodex verstießen . Übe r di e Behandlun g vo n Überschüsse n jenseit s de r
Quotengrenzen und über die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Länder mit
4 OEEC , Council, A EPU and the Rules of Commercial Policy to be followed b y Member Countries
C(50)190 (Final) v. 7.7.1950, Historische s Archi v de r Deutsche n Bundesban k (HADB) , Nl Vocke
6028. Der Aufsatz ist im Wesentlichen auf der Grundlage von Material aus dem Bundesbank-Archiv
geschrieben. Ich danke einmal mehr dessen Leiter, Prof. Dr. Dieter Lindenlaub, und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihre ideenreiche, tatkräftige und dazu noch höchst liebenswürdige Unterstützung.
Zwischen Zahlungsunfähigkeit un d Konvertibilität
105
dauerhaft hohe n Überschüssen Mitgliede r der EZU bleibe n konnten , sollte von Fal l
zu Fal l entschiede n werden . Sowoh l vo n Länder n mi t strukturelle n Defiziten , wi e
von Ländern mit strukturellen Überschüssen wurden wirtschaftspolitische Maßnah men erwartet, die derlei Positionen zu vermindern geeignet waren. Die EZU verwal tete sic h durch ei n supranationales Direktorium , da s i n solchen Fälle n unverbindli che Empfehlunge n ausspreche n durfte ; di e Entscheidunge n tra f de r intergouverne mentelle Ministerrat der OEEC .
Die EZ U überwan d di e Devisenbewirtschaftun g i n Europ a nich t un d si e sorgt e
nicht fü r Konvertibilität . Zu m eine n ga b e s auch fernerhi n kau m private n Devisen handel und zu m andere n betrafe n di e Mechanismen de r Organisation nu r die Regu lierung des laufenden Verkehrs , nicht auch zwischenstaatliche Kapitaltransaktionen .
Aber die EZU überwand durc h administrierte Transf erierbarkeit der Währungen fü r
begrenzte Zwecke immerhi n di e starke Neigung z u innereuropäische r Handelsbila teralisierung und si e erweiterte mi t Hilf e ihre s Kreditautomatismus di e Möglichkei ten des multilateralen Austauschs von Gütern .
Die EZU als Schrittmacher auf dem Weg zum westdeutschen
»Wirtschaftswunder«
Der Nutzen , de n di e EZU au f dies e Weise und daz u al s Institut währungspolitische r
Kooperation i n Europa stiftete , war zweifello s ei n gesamteuropäischer Nutzen . Abe r
es zeigte sich bald, daß der gesamteuropäisch e Nutze n ungleic h au f di e Mitgliedslän der verteilt war und daß die Ungleichheit der Verteilung von unterschiedlich betroffe nen Ländern unterschiedlich veranschlagt und gedeutet wurde. Es gab Länder, die ihre
Importe durc h Verschuldun g übe r ihr e wirtschaftliche n Möglichkeite n hinau s aus dehnten und Länder, die ihre Exporte nicht vollständig bezahlt bekamen. Andererseit s
verdienten solch e Überschußlände r i m Gegenwer t vo n zwe i Dritte l ihre r Kredit e a n
die Union Dollar , die ihnen zu sons t unzugänglichen Importe n au s den USA ode r z u
erwünschten Währungsreserve n verhalfen . E s war abzusehen , da ß solch e Länder als bald auf die Beseitigung der EZU drängten, während den Defizitländern dara n gelegen
war, ihre Schwächen im Schutze der EZU zu überwinden. Kurz, die EZU war eine Einrichtung, di e außerordentliche Vorteile versprach, aber zugleich beträchtliche Konflikt potentiale bar g und vo n vornherein au f ei n -mutmaßlich umstrittene s - End e i n nich t
zu ferner Zukunft verwies . Die Vorteile wurden schnell offenbar, di e Konflikte brache n
kaum weniger schnell auf und begleiteten die EZU Zeit ihres Daseins. Die Hauptnutz nießer der Vorteile und die Protagonisten im Streit waren Frankreich und Deutschland .
Die Geschicht e began n damit , da ß di e EZ U de r stockende n Erholun g West deutschlands vo n de n verheerenden wirtschaftlich-soziale n Wirkunge n de s Zweite n
Weltkriegs dringen d erwünscht e Schubkraf t verlieh , dami t verbunden e Gefahre n
bannte un d de m Lan d dan k beide m de n Weg zum sog . Wirtschaftswunder bereite n
half. Da s hab e ic h a n andere r Stell e nich t ohn e Umständlichkeite n ausgebreitet 5.
Deshalb kann ich mich hier auf ein e knappe Zusammenfassung beschränken .
5 Volke r HENTSCHEL , Di e EZ U un d di e deutsche n Devisenkrise n 1950/51 , in : Vierteljahrshefte fü r
Zeitgeschichte (VfZ) 37 (1989) S. 715-758.
106
Volker Hentschel
Der historische Zufall wollte es, daß der Korea-Krieg, gerade als die EZU-Mecha nismen wirksa m wurden , ein e außerordentlic h stark e national e un d international e
Nachfrage nac h westdeutsche n Güter n auslöste . De r Nachfrageso g beschleunigt e
das letzthi n lahmend e Wachstu m un d vermindert e di e beunruhigen d hoh e Arbeits losigkeit. Die Voraussetzung dafür ware n freilich umfangreich e Rohstoff - un d Halb warenimporte, di e ei n bewuß t kalkulierte s Zahlungsbilanzdefizi t auflaufe n ließen ,
das den deutschen Kreditspielrau m i n der EZU binne n wenige r Monat e erschöpfte .
Die EZ U übt e praktische Solidaritä t un d räumt e Westdeutschlan d eine n nich t ebe n
knapp bemessenen , allerding s zeitlic h begrenzte n Sonderkredi t ein . Di e Bundesre publik nützt e auc h di e derart erweiterte n Importmöglichkeite n ungehemm t un d ta t
dies in der ausdrücklichen Erwartun g ihre s Wirtschaftministers, de n Kredit zu gegebener Zeit nicht tilgen und abermals auf die Hilfe der EZU rechne n zu können. End e
Februar 1951 , kaum acht Monate nach der Gründung der EZU, stand sie bereits zu m
zweiten Mal vor der Grenze ihrer Quote und als Bittsteller vor dem EZU-Direktori um. Sie hatte derweil run d ei n Viertel ihrer Import e au s dem EZU-Rau m au f Kredi t
bezogen un d infolgedesse n weitau s di e meiste n Schulde n be i de r EZ U angehäuft .
Das Defizit , da s di e Schulde n begründete , wa r fas t ausschließlic h au s de m Hande l
mit Großbritannie n (ca . 55%) und Frankreic h (ca . 25%) hervorgegangen . Großbri tannien un d Frankreic h ware n den n auc h hauptsächlic h deswege n z u de n größte n
Gläubigern der EZU geworden . Beider Länder Überschüsse ergabe n sich zur Hälft e
aus dem Handel mi t der Bundesrepublik .
Mit ihre m Kreditspielrau m schie n di e Bundesrepublik i m Februa r 195 1 auch di e
Nachsicht un d di e Geduld ihre r Partne r erschöpf t z u haben . Eine weitere Verlängerung ihre r Kreditlini e wurd e umstandslo s abgelehn t un d di e Bundesrepubli k mi t
dem vertragsgemäße n Ausschlu ß au s de r EZ U bedroht , fall s si e Defizite außerhal b
der Quote nicht vollständig mit Dollar decken könnte. Der Ausschluß zöge den An spruch der EZU au f sofortige Tilgun g der deutschen Schulden nach sich.
Unter de n Bedingunge n de s Liberalisierungskode x konnt e di e Bundesrepubli k
Defizite, di e über ihre Dollarzahlungs-Möglichkeiten hinausgingen , schwerlich ver meiden. Sie verstieß deshal b gege n den Kodex , indem si e zu umfassender staatliche r
Handelslenkung zu m Zweck e de r Handelsbeschränkun g durc h strikt e Devisenbe wirtschaftung zurückkehrte . Auc h da s durft e freilic h zu m Anla ß genomme n wer den, si e au s de r EZ U z u verbannen . De r Ban n hätt e desaströs e Folge n gehabt . Er stens unterläg e de r gesamt e Europa-Hande l de r Bundesrepubli k danac h wiede r de r
bilateralen Verrechnung , dere n ohnehi n beträchtlich e Nachteil e noc h dadurc h ge mehrt würden , da ß di e Mitgliede r de r EZ U deutsch e Güte r forta n diskriminierten .
Zweitens geriet e di e Bundesrepubli k wege n ihre r Unfähigkeit , di e aufgelaufene n
Schulden be i der EZU fristgerech t z u tilgen, in die Rolle eines Defraudanten, desse n
moralischer und materieller Kredit auf längere Sicht zerstört wäre. Beides zusamme n
hätten di e ungefestigt e sozial e Marktwirtschaf t un d dere n dazuma l höchs t unpo pulärer, politisc h ohnehi n schwache r Prophet , Bundeswirtschaftsministe r Ludwi g
Erhard, nicht überstanden .
Der wohlmeinende Beschlu ß des EZU-Direktoriums, die einseitige Sistierung der
Handelsliberalisierung durc h Deutschlan d au f absehbar e Zei t z u billigen , bewahrt e
das Land, dessen Wirtschaftsordnung un d deren Symbolfigur vo r solchem Schicksal.
Nachdem di e Zahlungsunio n de r Bundesrepubli k eine n Wachstumsschu b ermög -
Zwischen Zahlungsunfähigkeit un d Konvertibilitä t
107
licht hatte , de r sie den politisch-sozialen Anfechtunge n große r Arbeitslosigkei t i n
Form heftige r Verteilungskämpf e un d sozialer Unruhe n entzog , schlu g sie ihr jetzt
eine Brücke über Abgründe, die willentliche Überdehnung jener Möglichkeiten auf gerissen hatte. Es war eine Brücke zum Wirtschaftswunder .
Frankreich wa r an beidem maßgeblic h beteiligt . Zunächs t kreditiert e Frankreic h
der Bundesrepubli k Import e i m Wer t vo n fas t eine m Prozen t de s gleichzeitige n
deutschen Sozialprodukts . Den Wunsch de r Bundesregierung, diese n Kredi t bilate ral zu konsolidieren und dadurch neuen multilateralen Kreditspielrau m für Deutsch land zu schaffen, wie s die französische Regierun g zwar mit Zeichen des Unverständ nisses fü r derle i Begehre n zurück . Abe r si e fand sic h trot z unverhohlene r Erbitte rung übe r da s deutsche Verhalte n nich t nu r dazu bereit , Deutschland s Verblei b i n
der EZ U zuzustimmen, sonder n überdie s auc h dazu , Deutschlan d be i der Aktivierung seiner Zahlungsbilanz und bei der Tilgung des Sonderkredits durch Importaus weitung und Ausfuhrrestriktionen z u helfen 6.
Die Tatsächlich - un d Ergiebigkei t diese r Hilf e is t natürlic h unerfindlich 7. Di e
Bundesrepublik glic h ihre monatliche Nettoposition im EZU-Raum scho n im ersten
Monat nach der Deliberalisierung au s und erwirtschaftete i n den folgenden Monate n
bemerkenswerte Überschüsse . Bis Ende 195 1 hatte sie sowohl den Sonderkredit wie
auch den Quotenkredit zurückgezahlt . Anfan g 195 2 kehrt e sie zur Handelsliberali sierung nach den Regeln der EZU zurück. Frankreichs rechnerischer Beitrag zu alledem bestand in bilateralen Handelsdefiziten sei t März und in der Verminderung sei ner Überschußposition bi s Ende 195 1 um mehr als die Hälfte. Fraglic h ist freilich, in
welchem Ma ß das ein politisch bewirkter , i n welchem ei n vom Markt vermittelte r
Beitrag war.
Die Bundesrepublik ergänzt e nämlich die Deliberalisierung des Handels als Mittel
der Aktivierun g ihre r Zahlungsbilan z durc h ein e stram m restriktiv e Geldpolitik .
Damit bracht e si e den von der Korea-Nachfrage ausgelöste n un d inzwischen eilen den Lau f de r Preise zu m Stillstand. I n den meisten andere n europäische n Länder n
und namentlic h in Frankreich gelan g das um diese Zeit noch nicht. Dadurch ergabe n
sich Preisdifferenzen , di e bei prinzipiell feste n Wechselkurse n eine r reale n Abwer tung de r DM gleichkame n un d Westdeutschlands Konkurrenzfähigkei t i n Europ a
erheblich verbesserten . Da s war der über den Markt wirksam e Grun d fü r den Umschwung der französisch-deutschen Handelsbilanz 8 und darüberhinaus für den Aufbau eine r starken deutschen Überschußpositio n i n der EZU. End e 195 2 befand sic h
Westdeutschlands kumulativ e Nettopositio n abermal s jenseit s de r Quotengrenze ,
diesmal freilich al s Nettogläubigerposition. De r Zustand war das Ergebnis einer Exportoffensive, dere n Bedeutun g als Impuls- und Triebkraft de s westdeutschen Wirt schaftswunders au f der Nachfrageseite kau m überschätz t werde n kann 9. Ohn e di e
Verfahren un d Mechanismen de r EZU wäre die Offensive alsbal d a n enge Grenze n
6 Mangold t an Erhard am 23.2.1951, HADB, N l Vocke 2033 und 1. Jahresbericht der EZU A(51)56 v.
9.8.1951, S.32f.
7 De r Präsident de s Direktoriums de r Bank deutsche r Länder , Wilhel m Vocke , ha t sie hoc h veran schlagt. Vgl. KAPLAN , SCHLEIMINGE R (wi e Anm . 2 ) S . 117 .
8 Vo n Mitte 195 0 bis Ende 195 1 wertete die DM im Verhältnis zum Franc real um mindestens 10 % ab.
9 Vgl . in diesem Sinn Herbert GIERSC H U . a., The Fading Miracle. Four décades of market eeonomy in
Germany, Cambridge 1992 .
108
Volker Hentschel
gestoßen. Dank jenen Verfahren un d Mechanisme n beschert e sie Deutschland auße r
exportgeleitetem Wachstu m eine n kräftige n un d seh r erwünschte n Dollarzustrom .
Dessen Kehrseit e war natürlich di e Pflicht de r Bundesrepublik, de r EZU beträchtli che Kredite zu gewähren .
Das französische Proble m
Nun sin d di e Deutsche n i n alle r Wel t fü r ihre n Charm e un d ihr e Dankbarkei t be kannt. De r Bunde s wirtschaftsminister jene r Zeit , de r formidable Ludwig Erhard ,
besaß von beide m - i n dere n spezifisc h deutsche n Variante n - fas t i m Übermaß . S o
kam es , daß er , je mehr di e deutsche n Überschüss e un d mi t ihne n sowoh l di e will kommenen Dollarreserve n wie die lästigen Kreditverpflichtungen zunahmen , um s o
lauter und penetranter daz u aufrief, di e EZU schnellstmöglic h z u beseitigen und zu r
allgemeinen Konvertierbarkei t überzugehen 10 . Und die s zu einer Zeit, als Frankreich
in zunehmend e Zahlungsbilanzschwierigkeite n gerie t un d Rückhal t a n de r EZ U
suchte. Ander s al s e s scheinen könnte , wa r de r Aufru f i n al l seine r Penetran z den noch nich t de r Böswilligkeit , sonder n dogmatische n Befangenheite n geschuldet , di e
nicht meh r vo n praktische n Bedürfnisse n i n oratorisch-argumentative m Zau m ge halten wurden. Erhard glaubt e reine n Herzens daran , daß Konvertierbarkeit, sobal d
Deutschland si e sich leisten konnte, der Welt zum allgemeinen Segen ausschlüge un d
daß die EZU di e Welt daran hinderte, des Segens teilhaftig z u werden. Deshalb sollt e
die EZU verschwinden, je schneller um s o besser. Die Verdienste, die ihr an Deutsch lands wunderbare m wirtschaftliche n Wiederaufstie g zukamen , beeindruckte n ih n
nicht, wei l e r si e nicht anerkannte . Au f di e von de r Ban k deutsche r Lände r bejaht e
Frage, ob es infolge des EZU-Mechanismus womöglic h nur so scheine, als könne di e
Bundesrepublik sic h Konvertibilität leisten 11, wogegen die Beseitigung jenes Mecha nismus rasc h erwiese , daß si e dies noch nich t könnte , ließ er sich nicht ein . Und di e
französischen Schwierigkeite n wendete er leichthin und nich t ohne Selbstgefälligkei t
in ein Argument, das eher gegen als für de n Fortbestand de r EZU sprach .
Frankreichs Handelsbilan z hatt e sic h sei t Frühjah r 195 1 sowohl i m Verhältnis z u
Deutschland wie insgesamt rasch und nachhaltig verschlechtert. Schon zum Ende des
Jahres war aus einem kumulativen Nettoüberschuß von 270 Mio Dollar ein kumulatives Nettodefizit vo n 200 Mio Dollar geworden. Der Handel mit Deutschland war mit
rund eine m Fünfte l a n de m außerordentlic h rapide n Umschwun g beteiligt . Anfan g
1952 versuchte die französische Regierun g des Übels auf ähnliche Weise Herr zu werden, wie Deutschland seine r außenwirtschaftliche n Kris e ei n Jahr zuvor . Fas t gena u
10 »De r Schritt kann morgen getan werden, wenn wir nur alle falsch verstandenen nationalen Bedenken zurückstellen... Ich habe mir dieses Problem jetzt auf die Hörner genommen, und es wird nicht
mehr vom Tisch der internationalen Verhandlunge n kommen , bis es gelöst ist.« Tagesnachrichte n
des Bundeswirtschaftsministeriums Nr . 1295 v. 15.5.1952. Beiläufig: Das Bild von Erhards Hörnern
als Tisch der europäischen Verhandlungen entbehrt nicht eines gewagten Reizes.
11 Vermer k der Bank deutscher Länder (BdL) v. 2.2.1952. Ludwig-Erhard-Stiftung (LES), NI Erhard
I 4)71., Vocke an Erhard am 4.8.1952, HADB, Nl Vocke 2943. Der damalige Leiter der Grundsatzabteilung im Bundeswirtschaftsministerium, Alfre d Müller-Armack , argumentierte intern auch wesentlich behutsamer als sein Minister. Ausarbeitung: Konvertibilität der Währungen vom 10.3.1953,
HADB, Nl Vocke 412. Vockes Warnung davor, selbst darüber öffentlich z u diskutieren, in Vocke an
Erhard am 19.3.1953, ebd.
Zwischen Zahlungsunfähigkeit un d Konvertibilitä t
109
zu de m Zeitpunkt, a n dem sich die Bundesrepublik de m Liberalisierungskode x de r
EZU wieder unterwarf, wendete Frankreich sich von ihm ab und kehrte zu umfassender Devisenbewirtschaftung zurück . Die Gremien der EZU und der OEEC konnten,
nachdem si e de r zeitweise n Deliberalisierun g de s deutsche n Europahandel s zuge stimmt hatten, wenig mehr tun, als das - mißbilligen d zwar , aber sanktionslos - zu r
Kenntnis zu nehmen.
Wenn sie freilich erwartet haben sollten, daß die Rückkehr zur Devisenbewirtschaf tung i n Frankreic h ebens o schnel l heilsam e Wirkunge n zeitigte n wi e vormals i n
Deutschland, dann wurden derlei Erwartungen gründlich enttäuscht. Die Maßnahme
war zwar die gleiche, aber Frankreichs Problem lag grundsätzlich anders 12. Deutschland hatte seine Importmöglichkeiten bei alles in allem guter internationaler Konkur renzfähigkeit willentlic h überstrapaziert. Dem war mit Devisenbewirtschaftung u m
so eher beizukommen gewesen, als zunehmende Exporterfolge dere n Wirkungen auf
die Handelsbilanz ergänzten . Frankreich hingege n lit t a n chronischen Konkurrenz schwächen au f de n internationale n Märkten . Di e abträgliche n Wirkungen , di e jene
Schwächen auf die Zahlungsbilanz ausübten, waren von den weltweiten wirtschaftli chen Turbulenzen im Gefolge des Korea-Krieges vorübergehend auße r Kraft gesetzt ,
dann abe r um s o nachdrücklicher aktualisier t worden . Ei n gleichsa m psychotische r
Drang nach Importen ohn e Rücksicht auf die Preise hatte Frankreichs Europa-Zah lungsbilanz aktiviert , de r Inflationsdruck , de n de r Nachfragesto ß dabe i hervorrief ,
passivierte sie, sobald die Kriegspsychose und der Drang nachließen. Denn die Preise
stiegen in Frankreich stärke r und länge r als in allen anderen europäische n Ländern .
Derart begründete n Handelsbilanzdefizite n wa r mi t Devisenbewirtschaftun g au f
raisonable Weise nicht beizukommen. So geschah es, daß Frankreichs Einfuhren au s
dem EZU-Raum im Zeichen der Devisenbewirtschaftung zwa r ähnlich stark zurückgingen, wie vormals Deutschlands Importe, daß die Exporte in krassem Gegensatz zu
den deutschen Exporten aber ebenfalls schrumpften. Deshalb blieben die monatlichen
Zahlungsbilanzen defizitär und Frankreichs kumulative Nettoposition verschlechterte
sich bis Jahresende auf ca. 550 und bis Mitte 1953 weiter auf 760 Mio Dollar. Schon im
Oktober 195 2 war Frankreichs Schuldnerquote in der EZU erschöpft. Seitde m stand
Frankreich mit 312 Mio Dollar bei der Organisation in der Kreide und mußte weitere
Defizite in vollem Umfang mit Dollar decken. Anders als einst Deutschland war es dazu mit Hilfe eine s nichtkommerziellen Dollarzustroms , der sich aus amerikanischer
Militärhilfe an und amerikanischen off-shore Käufen in Frankreich speiste, in der Lage
und deshalb nicht vom Ausschluß aus der EZU infolge Zahlungsunfähigkeit bedroht .
Gleichsam anstelle dieser Drohung ging nun der deutsche Wirtschaftsminister mi t
seinem unermüdlichen Ruf nach Beseitigung der EZU und Übergang zu allgemeiner
Konvertibilität Frankreich (und übrigens auch dem EZU-Direktorium) au f die amtlichen Nerven 13. Denn die Auflösung de r EZU hätte für Frankreic h ähnliche außen12 Vgl . zu m Folgende n de n 4. und de n 5 . Jahresbericht de r OEEC, 1953 , S. 256ff., 1954 , S. 92ff. un d
den 4. Jahresbericht der EZU, 1953/54 , S. 31ff .
13 Le Monde v. 26.11.1953. Mangoldt an Erhardt am 24.7.1952, LES NI Erhard 14)52; ders. an Vocke am
24.7.1952, HADB, N l Vock e 2033 . Vertretung de r Bundesrepublik Deutschlan d be i de r OEE C a n
den Bundesminister für den Marshallplan am 3.3.1953, HADB, Nl Vocke 2015. Erhard hingegen sah
es so: »Auf der anderen Seite aber ist es erfreulich, feststellen zu können, daß ... di e Angst vor meiner
Aktivität auf diesem Felde zunimmt.« Erhar d an Roepke am 7.10.1953, LES NI Erhard 14)59.
110
Volker Hentschel
wirtschaftliche Wirkunge n gehabt , wi e sei n Ausschlu ß au s de r EZ U un d jen e Wir kungen muteten gesamtwirtschaftlic h ähnlic h desaströs an, wie die Wirkungen eine s
Ausschlusses de r Bundesrepubli k zwe i Jahr e zuvo r angemute t hatten . Frankreic h
bedurfte de r EZU wie einst Deutschland ihre r bedurf t hatte , um sic h im Schutze ih rer Verfahre n au s seine n außenwirtschaftliche n Nöte n herauszuhelfen . Erhar d sa h
die Ding e freilic h ander s un d deshal b keine n Grund , mi t Rücksich t au f Frankreic h
(und andere Länder) von seinen Forderungen abzulassen . Er erkannte eine Ähnlichkeit der Problemlagen un d Bedürfniss e wege n unterschiedlicher Gründ e dafü r nich t
an. Ein wenig zugespitzt gesagt , deutete er das deutsche Problem al s vordergründig ephemer, dazu al s gutenteils von de r EZ U künstlic h hervorgerufen , wogege n e r da s
französische Proble m al s grundsätzlich-dauerhaft un d di e EZU i m Zusammenhan g
damit als gemeingefährliches Hinderni s seine r Lösung ansah .
Das war nicht schlechthin falsch, aber es war gar zu kurzfaßlich un d selbstgerecht .
Dabei kan n di e Deutun g de s deutsche n Falle s au f sic h beruhen . I m französische n
Fall war nich t schlechthi n falsch , da ß di e außenwirtschaftlichen Nöt e tieferliegend systematische, wesentlic h Staats - un d ordnungspolitisch e Gründ e hatten . Dere n
nächstliegende Konsequen z wa r ei n dauerhaf t starke s inflatorische s Potential , da s
zeitweise von gegenwirkende n Kräfte n i m Zaum gehalte n wurd e un d sic h zuweile n
mit großem Nachdruck Bah n brach. Derlei Potential war für Erhard , in dessen öko nomisch-sozialer Werteordnun g Stabilitä t de n erste n Ran g einnahm , ein unverzeih liches Greuel, dessen Gründ e z u allem Übel auch noch in perennierenden Verstöße n
gegen di e seine r Meinun g nac h einzi g vernünftige Ordnun g vo n Volkswirtschafte n
bestanden.
Der unmittelbare n Gründ e ware n vo r alle m drei , die miteinander zusammenhin gen un d ihrerseit s vo n de r allgemeine n politisch-soziale n Labilitä t un d Ruhelosig keit de r Vierte n Republi k inspirier t ware n ode r zumindes t begünstig t wurden . Ei n
Grund ware n fortgesetzt e Haushaltsdefizit e be i star k zunehmende n öffentliche n
Ausgaben; ei n weitere r Lohnerhöhungen , di e beträchtlic h übe r da s Produktivitäts wachstum hinausgingen und der dritte Geldmengenvermehrung infolg e eine r Politik
billigen und leichte n Gelde s der regierungsabhängigen Banque de France, durch di e
beides - Staatsverschuldun g un d Lohnsteigerunge n - finanzier t werde n konnte . Da s
jährliche Defizit de s Staatshaushaltes und de r Parafisci entsprac h run d 5 % de s Brut tosozialprodukts, di e nominalen Lohnsteigerunge n lage n 195 1 und 195 2 bei jeweils
20-25%. Da s Haushaltsdefizi t gin g vo r alle m au f da s Kont o vo n Militärausgaben ,
die dazu dienten , Frankreichs schwe r erschüttert e Stellun g al s Kolonialmacht i n In dochina un d Nordafrik a z u erhalte n un d z u festigen , daz u au f da s Kont o Wachstums- un d beschäftigungspolitisc h motivierte r Investitione n i n vernachlässigt e In frastrukturen sowi e staatlich e und privat e Produktionsunternehmen . Dabe i tra t di e
Bereitstellung öffentliche r Mitte l fü r Investitione n i n Unternehmen fü r dere n Man gel a n Selbstfinanzierungskraf t un d Kapitalmarktkredite n ein . Di e Ertragslag e de r
Unternehmen wa r schlecht , weil die Lohnerhöhungen oberhal b de s Produktivitäts wachstums nu r z u run d zwe i Dritte l au f di e Preis e abgewälz t werde n konnten , di e
im internationale n Zusammenhan g gesehe n gleichwoh l z u schnel l stiegen . Private r
Kredit aber war knapp, weil das Gesetz den Banken nur kurzfristige Anlage n erlaubte und weil anderen Kapitalgebern die Anlage in Unternehmensanteilen un d -Obliga tionen bei hoher Unsicherheit al s zu wenig rentierlich erschien. Wobei an dieser Stel-
Zwischen Zahlungsunfähigkeit un d Konvertibilitä t
111
le Ursachen un d Folge n wege n wahrscheinliche r Rückkoppelunge n nich t meh r
recht auseinande r z u halte n sind . Di e Anlage-Altvernativ e ware n nämlic h jen e öf fentlichen Anleihen , Schatzanweisunge n un d Schatzwechsel , durc h dere n Verkau f
der Staa t sein e Defizit e deckte ; hoch verzins t all e miteinander, de r Zinsertra g noc h
dazu vo n Steuer n befreit , siche r un d i m Fall e de r Schatzanweisunge n un d Schatz wechsel überdies rediskontfähig. Gleichvie l aber, was als Ursache, was als Folge un d
wie es ineinander wirkte, im Ergebnis ergab alles zusammen latente oder akute Infla tion, die Frankreichs Exportfähigkei t niederdrückte , dadurch Außenhandelsdefizit e
produzierte und Frankreic h zu m Großschuldne r de r EZU machte .
Erhard hatt e nu n auc h nich t gan z unrecht mi t de r Feststellung , daß di e Möglich keit, sich bei der EZ U längerfristi g z u verschulden, Frankreic h dabe i half, schmerz haften Maßnahme n konsequente r Stabilisierun g und/ode r eine r Franc-Abwertun g
auszuweichen 14 . Abe r e s klang schrill , wenn e r daraus de n Schlu ß zog , daß Frank reich dank der EZU au f Koste n anderer lebe 15, und um s o schriller, als die geforder te und durc h Konvertibilitä t erzwingbar e Remedu r a n höchs t empfindlich e Saite n
des politisch-soziale n Sein s un d Bewußtsein s de r Grand e Natio n rührte . Den n
konsequente Stabilisierun g setzt e de n ordentliche n Ausgleic h de s Haushalt s vor aus und zög e ein e schwere Stabilisierungskris e nac h sich. Der Ausgleic h de s Haus halts wäre im Zeichen de r ohnehin hohe n Steuerlas t hauptsächlic h übe r Ausgaben kürzungen anzustreben . Davo n könnte n di e Militärausgabf n nich t ausgenomme n
werden. Dere n Verminderun g abe r käm e nac h Lag e de r Ding e de m unausgespro chenen Eingeständni s gleich , daß de r artikuliert e Wille , Indochina un d Nordafrik a
zu halten , Frankreich s Kräft e überspannte . Un d ein e Stabilisierungskris e ging e
sicherlich mi t de m Verlus t de r Vollbeschäftigung einhe r un d gefährdet e de n ohne hin prekäre n soziale n Frieden . Wirtschaftlich e Stabilisierun g würd e unte r diese n
Umständen i m günstigere n Fal l mi t gesellschaftliche r Destabilisierun g erkauft , i m
ungünstigeren Fal l kehrte sich die gesellschaftliche Destabilisierun g gege n die wirtschaftliche Gesundun g un d brächt e di e Sanierungsmaßnahme n auc h u m dere n en geren Zweck .
Obwohl di e handelspolitischen Vorteil e eine r Franc-Abwertun g nich t vo n derle i
politischen un d soziale n Unzuträglichkeite n überlager t wurden , gal t auc h di e Ab wertung al s untunlich. Da s hätt e ma n i n Frankreic h eigentlic h besse r wisse n sollen .
Denn zwanzi g Jahre früher wa r da s Land wege n de s Beharrens au f de r Überbewer tung seiner Währung immer tiefer i n eine Krise geraten, die man durch eben jene Beharrlichkeit überwinde n z u könne n glaubte . Nun gehör t freilic h di e Wiederholun g
der immer gleiche n Fehler zu r Treue zu sic h selbst, bei Staaten und ihre n Institutio nen nich t wenige r al s bei Individuen. S o hielt die französische Regierun g auc h dies mal ein e Franc-Abwertun g fü r unvereinba r mi t de m nationale n Stol z un d de r öko nomischen Vernunft un d lehnt e sie ab.
14 Dami t is t nicht gesagt , daß solche Maßnahmen völli g unterblieben. I n Verbindung mi t günstige n
Umständen brachten sie vielmehr die Preissteigerungen End e 1952 zum Stillstand, beseitigten aber
die einmal entstandenen Preisdifferenzen zulaste n Frankreichs nicht. Dazu wäre Deflation oder Abwertung nötig gewesen. Die Haushaltsdefizite und der Lohndruck wirkten im übrigen weiter.
15 Neu e Zürcher Zeitung v. 14.9.1953.
112
Volker Hentschel
Die Konvertibilitätsdebatt e
Das waren die Umstände und Besorgnisse, Befangenheiten un d Interessenlagen, die
Frankreichs Haltung in den Diskussionen über Fortbestand der EZU oder Übergang
zur Konvertibilitä t bestimmten , di e Erhard s währungspolitische s Wanderprediger tum allmählich ingang brachte und die schließlich sogar institutionalisiert wurde.
Die deutschen Umstände boten sich als vollendeter Kontrast der französischen dar.
Deshalb wa r ma n i n Deutschlan d vo n ähnliche n Besorgnisse n fre i un d vermocht e
dort nur wenig Verständnis für di e französische Malais e aufzubringen. Di e Bundesrepublik war politisch stabil und sozial pazifiziert; ihre öffentlichen Haushalt e wiesen
Überschüsse aus , die Lohnerhöhungen verhielte n sic h im Rahmen de r Produktivi tätssteigerungen, di e Geldpolitik wa r straff - un d di e Überzeugung fes t gegründet ,
daß dies alles segensreicher Ausdruc k rechte r Ordnun g und gute r Politik sei . Seine
konsekutiven Wirkungen waren Preisstabilität und hohe Unternehmenserträge, umfangreiche Investitionen, die technischen Fortschritt realisierten, eine Kumulation internationaler Konkurrenzvorteile , zunehmend e Handelsbilanzüberschüss e i n Europa und ein fortgesetztes Anschwelle n der deutschen EZU-Nettoposition. Jenes Anschwellen trug der Bundesrepublik erhebliche Mengen Dollar ein, verlangte ihr aber
auch di e Bereitschaf t z u erhebliche r Kreditgewährun g ab . Mitte 195 2 wurd e ihr e
Quote erweitert , die Quote i m ersten Halbjah r 195 3 aber dennoch von de r Nettoposition überschritten. Die sachliche Logik der EZU-Abrechnung gebo t eigentlich,
Überschüsse jenseit s de r Quotengrenz e vollständi g i n Dolla r auszuzahlen . Zu m
einen entsprach de r sachlichen Logi k abe r keine vertragliche Festlegung. Und zu m
anderen vertrug sie sich im Falle der deutschen Überschüsse auch nicht mit den praktischen Möglichkeiten , sonder n überforderte di e Leistungsfähigkeit de r EZU. Deshalb mußte sich die Bundesrepublik entwede r damit einverstanden erklären, daß die
Überschüsse oberhalb der Quotengrenze wie Überschüsse innerhalb der Quote behandelt und je zur Hälfte durc h Dollarzahlung und Kreditnahm e reguliert wurden,
oder sie mußte aus der EZU ausscheiden. Die Bundesregierung empfand da s als Dilemma. Denn den einseitigen Ausstieg aus der EZU traute sie sich trotz aller Konkurrenzkraft un d alle n Exporterfolgen un d entgege n gelegentlich-unbedach t stramme r
Redensarten des Wirtschaftsminister noc h nicht zu. Und die Gewähr sog. Rallongen
und damit weiteren Kredits an die EZU bereitete ihr sowohl ordnungspolitisches wie
materielles Mißbehagen . De r Kredi t konnt e j a unschwer al s erzwungener Kapital export gedeutet werden, der - ordnungspolitisc h verfehlt - nich t von internationalen
Differenzen de r Kapitalerträgniss e bestimm t wa r und deshal b - materiel l schmerz lich - Wachstu m und Wohlstand beeinträchtigte. Mit ihm wuchs Erhards Verdruß an
der EZU. Der Verdruß wurde weder von der Bank deutscher Länder noch vom wissenschaftlichen Beirat beim Wirtschaftsministerium geteilt , dafür von informellen Beratern argumentativ verstärkt16. Insbesondere die Notenbank mahnte zur Besonnenheit im eigenen Interesse und zur Rücksichtnahme auf französische Bedürfniss e un d
Empfindlichkeiten i m europäischen Interesse 17. Sie sorgte damit freilich nur für inter16 Wilhel m ROEPKE, Wege zur Konvertibilität (Ende 1953), HADB, Nl Vocke 2040.
17 Vock e an Erhard am 11.12.1952, HADB, Nl Vocke 2021: »Wir wären daher meines Erachtens sehr
übel beraten, wenn wir hier wieder den praeceptor Europae, noch dazu mit sehr bedenklichen Leh-
Zwischen Zahlungsunfähigkeit un d Konvertibilitä t
113
ne Konflikte, ohn e die nach außen vertretene Position Deutschlands und deren Erscheinungsbild merklic h z u beeinflussen . Di e Position wurd e von Erhar d definier t
und ihr Erscheinungsbild durch Erhards Gebaren geprägt.
Zunächst stand Deutschland damit auf verlassenem Posten. Statt sich auf eine Debatte darüber einzulassen, forderte das EZU-Direktorium die Bundesrepublik Ende
1952 auf, sein e Importe aus dem Gemeinschaftsraum beschleunig t zu liberalisieren.
Erhard lehnt e da s ab , weil e s di e Organisatio n konsolidier e un d ih r dadurc h da s
Überleben erleichtere. Wenig später schien sein Ruf nach Konvertibilität dan n aber
endlich Widerhall z u finden . I m Winter 195 3 ließ auch Großbritannien ei n vorbehaltvolles Interess e a n baldiger Konvertierbarkei t seine r Währung erkennen 18. Die
Vorbehalte bestanden in der Erwartung, daß die USA den Übergang zur Konvertibilität durch deutliche Zollsenkungen und Bereitstellung eines Dollar-Stützungsfond s
erleichterte, mi t desse n Mittel n Ländern , di e in Zahlungsschwierigkeiten gerieten ,
zeitweise über die Runden geholfen werden konnte. Darüber verhandelte der britische Schatzkanzle r i m Mär z 195 3 in Washington 19. Di e amerikanisch e Regierun g
zeigte mangels Vertrauen i n den Erfol g de s britische n Vorhaben s weni g Neigung ,
den Erwartungen zu genügen. Außerdem mißfiel ihr der Gedanke an eine frühzeitige Auflösung de r EZU, die sie als Institut währungspolitischer Kooperatio n in Europa hoc h schätzte . Sie verwies Großbritannie n au f gemeinsam e Bemühungen u m
allgemeine Konvertibilitä t mi t desse n europäische n Partnern . Di e britisch e Regierung behielt die Abfuhr un d den Verweis für sich , lud aber gleichwohl erst Frank reich, dann Deutschland zu Konvertibilitätsgesprächen nach London ein20.
Während England und Frankreich ohne Konsens und konkretes Ergebnis konferierten, fühlte Erhar d sich zu dem als »Zwischenlösung« apostrophierten Vorschlag
ermuntert, die demnächst anstehende - wi e er meinte - letzt e Verlängerung der EZÜ
mit einigen bedeutsamen Verfahrensänderungen z u verbinden. Er empfahl, Defizit e
wie Überschüsse innerhal b der Quot e zu r Hälfte un d oberhal b der Quotengrenz e
sofort un d i n beliebige m Umfan g zu r Gänz e mi t Dolla r auszugleichen , national e
Ausnahmen vo n de n Liberalisierungsgrundsätze n bi s hart a n die Grenz e de r Un möglichkeit zu erschweren und dem EZU-Direktorium das Recht und die Mittel zu
geben, Schuldner-Länder wirksam zur Ordnung zu rufen. Dann reiste er hoffnungs froh nac h London. Die Hoffnungen wurde n von der britischen Reaktion au f seine
Vorschläge jäh enttäuscht. Es zeigte sich, daß Englands Absichten mit Erhards Wünschen wenig gemein hatten21.
ren, spiele n wollten. « Vock e a n Erhard a m 23.2.1954, ebd. : »Ich glaube , wir sollte n auc h innerlic h
unseren Friede n mi t de r EZ U mache n un d un s dabe i vergegenwärtigen , da ß si e fü r Deutschlan d
eigentlich das denkbar günstigste System darstellt.«
18 Diplomatisch e Vertretun g de r BRD i n Washington a n Auswärtiges Am t a m 2.2.1953 un d Diplom .
Vertr. der BRD in London an AA a m 4.2.1953, HADB, Nl Vocke 2033.
19 Deutsch e Vertretung beim IMF an BMW am 2.3.1953, HADB, Nl Vocke 2043.
20 Di e Vorgeschicht e un d Geschicht e de r Verhandlungen, in : KAPLAN/SCHLEIMINGER (wi e Anm . 2 )
S. 164ff .
21 Emminger , Zusammenfassende r Berich t übe r di e deutsch-britische n Besprechunge n übe r die Pro bleme der Konvertibilität a m 12 . und 13.5.195 3 in London, HADB, B 330/3172. Dazu Emminger s
»Auswertung« v . 5.6.1953, HADB, Nl Vocke 3379.
114
Volker Hentschel
Sie konnten nach Lage der Dinge auch nicht viel damit gemein haben. Ähnlich wie
die französische hatt e sic h auc h di e britisch e Nettoposition , nachde m di e Korea Nachfrage gewiche n und deren inflatorisches Potentia l wirksam geworden war, aus
einem große n Überschu ß i n ein großes Defizi t verwandelt . Ma n war de s Defizits ,
weil dessen wirtschaftliche Ursachen nicht ebenso tief und schwer angreifbar in politisch-soziale Problemlagen des Landes hineinreichten wie in Frankreich, auf der Insel freilich schnelle r Her r geworden . Seit einigen Monaten kame n bei der Abrechnung des britischen Europahandels wieder Überschüsse heraus. Deshalb glaubte die
englische Regierung an Konvertibilität denken zu können und darüber reden zu sollen. Die Überschüsse waren aber gering. Sie verminderten Englands EZU-Verschuldung nur, verhießen aber vorerst deren rasche Tilgung nicht. Außerdem waren die
Überschüsse zu einem unbestimmten Teil der Tatsache zu verdanken, daß Großbritannien ohne Aufhebens un d mit stillschweigender Duldung hinter den Liberalisierungsanforderungen de r EZU zurückblieb . Und deshal b glaubt e die englische Regierung, Erhards Empfehlungen wede r billigen zu können noch gar unterstützen zu
sollen. Sie war vielmehr höchst bestürzt darüber und wies vor allem die Forderung
nach Unbedingthei t de r Liberalisierungsgrundsätz e entschiede n zurück . Solche n
Luxus könne England sich nicht leisten. Das klang für Erhard sehr, für seinen britischen Verhandlungspartne r hingege n gan z un d ga r nich t widersprüchlich . De r
Grund dafü r war , daß die beiden mi t praktischer Konvertierbarkei t j e anderes bezweckten un d deshal b mi t de m Wort je anderes meinten . Das war Erhar d bislan g
entgangen oder er hatte es nicht ernst genommen.
Er selbst wollte, daß die DM und die Währungen, die sie in die Konvertibilität begleiteten, von jedermann, der sie besaß, nach Belieben in andere Währungen eingetauscht werden durften. E r wollte das, weil sich darin ökonomische Freiheit kund tue, die zu guter Ordnung führe und weil es den deutschen Exportinteressen nützte.
Die englische Regierung wollte hingegen, daß fürs Erst e nur Ausländer, die Pfun d
neu erwarben, diese Pfund i n andere konvertible Währungen, namentlich in Dollar,
tauschen durften, daß den Briten selbst das Recht des freien Währungstausches aber
weiter vorenthalten bliebe. Ihr war es nicht um Freiheit, Ordnung und Exportinter essen, sondern eingedenk britischer Traditionen aus Prestigegründen darum zu tun,
das Pfund al s Welthandels- und Weltreservewährung z u retablieren. Sog. InländerKonvertierbarkeit bedurft e e s dazu nicht und schon die unverbrüchliche Verpflich tung auf eine n hohen Liberalisierungsgrad , di e Erhard Englan d ansann , drohte die
Verwirklichung de r Absich t z u unterlaufen . Si e beschwor nämlic h di e Gefah r de r
Wiederkehr von Zahlungsbilanzdefiziten un d Pfundschwäche herauf , die ihrerseits
mit Ausländer-Konvertierbarkeit un d der Akzeptanz des Pfundes als internationales
Zahlungs- und Reservemitte l al s unvereinbar erschien . Ein wenig pointiert gesagt :
Erhard meinte, durch die Beseitigung der EZU den Weg zu weltweiter Handelsfrei heit im Zeichen allgemeiner Konvertibilität zu öffnen un d er erfuhr i n London, daß
die englische Regierung auf die Freiheit zur Handelsbeschränkun g durc h Devisenbewirtschaftung setzte, um eine Form partikularer Konvertierbarkeit des Pfundes sichern zu können, an der ihm nichts lag. Das schien ihm Mittel und Zweck e durch
Verkehrung zu verderben und den Preis der EZU nicht wert zu sein. Da nun die Briten diesen Preis ohne Zusicherung amerikanischen Beistandes ohnedies nicht zahlen
wollten, fuhr die deutsche Delegation unverrichteter Dinge nach Haus.
Zwischen Zahlungsunfähigkeit un d Konvertibilitä t
115
Wenig später wurde die EZU ohn e Beachtung der deutschen Empfehlunge n au f
der Grundlage ihrer hergebrachten Zuständigkeiten und Verfahren um ein Jahr verlängert. Erhard schickte sich darein, fand sich damit aber nicht ab. Das kontradiktorische Verhältnis vo n EZ U un d Konvertibilitä t blie b ei n bevorzugte r Gegenstan d
seiner öffentlichen Polemik . Dabei bot sich die Entwicklung der deutschen Netto position in eigentümlich dialektischer Beziehung sowohl als treibendes Motiv seiner
Forderung nach Abschaffung de r EZU wie als stärkstes Argument dagegen dar.
Während einerseits die laufenden britischen Überschüsse unter dem Einfluß einer
Annäherung an den Liberalisierungssatz de r EZU merklich schrumpften, währen d
sich andererseits die laufenden französische n Defizit e unte r dem Einfluß erfolgrei cher Stabilisierungsanstrengungen i n geringe Überschüsse verkehrten, die zur Wiederaufnahme der Handelsliberalisierung ermutigten, schwollen die deutschen Überschüsse weiter mächtig an. Das Anschwellen verstärkte Erhards Drang zur Konvertierbarkeit, wei l e s Deutschlan d zu r Gewährun g große r Rallonge n un d umfang reicher Kredite an die EZU nötigte und e s verdüsterte zugleic h die Aussichten auf
Konvertibilität, wei l sic h kau m ei n Lan d de m Wettbewer b mi t Deutschlan d ohn e
Schutz durch die EZU noch gewachsen fühlte.
Der Londone r »Economiste brachte di e handeis- und währungspolitische n Zu stände und Bewußtseinslage n i n Europa z u jener Zei t au f eine n knappe n Nenner :
Europa leide unter einer DM-Lücke22. Der Nenner traf die Sache. Die EZU war die
institutionelle Voraussetzung jener Lücke und die Lücke begründete eine vorläufige
Unentbehrlichkeit der EZU.
In viele r Hinsich t wa r di e DM-Lücke mi t Hilf e de r EZU-Mechanisme n a n die
Stelle eines Teils der Dollar-Lücke getreten 23, die einst zur Gründung der EZU veranlaßt hatte , und verschafft e dadurc h Europ a al s Ganze s meh r Beweglichkei t i m
Handel mit Amerika. Für die europäischen Defizit-Länder war Lücke freilich Lücke
und eine DM-Lücke ohne die Sicherungen der EZU kaum erträglicher als eine Dollar-Lücke. So kam es, daß Deutschland, dessen Wirtschaftsminister unermüdlic h fü r
Konvertibilität i n di e Schranken trat , von seine n Partner n zusehend s heftige r un d
mit bissige n Seitenhiebe n au f Erhard s enervierende n Feldzu g vorgehalte n bekam ,
daß es ein weiteres Mal zum großen handelspolitischen Störenfrie d i n der EZU geworden un d i n dieser Eigenschaft da s sperrigste Hindernis vor dem Übergang zu r
grundsätzlich erwünschte n Konvertibilitä t sei . Deutschland schwing e di e Peitsch e
des Lohndumping über Europa und der »selbstgerechte Herr Doktor« gebärde sich
von seinem Gläubiger-Standpunkt her ebenso takt- wie rücksichtslos als wirtschaftspolitischer Lehrmeister Europas24.
Es verwundert nicht , daß multilaterale Konvertibilitätsgespräche unte r solch widrigen Umständen vorerst nicht in Gang kamen. Die britische Regierung beließ es
bei ihrem Vorsto ß und verscho b soga r bilateral e deutsch-englische Gespräche , die
22 Tagesnachrichte n Nr.l626v. 29.6.1953.
23 Vgl . Christoph BUCHHEIM , Di e Bundesrepublik und die Überwindung der Dollar-Lücke, in: Ludolf
HERBST u.a . (Hg.) , Vom Marshallpla n zu r EWG . Di e Eingliederun g de r Bundesrepubli k Deutsch land in die westliche Welt, München 1990 , S. 97.
24 He t Financielle Dagblad Amsterdam v. 10.11.1953: Minister Erhard - Peitsch e über Europa, Archiv
für Christlic h Demokratisch e Politi k (ACDP ) 1-093/01312 ; Frankfurte r Rundscha u v . 12.11.1953 ;
Schweizer Nationalzeitung v. 14.1.1954.
116
Volker Hentschel
für Herbs t 195 3 vorgesehen worden waren, auf Mai 1954 . Bei dieser Gelegenheit 25
wurde dann freilich ei n Forum für mehr oder weniger regelmäßige Beratungen über
Opportunität, Bedingungen und Zeitpunkt eine s Übergangs zur Konvertierbarkei t
ins Leben gerufen. Butler und Erhard verbanden damit auch die Absicht, das in Sachen Konvertibilität sehr zurückhaltende EZU-Direktorium zu überspielen.
Unterdessen hatte sich die britische Zahlungsbilanz trotz weiter steigendem Liberalisierungsgrad wiede r gefangen , di e französischen Überschüss e konnte n be i hinlänglichem Optimismus als konsolidiert angesehen werden und Deutschland erschien
neuerdings im Lichte eines guten Gläubigers. Die Bundesregierung hatte angekündigt, daß sie einseitig das deutsche Zollniveau herabsetzen und dadurch die Importtätigkeit beleben werde. Der Schein trog ein wenig, weil die Zollsenkungen nicht etwa
mit Rücksichtnahme auf die EZU und deren Schuldner, sondern von Sorgen um jene
Preisstabilität motiviert war, die Deutschlands großen Exportüberschüssen zugrun de lag26; aber er beruhigte die Gemüter. Die Motive taten ja auch weniger zur Sache
als die Wirkungen und die deutschen Überschüsse fielen im folgenden Jahr tatsächlich sehr viel geringer aus als im Jahr zuvor.
Das Foru m nu n wa r ein e Ministergruppe »Konvertibilität « i n de r OEEC , die
nicht vo n alle n Mitgliederländern , dafü r auc h von de n US A un d vo n Kanad a beschickt wurde. Sie trat Anfang Juli 1954 erstmals zusammen 27, eruierte die allgemeinen Probleme und Lösungsmöglichkeiten, sowie die besonderen Einstellungen dazu
und übertrug deren eingehenderes Studium dann einer Ministerstellvertretergruppe.
Die Unterschiede der An- und Absichten erwiesen sich dabei als unverändert groß.
Deutschland und Frankreich repräsentierten mit einiger Entschiedenheit di e Extreme, Frankreich gemeinsam mit Italien; England lavierte begrifflich un d argumentativ
zwischen beiden. Erhard plädierte unverdrossen für möglichst raschen, bis Frühjahr
1955 vollzogenen, Übergang zur Konvertibilität, die in seinen Denk- und Argumentationszusammenhängen unterdesse n i n die praktisch unbesetzt e Roll e des großen
weltwirtschaftlichen Integrator s hineingewachse n war . Damit si e diese Roll e auc h
wirklich spielen könne, dürfe sie freilich nicht partikular sein und überdies noch mit
- ih r auc h begrifflich widersprüchliche r - Beschränkun g de s Handels erkauf t wer den. Deshalb sollten sich die Länder mit konvertiblen Währungen auf die Beachtung
strenger Freihandelsregeln verpflichten .
Im Gegensatz dazu wünschte Frankreich i m Anschluß a n Italien 28, die EZU auf
absehbare Zeit , gewi ß über s nächst e Jahr hinaus , z u erhalten . Konvertibilitä t un d
Freihandel seien für die große Mehrzahl der europäischen Länder vorerst nicht miteinander vereinbar . Konvertierbarkei t nötig e si e vielmeh r zu r Deliberalisierung ,
fragmentiere dadurc h die internationalen Märkt e und vermindere das Welthandelsvolumen. Die EZU entheb e sie der Notwendigkeit un d verhindere deren Folgen ,
25 Aufzeichnun g über die Besprechung mit Schatzkanzler Butler am 7. und 8. Mai 1954 im BMW, VA 8
v. 11.5.1954, HADB, ZBR 77. Neue Positione n de r beide n Verhandlungspartne r wurde n be i den
Gesprächen nicht erkennbar.
26 Zugleic h rief Erhard zu weiteren Exportanstrengungen auf. Tagesnachrichten Nr. 1886 v. 14.5.1954.
27 Emminger , Bericht über di e Sitzung der Ministergruppe fü r Konvertibilitätsfrage n i n London am
15. und 16.7.1954, HADB, ZBR 78.
28 Memorandu m der italienischen Regierung zur gegenwärtigen Konvertibilitäts-Debatte, HADB, Nl
Vocke 3380.
Zwischen Zahlungsunfähigkeit und Konvertibilität
117
übe mi t ihre n Mechanisme n abe r zugleic h eine n verträglichen Druc k i n Richtun g
Ordnung und Stabilität aus, der allmählich zu Konkurrenzfähigkeit verhelfe . Außerdem sei die EZU mit ihren Verfahren und Beratungen, vor allem jedoch als Hort gemeinsamer Verantwortung die wirkungsvollste Agentur wirtschaftlicher un d politischer Integratio n i n Europ a un d sollt e auc h deshal b nich t leichthi n preisgegeben ,
sondern be i fortschreitende r Liberalisierun g un d zunehmende r »Härtung« 29 für s
Nächste beibehalten werden.
Trotz diesem Dissens im Grundsätzlichen, den Erhard übrigens kurzentschlossen
in einen Dissens über den richtigen Zeitpunkt des Übergangs zu Konvertierbarkei t
umdeutete30, debattierten die Minister weiter über wichtige institutionelle Umstände
und Folge n eine r irgendwan n fällige n EZU-Auflösung . Dabe i gin g es im Wesentlichen um dreierlei, das neben der Frage, ob die Auflösung de r EZU mehr Nutze n
oder mehr Schaden stifte, auch in Zukunft i m Zentrum der Diskussion stand. Denn
alles drei war ebens o umstritte n wi e die Auflösung selbst . Ein s war di e bindend e
Verpflichtung au f eine n Liberalisierungskodex , ei n anderes der gemeinsam e Fond s
zur Unterstützung von Ländern, die in Zahlungsbilanzschwierigkeiten geriete n und
ein Drittes die Möglichkeit oder das Verbot von bilateralen Zahlungsabkommen. Erhard hatte inzwischen begriffen, da ß Konvertibilität und freier Welthandel nicht mit
Notwendigkeit ineinander aufgingen und wünschte neuerdings mit argumentativem
Nachdruck, di e erwünschten Wirkunge n von Konvertierbarkeit durc h rechtswirk same Bindun g a n eine n strenge n Liberalisierungskode x z u sichern 31. Frankreic h
wollte sic h darauf nich t ohn e Weiteres einlasse n un d Englan d ka m sogar mi t dem
Gedanken heraus , die EZ U scho n vo r de m Übergan g zu r (Ausländer-)Konverti bilität aufzulösen, u m deren Liberalisierungs-Regeln ledi g zu werden. Sowohl England wi e Frankreich wollte n sic h de s Rechts , wieder bilateral e Zahlungsabkom men zu schließen, nicht begeben. Deutschland hielt dagegen, daß bilaterale Abkommen Prinzip und Praxis allgemeiner Konvertierbarkeit unterliefen. Schließlich hätte
Deutschland von der Einrichtung eines Kreditfonds am liebsten ganz abgesehen und
mochte allenfalls einen kleinen Übergangs-Fonds konzedieren, dessen Mittel nur die
Länder in Anspruch nehme n durften, dere n Währungen nac h Auflösung de r EZ U
nicht gleich für konvertibel erklärt wurden, und auch sie nur auf Antrag, kurzfristi g
und unte r Auflagen . Frankreic h un d ander e wollten hingege n einen großen Fond s
auf unbestimmte Zeit, der mit einer ähnlichen Kreditautomatik wie derzeit die EZU
begabt und allen zugänglich war. Denn es wäre politisch-psychologisch unerträglich,
die europäischen Länder sichtbar in starke und schwache zu sondern.
Ein Ausgleich der voneinander abweichenden Vorstellungen und Interessen wurde nun dadurch erschwert, daß England sich nur mühsam zu einer dauerhaft klare n
Haltung durchringen konnt e und da ß Erhard zusehend s stärke r von einem gleich29 Mi t »Härtung« war die Erhöhung des Dollar-Anteils bei der Regulierung von Nettopositionen gemeint. Di e erst e Härtung ga b es gegen britischen Widerstand be i der Vertragsverlängerung zu m
1.7.1954. Von da an wurden Defizite und Überschüsse innerhalb der Quote generell zur Hälfte mit
Dollar ausgeglichen. Emmingers Vermerk v. 24.6.1954, HADB, Nl Vocke 3380; Tagesnachrichten
Nr. 1921 v. 28.6.1954.
30 Industriekurie r v . 22.7.1954; Bulletin des Presse - und Informationsamte s de r Bundesregierung
Nr. 178 v. 22.9.1954.
31 Emminge r (wie Anm. 27).
118
Volker Hentschei
sam habituellen, allenfall s notdürfti g verborgene n Soupçon gegen Frankreic h be herrscht wurde.
Im Herbst 195 4 schien England mit vorwurfsvollem Ausdruc k der Enttäuschung
über di e USA, die sich nach wie vor einseitig-erhebliche n Zollsenkunge n un d de r
Hergabe umfangreicher Mitte l verweigerten, völlig auf di e französisch-italienisch e
Linie einzuschwenken. Die britische Regierung ließ zur erkennbaren Erleichterun g
Frankreichs verlauten, daß sie sich angesichts der amerikanischen Haltung aus Sorge
um die Vollbeschäftigung i n nächster Zeit auch Ausländer-Konvertierbarkeit nich t
werde leisten können und daß sie den Fortbestand de r EZU als Ort nützliche r eu ropäischer Zusammenarbeit au f de m wohl noch langen Weg zur Inländer-Konver tierbarkeit für erwünscht halte32. Damit war man in Washington sowohl bei der amerikanischen Regierung wie beim IMF sehr einverstanden.
Da di e Bundesregierun g inzwische n mehrfac h öffentlic h erklär t hatte , da ß di e
DM nicht vor dem Pfund konvertibe l gemacht werden könne und solle 33, müßte das
von Erhard als schwerer Rückschlag für seine Absichten und Erwartungen empfun den worden sein. Gleichwohl klagte er mit zu Ausschließlichkeit geneigter Einseitigkeit und unter geschmackvoller Beigabe guter Ratschläge immer wieder Frankreich
der »Störung aller unserer Pläne« an. Frankreich, so ging sein Argument, verfälsch e
zum Zweck e de s Zahlungsbilanzausgleich s durc h staatlich e Einfuhrlenkun g un d
Ausfuhrförderung de n internationale n Hande l un d könn e Konvertibilitä t nich t
vertragen, weil es ihm infolge eine r falschen Wirtschaftspoliti k einerseit s nicht gelänge, die Produktivität hinlänglich zu erhöhen und weil es andererseits die deshalb
nötige Abwertung des Franc beharrlich ablehne 34. Und al s die französische Regie rung nac h de m Abschlu ß de r Parise r Verträg e de n Vorschla g machte , nebe n de r
EGKS und der EZU und in mancher Hinsicht anstelle der EVG einen europäischen
Rüstungspool als weiteres Institut europäischer Zusammenarbeit und Einigung ins
Leben z u rufen , verdächtigt e e r sie umgehend de r sinistre n Absicht , Deutschlan d
auf diese Weise zu Rüstungsimporten zu nötigen, die seine EZU-Überschüsse reduzierten35 - gan z ungeachtet de r Tatsache nebenbei, daß dies zum Ziele allgemeiner
Konvertibilität al s durchaus erwünsch t angesehe n werden mußte . Wobei dahingestellt bleibt, was an dem Verdacht richtig war. Im übrigen bemühte sich die Regierung Mendès France, zumindes t de m Vorwurf, de r Produktivitä t nich t genügen d
Beachtung z u schenken , praktisch entgegenzuwirken . I m Winter 1954/5 5 präsentierte sie ein Modernisierungsprogramm, desse n Durchführung di e Leistungskraf t
und Exportfähigkei t de r französische n Wirtschaf t verbesser n un d Frankreic h di e
kurz darauf tatsächlic h proklamierte Reliberalisierung seiner Importe ermögliche n
32 Emminger , Bericht über die Jahrestagung des Währungsfonds un d der Weltban k in Washington v.
22. bis 29. September 1954 , HADB, ZBR 80. Der IMF schloß sich diesem Votum alles in allem an;
Tagesnachrichten Nr. 1997 v. 25.9.1954.
33 Erhar d bestätigte das nachdrücklich in Gesprächen mit Butler bei der IMF-Tagung im Herbst 1954;
Emminger (wie Anm. 32).
34 Industriekurie r v. 3.9.1954.
35 Erhar d a n Adenauer a m 18.10.1954 . LES Nl Erhar d I 1)3. Außerdem wie s er Blüchers Vorschlag
zurück, di e deutsche n EZU-Guthaben , di e de m Hande l mi t Frankreic h entsprunge n waren , z u
Zwecken eine r Rationalisierun g de r französische n Wirtschaf t zu r Verfügun g z u stellen ; Entwur f
eines Briefes an Adenauer am 19.10.1954, ebd.
Zwischen Zahlungsunfähigkeit und Konvertibilität
119
sollte36. Sie tat dies , soweit da s Programm auc h al s Bekundung de s guten Willen s
nach außen verstanden werden sollte, natürlich nicht dem deutschen Wirtschaftsmi nister, sondern dem IMF zu Gefallen, be i dem Frankreich wegen wirtschaftspoliti schen Fehlverhaltens al s »inéligible« galt. Aber sie tat es unter Würdigung und Beachtung für maßgeblich erachteter Gründe der wirtschaftlichen Erfolg e der Bundesrepublik und mit Unterrichtung und Befragung des deutschen Wirtschaftsministers ,
die schließlich sogar in den Vorschlag einer engeren deutsch-französischen Zusam menarbeit in wirtschaftspolitischen Dinge n ausliefen.
Die Würdigung der Erfolgsursachen hatt e freilich eine n stark französischen Ak zent37. Sie betonte weniger die dogmatisch-ordnungspolitischen Gründ e de s westdeutschen Wirtschaftswunders , di e Erhar d hervorzuhebe n liebte , als vielmehr di e
ebenso aktive und autoritative wie vorbildhafte Einmischun g eines außerordentlich
wachsamen Staates ins Wirtschaftsleben, dazu noch Glück und die Gunst aufnahmefähiger Märkte.
Das wa r gewi ß nich t schlechthi n falsch , abe r ebens o gewi ß ungeeignet, Erhar d
über Ratio und Aussichten französischer Wirtschaftspoliti k eine s anderen zu belehren. So lehnte er, obwohl man es anläßlich mehrere Besuche in Paris auch an schmeichelhaften Aufmerksamkeite n nich t fehlen ließ 38, den Vorschlag einer engere n Zu sammenarbeit mit dem Hinweis ab, daß die erwünschte Intensivierung der deutschfranzösischen Beziehunge n am sichersten und wirkungsvollsten durch den Übergang
zur Konvertibilitä t erreicht , desse n Ausbleibe n dagege n ohnehi n de n »Untergan g
des Abendlandes« einleiten werde39.
Letzteres erwies sich in den nächsten vier Jahren als übertrieben. Das Abendland
kam nicht in Gefahr, obwohl die Konvertierbarkeit au f sich warten ließ. Die Minister und ihre Stellvertreter vermochten sich bei ihren mehr oder weniger regelmäßigen, aber allemal intensiven und streitbaren Beratungen 40 weder auf einen Zeitpunkt
für de n Übergan g festzulegen , noc h konnte n si e Einigkeit übe r desse n Umständ e
herstellen. Die deutsche Behauptung, daß Europas Fähigkeit zur Konvertibilität, namentlich auch zur Dollar-Konvertibilität, im Frühjahr 195 5 wesentlich besser sei als
noch i m Vorjahr, wurd e vo n jederman bestritten . S o einigte ma n sic h den n nac h
mühsamen Verhandlungen auf eine abermalige Verlängerung bei weiterer »Härtung«
36 OEEC , Statement b y Mr . Edgar Faure to the Council o f Minister s o f th e OEEC a m 13.1.1955,
HADB, B 330/2642 und Draft: Resolution of the Council CES/346 v. 13.1.1955, ebd.
37 Da s Wirtschaftsbild, Folge 328, Mendès France über Erhard, 27.11.1954.
38 FA Z v. 9.12.1954; Saarbrücker Zeitung v. 9.12.1954.
39 Erhar d als Ehrengast eines Diskussionsdîners der Pariser Zeitung Les Echos am 7. 12. 1954. Aufzeichnung einer Reportage des Bayerischen Rundfunks. Der Text findet sich in der Sammlung von
Presseartikeln über Ludwig Erhard im Bundespresseamt. Die Arbeit dort war ein spannendes Vergnügen, da s vom unkonventionell-großzügige n Entgegenkomme n vo n Gabriel e Sey l vergrößer t
wurde. Vgl. schon Erhard an Adenauer am 13.11. 1954 mit einer eindringlichen Warnung vor jeglicher deutsch-französischen Zusammenarbeit, LES NI Erhard 11)3.
40 Emminger , Kurzbericht über die Sitzung des Stellvertreter-Ausschusses der Ministergruppe Konvertibilität in Paris v. 13.-15.10.1954, HADB, Nl Vocke 3380; Ders., Bericht über die Sitzung des
Stellvertreter-Ausschusses de r Ministergruppe für Konvertibilitätsfragen i n Paris am 7. u. 8. Dez.
1954, HADB, ZBR 82; OEEC, Ministerial Examination Group in Convertibility. Minutes of the 5th
session (at Ministerial Level ) v. 12.1.1955 , HADB, B 330/2642; OEEC, Ministerial Examinatio n
Group i n Convertibility . Minutes of th e 6t h session of Experts (Stellvertreter) v . 10.-11.5.1955 ,
HADB N 2/K21. Dazu Emmingers Bericht über diese Sitzung v. 15.5.1955, ebd.
120
Volker Hentschel
der EZU. Vom 1 . Juli an sollten alle Überschüsse und all e Defizite nich t mehr nu r
zur Hälfte sondern zu drei Viertel durch Dollarzahlungen ausgeglichen werden. Das
entsprach im Prinzip französischen Vorstellunge n und kam in der Praxis deutschen
Wünschen immerhin entgegen.
Unter diesen Umständen schien die Verlängerung der EZU um ein Jahr bereits abgemachte Sache zu sein, als die britische Regierung mit einem merkwürdigen Verlangen herausrückte. Sie beantragte, in das Abkommen über die Vertragsverlängerun g
die Klausel aufzunehmen, daß die EZU vor Ablauf des Jahres aufgelöst werde, wenn
die Inhabe r vo n mindesten s 50 % alle r Quote n die s wünschten 41. De r Antra g wa r
merkwürdig nicht so sehr der Sache nach, wohl aber im Hinblick auf den Antragsteller. Er kam einer öffentlichen Prätentio n von Möglichkeiten gleich, die England auf
absehbare Zeit gar nicht besaß. Fast alle Welt wußte das und denen, die es noch nicht
wußten, wurde es dadurch vor Augen geführt, da ß der bloße Antrag eine Fluchtbewegung au s dem Pfund auslöste . Frankreich empfah l den n auch , über de n Antra g
hinwegzugehen; Deutschland griff ih n aber natürlich auf und andere Länder schlössen sich unter der Voraussetzung an, daß vor seiner Annahme Klarheit über die Bedingungen europäische r Handels - und Währungspoliti k nac h Auflösung de r EZ U
geschaffen werde . Das wurde versucht und der Versuch führte binnen kurzem zu einem »Europäischen Währungsabkommen« au f der Grundlage eines eigentümlichen
und unte r Zeitdruc k woh l auc h etwa s zufällige n Verschnitt s wesentlic h deutsche r
und französische r Vorstellunge n un d Interessen , au f de n Englan d weni g Einflu ß
nahm42.
Danach richteten di e vormaligen Mitgliederlände r de r EZU eine n Europäische n
Fonds43 mit einem Volumen von 600 Mio Dollar 44 ein. Die Lebensdauer des Fonds
war grundsätzlich unbegrenzt; Länder, die dies wollten, konnten sich aber zwei Jahre nach dem Ende der EZU daraus zurückziehen. Seine Mitglieder hatten Anspruch
auf Kredit im Rahmen relativ kleiner Quoten. Kredite mußten von Fall zu Fall beantragt und der Antrag konnte nur mit vorübergehenden Zahlungsbilanzdefiziten be gründet werden . Ihre Laufzei t wa r au f zwe i Jahre begrenzt . Di e Tatsache und de r
Umfang de s Fonds widersprache n deutschen , desse n Gestaltungsmerkmal e hinge gen französische n Wünschen . Frankreic h hätt e ein e Kreditautomatik , dabe i di e
Berücksichtigung nu r de r innereuropäische n Zahlungsbilanze n un d zeitlic h unbe grenzte Kredite vorgezogen. Gemeinsa m mi t Deutschland un d gege n England tra t
Frankreich neuerdings dafür ein, daß der Liberalisierungskodex der EZU zumindest
für Fondsmitgliede r weitergelte; anders als Deutschland wollte es die Geltung aller41 Wortprotokoi l de r Sitzung des ZBR v. 22. und 23.6.1955, S. 6 (Bericht Emmingers), HADB, ZBR
86.
42 OEEC , Ratsentscheidung betreffend di e Erneuerung der EZU, die Errichtung eines Europäischen
Fonds sowie die Handeisregeln, denen die Mitgliedsländer im Zusammenhang mi t dem Übergang
zur Konvertibilitä t folge n solle n v. 10.6.1955, HADB, ZBR 86 ; Emminger a n Vocke am 7.7.1955,
ebd; OEEC, Europäisches Währungsabkommen v. 5.8.1955, HADB, N2/K22.
43 De r Beschluß über den Europäischen Fonds erfolgte aufgrund vo n Vorschlägen des EZU-Direktoriums; vgl. Vermerk betr . Aufbau un d Arbeitsweis e de s geplanten Europäische n Fond s 6 a/601 v.
21.4.1955, HADB, Nl Vocke 417.
44 Di e kleiner e Hälft e wurd e durc h de n Transfe r vo n US-Mittel n au s de r EZ U i n de n Fonds , di e
größere Hälfte durc h Beiträge der Mitglieder aufgebracht. Deutschlan d sollt e 42 Mio. Dollar einlegen.
Zwischen Zahlungsunfähigkeit un d Konvertibilitä t
121
dings auf den Europahandel beschränkt wissen. Aber auch das Bekenntnis zur Freiheit des innereuropäischen Handel s erleichterte Deutschland di e Zustimmung zu m
Fonds. Um andererseit s Frankreic h da s ehe r au f Zuversich t al s au f Tatsache n ge gründete Bekenntnis zum liberalen Handel zu erleichtern, ließ Deutschland sich auf
den Wunsch der französischen Regierun g ein, die monatlich-multilaterale Verrech nung bilateraler Forderungen und Verbindlichkeiten und die damit verbundene Automatik de r Gewährung seh r kurzfristiger Währungskredit e vo n der EZU au f de n
Fonds zu übertragen. Dies, obwohl England sich nachdrücklich dagegen aussprach,
weil von der Möglichkeit multilaterale r Verrechnung zwischen den Fonds-Mitgliedern diskriminierend e Wirkunge n au f jen e Lände r ausgingen , di e sic h a m Fond s
nicht länger beteiligten. Der Dissens wurde durch das Wort »fakultativ« ehe r überspielt al s aufgelöst: Fonds-Mitgliede r konnten , mußte n abe r nich t verrechnen un d
die Dollar-Regulierung der Nettopositionen sollt e im Falle von Defiziten z u einem
ungünstigen, i m Falle von Überschüsse n z u eine m günstige n Dollar-Kur s de r be troffenen Währunge n geschehen 45. Deutschlan d stimmt e de r Möglichkei t weitere r
Verrechnung auch wegen der Befürchtung zu , daß es andernfalls zu einer zumindest
partiellen Rebilateralisierun g käme . Un d Frankreic h honoriert e di e Zustimmun g
schließlich auch durch den Verzicht auf das Recht, nach dem Ende der EZU wieder
bilaterale Zahlungsabkommen zu schließen.
Das Europäisch e Währungsabkomme n hatt e da s sonderbar e Geschick , ei n Abkommen auf Abruf z u sein, das nach seinem Abruf ga r nicht recht wirksam wurde.
Zunächst beendet e e s bloß di e Konvertibilitätsdiskussion, ohn e Konvertibilitä t z u
schaffen. Un d al s der Übergang zu r Konvertibilität schließlic h doch geschaff t war ,
verlangte e s niemanden meh r nac h multilaterale r Verrechnun g un d nac h Kredite n
aus einem Europäischen Fonds. Der EZU-Liberalisierungskodex war durch die Bestimmungen de s IM F überholt, un d bilateral e Zahlungsabkommen schiene n abgelebten Zeite n anzugehören . S o ist e s um die praktische Bedeutun g de s Streitwert s
politisch-ökonomischer Absichten , Sorge n un d Verhandlungspositione n zuweile n
bestellt. Bis zum Übergang zur Konvertibilität hatte es bei der Unterzeichnung des
Europäischen Währungsabkommens im August 1955 freilich noch gute Weile.
Das Ärgernis »Deutschland« und der Fall »Frankreich«
Das nächst e Jahr verstrich , ohn e da ß a n die Möglichkeit, di e zum Abschlu ß de s
Europäischen Währungsabkommens veranlaß t hatte, auch nur gedacht wurde. Am
1. Juli 1956 ging die EZU wie selbstverständlich in ihr siebtes Jahr. Erhard stritt unterdessen mi t de m ei n ums ander e Ma l wiederholten Hinwei s au f da s ungenutzt e
»funktionale« Integrationspotentia l de r Konvertibilität gege n den angeblichen Un sinn »institutioneller « Integration , dessen sich »patentierte « Europäe r i n Verhandlungen übe r ein e Europäisch e Wirtschaftsgemeinschaf t neuerding s befleißigten 46.
45 Da s gilt natürlich nur für die Verrechnung von Verbindlichkeiten. Länder mit Forderungen mußte n
die Verrechnung akzeptieren, wenn sie ihnen von Schuldnern angetragen wurde.
46 Grundsätzlic h dazu Ludwig Erhard, Gedanken zu dem Problem der Kooperation und der Integration, LES NI Erhard 11)3 ; Erhard a n Werkmeister a m 29.8.1955, LES NI Erhard 14)73 ; Erhard a n
Adenauer am 25.9.1956, LES Nl Erhar d 11)4.
122
Volker Hentsche l
Daneben beklagt e e r mi t gleichsa m überschüssige r Vehemen z di e fortschreitend e
und inzwische n unerträglich e Falschhei t de r feste n Wechselkurs e i n Europa . Di e
Klage war richtig, aber sie wa r nur solange auch berechtigt, wie sie die DM nicht ausschloß47. Be i leidenschaftslos-rationalökonomische r Betrachtun g wa r Erhar d da s
auch klar. Wenn er als enragierter Politiker argumentierte, vergaß er es. E r argumentierte meist als enragierter Politiker und dann reduzierte sich die Fehlerhaftigkeit de r
Wechselkurse schnel l auf Überbewertun g de s Franc 48. Solche Reduktion entbehrt e
nun aber um so mehr der Überzeugungskraft, al s die zeitweise geschrumpften mo natlichen EZU-Überschüsse der Bundesrepublik im Abrechnungsjahr 1955/5 6 wieder stark zunahmen und in der zweiten Hälfte des Jahres 195 6 nachgerad e explodierten49. Si e überzeugte außerhal b Deutschland s den n auc h niemanden , nich t einma l
mehr die Holländer und die Schweizer. Deshalb fanden Deutschland und sein klageführender Wirtschaftsminister sic h unversehens in den Rollen von Angeklagten wieder; beschuldigt, vermittels des 75 % ige n Dollarausgleichs ihrer Überschüsse Europas Währungsreserve n be i sic h z u konzentriere n un d aufgefordert , wenige r vo n
Wechselkursen zu reden und mehr zur praktischen Abschwächung des Dollar-Sogs
zu tun 50: den Kreditantei l seine r Überschüss e vo n 25 auf wiede r 50 % z u erhöhe n
z.B., di e Zölle weiter z u senken , die herabgesetzten Nachkriegsschulde n schnelle r
als vertraglich vorgesehen zu tilgen, den Kapitalexport anzuregen, Vorauszahlungen
auf den zu langsam in Gang kommenden Import von Rüstungsgütern zu leisten, die
Zinsen z u senke n un d ei n bißche n Anpassungsinflatio n zuzulasse n ode r di e D M
kräftig aufzuwerten 51. Darunte r war nichts, das in Deutschland nicht an irgendeiner
47 Vgl . in diesem Sinn warnend Vocke an Erhard am 19.6.1956, HADB, Nl Vocke 2021.
48 I m Sommer 195 6 wurde aus einem Interview Erhard s mit der Financial Times freilich auc h herausgelesen, daß das Pfund abgewerte t werden müsse und bald werde. Das löste zunächst eine Spekulation gege n da s Pfund , dan n di e heftig e Verärgerun g de r britische n Regierun g un d schließlic h ein e
internationale Diskussio n übe r di e Aufwertun g de r D M aus . Erhar d a n Macmilla n a m 3.7.1956 ,
HADB B 330/3172 ; Tagesnachrichte n Nr . 252 4 v . 12.7.1956 , Nr . 252 5 v . 13.7.1956 , Nr . 253 0 v .
19.7.1956. Emminge r a n Vock e a m 20.7.1956 , HADB , N l Vock e 2020 ; Könneke r a n Vock e a m
24.7.1956, HADB, Nl Vocke 2030; Industriekurier v. 14.7.1956.
49 End e 195 6 hiel t di e Bundesrepubli k 80 % alle r Forderungen i n der EZU, KAPLAN , SCHLEIMINGE R
(wie Anm. 2) S. 261 .
50 E s klang durch, daß sie es satt hätten, daß Deutschland sic h als Musterbeispiel fortgesetz t hinstellte .
Emminger, Bericht über die Sitzung des Ministerstellvertreter-Ausschusses a m 17. und 18.6.195 7 in
Paris: »...fü r un s Deutsch e ums o beunruhigender , al s wi r un s eine r völli g geschlossene n Front.. .
gegenüber sahe n .. . De n Hauptangrif f ha t dabe i de r englisch e Delegiert e vorgetrage n .. . E r gin g
gleich davon aus, daß offenbar die deutschen Behörden den Ernst der Lage und die Größe ihrer Verantwortung fü r di e europäische n Problem e noc h ga r nich t begriffe n hätten.. . einzig e Lösun g ... ,
daß man den von Deutschland nich t zu konsolidierenden Teil... seine s Sozialprodukts zwangswei se nac h auße n transferiert . Da s deutsch e Verhalte n i n der OEE C un d i n der EZ U (veranlasse) di e
Engländer z u einer großen Vorsicht gegenüber zukünftigen Bindunge n a n die europäische Integra tion.« HADB, ZBR 103.
51 Emminge r an Vocke am 20.7.1956, HADB, Ni Vocke 2020. Wortprotokoll der 224. Sitzung des ZBR
v. 25.7.1956, S . 8ff. , HADB , ZB R 95 ; Emminger a n Vocke a m 28.9.1956, HADB , N l Vock e 2020 ;
OEEC, Di e Wirtschaftslag e i n de n Mitgliederländer n C(56)23 9 v . 15.11.1956 , HADB , ZB R 98 ;
Bericht übe r di e 81 . Sitzungsperiod e de s EZU-Direktorium s v . 18.-20.2.195 7 P/157/57 , HADB ,
B 330/1275 und über die 84. Sitzungsperiode v . 24. und 25.4.1957, HADB, B 330/1275; Emminger,
Bericht (wie Anm. 50).
Zwischen Zahlungsunfähigkeit und Konvertibilität
123
mitentscheidenden Stelle auf Bedenken und Widerstände stieß 52. Der einseitige Verzicht au f Dollar-Anteil e be i der EZU-Abrechnun g vermindert e de n Zustro m vo n
Währungsreserven, deren man erst zur weiteren Liberalisierung des Überseehandels
und dann als Rückhalt bei Konvertierbarkeit der DM zu bedürfen glaubte . Die vorzeitige Tilgung von Schulden und Anzahlungen auf Waffenlieferungen beanspruch ten nach Meinung des ebenso geizigen wie obstinaten Finanzministers den Bundeshaushalt über Gebühr und Möglichkeit. Weitere Zollsenkungen waren vorerst nicht
durch den Bundestag zu bringen. Der Kapitalexpor t lit t mehr noch als die Kapitalbildung im Inneren an fortgesetzten strukturellen Unzulänglichkeiten des deutschen
Kapitalmarkts. Und die Entwicklung der Nachfrage und des »Preisklimas« ließ eher
höhere denn niedrigere Zinsen als angezeigt erscheinen. Mit dem Argument der europäischen Partner, daß es im gemeinsamen Interesse geboten sei, den unerwünschten Zusammenfluß von Währungsreserven in einem Land ungehindert auf die Preise
jenes Landes wirken z u lassen, vermochte ma n sich im höchst stabilitätsbewußte n
Deutschland natürlich nicht anzufreunden. Und eine DM-Aufwertung hiel t man für
ein Stück ökonomischer Unvernunft, wei l es nicht angehe, eine gesunde Wirtschaf t
zu operieren, um kranke Wirtschaften z u heilen53. So bot die deutsche Regierung im
Glauben, dami t immerhi n ihre n gute n Wille n z u bekunden , de r EZ U ein e unbe grenzte Gläubiger-Rallong e i m Verhältnis 7 5 zu 25 an. Das EZU-Direktorium ak zeptierte das Angebot, ließ aber keinen Zweifel daran, daß die EZU damit Deutschland, nicht etwa Deutschland der EZU eine Gunst erweise. Unter solchen Umständen ware n gemeinsam e Grundlage n fü r Verständigun g un d Ausgleic h kau m meh r
auszumachen und ein Konflikt mit ungewissem, für die Bundesrepublik aber allemal
unerfreulichem Ausgan g schien Ende 1956 , Anfang 195 7 unabwendbar z u sein. Da
gab di e dramatisch e Zuspitzun g eine s andere n Problem s Deutschlan d di e kau m
recht begriffene un d deshalb auch nur widerstrebend wahrgenommene Gelegenheit,
sich atmosphärische und argumentative Entlastung zu verschaffen .
Das Problem betra f Frankreich , ergab sich im Gegensatz zu Europas Schwierigkeiten mit Deutschland au s einer anderen Rangordnun g der wirtschaftspolitische n
Prioritäten, war deshalb gegensätzlich geartet und rief außer dem Verlangen nach genuin französischen Anstrengunge n auch das Gefühl gesamteuropäischer Verantwortung für seine Lösung hervor.
Die französische Wirtschaftspoliti k setzt e unverkennbar auf Wachstum und Vollbeschäftigung vor Stabilität, verband dabei Wachstum konzeptuell und praktisch mit
Verbesserung der wirtschaftlichen Infrastrukture n un d Steigerung der Produktivität
und behandelt e da s außenwirtschaftlich e Gleichgewich t al s bloß e Rahmenbedin gung. Die Bedingung war infolge der Stabilisierungsbemühungen i m Jahr 195 2 und
fortgesetzter amerikanische r Militärhilfe seit 1953 erfüllt un d die französische Wirt schaft wuch s ein e geraum e Zei t be i merkliche r Stärkun g ihre r Leistungsfähigkei t
und außenwirtschaftlich unangefochte n mi t stattlichen Raten. 1956 begann die Ver52 Ergebnisprotokol l übe r di e Chefbesprechung a m 24.6.1957 unter Vorsit z vo n Vizekanzle r Dr . F.
Blücher v . 25.6.1957, HADB , Ni Vocke 3381 ; Protokoll de r 24 8 Sitzun g de s ZB R v . 26.6.1957,
HADB, ZBR 103.
53 Vock e a n Erhar d a m 2.5.1957, HADB, Ni Vocke 2021 ; Emminger, Vermer k betreffen d Erhard s
Äußerungen zur Wechselkursfrage i n der Financial Times v. 29.5.1957, HADB, B 330/1275.
124
Volker Hentschel
einbarkeit von politisch forciertem Wachstum und außenwirtschaftlichem Gleichge wichts zweifelhaft z u werden, Ende des Jahres war eine akute Unvereinbarkeit evident geworden und im Frühjahr 195 7 befand sic h Frankreich abermals hart an den
Grenzen seiner internationalen Zahlungsfähigkeit .
Die Ursache n al l desse n ware n unschwe r auszumachen . Si e bestande n i n eine r
doppelten Überforderung, i n der Überforderung de r innerfranzösischen Geldkapi talbildung durch den französischen Staa t und in der Überforderung de s mittelfristi g
als gesichert anzusehende n Devisenzugang s durc h eine n wachstumsbedingten Im portsog. Wege n de r Frankreic h eigentümliche n Verbindun g eine s außerordentlic h
starken industrie-, infrastruktur- un d sozialpolitischen Engagements des Staates mit
hohen Militärausgaben , ware n öffentlich e Finanzierungsdefizit e (impasses ) wede r
ungewöhnlich, noch wurden sie der Sache nach als besonders bedenklich angesehen.
1956/57 schwollen die Defizite unter dem Einfluß kostspieliger öffentlicher Investi tionen und besonderer Belastungen infolge des Suez-Abenteuers und der Konflikt e
in Algerien zu einem Umfang an , der keinesfalls ohn e weiterreichende wirtschaftli che Wirkungen hätt e bleibe n können . Di e Wirkungen wurde n abe r dadurc h noc h
verschärft und akzentuiert, daß sich der verwirrend verzweigte Fiskus erstmals nach
mehreren Jahren außer des Zugriffs au f Kredit- und Kapitalmarktmittel auch wieder
erheblicher Notenbankkredit e bediente , um die Lücke zu füllen. Di e derart offen barte Enge der Finanzmärkte ließ es eigentlich als geraten erscheinen, die Kreditvergabe an Private zu erschweren und einzuschränken. Zugleich erschien dies allerdings
als beschäftigungs- un d wachstumspolitisch unerwünscht. Deshalb blieben die Zinsen niedrig, die Refinanzierungskontingente be i der Banque de France groß und deren Beanspruchung stark. 1956/57 vergab die BdF dreimal soviel mittelfristige Kre dite wie 1954/55 . Der Rückgriff sowoh l des Staates wie der Unternehmen au f de n
Kredit der Notenbank dehnte die Geldmenge in einem Maße aus, das es ermöglichte,
ein Nachfragepotential z u finanzieren, das die Angebotskapazität beträchtlich übertraf und dabei rasch ausgeschöpfte Spielräum e für marktbedingt e Preissteigerunge n
schaffte. De r inner e Nachfrageüberhan g veranlaßt e zu r Ausweitun g de r Import e
und die Preiserhöhungen erschwerte n die Ausfuhr. Da s paßte nicht gut zusammen,
war aber noch nicht alles. Zur gleichen Zeit schrumpften infolg e einer außergewöhnlich schlechte n Ernt e di e Agrargüterexport e un d di e Amerikane r nahme n ihr e
dollarwerte Unterstützun g de s französische n Engagement s i n Indochin a zurück .
Alles miteinander bewirkte in kurzer Zeit einen dramatischen Umschwung der französischen Zahlungsbilan z von einem beträchtlichen Überschu ß z u einem noch beträchtlicheren Defizit . De r Umschwun g blie b weder unbemerk t noc h unbeachtet .
Er geriet vielmehr zum Anlaß zu spekulativen Vorsorgeimporten, die das Defizit auf
ein Drittel der Einfuhrwerte vergrößerten . Die Folgen davon waren, daß der automatische EZU-Kredit schnell zur Neige ging und Frankreichs Dollar-Reserven erodierten. Das außenwirtschaftliche Gleichgewich t konnte nicht länger als Randbedingung wirtschaftlichen Wachstum s behandelt, seine Wiederherstellung mußte neuerdings vielmehr al s dessen Vorbedingung begriffe n werden . Di e französische Re gierung versucht e zunächst , sic h übe r dies e Einsich t durc h Erschließun g neue r
Kreditquellen hinwegzusetzen . I m Herbs t 195 6 ließ sie sich eine n standby-Kredi t
des IMF im Wert der Hälfte ihre r Quot e einräume n und macht e seit Februar 195 7
davon Gebrauch. Im gleichen Monat beantragte sie, daß ihr bei der Verlängerung des
Zwischen Zahlungsunfähigkeit un d Konvertibilität
125
EZU-Vertrages ein e Rallonge in Höh e vo n 20 0 Mio Dolla r zugestande n werde 54.
Unterdessen war auch die Eröffnung relati v kurzer Dollar-Kreditlinien bei amerikanischen Außenhandelsbanke n gelungen . Die Kredit e erwiese n sic h freilich schnel l
als geteilter Segen. Die Verfügungsmacht übe r zusätzliche Mittel erweiterte vorübergehend den außenwirtschaftlichen Handlungsspielraum , die offenbarte Notwendig keit, um zusätzliche Mittel nachzusuchen, schränkten den Handlungsspielraum aber
gleich wiede r ein , inde m si e ein e weitere Well e von Spekulationskäufe n auslöste .
Unter de m Eindruc k diese r Feststellun g führt e di e Regierun g ein e selektiv e Ein fuhrsteuer un d ein e allgemeine Bardepotpflich t ein . Von März a n mußte n Impor teure, wenn si e um Einfuhrlizenze n nachsuchten , 25 % des Werts de r beantragte n
Einfuhren i n Franc s be i bestimmte n Banke n deponieren . Di e Unzweckmäßigkei t
dieser Maßnahme war andernorts zu anderen Zeiten, in Deutschlands Devisenkris e
im Herbst 195 0 nämlich, bereits erwiesen worden. In Frankreich im Frühjahr 195 7
war sie um so unzweckmäßiger, als die Depots nicht stillgelegt wurden, sondern von
den Banke n ausgeliehe n werde n konnten . Da s gescha h un d neutralisiert e di e oh nehin schwachen Wirkungen einer wenig später vorgenommenen Diskonterhöhung.
Inzwischen wurd e de m französische n Proble m be i de n monatliche n Sitzunge n
des EZU-Direktoriums bereit s mehr Aufmerksamkeit un d Beratungszeit gewidme t
als den deutschen Überschüssen und dabe i allgemein beklagt, daß die französisch e
Regierung zu sehr auf die Hilfe der Gemeinschaft setze , und zu wenig tue, um den
inflationären Auftrie b z u dämmen 55. Die Klage verlor einige s an Berechtigung, als
die Regierung Mollet im Mai ankündigte, daß sie das planmäßige öffentliche Finan zierungsdefizit durc h Einsparunge n un d Steuererhöhunge n merklic h reduziere n
werde. Leide r verlore n da s Proble m un d di e Sorge n dami t nich t zugleic h a n Ge wicht. Denn di e Regierung stürzt e kur z darauf übe r die gesetzgeberischen Konse quenzen ihre r Absicht . Da s Parlamen t lehnt e ihre n Vorschlag , di e Steuer n z u er höhen, ab. Die neue Regierung nahm zunächst einmal Zuflucht zu r völligen Deliberalisierung de r Einfuhren 56 un d sondiert e alsdan n sowoh l bei m IM F wi e be i de r
EZU die Möglichkeit, weitere Kredite zu erhalten.
Das rückte die Bundesrepublik gege n deren Absicht und Willen ins Zentrum in ternationaler Bemühungen , Frankreich be i der Bewältigung seiner Schwierigkeite n
zu helfen . Währen d da s deutsche Wirtschaftsministerium un d di e Bank deutsche r
Länder Frankreic h nac h de r kostspielige n Nutzun g seine r EZU-Rallong e au f di e
verbliebenen Ziehungsrechte beim IMF verweisen wollten, war man beim IMF nämlich der berechtigten Meinung, daß internationale Unterstützung bei der Lösung des
französischen Problem s ein e vorrangig europäisch e Angelegenhei t sei , für dere n
54 Berich t über die 81. Sitzungsperiode des EZU-Direktoriums (wie Anm. 51).
55 Bericht e über die 82. Sitzungsperiode des EZU-Direktoriums v. 12.-15.3.1957 P/159/57, HADB, B
330/1275; 85. Sitzungsperiode v. 16. und 17.5.195 7 P/186/57, ebd. und v. 4. und 5.6.1957 P/172/57,
HADB, B 330/1287; 86. Sitzungsperiode v. 19.6.1957, HADB, B 330/1275; 87. Sitzungsperiode v.
22.-24.7.1957 P/174/57, HADB, B 330/1287.
56 OEEC , Council, Invocation by France of Art. 3(c) of the code C(57) 132 v. 24.6.1957, HADB, B
330/1286. Der Deliberalisierungsantra g wurd e vo m Rat i n der Erwartun g akzeptiert , da ß Frank reich seine Importe am 18.6.1958 zu 60% und am 18.12.1958 zu 75% reliberalisiere; OEEC, Council, Invocation by France of Art. 3 (c) of the Code: Import Programme for the second half of 1957 v.
8.7.1957 C(57) 154, HADB, B 330/1286.
126
Volker Hentschel
materielle Voraussetzungen de r extrem e Gläubige r Deutschlan d z u sorge n habe 57.
Deutschlands EZU-Partner teilten die Meinung im Prinzip, legten aber Wert darauf,
daß be i de r praktische n Durchführun g de r Hilf e jede r Anschei n eine s bilatera l
deutsch-französischen Vorgange s vermieden werde 58. Die Bundesregierung konnte
sich de r grundsätzliche n Forderung , umfangreich e Mitte l fü r di e Unterstützun g
Frankreichs verfügbar z u machen, und wollte sich dem praktischen Verlangen, jene
Unterstützung gleichwoh l i m Gewänd e eine r multilaterale n Aktio n de r EZ U z u
leisten, nicht entziehen . Si e bestand freilic h ihrerseit s darauf , daß Frankreic h di e
Hilfe durch ein wirtschaftspolitisches Program m rechtfertige, das an die heimischen
Ursachen seine r außenwirtschaftliche n Problem e griffe . Dami t setzt e si e sich i n
der Gemeinschaft unschwe r durch. Die neue französische Regierun g wünschte und
hoffte indesse n noch fast ei n halbes Jahr lang, ohne Maßnahmen durchzukommen ,
die das Wachstum bemerkenswert beschränkten und die Beschäftigung gefährdeten .
Der Kamp f gege n die Inflatio n müss e a n einem unerläßlich hohe n Investitionsbe darf, die Reduktion der Importe an der nötigen Versorgung der Industrie mit Rohstoffen ihr e Grenze haben. So bestätigte sie zwar die Absicht ihrer Vorgängerin, den
>impasse< im laufenden Rechnungsjah r durc h Einsparungen u m ein Fünftel z u verringern, präsentierte abe r gleic h darauf eine n Haushal t fü r da s Jahr 1958 , der ei n
noch größeres Defizit auswie s als der 57er Haushalt vor den Einsparungen. Und im
August führte sie zwar unter Beseitigung aller Importsteuern und Exportsubventionen Abgaben auf Zahlungsausgänge ins Ausland sowi e Vergütungen für Zahlungs eingänge aus dem Ausland in Höhe von jeweils 20% ein, machte davon aber soviele
Ausnahmen, daß anstelle des prätendierten Abwertungs-Ersatze s ei n System mul tipler Wechselkurse mit höchst ungewissen und zunächst ga r nicht spürbaren Wir kungen herauskam 59.
Derweil un d deswege n macht e ma n sic h in der Bundesrepubli k Gedanke n dar über, wie die Verpflichtung Frankreich s auf ein wirksames Sanierungsprogramm im
Falle eines EZU-Kredits unausweichlich zu machen, das deutsche Engagement dabei
gleichwohl möglichst niedrig zu halten und eine frühzeitige Rückzahlun g z u erreichen wäre. Das Ergebnis der Überlegungen setzt e die Bundesregierung in Empfeh lungen an die EZU um. Einige Empfehlungen schienen es darauf anzulegen, die Kreditaufnahme zumindes t merklich zu erschweren, wenn nicht zu verhindern 60. Dazu
gehörten die Vorschläge, die französische Regierun g möge zu den Beratungen über
ein durchgreifendes Reformprogramm ausländisch e Experten hinzuziehen61; sie möge - kurzlebi g wie französische Regierunge n nu n mal seien - nich t nur sic h selbst,
sondern di e Natio n durc h heilig e Eid e au f di e buchstabengetreu e Durchführun g
derlei Programms einschwöre n un d si e möge zusichern, da ß Kredite, die bei Auflösung der EZU noch nicht getilgt waren, bei dieser Gelegenheit auf einmal zurück57 Stellungnahm e z u de m Schreibe n de s BM W betr . Kreditgewährun g a n Frankreic h v . 11.6.1957 ,
HADB, B 330/1288.
58 Vermer k betr . Wirtschaftshilf e a n Frankreic h II/ 5 v . 7.6.195 7 (MP-Ministerium) , HADB , B
330/8252.
59 Berich t über die 88. Sitzungsperiode des EZU-Direktoriums v. 7.-10.10.1957, P/177/57, HADB, B
330/1275.
60 Kurzberich t über die 384. Sitzung des Rates der OEEC am 8.11.1957, HADB, B 330/1286.
61 Ergebnisprotokol l der Ressortbesprechung v. 19.11.1957, VA 2 a - 806/57 , HADB, B 330/1288.
Zwischen Zahlungsunfähigkeit und Konvertibilität
127
gezahlt würden62. Das waren schwer erträgliche Zumutungen. Sowohl sie wie Frankreichs Ausweichreaktionen wurde n abe r schließlich im institutionalisierten Gefüh l
gemeinsamer Verantwortung und durch die untergründigen Mechanismen eines allseits verträgliche n Interessenausgleich s i n de r EZ U aufgehobe n un d miteinande r
vermittelt. Die EZU ließ zu keiner Zeit Zweifel daran, daß Frankreich in seiner Not
auf si e rechnen könne , beharrte zugleic h darauf, daß ihre Hilfe nu r al s Unterstüt zung innerer Reformen Sin n mache63 - die s übrigens auch, um einer reformwillige n
französischen Regierun g di e Legitimatio n i n Parlamen t un d Öffentlichkei t z u er leichtern - un d gewährt e den Kredit schließlich zu modeste n un d ehrenhafte n Be dingungen. Frankreich vollzog unter dem Eindruck ihrer wohlmeinenden Entschiedenheit eine n Wechsel seiner wirtschaftspolitischen Prioritäte n un d ran g sich auch
ohne »konzeptionelle n Außenbeitrag« , wiewohl i n Abstimmung mi t de m EZU Direktorium, z u eine m Stabilisierungsprogram m au f Koste n eine s mutmaßliche n
Rückgangs seiner gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrat e von 6,5 auf 1,5 % un d damit verbundener Arbeitslosigkeit durch. Und Deutschland, das an die Zulänglichund Durchsetzbarkeit des Programms nicht recht glauben wollte, fand sich dennoch
mit dem bloßen Anschei n eidestattliche r Zusicherungen 64 un d mi t der ratenweise n
Tilgung des Kredits über das erwünschte Ende der EZU hinaus ab.
Im November 195 7 schaffte ein e weitere Regierungsumbildung in Frankreich politische Handlungsspielräume, die im Monat darauf durc h einen parlamentarische n
Kraftakt zu r Plafonierun g sowoh l de r öffentliche n Ausgabe n wi e -unte r Zuhilfe nahme von Steuererhöhunge n - auc h des >impasse< im Jahr 195 8 genutzt wurden .
Die drastisch, um ca. 13%, gekürzten Ausgaben-Voranschläge unterschritten danach
preisbereinigt di e Ausgaben von 1957 , der geplante >impasse< war niedriger al s seit
vielen Jahren. Das verbleibende, mit ca. 11% der Ausgaben imme r noc h beträcht liche Defizit sollte durch den Verkauf von Anleihen und Schatzwechseln ohne Rückgriff au f di e Notenbank ausgegliche n werden 65. Inzwischen waren auc h die Leitzinsen hinauf - un d di e Rediskontkontingent e herabgesetz t worden . Unte r diese n
Umständen und in der Erwartung, daß die Wachstumsverlangsamung und Beschäftigungsprobleme wohl auch die Löhne niedrig hielten, stellte die französische Regierung End e 195 7 schließlich de n längs t erwartete n Antra g au f eine n EZU-Kredit 66
und kündigt e einen komplementären Kreditantra g beim IMF an. Den EZU-Kredi t
erbat sie zur Hälfte in Form einer Rallonge, zur anderen Hälfte in bar.
Der Antrag beim IMF folgte nach eingehenden Vorverhandlungen Jean Monnets
im Januar 1958 67. Die Tatsache und die Art des Zusammenhangs der Anträge wurden
62 Emminger , Vermerk v. 2.1.1958, HADB, B 330/1282, S. 13; Ergebnisprotokoll de r Ressortbesprechung v. 6.1.1958 VA 2 c, ebd.
63 Ra t der OEEC, Entwurf einer Empfehlung des Rates zur Lage in Frankreich C(57)230 v. 5.11.1957,
HADB, B 330/1286 ; Mangoldt, Ersuche n Frankreich s u m Kredithilfe , Fr/179/5 7 v . 15.12.1957 ,
HADB, B 330/1287.
64 OEEC , Memorandum der französischen Regierung MBC(58)7 v. 21.1,1958, HADB, B 330/1282.
65 Fernschreibe n Mangoldt an AA v. 23.12.1957, HADB B 330/1287; IMF, France. Use of Fund Resources v. 24.1.1958, HADB, B 330/1282.
66 EZU , France (Note by the Secrétariat) MBC (58)1 v. 2.1.1958, HADB, B 330/1286.
67 Emminge r an BMW am 17.1.1958, HADB, B 330/1282. Über die wohlwollende Reaktion des Exekutivrats des IMF der Vermerk Emmingers vom 17.1.1958, ebd.
128
Volker Hentschel
dadurch kenntlic h gemacht , daß übe r beid e am gleichen Tag, aber i n bedeutsame r
Reihenfolge entschiede n wurde . Zunächst stimmt e der Ministerrat de r OEE C de r
Empfehlung de s Direktorium s zu , Frankreic h eine n EZU-Sonderkredi t z u ge währen. Danach räumt e de r Exekutivra t de s IMF 68 Frankreich Ziehungsrecht e i m
Rahmen seiner dritten Tranche ein, die Hälfte davon in DM69. Der EZU-Kredit70 bestand zum eine n aus einer Rallonge über 400 Mio Dollar. Die Rallonge beinhaltete
einen Kredit von 100 Mio Dollar, wenn Frankreich zugleich 300 Mio Dollar in konvertibler Währung aufbrachte. U m ihm das zu erleichtern, stellte die EZU zum anderen einen Kredit von 150 Mio Dollar in bar zur Verfügung, der ausschließlich zur
Regulierung monatlicher Defizitpositionen i m Rahmen der neugewährten Rallonge
verwendet werde n durfte . Außerde m erklärt e die EZU sic h dazu bereit , bei derlei
Regulierung anstell e vo n Dolla r sovie l D M z u akzeptieren , wi e Frankreic h bei m
IMF zog. Das tat sie mit dem erklärten Einverständnis der Bundesregierung, bei der
Regulierung gleichzeitiger deutscher Überschüsse ihrerseits auf Dollar zu verzichten
und DM entgegenzunehmen71. Die Bereitschaft und das Einverständnis verbesserten
Frankreichs Chancen, auch den IMF-Kredit bewilligt zu bekommen, weil der Dollar
dort inzwischen als knappe Währung galt. Andererseits konnte auch die EZU nur einen kleine n Teil der Dolla r erübrigen , die Frankreich vo n ih r erhalte n sollte . Den
großen Rest mußte sie sich bei Gläubigerländern besorgen . In rein wirtschaftliche r
Perspektive wäre es vernünftig gewesen , dabei nur Deutschland heranzuziehen ; aus
politisch-psychologischen Gründe n steuerte n abe r auc h di e Schweiz , Belgien , di e
Niederlande und Österreich geringe Beträge bei72. Die Bundesrepublik kam für zwei
Drittel de r gesamte n Kreditsumm e auf , di e au f ih r Dränge n hi n übrigen s i n zwe i
Tranchen aufgeteilt wurde. Bis zur Jahresmitte durfte Frankreich nur 80 Mio Dollar
abrufen, i n de r zweiten Jahreshälfte vorbehaltlic h eine s neuen Beschlusse s weiter e
70 Mio und dazu das, was von den 80 Mio womöglich übriggeblieben war. Der erzie68 Emminge r a n Erhar d un d Vock e am 1.2.1958 , HADB, B 330/1282: »Das französische Stabilisie rungsprogramm (ist ) mit Abstand da s ausführlichste un d konkretest e Programm, das je zwischen
dem Fonds und einem Mitgliedsland verbindlich vereinbart wurde. Schon diese Tatsache, und erst
recht di e Tatsache, daß ein führendes europäische s Lan d sic h so weitgehenden Bindunge n unter worfen hat, hat bei den Exekutivdirektoren des Währungsfonds offensichtlic h große n Eindruck gemacht.«
69 Emminge r an BMW am 23. und am 24.1.1958, HADB, B 330/1282; IMF, France: Use of Fund Resources v. 24.1.1958, ebd.
70 Emminge r a n BM W a m 29 . un d a m 30.1.1958 , HADB , B 330/1282 ; Presse-Kommuniqu e de r
OEEC betr . die Kreditgewährung a n Frankreich v . 30.1.1958, HADB, B 330/1286; Emminger an
Blessing und Erhard am 1.2.1958, HADB, B 330/1282.
71 Vermerk : DM-Ziehung im Währungsfonds v . 10.1.1958, HADB, B 330/1282. Die Bundesrepublik
erhielt im Gegenwer t de r französischen DM-Ziehunge n ei n Dollar-Ziehungsrecht bei m IMF . Ihr
ging durch di e Akzeptanz de r EZU-Zahlungen i n DM als o nichts verloren. Eine andere Verwendung der beim IMF gezogenen DM durch die Banque de France wurde ausgeschlossen. Blessing an
Baumgartner am 14.2.1958, HADB, B 330/1286.
72 F s Nr.66. Germania Paris am 25.1.1958, HADB, B 330/1289; Bericht über die 92. Sitzungsperiode
des EZU-Direktoriums v . 21.-25.1.1958 P/184/58, HADB B 330/1282. Das abschließende Doku ment, das eine Darstellung der französischen Problemlagen , das Sanierungsprogramm der französischen Regierung und die Kreditmodalitäten enthält : OEEC, Council, The Situation of France and
the French Government' s Programm e C(58)3 1 v. 27.1.1958, HADB, B 330/1286. Vermerk Schleiminger betr . Modalitäte n eine r Kredithilf e a n Frankreic h un d ihr e Finanzierun g v . 28. 1 . 1958,
HADB, B 330/1289.
Zwischen Zahlungsunfähigkeit un d Konvertibilität
129
herische Zwec k diese r Übun g wa r es , Frankreich be i fortgesetz t hohe n Defizite n
zum Verbrauc h eigene r Reserve n un d unte r Umstände n zu r Effektivierun g seine r
Reformanstrengungen z u nötigen73.
Dies auße r ach t gelassen , verschaffte di e ganz e kompliziert e Operatio n Frank reich die Möglichkeit, i m Jahr 195 8 ein EZU-Defizit vo n ca . 350 Mio Dollar auf laufen zu lassen, ohne weitere Währungsreserven einzubüßen. Man hoffte, daß nach
Ablauf des Jahres die Zahlungsbilanz von den Wirkungen des Sanierungsprogramms
ins Gleichgewicht gebracht worden wäre. Der neu eröffnete Finanzierungsspielrau m
sollte derweil verhindern, daß die zu diesem Zweck in Kauf genommen e Stabilisierungskrise von Entzugserscheinungen infolge übermäßiger Importdrosselung unerträglich verschärft wurde , und sollte es Frankreich zugleich erlauben, seine Einfuh ren aus dem EZU-Raum termingerecht zu reliberalisieren 74.
Das plötzliche Ende der EZU
Die Absichten un d Erwartunge n erfüllte n sic h zunächst nu r zu m Teil . Krisenhaft e
Mangelerscheinungen und Reserveverluste wurden tatsächlich vermieden; die Reliberalisierung des Handels und der Ausgleich der Zahlungsbilanz gelangen aber nur auf
längere Sicht. Das lag zum einen an erheblichen, von allen unterschätzten Verzögerungen un d Verzerrunge n de r Wirkungen de s französischen Sanierungsprogramm s
und zum anderen an unvorhergesehen politischen und weltwirtschaftlichen Impon derabilien. Die finanz- un d kreditpolitische n Restriktione n unterbande n wede r di e
expansive Nachfrage noc h den Preisauftrieb s o schnell, wie es im außenwirtschaft lichen Interess e nötig gewesen wäre. Deshalb und weil wegen der Dramatisierung
des Algerien-Krieges di e beabsichtigte Entlassun g von ca. 150000 Soldaten aufge schoben wurde , bliebe n de r Arbeitsmark t angespann t un d de r Lohndruc k stark .
Die vorerst fortgesetzte Inflatio n zehrt e die ohnehin mäßigen Vorteile des Abwertungsersatzes au f un d daz u drückt e auc h noch ei n weltwirtschaftliches Konjunk turtief auf die französischen Exporte . Die französischen Defizit e nahmen nicht weiter ab , sondern wiede r zu 75. Die Kredit e be i der EZ U un d bei m IM F schwande n
schneller dahin als gedacht und die im Juni fällige Importliberalisierung wurde ausgesetzt76. Das EZU-Direktorium empfah l dennoch, die zweite Kredit-Tranche frei zugeben und der Ministerrat folgte de r Empfehlung. Direktoriu m un d Rat drück ten damit aus, daß die französischen Regierunge n sic h um die Sanierung der wirtschaftlichen Verhältniss e nac h Kräfte n bemüh t hätten , da ß di e bisherige n Miß erfolge ihne n nicht wesentlich anzulaste n und da ß verspätete Erfolge nich t auszu -
73 OEEC , Der Rat, Ratsbeschluß über die Ausgleichs- und Sonderkredit-Fazilitäten für Frankreich in
der EZU C(58)45 v. 12.2.1958; ... über die Gewährung von Sonderkrediten an die EZU C(58)46 v.
12.2.1958;... über die Gewährung von Sonderkrediten an und durch die EZU C(58)47 v. 12.2.1958,
HADB, B 330/1286.
74 Ein e exzellente Darstellung des Zustandes der EZU nach der Entscheidung über den Kredit finde t
sich in der NZZ v. 26.1.1958: Die europäische Währungssituation. Die Ruhe nach dem Sturm.
75 OEEC , Council, Development o f th e Situation o f Franc e in the first Quarte r o f 195 8 C(58)98 v.
22.4.1958, HADB, B 330/1286.
76 Protokol l der 25. Sitzung des ZBR v. 12. 6.1958, HADB, B 330/141.
130
Volker Hentschel
schließen wären 77. Das war und erwie s sich bald als richtig78. In Deutschland neigte
man freilich dazu, es anders zu sehen, die zunächst andauernden Schwierigkeiten auf
Nachlässigkeit bei der Durchführung de s Sanierungsprogramms zurückzuführen, die
Nachlässigkeit als ordnungsbedingte Untugend und als Verstoß gegen die Voraussetzungen des EZU-Kredits zu werten und sich in seinen Reserven dagegen bestätigt zu
fühlen79.
Abgesehen davon , daß dies falsch war , überging e s geflissentlich, da ß die langwierig vorrangig e Behandlun g de r französische n Problem e i n de n internationale n
Währungsbehörden un d di e deutsch e Beteiligun g a n dere n scheinba r mißglückte r
Lösung Deutschland in Zeiten starker Bedrängnis aus der Schußlinie genommen und
womöglich vor unerwünscht drastischen Maßnahmen zur Verringerung seiner Überschüsse bewahrt hatte . Inzwischen ware n di e Überschüsse i m Zeichen eine r welt weiten Nachfrageflaut e vorübergehen d geschrumpf t un d de r anhaltend e Verdru ß
über die deutsche Gläubigerposition fand zwar weiterhin teils hitzigen Ausdruck in
der internationalen Presse, blieb aber in den Beratungs- und Entscheidungsorgane n
der EZU und der OEEC vorerst latent 80.
Gleichsam an seiner Stelle geriet noch einmal die Verlängerung des EZU-Vertrages zu m Gegenstan d lebhafte r Auseinandersetzungen . Da s hatt e wenige r mi t de r
EZU selbs t al s mit anderweitige n Bemühunge n u m di e wirtschaftliche Integratio n
Europas z u tun. Jene Bemühungen hatte n sic h mittlerweile i n der Gründun g eine r
(Klein)Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft konkretisier t und dauerten in der Absicht an, um die EWG herum eine (Gesamt)Europäische Freihandelszone ins Leben
zu rufen . De r deutsch e Wirtschaftsministe r hatt e sic h der EWG-Gründun g nach drücklich widersetzt und strebte nicht minder nachdrücklich nach der Freihandelszone81. Der freilic h widersetzt e sic h Frankreich. Da Frankreic h nu n wiederum a m
Fortbestand de r EZU sehr gelegen war, meinte die Schweiz den französischen Wi derstand dadurch brechen zu können, daß sie die fällige Verlängerung der EZU von
einem Erfolg der Freihandelszonen-Verhandlungen abhängi g machte. Das gefiel Erhard. Nich t gefalle n konnt e ih m hingegen , da ß Englan d sic h der Forderun g nich t
nur anschloß, sondern noch eins draufsetzte. Danach sollten in der Freihandelszone
die Abrechnungs- und Kreditautomatisme n de r EZU fortgeführt un d darüber hin 77 Berich t übe r di e 96 . Sitzungsperiode de s EZU-Direktorium s v . 13.-16.5.195 8 P/192/58 , HADB,
B 330/1286; Bericht übe r di e 98 . Sitzungsperiode v . 8.-10.7.1958 P/196/58, HADB , B 330/1275;
so auch die Kommission der EWG: Empfehlung an die Französische Regierung v. 2.7.1958, HADB,
B 330/1282.
78 I n der zweiten Jahreshälfte »griff « da s Programm. Der >impasse< blieb unter dem verordneten Pla fond, die Geldmenge wuchs weniger als die nominale Nachfrage, di e expansiven Kräft e erlahmten ,
der Investitionsboom wurd e gezügelt und di e Überbeschäftigung beseitigt . Die Preise kamen zum
Stillstand, aber die Differenzen z u den Preisen im Ausland blieben natürlich bestehen. Deshalb war
die Handels - un d Zahlungsbilan z weiterhi n unausgeglichen . EZU , Draft , Franc e v . 18.12.1958 ,
HADB, B 330/1286 ; interne s Papie r de r Deutsche n Bundesban k IV/3 2 v . 14.2.1959 , HADB , B
330/1287.
79 Vermer k Emmingers betr. französische Devisenmaßnahme n v. 31.5.1958, HADB, B 330/1287; Vermerk J 20 betr. gegenwärtige wirtschaftliche Lag e Frankreichs v. 13.6.1958, HADB, B 330/1289.
80 Zusammenstellun g in einem internen Papier der Deutschen Bundesbank: Die Einstellung des Auslands zur deutschen Überschußfrage, J 10 v. 9.5.1959, HADB, N 2/242.
81 Zusammenfassen d Erhar d an Adenauer am 11.11.1958, LES NI Erhard 11)6.
Zwischen Zahlungsunfähigkeit un d Konvertibilitä t
131
aus ein umfangreicher Europäische r Fonds eingeführt werden , der sich zu einem Teil
durch Beiträg e alle r Teilnehmer , zu m andere n Tei l übe r ein e Art vo n Zwangsanlei hen bei den Gläubigerländer n finanziert e un d mittelfristig e ad-hoc-Kredit e a n Defi zitländer vergab 82. Derlei Regelung rückte Konvertibilität i n unabsehbare Ferne un d
fremden Zugrif f au f deutsch e Währungsreserven gefährlic h nahe . Die Aussicht dar auf vermindert e de n Rei z de r Freihandelszon e fü r Deutschlan d erheblich , ohn e ih n
für Frankreic h wesentlich zu erhöhen. Da auch die meisten anderen Länder dem bri tischen Vorschla g au s unterschiedliche n Erwägunge n herau s weni g abgewinne n
konnten 83 , schaffte n allgemein e Unsicherheit un d vielfältige r Dissen s die Vorausset zungen fü r ein e weitere Verlängerung der EZU ohn e Veränderung ihrer Verfahren 84.
Und s o begann die Union den n am 1 . Juli 195 8 ihr neuntes Lebensjahr. Desse n End e
hat si e freilich nich t meh r erlebt . Unterdesse n wa r nämlic h au f unvermutet e Weis e
der überraschen d schnell e Proze ß ihre r Auflösun g un d dami t de r Übergan g zu r
Konvertierbarkeit eingeleite t worden . Da s hätt e Erhar d freue n sollen . Aber so , wie
es geschah, war es ihm doch auch wieder nicht recht .
Im Juni wa r Charle s d e Gaull e französische r Ministerpräsiden t mi t extensive n
Vollmachten geworden . D e Gaull e schie n Erhar d wi e gerufe n z u kommen . Den n
wenige Wochen zuvor hatte der deutsche Wirtschaftsminister währen d eine r Pressekonferenz gedonnert , da ß Frankreic h de r harte n Han d entbehr e un d eine s starke n
Mannes bedürfe, der das Land zu r Raison bringe und au f einen Opfergang führe 85.
De Gaull e war kein Freund de r europäischen Integration . Das hatte er mit Erhar d
gemein. Di e Gründ e unterschiede n ih n freilic h vo n Erhar d un d mi t de n Gründe n
auch di e Verhaltensweisen . D e Gaull e respektiert e di e EWG , mi t de r Erhar d sic h
nicht abfinden mochte , und e r verwarf di e Freihandelszone, die Erhard erstrebte . Im
Herbst lie ß e r di e Verhandlungen darübe r faktisc h abbrechen 86. De r Abbruc h teilt e
die EZU-Länder i n zwei Gruppen. Die Angehörigen de r einen Gruppe würden sic h
vom 1 . Januar 195 9 a n handelspolitisc h begünstigen , di e Angehörige n de r andere n
Gruppe wären von der Begünstigung ausgeschlossen . Das schien mit den Grundsät zen, Verfahre n un d Wirkunge n de r EZ U u m s o wenige r vereinba r z u sein , al s de r
große Gläubiger Deutschland i n der Gruppe der Begünstigten war. Die britische Regierung zo g darau s di e Konsequenzen . Erleichter t wurd e ih r da s durc h di e letzthi n
günstige Entwicklun g de r englische n Währungsreserve n un d de n kürzliche n Vor schlag der USA , die IMF-Quoten u m 50 % z u erhöhen . Nachdem si e bis zuletzt a n
der Übernahme eine r sachlich-funktional soga r erweiterten EZU in die Freihandelszone festgehalte n hatte , entschloß si e sich nun , de n Schrit t zu r Ausländer-Konver 82 Berich t über die 93. Sitzungsperiode des EZU-Direktoriums v . 18.-21.2.1958 P/185/58, HADB, B
330/1275.
83 Berich t über die 94. Sitzungsperiode des EZU-Direktoriums v . 11.-13.3.1958 P/188/58, HADB, B
330/1275.
84 Berich t über die 97. Sitzungsperiode des EZU-Direktoriums v . 10.-11.6.1958 P/193/58, HADB, B
330/1275.
85 Auszu g aus einem Brief des Journalisten Friedrich Lemmer an Emminger v. 16.4.1958 betr. Pressekonferenz von Minister Erhard, HADB, B 330/1286.
86 Zuletz t Gabriele BRENKE, Europakonzeptionen i m Widerstreit. Die Freihandelszonenverhandlun gen (1956-1958), in: VfZ 42 (1994) S. 595-633; Erhards Reaktion in einem Brief a n Adenauer vom
21.11.1958, LES NL Erhard 11)6.
132
Volker Hentschel
tierbarkeit z u wagen und be i den EZU-Partnern fü r di e Ablösung der EZU durc h
das Europäische Währungsabkommen zu werben87.
Die Werbun g hatt e leichte n Erfolg . Deutschlan d wartet e j a sehnsüchti g darauf ,
von de n Benelux-Länder n wußt e man , daß si e zum Mitgehe n berei t waren , wenn
England un d Deutschlan d vorangingen , un d Frankreic h konnt e i n solche m Fall e
schon aus Gründen der nationalen Würde nicht zurückbleiben. Die britische Regierung, die wußte, daß Ressentiment in derlei Dingen ein schlechter Ratgeber und Takt
auch ein Stück politischer Klughei t war , richtete e s freilich s o ein, daß Frankreic h
nicht zu folgen sonder n mit voranzugehen schien . Frankreich bereitet e sich auf die
Möglichkeit der Ausländer-Konvertibilität, ohne sie willentlich anzustreben, seit einiger Zeit durch die Arbeit a n einem zweiten Sanierungsprogramm vor , das die inzwischen spürbare n Erfolg e de s erste n Programm s konsolidiere n sollte . England s
Ansinnen verlie h de r Arbei t Nachdruck 88 un d s o teilte n Englan d un d di e EWG Länder de m Generalsekretä r de r OEE C un d de m geschäftsführende n Exekutivdi rektor des IMF am 27. Dezembe r 195 8 gemeinsam mit 89, daß ihre Währungen künftig für Auslände r konvertibe l seie n und da ß am übernächsten Tag das EWA an die
Stelle der EZ U trete 90. Andere Lände r schlösse n sic h der Mitteilung wenig e Stunden später an. Am gleichen Tag gab die französische Regierun g bekannt, daß sie ein
weiteres Stabilisierungsprogramm 91 i n Kraft setze , zu dessen außenwirtschaftliche r
Unterstützung si e den Franc um ca. 15% abwerte und i m Schutze der Abwertun g
die Deliberalisierun g de r Import e aufhebe 92. Mehrer e europäisch e Zentralbanken ,
unter ihne n di e Deutsch e Bundesbank , leistete n de m Reformvorhabe n dadurc h
Schützenhilfe, daß sie der BdF kurzfristige standby-Kredit e in beträchtlichem Um fang einräumten 93.
Möglichkeit un d Tatsach e de r koordinierte n Aktio n ware n ei n erste r überzeu gungskräftiger Hinwei s darauf, daß die EZU materiell und moralisch ein Erfolg gewesen und daß sie entbehrlich geworde n war. Ihre ehemaligen Mitglieder, die Türkei, Griechenlan d und Island ausgenommen, hatten zwar dem Rechte nach zunächst
nur di e Ausländer-Konvertierbarkei t ihre r Währunge n proklamiert , praktizierte n
aber fortan auc h ein hohes Maß an - anfang s noch mehr oder weniger abgestufter Inländer-Konvertibilität. I m Umgang miteinande r hielte n si e an der weitgehende n
Liberalisierung des Handels fest und machten von der Möglichkeit monatlich-multilateraler Verrechnun g s o gu t wie keinen Gebrauch . Di e Freigabe de s Handel s mi t
dem Dollar-Rau m macht e rasch e Fortschritt e un d wurd e mi t de m gemeinsamen ,
rechtsverbindlichen Bekenntni s z u Artike l VIII des IMF-Abkommen s schließlic h
87 Z u den gedanklichen Vorbereitungen KAPLAN , SCHLEIMINGER (wie Anm. 2) S. 305ff.
88 Tüngele r an die LZB-Präsidenten a m 27.12.1958, HADB, B 330/1626; BMW an Staatssekretär im
Bundeskanzleramt am 3.1.1959, HADB, N 2/K 19.
89 IM F Press Release Nr. 294 v. 27.12.1958, HADB, N 2/K20.
90 Berich t über die 104. Sitzung des Direktoriums de r EZU und die 1. Sitzung des Direktoriums des
Europäischen Währungsabkommens v. 29.-30.12.1958, HADB, B 330/1626.
91 Emminger , Di e französische n Währungsmaßnahme n (ohn e Datum , geschriebe n Anfan g 1959) ,
HADB, B 330/1282.
92 Vermer k betr . handeis - un d haushaltspolitisch e Maßnahme n Frankreich s z u Jahresbegin n 1959 ,
J 211 v . 7.1.1959, HADB, B 330/1287.
93 Tüngele r an die LZB-Präsidenten am 27.12.1958 (wie Anm. 88).
Zwischen Zahlungsunfähigkeit und Konvertibilität
133
besiegelt. So war die Auflösung de r EZU mit dem Übergang zu umfassender Kon vertierbarkeit zwar nicht identisch, aber sie leitete ihn unwiderruflich ein .
Und di e ironische Pointe an der Sache war, daß derjenige, de r am längsten un d
lautesten danach gerufen hatte, die Konvertierbarkeit gleichsa m von denen beschert
bekam, die er dabei als deren stärkste Gegne r und lästigst e Behinderer z u verdammen nicht müde geworden war.
ULRICH ALBRECH T
RÜSTUNGSFRAGEN I M DEUTSCH-FRANZÖSISCHEN VERHÄLTNI S
(1945-1960)
Einleitung
Das Thema scheint absurd, gibt es doch in allgemeiner Sicht aufgrund des Potsdamer
Abkommens un d de r nachfolgende n Rüstungsbeschränkunge n i m Rahme n de r
Westeuropäischen Unio n von 194 5 bis 1955 kein deutsches Rüstungswesen, so daß
von einem »Verhältnis « Deutschland s i n Rüstungsdingen mi t irgendeinem Partner ,
gar Frankreich, wohl kaum die Rede sein könne. Die nachfolgenden fün f Jahr e bis
1960 galten in der jungen Bundesrepublik dem (nach innen gewandten) Wiederaufbau von Streitkräften un d Rüstungskapazitäten , s o daß praktisch weni g Raum fü r
Rüstungskooperation gegeben zu sein scheint1.
Ähnlich im Widerspruch zu r Formulierung de s Themas scheint der allgemeine n
Wahrnehmung nach die Situation im befreiten Frankreic h zu sein. Dort suchte man
in jener Phase, gleichfalls au f di e eigenen Ressourcen konzentriert , i n einem müh sam nachholenden Wettlau f Anschlu ß an den Rüstungsstandard de r Weltmächte .
So wenigstens da s Selbstbil d etw a i n de m einschlägige n Kapite l »Rekonstruktio n
(1945-1958)« in der offiziösen »Histoire de l'aviation militaire française« der Generäle Christienn e un d Lissarague 2. Auc h di e angelsächsisch e Literatu r zu r Politi k
Frankreichs im besetzten Deutschland, etwa die Schriften von F. Roy Willis, thematisieren deutsch-französische Rüstungskollaboratio n in der Nachkriegszeit nicht 3.
Die Ablehnun g de s Projekt s eine r »Europäische n Verteidigungsgemeinschaft «
durch di e Nationalversammlung i m Jahre 1954 , so ein verbreitetes Bild , zeigte an,
daß Frankreich fü r ein e militärische Kooperatio n mi t dem neuen Deutschland da mals noch nicht bereit war. Der Aufbau de r Bundeswehr bis 1960 erfolgte vorrangig
mit amerikanischen Waffen, s o daß Frankreich in dem hier thematisierten Zeitraum
- s o diese Wahrnehmung weiter - kau m eine Rolle spielen konnte.
1 Fü r diese konventionelle Sichtweise aus neuerer Zeit: Lars BENECKE, Ulrich KRAFFT, Gemeinsam vor
der technische n Herausforderung. Deutsch-französische Kooperation in Rüstung und Technologie,
in: Dokumente . Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog und übernationale Zusammenarbeit, 41 (1985) S. 109-121, hier S. 109.
2 Charle s CHRISTIENNE , Pierr e LISSARAGUE , Histoire de Paviation militaire française, Paris, Limoges
1980, part V, chapitre 1 (Christienne war »Chef du Service Historique de l'Armée de l'Air«, Lissarague ist ein bekannter Luftwaffengeneral). Hier und in anderen französischen Quellen findet sich kein
Hinweis au f die hier thematisierte Kooperation zwischen deutschen und französischen Fachleuten,
obwohl die Ergebnisse dieser Kooperation, etwa die ATAR-Triebwerke, angeführt werden. Ähnlich
andere offiziös e Text e (etwa: L'Office Généra l de l'Air, 1921-1961. Quarante années a u service de
l'Aviation, Paris 1961, bes . S. 37).
3 F . Roy WILLIS , The French in Germany. 1945-1949, Stanford, Cal. 1962; DERS., France, . Germany,
and th e New Europe, 1945-1963, Stanford, Cal. 1965.
136
Ulrich Albrech t
Diese Wahrnehmun g erweis t sic h al s z u oberflächlich . Di e neuer e Forschun g
zeichnet ein sehr viel differenzierteres Bild . Die französischen Nachkriegsregierun gen strebten ähnlich wie die anderen Hauptsiegermächte danach, einen substanziellen Anteil aus der deutschen Technologiebeute zu erwerben, die die Nazis hinterlassen hatten , scho n u m di e Vorsprünge de r andere n Mächt e rasche r ausgleiche n z u
können. Mi t diese m Beitra g wird angestrebt , wenigstens ein e Übersichtsskizze z u
den französischen Bemühunge n zu geben, sich im Zeitraum 194 5 bis 1955 deutsche
rüstungstechnische Kompeten z z u sichern, sowie auch ansatzweise zu beschreiben,
wie die Behörden de r Bundesrepublik a b 195 5 ihrerseits für di e nachholende Ent wicklung der eigenen Kapazitäten die französischen Bemühunge n zu fördern such ten. Auch sollen die typischen Akquisitions- und Transfermuster umrisse n werden.
Ähnlich wie die Russen waren die Franzosen an geschlossenen Arbeitsgruppen von
Waffenfachleuten un d nicht etwa, wie besonders die Amerikaner, lediglich am technischen Spitzenpersonal interessiert. Ein Generaladministrator hebt diese Besonderheit in einem Bericht Ende 1947 hervor, mit kritischem Bezug auf das Verhalten der
französischen Privatindustri e (»Das Rüstungsministerium wußte, welche Techniker
ihm von Nutzen sein konnten, und fand in Deutschland komplette Teams«)4. Ciesla
hebt eine weitere Parallele mit der Sowjetunion hervor : »Interessant ist hierbei, daß
sich die Zwangsverschickung und Abwanderung in die UdSSR und nach Frankreich
in einer ähnlichen Größenordnung bewegt haben«5.
Über das Wirken Deutscher i n der Nachkriegszeit i n den USA, der UdSSR und
Lateinamerika liege n mehrer e Untersuchunge n vor 6. Fü r Frankreich , obwoh l e s
nach derzeitigem Erkennisstand knapp 500 Rüstungsexperten au s der Hinterlassenschaft de s Dritte n Reiche s übernahm , gib t e s in Deutschland kein e solch e Studie.
Auf französischer Seit e hat Gérard Bossuat, in Fortführung seine r Studien über den
industriellen Wiederaufba u Frankreich s i n de r Nachkriegszeit 7, jüngs t wiederhol t
Skizzen zu r Beschäftigun g deutsche r Rüstungsfachleut e i m Nachkriegsfrankreic h
vorgelegt8. Eine vergleichbare Übersicht wurde 1992 von J. Viellain von dem Unter4 Laffo n a n CGAAA (Commissariat généra l au x Affaires allemandes et autrichiennes), 8. Novembe r
1947 (Quelle: Ministère des Affaire s étrangères, Archives de l'Occupation, Dossier T 11) , zit. nach :
Marie-France LUDMANN-OBIER , Di e Kontroll e der chemischen Industrie in der französischen Besat zungszone 1945-1949 , Main z 198 9 (Veröff . de r Kommissio n de s Landtage s fü r di e Geschicht e de s
Landes Rheinland-Pfalz, 13) , S. 147.
5 Burghar d CIESLA , intellektuell e Reparatione n de r SB Z a n die alliierte n Siegermächte ? Begriffsge schichte, Diskussionsaspekt e un d ein Fallbeispiel - Di e deutsch e Flugzeugindustri e (1945-1946) , in:
Christoph BUCHHEI M (Hg.), Wirtschaftliche Folgelaste n des Krieges in der SBZ/DDR, Baden-Bade n
1994, S . 41.
6 Zusammenfassen d daz u Burghar d CIESLA , Da s >Projec t Paperclip < - deutsch e Naturwissenschaftle r
und Techniker i n de n USA (194 6 bi s 1952) , in: Jürgen KOCK A (Hg.) , Historisch e DDR-Forschung .
Aufsätze und Studien, Berlin 1993, S. 294.
7 Vgl . vo n Gérard BOSSUAT, L a France , l'aide américain e et la constructio n européenn e 1944-1954,
2 vols., Paris (Comité pou r l'histoire économiqu e e t financière) 1992; sowie di e älteren Arbeiten: La
modernisation sous influence. Le s premières étapes de l'appel à l'étranger 1944-1949, Paris 1988; und
der Beitrag in Patrick FRIDENSON, André STRAUS (Hg.), Le capitalisme français, Paris 1987, S. 307-325.
8 Gérard BOSSUAT, Les armements dans les relations franco-allemandes (1945-1963). Les nationalismes
à l'épreuve des temps nouveaux, in dem Sonderheft der Revue d'Allemagne e t des pays de langue allemande 25, »Les relation s économique s franco-allemande s a u XX e siècle« , Octobre-Décembr e 1993,
S. 601-615. Daneben die z.T. textgleiche, aber ausführlichere Fassung : »Les armements dans les rela-
Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s ( 1945-1960) 13
7
nehmen Société Européenn e de Propulsio n gegeben 9. Ergänz t werde n Bossuat s
Makrostudien durc h Publikatione n vo n Claude Carlie r vom Centre d'Histoir e de
l'Aéronautique et de l'Espace, der vor allem eine Vielzahl von Einzelheiten etwa zu
dem Triebwerksteam unte r Dr . Oestrich mitzuteile n weiß 10. Mit Schwerpunkt auf
der deutschen Chemieindustrie gibt schließlich Marie-France Ludmann-Obier einige wichtige Angaben zum Transfer deutscher Rüstungsfachleute nac h Frankreich 11.
Solche Studien sind um so notwendiger, als in der Literatur verschiedentlich über
französische Versione n der amerikanischen »Operatio n Paperclip«, der Gewinnung
deutscher Rüstungsfachleute , polemisier t wird . Miche l Bar-Zohar überschreib t einen Abschnitt in seinem Buch »La chasse aux savants allemands«12 gar mit der Zeile
»Man muß den Franzosen zuvorkommen«. John Gimbel berichtet in seiner tonangebenden neuen Studie »Science , Technology and Réparations« wiederholt anhan d
amerikanischer Quellen über französische Versuche, den USA »ihre« Deutschen abspenstig zu machen13. Für die betroffenen Deutsche n berichtet Henrich Focke wiederholt von Reibereien der Franzosen mit den anderen Siegermächten 14. In der aufwendigen Messerschmitt-Biographie vo n Ebert u.a. wird berichtet , wie in Wertach
im Allgäu die Franzosen kurzfristig Unterlage n über die neuesten deutschen Düsenjägerkonstruktionen i n den Händen hielten - di e sie bald jedoch den Amerikanern
wieder herausrücken mußten:
»Die 1. Armee unter Führung von General Jean de Lattre de Tassigny war schon
mehrfach während des gemeinsamen Vormarschs in das den Amerikanern vorbehaltene Gebie t eingedrungen , un d so fielen dies e Unterlagen zunächs t französische n
Spezialisten in die Hände. Darunter befanden sich die Zeichnungsunterlagen für den
Prototyp de r P 110 1 sowie Zeichnungen un d Dokumente de r Projekte P 110 2 bi s
1112. Di e Amerikaner erhielten sie erst am 9. Juni 1945 wieder zurück«15.
tions franco-allemandes (1945-1963)«, in : Centre des Hautes Étude s de l'Armement, Histoir e
de l'Armement e n Franc e d e 1914 à 1962. Actes d u Colloqu e d u 19 Novembre 1993, Paris 1994,
S. 149-206.
9 J. VIELLAIN , Sociét é Européenn e d e Propulsion , Franc e an d th e Peenemünde Legacy, in : 43r d
Congress o f th e International Astronautica l Fédération , Aug. 28-Sept. 5, 1992, Washington, D.C .
(IAA-92-0186). Der Verf. dankt Burghard Ciesl a für den Hinweis auf diesen Bericht .
10 Vo r allem die Dissertation: L'Aéronautique français e de 1945 à 1975, Lavauzelle 1983 . Vgl. auch: Le
développement de l'aéronautique militair e française d e 1958-1970, Cedocar, 1976, die Chronologi e
aérospatiale (1940-1990), Paris 1992, sowie L'aéronautique e t l'espace 1945-1993, in: André CORVI SIER (Hg.), Histoire Militaire de la France, vol.4: De 1940 à nos jours, Paris 1994.
11 LUDMANN-OBIE R (wi e Anm. 4). Vgl. auch ihr e Vorstudie n L a mission du CNRS e n Allemagn e
(1945-1950), in: Cahiers pou r l'Histoir e d u CNRS , No. 3 (1989) S. 73-84, sowie Le contrôle d e la
recherche scientifiqu e e n zone français e d'occupatio n e n Allemagne (1945-1949), in: Revue d'Alle magne 1988, S. 397-414.
12 Michel BAR-ZOHAR , L a chasse au x savants allemands , Pari s 1965, dt.: Die Jagd au f di e deutsche n
Wissenschaftler (1944-1960) , Berlin 1966.
13 Joh n GIMBEL , Science , Technology , an d Réparations. Exploitation an d Plunde r i n Postwa r Ger many, Stanford, Cal. 1990, S. 31,40 (angebliche Entführung vo n elf deutschen Windkanalexperten in
Kochel i n Oberbayern i m Dezember 1945) , S. 41-42 (die Franzosen überbote n amerikanisch e H o norarofferten), S . 46-47 (ei n Bericht au s dem State Department : »W e have caugh t th e French red handed agai n stealing scientists out of our zone«).
14 Sieh e das Kapitel »Sackgassen « und die dort angegeben e Quelle, S. 71f.
15 Han s J. EBERT , Johann B . KAISER, Klau s PETERS , Willy Messerschmit t - Pionie r de r Luftfahrt un d
des Leichtbaues. Eine Biographie, Bonn 1992 , S. 293.
138
Ulrich Albrecht
Wenn die »französischen Spezialisten « dies e Bezeichnung verdienen, werden sie
besonders die Unterlagen zu Messerschmitts erstem Pfeilflügel)äger P 1101 nur unter größten Schmerzen weitergegeben haben. Es handelte sich um die Baupläne fü r
den Stammvate r de r zweite n Generatio n vo n Düsenjägern , welch e i m transsoni schen Bereich mit gepfeilten Tragflügeln operiere n würden. Die Amerikaner bauten
die P 1101 mit ihrer revolutionären variablen Pfeilung zunächs t als Versuchsmuster
Bell X-5 (Erstflug 1951 ) nach. Nach Ansicht von Fachautoren beeinflußte da s Messerschmitt-Konzept s o grundlegend e Baumuste r wi e de n Jäge r Nort h America n
F-86 oder den ersten amerikanischen Pfeilflügelbomber , de n B-47 von Boeing. Die
sowjetische Lawotschki n La-160 , die schwedische SAAB J 29, sowie die argentinische Pulqui II-Entwicklung von Kurt Tank lehnen alle direkt an die MesserschmittKonzeption an. - Di e französischen Fachleut e werden begriffen haben , daß so fortgeschrittene flugtechnisch e Unterlage n zumindes t 194 5 außerhalb de r Kompeten z
französischer Konstrukteur e lagen, damit direkt etwas anzufangen, was vielleicht die
Entscheidung erleichtert hat, dem amerikanischen Druck auf die Überlassung dieser
Unterlagen stattzugeben 16.
Zu betonen ist, daß dieser Beitrag vor allem auf neueren deutschen Materialien beruht, die nach de m Erscheinen de r Vorstudie nunmeh r zugänglic h geworde n sind .
Eine Kommentierung au s französischer Sich t (so wie hier französische Beiträg e erörtert werden) steht aus. Dies e wäre äußerst wünschenswert 17.
Die These
Die Grundthese diese s Beitrages ist, daß 195 5 die deutsch-französische Rüstungs zusammenarbeit nicht neu einsetzt, sondern lediglich neu ansetzt, daß es sich um eine
Kontinuität auf anderer Ebene handelt.
Die erfolgreich e Zusammenarbei t deutsch-französische r Team s vo r 195 5 bei m
Bau von Düsentriebwerken, auf die im folgenden Text vor allem zu verweisen bleibt,
ist in Grundzügen bekannt . Nicht gesehen zu werden scheint jedoch die Breite dieser Kooperation über die ATAR-Linie hinaus in den Jahren bis 1955, besonders im
Raketenbau. Diese bildet nach der These des Verfassers di e Grundlage fü r di e einfache Bereitschaf t französische r Ingenieur e und Manager , sich nach 195 5 - damal s
noch i m Gegensat z zu r öffentliche n Meinun g - au f weitreichend e kollaborativ e
16 Einzelheite n über das Muster Messerschmitt P 1101 ibid., S. 276-282, auch zu den internationale n
Folgewirkungen. Ei n Tableau zu den i m Zitat genannten Folgemuster n Messerschmit t P 110 2 bis
1112 findet sich im gleichen Band, S. 288-290.
17 Aufbauen d au f eine n Beitra g für da s Deutsche Historisch e Institu t au s dem Jahre 199 0 (Ulrich
ALBRECHT, Di e technologische n Komponente n de s deutsch-französische n Verhältnisse s i n de r
Sicherheitspolitik seit Mitte der 60er Jahre, in: Yve s COHEN, Klaus MANFRASS (Hg.), Frankreich und
Deutschland. Forschung , Technologie un d industriell e Entwicklun g i m 19 . und 20 . Jahrhundert,
München 1990 , hier bes. S. 202-205) wird in Auswertung von zwischenzeitlich zugänglic h gewor denen Quellen und Untersuchungen di e in der Vorstudie skizzierte Hypothes e substanziiert , daß
die Rüstungsaktivitäte n vo n Deutsche n i m Nachkriegsfrankreic h erheblich e Bedeutun g fü r de n
rüstungswirtschaftlichen Wiederaufstie g Frankreichs hatten. Die Arbeitsgrundlage für die Erschließung dieser neuen Quellen bildete ein über mehrere Jahre von der Deutschen Forschungsgemein schaft geförderte s Projek t übe r di e Migration deutsche r Waffenfachleut e nac h 194 5 ins Ausland .
Ansonsten werden die Ausführungen de r Studie von 1990 hier nicht wiederholt.
Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960) 13
9
Rüstungsprojekte mi t de n Deutsche n einzulassen , di e di e folgende n Jahr e präge n
sollten. Un d si e erklär t auc h di e weitgehend e Bereitschaf t de s politische n Frank reich, sich zehn Jahre nach Kriegsende für eine ungewöhnlich enge Zusammenarbeit
mit der jungen Bundesrepublik zu engagieren.
Schon in der ersten Hälfte der fünfziger Jahr e läßt sich nachweisen, daß die Industrien in beiden Ländern , die Aufhebung de s deutschen Rüstungsverbote s antizi pierend, sic h aufeinander zubewegten , un d da ß nac h de m Scheiter n de r EV G auf
französischer Seit e ein Prozeß einsetzt, der dann Mitte der fünfziger Jahr e zu einer
raschen Akzeptanz von deutschem Militär und deutscher Rüstungsindustrie führte .
In der zweite n Hälft e de r fünfziger Jahr e werden ein e Reihe kollaborativer Groß projekte für Transportflugzeuge, Seeaufklärer , Düsentraine r und Hubschrauber beschlossen.
Es gibt, zumindest in französischer Sicht , auch Fehlschläge: nach 1960 in der Nuklearzusammenarbeit, zuvor bei zentralen Rüstungsgütern wie Jagdbombern. Auch
kommen französisch e Erwartunge n nich t zu m Tragen , de n beiderseitige n Militär aufwand durc h gezielte Zusammenarbeit z u verringern. Die Rolle der Bundesregierung bleib t hie r genaue r z u untersuchen . Insgesam t läß t sic h ein e bemerkenswer t
unideologische, a n Kooperatio n un d ga r Integratio n interessiert e Politi k de r Ent scheidungseliten feststellen , di e durchaus z u unterscheiden is t von der zeitgenössi schen Haltung der Bevölkerung und der Medien.
Die Studie gilt vor allem Projekten de s Sektors Luftrüstung. I n diesem hightechBereich suchte n di e Franzosen besonder s di e Kooperation de r Deutschen , im Gegensatz zur Heeresrüstung oder dem Kriegsschiffbau. Hie r nicht behandelt werden
die Anfänge de r angestrebten Zusammenarbei t i m nuklearen Bereich , weil die wesentlichen Entwicklungen außerhalb des Berichtszeitraumes fallen.
Deutsche Rüstungsfachleute i m Nachkriegsfrankreich - ei n Tableau
Ludmann-Obier gib t i n ihre r Untersuchun g zu r Kontrollpoliti k i n de r französi schen Besatzungszone an , daß »di e wenigen Daten , über di e wir verfügen, .. . vo n
den dami t befaßte n Dienststelle n de s Rüstungsministerium s (stammen).« 18 Eine m
von ihr zitierten Schreiben des Generalstabs für nationale Verteidigung vom 22. November 1946 zufolge handelte es sich um 800 deutsche Spezialisten, die nach Frankreich verbracht worden seien. Insgesamt, auch alle nichtmilitärisch bedingten Transfers einbeziehend, schätzt Ludmann-Obier, daß »man wohl ohne allzu großes Risiko vo n eine m Gesamtumfan g vo n 200 0 bi s 300 0 Spezialiste n ausgehen « dürfe 19.
Bossuat ha t recherchiert, da ß die französischen Behörde n unter ihre n 9 5 700 deut schen Kriegsgefangene n 677 2 Männe r al s »spécifiquement recrutés « ausgesondert
haben, die augenscheinlich zumeist als Angehörige technischer Berufe Ende 1947 in
Frankreich Arbeitsmöglichkeite n zugewiese n bekamen 20. Weitaus bedeutsamer fü r
18 LUDMANN-OBIE R (wi e Anm . 4 ) S . 153 .
19 Ibid . I n eine r ältere n Arbei t gib t dies e Verfasseri n gleichfall s 80 0 Deutsch e i m Diens t de r franzö sischen Rüstun g an , neben - rech t niedrige n - Vergleichszahle n fü r di e US A un d Großbritannie n
(Marie-France LUDMANN-OBIER , Un aspec t de la chasse au x cerveaux: les transferts d e technicien s
allemands en France 1945-1949, in: Relations internationales 46 (1986) S. 195-208, hier S. 208.
20 BOSSUAT [1993] (wi e Anm. 8) S. 602; BOSSUAT [1994] (wi e Anm. 8) S. 154.
140
Ulrich Albrecht
die Technikentwicklung i n Frankreich al s die Verpflichtung vo n Kriegsgefangene n
mit technische n Berufe n sollt e di e Übernahme vo n ganzen Arbeitsgruppe n deut scher Waffentechniker au s dem besetzten Deutschland werden. Bossuats Ergebnisse
über die Zahl der Rüstungsspezialisten stimme n in etwa mit der Angabe von Ludmann-Obier (800) und meinen Daten überein. Der Forschungsstand21 dazu:
Deutsche Rüstungsexperten im Nachkriegsfrankreic h
Größe des Teams
Leiter
Arbeitgeber, Ort
140
120
100
96
70
46
20
?
Dr. Hermann Oestric h
Dipl.-Ing. Fritz Nallinger
Dr. Otto Müller/Dr. Jauernick
Prof. Hubert Schardin
Dr. K.-W. Maybach
(Dr.-Ing. Kohler)
Dr. Henrich Focke
(Fa. Mauser)
SNECMA, Decize (Nièvre)
Turboméca, Nay
LRB A, Vernon
LRSL, Saint-Louis
AMX, Vernon
ONERA, Paris
SNCASE, Paris
-, Mulhouse
Die Tabelle gibt die Erstverwendung i n Frankreich un d die jeweilige Gesamtzahl Deutsche r wieder ,
ohne Rückwanderer und Abgaben an andere französische Unternehmen .
Die beide n größte n Gruppen , ei n vormaliges BMW-Tea m unte r Oestric h und
ein Daimler-Benz-Team unte r Nallinger, arbeiteten an Luftfahrtprojekten, nämlic h
Düsentriebwerken un d Fernflugzeugen . Auc h di e drittgrößte Gruppe , ehemalig e
Peenemünder Raketenspezialiste n unte r Müller , ist dem Luftfahrtsektor zuzurech nen. Das Maybach-Team sollte zentrale Bauteile schwerer Panzer, vor allem Motoren und Getriebe, bauen. Die Focke-Gruppe begründet e den Hubschrauberbau i n
Frankreich, währen d da s Team um Schardin vorrangi g au s Ballistik-Experten bestand. Die zahlenmäßig nicht bekannte Gruppe, welche die Franzosen aus den Mauser-Werken in ihrer Besatzungszone abzogen, dürfte weiter an Kanonen und Handfeuerwaffen gearbeite t haben . Danebe n liege n Bericht e vo n einzelne n deutsche n
Fachleuten vor, die besonders im Meßwesen in Frankreich tätig wurden22.
Für de n Transfer de r deutsche n Ingenieurgruppe n ka m es wiederholt z u kurz lebigen Neugründungen von Unternehmen in der französischen Besatzungszone . Ein
charakteristisches Beispie l bildet das »Centre Technique de Wasserburg« (CTW) . In
die Orte Wasserburg und Enzisweiler bei Lindau waren vor Kriegsende Teile der Versuchsabteilung der Firma Dornier verlegt worden. Die Franzosen fanden bald Interesse an den modernen Apparature n zu r Schwingungsmessung i m Fluge (Bekämpfun g
21 Hierz u besonders BOSSUAT, ibid.
22 Etw a (mit programmatischem Titel) Hans ROLLA , 3 4 Jahre, mehr als ein Drittel des Jahrhunderts
in Frankreich i m Dienste der SFENA, in: Deutsche Gesellschaf t fü r Luft - un d Raumfahrt e.V. ,
Die Tätigkeit deutscher Luftfahrtingenieure un d -Wissenschaftler i m Ausland nach 1945. Beiträge
einer Vortragsveranstaltun g de r DGLR-Fachgruppe 1 2 »Geschichte de r Luft- un d Raumfahrt «
am 19. März 199 1 im Deutschen Museum in München, Bonn-Bad Godesber g 1992 . Weiter zit. als
»Die Tätigkei t deutsche r Luftfahrtingenieur e un d -Wissenschaftle r i m Ausland nac h 1945« . Der
Verf. dankt Burghard Ciesla für den Hinweis auf diesen Band.
Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s ( 1945-1960) 14
1
des »Flatterns « vo n Tragflügeln ) ode r auc h den Apparate n zu r Prüfun g de r Ermü dungsfestigkeit. Mit der Gründung des CTW sollten die deutschen Teams zusammengehalten und für französische Zwecke dienstbar gemacht werden. Neben einem französischen Capitaine wurde diese Gruppierung vom vormaligen Chef der Dornier-Versuchsabteilung, Dr.-Ing. Kohler, geleitet. Zu erwähnen ist in gleicher Weise ferner etwa
die Firma »Marin e Française, Groupe Aéronavale« , hernach »Apparatebau « i n Hechingen, oder die ATAR-Gruppe in Rickenbach:
»Das CTW hatte die Aufgabe, begonnene wissenschaftliche und Versuchsarbeiten
zu Ende zu führen, schon abgeschlossene Versuche auszuwerten und neue Apparate,
beispielsweise für di e Dehnungsmessung und für di e statische Belastung, weiterzuentwickeln .. . De n Angestellten , Ingenieure n un d Facharbeitern , insgesam t etw a
150 Personen, bot das CTW damals die Chance, fachlich tätig zu bleiben, und materiell, wenn auch bescheiden, zu existieren. Anfang 194 7 wurden die meisten Angestellten entlassen; eine kleine Anzahl verpflichtete sic h zur Dienstleistung in Frankreich«23.
Später wurde das CTW der O.N.E.R.A. unterstellt. Im März 1947 wurd e das CTW
aufgelöst, 47 Deutsch e wurden von der O.N.E.R.A. nach Frankreich übernommen 24.
Die Verbringungszeiten nac h Frankreich fallen seh r unterschiedlich aus . Die ersten drei genannten Gruppe n sowi e das Focke-Team wurden relati v direkt i m unmittelbaren Zusammenhan g mi t de m Kriegsend e nac h Frankreic h verbracht . Di e
Gruppe Schardin arbeitete hingegen von 1950-1959 in Frankreich. Obwohl die erste
französische Suchaktion im Jahre 1945 de n Panzermotorenbauern um Maybach galt,
kam es erst 1955 zum Umzug dieses Teams nach Frankreich.
Das Tableau erfaßt mit Sicherheit nicht alle deutschen Rüstungsfachleute, die nach
dem Kriege beim Wiederaufbau de r französischen Rüstun g tätig waren. Bossuat erwähnt in einer Fußnote weitere Deutsche, etwa eine Materialprüfgruppe um Dr. Forster, die nach Zwischenstationen beim O.N.E.R.A. agierten 25.
Der Flugmeteorologe un d Leite r des vormaligen Deutschen Forschungsinstitut s
für Segelflu g (a n der immerhin auc h Raketenflugzeuge entwickel t wurden), Walter
Georgii, geht in seinen Erinnerungen kurz auf seine Tätigkeit im Arsenal de l'Aéronautique in Châtillon-sous-Bagneux als Abteilungsleiter ein , und schreib t summa risch: »Eine ganze Gruppe von Abteilungsleitern meines ehemaligen Forschungsinstituts war mir nach Frankreich gefolgt« 26. Unter de n so anonym vermittelten An gehörigen der DFS befand sic h u.a. der Raketenpionier Dr . Eugen Sänger (den fü r
die UdSSR z u gewinnen , Stali n persönlich befohle n hatte) . - Georgi i hatt e ferne r
23 Joachi m WACHTEL, Claude Dornier. Ein Leben für die Luftfahrt, Planeg g 1989 , S. 301.
24 Detailliert e Auskünft e übe r dies e Grupp e un d ihr e Tätigkei t i n verschiedene n Bereiche n de r
O.N.E.R.A. gib t Fridoli n SORG , Nachkriegstätigkeite n deutsche r Wissenschaftie r un d Ingenieur e
bei dem Office Nationa l d'Études et de Recherches Aéronautiques (O.N.E.R.A.) i n Paris, in: Deutsche Gesellschaf t fü r Luft - un d Raumfahr t e.V. , Di e Tätigkei t deutsche r Luftfahrtingenieur e un d
-Wissenschaftler im Ausland nach 1945.
25 BOSSUA T [1993 ] (wie Anm . 8 ) Anm. 4 . WACHTE L (wi e Anm . 23 ) S. 301 schein t z u implizieren , da ß
die verbleibenden Deutschen für die O.N.E.R.A. votierten .
26 Walte r GEORGII , Forsche n un d Fliegen . Ei n Lebensbericht , Tübinge n 1954 , S . 314 . Au f S . 10 7
schreibt er : »Weihnach t 1946 . Seit neun Monaten arbeite ich mit mehreren Ingenieuren meines Instituts in Paris, wohin mich der französische Luftfahrtministe r berufe n hatte. «
142
Ulrich Albrech t
(was er in seiner Autobiografie nich t thematisiert) im besetzten Frankreich die technische Aufsicht über ein Lastenseglerprojekt mi t dem damals hochmodernen Laminarflügel, welcher von der S.A. Française des Recherches Aéronautique s (SAFRA )
entwickelt wurde27. Einige Deutsche konnten auf Erfahrungen in Frankreich aus der
Zeit der deutschen Besatzung zurückgreifen .
Es verbleiben beträchtlich e Forschungslücken . O b ferne r - s o di e französisch e
Sicht, zugleich eine Priorität anzeigend - »le père de la V-l«28, Professor Ott o Kraemer, etwa beim Nachbau de r V-l i m Arsenal mitwirkte, ist derzeit offen. Wi e viele
der erwähnte n 677 2 deutschen Techniker , di e aus den Lager n fü r Kriegsgefangen e
ausgesondert wurden , i m Rüstungsbereic h täti g wurden , is t gleichfall s nich t bekannt. Zumindest gemä ß der Wahrnehmung der französischen Elite n sind aber mit
der hie r vorgelegten Zusammenstellun g di e meisten und vo r alle m die wichtigsten
»französischen« deutsche n Rüstungsfachleute erfaßt .
Die angeführten Zahle n gewinnen Profil erst durch den internationalen Vergleich.
Die meiste n deutsche n Fachleut e au s der Rüstun g de s Dritten Reiche s hatt e di e
UdSSR rekrutiert, 300 0 bis 3500 Mann29. Frankreich folg t mi t rund 80 0 Rüstungsfachleuten a n zweiter Stelle. Für die USA, welche ähnlich wie die Sowjets über gut
organisierte Strukturen fü r da s Aufgreifen deutsche r Experten verfügten, wir d eine
durchschnittliche Gesamtzahl von 518 transferierten deutsche n Rüstungsfachleute n
angegeben30. Die Situation i n Großbritannien is t wenig erforscht. Vie l spricht auf grund der restriktiven Haltung der britischen Behörden für die von Ciesla referierte
Zahl von 201 Personen 31. Der britische Historiker Carl Glatt geht in seiner unveröffentlichten Dissertatio n allerdings von einer ähnlichen Gesamtzahl für Großbritan nien aus, wie sie für Frankreich gilt 32. Insgesamt, so Ciesla, sind bei den vier Hauptsiegermächten al s »intellektuelle Reparation « »zwische n 550 0 und 750 0 Personen«
als Naturwissenschaftler un d Techniker deutsche r Nationalitä t nac h 194 5 tätig geworden. Nimm t ma n di e Abwanderun g deutsche r Rüstungsfachleut e i m gleiche n
Zeitraum in andere Länder hinzu, so erhöht sich die Grundgesamtheit - s o Ciesla um weitere 500 Personen33.
27 S o ei n Berich t amerikanische r Dienststelle n kur z nac h de r Befreiung : Majo r Joh n W . Loga n u.a. ,
Aircraft - Pari s zone, Combinée ! Intelligenc e Objective s Sub-Committee , C- 2 Division , SHAE F
[Rear], A P O 413, Aug. 28-Sept. 9 [1944], S. 16. Weiter zit. als »Logan-Bericht« . De r Verf . dank t
Burghard Ciesl a für de n Hinweis au f dieses Dokument .
28 BOSSUA T [1993 ] (wie Anm. 8 ) S. 602; BOSSUAT [1994 ] (wie Anm. 8 ) S. 154. Kraemer hat , hier schei nen di e französische n Dienst e fehlinformier t gewese n z u sein , i m Krieg e i n Kie l un d Eckernförd e
Torpedos entwickelt . Auch war e r nicht promoviert, sonder n wurde, wie es in den technischen Dis ziplinen häufi g geschieht , al s Dipl.-Ing . i n ei n Hochschullehram t berufen . Gerhar d FIESELER , i n
dessen Werk di e V-l unte r de r Bezeichnung F i 10 3 entwickelt un d gebau t wurde, erwähn t i n seine n
Erinnerungen Kraeme r nicht , wohl abe r namentlich ein e Anzahl andere r führender Projektbeteilig ter (Gerhar d FIESELER , Mein e Bah n a m Himmel . De r Erbaue r de s Fiesele r Storc h un d de r V- l er zählt sein Leben, München 1979 , bes. S. 251-267).
29 Ein e genauer e Abklärung diese r Zahl finde t sic h i n dem Forschungsberich t Ulric h ALBRECHT , An dreas HEINEMANN-GRÜDER , Aren d WELLMANN , Di e Spezialisten . Deutsch e Naturwissenschaftle r
und Techniker i n der Sowjetunion nac h 1945 , Berlin 1992 , S. 176f .
30 CIESL A (wi e Anm . 6 ) S . 294 .
31 CIESL A (wi e Anm . 5 ) S . 41 .
32 Ibid .
33 Ibid .
Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960 ) 14
3
Die französisch-deutsche Liaiso n in der Düsentriebwerkstechni k
1. BMW/SNECMA
Wie di e andere n Siegermächt e auc h sucht e di e französisch e Besatzungsmach t di e
technologische Hinterlassenschaf t de s Dritte n Reiche s auszuwerte n un d möglichs t
großen Nutze n au s diese r z u ziehen . I m Vergleich mi t de n andere n Siegermächten ,
besonders den Angelsachsen, ist ihnen dies bemerkenswert gu t gelungen. Die Brite n
zeigten sich überzeugt, daß ihr Pionier in der Technologie der Düsentriebwerke, de r
spätere »Sir« Frank Whittle, mit den Deutschen zumindest gleichauf gewese n sei. Sie
interessierten sic h nicht für di e deutschen Jet-Triebwerke. Ähnlich die seinerzeit vo n
britischer Technologie abhängige n Amerikaner . Lediglic h die US-Navy, welche sic h
in de r Rivalitä t de r amerikanische n Teilstreitkräft e hintangestell t sah , lie ß i n Stutt gart-Zuffenhausen i n de n Heinkel-Werke n nac h 194 5 ein e Kleinseri e vo m Düsen triebwerken de s Muster s HS- 3 bauen 34, u m eine n unabhängige n Zugan g z u diese r
neuen Technologi e z u gewinnen . Der Vorgan g zeigt , wie unbekümmert all e Alliier ten die Bestimmungen de s Potsdamer Abkommens über das Verbot der Fortführun g
von Rüstungsproduktio n i m besetzte n Deutschlan d mißachteten , wen n e s ihren ei genen Interessen förderlich war .
Mit der Option fü r di e Technologielinie der Jets von BMW votierten die französi schen Behörde n fü r di e modernst e Variant e de r Düsentriebwerk e i n de r Hinterlas senschaft de s Dritten Reiches . Unter Leitun g von Dr.-Ing . Hermann Oestric h hatt e
BMW mit seiner Entwicklungsabteilung i m Kriege in Berlin-Spandau entscheidend e
Fortschritte bei m Ba u de r neuartige n Düsentriebwerk e erziele n können . Da s Ent wicklungsteam setzt e sein e revolutionäre n Entwicklungsarbeiten , damal s noc h ge gen die Alliierten, ab Oktober 194 4 unterirdisch i n einem stillgelegten Salzbergwer k
bei Staßfur t for t - fü r di e Entwickler vo n hochmoderne n Düsentriebwerke n gewi ß
ungewöhnliche Arbeitsbedingungen . I m Apri l 1945 , unmittelbar nac h de r Erobe rung diese s Teil s Deutschland s durc h amerikanisch e Truppen , wurd e Dr . Oestric h
mit mehreren Mitarbeitern von amerikanischen Dienststellen verhört. Die aus diesen
Anhörungen gewonnene n Erkenntniss e veranlaßte n di e amerikanische n Behörde n
mit Blick au f di e Tatsache, daß die Russen i m Sommer 194 5 gemäß den inter-alliier ten Abkommen übe r die Aufteilung de r Besatzungszonen Staßfur t besetze n würden ,
die BMW-Düsentriebwerksexperten mitsam t ihre n Familien schleunigs t i n die amerikanische Zon e z u verlegen . Di e Triebwerksexperte n kame n provisorisc h i m vor maligen BMW-Wer k Milbertshofe n i n Münche n unter , w o sic h ei n technologisc h
anspruchsvoller Höhenversuchsstan d fü r Düsenantrieb e befand 35.
Hier setzte eine Phase intensiver Befragungen durc h Offiziere de r drei westalliierten Mächt e ein . A m End e kristallisiert e sic h fü r di e BMW-Grupp e ein e deutlich e
Alternative heraus. Die amerikanischen Verantwortlichen, wie in anderen Fällen auc h
34 Dies e Episode berichte t Erns t HEINKE L in seinen Erinnerungen, Stürmische s Leben , Preetz/Holst. ,
5. Aufl. 1963 , im Anhang .
35 Dies e Herbitus genannt e Anlage wurde 1945/4 6 in die USA verbracht und war einer deutschen Veröffentlichung au s dem Jahre 198 4 zufolge »heut e noch au f dem Air Force Arnold Engineerin g Center i n
Tullahoma, Tennesse e fü r di e Erprobun g amerikanischer , militärische r Großtriebwerk e i m Einsatz «
(Erinnerungen 1934-1984 . Flugtriebwerkbau i n München, Hg. MTU München, München 1984 , S. 62).
144
Ulrich Albrech t
an den Führungskräften vo n Technologieteams interessiert, offerierten Oestrich und
elf seiner Mitarbeiter Verträge. Die Briten zeigten sich nicht interessiert. Die Franzosen hingegen, des enormen Potentials de r Gruppe für de n Aufbau eine r eigenstän digen Düsen-Triebwerkindustrie i n Frankreich gewahr, boten an, Dr. Oestrich und
120 seiner Mitarbeiter Wirkungsmöglichkeiten i n Frankreich zu geben. Gimbel berichtet, daß in der Sicht der amerikanischen Dienststelle n da s BMW-Team von den
Franzosen mehr oder minder entführt wurde 36.
Der Rest der Story war für di e französischen Dienst e Routine. Die Gruppe »O «
(für Oestrich, unter französischer Mißachtun g des Umlauts) war in die französisch e
Zone zu verbringen. Die BMW-Ingenieure wurden i m November 194 5 in ein vormaliges Dornier-Zweigwerk nac h Lindau-Rickenbac h a m Bodensee umgesiedelt 37.
Der selbstgewählte Name der Gruppe, ATAR, im Protest gege n den Code-Name n
Gruppe »O« angenommen, spiegelt bis heute verkappt diesen Neubeginn: unter französischer Obhu t beganne n di e vormaligen BMW-Mitarbeite r nunmeh r fü r Frank reich Düsentriebwerk e z u entwickeln , al s »Atelie r Aéronautique de Rickenbach« .
Das Werk Rickenbach wurde 1948 , nach dem Abzug des ATAR-Teams, der Firma
Dornier demontiert zurückgegeben .
Im Oktober 1945 , noch im bayrischen Milbertshofen, hatte n die Entwurfsarbei ten für di e Serie von Düsentriebwerken begonnen , die zehn Jahre später unter de r
Bezeichnung ATAR 101 (ATA R 1, Projekt 1 ) eine Weltkarriere antreten sollten. Zugleich wurde die Gruppe zunehmend französisiert. Da s Ministère de PAir beschloß
im Juni 1946 , dem deutschen Team französische Ingenieur e zu attachieren, und die
vormaligen BMW-Ingenieur e au s de r Besatzungszon e nac h Deciz e a n de r Loir e
(Dept. Nièvre) zu verlegen. Die deutsche Gruppe wurde »mit den zunehmend zahlreicher werdenden französischen Mitarbeitern« 38 unter der verschleiernden Bezeichnung »Groupe Technique Voisin« dem gleichnamigen Unternehme n Société Aéroplanes Voisin, einen der großen Namen der französischen Luftfahrtgeschicht e nut zend39, faktisch de r SNECMA (Société Nationale d'Études et de Constructions des
Moteurs Aéronautiques) , dem führenden Staatsbetrie b fü r Flugmotoren , zugeord net. 195 0 ging Voisin in di e SNECM A über . 195 3 gelangten di e deutschen Trieb werkbauer endgülti g an den Ort ihre r Bestimmung: in der Nähe des Flugversuchszentrums Villaroche im Süden von Paris kamen sie nach Dammarie-les-Lys i m Departement Seine et Marne. Dr.-Ing. Oestrich stieg 1950 zum »Technischen Direktor«
der SNECMA für den Bereich Gasturbinen auf 40.
36 »The y spirite d awa y twelv e specialist s who ha d already been selected an d cleared for eventual évacuation to the United States and whom the U.S. Air Forces employed temporarily at Bayrische Motorenwerke (BMW ) i n Munich while contractua l détails were bein g worke d out« , GIMBE L (wi e
Anm. 13 ) S. 31 .
37 De r klein e Ort Rickenbach wird in der französischen Literatu r durchweg falsch mi t »Richenbach «
wiedergegeben. Über dieses Dornier-Werk informier t i n Einzelheiten ein e Sonderausgabe der Dornier-Post au s dem Jahre 1984 , nachgedruckt i n dem zitierte n DGLR-Berich t 87-0 3 (wi e Anm. 22),
mit Bezugnahme auf die ATAR-Entwicklung bes . S. 62.
38 Kyril l von GERSDORFF , Kurt GRASMANN, Flugmotoren und Strahltriebwerke, Koblenz 21985, S. 226.
39 Vgl . Claude CARLIER , L'Aéronautique Française 1945-1975, Lavauzelle 1983 , S. 13.
40 Oestric h blieb für ein Jahrzehnt bis 196 0 in dieser Funktion. 196 2 wurde er zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. Bis zu seinem Ableben 1973 stand er der SNECMA al s Berater zur Verfügung. Weitere
Einzelheiten bei BOSSUAT [1994] (wie Anm. 8) S. 160-165 (der Oestrich gar zum Professor macht).
Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältnis (1945-1960) 14
5
Das ganze Manöver zeigt deutlich die Handschrift de r Geheimdienste: die Wahl
von Zwischenstatione n fü r da s deutsch e Team , di e Nutzun g vo n Tarnnamen .
Oestrich erwarb 1948 die französische Staatsbürgerschaf t - ei n für Deutsche damals
ungewöhnlicher Vorgang. Dies verweist darauf, daß man sich auf französischer Seit e
des überragenden Wertes der BMW-Gruppe für de n Aufbau eine r modernen Flugmotorenindustrie im Nachkriegsfrankreich vol l bewußt war.
Oestrich beließ wichtige Mitarbeiter i n Frankreich in eben den Funktionen, die
sie in Berlin-Spandau i m Kriege ausgeübt hatten . Die wichtigste Abteilung , Kon struktion, unterstand hier wie dort Hans Roßkopf. Die Vorentwicklung wurde von
Dr. Münzberg geleitet , der zuvo r i n Berlin al s Aerodynamiker vergleichbar e Auf gaben erfüllte. Alfred Renner , im Kriege Verantwortlicher für die Konstruktion der
Muster BMW 003 und 018, übernahm beim ATAR eine ähnliche Funktion 41. Auch
wandte Oestrich, was einen raschen Erfolg ermöglichte, konstruktive Vorgaben aus
dem Dritten Reich an. Im Oktober 1948 beschrieb er seine Vorgehensweise selbst:
»Bei de r Auslegun g de s ATA R 10 1 ware n insbesonder e zwe i Gesichtspunkt e
maßgebend. So sollte einmal die Konstruktion so erfolgen, daß keinerlei Risiko eingegangen werden mußte, d.h. es sollten nur bewährte Bauteile verwendet werden .. .
Als zweiter Gesichtspunk t tra t di e Ausnutzung de s kleinen Durchmessers be i der
Projektierung des ATAR 101 besonder s in Erscheinung«42.
Der zweitgenannt e Aspek t bedar f de r Erläuterung . Nebe n de n Axialkompres soren, denen Oestrich mit ihrem geringen Stirnquerschnitt weitsichtig den Vorrang
gab, wurd e der zeitgenössische Düsentriebwerkbau besonder s im damals führende n
England von Jets mit Radialkompressoren bestimmt , weil vermeintlich di e Radialbauweise zusätzliche Verdichtereffekte erbrachte . Besonders für Überschallflugzeu ge setzte sich aber die axiale Bauweise mit ihren geringen Querschnitten durch.
Das Düsentriebwerkprojekt ka m zügig voran. Im Juni 1946 gingen die ersten Sätze
von Zeichnungen für de n Bau der Versuchsmuster a n die SNECMA. Am 26. März
1948 fand der erste Probelauf eines ATAR statt, 1949 erfolgten Dauertests, Ende 1949
wurde di e Flugerprobun g i n mehrmotorige n französische n Flugzeuge n begonnen .
Im Rahmen einer insgesamt dreißigjährigen Entwicklung erreichte der ATAR Schritt
für Schritt hohe Reifegrade in der Zuverlässigkeit und im Leistungsvermögen.
Die ATARs von SNECMA dominierten rasch den französischen Düsentriebwerk bau. Hispano-Suiza, der Hauptkonkurrent de r SNECMA, setzte auf den Lizenzbau
und di e Weiterentwicklung britische r Düsentriebwerke, vor allem von Rolls-Royce.
Nach Anfangserfolgen (solc h ein britisches Aggregat sorgte etwa für den Antrieb von
Dassaults erstem Düsenjäger, dem Muster M.D. 45 0 Ouragan) gab Hispano-Suiza auf.
Die traditionsreiche Firma Société Râteau, die - wi e ein zeitgenössisches britische s
Handbuch hervorhebt - ga r unter deutscher Besatzung die Jet-Entwicklung fortsetzte
(»clandestine work continued under considérable difficulties«)43, fiel mit ihrem durchaus überzeugende n 101-Entwurf durch und gab bald darauf ebenfalls auf. Turboméca,
41 Grundlag e dieser Ausführungen is t eine Datenbank, in der die Namen der meisten Deutschen, die in
Frankreich im Rüstungssektor tätig wurden, enthalten sind.
42 Herman n OESTRICH , Vom BMW 003 zum ATAR 101 , Teil II: Der ATAR. Aufbau, Funktion, Fertigung. Interner Bericht, vervielf. Man., 1948.
43 Leonar d BRIDGMAN, Jane's All the World's Aircraft, 1951-52 , London 1951 , S. 18d.
146
Ulrich Albrecht
später di e Nr . 2 i m französische n Flugmotorenbau , konzentriert e sic h au f Klein triebwerke, bemerkenswerterweis e auc h zunächs t i n eine m deutsch-französische n
Projekt.
2. Daimler-Benz/Turboméca
Ab November 194 5 sammelte n die Franzosen in ihrer Besatzungszone in Bregenz am
Bodensee eine zweite Gruppe von deutschen Triebwerkspezialisten au s dem Bereich
der BMW-Konkurrenz Daimler-Benz . Das schwäbische Prestigeunternehmen hatt e
im Dritte n Reic h spä t sein e Dominan z i m Flugmotorenba u auc h i n di e neuartig e
Technologie der Düsenmotoren fortzusetzen versucht , mit wenig Erfolg. Die Daimler-Projekte litten unter überhöhten Vorgaben (so wollte man im Kriege die Konkurrenz durch Zweistromtriebwerke ausstechen), sowie vor allem unter überambitiösen
Flugzeugentwürfen. S o hatte Dipl.-Ing. Fritz Nallinger, im Kriege für dies e Projekte
verantwortlich, später im Nachkriegsdeutschland prominente s Mitglied des Vorstandes de r Daimler-Ben z AG , kompliziert e Huckepack-Bombe r konzipiert , u m vo n
Deutschland aus New York erreichen zu könen. Sein Projekt »A« sah ein vielmotoriges Trägerflugzeug vor , welches zwische n seine n überhohen Fahrwerkbeine n eine n
Bomber i n groß e Höhe n un d übe r eine n große n Tei l einer interkontinentale n An flugstrecke schleppe n sollte . Statt eine s Bomber s sucht e Nallinge r i m Nachkriegs frankreich nunmeh r ei n Huckepack-Passagierflugzeug fü r transatlantisch e Strecke n
zu entwickeln, Bezeichnung nunmehr Ultra-Rapid/UR-1. Ein Trägerflugzeug sollt e
wie beim Daimler-Benz-Projekt »B « mit vier Propellerturbinentriebwerken ei n untergehängtes Düsenflugzeug über den ersten Teil einer Transozean-Strecke befördern .
Joseph Szydlowski, Gründer und Präsident der Société Turboméca, nahm direkten Antei l a n de r Akquirierun g de s deutsche n know-how . Sei n 193 8 gegründete s
Unternehmen war im Juni 1940 vo n Billancourt nach Bordes in den Pyrenäen verlegt
worden (zwische n Pau und Lourdes gelegen) un d konnt e hoffen , aufgrun d de r
größeren Kontinuität seiner Tätigkeit (im Vergleich zu den um Paris herum angesiedelten Konkurrenzunternehmen) i m Flugmotorenbau i m Nachkriegsfrankreich di e
Führungsrolle zu übernehmen.
Über den Beginn der Tätigkeit der Gruppe informiert ei n Beteiligter:
»Nach einer Reihe von Kontaktaufnahmen versammelt e sich im Winter 1945/4 6
unter Leitun g von Herrn Nallinge r ein e Gruppe von Ingenieure n vorwiegend vo n
Daimler-Benz, aber auch von Junkers und Heinkel und von Fachleuten auf Spezialgebieten, di e fü r Triebwerksentwicklunge n wichti g waren , i n Lindau/Bodensee .
Auch eine Focke-Wulf-Gruppe unte r Mittelhuber und Quenze r und ein e Gebläsegruppe unter Dr. Eckert schlössen sich uns an. Die französischen Behörde n stellten
der deutschen Gruppe das ehemalige Dornier-Werk in Bregenz-Tannenbach als Arbeitsplatz zu r Verfügung . Si e brachten un s auc h mi t de m Che f de r französische n
Firma >Turboméca<, Herrn Szydlowski, in Verbindung, der sich darum bemühte, die
Gruppe bei sich anzustellen«44.
44 Geor g OBERLÄNDER, Die ersten Kleingasturbinen für die Luftfahrt. Erinnerungen an die Aktivitäten be i Turboméca in Frankreich , in : Deutsche Gesellschaf t fü r Luft - un d Raumfahr t e.V. , Di e
Tätigkeit deutscher Luftfahrtingenieure un d -Wissenschaftler i m Ausland nach 1945, S. 30. Zu der
deutschen Gruppe bei Turboméca s. auch BOSSUAT [1994] (wie Anm. 8) S. 157.
Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s ( 1945-1960) 14
7
Ab Dezembe r 194 5 schloß Turboméca Anstellungsverträge mi t de n Deutschen .
Im Juni 1946 wechselt e die Gruppe von mittlerweile etwa 125 deutsche n Ingenieuren
und Technikern per Sonderzug45 zu Turboméca nach Frankreich. Sie wurd e provisorisch in Nay, rund zeh n Kilometer von Bordes entfernt, untergebracht 46. Das deutsche Team konzentrierte sich zunächst auf die Entwicklung der schweren Triebwerke
(6000 kp Schub, im Vergleich zu den etwa 2000 kp des ATAR) für da s TransozeanFlugzeug UR-1 .
Firmenchef Szydlowsk i benötigt e run d ei n Jahr, u m z u begreifen , da ß e r ein e
grandiose unternehmerische Fehlentscheidung getroffen hatte . Seine Firma war von
dem Projekt, Huckepack-Flugzeuge und die Triebwerke dafür z u entwickeln, technisch und aufgrund ihrer bescheidenen Größe einfach überfordert. Da konnten auch
die Deutschen nicht als Ausgleich dienen. Ende 1947 wurden die Arbeiten abgebrochen. Die Mehrzah l de r deutsche n Ingenieur e un d Technike r kehrt e Anfan g 194 8
nach Deutschland zurück .
Szydlowski behielt rund 20 Deutsche zurück 47, um ein realistischeres und späte r
ungemein erfolgreiches Firmenkonzept umzusetzen, den Bau von kleinen Gasturbinen al s Antriebe fü r Kleinfluggerät . Au s der Triebwerkentwicklung klaubt e e r die
sogenannte »Grupp e Eckert « heraus , die für di e anspruchsvollsten Komponenten ,
Verdichter und Turbinen, zuständig gewesen war, und e r bot rund eine m Dutzen d
weiterer Deutscher Verträge für eine weitere Zusammenarbeit an 48. Das Wirken dieser Gruppe läßt sich technologisch bis heute nachzeichnen. Die von den Deutschen
schon im Kriege bevorzugten Ringbrennkammer n (anstell e der ansonsten vorherr schenden Einzelkammern), bei Turboméca mit rotierender Einspritzung, sind nach
wie vor Charakteristikum dieser Technologielinie geblieben.
In de r staatliche n französische n Politi k spielt e di e Nallinger-Truppe erkennba r
immer eine sekundäre Rolle und gal t allenfalls al s eine Art Rückversicherung, fall s
das BMW-Team unter Oestrich nicht anschlagen sollte. Die französischen Behörde n
verzichteten auf die Tarnmanöver, welche sie im Falle BMW für erforderlich hielten,
und ließen das Nallinger/Turboméca-Team direkt von Bregenz nach Südfrankreic h
wechseln. Ein transozeanisches Passagierflugzeug wa r damals gewiß von geringerer
Priorität als ein Triebwerk für künftige Kampfflugzeuge .
Eine deutsche Luftfahrtgeschicht e verzeichne t dennoc h eine n allgemeineren Er folg der Turboméca-Affaire:
45 OBERLÄNDE R (wi e Anm . 44 ) S . 30 .
46 BOSSUA T [1993 ] (wi e Anm . 8 ) S . 60 2 gib t da s nah e Tarbe s al s Standor t de r Nallinger-Grupp e an .
OBERLÄNDER (wi e Anm . 44) S. 30 f. referier t Einzelheiten : »Da s Werksgelände war ein ehemalige s
Gut. De n Gutsho f bewohnt e Szydlowski , i n eine r ehemalige n große n Scheun e wa r di e Werkstat t
mit einer Reihe von Werkzeugmaschinen untergebracht , und im Verwaltungsgebäude ware n Büro s
eingerichtet. Nu n wurd e fü r di e deutsch e Grupp e un d di e scho n i n Borde s tätige n französische n
Mitarbeiter im benachbarten Ort Nay di e Halle einer ehemaligen Textilfabrik al s Arbeitsplatz ange mietet.«
47 Ein e nennenswert e Grupp e diese r Fachleut e wandert e nac h Argentinie n aus , vgl. di e Dissertatio n
von Ruth STANLEY , Die Migration deutscher Natur- und Technikwissenschaftler nac h Lateinameri ka (Diss. FU Berlin 1996).
48 Einzelheite n zu r Kleinturbinenentwicklun g be i Turboméca ausführlich be i OBERLÄNDE R (wi e
Anm. 44), dem nachmaligen Chef dieser Abteilung.
148
Ulrich Albrech t
»Nach dem Abbruch de r Arbeiten a n den großen Triebwerken entstan d ein e im
wesentlichen mit deutschen Spezialisten in der Leitung besetzte effektive Organisa tion, mit vielen jungen französischen Ingenieuren« 49.
Deutsche als Begründer von euro-französischer Raketentechnologi e
1. Peenemünde/LRBA
Beim Versuch des befreiten Frankreich , zügig Anschluß a n den Rüstungsstand de r
führenden Militärmächte zu gewinnen, standen verständlicherweise auch in der Luftrüstung die »Wunderwaffen« de s Dritten Reiches, die Flugbombe V-l sowie die Fernrakete V-2, au f der Prioritätenliste obenan. Immerhin war Paris Ziel von V-2-Raketen
gewesen (e s wurden 2 1 Einschläge i m Stadtgebie t verzeichnet , vo n insgesam t 7 8
V-2 Angriffe n au f französische s Territorium) 50, und e s gab Startanlage n fü r V-l Geschosse au f französische m Gebiet . Nac h de r Befreiun g stellte n di e überrasch ten französischen Behörde n fest, daß ihr Land gar an der Produktion der deutschen
V-Waffen beteilig t gewesen war. I n der Region Longwy fanden sich nach dem Rückzug de r Deutsche n Vorbereitunge n fü r di e täglich e unterirdisch e Fertigun g eine r
Großserie von 10 0 bis 15 0 V-l. I n Watten i m Departement Nor d hinterließe n di e
Deutschen Produktionsanlagen fü r Treibstoffe de r V-2 sowie Startanlagen für dies e
Rakete.
Es war vor allem das Verdienst eines Mannes, Professor Henri Moureu, Leiter des
wissenschaftlichen Dienste s de r Stad t Paris , der au s zahlreiche n Einzelheite n wi e
den Einschlagdaten deutsche r Waffen Informatione n übe r di e V-Waffen sammelte ,
daß da s unabhängig e Frankreic h zügi g eigen e Erkenntniss e übe r dies e neu e Rü stungstechnik erhielt 51. Ab Mai 1945 arbeitete Moureu nicht mehr allein. Die französischen Behörden bildeten, nach alliiertem Vorbild, eine »Groupe Opérationnel des
Projectiles Autopropulsés« (G.O.P.A.), um gezielt deutsche Raketentechnologie zu
beschaffen. Au f Vorschla g de r D.E.F.A . vo m 13 . August 194 5 wurde di e Grupp e
dann am 14. November 194 5 in das »Centre d'Études des Projectiles Auto-propulsés« (C.E.P.A.) unter der Leitung Moureus umgewandelt.
Am 9 . Mai 1945 , unmittelbar nac h der deutsche n Kapitulation , brac h Professo r
Moureu a n der Spitze einer französischen Delegatio n auf , u m in der französische n
Besatzungszone di e - s o der deutsch e Tarnnam e - »Porzellan-Fabrik « i n Ober Raderach a m Bodense e z u untersuchen . Hinte r diese m Name n verbar g sic h ein e
Prüf- und Abnahmeeinrichtung für Raketenmotore n der V-2. Moure u empfahl de n
französischen Dienststelle n de n sofortige n Abba u de r Einrichtunge n i n Raderac h
und deren Überführung nac h Frankreich 52. Unmittelbar darauf, vom 7. bis 29. Jun i
1945, bega b sich Moureu auf eine noch anspruchsvollere Reise in die amerikanische
Besatzungszone nach Nordhausen am Südhang des Harzes, wo bald die Russen einziehen sollten. Am 15. Juni erhielten die sehr beeindruckten Franzosen von den ame49 Vo n GERSDORFF , GRASMAN N (wi e Anm . 38 ) S . 231 .
50 S o VIELLAI N (wi e Anm . 9)S . 2 .
51 Daz u i m einzelne n VIELLAIN , ibid. , S . 3f , sowi e mi t de n gleiche n Detail s BOSSUA T [1994 ] (wi e
Anm. 8) S. 158-160 .
52 VIELLAI N (wi e Anm . 9 ) S . 4 .
Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s ( 1945-1960) 14
9
rikanischen Dienststellen di e Erlaubnis, die unterirdischen Stolle n der »Mittelwer ke« zu besichtigen, in denen KZ-Häftline V- l un d V-2 gefertigt hatten . Moureu erreichte, daß die Amerikaner den Transfer von neun Bahnwaggons mit V-Waffenteilen nach Frankreich gestatteten , worunter sic h vier komplette V-l-Geschoss e un d
Vierfachsätze von V-2-Bauteilen (den Düsen, Turbogeneratoren und Servomotoren)
befinden sollten . Mi t Datu m 18 . Juni 194 5 erhielt Moure u ga r di e Mitteilun g de s
amerikanischen Oberkommandos , da ß Frankreic h zeh n vollständig e V- 2 erhalte n
würde. Am 27. Februa r 194 6 teilte freilich da s War Department in Washington mit,
daß die USA diese Zusage nicht aufrecht erhalten könnten 53.
Eine dritte Reis e von Moureu i n das besetzte Deutschland gal t dem V-2-Test gelände in Lehesten in Thüringen. Hier befragten di e Franzosen nunmehr deutsche
kriegsgefangene Experten und nahmen als Beobachter an Testläufen von V-2-Motoren teil. Auf britische Einladung beobachtete Moureu ferner gemeinsa m mit seinem
Assistenten, Chovin, und Hauptmann Carrière im Oktober 194 5 ein Probeschießen
von V-2 Raketen in der Nähe von Cuxhaven, die »Operation Backfire«. Es handelte
sich um ein illustres Treffen: die Briten hatten auch Amerikaner und Russen eingeladen. Au f russische r Seit e waren unte r andere n di e späte r führende n Raketenkon strukteure S.P. Koroljo w und W.P. Gluschk o dabei54. ,
k
Bei dieser Gelegenheit ba t Moureu die Russen um die Gelegenheit, Peenemünd e
zu besuchen. Die sowjetischen Militär s sagten dies zu, hielten sich aber später nicht
an dieses Versprechen. Da sich rasch herausstellte, daß Amerikaner und Russen das
deutsche Potential bei den zukunftsträchtigen Rakete n unter sich wirksam aufgeteil t
hatten, blieb den Franzosen später vor allem die Option für die V-l.
Das Laboratoire de Recherches Balistiques et Aérodynamiques (LRBA)55 in Vernon a n der Seine diente als Sammelbecken alle r deutschen Raketenfachleute , dere r
die Franzosen habhaft werden konnten. Das LRBA wurde 1946 als »zentrale Regierungsbehörde gegründet, um die nationalen Bemühungen zur Entwicklung von ballistischen Raketen und Raumfahrttechnik z u koordinieren und zu steuern«56.
Erste Station aller Peenemünder, die in die französische Zon e gelangten, war ab
1946 das Städtchen Emmendingen nördlich von Freiburg. Dorthin wurden 28 deutsche Aerodynamikfachleute verlegt , die mit ihrem Überschallwindtunnel von Peenemünde nach Kochel in Oberbayern gelangt und von den Amerikanern den Franzosen überlassen worden waren. Im Herbst 194 5 wurde diese erste Gruppe von Peenemünder Spezialiste n unte r Vertra g genommen 57. I n de n Personalunterlage n de r
Deutschen steht wiederholt »LRB A Emmendingen« - s o als ob dieses französisch e
Staatsunternehmen ein e förmlich e Außenstell e i n Deutschlan d unterhalte n hätt e
(dies schreibt etwa der renommierte Aerodynamiker Dr. Klaus Oswatitsch, der zu53 Ibid. , S. 5.
54 Ibid. , S. 6.
55 Au f Vorgängerinstitutione n wi e da s Centre d'Étude s des Projectiles Autopropulsé s (CEPA) ode r
das Centre d'Études de Fusées in Vernon wird hier vereinfachend nich t weiter eingegangen.
56 Rober t S. NORRIS, Andre w S . BURROWS , Richar d W . FIELDHOUSE , British , French , an d Chines e
Nuclear Weapons, Vol. V des Nuclear Weapons Databook, Boulder , Col. 1994, S. 194. In dieser informativen Gesamtdarstellun g de r französischen Kernwaffenentwicklun g un d der Trägermittel fin det die deutsche Zuarbeit keinerlei Erwähnung .
57 VIELLAI N (wi e Anm . 9 ) S . 6 .
150
Ulrich Albrecht
vor für zwe i Jahre bei m Royal Aircraft Establishmen t i m englischen Farnboroug h
tätig gewesen war). Dieses Detail illustriert die Zielstrebigkeit, mit der in Frankreich
Raketenfachleute au s dem Dritten Reic h in eine zentrale Einrichtun g fü r di e Ent wicklung unbemannter Flugkörper integriert werden sollten.
Die erste n Kontakt e zwische n de n Peenemünde r V-2-Konstrukteure n un d de n
Franzosen entstanden eher zufällig. Im Frühjahr 194 6 kam Dr. Helmut Weiß, der bis
zu diesem Zeitpunkt mi t dem britischen Ministr y o f Suppl y (MOSEC, mit Stand orten in Cuxhaven und Trauen bei Munster) in V-2-Fragen einen Vertrag hatte, aus
familiären Gründe n nac h Emmendingen, und hörte von dem Interesse der Franzosen an Raketen. Bei seiner Rückkehr erzählt e er im Kollegenkreis davon, und zwe i
weitere Ex-Peenemünder, Dr. Jauernick und der Ingenieur Helmut Habermann, bekundeten Interess e daran , mi t französische n Dienststelle n Kontak t aufzunehmen .
Dr. Graf , vormal s Betriebsleite r de r Aerodynamikergrupp e i n Kochel , nunmeh r
Verwaltungsleiter de s Büro s i n Emmendingen , dient e al s Mittelsmann . Jauernick ,
Habermann un d Weiß erhielten a m 6. Mai 194 6 von der D.E.F.A. Anstellungsver träge. Die französischen Offizier e erklärte n de n Deutschen, daß sie an der Anstellung weitere r deutsche r Raketenfachleut e interessier t seien , un d nannte n Quote n
von bis zu 35 Deutschen fü r ein e Gruppe, die Raketenantriebe baue n sollte, sowie
von 25 Deutschen, die an Raketensteuerungen arbeiten sollten58.
Im Mai 1946 setzt das »deutsche« Raketenprogram m de r französischen Arme e
in Emmendingen vol l ein. Am 15 . Mai 194 6 und in den folgenden Tage n wurde n
35 Dienstverträge mit Peenemündern abgeschlossen, die vom britischen MOSEC zu
den Franzosen überwechselten, oder die von den neuen deutschen Mitarbeitern fü r
französische Dienst e angeworbe n wurden . Bi s zu r Überführun g nac h Frankreic h
von März bis Mai 194 7 wuchs das LRBA Emmendingen au f run d 10 0 Mitarbeiter
an59. In den Nachbarstädten Denzlingen und Riegel wurden weitere Räume für di e
Deutschen und ihr e Familien freigemacht. Emmendinge n blie b der zentrale Standort, welche r direk t de r französische n Militärregierun g i n Baden-Bade n unterstell t
wurde. Jauernick, der bis in die Tage der Ariane-Rakete in führenden Positione n dieser Art in Frankreich arbeiten sollte, wurde zum Leiter der Gruppe »Études Aérodynamiques Propulsion« bestimmt. Dr. Otto Müller übernahm die Gruppe »Études
Aérodynamiques Guidage«.
Eine kleinere Gruppe von zwölf anderen Raketenfachleuten wa r schon im Oktober 1946 nach Puteaux verbracht worden. Vier Deutsche erhielten dort den Auftrag,
von den Briten überlassene V-2-Unterlagen zu sichten und zu ergänzen.
Aufgabe der Raketengruppen war die Ergänzung der französischen Beständ e von
technischen Unterlagen über die V-2 und die Flugabwehrrakete Wasserfall. Außer dem sollten die Deutschen die Anlagen für ein e Flugkörperentwicklung un d -ferti gung in Frankreich entwerfen. Im August 1946 war ein erster nennenswerter Erfol g
zu verzeichnen. Heinz Bringer, in Peenemünde Assistent eines der deutschen Raketenpioniere, Walter Riedel, legte in Riegel die Bauzeichnungen für ein Raketentriebwerk mi t 40 Tonnen Schub vor. Neuartig war ein die Konstruktion gegenübe r de r
58 Detail s nach VIELLAIN, ibid., S. 9.
59 Di e erste Gruppe Emmendinger, die aus Kochel kommende Aerodynamikgruppe, ging nicht nach
Vernon, sondern 1950 zum LRSL in Saint-Louis.
Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältnis ( 1945-1960) 15
1
V-2 vereinfachende r Gasgenerator , mi t de m Bringe r seinerzei t be i Wernhe r vo n
Braun nicht zum Zuge gekommen war. Der Bringersche Entwurf profitiert e ferne r
von den Arbeiten bei m MOSEC. Jahrzehnte späte r zeichnete Bringer verantwort lich für den Viking-Motor der europäischen Trägerrakete Ariane.
Ein Bericht über den Stand der Arbeiten vom 23. Dezember 1946 endete mit dem
Vorschlag, etwa 30 V-2-Raketen aus vorhandenen Bauteilen und noch herzustellenden Komponenten in Frankreich zu fertigen un d zu verschießen. Rund drei Viertel
aller V-2-Teile für diese Kleinserie waren in Frankreich verfügbar. E s fehlten beson ders Teile der Steueranlage. Als Testgelände für di e Schießversuche war die Region
Guir, südöstlich Ton Colomb-Béchar in Algerien, ausersehen worden. Die Franzosen hofften , s o ihr e »Raketenlücke « i n eine m Zeitrau m vo n zwe i bi s drei Jahren
schließen zu können. Bei der Detailplanung stellte sich dieses Ziel als unrealistisch
heraus. Die Montage der V-2 sollte in einem besser als Vernon zu sichernden und erst
neu zu bauenden Werk in der Schlucht von Bede, in der Nähe von Gramat in der Region Lot , erfolgen , un d auc h di e Konstruktio n de r Prüfständ e i n Algerie n würd e
mehr Zeit erfordern. Die ersten Flugversuche würden realistischerweise erst im Jahre 1952 erfolgen können.
Im Jahre 194 7 war da s für di e französischen Behörde n ei n zu lange r Zeitraum .
1952 würde man voraussichtlich dann überholte Raketentechnik testen. Im Mai 1947
wurde entschieden, den Nachbau der V-2 nicht weiter zu verfolgen, und statt dessen
die in Peenemünde konzipierte Rakete A 9 (eine verbesserte Variante der V-2) weiter
zu entwickeln. Die A 9 sollte eine Reichweite von 700 km (statt der 350 km der V-2)
erreichen, und mit Bringers Raketenmotor von 40 Tonnen Schub stand auch ein geeigneter Moto r i n Aussicht . I n de r Folgezei t wurde n verschieden e Variante n de s
Projekts 421 2 oder »Supe r V-2« berechnet. Im Frühjahr 194 8 wurden jedoch auch
diese Arbeiten abgebroche n - angesicht s der Erfordernisse de r Aufbaujahre schie n
den Verantwortlichen ein e französische Rüstun g mit schweren Raketen als zu vage
Aussicht mit zweifelhafter Erfolgschance .
Hernach wurd e fü r bescheidener e Zielsetzunge n gearbeitet . Di e Treibstoffkom bination fü r di e »Supe r V-2« , Salpetersäure un d Kerosi n (reguläre r Treibstof f fü r
Düsenmotoren) wurde für das Projekt einer Versuchsrakete, der Véronique, mit der
Nummer 4213 übernommen. Über das Zwischenmuster Eole wurde die Véronique
hernach al s eigentlich e französisch e Adaptio n de r V2-Technologi e vol l durchent wickelt. Die Versuchsreihe Véronique bildet das Urmuster aller nachfolgenden fran zösischen Raketentypen.
Die »Antriebsgruppe « i n Vernon konstruierte i n der Folge eine Serie von Raketentriebwerken, die heute sowohl die technologische Grundlage für die Fernraketen
der »Force de Frappe« (die Muster M-4 auf fünf französische n Raketen-U-Booten ,
sowie die zwei Schwadronen S- 3 Raketen i n unterirdischen Silos ) abgibt wie auch
die Grundlage für die Serie von Trägerraketen Ariane für kommerziell e Nutzlasten.
Das Team unter Heinz Bringer erzeugte die bekannte »V«-Serie (in Anspielung auf
den Standor t Vernon ) vo n französische n Raketenmotoren , namen s Vexin , Valois,
und Viking. Diese Aggregate spielten eine bedeutsame Rolle bei französischen Ver suchen, zu einer eigenständigen Raketentechnologie zu gelangen.
Die »Steuerungsgruppe « began n 194 8 mi t de r Entwicklun g eine s militärische n
Projektes, de r Flugabwehrraket e P.A.R.C.A . (Projectile autopropulsé , radioguid é
152
Ulrich Albrecht
contre avions). Es folgten die Steuerungen für die Raketen Diamant und das EuropaProjekt ELDO . Wi e be i de r späte r nachfolgende n Europa-Raket e wurde n bei m
ELDO-Konzept di e Schwierigkeite n augenscheinlic h zunächs t unterschätzt . De r
Europa-Rakete gelang nie ein erfolgreicher Start.
Aus dem LRBA-Team bildete Eugen Sänger 195 4 seine Kernmannschaft fü r da s
neugegründete Institut für die Physik der Strahlantriebe in Stuttgart. Rund 20 wichtige Mitarbeiter wechselten in den nächsten fünf Jahren in die schwäbische Metropole. Beim LRBA verblieb vo r alle m eine Gruppe vo n 1 4 deutschen Spezialiste n fü r
Flüssigkeitsantriebe von Raketen unter Dr. Jauernick. Sie sollte für den späteren Triumph de r Ariane-Trägerrakete n entscheidend e Vorarbeite n leisten . Ei n deutsche r
Raketenfachmann wechselte von Frankreich in die USA, einer nach Brasilien60.
In französischer Sich t sind neben Bringer mit seinem Raketenmotor weitere technische Leistunge n de r Deutsche n al s herausragend e Innovatione n zu m spätere n
Weltstandard der französischen Raketentechnologi e zu werten. Viellain zählt die erste französische Trägheitsplattform au s dem Jahre 1958 dazu, Zielsuchköpfe, die auf
die Arbeiten von Dr. Müller und seine Gruppe zurückgingen, aktive Magnetkugellager (mit denen der Name von Helmut Habermann verbunden bleibe), die Führung
großer Raketen in der Startphase durch Kabelanschluß (eine Idee von Dr. Pilz) sowie
das Aquitaine-Radar 61.
2. BMW/SEPR
In Frankreich herrschte zu Ende des Zweiten Weltkrieges auch großes Interesse an
den deutschen Entwicklungen für kleinere Raketentriebwerke als Flugantriebe. Unmittelbar nac h der Befreiung wurd e 194 4 die Société d'Etude de la Propulsion pa r
Réaction (SEPR, zunächst SCEPR) gegründet, welche sich diesem Gebiet widmen
sollte. Im Gegensatz zum eher auf die Grundlagenforschung ausgerichtete n LRB A
sollte die SEPR zügig fertigungsreife Konstruktione n vorlegen. Um möglichst rasch
zu Ergebnisse n z u kommen , benutzt e di e SEPR erbeutet e Walter-Triebwerk e un d
Teile von BMW-Triebwerken zu Tests.
Im Mai und Juni 194 5 folgte ein e besondere militärisch e Einhei t de m französi schen Vormarsch durch Süddeutschland und Österreich, die Informationen übe r die
Luftrüstung de s Dritten Reiches sammelte. Zu dieser Einheit gehörte Leutnant Florio, der Gründer der SEPR. Florio interessierte sich besonders für Walter-Motoren ,
den Antrieb des Raketenjägers Me 163. Das Aggregat Walter 109-509 sollte bald den
Grundstock des know-how der SEPR bilden.
Der Firm a Heinke l wa r 194 4 der Großserienba u de s Walter-Motors übertrage n
worden. Diese wählte, um vor alliierten Bombenangriffen geschütz t zu sein, für die
Fertigung de s Solls von täglic h 3 0 Motoren Produktionsstandort e i n Tirol aus . In
Kramsach a m In n wurd e ei n Prüfwer k errichtet , welche s da s Funktioniere n de r
Triebwerke sicher n sollte . Diese s Prüfwer k fie l de n Franzose n unzerstör t i n di e
Hände.
60 BOSSUA T [1993] (wie Anm . 8 ) S. 603.
61 VIELLAI N (wie Anm . 9 ) S . 14f .
Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältnis (1945-1960) 15
3
Im Februar 1946 erging der Befehl, »alle Ausrüstungen dieser Fabrik nach Frankreich zu verbringen. So erhielt die SEPR für den Anschub ihrer eigenen Aktivitäten
ein hochwertiges Sortimen t vo n Geräten, einschließlich Prüfständen , Speiche r un d
Tanks aller Größen, Ventile, Rohrleitungen, Druckmesser, Druckaufzeichner, Spezialgläsern« usf., berichtet Viellain62.
Der SEP R gelang es zunächst allerding s nur, eines einzigen deutschen Experte n
habhaft z u werden, des Dipl.-Ing. Hans Schneider. Der hatte bei BMW eine Nebenaufgabe z u bewältigen : die Verkürzung der für Düsenjäge r relati v langen Startrollstrecken durc h di e Verwendung vo n zusätzliche n Raketentriebwerken . I m Krieg e
hatte Schneider an dem Projekt BMW 003 R gearbeitet, der Kombination des erfolgreichen Turbinenmotor s mi t eine r Flüssigkeitsrakete . Di e Treibstoffkombination ,
welche BM W damal s wählt e (Salpetersäur e un d Triäthylaminmischungen) , finde t
sich später bei den Zusatztriebwerken für eine n Teil der Mirage III-Serie sowie dem
Versuchsflugzeug Trident. Die Konzeption dieser bis Ende der fünfziger Jahr e verfolgten Projekte gleicht den BMW-Vorgaben aufs Haar - ungewöhnlicherweis e sind
die mit 2500 Grad Celsius hochbelasteten Öfen in Leichtmetall ausgeführt, wei l der
Innenmantel, de r Kühlkana l un d soga r de r Düsenkop f durc h eine n entsprechen d
ausgestalteten Kühlmantel aus Treibstoff geschütz t wurden.
Kein Wunder, daß Dipl.-Ing. Schneider bei SEPR rasch Karriere machte. 1946 hatte er bei dem Unternehmen als Berater angefangen. Bald wurde er Versuchsleiter und
nahm von 1955 bis 1962 die Aufgabe des Chefingenieurs im SEPR-Versuchszentrum
Villaroche wahr.
Im Allta g de s militärische n Flugbetrieb s bewährt e sic h di e Raketenausrüstun g
nicht. Die hochkonzentrierte Salpetersäur e sowie das toxische Äthylamin (welche s
ansonsten nur die Russen in ihren ersten Interkontinentalraketen verwendeten) warfen beim Tanken fortwährend Problem e auf, angeblic h kam es wiederholt zu Havarien im Normalbetrieb. Damit ist angezeigt, daß es bei der Fortführung vo n Technologielinien de s Dritte n Reiche s i m Nachkriegsfrankreich nebe n durchschlagende n
Erfolgen auc h schwerwiegend e Fehlschläg e gab , auf di e im folgenden noc h einge gangen wird.
Das deutsch-französische Institu t in Saint-Louis
Das einiges Renommee genießende Ballistische Institut der Technischen Akademi e
der Luftwaffe (TAL ) in Berlin-Gatow war im Kriegsverlauf ins süddeutsche Biberach
verlegt worden. Das Städtchen wurde am 23. April 1945 von der Ersten Panzerdivision der französischen Streitkräft e besetzt . Im Divisionsstab wirkte ein Major Lutz ,
der von der Luftkriegs-Akademie wußte , und der sogleich mit dem Ballistischen Institut Verbindung aufnahm .
Von Lutz benachrichtigt, erkannte die D.E.F.A. sogleich den erheblichen Wert des
Instituts für Frankreich und verhandelte mit Professor Hubert Schardin, dem letzten
Leiter dieser Einrichtung, wegen einer Übersiedlung nach Frankreich. Im Juli 1945
erschien auc h ein e amerikanisch e Gesandtschaf t be i Schardi n un d bo t diese m di e
Fortführung seine r Tätigkeit in den USA an. Zur Genugtuung der Franzosen lehnte
62 Ibid. , S. 16.
154
Ulrich Albrecht
Schardin ab, weil er sich bei den Franzosen i m Wort sah . Die D.E.F.A. schlug zunächst vor, das Institut nach Versailles zu verlegen - abe r das löste bei Schardin und
seinen deutschen Mitarbeiter n Unbehage n aus . Kurz entschlosse n wurde dann das
elsässische Saint-Louis in der Nähe zur deutschen Grenze zum künftigen Standor t
des vormaligen Ballistischen Instituts der Luftkriegs-Akademie bestimmt .
Formal wurde die am 15. Augus t 1945 gegründete neue Einrichtung dem Laboratoire Central de l'Armement, der zentralen Forschungsstelle der Armee, zugeordnet.
Ende Juli 1945 waren die ersten Dienstverträge mit den Deutschen geschlossen worden, und im Verlauf der nächsten Tage wurden insgesamt 32 Dienstverträg e mit, wie
Viellain hervorhebt, »deutsche n Spezialisten für Ballistik , Werkstoffragen, Aerody namik un d Bewaffnungstechnik« 63 abgeschlossen . Di e Zah l de r Deutsche n wuch s
stetig an. Mitte August waren 45 deutsche Fachleute in Saint-Louis beschäftigt, a m
1. Dezember des gleichen Jahres war diese Zahl auf 64 gestiegen und genau ein Jahr
später, am 1 . Dezember 1946 , auf 77 angewachsen. Als das Emmendinger LRBA Büro sein e Tätigkeit beendete , kamen weiter e 1 9 deutsche Aerodynamikfachleut e
nach Saint-Louis, so daß die Zahl der deutschen Mitarbeiter auf 96 anstieg .
Mit Begin n de s Jahres 195 1 hatte da s vormalige Luftwaffeninstitu t de n Name n
Laboratoire de Recherch e Technique de Saint-Louis (L.R.S.L.) angenommen . D a
mehr und mehr französische Fachleut e in die Tätigkeit des Institutes aufgenomme n
wurden, wurde die Bezeichnung am 31. März 1958 geändert in Institut Franco-Allemand de Recherches de Saint-Louis. Am 22. Jun i 1959 ratifizierten di e Nationalversammlung und der Deutsche Bundestag die neue Gemeinschaftsgründung .
Hubschrauber Focke/S.N.CA.S.E. 64
Ihren »ranghöchsten « eigene n Fan g machte n 194 5 die Franzose n mi t de m Hub schrauberkonstrukteur Henrich Focke. In Frankreich gab es praktisch keine eigenen
Vorarbeiten in der neuartigen Technik dieser Vertikalstartflugzeuge, un d Focke galt
weltweit als Pionier für Hubschrauberentwicklungen .
Focke wurde im Mai 1945 von den Franzosen im Allgäu aufgegriffen un d verhaftet. Augenscheinlich begriffe n di e französischen Besatzungebehörde n nu r langsam,
welcher Fisch ihnen da ins Netz gegangen war. Ende Juni wurde Focke mit einigen
Mitarbeitern nac h Pari s gefloge n un d erhiel t nac h längere n Befragunge n un d Ver handlungen das Angebot, mit 15 bis 20 Mitarbeitern sein e Arbeiten an Hubschraubern in Frankreich fortzusetzen. Da s Angebot, in den Dienst des Luftfahrtministe riums einzutreten, mochte Focke nicht annehmen. Rasch war ein Privatvertrag mit
einem nationale n französische n Unternehme n zu r Hand , (s o Focke ) Aérosudest
(gemeint is t Sud-Est , ode r mi t vollem Namen : Société Nationale d e Constructions
Aéronautiques de Sud-Est, S.N.C.A.S.E.), den vormaligen Lioré et Olivier-Werken in
Argenteuil im Norden von Paris. Focke berichtet in Einzelheiten, wie das Militär in
Bezug au f Einreisevorschrifte n fü r Deutsch e wiederhol t di e Polizeibehörde n über ging, und daß auch Claudius Dornier in Paris zu intensiven Befragungen angereist war.
63 Ibid. , S. 20 . Zu m LRSL auch ausführlich BOSSUA T [1994] (wie Anm. 8) S. 156f .
64 Diese r Abschnitt wertet die Eigendarstellung aus : Henric h FOCKE, Mein Lebensweg, Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt, Mitteilung 77-01, Köln 1977 , S . 69-80.
Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960) 15
5
Den Franzosen waren zwei Focke-Hubschrauber i n die Hände gefallen, die Muster F-223 und F-33065. Die französischen Behörde n entschlossen sich, den in geringer Stückzahl im Dritten Reich gebauten Hubschrauber 22 3 (700 kg Zuladung) als
S.E. 3000 nachzubauen, was mit Erfolg geschah.
Focke schied nach zwei Jahren im Juni 1947 aus französischen Dienste n und diente sich den Engländern a n (wenig später wechselte er nach Brasilien). Seine Arbeiten bei Sud-Est hatten eine langanhaltende Wirkung. Über Zwischenmuster wie das
Experimentalfluggerät S.E . 312 0 enstanden s o erfolgreich e Hubschraube r wi e di e
Muster S.E . 3130 Alouette II (in 44 Länder exportiert , Lizenzba u i n Deutschland ,
den USA und Schweden) und S.E. 3160 Alouette III (in 56 Länder exportiert), später
das Muster SA 330 Puma66. Zumindest läßt sich festhalten, daß der zweijährige Aufenthalt von Focke und seinen Mitarbeitern a m Anfang der Weltgeltung des franzö sischen Hubschrauberbaus steht.
Sackgassen
1. Maybach/AMX
Die ersten französischen Aktione n überhaupt, deutscher Rüstungsfachleute habhaf t
zu werden, galten den legendären Panzerbauern. Man darf mutmaßen , daß der seit
der Niederlage gegen die Deutschen tiefsitzend e Schoc k bei den französischen Mi litärs bezüglich der Überlegenheit de r Panzerrüstung de s Dritten Reiche s hier den
Auslöser gab . Sogleich nach de m 8 . Mai 1945 , dem förmliche n Kriegsende , bega b
sich eine französische Sondermission nach Friedrichshafen, um in der Zahnradfabrik
und be i de r Firm a Maybac h Motorenba u nac h Tankspezialiste n z u suchen . A m
18. Juni 194 5 machte sic h ein e weitere solch e Sondertruppe au f de n Weg , um di e
technischen Unterlagen für modern e deutsche Panzer, die legendären Panther- un d
Tiger-Panzer, besonders aber den letzten Panzerentwurf von Ferdinand Porsche, genannt Maus, und dessen Konstrukteure zu ergattern. Bossuat vermerkt mit einer gewissen Genugtuung, daß es den Franzosen gelang, gar vor den Briten nach den deutschen Panzerexperten zu fahnden (obwohl das Unternehmen fehlschlug) 67.
Das Panzer-Projek t Mau s un d da s französisch e Engagement , dies e angeblich e
Zukunftswaffe fü r Frankreic h z u sichern, charakterisiert exemplarisc h die Fehler
der Verantwortlichen, welche mit dem Rückgriff au f die vorgeblichen Wunderwaf fen de s Dritte n Reiche s zügi g di e Rüstungsdefizit e Frankreich s gegenübe r de n
Großmächten auszugleichen dachten. Die Maus war kein Kleingerät, sondern repräsentierte mit 200 Tonnen Gefechtsgewicht di e Gigantomanie der späten Hitler-Är a
(selbst heute überschreiten schwere Kampfpanzer kau m die Grenze von 50 Tonnen
Gewicht, weil Straßenbrücken häufi g fü r solch e Maximallasten ausgeleg t werden).
65 I n der Nomenklatur de s Reichsluftfahrtministeriums müßt e es eigentlich korrek t »F a 223« sowie
»Fa 330« heißen, aber Focke läßt in seiner Darstellung, der hier gefolgt wird, seinen Firmenpartner
Gerd Achgelis (das »a«) weg. Tatsächlich spielte dieser in der Focke, Achgelis & Co. GmbH, bald
nach der Gründung kaum mehr eine Rolle.
66 Di e Typenbezeichnungen vo n Alouette II und III ändern sic h mi t den Umorganisationen i n der
französischen Flugzeugindustri e in SA 318 und SA 316, die nunmehr geläufigen Bezeichnungen der
Aérospatiale.
67 BOSSUA T [1993] (wie Anm . 8 ) S. 601.
156
Ulrich Albrecht
Professor Porsch e ha t den n auc h de n Führerbefeh l fü r di e Erstellun g de s Super schweren Panzer s (Abb . 1 ) erkennba r lust - un d ideenlo s umgesetzt . Diese s Ur vehikel sollt e gege n jede Art vo n Beschu ß immu n sein , so Hitler s Gedankengan g
(deswegen di e überschwer e Panzerung) , andererseit s abe r mi t seine r übergroße n
Kanone jede n Gegne r au f de m Schlachtfel d auße r Gefech t setzen . Di e deutsche n
Versuchsingenieure mußte n den n auc h in den letzte n Krieg s jähren feststellen , da ß
dieser Dinosaurie r schie r a n seinem Eigengewich t z u Grund e ging : Trotz 1 Meter
breiter Kette n entfaltet e di e Mau s eine n Oberflächendruck , de r de n 200-Tonnen Koloß im Boden versinken ließ.
Der französischen Aufklärun g bliebe n solche Probleme verständlicherweise verborgen. Man wußte in Paris offenbar lediglich , daß es einen Superpanzer des Professor Porsche gab, un d daß der Führer diesem Projekt hohe Priorität zugewiesen hatte.
Diesen Panzer wollte man unbedingt für Frankreich haben, in Unkenntnis der Einzelheiten, die diese angebliche Superwaffe umgaben. Mit dem Panzerprojekt AMX-50
suchte man dem deutschen Trend zum Superpanzer nachzueifern .
Das Interesse der französischen Behörde n galt besonders den Erbauern der überschweren Motore n fü r di e Panther- un d Tiger-Panzer , de r Firma Maybach, weil in
diesem Bereich in Frankreich die Schwächen auf der Hand lagen. Mit den nötigen geheimdienstlichen Vorkehrungen wurde das Team von Karl-Wilhelm Maybach 68, insgesamt 7 0 Deutsche, als »Gruppe M « von Friedrichshafen schließlic h ins Zentru m
der französische n Panzerentwicklung , AM X i n Vernon , verbracht . Ein e deutsch e
Firmenchronik bemerkt knapp:
»Im Herbst 194 6 konnte Dr. Maybach, um seinen Betrieb in Friedrichshafen vo r
der vollkommenen Demontag e z u retten, mit eine m Stab von Konstruktions - un d
Versuchsingenieuren nac h Frankreic h gehen , u m dor t fü r di e franz . Arme e eine n
Panzermotor mi t 100 0 PS in den Ausführungen einma l als Benzin-Einspritzmoto r
und einmal als Dieselmotor zu bauen«69.
1000 PS waren eine ungewöhnlich hoh e Leistung für Panzermotore n - ausländi sche Vergleichsmuster gabe n seinerzeit maxima l 500 bis 600 PS ab. Der 50 Tonnen
schwere Panzer AMX-50 , für de n der Motor bestimm t war , »wa r stark beeinfluß t
von den deutschen Panther- und Tiger-Panzern. Im besonderen war beabsichtigt, die
Beweglichkeit de s Panther mi t jener Art von Bewaffnung z u kombinieren , die bei
Kriegsende für den Tiger geprüft wurde« 70.
68 Karl-Wilhel m Maybach, der Sohn des Daimler-Partners Wilhelm Maybach, genoß bei den Franzosen einen solchen Respekt , daß sie ihn als »Professor« titulierten . Maybach war aber in akademischer Hinsicht ein einfacher Ingenieur , der später den Dr.-Ing. ehrenhalber bekam, und der nie ein
Lehramt bekleidet hat. Vgl. BOSSUAT [1993] (wie Anm. 8) S. 602. Zur Geschicht e der heute in der
Motoren- und Turbinen-Union (MTU ) aufgegangenen Firm a vgl. etw a die Festschrift MT U München 1984 (wie Anm . 35 ) bes. S . 141 , sowie : Gustav BURR, Maybach-Luftschiffmotoren vo n 1990 bis
1928, in : Deutsche Gesellschaf t fü r Luft - un d Raumfahr t e.V. , Beiträge zur Geschicht e de r Luft fahrtindustrie am Bodensee (DGLR-Bericht 87-03).
69 BURR , ibid., S. 16 .
70 R.M . OGORKIEWICZ, Design and Development of Fighting Vehicles, London 1967 , S . 45. Dor t auch
weitere Einzelheiten über »technische Übernahmen« von deutschen Entwürfen, etwa bei der Turmkonstruktion (S . 76) , de r Gestaltung des Laufwerkes (S . 101 ) sowie der ungewöhnlichen Auslegung
des Getriebes (S. 129).
Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960) 15
7
Vermutlich ha t ma n be i AMX bal d festgestellt , da ß de r Hitlersch e Superpanze r
Maus tatsächlich ein e solche war. Der überschwer e Panze r AMX-5 0 gin g nicht i n
Serie. Panzerkanonen von seinem Kaliber 12 0 mm wurden erst dreißig Jahre später
bei modernen Tanks üblich. - Übe r ei n leichteres Zwischenmuster entstan d späte r
der erfolgreiche französisch e Standardpanze r AMX-30 , mit einem Gewicht von 30
statt 50 Tonnen. Französische Hoffnungen, mi t den Deutschen dieses Fahrzeug gemeinsam produziere n z u könne n (195 7 ga b e s immerhi n ein e gemeinsam e Aus schreibung) zerschlugen sich. Die Deutschen zogen es vor, mit dem Leopard I ein eigenes Modell herzustellen.
Die Gruppe »M « arbeitete bei AMX eine Zeit lang an schweren Panzermotore n
weiter. Von dem Maybach-Team wir d hernac h nicht mehr berichtet. Offenkundi g
handelte es sich um einen Flop. Maybach übernahm wieder die Leitung seiner Motorenfirma i n Friedrichshafen. Persönlic h war er in Frankreich kein Unbekannter gewesen: als junger Ingenieur hatte Maybach 1907 ein Jahr an einer Société d'études in
Paris verbracht.
2. Fieseler V-llArsenal 5.501
In der traditionellen Rivalität der Teilstreitkräfte betrie b neben der Armee die fran zösische Marine ihr eigenes Rekrutierungsprogramm für deutsche Rüstungsfachleu te. Sie war besonders an den deutschen Entwicklungen von ferngesteuerten Flugkör pern zu r Schiffsbekämpfung interessier t un d gerie t eher zufällig a n die Flugbombe
V-l. In Hechingen in der französischen Zon e wurde eine Stelle »Marine Française,
Groupe Aéronavale« eröffnet, di e bald zu dem unauffälligeren Name n »Apparate bau« wechselte71. Hauptaufgabe diese r Einrichtung war die Sammlung von Materialien über und bald auch der Nachbau von Flugkörpern der Muster Fritz X (gelegentlich auc h nac h de m Gefechtskopf , de r vormalige n Panzersprengbomb e S D 1400 ,
FX-1400 benannt) sowie Henschel Hs 293. Beide Flugkörper sollten der Zerstörung
von Kriegschiffen au s der Luft dienen , ihre Entwicklung war im Dritten Reic h erheblich fortgeschritten gewesen . Die Firma »Apparatebau « beschäftigt e i m April
1946 400 Deutsche, die monatlich 20 Flugkörper FX-1400 und zwei bis drei Hs 293
für Frankreic h fertigte n - i n entschiedene m Gegensat z z u de n Bestimmunge n de s
Potsdamer Abkommens, welche jede Waffenfertigung i n Deutschland untersagten .
Technischer Direktor des Unternehmens wurde Dr. Max Kramer, der 193 7 als Mitarbeiter de r Deutsche n Versuchsanstal t fü r Luftfahr t i n Berlin-Adlershof di e Ent wicklung des Fritz angereg t hatte , und de r von 194 3 bis Kriegsende be i der Ruhr stahl A G fü r da s Projek t verantwortlic h gewese n war 72. Betriebsleite r wurd e de r
vormalige Major Erns t Hetzel , im Kriege für de n Einsatz solcher Flugkörper ver antwortlich. Kramer s Kontrak t lie f i m September 194 6 aus. Da er mit dem fran zösischen Fortsetzungsangebot nicht zufrieden war , verhandelte Dr. Kramer auch
71 Di e Darstellung in diesem Absatz folgt eine m amerikanischen Geheimdienstbericht , »Frenc h guided missile research at Hechingen«, War Department, Intelligence Division (WDGS), Intelligence
Review, November 46-2 Jan 1947, Washington, D.C, S. 60-62. Der Verf. schuldet Burghard Ciesla
Dank für den Verweis auf diese Quelle.
72 Angabe n zu Kramer zusätzlich aus: Theodor BENECK E u.a., Flugkörper und Lenkraketen, Koblenz
1987,S.98f.
158
Ulrich Albrech t
mit amerikanischen un d sowjetische n Dienststelle n un d gin g anschließend i n die
USA73.
Ende April 194 6 wurden die Arbeiten in Hechingen plötzlich gestoppt »un d alle
Unterlagen, Maschinen, Apparate, Dokumente un d soga r die Baracken eingepack t
und nach Frankreich abtransportiert, sehr auch zur Überraschung der französische n
Verantwortlichen i n Hechingen .. . Di e Fertigungsausrüstungen ginge n nach Brest,
die Entwicklungsunterlagen a n das Arsenal in Châtillon bei Paris, und die Prüfein richtungen nach LeLuc am Mittelmeer«74.
Die Direction Techniqu e et Industriell e d e l'Aviation (DTIA), der da s Arsena l
unterstand, entschie d sic h i m Herbs t 1946 , eine Arbeitsgrupp e vo n siebe n Man n
weitere Raketenprojekte (damal s sprach man auch in Frankreich amtlich von »Sondergeräten«) konzipiere n z u lassen . Diese al s »E5 « bekannt e Grupp e wurd e vo n
Emile Stauff geleitet , Direktor des Arsenal, dessen Name mit der erfolgreichen Ent wicklung kleinerer taktische r Rakete n i n Frankreich verbunde n bleibe n wird. I m
Frühjahr 194 7 entschied die DTIA, den Empfehlungen de r Stauff-Gruppe folgend ,
daß drei Projekte weiter entwickelt werden sollten: die V-l, unter der Bezeichnung
Projekt 5.501 , die Fritz-X-Rakete, nunmehr AA-10 benannt (AA = air-air) und ein
Geschoß zur Panzerbekämpfung, di e SS-10 (SS = sol-sol). Die SS-10 stellte die Weiterentwicklung einer deutschen Panzerabwehrrakete aus dem Dritten Reich dar, das
Projekt X7 mit dem Code-Namen Rotkäppchen .
Das ambitiöse Projekt, die V-l nachzubauen , wurde dem Arsenal de l'Aéronautique in Châtillon-sous-Bagneux, einem südliche n Voror t vo n Paris , übertragen .
Das Arsenal war 1936 im Zuge der Nationalisierung der Flugzeugindustrie ins Leben gerufe n worden , u m besonder s i m experimentelle n Flugzeugba u innovativ e
Impulse zu geben. Das Unternehmen wechselte verschiedentlich di e Bezeichnung
(z.B. Nor d Aviation , durc h verschieden e Versuchsflugzeug e bekann t geworden )
und is t heut e unte r de m Name n Aérospatiale Missile s als Raketenfirm a weltbe kannt.
In Frankreich ga b es für da s Pulstriebwerk de r V-l, das sogenannte Schmidt-Ar gus-Rohr, eine technische Parallele, den sogenannten Athodyd , der im Arsenal auf
der Grundlage älterer Vorarbeiten im Kriege entwickelt worden war 75. Das mag die
französische Entscheidun g für de n Bau der V-l begünstig t haben. Auch dürfte ein e
Rolle gespielt haben, »daß die französischen Ingenieur e über ein e große Menge an
Informationen über (die Startrampen) verfügten. Dicke Mappen mit Konstruktion daten waren in Deutschland gefunde n worden , und eine Anzahl von V-1-Startram73 Di e Befragun g Kramer s in den USA bilde t offenkundig di e Grundlage für den angeführten Berich t
über den »Apparatebau« de r französischen Marin e in Hechingen, der in der Präzision der Angaben
(etwa z u de n beteiligte n Firmen ) sic h deutlic h vo n andere n nachrichtendienstliche n Mitteilunge n
unterscheidet. Auc h wir d au f Äußerunge n Kramer s i n de m amerikanische n Dokumen t ausdrück lich Bezu g genommen . Krame r zufolg e (ibid. , S . 62) ware n di e deutsche n Ingenieur e un d Wissen schaftler generel l mit ihren französischen Arbeitgeber n unzufrieden un d strebten eine Tätigkeit be i
einer andere n Siegermach t an . Das Projek t H s 29 3 wurde i n de r Folge i n Argentinien fortgeführt ,
worüber die Berliner Dissertation von Ruth STANLEY (wie Anm. 47) informiert.
74 »Frenc h guided missile research at Hechingen« (wi e Anm. 71) S. 61f.
75 Vo n GERSDORFF , GRASMAN N (wi e Anm. 38) verweisen au f eine ältere Veröffentlichung vo n Marconet sowie praktische Versuche von Caravodine, ibid., S. 222.
Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältnis (1945-1960) 15
9
pen war in Frankreich installiert worden, in den Départements Pas-de-Calais, Somme, Seine-Maritime und La Manche«76.
Im August 194 6 begann man im Arsenal mit den Arbeiten an der 5.501 und war
rasch erfolgreich . Ei n Prototyp , au f eine m Trägerflugzeu g montiert , began n i m
Januar 1947 eine erste Testserie, die bis zum April 1949 dauern sollte.
Knapp vier Jahre nach Kriegsende, im April 1949, erfolgten in einer zweiten Testserie im algerischen Colomb-Béchar die ersten Eigenstarts der französischen Kopi e
der V-l vom Boden aus. Die Tests wurden mindestens bis 1951 fortgesetzt. Die französischen Behörden bemerkten augenscheinlich während der Versuche, daß die Hitlersche Vergeltungswaff e ihr e Bezeichnun g nich t verdient e un d sprache n hernac h
bescheiden von einem »ferngesteuerten pilotenlose n Zielflugkörper«. Diese r erhielt
die Bezeichnung CT 20.
Diese Funktionsbestimmung i m Nachhinein wirk t weni g überzeugend. Fü r ei n
bloßes Übungsgerät hätte man kaum die Ressourcen des hochspezialisierten Arsenals
eingesetzt (zur Zieldarstellung dienten damals üblicherweise ausgemusterte Flugzeuge
der Luftstreitkräfte, di e mit einer Fernsteuerung versehen wurden). Auch wären die
verbesserten ortsfesten Startrampen für einen Zielflugkörper ei n unsinniger Aufwan d
gewesen. Schließlich werden solch e Zieldrohnen nich t jahrelang aufwendig getestet .
Es spricht viel dafür, daß die DTIA, zunächst auch geblendet von dem raschen Erfolg
des Projektes 5.501 (zumindest im Vergleich mit dem Versuch, die V-2 nachzubauen)
erst im Verfahren begriff, daß sie auf einen Flop gesetzt hatte. Schon wegen der geringen Fluggeschwindigkeit von 460 Kilometern pro Stunde hatte die V-l bei Beginn der
fünfziger Jahr e als Waffensystem kein e Chance mehr. Im März 1950 wurde entschieden, Projekt 5.501 in kleiner Serie zu produzieren. Viellain berichtet, daß die ersten an
die Streitkräfte ausgelieferten Flugkörper CT 20 noch zum Teil aus in Deutschland erbeuteten Bauteilen bestanden77.
Die beiden Projekt e fü r Kleinrakete n geriete n jedoch z u große n Erfolgen . Kei n
geringerer als Eugen Sänger entwickelte den Panzerabwehrflugkörper SS-10 , der in
großer Zahl gefertigt wurde, und der den Grundstock für die späteren erfolgreiche n
deutsch-französischen Muste r Mila n und Ho t abgab 78. Hartmut E . Sänger stellt in
einer biografischen Skizze über seinen Vater allerdings dessen Beitrag zur Konstruktion der SS-10 sehr hintan (»Daneben beriet Eugen Sänger die Direction technique et
industrielle du Ministère de l'Armement und die Société MATRA bei der Entwicklung der französischen Panzerabwehrraket e SS-10«) 79. Sänger jr. stellt den Zweck des
Frankreich-Aufenthaltes vo n Eugen Sänger ganz anders dar:
»Diese Einladung sollte damals Sänger die Möglichkeit bieten , seine konsequenten Arbeite n z u seine m Lebensziel , eine r bemannte n Weltraumforschung , weiter führen z u können«80.
76 VIELLAI N (wie Anm . 9 ) S . 18 .
77 Ibid .
78 Ibid .
79 Hartmu t E. SÄNGER, Eugen Sänger: Seine Tätigkeit auf dem Antriebsgebiet in Frankreich, in: Deutsche Gesellschaft fü r Luft- un d Raumfahrt e.V. , Die Tätigkeit deutscher Luftfahrtingenieure un d
-Wissenschaftler im Ausland nach 1945, S. 192.
80 Ibid. , S. 189.
160
Ulrich Albrecht
Kaum glaubhaft, da ß der die Verhandlungen führende Majo r Pariot im Ministère
de PAir im Sommer 1946 Sänger »die Möglichkeit bieten« wollte, »bemannte Weltraumforschung« weiterzuführen . De r Major dürft e ehe r an den militärisch nutz baren Arbeiten Sängers interessiert gewesen sein. Im Juli 1946 wechselte Sänger ans
Arsenal. Neben de r SS-1 0 wirkte e r a n der Konzipierun g vo n Hochgeschwindig keitsflugzeugen mit (Gerfaut und Griffon), die den neuartigen Staustrahlantrieb nutzen sollten. Sänger hatte an ähnlichen Kampfflugzeugentwürfen i m Kriege gearbeitet und war so beim Experimentaljägerbau i m Arsenal durchaus am richtigen Platz.
In Frankreich lernte Sänger beim Arsenal seine Frau kennen, die Mathematikerin
Irene Bredt, die er 1946 in Paris heiratete. Sänger Jr. berichtet von einem »echten und
später oft auch herzlichen Kontakt zu den französischen Stellen« und beschreibt »eine rückhaltlose Zusammenarbeit, die dazu beitragen konnte die alte 'Erbfeindschaft '
abzubauen. Und im nachhinein war diese Zeit für da s Ehepaar Sänger ihr vielleicht
schönster Lebensabschnitt« 81.
Der AA-1 0 Nachba u de r Frit z war f bei m Truppenversuch zunächs t ein e Reihe
von Problemen auf, vo r allem wegen der als Treibstoff dienende n giftigen Salpeter säure. Beim Folgemuster 5103 ging das Arsenal zu Festtreibstoffen über , und dieses
Baumuster diente unter der militärischen Bezeichnung AA-20 den Jägern der fran zösischen Luftwaffe i n Tausenden von Exemplaren als Standardwaffe.
3. Der Coleopter/Coléoptère
Der französisch e Wunsch , i n der Militärtechni k trot z alle r au s der Besatzungszei t
resultierenden Beschränkungen zügig eine Spitzenposition einzunehmen, führte zu nächst z u eine r Faszinatio n auc h fü r Nebengebiet e wi e die Senkrechtstarttechnik ,
bevor die durchschlagende Bedeutung der Kernwaffenrüstung umgesetz t wurde. So
entstanden in Frankreich in deutsch-französischer Kooperatio n technologische Pionierleistungen, die einzigartig blieben - wei l niemand ihnen folgte. Der Coléoptère
gibt hierfür ei n Musterbeispiel (Abb. 2).
Die technische Kernidee des Projektes, welche viel an französischem Technikver ständnis reflektiert , wa r einfach . De r Flüge l eine s Flugzeuge s dien t konventionel l
nur de m Auftrieb , de r Moto r nu r de m Antrieb . Was würde eintreten , wen n ma n
durch geeignete konstruktive Maßnahmen beide Funktionen miteinander verbinden
würde und etwa einen Flügel vorsah, der auch dem Antrieb diente, indem man ihn
etwa als Mantel eines Triebwerkes konzipierte ? Und würd e man im Atomzeitalte r
aufgrund de r hohe n Schubleistun g mi t de m Senkrechtstar t nich t unabhängi g vo n
den von Düsenflugzeugen benötigte n langen Start- und Landebahnen werden, die so
leicht zerstörbar waren?
Der Coléoptère versprach ein e solch e Verbindung . De r Deutsch-Österreiche r
Helmut Gra f Zborowski , welche r i m Krieg e für di e Triebwerke de r Flugbombe n
Hs 293 und Fritz sowi e den Motor des Raketenjägers Me 163 bei BMW zuständig
gewesen war, und de r wegen seiner Zugehörigkeit zu r Waffen-SS nac h Kriegsend e
zunächst internier t worde n war , wurde 194 7 eingeladen, i n Frankreic h weite r z u
wirken. Von 1947 bis 1950 arbeitete von Zborowski bei der SEPR und machte sich
dann mi t seine n Idee n übe r Senkrechtstarte r i n Frankreic h selbständig . Be i de r
81 Ibid . (Die Sänger-Zitate wurden grammatikalisch nicht bearbeitet).
Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960 )
Abb. 1 Ferdinan d Porsche s
überschwerer Panze r »Maus «
Abb. 2 De r senkrech t
startende Ringflügler Coléoptère
der SNECM A
Ulrich Albrech t
Abb. 3 Breguet s Entwurf »Taon« als Beitrag zur Ausschreibung der NATO fü r einen Standard-Jagdbombe r
Abb. 4 Militärische s Transportflugzeug »Noratlas «
Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960 )
Abb. 5 Transportflugzeu g »Transall «
Abb. 6 Schulflugzeu g »Magister «
Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960) 16
1
SNECMA arbeiteten in der Oestrich-Gruppe unter Dipl.-Ing. Gerhard Eggers einige Deutsche a n Senkrechtstartversionen de s ATAR. Sie dürften di e Franzosen au f
Zborowski aufmerksam gemach t haben.
Grundidee des Konzeptes von Zborowski war es, neben einem Düsentriebwerk ,
welches herkömmlic h i m Rump f seine s Flugzeuge s untergebrach t war , zusätzlic h
den Zwischenraum zwischen Rumpf und Ringflügel als Staustrahlrohr auszubilden .
Mit diese m Doppeltriebwer k würd e da s Flugzeu g übe r de n nötige n Schubüber schuß verfügen, u m im transsonischen Bereich als Jäger operieren zu können. Beim
Arsenal suchte Eugen Sänger in vergleichbarer Weise konventionell startende Hochleistungsjäger zu konzipieren.
Zborowski nah m ein e Reih e deutsche r Fachleut e mit , darunte r de n al s Hoch schullehrer a n de r T U Berli n späte r rech t bekann t gewordene n Heinric h Herte l
(Ende des Krieges war bei den Heinkelwerken an senkrecht startenden Ringflügler n
gearbeitet worden). Im Jahre 195 0 eröffnete di e Gruppe in Frankreich das »Bureau
Technique Zborowski«. 195 1 verkaufte Zborowsk i sein e Ringflügelpatent e a n di e
SNECMA. Da s BT Z blie b selbständig , währen d di e Eggers-Grupp e di e Realisierung de s Ringflüglers be i der SNECM A übernahm . Herte l gin g anschließen d zu r
SNCASE, und zwar zum Zweigwerk Marignane bei Toulouse82. Ob Hertel dort eine
Gruppe leitete, und womit er sich beschäftigte, wird nicht berichtet.
Die Coléoptère-Gruppe betrat weitgehend technische s Neuland . Übe r di e Sonderform Ringflüge l ga b es nur wenige aerodynamische Arbeiten, und über das Verhalten einer solchen Konfiguration i m Vertikalflug war fast nichts bekannt. Das Problem der Transition vom strahlgestützten Steigflug hin zum Flügelauftrieb würde erkennbar große Probleme aufwerfen, besonder s bei der Stabilisierung und Steuerung.
Trotz dieser erheblichen Hindernisse, die dieses Projekt ungleich schwieriger machten als etwa den Entwurf eine s neuen Düsenjägers entlan g konventioneller Technologielinien, entschlosse n sic h die französischen Instanzen , voll auf dies e vermeintliche künftige Trumpfkart e z u setzen. Die Flugzeugfirma Nor d Aviation, als Nachfolgerin des Arsenal mit verschiedenen experimentellen Hochgeschwindigkeitsflug zeugen damals in Frankreich dominant, erhielt den Auftrag, die Zelle des Coléoptère
zu entwickeln, während SNECMA für den Antrieb zuständig blieb.
1957 wurde ei n Versuchsträger i n vereinfachter For m geteste t un d i m gleiche n
Jahre im Triumph auf dem Pariser Aérosalon vorgeführt. I m April 195 9 startete der
erste Coléoptère zum Jungfernflug.
Der neuartige Ringflügler führt e auc h zu einer förmlichen französisch-deutsche n
Zusammenarbeit au f Regierungsebene . Di e Bundesregierun g interessiert e sic h fü r
die Senkrechtstarttechnik und trug im Rahmen eines Entwicklungsvertrages z u den
Kosten bei. Manche Details, wie zum Beispiel die Fesselanlage für die Erprobung des
ersten Versuchsträgers und besonders die von M.G. Ernst entwickelte Steueranlage,
tauchen dann später bei den vom Bundesministerium de r Verteidigung geförderte n
deutschen Senkrechtstartern wieder auf .
Im neunten Testflu g stürzt e de r Coléoptère ab. Beim Versuch, die Transition i n
den Horizontalflug z u erproben, kam es zu Instabilitäten u m alle drei Achsen, die
Sinkgeschwindigkeit nah m laufen d zu . I n 5 0 Meter Höh e betätigt e de r Pilo t de n
82 BOSSUA T [1993] (wie Anm. 8) S. 602. Bossuat gibt den Namen jedoch irrtümlich mit »Herbei« an.
162
Ulrich Albrech t
Schleudersitz. Amtlich handelte es sich bei der Absturzursache um einen Pilotenfeh ler. Intern wurde de r Fehler späte r gefunden : bei m Sinkflug rückwärt s wandert e de r
Auftriebsschwerpunkt vo m Bereic h 1 0 bis 1 5 Prozent de r Flügeltief e (vo n vorn ge messen) auf etwa die gleiche Marge vom Flügelende gerechnet - wa s sich steuerungstechnisch i n keine m Fal l beherrsche n ließ . Auc h wurde n Rezirkulationsprozess e
beim Flug in Bodennähe festgestellt - da s Düsentriebwerk saugt e die eigenen Abga se an un d verlo r rasc h a n Schub . Das Projek t erwie s sic h gegenübe r de m Stan d de r
Technik al s überambitionier t un d lie ß sic h i m Rahme n eine r normale n Waffenent wicklung nich t zu r Reif e führen . De r Mange l a n Forschungsvorlau f erwie s sic h al s
zu groß .
Die Bundesregierun g zo g sic h nach de m Abstur z au s dem Projek t zurück , gege n
heftige französisch e Proteste , und leistet e ein e Abschlußzahlung i n nicht bekannte r
Höhe. Danach entschlosse n sic h die französischen Behörden , die Arbeiten a m Coléoptère einzustellen. Das deutsche Team bei der SNECMA löst e sich auf. Ei n Teil der
Deutschen wechselt e z u de r Firm a Focke-Wul f i n Bremen , di e bald mi t Entwürfe n
zu neuen Senkrechtstartern Aufsehe n erregte .
Deutsch-französische Kooperatio n nach 1955
Mit de r Wiedererlangun g de r (begrenzten ) Souveränitä t un d de m Aufba u de r Bun deswehr eröffnete n sic h de r deutsche n Beschaffungspoliti k groß e Entscheidungs spielräume fü r di e Rüstungszusammenarbeit mi t dem Ausland . Verständlicherweis e
erhoffte ma n sich in Frankreich ein e besondere Zuwendung de r Deutschen, denn eine ähnlic h eng e rüstungstechnisch e Zusammenarbei t wi e zwische n Fachleute n bei der Lände r ha t e s mi t andere n mögliche n Partner n wi e de n Amerikaner n un d de n
Briten in der Nachkriegszeit nich t gegeben 83.
Die List e de r französische n Offerte n fü r di e Erstausstattun g de r Bundesweh r
bleibt beeindruckend . I n de r deutsche n Literatu r wir d si e nicht wahrgenommen .
Vom 22. bis zum 27 . November 195 4 erfolgte ein e speziell für di e künftige Bundes wehr arrangiert e Waffenschau i n Mailly. Die neu erstanden e französisch e Rüstungs industrie zeigt e i n größte r Offenhei t all e ihr e Trümpfe : di e neue n leichte n Panze r
AMX-13, vo n dere n Motore n e s in kau m verhüllte r Anspielun g au f di e Maybach Gruppe hieß: »Fabriqués avec le concours de spécialistes allemands et dont les caractéristiques sont encore tenues secrètes à l'égard de s Anglais et des Américains« 84. Die
Armée de l'Air offerierte ihr e modernsten Düsenjäger , da s Muster Dassault Mystère
IV und soga r Frankreichs erste n Überschalljäger, di e Dassault Supe r Mystère (deren
Prototyp bal d danach , i m Mär z 1955 , erstmal s flog) . Be i Transportflugzeuge n (e s
wurden verschiedene Muster vorgeflogen) sowi e bei anderem Fluggerät wurden de n
Deutschen vergleichbar e Avance n gemacht . Be i eine m Besuc h vo n Bundesverteidi gungsminister Theodo r Blan k i m Juni 195 5 wurde übe r ein e weitgehend e Zusam menarbeit i n de r Waffenentwicklun g gesprochen : e s gin g u m U-Boote , Geschütze ,
Radaranlagen, Antrieb e un d Schützenpanzer . Auc h wurd e de r wechselseitig e Aus tausch von technischem Fachpersona l erörtert 85.
83 Darau f geh t besonders BOSSUA T [1994 ] (wie Anm. 8 ) S. 166f. ein .
84 Zit . nach BOSSUA T [1993] (wie Anm. 8 ) S. 604.
85 Ibid. , S. 605; BOSSUAT [1994] (wie Anm. 8) S. 168.
Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s ( 1945-1960) 16
3
Im wesentliche n kame n dies e französischen Erwartunge n au f ein e weitreichend e
Rüstungskooperation mi t de n Deutschen , au f de r Grundlag e de r positive n Erfah rungen mi t de n Rüstungsexperten au s der Erbmasse de s Dritten Reiches , nicht zu m
Tragen. Politisc h is t i n Deutschlan d de r Ministerwechse l z u Franz-Jose f Strau ß z u
berücksichtigen. Der verstand umfassender al s Blank die Abhängigkeiten de r junge n
Bundesrepublik gegenübe r Amerika . Auc h besa ß Strau ß de n Nerv , de n Franzose n
zu eröffnen , da ß di e vo n ihre r neuerstandene n Rüstungsindustri e fabrizierte n Rü stungsgüter i m Leistungsvermöge n noc h nich t amerikanische n Vergleichsmuster n
entsprachen. A m gravierendste n dürft e di e Regierungsübernahm e durc h d e Gaull e
1958 gewirkt haben - diese r beendete erst einmal die in den Endjahren de r IV. Republik angebahnt e Politi k eine r enge n rüstungswirtschaftliche n Kooperatio n mi t de n
Deutschen86.
Ein zweites , bal d Gegensätz e erzeugende s Momen t bestan d i n de r unterschied lichen Orientierun g Deutschland s un d Frankreich s au f di e NATO. D e Gaull e be trachtete di e Nordatlantische Allianz , bis hin i n die Niederungen de r Waffenbeschaf fung, als nicht Frankreich dienlich. Die Bundesregierung versuchte andererseits, durch
betonte NATO-Treue bei Rüstungsbeschaffungen de n inneren Zusammenhalt der Allianz zu festigen .
In de r Luftrüstun g stan d i n de r zweite n Hälft e de r fünfzige r Jahr e vo r alle m
NATO-weit di e Beschaffun g eine s leichte n Jagdbomber s an , sowi e di e Entschei dung, welche n Standardjäge r di e Bundesluftwaff e nac h ihre r Erstausstattun g mi t
amerikanischen Hilfslieferunge n erwerbe n würde .
In beide n Fälle n erwies sich die deutsche Seite in ihrer Entscheidung überfordert .
Das Ausma ß de r industrielle n Möglichkeiten , mi t Dassaul t fü r da s Projek t Mirage
III zu votieren , wurd e simpe l i n Bon n nich t wahrgenommen . Da ß bundesdeutsch e
Entscheidungen rüstungswirtschaftlich e Trend s setze n würden , wa r fü r Bon n ein e
neue Erfahrung 87.
Bei de r Ausschreibun g eine s Standard-Jagdbomber s gin g di e NAT O erstmal s
übernational vor . Es gin g um ei n Großprojekt : di e Standardisierung de r Luftflotte n
des Bündnisse s i n eine r Schlüsselkategori e de r Rüstung . Erstmal s erfolgt e ei n soge nanntes NBM R (NAT O Basi c Militar y Requirement) , welche s »di e NATO-Be fehlshaber, insbesonder e SACEUR .. . zu erarbeiten« hatten 88.
Frankreich trat gleich mit drei Entwürfen an . Technologisch am eindrucksvollste n
war der Entwurf de r alten Pionierfirma Bregue t geraten. Ihr Jabo Taon bestach durc h
eine aerodynamisc h brillant e Linienführun g un d entsprechend e Flugleistunge n
(Abb. 3) . Dassault hatt e sic h wenige r Müh e gegebe n un d offeriert e ein e adaptiert e
Version (Étendard VI) eine s ansonste n fü r di e Aéronavale entwickelten leichte n
Kampfflugzeuges. Weni g überzeugte auc h da s Modell Baroudeu r de r Su d Aviation :
dieser Jabo sollte beispielsweise auf Kufen stat t auf Rädern landen .
86 Au s französischer Sich t dazu instrukti v BOSSUA T [1994 ] (wie Anm. 8 ) S. 172f .
87 Übe r di e Rivalität zwischen der französischen Optio n (Mirage III) und de r US-Option (Supe r Tige r
oder F-10 4 Starfighter ) lieg t hinreichen d Literatu r vor , etw a be i BOSSUA T [1994 ] (wi e Anm . 8 )
S. 181f .
88 Han s Ott o SEYDEL , Hans-Georg KANNO , Di e Rüstung, in: Karl CARSTENS , Dieter MAHNCK E (Hg.) ,
Westeuropäische Verteidigungskooperation , München , Wie n 1972 , S. 162f. Ministerialra t Dr . Han s
Otto Seyde l und Dr . Hans-Geor g Kann o ware n Angehörig e de s Bundesministeriums de r Verteidi gung, so daß die im folgenden nac h diesen zitierten Angabe n al s amtlich gelte n dürfen .
164
Ulrich Albrecht
Das Rennen machte ein Entwurf der italienischen Firma FIAT. In Italien (und anderswo) war das erfolgreiche amerikanisch e Jagdflugzeug Nort h America n F-86 in
Lizenz nachgebaut worden. Die FIAT-Ingenieure hatten wenig mehr getan, als mit
ihrem Entwurf G.91 ihren Nachbau an die NATO-Spezifikation z u adaptieren. Verständlicherweise zeigte sich diese Adaption in der NATO-Erprobung den französi schen Prototype n i m Alltagsgebrauc h überlegen , s o da ß de r Zuschla g a n Italie n
ging. In de r Bundesrepublik, di e sich in NATO-Treue übte , wurden hernac h 294
FIAT-Jabos gebaut . Die Italiene r selbe r bestellte n ein e geringere Anzah l fü r de n
Eigenbedarf. All e andere n NATO-Staate n truge n di e Entscheidun g de r Brüssele r
Zentrale nicht mit und versorgten sich anderweitig mit Jagdbombern.
So verblieben de r deutsch-französischen Rüstungskooperatio n i n der Technologiewende hin zu den sechziger Jahren in der Luftfahrttechnik lediglic h zweitrangige
Technologielinien (zweitrangi g sowoh l i m Vergleich mi t militärischer Spitzentech nologie bei militärischem Großgerät , wie auch im Vergleich zur Weltmarktkonkur renz): Transportflugzeuge (Noratlas , Transall), Übungsflugzeuge (Magister ) un d
U-Boot-Bekämpfungsflugzeuge (Atiantique) .
1. Die Transportflugzeugprogramme
Die französische Konzeptio n der Nachkriegsära für ei n modernes Militärtransport flugzeug knüpft e direk t a n amerikanische und deutsch e Entwürfe an , symbolisiert
durch de n Doppelleitwerkträger , de r da s Rumpfend e fü r de n Abwur f vo n Fall schirmlasten freigab (i n Deutschland bei Kriegsende besonders das Muster Gothae r
Waggonfabrik Go 242, in den USA die Muster C-82 und C-l 19 der Firma Fairchild).
Als de r Nachba u de s s o konzipierte n Typ s Nor d Aviatio n Noratla s (Abb.4 ) i n
Deutschland anstand , kehrten di e deutschen Ingenieur e gewissermaße n z u eigene n
Konzepten zurück 89.
Das Muste r Nor d N . 250 1 Noratlas , angetriebe n durc h zwe i Kolbenmotoren ,
folgte stu r de m andernort s i m Zweite n Weltkrie g geborene n Konzept . Technolo gisch nachholend wurde n zwische n 195 1 und 196 1 insgesamt 428 Einheiten gefer tigt, davon 161 Stück in Deutschland. Technologisch blieb dieses Programm infolg e
seiner Bindung an Konzeptionen des Zweiten Weltkrieges wenig aufregend. Die allgemeineren Erträg e diese s Gemeinschaftsprojekte s (welche s eigentlic h lediglic h i n
einer Lizenznahm e i n de r Bundesrepubli k bestand ) sin d vo r alle m i m außertech nischen Bereic h z u suchen : de m Erwer b vo n Kooperationserfahrunge n zwische n
deutschen und französischen Behörde n und Unternehmen.
Die Bildun g de r Europäische n Wirtschaftsgemeinschaf t 195 7 gab politisc h de n
Anlaß, weitaus enger e Formen auc h de r rüstungswirtschaftliche n Kooperatio n z u
suchen. Die französische, di e deutsche und di e italienische Regierung, die wichtigsten Initiante n europäische r Integration , hatte n i m Rahme n de r Ausfertigun g de r
Römischen Verträg e eine n »Dreierausschuß « gebildet , de r industriepolitisc h di e
Dynamik de r europäischen Einigun g umsetzen sollte . Die Kommission »Luft « de s
Ausschusses ging Ende 1957 daran, die aus den drei Ländern eintreffenden Entwürf e
89 Übe r di e Verbindungen de s Noratlas-Konzeptes z u vorangehende n deutsche n Entwürfe n infor miert die erwähnte Vorstudie (wie Anm. 17) S. 202f.
Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960 ) 16
5
für eine n moderne n Militärtransporte r z u bewerte n un d ein e gemeinschaftlich e
Lösung auch für die Fertigung zu bilden.
Als Nachfolgemuste r z u de r scho n währen d de r Phas e de r Produktio n i n
Deutschland veralteten Noratlas (auf dem Weltmarkt dominierte das Muster Hercules der US-Firm a Lockhee d mi t Turboprop-Antrieb ) wurde n a b 195 7 in den dre i
Staaten Vorprojekt e fü r eine n sogenannte n »KampfZonentransporter « konzipiert .
Am 10 . März 195 8 fand i m Bundesverteidigungsministerium ein e Besprechung z u
den eingereichte n deutsche n Entwürfe n statt . I m Dezember 195 8 erfolgte di e ent scheidende Auswahlsitzun g de r trilaterale n Kommissio n »Luft« . Zwa r ware n di e
Italiener an diesem Vorgang noch beteiligt, das Vorhaben entwickelte sich jedoch zunehmend zu einem kollaborativen Projekt zwische n Franzosen und Deutschen. Im
Ergebnis wurd e gemeinsa m zwische n französische n un d deutsche n Instanze n da s
Muster Transall (Transporter Allianz) konzipiert (Abb.5).
Der »Dreierausschuß « mitsam t seine r Kommissio n »Luft « hatt e ni e die Bedeutung erlangt, die die drei Regierungen ihm zu geben beabsichtigten. Es handelte sich
um eine im politischen Alltag rasch verbleichende Initiative, die das tastende Suchen
der europäischen Regierungen nach neuen Formen der wirtschaftlichen Zusammen arbeit widerspiegelt. Italien zog sich bald zurück. Fortan nahm das noch kurz zuvor
mit soviel politischer Emphas e begonnene Transall-Projekt eine n recht konventio nellen Weg. Di e Verteidigungsminister Frankreichs und Deutschlands verständigten
sich darauf, die am Noratlas-Bau beteiligten Firmen zu beauftragen, di e verbleibenden zwei Entwürfe zu einem gemeinsamen Projekt zusammenzuarbeiten .
Auch di e Industrie verhiel t sic h betont abwartend . Di e Beteiligten ware n deut scherseits Messerschmitt-Bölkow-Bloh m (MBB ) un d VFW-Fokker , au f französi scher Seite Aérospatiale, d.h. die vormalige Nord Aviation . Die Beteiligten einigten
sich au f di e institutionel l schwächst e möglich e Lösun g fü r di e Ausführun g
ihres gemeinsamen Projektes, die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft (dies e Kooperationsform is t in Deutschland vo r allem aus dem Tiefbau bekannt , wo Unterneh men sich zum Bau von Großprojekten ad-ho c zusammenschließen, etwa der Erstellung einer Autobahn, um nach Beendigung eines solchen Projektes u m s o heftige r
um einen Folgeauftrag z u konkurrieren, dann neue Koalitionen bildend). Am 28. Januar 195 9 wurde n in einer »Konferenz« der beteiligten Firmen (ein geringwertigerer
Rahmen läßt sich nicht vorstellen) die wesentlichen Merkmale des angestrebten gemeinsamen Transportflugzeuge s festgelegt . »Diese r Ta g gilt al s Gründungsta g de r
Arbeitsgemeinschaft Transall« , heißt e s in einer industrienahe n Chronik 90 - wobe i
der gewählte Wortlaut (»gilt als ...«) die Brüchigkeit des Vorganges nur zu deutlich
wiederspiegelt. Da s industrieseitig schwach e institutionelle Ech o bleib t u m s o bemerkenswerter, weil es den politischen Instanzen seinerzeit um nichts weniger ging
als »die gemeinsame Entwicklung und Produktion eines militärischen Turboprop90 Hors t WALTER , Dietma r PLATH , Transall . Enge l de r Lüfte , Stuttgart , 21988, S. 58. Aber auc h gege n
sozialwissenschaftliche Literatu r bleib t Reserv e angebracht . Di e zitierte n BENECKE , KRAFF T (wi e
Anm. 1 ) schreiben i n ihre m Beitra g fü r di e »Dokumente « di e Industriesich t einfac h nac h (S . 110):
»Bereits i m Jahre 195 9 gründete n MB B (Messerschmitt-Bölkow-Blohm) , Aérospatiale und VF W
die Grupp e >Transall<.. . Di e Regierungsverträg e fü r de n Serienba u folgte n ers t 1965. « Zwa r is t di e
Angabe de s Datum s übe r da s Regierungsabkomme n fü r de n Serienba u zutreffend . All e andere n
vorherigen Schritt e de r beide n Regierunge n i n Sache n Transall abe r z u übersehe n (ode r sollt e ma n
sagen: zu unterschlagen?) zeug t denn abe r doch von einer bemerkenswerten Blickverengung .
166
Ulrich Albrech t
Transporters«91. 196 0 unterzeichnete n di e deutsch e un d di e französisch e Regie rung einen internationalen Vertrag über die Entwicklung des Projektes Transall.
Das anhaltend e französisch e Engagemen t etw a fü r diese s Gemeinschaftsprojek t
drückt sic h darin aus , daß den unerfahrenen Deutsche n ga r die Funktion de s Projektmanagements überlassen wurde (diese Rolle füllte VFW-Fokker in Bremen aus).
Die Franzosen bewegten sich überaus diskret, um ihre Erfahrungen für das Gelingen
des Projektes nutzba r zu machen. Nord Aviatio n fertigte anstell e des Projektmana gers de n erste n Prototy p de s Flugzeuges , di e Ermüdungstest s fande n be i EA T i n
Toulouse statt, ohne daß davon viel Aufhebens gemach t wurde.
Ein größerer Erfolg blieb dem so entstehenden Muster Transall versagt. Lediglich
die Luftstreitkräfte Frankreich s und der Bundesrepublik Deutschland erwarben dieses Muster. Im Vergleich besonders zu amerikanischen Transportern blieb die Transall unterlegen. Nu r de r Paria-Staa t Südafrik a ordert e neu n Flugzeuge , weil e r von
Lieferungen de r amerikanische n Hercule s ausgeschlosse n blie b (ferne r erhiel t di e
Türkei eine Anzahl Transall aus deutschen Beständen). Der Produktionslauf erreich te bescheidene 169 Einheiten, das Gesamtvolumen des Projekts lag knapp unter vier
Milliarden DM 92. Das Projekt Transal l verkörpert, über die Noratlas hinaus , somit
lediglich eine n weiteren Schritt , unabhängig vom Weltmarkt z u eine r Verstetigun g
der französisch-deutschen Rüstungszusammenarbei t z u kommen, mit beachtlichen
Zugeständnissen auf französischer Seite.
Einzelne Autore n werte n da s Transall-Program m positiver . Christia n Muguet
schreibt, daß dieses Projekt »als technischer und politischer Ausgangspunkt des Airbus-Programms angesehe n werden« könne 93. In de r zitierten industrienahe n deut schen Monographie wir d festgehalten : »Mi t der Transall C 16 0 wurde zu m erste n
Male i n de r Geschicht e de s Flugzeugbau s ei n Großflugzeu g gemeinsa m vo n de r
Luftfahrtindustrie zweie r Staaten entwickelt, erprob t un d gebaut« 94. Dem ist nicht
zu widersprechen, nur gab es in zügiger Folge bald ungleich wichtigere internationale Luftfahrtprojekte, vo n der britisch-französischen Concord e bis hin zu Flugzeugen wie Jaguar , Alpha-Jet und Tornado.
2. Das Schulflugzeugprogramm CM. 170 Magister
Als noch weniger Zukunftsperspektiven eröffnen d erwie s sich der deutsche Nach bau de s Schulflugzeuges Potez-Ai r Foug a Magister . Di e mittelständische n Firme n
Potez und Ai r Fouga, nach Jahren de r Untätigkeit i m Luftfahrtsektor infolg e ver schiedener Nationalisierungsmaßnahmen i n Frankreich, suchten mit diversen Leichtflugzeugen sic h in einer Marktnische z u etablieren . Mi t dem Magister-Schulflug 91 S o John W.R. TAYLOR (ed.), Jane's All the World's Aircraft, London 1970-71 , S. 124.
92 SEYDEL , KANN O (wi e Anm . 88 ) S . 201 .
93 Christia n MUGUET, Rüstungsindustrie un d Kooperationspolitik : Erfahrunge n un d Reichweit e de r
deutsch-französischen Zusammenarbeit , in : Lothar BROCK , Mathia s JOP P (Hg.) , Sicherheitspoliti sche Zusammenarbeit und Kooperation der Rüstungswirtschaft i n Westeuropa, Baden-Baden 1986 ,
S. 134. Mit Blick auf folgende deutsch-französisch e Gemeinschaftsprogramm e schreib t Muguet zusammenfassend a n gleicher Stell e übe r die Kooperatio n beide r Länder : »Si e ist di e umfangreichst e
zwischen zwe i westeuropäischen Staaten , wenn nich t sogar die bedeutendste Rüstungskooperatio n
überhaupt« (S . 130).
94 WALTER , PLAT H (wi e Anm . 90 ) S . 58 .
Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s ( 1945-1960) 16
7
zeug schie n die s zunächs t z u gelingen . De r Jungfernflug diese s vo n zwe i Turbo méca-Leichtturbinen angetriebenen Muster s fan d i m Jul i 195 2 statt , da s erst e
Serienmuster wurde im Frühjahr 195 6 ausgeliefert (Abb.6) . Drittrangige Produzen ten, Flugzeughersteller i n Finnland und Israel, erwarben neben der Bundesrepublik
die Nachbaurechte an dem Trainer. Insgesamt wurden von diesem Muster zwischen
1952 und 196 3 mehr als eintausend Einheiten gefertigt, auc h für de n Export in afri kanische Länder wie Algerien, Kongo, Marroko, Nigeria und Uganda. Von den konzipierten Weiterentwicklunge n de r Magiste r ka m kein e einzig e zu m Tragen , wa s
sowohl für die industrielle Schwäche der Produzenten wie für das Ende der Nischensituation spricht. Im deutsch-französischen Verhältni s ist die Affäre Magiste r allenfalls als Zwischenschritt beim Versuch zu werten, sich aufeinander zuzubewegen .
3. Das Projekt Breguet Atiantique
Die Erwartung, da ß di e Bundesmarine al s Erstausstattung fü r di e U-Boot-Überwa chung der Ost- und Nordsee das Muster Breguet 1050 Alizé erwerben würde, wo doch
die gemeinsame Entwicklung eines Folgemodells, der Breguet Atiantique, vorbereitet
wurde, gin g nich t i n Erfüllung . Au s i n französische r Sich t nich t nachvollziehbare n
Gründen gin g seinerzei t de r deutsch e Erstauftra g a n die britische Konkurrenzfirm a
Fairey. Die lieferte zwei Dutzend Exemplare ihres U-Boot-Aufklärers Ganne t A.E.W. 3
(die Technologie der späten vierziger Jahre repräsentierend) an die Bundesmarine aus.
Unter der Federführung de s »NATO Armaments Committee« wurde eine internationale Spezifikatio n erarbeite t (erneu t ei n sog . NATO Basi c Military Require ment), um vor allem einem Leitziel zu dienen, dem Loskommen von amerikanischer
Technologie. Diese wurde 195 8 veröffentlicht. 2 5 Entwürfe ginge n au f dies e Ausschreibung hin ein. Breguet gewann das Rennen mit seinem Modell 1150.
Die fünf Regierunge n Belgiens, der Bundesrepublik, Frankreichs, der Niederlande sowie - kau m zu glauben - de r USA übernahmen hernach die Verantwortung fü r
die Finanzierung un d di e Überwachung diese s NATO-Programms. Späte r stieße n
die Italiener hinzu.
Die Arbeitsteilung für die Erstellung des Flugzeuges erfolgte erneut ad-hoc, ohne
klares Muster. Die niederländische Firm a Fokker übernahm di e Flügelmittelstück e
sowie die rückwärtigen Teile der Triebwerkummantelungen. Di e deutschen Unter nehmen Dornier und MBB erhielten die unteren Rumpfhälften sowi e das Heck mitsamt dem Seitenleitwerk (anders ausgedrückt: die weniger anspruchsvoll herstellbaren Teile). Breguet bekam die Zuständigkeit für den Rumpf mit seiner anspruchsvollen Elektronik. I n Spanie n wurde n di e Fahrwerke hergestellt . Italienisch e Firme n
bekamen di e Mittelstück e de r Triebwerksmäntel , di e Höhenleitwerk e sowi e Teile
der Bugsektio n zugesprochen . I n Belgie n wurde n divers e Zulieferunge n gefertigt .
Die französische Direction Technique des Constructions Aéronautique s leitete die
Arbeiten, s o daß ein e klare Führungsstruktu r i n de m internationale n Konsortiu m
gegeben war. Dies stellt einen deutlichen organisatorischen Fortschritt gegenüber etwa den Arbeiten a m Transall-Projekt dar . Im Oktobe r 196 1 startete der Prototy p
dieses Vielnationenprojektes erfolgreic h zu m Erstflug. 8 7 Einheiten wurde n gefer tigt, das Finanzvolumen belief sich auf 3,3 Milliarden FF95. Exporterfolge blieben der
95 SEYDEL , KANN O (wi e Anm . 88 ) S . 196 .
168
Ulrich Albrecht
Atlantique versagt - di e amerikanische Konkurren z erwie s sic h vor alle m aufgrun d
ihrer Überlegenheit i n der Elektronik al s unschlagbar.
Ergebnisse
Schrittweise ha t sic h di e deutsch-französisch e rüstungswirtschaftlich e Kooperatio n
im Berichtszeitraum entwickelt . Unmittelbar nac h dem Krieg e stand verständlicher weise da s französisch e Bestrebe n i m Vordergrund , durc h rasche n Zugrif f au f di e
vom Nationalsozialismu s hinterlassen e Technologiebeut e zumindes t teilweis e Rück stände auszugleichen , di e in der Rüstungstechnologi e i m Vergleich mi t de n führen den Militärmächte n zwangsweis e i n Frankreic h eingetrete n waren . E s wir d zutref fen, da ß di e französische n Behörde n be i diese n Versuche n nich t gerad e zimperlic h
vorgegangen sind .
Im Rückblic k erweise n sic h die dominanten französische n Projekt e zu r Akquisi tion vo n Rüstungsfortschritte n de s Dritte n Reiche s al s von beeindruckende r Weit sicht geprägt . Die s gil t besonder s fü r di e Technologielinie n Düsentriebwerk e un d
Raketen, aber auch für de n Hubschrauberbau .
Eine zumindes t indirekt e Anerkennun g de r Standard s de r deutsche n Team s er folgte durc h di e spätere Berufung vo n eine r Anzahl vo n i n Frankreich tätige n Fach leuten au f Professure n i n de r Bundesrepublik : di e wieder eingerichtete n Lehrstühl e
für Luftfahrttechni k ginge n i n Berli n a n Heinric h Herte l (SNCAS E Marignane), in
Aachen a n August-Wilhel m Quic k (SNECMA ) un d i n Stuttgar t a n Ulric h Hütte r
(ebenfalls SNECMA) . Henrich Fock e (SNCASE Argenteuil ) war kurzfristig Hoch schullehrer i n Stuttgart . Euge n Sänge r (LRBA ) wurd e Ordinariu s i n Stuttgar t un d
Berlin, Klaus Oswatitsch (ebenfall s LRBA ) war Professo r i n Aachen und Wien . Ei n
vergleichbarer akademische r »Ertrag « für deutsch e Hochschulen is t für kei n andere s
Land z u verzeichnen , welche s nac h de m Krieg e deutsch e Rüstungsfachleut e be schäftigte - sieh t man einmal von dem Sonderfall ab , daß eine erhebliche Anzahl vo n
aus de r UdSS R heimkehrende n Deutsche n i n de r DD R besonder s i n de r Kern physik, aber auch im Luftfahrtsektor akademisch e Würden errang .
Es ga b daneben ein e Anzahl vo n technologisc h nich t weiterführende n Ansätzen ,
vor allem mit mittelständischen französische n Firmen . Dies früh begriffe n z u haben ,
bleibt vo r alle m de r französische n staatliche n Seit e vorbehalten. Ein e gewiss e Aus nahme bilde t da s V-l-Projekt , desse n militärisch e Nutzlosigkei t ers t spä t erkann t
wurde.
Die Projekt e de r unmittelbare n Nachkriegszei t leitete n i m Arkanu m de r Rü stungstechniker ein e Kooperation ein , die in den sechziger Jahren di e Grundlage fü r
eine groß e Offenhei t au f französische r Seit e abgibt , be i de n informierte n Elite n i m
Rüstungssektor, fü r Gemeinschaftsprojekt e mi t den Deutsche n z u votieren. I m we sentlichen bleib t festzuhalten , da ß di e fünfzige r un d sechzige r Jahr e i m deutsch französischen Verhältni s i n rüstungswirtschaftliche n Dinge n de n Versuc h eine r
Annäherung symbolisieren , wobei auf französischer Seit e beklagt wird, daß die neue
Bundesrepublik nu r zögerlic h un d ausweichen d au f di e in französischer Sich t weit gehenden Offerte n Mitt e der fünfziger Jahr e reagiert .
Die N A T O mi t ihre n diverse n Ausschreibunge n wirk t i n französische r Sich t al s
wirksamer Filter , u m i m anglo-amerikanische n Interess e di e deutsch-französisch e
Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960 ) 16
9
Rüstungskooperation nich t in s Krau t schieße n z u lassen . U m s o nachdrückliche r
formiert sic h die Frage a n die Deutschen, wi e ernst si e die Partnerschaft mi t Frank reich denn zu nehmen gedenken .
Spürbar is t au f jede r Stufe diese r Skizze , wie seh r di e gro b konstruierte n These n
der Unterfütterung durc h konkret e Forschun g bedürfti g sind . Es bleibt bemerkens wert festzuhalten , wi e dün n de r sozialwissenschaftlich e Forschungshintergrun d z u
den hier vorgetragenen Positione n bleibt .
Nicht recherchierbar , i n eine Tabuzone verwiesen , bleib t i n meiner Sich t die Kol laboration französische r Experte n fü r di e Rüstungsanstrengunge n de s Dritte n Rei ches währen d de r Besatzungszeit 96. Abe r auc h dies e Phas e gehört , nich t nu r i n de n
Erinnerungen de r Beteiligten , zu r Geschicht e de r deutsch-französische n Zusam menarbeit i n der Rüstung .
96 Einig e Informatione n finde n sic h i n US-amerikanische n Geheimdienstberichten . I m Herbs t 194 4
suchten di e Amerikane r vo n französische n Fachleuten , di e a n deutsche n Rüstungsprojekte n betei ligt waren , z u erfahren , welch e kriegswichtige n Neuerunge n au f Seite n de r Deutsche n z u gewärti gen seien . »Obwoh l insgesam t 4 8 Ziel e vo n de m Luftfahrt-Tea m i m Großrau m Pari s untersuch t
wurden, ware n technisch e Informatione n vo n einige m Gehal t nu r i n wenige n Fälle n z u erhalten« ,
resümiert ei n solche r amerikanische r Berich t (Logan-Bericht , wi e Anm. 27 , S. 3). Als »Informatio nen von Wert« bezeichnet dieser Bericht Blaupausen z u dem viermotorigen Bomberprojek t Heinke l
He 27 4 sowie dem gleichfall s viermotorige n Transporter Focke-Wul f F w 300 . »Nach der Besetzun g
Frankreichs, al s di e französisch e Luftfahrtindustri e de r deutsche n Kapazitä t eingeglieder t wurde ,
setzte Tan k bei m RL M durch , da ß französisch e Fachleut e a n de m Projek t weiterarbeite n durften .
Unter de r konstruktive n Oberleitun g Dipl.-Ing . Bansemir s .. . übernah m de r ganz e Sta b mi t hoch wertigen Fachkräfte n de s Parise r Konstruktionsbüro s de r SNCAS O di e konstruktiv e Ausarbei tung der Fw 300 . Nach zweijährige r Kleinarbei t war die Fw 300 baureif.« Hernac h »wurd e der gleichen Entwicklungsgrupp e di e Aufgab e übertragen , eine n Langstreckenbombe r z u entwerfen , de r
10000 k g Bombenlast übe r ein e Strecke von 480 0 km beförder n konnte . Die Entwicklungsarbeite n
wurden vo n de r vo n Focke-Wul f kontrollierte n Grupp e Technique de Châtillon, einer Konstruk tionsgemeinschaft vo n übe r 30 0 französische n Technikern , durchgeführt , di e i n Châtillon-surBagneux, einem südliche n Vorort vo n Paris , untergebracht waren, « heiß t e s dazu i n einer deutsche n
Luftfahrtgeschichte (Hein z J . NOWARRA , Di e deutsch e Luftrüstun g 1933-1945 , Koblen z 1986 ,
S. 10 5 u . 112) . De r Logan-Berich t heb t hervor , »da ß vo n de n französische n Ingenieure n verlang t
wurde, anhan d minimale r Informatione n Strukturteil e un d Komponente n z u konstruieren « (ibid. ,
S. 3). Die Politik der Ausgrenzung französische r Fachleut e wurde von de n Deutschen augenschein lich besonders i m Forschungsbereich angewendet . I n dem modernen Windkana l i n Chalais Meudo n
etwa wurd e »di e französisch e Bedienungsmannschaf t bi s au f wenig e einfach e Hilfskräft e wegge schickt, un d selbs t dies e wurden fü r ein e Period e vo n zeh n Tage n ode r s o ausgeschlossen , wen n e s
um besonder s geheim e Forschungsarbeite n ging « (Logan-Bericht , S . 16) . Ansonsten wurde n fran zösische Ingenieur e de n amerikanische n Unterlage n zufolg e fü r zweitrangig e Aufgabe n eingesetzt ,
wie de r Erstellun g eine r Flugzeugträger-Variant e de s Luftwaffen-Standardjäger s Me 109 un d de r
Vergrößerung de r Durchmesse r de r Fahrwerk e (Caudron-Renault ) ode r di e Anpassun g de s Nach folgemusters F w 19 0 a n ander e Motore n ode r Tragfläche n größere r Spannweit e (SNCASO) . Fü r
den erste n Düsenbombe r de r Welt , di e Arad o 234 , wurden eine m weitere n amerikanische n Be richt zufolg e vo n de r französische n Firm a H.I.P.A . i n Pari s Rude r un d Leitwerk e gefertig t (Fligh t
Lieutenant R.S . Sproul e u.a. , Investigation of ga s turbine and jet propulsio n work i n Paris ,
29 Aug.- 8 Sept . 1944 , Combined Intelligence Objective s Sub-Committee, G- 2 Division , SHAE F
[Rear] A PO 413 , S. 7). Hin un d wieder waren französische Betrieb e augenscheinlich wichtig e Liefe ranten für hochwertig e Technologie des Dritten Reiches . VIELLAIN [(wi e Anm. 9) S. 3] berichtet, daß
die Pariser Firma L a Précision Mécanique , vermutlich ohn e den Bestimmungszweck z u kennen, be i
Kriegsende Servomotoren fü r di e Vergeltungswaffe V- 2 fertigte .
WILFRIED L O T H
DEUTSCHE U N D FRANZÖSISCH E INTERESSE N
AUF DE M WE G Z U EW G U N D EURATO M
Die Formulierung de s Titels läß t ei n Stück klassische r Diplomatiegeschicht e erwar ten: Unterschiedliche national e Interesse n treffe n aufeinander , erweise n sic h als teilweise komplementär un d führe n dan n z u eine m Verhandlungsergebnis , i n dem sic h
Geschick und Gewich t der beiden Verhandlungspartner widerspiegeln . In Wirklich keit lasse n sic h »national e Interessen « fas t ni e eindeuti g bestimmen . Wa s vo n de n
Verantwortlichen beide r Seite n in die Verhandlungen eingebrach t wird , erweis t sic h
bei näherem Hinsehe n al s das Ergebnis des Ringens unterschiedlicher Interesse n in nerhalb de r beteiligte n Nationen , unterschiedliche r Auffassunge n vo n nationale m
Interesse un d unterschiedliche r Konzeptione n überhaupt . Mi t de r Annäherun g de r
Standpunkte i n de n Verhandlunge n verschiebe n sic h zude m di e Positione n un d
Machtverhältnisse i n de n beteiligte n Ländern , s o da ß a m End e nich t nu r ei n Kom promiß, sondern auc h scho n ei n Stück Integratio n steht . Für Erfolg e i m Prozeß de r
europäischen Integratio n gil t die s i n besondere m Maße . Si e können dahe r nu r ver standen werden , wen n ma n de n Verhandlungsgan g un d di e interne n Diskussionen ,
die ihn begleiten, zusammen in den Blick nimmt. Dies soll hier für die Rollen geschehen, di e Frankreic h un d di e Bundesrepubli k Deutschlan d be i de r Entstehun g de r
Römischen Verträge gespielt haben 1.
Ungeliebte Projekt e
Die Vorschläge , mi t dene n Jean Monnet , der belgisch e Außenministe r Paul-Henr i
Spaak un d (mi t etwa s andere r Zielsetzung ) desse n niederländische r Kolleg e Joha n
Willem Beye n i m Frühjah r 195 5 die »relance européenne « nach de m Desaste r de r
Europäischen Verteidigungsgemeinschaf t (EVG ) einleiteten , stieße n zunächs t so wohl i n Frankreic h al s auc h i n de r Bundesrepubli k Deutschlan d au f wei t meh r
Widerstand al s au f Zustimmung . Angesicht s de r Füll e de r Widerständ e un d de s
Ausmaßes a n Gegensätze n wa r e s lange Zeit meh r al s fraglich, o b de r Versuch , de n
Prozeß de r europäische n Integratio n wiede r z u beleben , z u eine m produktive n
Erfolg führe n würde .
In Frankreich konnt e sic h so gut wie niemand fü r Beyen s Vorschlag vom 4. April
1955 begeistern, ein e »supranational e Gemeinschaft « z u bilden , di e »übe r de n We g
1 Di e Studie wertet die Materialien und Zeugnisse aus, die 1987 auf der Konferenz zu r Entstehung der
Römischen Verträge in Rom vorgelegt worden sind (veröffentlicht in : Enrico SERRA (Hg.), Il rilancio
dell'Europa e i Trattati di Roma, Mailand 1989) , und zieht zusätzlich seither zugänglich geworden e
Materialien heran . Fü r di e Bereitstellun g vo n Bestände n de s Politische n Archiv s de s Auswärtige n
Amtes in Bonn danke ich meinem Mitarbeiter Frank Bärenbrinker.
172
Wilfried Loth
einer Zollunio n bi s zu r Verwirklichun g eine r Wirtschaftsunion fortschreite n soll.« 2
Ein erste r Vorsto ß de s niederländische n Außenminister s i n diese r Frag e wa r scho n
1953 au f französische n Widerstan d gestoßen : Nachde m di e Preissteigerunge n i m
Gefolge de s allgemeine n Aufrüstungsboom s z u eine r dramatische n Verschlechte rung der französischen Handelsbilan z geführ t hatten , mußte die französische Regie rung i m Februar 195 2 Importrestriktionen verhängen ; danach glaubt e si e noch stär ker al s zuvor, sic h nur au f ein e kontrolliert e Marktintegratio n einlasse n z u können .
Von eine m Sprun g i n di e wirtschaftlich e Supranationalität , wi e si e die niederländi sche Regierung forderte , befürchtet e si e einen Ausverkauf noc h nich t wettbewerbs fähiger Wirtschaftszweige . Planungsbürokratie , Wirtschaftsverbänd e un d Arbeitneh merorganisationen sahe n di e Ding e genauso . Folglic h dacht e di e Regierun g Bidault
überhaupt nich t daran , den Niederländer n di e Wirtschaftsgemeinschaft al s Gegenlei stung zu der angestrebten Europäische n Politischen Gemeinschaf t (EPG ) anzubieten ,
die als Auffangunternehmen fü r di e bereits notleidende EV G gedach t war. Im volle n
Bewußtsein des Risikos für ei n Scheitern der EVG, das er damit einging, sorgte Bidault
im Frühjah r 195 4 fü r ein e Verschiebun g de s EPG/Wirtschaftsunion-Komplexe s au f
die Zeit nach der Abstimmung über die EVG im französischen Parlament 3.
Nach de m Scheiter n de r EV G wuch s de r französisch e Widerstan d gege n eine n
Gemeinsamen Mark t soga r noc h weiter : Z u de r Angs t vo r de m Ausverkau f noc h
nicht wettbewerbsfähige r Wirtschaftszweig e ka m jetz t auc h noc h di e verbreitet e
Aversion gegen die Supranationalität. Di e Gefahr eine r erneuten Ablehnung i m Par lament vor Augen, hütete sich die Regierung Faure, ein Projekt aufzugreifen , da s den
einhelligen Protes t alle r Wirtschaftsverbänd e un d Arbeitnehmerorganisatione n au f
den Plan zu rufen drohte .
Das einzige , was sic h Faur e nac h einige m Zöger n z u eige n machte , war de r Pla n
einer Gemeinschaf t zu r zivile n Nutzun g de r Atomenergie , de n Loui s Arman d i m
Kontakt mi t Jean Monne t entwickelt hatt e un d de r nu n i n de r offizielle n Initiativ e
des belgische n Außenminister s Paul-Henr i Spaa k vo m 2 . April 195 5 für ein e Bera tung der Sechs über die Ausweitung der wirtschaftlichen Integratio n genann t wurde .
Für Armand , damal s Präsiden t de r französische n Eisenbahngesellschaf t SNCF und
zugleich Direkto r fü r industriell e Anwendun g de r französische n Atomenergie Kommission CEA , ging es dabei um die Zurüstung Frankreichs und der übrigen Eu ropäer fü r di e bevorstehende dritt e industriell e Revolution . Monnet rückte di e Ide e
in den Mittelpunkt seine r eigenen Initiative, weil er ihre Implikationen fü r di e Sicherung europäische r Unabhängigkei t gegenübe r de n US A sogleic h begrif f un d zude m
glaubte, daß si e angesichts de r allgemeine n Fortschrittseuphori e mobilisieren d wir ken könne , zumal protektionistisch e Gegeninteresse n bereit s etablierte r Atom-Un ternehmen nich t in Sicht waren.
Für Edga r Faur e wa r woh l vo r alle m de r letztgenannt e Gesichtspunk t maßgeb lich. Grundsätzlic h a n de r Fortführun g de s europäische n Integrationsprojekte s in 2 Vgl . zu Beyen s Vorschlag Anjo G . HARRYVAN , Albert E. KERSTEN , The Netherlands, Bénélux and th e
relance européenne 1954-1955, in: SERRA (wie Anm. 1 ) S. 125-157.
3 Vgl . Wilfried LOTH , Di e EVG und da s Projekt eine r Europäischen Politische n Gemeinschaft , in : Rainer HUDEMANN , Hartmu t KAELBLE , Klau s SCHWAB E (Hg.) , Europ a i m Blic k de r Historiker , Mün chen 1995 , S. 191-201 .
Deutsche und französische Interesse n auf dem Weg zu EWG und Euratom 17
3
teressiert, konnte er die Vorschläge Spaaks und Beyens für ein e »relance européenne« nicht pauschal zurückweisen ; e r mußte abe r darau f bedach t sein , daß sic h die
Diskussion au f ei n Projek t konzentrierte , da s grundsätzlic h Chance n hatte , vo m
französischen Parlamen t ratifiziert z u werden. Dies schien ihm mit dem Projekt eines europäischen Atompool s gegeben ; darum wischte e r schließlich Bedenke n de r
CEA beiseite , deren Vertreter in dem Plan zunächst vorwiegend ei n Hindernis fü r
die Entwicklun g de s fortgeschrittene n französische n Atomprogramme s sahen . E r
machte freilich deutlich, daß die Atomgemeinschaft strik t auf den zivilen Bereich beschränkt bleiben sollte. Hinsichtlich des militärischen Bereichs war kurz vor Spaaks
Initiative i m Verteidigungskomite e ei n Pla n zu r Entwicklun g eine r nationale n
Atomstreitmacht beschlosse n worden. In seiner Antwort an Spaak und Beyen hielt
Faure vorsorglich fest, daß die Atomwaffe i n nationaler Verantwortung bleiben sollte; ein e gemeinsam zu errichtende Isotopentrennungsanlage (an der die CEA durchaus interessiert war) sollte nur die für die atomare Rüstung unerläßliche Versorgung
mit angereicherte m Ura n sicherstellen . Hinsichtlic h de r Vergemeinschaftun g de r
übrigen Energiebereiche und des Verkehrswesens, die Spaak ebenfalls vorgeschlagen
hatte, äußerte er sich nur vage4.
Die CE A stan d de m Atompool-Projek t freilic h zunächs t auc h weiter skeptisc h
gegenüber. Manche Militärs und auch konservative Politiker befürchteten, di e Trennung von zivilem und militärischem Bereich lasse sich in der Praxis nicht durchhalten; es würde entweder zu unnötiger Doppelarbeit oder doch zu einer verteidigungspolitisch ungewünschte n Durchlässigkei t kommen . Verschiedentlic h wurd e auc h
befürchtet, di e Entwicklung eines europäischen zivilen Atomprogramms würde die
Mittel schmälern, die für di e Entwicklung der nationalen Atomstreitmacht notwen dig waren. Auf de r anderen Seite waren kaum gesellschaftliche Gruppe n z u erken nen, die sich für da s Projekt der Atomgemeinschaft star k machten.
Die deutsche Bundesregierung begeisterte sich weder für den Gemeinsamen Markt
noch für die Atomgemeinschaft. Wirtschaftsminister Ludwi g Erhard sah in einer Zollunion der Sechs ein dirigistisches Hindernis auf dem Weg zu einem weltweiten Freihandelssystem, das de n Exportinteressen der deutschen Wirtschaft entsprach. 75 % des
bundesdeutschen Export s ginge n i m Jahr 195 5 in Lände r außerhal b de r Sechsergemeinschaft, und 72% der Einfuhren kame n von dort. Das ließ bei zahlreichen Vertretern der Industrie und des Handels Zweifel aufkommen, ob die Vorteile einer Liberalisierung des Binnenmarkts der Sechs nicht mehr als aufgewogen würden durch die Errichtung eines gemeinsamen Außenzolls , dessen Tarife deutlic h übe r den bisherige n
Tarifen des Exportlandes Bundesrepublik lagen. Angesichts der Schwäche der französischen Volkswirtschaft ware n zude m gemeinschaftlich e Regelunge n z u befürchten ,
die zu einer Wettbewerbsverzerrung au f Kosten der leistungsfähigeren deutsche n Industrie führten. Die neoliberalen Theoretiker wie Alfre d Müller-Armack und Wilhelm
Röpke warnten vor einem entscheidenden Schlag gegen das Freihandelsprinzi p und einer »Integration nach unten«: d.h. in Richtung hoher Außenzölle, langsamen Binnen4 Vgl . Pierre GUILLEN, La France et la négociation du traité d'Euratom, in: Relations internationales 44,
1985, S. 391-412; DERS. , L a France e t la négociatio n du traité d'Euratom , in: Michel DUMOULIN,
Pierre GUILLEN , Mauric e VAISSE (Hg.), L'Énergie nucléaire en Europe. Des origines à Euratom, Bern
usw. 1993, S. 111-129.
174
Wilfried Lot h
zollabbaus, zunehmende r Inflationsbereitschaf t un d zunehmende n Dirigismus . Ent sprechend macht e Erhar d sein e Bedenken gege n den »volkswirtschaftliche n Unsinn «
eines Gemeinsamen Marktes der Sechs auch sogleich im Kabinett geltend 5.
Hinsichtlich de r Atomgemeinschaf t zo g Sonderministe r Fran z Jose f Strau ß (de r
dann i m Oktober 195 5 mit der Verantwortung fü r di e Atomfrage betrau t wurde ) di e
Zusammenarbeit mi t den technisch viel weiter fortgeschrittenen Brite n und Amerika nern eine m Unternehmen vor , das nach seine r Wahrnehmung offensichtlic h i n erste r
Linie Frankreic h zugut e komme n sollte . Bundeskanzle r Adenaue r wa r zwa r bren nend a n eine r Fortsetzun g de r politische n Integratio n interessiert , u m di e i n seine r
Sicht noch viel zu ungewiss e Bindun g de r Bundesrepubli k a n den Weste n langfristi g
abzusichern. Er fürchtete jedoch , mit der Forcierung der wirtschaftlichen Integratio n
diesem Ziel gerade nicht näher zu kommen - drohte n doc h di e divergierenden Inter essen Verhandlungen rasc h zum Scheitern zu bringen und dami t das Projekt de r politischen Einigung weiter z u diskreditieren 6. Gegenübe r de n EGKS-Partner n setzt e e r
darum zunächst einmal eine Verschiebung der Außenministerkonferenz, di e über de n
belgischen Vorstoß berate n mußte , bis zum Inkrafttrete n de r Parise r Verträge durch ;
Spaak und Monnet ließ er wissen, daß er ihre Initiative für »verfrüht « halte 7.
Messina und der Spaak-Bericht
Daß di e relance-Vorschläge angesicht s de r vielfältigen Widerständ e nich t sogleic h i n
der Versenkung verschwanden, läßt sich nur mit dem fortdauernden Interess e sowoh l
der französische n al s auc h de r deutsche n Regierungsspitz e a n eine r Befestigun g de r
politischen Integratio n erklären : Nur dies e übergreifende politisch e Zielsetzung kan n
verständlich machen , wies o Ministerpräsiden t Edga r Faur e a m Rand e de r Atlantik ratstagung vo m 9 . bis 11 . Ma i 195 5 seinen EGKS-Amtskollege n versicherte , daß de r
Gemeinsame Mark t nich t a n Frankreic h scheiter n werde ; und nu r si e kann auc h er klären, warum di e Bundesregierung i n ihrer Antwor t a n das Benelux-Memorandu m
vom 18 . Mai 1955 , das di e Vorschläge z u sektorale r un d allgemeine r Integratio n de r
Wirtschaft de r Sech s miteinander verband , di e Idee eine s Gemeinsame n Markte s de r
Sechs grundsätzlic h akzeptierte . I n ihre r Antwortnot e vo m 27 . Mai 195 5 sprach si e
sich für ein e fortschreitende Liberalisierun g de s Handels - un d Kapitalverkehr s zwi schen den Sechs aus, verbunden mi t de r Freizügigkeit de r Arbeitskräfte, de r Etablie rung von Wettbewerbsregeln un d der Schaffung eine s Investitionsfonds 8.
5 Vgl . Wilfrie d LOTH , Deutsch e Europakonzeptione n i n de r Gründungsphas e de r EWG , in : SERRA
(wie Anm. 1 ) S. 585-602; das Zitat aus einer Stellungnahme Erhard s vor amerikanischen Pressevertre tern am 15.3.1957 , zit.n. Karl KAISER , EW G un d Freihandelszone , Leide n 1965 , S. 136.
6 I n seine n Erinnerunge n nenn t e r al s Grun d fü r sein e Zurückhaltun g nu r di e Befürchtung , di e wirt schaftliche Integratio n könn e vo n de r politische n ablenken : Konra d ADENAUER , Erinnerunge n
1955-1959, Stuttgart 1967 , S. 27. Daß e r dabei die Opposition i n Frankreich un d i n der Bundesrepu blik im Auge hatte, ergibt sic h aus seinem Verhalten während de r EPG-Verhandlungen .
7 Vgl . Hann s Jürge n KÜSTERS , Adenauer s Europapoliti k i n de r Gründungsphas e de r Europäische n
Wirtschaftsgemeinschaft, in : Vierteljahrshefte fü r Zeitgeschicht e 3 1 (1983) S. 646-673.
8 Tex t des Benelux-Memorandum s sowi e de r italienische n un d deutsche n Antwortnote n in : L'Année
politique 1955, S. 714-718; zur französischen Reaktio n Edgar FAURE , Mémoires II, Paris 1984 , S. 211;
zur Entstehun g de s deutsche n Memorandum s Hann s Jürgen KÜSTERS , Di e Gründun g de r Europäi schen Wirtschaftsgemeinschaft, Baden-Bade n 1982 , S. 112-119.
Deutsche und französisch e Interesse n au f de m Weg zu EWG un d Eurato m 17
5
Die Widerstände in beiden Ländern waren damit aber noch lange nicht vom Tisch.
Das deutsche Memorandum sagt e nichts über die Institutionen aus , die die sektoral e
oder horizontal e Integratio n regel n sollten, und schlu g konkret nu r di e Einrichtun g
eines Konsultativorgan s innerhal b de r EGK S vor , da s de m Ministerra t Vorschläg e
zur Ausgestaltung de r »wirtschaftlichen Zusammenarbeit « vorlege n sollte 9. Die fran zösische Regierun g legt e überhaup t kei n Memorandu m vo r un d lie ß dami t noc h
mehr offen , i n welchem Rahme n un d i n welchem Zeitrau m si e eine Fortführung de r
wirtschaftlichen Integratio n akzeptiere n würde. Um de r Gefahr eine s Scheiterns de r
Initiative vorzubeugen , scho b Beye n dahe r de n Vorschla g nach , zunächs t ein e Ex pertenkonferenz einzuberufen , di e unabhängi g vo n Regierungsanweisunge n all e
Möglichkeiten de r wirtschaftliche n Integratio n prüfe n sollte ; de r Berich t diese r
Kommission sollt e dann als Grundlage für di e Vertragsverhandlungen dienen . Spaak
ergänzte diese n Vorschla g mi t de m Votum , da ß ein e ausgewiesen e »politisch e Per sönlichkeit« al s Generalsekretär de r Expertengrupp e fungiere n sollte , damit si e sich
nicht i n der gleiche n unfruchtbaren Konfrontatio n unvereinbare r Standpunkt e fest lief wie die EPG-Expertenrunden 10 .
In der Tat ließ sich auf der Konferenz vo n Messina, wo sich die Außenminister de r
Sechs vom 1 . bis 3. Juni 195 5 trafen, ein e Vereinbarung nur auf dieser minimalen Stu fe erzielen. Nachdem Faure s Außenminister Antoine Pinay eine verbindliche Festle gung au f de n Gemeinsame n Mark t verweiger t un d Walte r Hallstein , de r Adenaue r
vertrat, di e Schaffung neue r Institutione n abgelehn t hatte , mußten di e begleitende n
Beamten a m Aben d de s zweite n Verhandlungstage s feststellen , da ß keinerle i Über einkommen erziel t worden war. In aller Eile wurde daraufhi n i n einer Nachtsitzun g
im Anschluß a n das Diner ein e Erklärung verabschiedet, di e die im Benelux-Memo randum un d i m deutsche n Memorandu m genannte n Integrationsziel e al s Studien objekte aufführt e un d ein e Expertengrupp e unte r de m Vorsit z eine r »politische n
Persönlichkeit« mi t ihre r Prüfun g beauftragte . Dami t wa r noc h kau m etwa s ent schieden. Al s di e Ministe r morgen s u m 4 Uhr auseinandergingen , machte n si e au f
die anwesende n Beamte n un d Journalisten »ehe r de n Eindruck , sic h fü r de n Son nenaufgang übe r de m Ätn a z u interessiere n al s voller Bewunderun g fü r ih r Wer k
zu sein« 11.
Wie be i de m anhaltende n Widerstan d i n Frankreic h un d i n de r Bundesrepubli k
nicht ander s z u erwarten , steuerte n di e Verhandlunge n i n de m au f de r Konferen z
von Messin a eingesetzte n Expertenkomitee , z u desse n Vorsitzende n di e Regierun gen im Nachtrag zu der Konferenz Spaa k bestimmten, bald in eine Sackgasse, aus der
so schnell kein Ausweg zu finden war . Während di e deutschen Sachverständige n au f
einem verbindlichen Zeitpla n zum vollständigen Abbau der Handelshemmnisse un d
der Entwicklun g eine r gemeinsame n Zoll - un d Handelspoliti k beharrten , insistier ten di e französische n Vertrete r au f flexible r Reaktio n au f di e konjunkturell e Ent 9 Küsters ' Behauptung , da ß »sic h di e Anhänger de r Gesamtintegration « be i der deutsche n Reaktio n
auf da s Benelux-Memorandum »eindeuti g durchgesetzt« hätte n (ibid . S. 118), trifft dahe r nich t zu .
10 Hierz u un d zu m folgenden HARRYVAN , KERSTE N (wi e Anm. 2) S. 153-156.
11 S o der Bericht von Christia n Calmes in SERRA (wie Anm. 1 ) S. 176-178. Zum Ablau f de r Konferen z
auch di e Zeugniss e vo n Jean-Charle s Sno y e t d'Oppuer s un d Ma x Kohnstamm , ibid . S . 16 8 f . u .
175 f. ; Tex t der Erklärun g u.a . in: Europa. Dokument e zu r Frag e de r europäische n Einigung , Bd. 3,
München 1962 , S. 1240-1242.
176
Wilfried Lot h
wicklung, Harmonisierung de r Sozialkosten und eine m gemeinsamen Investitions fonds, de r das Aufholen rückständige r Branche n und Regione n erleichterte . Selbst
als die deutschen Vertreter der Idee einer Modernisierungsförderung grundsätzlic h
zustimmten, weigerte sich die französische Delegation , sich auf einen verbindlichen
Fahrplan zur Herstellung des Gemeinsamen Marktes in drei Etappen zu je vier Jahren festzulegen. Umgekehrt zeigte die deutsche Delegation wenig Neigung, der vom
französischen Delegationsleite r Félix Gaillar d mit Nachdruc k geforderte n Atom gemeinschaft näherzutreten 12.
Nachdem die Regierung Faure am 29. November 195 5 gestürzt worden war, unterbrach Spaak daher erst einmal die Arbeiten des Komitees und bemühte sich dann,
die britische Regierung zu einer Revision ihrer Entscheidung vom 11 . November zu
bewegen, sic h nicht a n dem geplante n Gemeinsame n Mark t z u beteiligen . Nur s o
glaubte er schließlich auch den französischen Widerstan d gege n den Gemeinsame n
Markt brechen zu können. Seine eindringlichen Warnungen vor einem Auseinanderfallen de s westlichen Bündnisse s nac h Adenaue r bewirkte n freilic h nur , da ß di e
Regierung Eden darauf verzichtete, eine Zollunion de r Sechs zu attackieren. Damit
allein ließ sich die französische Seit e nicht in Zugzwang bringen13.
Zu eine m Durchbruc h i n de n Verhandlunge n de s Spaak-Komitee s ka m e s erst ,
nachdem Adenauer seine Minister am 19. Januar 1956 unter Hinweis auf seine Richtlinienkompetenz angewiesen hatte, die Verhandlungen nicht scheitern zu lassen, und
der französisch e Staatspräsiden t René Coty a m 31 . Janua r mi t Gu y Molle t eine n
Politiker zum Nachfolger Faures bestellt hatte, dem ebenfalls dringend an einem Erfolg de s Messina-Projekt s interessier t war 14. Au f eine r kurzfristi g einberufene n
Außenministerkonferenz de r Sechs am 11./12. Februar 1956 in Brüssel konnte Spaak
jetzt den deutschen Außenminister Heinric h von Brentano dazu bewegen, der Vorbereitung einer Empfehlung für die Atomgemeinschaft zuzustimmen , und gleichzeitig seinem französischen Kollege n Christian Pineau das Zugeständnis abringen, daß
auch eine Empfehlung fü r de n Gemeinsamen Mark t vorbereitet würde. Damit war
die Bahn für die Abstimmung über die Grundsätze der beiden Projekte frei; und diese gedieh dann bis zum 9. März 1956 soweit, daß Spaak Pierre Uri von der französischen und Hans von der Groeben von der deutschen Delegation beauftragen konnte,
auf der Basis der bislang erstellten Arbeitspapiere einen zusammenfassenden Berich t
zu redigieren . Das Ergebnis, das vier Wochen späte r vorlag 15, stieß sowohl au f de r
deutschen al s auch au f de r französischen Seit e noch einma l au f Widerstände , abe r
12 Vgl . die - allerding s unvollständigen - Verhandlungsbericht e be i KÜSTERS , Gründung (wie Anm. 8)
S. 135-21 8 u . 232-251 , un d Miche l DUMOULIN, Le s travau x du Comité Spaak (juillet 1955-avril
1956), in: SERRA (wie Anm. 1 ) S. 195-210; dazu die Zeugnisse von Hans von der Groeben und Baron
Snoy, ibid. S. 294-300, sowie die Materialien zum EWG-Vertrag im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes (PA Bonn), Büro Staatssekretär (Büro StS), Bd. 350.
13 Vgl . Paul-Henri SPAAK , Memoiren eines Europäers, Hamburg 1969 , S. 309-314.
14 Z u Adenaue r vgl . desse n Erinnerunge n 1955-195 9 (wi e Anm . 6 ) S . 253-255 ; z u Gu y Molle t da s
Zeugnis seines Außenministers Christia n Pineau in SERRA (wie Anm. 1 ) S. 281-286.
15 Ur i und von der Groeben arbeiteten abgeschirmt in Cap Ferrât am französischen Mittelmeer , unterstützt von Spaaks Mitarbeiter Albert Hupperts und dem Komiteesekretariatsbeamten Giuli o Guez zugli; vgl. das Zeugnis von Pierre Uri in SERRA (wie Anm. 1 ) S. 305-307.
Deutsche und französisch e Interesse n au f de m Weg zu EW G un d Eurato m 1
77
dann nahmen die nationalen Delegationsleite r de n Bericht a m 20. April 195 6 ohne
große Änderungen an 16.
Damit lag nun neben den Grundsätzen fü r eine n Gemeinsame n Mark t auc h der
Vorschlag einer Atomgemeinschaft au f dem Tisch. Allerdings mußten die französi schen Delegierte n empfindlich e Abstrich e a n ihrer Konzeptio n hinnehmen : Eura tom, wie die neue Organisation auf Vorschlag von Armand heißen sollte, sollte nur
über das Handelsmonopol für Kernbrennstoffe verfügen ; die Forderung nach Übertragung de r Eigentumsrecht e wurd e nich t i n den Berich t aufgenommen . Di e For schung sollte nur zum geringeren Teil von der Gemeinschaft selbs t organisiert werden. Und auc h bei der industriellen Nutzung der Forschungsergebnisse sollte n Eigenbetriebe de r Gemeinschaf t nu r ein e untergeordnet e Roll e spielen ; statt eine s
Atomfonds, der den Aufbau industrielle r Kapazitäten dirigierte, wurde nur die Unterstützung der öffentlichen un d privaten Mittel aus dem allgemeinen Investitionsfond des Gemeinsamen Marktes vorgesehen17. Der Spaak-Bericht trug somit in allen
Teilen Zeichen des Kompromisses zwischen unterschiedlichen wirtschafts- und integrationspolitischen Vorstellungen . Man sah ihm an , wie schwierig e s gewesen war,
ihn überhaupt zustande zu bringen18.
Von Venedig nach Suez
Mit der Erstellung des Spaak-Berichts waren die beiden neuen Integrationsprojekt e
aber noc h nich t übe r de n Berg. Guy Molle t wa r woh l entschlossen , nich t nu r di e
Atomgemeinschaft, sonder n auc h di e Wirtschaftsgemeinschaft durchzusetzen , u m
die Bundesrepublik dauerhaft a n den Westen zu binden und den Europäern zu mehr
Eigenständigkeit gegenübe r de r amerikanische n Führungsmach t z u verhelfen . E r
war abe r nu r Che f eine r Minderheitsregierung , de r mi t Jacque s Chaban-Delma s
auch ei n Vertrete r de r Gaulliste n angehörte , un d konnt e sic h eine r parlamentari schen Mehrheit für de n Gemeinsamen Markt ebensowenig sicher sein wie sein Vorgänger. Zusamme n mi t seine m Außenministe r Christia n Pineau und de m zu m
Staatssekretär fü r Europafrage n berufene n Generalsekretä r de r Radikale n Partei ,
Maurice Faure, suchte er daher die Partnerregierungen dafür z u gewinnen, zunächst
den Euratom-Vertrag zu verabschieden, um auf der Grundlage dieses Erfolgs eine n
Meinungsumschwung in der französischen Öffentlichkei t zugunste n des Gemeinsamen Marktes herbeiführen z u können19.
16 De r Berich t wurd e a m 21 . Apri l 195 6 vom Sekretaria t de s Spaak-Komitee s i n alle n Gemeinschafts sprachen gedruck t veröffentlicht ; ei n knappe r Auszu g au s de r deutsche n Fassun g be i Walte r L I P GENS (Hg.) , 4 5 Jahre Ringe n u m di e europäisch e Verfassung . Dokument e 1939-1984 , Bon n 1986 ,
S. 390-395.
17 Z u diese m Verhandlungsstran g Pete r WEILEMANN , Di e Anfäng e de r Europäische n Atomgemein schaft. Zu r Gründungsgeschicht e vo n Eurato m 1955-1957 , Baden-Baden 1983 , S. 31-47 u. 76-86.
18 Al s »i n sich geschlossene s Konzep t fü r di e Wirtschafts- un d Atomintegration« , s o KÜSTERS , Grün dung (wi e Anm. 8 ) S. 239, sollte ma n ih n angesicht s de r viele n Schwierigkeite n un d offene n Frage n
gewiß nicht bezeichnen .
19 Vgl . Pierre GUILLEN , L'Europe remèd e à l'impuissance française ? L e gouvernemen t Gu y Molle t e t la
négociation de s traités de Rome (1955-1957), in: Revue d'histoire diplomatiqu e 102 (1988) S. 319-335;
DERS., L a France et la négociation de s traités de Rome: L'Euratom, in: SERRA (wie Anm. 1)S . 513-524;
dazu di e Zeugnisse von Christia n Pinea u und Maurice Faure, ibid., S. 281-290.
178
Wilfried Lot h
Die Verhandlungspartner zeigte n fü r di e Mobilisierungsstrategie de r Regierun g
Mollet jedoch wenig Verständnis. Insbesondere die Bundesregierung war nur bereit,
der Atomgemeinschaf t zuzustimmen , wen n gleichzeiti g auc h de r Gemeinsam e
Markt verwirklicht würde. Die Gegner der Atomgemeinschaft um Erhard und Strauß
und di e engagierte n Verfechte r de r Wirtschaftsgemeinschaf t u m vo n de r Groebe n
waren zusamme n star k genug , u m i n de r Kabinettssitzun g vo m 9 . Ma i 195 6 ei n
Junktim zwischen beiden Projekten herzustellen. Adenauer kannte seine neuen französischen Kollegen zu wenig und war auch zu sehr von der Unterstützung der Junktimsforderung durc h die deutsche Industrie irritiert, um dagegen von Anfang an die
nötige Flexibilitä t i n der Verhandlungsführun g durchsetze n z u können . Wenn di e
Franzosen ers t einmal die Atomgemeinschaft i n der Tasche hätten, so fürchtete er ,
würden sie die Wirtschaftsgemeinschaft endgülti g verwerfen, und dann waren in der
Bundesrepublik noc h größer e Widerstände gege n die Messina-Initiative z u erwar ten, als sie ohnehin schon zu spüren waren20.
Angesichts des deutschen Junktims stimmte Pineau auf der Außenministerkonfe renz der Sechs in Venedig am 29./30. Mai 1956 schweren Herzens der Aufnahme von
Vertragsverhandlungen nicht nur über die Atomgemeinschaft, sonder n auch über die
Wirtschaftsgemeinschaft zu 21. E r versucht e abe r weiterhin , di e Atomgemeinschaf t
vor der Wirtschaftsgemeinschaft zu m Abschluß zu bringen, und nannte auch gleich
drei Bedingungen, die seine Regierung für die Verabschiedung des Vertrags über den
Gemeinsamen Mark t stellte : Erstens sollten, worauf insbesonder e der sozialistisch e
Überseeminister Gaston Defferre gedräng t hatte, die Überseegebiete in den Gemeinsamen Markt eingeschlossen werden, um die Kosten für ihre Modernisierung zu teilen statt ihre Loslösung vom Mutterland auch noch durch die Errichtung einer Zollmauer zu forcieren. Zweitens sollten, darauf legt e Mollets sozialistische Partei insgesamt größten Wert, die Sozialleistungen und Steuern in der Gemeinschaft bereit s bis
zum Ablauf der ersten Integrationsphase weitgehend harmonisiert werden, um Wettbewerbsverzerrungen und eine Unterminierung der sozialstaatlichen Errungenschaften durc h eine n au f Förderun g de s Wettbewerbs angelegte n Mark t z u verhindern .
Und drittens sollte der Übergang von der ersten zur zweiten Etappe der Integration
nicht automatisch erfolgen; vielmehr sollten die Regierungen die Regelungen für die
weiteren Etappe n ers t nach dem Ablauf de r erste n Phas e festlegen 22. Wirtschaftsra t
und Conseil National d u Patronat Françai s schlössen sic h de n Forderunge n nac h
Einbeziehung de r Überseegebiete un d Vereinheitlichung de r Steuern und Soziallei stungen an und insistierten noch einmal auf der Schaffung eine s Investitionsfonds 23.
20 Zu r Kabinettsentscheidung KÜSTERS , Gründung (wie Anm. 8) S. 256-260; zu den innenpolitischen
Widerständen LOTH , Europa-Konzeptionen (wi e Anm. 5) S. 591-595.
21 »Wi r hatten den Eindruck, Maurice Faure und ich , uns auf ein e Wette einzulassen«, so Pineau, in:
SERRA (wie Anm. 1) S. 283. »Wa s wir unter allen Umständen vermeiden mußten, war die (erneute)
Nicht-Ratifizierung eine s Vertrags.«
22 Di e Einzelheiten der französischen Vorstellunge n wurden in einem Memorandum festgehalten, das
die Regierung den fünf Verhandlungspartner n übermittelte; Auszüge daraus bei Robert MARJOLIN ,
Le travail d'une vie. Mémoires 1911-1986, Paris 1986, S. 283-286. Marjolin hatte als Mitarbeiter
Pineaus großen Anteil an der Ausarbeitung der französischen Verhandlungsposition .
23 Stellungnahm e des Wirtschaftsrates vo m 12 . Jul i 1956 , in: EGKS (Hg.), Monatliche Mitteilungen .
Energiewirtschaft - Gemeinsame r Markt, Sondernummer Januar 1957 , S. 27 f.; Stellungnahm e des
CNPF, ibid., S. 36 f.
Deutsche und französische Interesse n auf dem Weg zu EWG und Euratom 1 7
9
Um sic h den nötigen parlamentarischen Rückhal t fü r da s Unternehmen z u ver schaffen, organisierte die Regierung Mollet Anfang Juli 1956 eine Parlamentsdebatte
über das Projekt de r Atomgemeinschaft. Dabe i präzisierte sie, daß Frankreich sic h
die Optio n au f di e Entwicklun g eigene r Kernwaffe n ausdrücklic h offenhielt ; de n
Kernwaffengegnern un d de n Deutschen, die die französische Sonderstellun g nich t
auch noch mit ihren Ressourcen fördern wollten, wurde lediglich ein (ziemlich theoretisches) Moratoriu m vo n vie r ode r fün f Jahre n zugestanden , i n dene n e s kein e
französischen Atomwaffentest s gebe n sollte . Außerde m bestan d si e darauf , da ß
Frankreich be i de r Internationale n Atombehörd e selbs t un d nich t etw a durc h di e
Atomgemeinschaft vertrete n sein sollte, und es, anders als der Spaak-Bericht vorsah,
keine gemeinsamen Organe von Atomgemeinschaft un d Montanunion geben dürfe.
Mit diesen Zugeständnissen a n die Verfechter eine r »nationalen « Unabhängigkeits politik und einer betont technischen Präsentation des Atomgemeinschafts-Projekt s
sicherte sie sich eine breite Mehrheit (332 gegen 18 1 Stimmen) für di e Fortführun g
der Verhandlunge n übe r di e Atomgemeinschaft . Mi t diese m Erfol g i m Rücke n
drängte sie dann in den Vertragsverhandlungen, di e - wiederu m unter dem Vorsitz
von Spaak - a m 26. Juni im Schloß Val-Duchesse bei Brüssel begonnen hatten, auf einen raschen Abschluß beider Verträge zu den französischen Bedingungen 24.
Die deutschen Marktwirtschaftler fande n di e Forderung nach einer Harmonisierung der Arbeitskosten freilic h geradez u absurd ; und generel l bestand i n der Bundesrepublik auch wenig Neigung, Frankreich eine Sonderrolle als militärische Atommacht und Kolonialmach t einzuräumen . Erhard richtete seine Hoffnungen au f den
Vorschlag einer Freihandelszone der OEEC-Länder, den der OEEC-Generalsekre tär René Sergent nach entsprechenden Diskussionen in der britischen Regierung auf
dem Ministerratstreffen de r OEEC vom 17 . bi s 19. Juli 1956 in Paris vorlegte25. Entsprechend bestärkte er die deutsche Delegation in Val-Duchesse in ihrer Zurückhaltung. Mehr als ein Austausch der unterschiedlichen Standpunkt e war folglich nich t
zu erreichen; und s o beschlossen die Delegationsleiter a m 24. Juli , zunächst einmal
eine Sommerpause einzulegen.
Nach der Wiederaufnahme de r Gespräche am 6. September modifizierte di e französische Regierung ihre Position ein wenig: Sie bestand jetzt nicht mehr darauf, den
Fortgang de r Marktintegratio n nac h dem Ablauf de r erste n Phas e offen z u lassen ,
sondern hielt nur noch fest, daß der Übergang zur zweiten Phase erst erfolgen sollte,
wenn die Regierungen übereinstimmend festgestell t hatten , daß die Ziele der ersten
24 Vgl . KÜSTERS , Gründung (wie Anm. 8) S. 294-298, und WEILEMANN (wi e Anm. 17 ) S. 103-109 . Di e
entsprechende Interventio n vo n Mauric e Faur e i n de r Sitzun g vo m 26.7.195 6 (ibid. , S . 109 ) zeigt ,
daß die Regierung Mollet i n der Tat nicht bis zur Suez-Krise wartete, ehe sie eine gleichzeitige Un terzeichnung beider Verträge akzeptierte, und bestätigt damit die Kritik von Pineau und Emile Noël
(in: SERRA [wie Anm. 1] , S. 525-527) an der Darstellung von GUILLE N (ibid. , S. 519). Allerdings sah
sie di e Verschiebun g de s Wirtschaftsgemeinschafts-Vertrag s weiterhi n al s Auswe g an , wen n di e
Partner nicht auf ihre Bedingungen eingingen .
25 Zu r Entstehung dieses Vorschlags vgl. KAISE R (wie Anm. 5) S. 96 ff.; Miria m CAMPS, Britain and the
European Communit y 1955-1963 , Princeton, London 1964 , S . 9 3 ff.; KÜSTERS , Gründun g (wi e
Anm. 8 ) S . 280ff. ; zu m Hintergrun d auc h Gusta v SCHMIDT , Di e politische n un d sicherheitspoli tischen Dimensionen de r britischen Europa-Politik 1955/56-1963/64 , in : DERS. (Hg.) , Großbritan nien und Europa - Großbritannie n i n Europa. Sicherheitsbelange un d Wirtschaftsfragen i n der britischen Europapolitik nac h dem Zweiten Weltkrieg, Bochum 1989 , S. 169-252.
180
Wilfried Loth
Phase erreicht waren. Dafür verlangte sie aber, das System der Ausfuhrbeihilfen un d
Einfuhrabgaben beibehalte n z u dürfen , bi s das französische Zahlungsbilanzdefizi t
ausgeglichen war , un d be i erneute n Zahlungsschwierigkeite n z u entsprechende n
Schutzmaßnahmen zurückkehre n z u können . Außerde m wollt e sie sich das Recht
vorbehalten, da s Inkrafttrete n de s Vertrage s übe r de n Gemeinsame n Mark t über haupt verschieben z u können, falls de r Algerienkrieg weiterhin s o exorbitante Ko sten verursachen sollte wie im Augenblick26.
Das war für die deutsche Seite eher akzeptabel. In internen Papieren wurden Importsteuern un d Exportprämie n al s durchaus »nich t unberechtigt « un d auc h »er träglich« angesehen 27. In der Frage der Sozialleistungen un d de r Einbeziehung de r
Uberseegebiete blieben die Gegensätze jedoch unüberbrückbar. Mollet fasste daher
wieder eine zeitliche Trennung der beiden Vertragswerke ins Auge; und Jean Monnet, der sic h vo n de r Atomgemeinschaf t ohnehi n eine n vie l größere n Mobilisie rungsschub versprach , drängt e Adenauer, di e Fertigstellung de s Euratom-Vertrag s
vorzuziehen. Dieser stimmte zunächst zu, ließ sich dann aber von Franz Etzel und
Walter Hallstein überreden, an dem Junktim festzuhalten 28.
So steuerten die Vertragsverhandlungen im Oktober 195 6 ebenso in eine Sackgasse wie ein knappes Jahr zuvo r di e Verhandlungen de s Spaak-Komitees. Auf eine m
erneuten Außenministertreffen, da s für de n 20./21. Oktober nac h Paris einberufe n
wurde, kam es wohl zu einer Annäherung in der Frage der Übergangsbestimmun gen. Die Fünf gestanden Frankreich grundsätzlich die Möglichkeit zu, bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen; dafür konzediert e
Pineau nach Rücksprache mit Mollet, daß nach Ablauf von sechs Jahren eine qualifizierte Mehrheit genügen sollte, um den Übergang zur zweiten Integrationsphase zu
beschließen. Als sich die deutsche Delegation, zu der auch Erhard und Strauß gehörten, aber strikt weigerte, der Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit von 48 auf
40 Stunden im Laufe der ersten Vertragsphase zuzustimmen, zog Pineau sein Zugeständnis in der Übergangsfrage wiede r zurück und erklärt e nach einer weiteren er gebnislosen Verhandlungsrunde die Konferenz für gescheitert 29.
Dieser Rückschlag war für das Unternehmen umso gefährlicher, als sich die britische Regierung unterdessen am 3. Oktober 1956 den Vorschlag einer Freihandelszone offiziell z u eigen gemacht hatte, wenn auch unter Aussparung der landwirtschaft lichen Produkte, für di e weiter da s Commonwealth-Präferenzsystem gelte n sollte.
Erhard, de r mi t seine m demonstrati v vorgetragene n liberale n Cred o nich t weni g
zum Scheitern der Pariser Konferenz beigetrage n hatte, nutzte die Situation zu der
26 Di e Positio n wurde au f eine r interministeriellen Sitzun g a m 4. September festgelegt; vgl. GUILLEN ,
L'Europe remède (wie Anm. 19 ) S. 330, und MARJOLIN (wi e Anm. 22) S. 301 f .
27 P A Bonn , Bür o StS , Bd . 156 , interne s Papie r o.D . (wahrscheinlic h unmittelba r nac h Faure s Er klärung vom 19 . September), ähnlich eine Stellungnahme zum Schreiben des Herrn Bundesministers
für Arbeit vom 27. September 1956 , ibid.
28 KÜSTERS , Gründung (wie Anm. 8) S. 310f. Etze l war von von der Groeben mobilisiert worden, der
um die Durchsetzung der wirtschaftlichen »Gesamtintegration « fürchtete .
29 Hierz u und zum folgenden ibid. , S. 313-320 sowi e das Zeugnis von Karl CARSTENS, Das Eingreife n
Adenauers in die Europa-Verhandlungen im November 1956 , in: Diete r BLUMENWITZ u.a. (Hg.), Konrad Adenauer und seine Zeit. Bd.l: Beiträge von Weg - und Zeitgenossen, Stuttgar t 1976 , S. 591-602.
Carstens leitete die interministerielle Arbeitsgruppe, die zur Koordinierung der deutschen Ressort standpunkte in den Verhandlungen eingesetzt worden war.
Deutsche und französische Interessen auf dem Weg zu EWG und Euratom 18
1
Forderung, die Verhandlungen in Brüssel abzubrechen und stattdessen zunächst einmal mit den Briten über die, wie er meinte, »seit Jahren entscheidende politische und
wirtschaftliche Initiativ e zu r Integratio n Europas « z u sprechen . Au f dies e Weis e
hoffte e r der Gefahr einer protektionistischen und dirigistischen Zollunion der Sechs
endgültig beseitigen z u können und gleichzeiti g einer allgemeinen Handelsliberali sierung ein wesentliches Stück näher zu kommen. Er wußte dabei die Industrie- und
Handelskammern und weite Kreise der exportorientierten chemischen und verarbeitenden deutsche n Industri e au f seine r Seite, die ebenfalls groß e Hoffnungen i n die
britische Initiative setzten 30. Paul-Henri Spaak und manche andere Befürworter de s
Messina-Projekts sahen damit sein Scheitern fast schon als besiegelt an.
Der Durchbruc h zu m Gemeinsame n Mark t
Gerettet wurden die beiden Integrationsprojekte einma l mehr durch das übergreifende Interess e a n einer politische n Integration , genaue r gesagt : dadurch, da ß i n
diesem Moment sowohl in Frankreich als auch in der Bundesrepublik Politike r an
der Spitze der Regierungsverantwortung standen, die die Vertiefung der Integration
aus allgemeinpolitischen Gründe n al s dringende Notwendigkeit empfanden . Ade nauer wollt e nich t nu r keine n Rückschla g be i dem Bemühe n u m weitere Einbin dung de r Bundesrepubli k i n di e westlich e Gemeinschaf t zulassen ; e r glaubt e di e
Wirtschaftsgemeinschaft jetz t auc h zustand e bringe n z u müssen , u m di e sicher heitspolitische Gemeinschaf t z u fördern . De r Radford-Pla n zu r Reduzierun g de r
amerikanischen Truppenpräsenz i n Europa hatte ihm im Sommer 195 6 die Gefah r
einer amerikanisch-sowjetischen Verständigun g au f Koste n der Europäer vo r Augen geführt. Dagege n suchte er nun verstärkt die sicherheitspolitische Zusammen arbeit des westlichen Europas. Erste Absprachen zur Aktivierung der Westeuropäischen Union, die er mit Mollet bei dessen Bonn-Besuch am 26. September getroffe n
hatte, sollten nicht durch ein Scheitern der Brüsseler Verhandlungen wieder in Frage gestellt werden.
Erhards volkswirtschaftlich e Argumentatio n stie ß dahe r be i Adenaue r einma l
mehr auf taube Ohren. Stattdessen folgte er am 3. November dem Rat Hallsteins, in
bilateralen deutsch-französischen Gespräche n nach einen Ausweg aus der Verhandlungskrise zu suchen, und kündigte an, zu diesem Zweck selbst nach Paris zu fahren,
um mit Mollet zu sprechen. Er hielt auch an seinen Reiseplänen fest, als die Regierung Mollet zwe i Tage später wegen des militärischen Angriff s au f Ägypte n unte r
heftigen Beschu ß geriet , de n si e an de r Seit e Großbritannien s unternahm , u m di e
Rücknahme der Nationalisierung des Suez-Kanals durch Nasser zu erzwingen. Die
Distanzierung von der amerikanischen Führungsmacht, die sich aus dieser Geste ergab, war ihm im Augenblick durchaus recht; und noch mehr setzte er auf den Sympathiegewinn i n der französischen Öffentlichkeit , de r von einem Akt demonstrati ver Solidarität in einer kritischen Situation zu erwarten war.
Mollet seinerseits machte in den Verhandlungen vom 6. November 195 6 das entscheidende Zugeständnis: Nachdem e r seine Beamten angewiesen hatte, daß in der
30 Vgl . LOTH , Europa-Konzeptionen (wie Anm. 5) S. 595; das Zitat aus Erhards Erklärung vor dem
OEEC-Ministerrat am 12. Februar 1957, Europa-Archiv 12 (1957) S. 9651.
182
Wilfried Loth
strittigen Harmonisierungsfrag e unte r alle n Umständen ei n Kompromiß gefunde n
werden müsse, akzeptierte er die von den Expertengruppen unte r Rober t Marjoli n
und Karl Carstens ausgehandelte Formel, die aus der Verpflichtung zu r Anpassung
der Sozialleistungen nac h oben eine vage Absichtserklärung machte . Die national e
Gesetzgebung sollt e woh l darau f hinwirken ; spätesten s nac h sech s Jahren konnt e
aber mi t qualifizierte r Mehrhei t de r Übergan g zu r zweite n Phas e de r Integratio n
auch dann beschlossen werden, wenn die Harmonisierung der Lebens- und Arbeitsbedingungen noc h nich t erreich t war . Di e Kommissio n konnt e i n diese m Fal l
Schutzklauseln fü r di e benachteiligten Industrie n erlassen , sie mußte es aber nicht.
Einfuhrabgaben un d Ausfuhrbeihilfen sollte n grundsätzlich möglich sein; doch sollten sie allmählich abgebaut werden und darüber der Gemeinschaft jährlic h Rechenschaft abgelegt werden31.
Das war, durch die zeitliche Verzögerung und die Bereitstellung von Ausgleichsinstrumentarien nu r noch wenig abgemildert, der Sprung der französischen Volks wirtschaft i n das kalte Wasser der Konkurren z de s Gemeinsamen Marktes . Mollet
wagte ihn, weil ihm die Nationalisierung des Suez-Kanals und die Intervention der
Supermächte gege n die britisch-französische Suez-Expeditio n di e Dringlichkeit einer europäischen Atomindustrie vor Augen führten un d diese, wie die Verhandlungen gezeigt hatten, nun einma l nicht ohn e ein gleichzeitiges und unwiderrufliche s
Ja zu m Gemeinsame n Mark t z u habe n war . Als gute r Taktiker sa h er zudem, daß
die Demütigung in der Suez-Frage in Verbindung mit dem offenkundigen Abrücke n
Adenauers von der amerikanischen Führungsmach t Gelegenhei t bot, die Hoffnun gen auf ei n »unabhängiges « Europ a z u reaktiviere n un d dami t de n protektionisti schen Widerstand gegen den Gemeinsamen Markt aufzuweichen .
Im Kabinett , das vom solidarische n Verhalte n de s Bundeskanzlers währen d de r
Suez-Krise sehr beeindruckt war , setzte Mollet jetzt de n Beschluß durch, den Abschluß des Vertrags über die Wirtschaftsgemeinschaft s o schnell wie möglich herbeizuführen und sich zu diesem Zweck auch in anderen strittigen Fragen mit der Festlegung »ziemlich allgemeiner Prinzipien« zufriedenzugeben, di e dann von der »supranationalen Autorität « de r Gemeinschaf t präzisier t werde n sollten 32. Gleichzeiti g
begann er, da s Parlament und die Öffentlichkeit systematisc h auf die Notwendigkei t
beider Verträge vorzubereiten, inde m er sie als Mittel präsentierte, künftig solche n
Demütigungen entgehen zu können, wie sie Frankreich durch Nassers Enteignungsmanöver ebenso wie durch die Intervention der Supermächte in der Suezkrise hinnehmen mußte. Angesichts der quälenden Abhängigkeit vom arabischen Erdöl und
der offenkundige n Distanzierun g Adenauer s vo n de r amerikanische n Führungs macht erschien »Europa« zum ersten Mal seit der Zuspitzung der EVG-Krise wieder
als Hort der Unabhängigkeit: Dieser Eindruck wurde durch Mollets Propagandaoffensive verstärkt . Die CEA sah Euratom nun als ganz unerläßlich zur Erlangun g
31 P A Bonn , Bür o StS , Bd. 155 , Vorschlag vo m 9.11.1956 ; vgl . CARSTEN S (wi e Anm . 29 ) S . 599f.;
KÜSTERS, Gründung (wie Anm. 8) S. 327-300; GUILLEN, L'Europe remède (wie Anm. 19) S. 331 .
32 S o die Mitteilung Marjolins i n einer Sitzung des interministeriellen Komitee s zur Vorbereitung des
Gemeinsamen Marktes, zit.n. GUILLEN , L'Europe remède (wie Anm. 19 ) S. 332. Guillens Darstellung unterscheidet allerdings nicht deutlich genug zwischen Mollets Auffassungen un d der Überzeugungskampagne.
Deutsche und französische Interessen auf dem We g z u EWG und Euratom 18
3
der energiewirtschaftliche n un d militärische n Unabhängigkei t an ; un d i m CNPF
rückten diejenigen Kräft e nac h vorn, die auf Expansio n i n den zukünftigen Mark t
der Sechs setzten33.
Kompromisse und Anpassung
Nachdem der Durchbruch i m Grundsätzlichen gelunge n war, ließen sich im Detail
eine Reihe von Kompromissen aushandeln. Dabei kam den Verhandlungen zugute,
daß sic h Faure und Hallstei n i m Laufe de r Verhandlungen übe r di e Luxemburge r
Verträge zur Regelung der Saar-Frage, die nach Überwindung einer Reihe schwieriger Detailprobleme am 27. Oktober 195 6 erfolgreich abgeschlosse n worden waren ,
angefreundet hatte n und de r Verhandlungsspielraum de r französischen Delegatio n
jetzt zusehend s größe r wurde . In Brüssel entwickelt e sic h ein geradezu herzliche s
Verhandlungsklima, da s es erlaubte, einen erheblichen Teil der verbliebenen Diffe renzen mit viel Verständnis für die innenpolitischen Schwierigkeiten der Partner und
einiger Kreativität Schritt für Schritt aus dem Weg zu räumen34. Manche Gegensätze
wurden aber auch einfach vertagt.
Hinsichtlich des Außenzolls trafen sich das deutsche Interesse an möglichst ungehindertem Zugan g zu m Weltmark t un d di e französische n Protektionsbedürfniss e
sozusagen in der Mitte, indem eine Berechnung des Außentarifs nach dem arithmetischen Mittel der Außentarife de r vier zu vereinigenden Zollgebiete nach dem Stand
des letzte n Monat s vereinbar t wurde . Allerdings wurd e diese s Prinzi p durc h ein e
Fülle von Sonderregelungen für bestimmt e Waren verwässert, vor allem für anorga nische und organische Stoffe und Kunststoffe 35.
In der Währungsfrage blie b es angesichts der außerordentlich divergierenden In teressen bei einem vorsichtigen Moderieren: Die französische Seit e lehnte mit Blick
auf ihre notorischen Währungsschwierigkeiten die Vereinbarung fester Wechselkurse ebenso ab wie sich die deutsche Seite aus Angst vor einem Faß ohne Boden weigerte, bei Zahlungsbilanzdefiziten bedingungslo s Unterstützung z u gewähren oder
bereits fü r di e Übergangszei t bi s zu r Vollendun g de s Gemeinsame n Markte s ein e
Konvertibilität der Währungen zuzugestehen36. Neben Appellen an die wechselseitige Solidaritä t wurd e i n de n EWG-Vertra g lediglic h di e Verpflichtun g hineinge schrieben, die Festlegung von Bedingungen und Einzelheiten nationaler Schutzmaßnahmen bei einseitigen Wechselkursänderungen und Zahlungsbilanzschwierigkeite n
der Kommission zu überlassen37.
In der Frag e der Einbeziehung de r Landwirtschaf t i n den Gemeinsame n Mark t
standen sich auf beiden Seiten unterschiedliche Interesse n gegenüber: Französische
Großproduzenten un d Planungsbürokrati e setzte n au f eine n freie n Agrarverkeh r
innerhalb der Gemeinschaft mi t garantierten Mindestpreisen und Außenzöllen, der
33 Vgl . GUILLEN, Euratom (wie Anm. 4) S. 115 f.; DERS. , Frankreich und der europäische Wiederaufschwung, in: Viertel)ahrshefte für Zeitgeschichte 28 (1980) S. 1-19 , hier S. 16-18 .
34 Vgl . die Zeugnisse von Faure und Uri in: SERRA (wie Anm. 1) ibid., S. 288 f. u. 307 f. sowie von von
der Groeben in KÜSTERS, Gründung (wie Anm. 8) S. 335.
35 Vgl . ibid., S. 342-344.
36 P A Bonn, Büro StS, Bd . 156 , Synopse vom 7.11.1956.
37 EWG-Vertrag , Artikel 108.
184
Wilfried Lot h
ihnen Schutz vor der Weltmarktkonkurrenz, stabile n Absatz der Überschüsse un d
demzufolge weiter e Modernisierungsförderun g garantierte . Di e kleine n Gemüse- ,
Wein- und Obstanbaue r de s französischen Süden s fürchtete n demgegenübe r di e
italienische Billigkonkurrenz in einem gemeinsamen Agrarmarkt. Die deutsche Landwirtschaft mi t ihre n hohe n Preise n un d ihre m Modernisierungsrückstan d sa h be i
einem gemeinsame n Agarmark t eine n generelle n Preisverfal l un d schrumpfend e
Marktanteile auf sich zukommen und drängte dementsprechend au f eine möglichst
unbegrenzte Fortschreibung ihres hohen Protektionsniveaus. Das Bundeswirtschafts ministerium wiederu m plädiert e auc h hie r fü r di e Durchsetzun g marktwirtschaft licher Prinzipien , als o fü r generell e Liberalisierun g innerhal b de r Gemeinschaft ,
möglichst geringe Außenzölle und möglichst wenig Subventionen.
Das Ergebnis des Kräfteringens, be i dem auch noch das Interesse der Niederländer a n eine m möglichs t weni g subventionierte n landwirtschaftliche n Großmark t
eine wichtige Rolle spielte, war der Beschluß, eine Europäische Marktordnung fü r
die Landwirtschaft anzustreben , den Weg dahin aber einer Regierungskonferenz z u
überlassen, die unmittelbar nac h Inkrafttreten de s Vertrags zusammentreten sollte.
Die Regierungen behielten das Recht, Mindestpreise für bestimmt e Produkte fest zulegen. Außerdem wurd e de r Abba u vo n Diskriminierunge n vo n schrittweise r
Annäherung a n di e subventionierte n Inlandspreis e abhängi g gemacht ; un d di e
Subventionierung vo n Rohstoffen, dere n Verarbeitungsprodukte fü r de n Expor t i n
Drittländer bestimm t waren , wurde n de r Gemeinschaf t aufgebürdet 38. Dami t
zeichnete sic h ei n europäische r Agrarprotektionismu s au f mittlere m Nivea u ab ,
verbunden mi t eine r Modernisierungsförderung , di e durc h regional e Rücksich ten gebrems t war. Über di e Methoden de r Subventionierun g mußt e freilich noc h
weiterverhandelt werden ; hier bargen die Vereinbarungen i m Vertrag erhebliche n
Konfliktstoff.
Hinsichtlich de r Atomgemeinschaft gestan d Adenaue r Molle t während de s Novembertreffens grundsätzlic h zu, daß Euratom keinerlei Kontrollfunktionen i m militärischen Bereich ausüben würde. Dafür akzeptiert e Mollet, daß das Versorgungsmonopol der Gemeinschaft durchbroche n werde n konnte, wenn sie nicht in genügendem Umfan g ode r nu r z u »mißbräuchlichen « Konditione n spaltbare s Materia l
lieferte. Mit Sonderbestimmungen, die bereits fertiggestellten Reaktore n und in den
nächsten siebe n Jahren z u erstellende n Isotopentrennungsanlage n ein e bevorzugt e
Versorgung garantierten, rückten beide Seiten dann noch weiter von der Idee eigener
Unternehmerfunktionen de r Gemeinschaft ab . In der Frage des Eigentums an spaltbarem Material konnte die französische Seite ganz zum Schluß noch einen Erfolg erzielen, weil Monnet Adenauer deutlic h mache n konnte, daß nur s o die Unterstüt zung der USA für de n Ausbau der europäischen Kernenergi e zu haben war. Allerdings beschränkt e sic h da s Eigentumsrech t de r Gemeinschaf t au f di e »besonder s
spaltbaren Stoffe« , un d di e Verbraucher konnte n da s Gemeinschaftseigentu m un eingeschränkt nutzen, wenn sie sich nur an die Sicherheitsvorschriften hielten . Ganz
erfolglos bliebe n demgegenüber di e französischen Bemühunge n u m den Bau einer
gemeinsamen Isotopentrennungsanlage : Hie r wurd e di e Abneigun g de r Partne r
38 Einzelheite n aus den Verhandlungspapieren bei KÜSTERS, Gründung (wie Anm. 8) S. 347-359.
Deutsche und französische Interesse n auf dem Weg zu EWG und Euratom 18
5
noch durch den Druck der USA verstärkt, die unter allen Umständen die Entwicklung einer unabhängigen französischen Atomstreitmach t verhindern wollten. Damit
verlor da s Projek t i n militärische r wi e in zivile r Hinsich t vie l a n Bedeutun g un d
rückte nun auch in Frankreich gegenüber dem Gemeinsamen Markt in den Hinter grund39.
Besonders hartnäcki g wurd e schließlic h übe r di e französisch e Forderun g nac h
Einbeziehung de r Überseegebiete verhandelt. Die französische Regierun g verstand
darunter, wie Marjolin am 16. Novembe r 195 6 präzisierte , die Verpflichtung zur Abnahme vo n Überseeprodukte n un d di e gemeinschaftlich e Finanzierun g eine s um fangreichen Investitionsfonds . Umgekehr t sollte n sic h die Übersee-Märkte fü r di e
Mitgliedsländer der Gemeinschaft abe r nur schrittweise öffnen; und im übrigen sollten natürlich die französischen Hoheitsrecht e in den Übersee-Ländern gewahrt bleiben40. Demgegenüber war die deutsche Seite nur zur Marktöffnung au f der Grund lage der Gegenseitigkeit bereit. Von langfristigen Liefer - und Abnahmeverpflichtun gen wollte sie nichts wissen, und hinsichtlich de s Investitionsfonds widersetzt e sie
sich ebenfalls einer vertraglichen Regelung41.
Eine Einigun g ka m ers t be i eine m Vier-Augen-Gespräc h zwische n Molle t un d
Adenauer auf dem letzten Verhandlungstreffen de r Regierungschefs a m 19./20. Februar 195 7 zustande. Mollet räumte den übrigen Gemeinschaftsländern freie n Zu gang z u Investitione n un d Ressource n de r Überseelände r ein ; dafü r akzeptiert e
Adenauer die Schaffung eine s Investitionsfonds i n Höhe von 581 EZU-Rechnungs einheiten für di e ersten fünf Jahre , weniger als die Hälfte de s ursprünglich von der
französischen Seit e als notwendig erachteten Betrags . Die Fortsetzung des Investitionsfonds übe r de n vereinbarte n Zeitrau m hinau s blie b vo n eine m einstimmige n
Votum des Ministerrats abhängig ; von Absatzgarantien wa r nicht mehr die Rede42.
Gemessen a n de n Ausgangspositione n wa r da s ei n faire r Kompromi ß zwische n
deutschen un d französische n Interessen , be i de m allerding s di e Entwicklungsper spektive der Überseeländer etwas ins Hintertreffen geriet .
Adenauers Zugeständnisse genügten freilich, um in der französischen Öffentlich keit den Eindruck hervorzurufen, daß wesentliche nationale Interessen durchgesetzt
worden seien . Um die Formierung einer Oppositionsbewegung scho n im Keim zu
ersticken, legte Mollet die Verträge, die am 25. Mär z 1957 in Rom unterzeichnet wurden, zudem sogleich der Nationalversammlung vor . Jean Monnet und Maurice Faure
sorgten im Hintergrund dafür, daß die Ratifizierungsvorbereitungen trot z des Sturzes der Regierung Molle t a m 21 . Ma i 195 7 zügig fortgesetzt wurden 43. A m 9. Juli
1957 stimmt e di e Nationalversammlun g de n Römische n Verträge n dan n tatsäch 39 Di e Darstellun g be i WEILEMANN (wi e Anm. 17 ) S. 122-14 3 u . 171-17 9 is t ziemlich unübersichtlich .
Wichtige Ergänzunge n be i Richar d T . GRIFFITH , Wend y Asbee k BRUSSE , Th e Dutc h Cabinet and
the Rome Treaties, in: SERRA (wie Anm. 1) S. 461-493, hier S. 482-491, und GUILLEN, Euratom, ibid.,
S. 523 f .
40 P A Bonn, Büro StS, Bd. 156, Deklaration der französischen Regierun g vom 16.11.1956 .
41 P A Bonn, Büro StS, Bd. 156, Aide Mémoire vom 23.11.1956.
42 P A Bonn , Bür o StS , Bd. 157 , Zusammenfassun g de r Beschlüss e vo m 20.2.1957 . Zu m innenpoliti schen Kontext dieses Verhandlungsstrangs in Frankreich siehe René GIRAULT, La France entre PEurope et l'Afrique, in: SERRA (wie Anm. 1) S. 351-378.
43 Vgl . Jean MONNET, Erinnerungen eines Europäers, München, Wien 1978 , S. 513-539.
186
Wilfried Loth
lieh zu - mi t der überraschend große n Mehrheit von 342 zu 239 Stimmen. Mollets
Mobilisierungsstrategie zahlt e sic h jetzt ebens o au s wie di e Zugeständnisse un d
Gesten, zu dene n sic h Adenauer i m Interess e a n einer Stabilisierun g de s deutsch französischen Gemeinschaftskern s bereitgefunde n hatte .
In de r Bundesrepubli k beganne n di e wirtschaftliche n Kräft e unterdessen , sic h
dem Primat de r Politik z u beugen . Auch die erbittertsten Gegne r einer Zollunio n
der Sechs mußten nac h der Grundsatzentscheidung vo m 6. November 195 6 zugeben, daß ohne die problematische Sechser-Gemeinschaft di e erstrebte Europäisch e
Freihandelszone nich t zu haben war. Und manch e Anhänger des uneingeschränk ten Freihandels range n sic h zu der Einsicht durch , daß zu r politisch erwünschte n
Stärkung des Westens wie zur Sicherung des sozialen Friedens eine bloße Freihandelszone nich t genügte , vielmehr i m europäische n Rahme n »vermehrt e Überein stimmung in den Grundlagen der Wirtschafts- und Sozialpolitik« notwendig war44.
So verdichteten sic h die Bedenken gege n die EWG nur an wenigen Stellen zu entschlossener Opposition ; di e meiste n Wirtschaftsführe r un d auc h Ludwi g Erhar d
nahmen di e Zumutungen de s Vertragswerks mi t verhaltenem Grol l hi n und kon zentrierten ihre Bemühungen darauf, nach der offensichtlich unvermeidliche n Un terzeichnung da s zustand e z u bringen , wa s si e eigentlich interessierte : eine euro päische Freihandelszone. Der Deutsch e Industrie - un d Handelsta g begrüßt e da s
Vertragswerk mi t dem Argument, da ß ungeachtet alle r wirtschaftlicher Bedenke n
»die politische Vernunft de n Gemeinsamen Mark t erfordert«; und de r Bundesver band der Deutschen Industri e wies seine Mitglieder im Jahresbericht 1956/5 7 darauf hin , daß das Vertragswerk i m Unterschied zu r EGK S noch viele Gestaltungsmöglichkeiten offe n ließ : »Viel wird dahe r vo n de r praktische n Handhabun g de s
Vertrags in Zukunft abhängen.« 45
Adenauer vermied es zudem bewußt, in der Bundesrepublik eine öffentliche De batte über das Vertragsprojekt z u entfachen, die der permanenten öffentlichen Dis kussion in Frankreich vergleichbar war. Damit ließen sich die Differenzen i m Kabinett herunterspielen un d die Resonanz auf die kritischen Stimmen in engen Gren zen halten . D a di e SPD-Oppositio n i n eine r Zustimmun g z u de n Römische n
Verträgen ein e Gelegenheit sah , nach de n deutschlandpolitisch bestimmte n Vote n
gegen EGKS und EVG endlich Verantwortlichkeit und Regierungsfähigkeit z u demonstrieren, und de r Deutsche Gewerkschaftsbun d ebe n jene Form sozia l abgesicherter Marktintegratio n verlangte , di e de r EWG-Vertra g aufgrun d de s französi schen Insistierens vorsah, bereitete die Ratifizierung desVertragswerks folglich auch
in der Bundesrepublik keine Schwierigkeiten; es löste allerdings auch keine Begeisterungsstürme aus46.
44 S o Hermann-Jose f ABS , Monetär e Problem e de s Gemeinsame n Marktes , in: Zeitschrift fü r das ge samte Kreditwesen 1 0 (1957) S. 250f.
45 Volltagun g des DIHT i n Berlin 10.4.1957 , DIHT-Schriftenreihe Hef t 47 , S. 15 . Vgl. allgemein KarlHeinz NEUNREITHER , Wirtschaftsverbänd e i m Proze ß de r europäische n Integration , in : Carl J.
FRIEDRICH (Hg.) , Politisch e Dimensio n de r europäische n Gemeinschaftsbildung , Köln , Oplade n
1968, S . 358-445.
46 Vgl . LOTH , Europakonzeptionen (wi e Anm. 5) S. 597-601.
Deutsche und französische Interesse n auf dem Weg zu EWG und Euratom 18
7
Der zweite Friedensschluß
Es wäre allerding s verfehlt , di e breiten Mehrheite n fü r di e Römischen Verträg e i n
Frankreich wie in der Bundesrepublik Deutschlan d nu r dem geschickten Verhandlungs- und Öffentlichkeitsmanagement Mollets und Adenauers zuzuschreiben. Die
Überzeugungsarbeit beide r Regierungschef s konnt e letztlic h nu r erfolgreic h sein ,
weil der Vertragskomplex nich t nu r i n den Details, sondern auc h im Grundsätzli chen einen ausgewogenen Kompromi ß zwische n französischen un d deutsche n In teressen enthielt: Die weltmarktorientierte Bundesrepublik band sich an die Sechsergemeinschaft mi t eine m Instrumentariu m planerische r un d kontraktuelle r Moder nisierungsförderung; dafü r wagt e Frankreic h de n Sprun g i n eine n Gemeinsame n
Markt, dessen protektionistische Dimension mit Ausnahme der Landwirtschaft mi t
der Zei t imme r meh r a n Bedeutung z u verliere n drohte . Ermöglicht wurd e diese r
Kompromiß durc h da s gemeinsam e Interess e a n Bindun g un d Selbstbindun g de r
Deutschen und a n stärkerer Selbstbehauptun g gegenübe r der amerikanischen Füh rungsmacht. Insofern is t es nicht übertrieben, die Römischen Verträge als den nach
der Montanunion zweite n Akt des deutsch-französischen Friedensschlusse s z u bezeichnen. Problematisch wa r nur, daß die letztlich verbindende politische Finalitä t
des Vertragswerkes weni g thematisiert wurd e un d sic h folglich di e divergierende n
wirtschaftlichen Interesse n imme r wiede r bemerkba r mache n konnten . Z u Rech t
schrieb de r Deutsch e Bauernverban d i n seine m Jahresbericht 1957 : »Der Vertra g
trägt im Ganzen den Stempel politischer Zielsetzung und läßt somit sehr weite Auslegungen, viele Ausnahmen und Ausgleichsmöglichkeiten zu.« 47
47 Berich t über die Tätigkeit des Deutschen Bauernverbandes für 1956/57 , Bonn 1957, S. 8.
ANDREAS WILKEN S
VERSTÄNDIGUNG V O N WIRTSCHAF T Z U WIRTSCHAF T
Interessenausgleich zwische n deutscher und französischer Industri e 1947-195 5
Die sei t eine r .Reihe vo n Jahre n verstärk t durchgeführte n Forschungsarbeite n zu r
Rolle der nationalen Industrieverbänd e un d ihre r internationalen Zusammenschlüs se, vo n Vereinigungen , di e de r Wirtschaf t zumindes t nah e stehen , wi e vo n einzel nen Industrieunternehme n i m europapolitische n Proze ß de r Nachkriegsär a rücke n
wichtige un d dabe i zuweile n durchau s unterschätzt e Akteur e de r transnationale n
Politik in s Blickfeld 1. Lang e Zeit hindurch ha t sich die deutsche Zeitgeschicht e ehe r
nur beiläufi g mi t Positione n un d politische n Wirkunge n de r zentrale n Wirtschafts verbände auseinandergesetzt , e s fehlt bi s heut e beispielsweis e ein e au s de n Quelle n
gearbeitete Gesamtdarstellun g zu r Geschicht e de s Bundesverbandes de r Deutsche n
Industrie (BDI) 2 . Die Mitte der 60er Jahre erschienene Arbeit von Gerar d Brauntha l
gilt auch nach 30 Jahren noc h al s eine Referenz hinsichtlic h de r Rolle des industriel len Spitzenverbandes i n der deutschen Nachkriegsgesellschaft 3.
Einen gute n Teil Verantwortung fü r diese s Defizit komm t de n betroffene n Indu strieverbänden un d Vereinigunge n selbs t zu , insofer n ihr e Archiv e nu r mi t Müh e
oder auc h gar nicht zugänglic h sind . Der BDI ha t aller Wahrscheinlichkeit nac h de n
größten Tei l seines Archiv s z u de n 50e r Jahren beseitigt , e s fehlen insbesonder e di e
Akten de s Europa-Ausschusse s ebens o wie di e Akten de s langjährige n Präsidente n
Fritz Berg 4. Zu r Analys e de r außen - un d europapolitische n Aktivitäte n de s BD I
wird ma n hilfsweise au f Parallelüberlieferunge n angewiese n sein. Wichtige persönli che Nachlässe - fü r di e deutsche Seit e etwa de r politisch engagierte n Bankier s bzw .
Industriellen Herman n Josep h Abs , Fritz Berg , Robert Pferdmenge s - sind , sowei t
sie überhaupt bestehen , der Forschung nicht allgemein zugänglich .
Hinsichtlich de s 194 6 ne u gegründete n französische n industrielle n Dachverban des Conseil National d u Patronat Françai s (CNPF ) sieht di e gegenwärtig e For schungslage nicht sehr viel anders aus. Auf ein e frühe grundlegend e Arbei t de s amerikanischen Politologe n Henr y W . Ehrmann 5 folgte n späte r französisch e Gesamt 1 Al s jüngere Zwischenbilanz s . Michel DUMOULIN, Ren é GIRAULT, Gilber t TRAUSCH (Hg.) , L'Europe
du patronat. De la guerre froide aux années soixante, Bern 1993.
2 Ähnliche s ließ e sic h für die Bundesvereinigung de r Deutschen Arbeitgeberverbänd e un d den Deut schen Industrie - un d Handelsta g sagen . Mit vielen Bezügen s . vor allem: Volker BERGHAHN, Unter nehmer und Politi k i n der Bundesrepublik, Frankfur t 1985 ; vgl. a. den Abriß von: Werner BÜHRER ,
Unternehmerverbände, in : Wolfgang BENZ , Di e Geschicht e de r Bundesrepublik Deutschland , Bd.2:
Wirtschaft, Frankfurt 1989 , S. 140-168 sowi e Bührers im folgenden genannte n weiteren Arbeiten.
3 Gerar d BRAUNTHAL, The Fédération of German Industry in Politics, Ithaca, New Yor k 1965 .
4 Schriftlich e Mitteilun g des BDI, Zentralabteilung, 2.12.1991.
5 L a politique du patronat français (1936-1955), Paris 1959 (Orig.: Organized Business in France, Princeton 1957).
190
Andreas Wilkens
darstellungen, die sich - gleichfall s ein e weitere historische und sachliche Thematik
umgreifend - star k auf die Binnenstruktur sowi e die Wirtschafts- un d Sozialpoliti k
der Industrieverbände konzentrierten 6. Immerhi n ha t der CNPF, nachdem e r 1978
Teile seines Archivs zerstört hatte, Archivunterlagen in den Archives nationales deponiert und diese unter verschiedenen Einschränkunge n de r Forschung zugänglic h
gemacht.
Diese kurzen Bemerkungen seien vorangestellt, um etwas Verständnis für eine derzeit noch recht lückenhafte Forschungslag e zu wecken, insbesondere hinsichtlich der
Geschichte der Querverbindungen zwischen den Wirtschaftskreisen beide r Länder.
Der folgende Beitra g stellt die Neuaufnahme un d di e frühe Entwicklun g der direkten Beziehungen zwischen den deutschen und französischen industrielle n Dachverbänden i m erste n Nachkriegsjahrzehn t i n de n Mittelpunkt . E s sol l untersuch t
werden, unte r welche n Bedingunge n dies e Beziehunge n wenig e Jahre nac h de m
Ende des Zweiten Weltkriegs wieder aufgenommen wurden . Wer waren die Träger,
welches waren die Motive und Zielsetzungen eine r industriellen Verständigung? I n
welchem Verhältni s stande n di e Initiative n de r Industrieverbänd e zu r offizielle n
Regierungspolitik in Frankreich wie in der Bundesrepublik? Der Beitrag nimmt sich
somit einen Aspekt der Frage nach dem Verhältnis von Politik und Wirtschaft vor ,
das auch im deutsch-französischen Kontex t noch einer umfassenden historiographi schen Bearbeitung bedarf.
I.
Gemäß dem sukzessiven Wiederaufbau de s deutschen industriellen Verbandswesens 7
waren es in einer ersten Zeit die bereits wieder etablierten Handelskammern, insbesondere im west- und südwestdeutschen Raum, sowie regionale wirtschaftliche Fachverbände, die systematische Bemühungen zur Wiederaufnahme von Verbindungen in
Richtung Frankreich entwickelten . Zunächst konnte die Retablierung der Kontakt e
selbstverständlich nur mit Genehmigung, d.h. Förderung der zuständigen westallierten Außenhandelsstelle n vo r sic h gehen , der i m Frühjahr 194 7 geschaffenen »Join t
Export Import Agency« (JEIA) für die Bizone, der »Oficomex« fü r die französische
Zone. Letztere bestand als selbständige Behörde bis zur Zusammenlegung des Außenhandels der französischen Besatzungszon e mi t demjenige n de r Bizone im Oktobe r
19488. Diese Einrichtungen besaßen nicht nur das Monopol für alle Import- und Exportgeschäfte sonder n kontrollierte n beispielsweis e auc h di e Vergabe de r fü r Aus landsreisen notwendige n Devisen . Bis etwa Mitte 194 8 waren dies e ebenso wie die
eigentliche Reiseerlaubnis nur mit erheblichen Schwierigkeiten zu beschaffen .
6 Genann t seie n vo r allem : Henri WEBER , Le part i des patrons. L e CNP F (1946-1990), Paris 21991;
Georges LEFRANC , Le s organisation s patronale s e n France . D u pass é a u présent, Pari s 1976; star k
journalistisch: Bernard BRIZAY, Le Patronat. Histoire, structure, stratégie du CNPF, Paris 1975.
7 Ing o TORNOW , Di e deutsche n Unternehmerverbänd e 1945-1950 . Kontinuitä t ode r Diskontinuität ?
in: Jose f BECKER , The o STAMMEN , Pete r WALDMAN N (Hg.) , Vorgeschicht e de r Bundesrepubli k
Deutschland. Zwischen Kapitulation und Grundgesetz, München 1979 , S. 235-260.
8 Walte r VOGEL, Westdeutschland 1945-1950 . Der Aufbau von Verfassungs- und Verwaltungseinrich tungen übe r de n Länder n de r dre i westliche n Besatzungszonen , Tei l II, Boppard a m Rhei n 1964 ,
S. 157-167.
Verständigung von Wirtschaft zu Wirtschaft
191
Einen gewisse n Sonderfal l stellt e der Bereich de r Kohle - und Stahlindustri e des
Ruhrgebietes dar , insofern e s hier nicht um die Wiederaufnahme »normaler « Aus tauschbeziehungen ging , vielmehr ein e Domäne berühr t wurde , in der Frankreic h
seine grundsätzlichen Sicherheitsbelange ebenso wie seine wirtschaftlichen Entwick lungspläne berührt sah. Diesem besonderen Umstand ist ohne Zweifel das erste, gegenwärtig nu r i n Bruchstücke n nachzuweisend e Treffe n zwische n eine r Grupp e
deutscher Ruhrindustrieller und französischen Wirtschaftsvertretern zuzuschreiben .
Es fand , unte r de m Versuc h de r Geheimhaltun g vo r de n britische n Besatzungs behörden, am 7. November 1946 in Remagen statt, also an der extremen Nordgrenze
der französischen Besatzungszone 9. Bei diesem Gespräch ging es um die Möglichkeit
französischer Kapitalbeteiligunge n a n deutschen Unternehmen , au s deutscher Per spektive unter der Maßgabe, weitere Demontagen wie Sozialisierungsmaßnahmen in
der Ruhrindustri e z u verhindern . Ei n Veto de s französische n Außenministerium s
scheint diese m Gesprächsstran g zunächs t ei n Ende bereitet z u haben . Die Idee als
solche sollt e i n den kommende n Jahren imme r wieder i n die Diskussion gebrach t
werden.
In jedem Fall liefen die Verbindungslinien im Jahre 1947 über die Stellen der französischen Militärverwaltung i n Baden-Baden. Bei möglichen Aufträgen au s Frankreich ging es dabei um Lieferungen, a n denen die französische Seit e ein besonderes
Interesse besaß, insofern di e industriellen Produkt e nich t ode r nur unter erhöhte n
Schwierigkeiten und Koste n anderweitig bezogen werden konnten. Als Beispiel sei
herangezogen di e im Januar 194 7 an Daimler-Benz herangetragen e Aufforderung ,
ein Angebot zur Lieferung von 300 Omnibussen an die Metrogesellschaft de r Stadt
Paris abzugeben 10. Die Busse sollten von dem in der französischen Zon e gelegenen
Werk Gaggena u hergestell t werden . Nac h Vorgespräche n mi t de r französische n
Militärverwaltung übersandt e di e Direktion vo n Daimler-Benz ei n entsprechende s
Angebot mi t Zeichnunge n un d Preiskalkulatione n a m 19 . Mai 194 7 direkt nac h
Paris, nich t ohn e Bedenken , diese n Großauftra g i m Hinblic k au f di e geforderte n
Lief er- und Garantiebedingunge n auc h wirklich ausführe n z u können 11. Die Möglichkeit dieses Geschäftes stan d offensichtlich nich t im Widerspruch zu den gleichzeitig noch drohenden Gefahren von Demontagen und Requisitionen in den Mercedes-Werken der französischen Zone 12. Unabhängig von der Tatsache, ob der Auftrag schließlich tatsächlich zustand e gekomme n ist , scheint e s bemerkenswert, da ß
Anfang 194 7 auf französischer Seit e offensichtlich kein e entscheidenden Vorbehalt e
gegenüber de r Aussich t bestanden , de n Parise r öffentliche n Personenverkeh r mi t
neu anzuschaffenden Busse n aus der gerade erst wieder aufgenommenen Mercedes Produktion auszustatten.
9 »Not e sur un e missio n accomplie en Allemagn e par M . Desfeuill e du cabine t du secrétair e d'Etat aux
Affaires allemande s e t autrichiennes«, 13.7.1948, Archives d u Ministère de s Affaires étrangères ,
Paris (künftig: AMAE), Europe 1944-1960, Allemagne, Bd. 39, Bl. 89-95.
10 Flac h an Kaufmann, 13.1.1947 , Mercedes-Benz-Archiv, Stuttgart-Untertürkhei m (künftig : MBA),
Bestand Wilhelm Haspel.
11 Daimler-Benz , Gaggenau, an Direction du Service Technique Métropolitain Paris, 19.5.1947, ibid.
12 Vgl . Hans POHL, Demontagen, Requisitionen und Verluste nach Kriegsende in Werken der DaimlerBenz AG, in: DERS. (Hg.) , Traditionspflege i n der Automobilindustrie. Stuttgarte r Tage zur Automobil- und Unternehmensgeschichte vom 8. bis 11. Apri l 1991, Stuttgar t 1991, S . 19-33 , hier: S.29/30.
192
Andreas Wilkens
Das Klima für die Einrichtung eines geregelten Wirtschaftsverkehrs mi t den Westzonen begann sich ab Anfang 194 7 langsam zu entwickeln. Einen ersten organisatorischen Niederschlag fanden diese Bestrebungen in der Gründung der »Association
pour le Commerce et l'Industrie Française en Allemagne« (ACIA), die ihre konstituierende Versammlung a m 23. Januar 194 7 abhielt. Der Nam e war mit Bedach t gewählt: noch ging es um die Förderung des französischen Absatze s in Westdeutschland, nicht s o sehr um den ausgewogenen beiderseitige n Warenaustausch . Die Zusammensetzung der Gremien dieser nach dem Gesetz von 1901 als »Association sans
but lucratif« gegründeten Vereinigung ließ erkennen, daß sich die wichtigen Kreis e
der französischen Industri e abseit s hielten. Als erster Präsiden t tra t ei n Inspecteur
général des Finances hervor, André Lebelle, der sich bei der Gründun g de r ACI A
auch nicht auf einen entsprechenden Wunsch von Seiten der Wirtschaft, vielmehr des
Commissariat aux Affaires Allemandes et Autrichiennes, der französischen Militär regierung in Baden-Baden un d de s Pariser Wirtschaftsministeriums berief 13. Es lag
auf de r Hand , da ß di e geplant e Aktivitä t nu r mi t Billigun g un d i n enge r Abstim mung mit den französischen Behörde n durchgeführt werde n konnte. Auch wenn die
ACIA mit finanzieller Unterstützun g der Militärregierung Anfang 194 8 einen ständigen Vertreter in Baden-Baden installieren konnte, hielt der Oberkommandierend e
General Koenig doch auf Distanz zu dieser Einrichtung, die sich nach seiner Vorstellung auf ihr e rein privatwirtschaftlichen Anliege n beschränke n sollte 14. Die ACI A
ihrerseits wartete au f amtlich e Instruktionen 15. Baden-Bade n allerding s sa h für di e
ACIA nebe n de n Funktione n de r eigene n Direction des Affaire s économiques et
financières kaum einen eigenständigen Aufgabenbereich 16. Di e starke Reglementierung des deutsch-französischen Handels , der noch über die Oficomex abgewickel t
wurde, die Beschränkung der Vereinigung auf die französische Zone und auf französische Mitgliedschaften, di e mangelnde Repräsentativitä t fü r di e eigen e Wirtschaf t
dürften di e Faktoren gewese n sein, die schließlich eine r weiteren Entwicklun g de r
ACIA im Wege standen.
General Koenig selbst gab im April 194 8 den Anstoß, die ACIA s o umzugestalten, daß sie zu einem späteren Zeitpunkt die Rolle einer französischen Handelskam mer in Deutschland übernehmen könnte. Dazu empfahl er den Rückzug der Vertreter der Ministerien au s dem Aufsichtsrat sowi e die Anbindung de r Vereinigung an
13 Drucksach e ACIA, Extraits des discours prononcés à l'Assemblée Générale Constitutive du 23 Janvier 1947, Archives d e l'Occupatio n Français e e n Allemagn e e t e n Autriche , Colma r (künftig:
AOFAA) Bestand: Ambassade de France à Bonn, Cabinet civil, paquet 121, Eco I C 6. Die drei weiteren namentlic h genannte n Mitgliede r de s Verwaltungsrate s waren : Intendan t Général Bernard,
Président de la Société nationale de vente des surplus, Rechtsanwalt Lasalarie , Président du Conseil généra l des Bouches-du-Rhône, Charles Mourre , Président de la Chambre de Commerc e d e
Marseille.
14 Insbesonder e hatt e Koeni g nach wenigen Monate n de n Rücktritt vo n Lebell e geforder t un d er reicht, um keine Vermischung von öffentlicher Funktio n und privaten Interessen entstehen zu lassen; Koeni g a n Monsieu r le Commissair e Généra l au x Affaire s Allemande s e t Autrichiennes ,
9.4.1947, très confidentiel; Lebelle an Koenig, 4.7.1947, AOFAA, ibid.
15 ACIA, Mémoire, 28.10.1947; Generaladministrator Laffon a n Präsident ACIA, objet: Programm e
de l'ACIA, 2.11.1947, ibid.
16 Koenig an Monsieur le Délégué de l'ACIA en Allemagne, 9.2.1948, très confidentiel, ibid.
Verständigung von Wirtschaft z u Wirtschaf t
193
die repräsentativen französischen Industrieverbände 17. Ein Mitarbeiter der französi schen Militärregierung, Robert d e Boysson, wurde in das Ruhrgebiet entsandt , um
sich ei n Bild von de r Einstellung de r Ruhrindustrielle n gegenübe r eine r künftige n
wirtschaftlichen Zusammenarbei t mi t Frankreich z u machen 18. Auf de r Grundlag e
seines positiven Resümees - »ces premiers entretiens sont encourageants et montrent
l'utilité d e contacts direct s sur l e plan industriel e t commercial« - ka m auc h er zu
dem Schluß, daß die ACIA ausgebaut und auf die Funktion eines effizienten Mittler s
in de n Wirtschaftsbeziehunge n mi t Westdeutschlan d ausgerichte t werde n sollte 19.
Nach eine r Phas e de r Vorüberlegunge n sollt e sic h de r industriell e Dachverban d
CNPF schließlich in der Tat Mitte 1948 der Aktivitäten der ACIA annehmen und eine Umgründung nach diesen Vorstellungen durchführen .
Ab 194 8 wurde e s wiederum deutsche n Geschäftsleute n möglich , sich in Frank reich selbs t eine n Eindruc k vo n de n Möglichkeite n de r zukünftige n wirtschaftli chen Beziehungen zu verschaffen. Die internen Berichte von den Reisen, die Vertreter
der deutschen Wirtschaf t i n einer bereits veränderten gesamtpolitische n Lag e nach
Paris unternahmen, sind eine besonders aufschlußreiche Quell e sowohl hinsichtlich
des Informationsstandes un d Erwartungshorizontes der deutschen Wirtschaftler, als
auch hinsichtlich de r vermerkten Einstellunge n un d Reaktione n de r französische n
Gesprächspartner20. Für die Entwicklung des deutschen Exports hatten diese frühen
Reisen die wichtige Funktio n eine r Informationsbeschaffun g au s erster Hand hin sichtlich de r Entwicklun g de s Marktes und de n sich ergebenden Ausfuhrmöglich keiten. Die Filialen und Vertretungen, die deutsche Firmen in Frankreich unterhalten hatten, waren durchweg unter Sequesterverwaltung gestellt worden und mußten
von den Unternehmen zunächst als verloren angesehen werden.
Soweit sich ein Zwischenfazit auf der Grundlage der vorliegenden Berichte ziehen
läßt, kamen die deutschen Handlungsreisenden mit durchaus positiven Erfahrunge n
aus Pari s zurück . Wiederaufnahm e un d Entwicklun g de s Handel s mi t Frankreic h
stellte sich ihnen als eine wenn auch schwierige und hindernisreiche, so doch realisierbare und langfristig vielversprechende Aufgabe dar. Zur Relativisierung wäre allerdings hinzuzufügen, da ß die deutschen Abgesandte n natürlic h vornehmlic h mi t
jenen französische n Persönlichkeite n zusammentrafen , vo n denen si e eine gewisse
Aufgeschlossenheit gegenübe r de n deutsche n Belange n erwarte n konnten , mi t denen teilweise auch bereits vor dem Kriege Geschäftskontakte bestande n hatten. Zwei
Beispiele sollen dies belegen.
Einen ersten exploratorischen Besuc h in Paris vom 16 . Februar bis 1. März 1948
absolvierte i m Auftra g de r Treuhandverwaltun g de r Buderus'sche n Erzgruben ,
Hochofen- und Elektrizitätsbetriebe in Wetzlar der spätere Präsident des Verbandes
17 Koeni g a n Monsieu r le Secrétair e d'Eta t au x Affaire s Allemande s e t Autrichiennes , 10.4.1948,
AFOAA, ibid.
18 De Boysso n war Direkto r de r Abteilun g fü r industriell e Produktio n bei m »Groupe françai s du
Conseil de contrôle« in Berlin.
19 Zitat : de Boysson, Rapport de mission dans la Ruhr du 5 au 7 juillet 1948,9.7.1948, secret; DERS., Note
sur les relations commerciales et industrielles franco-allemandes, 9.9.1948, confidentiel, AOFAA, ibid.
20 Naturgemä ß sind diese frühen Reisebericht e recht schwer zugänglich und eigentlich nur mehr zufällig in den Archiven auszumachen. Eine systematische Zusammenstellung und Auswertung steht
noch aus.
194
Andreas Wilkens
der Automobilindustrie Ma x Thoennissen 21. Zwec k de r Reise war di e Herstellun g
eines Austauschgeschäfte s zwische n hochwertige m manganhaltige n Roheise n de r
Buderus'schen Hochöfe n gege n di e z u dere n Herstellun g benötigt e kalkhaltig e
lothringische Eisenerz-Minette . D a beid e Seite n a n den entsprechende n Lieferun gen interessiert waren , bahnte sic h das Geschäf t »mi t Zuversicht « an . Auch wen n
Thoennissen übe r große Hilfsbereitschaft u.a . im Ministère de la production industrielle berichtete, so war ihm doch andererseits klar, »daß man Deutschland gegenüber sich nach wie vor reserviert verhält und wir werden eine ungeheure Arbeit zu
leisten haben, um den Kontakt auf eine breitere Grundlage zu stellen«. In der Gestaltung de r künftige n europäische n Politi k gin g Thoennissen bemerkenswerterweis e
von der »Notwendigkeit der französischen Führung « aus. Im Hinblick auf das künftige deutsch-französische Verhältni s sei es nicht zuletzt an der Wirtschaft, all e Vorbereitungen sowei t vorwärts zu treiben, »daß zu gegebener Zeit der Druck au f den
Knopf die offizielle Zusammenarbeit auslösen kann«22. Thoennissen besaß gute Kontakte zu französischen Industrielle n au s der Vorkriegszeit wie auch aus der Kriegszeit; von den Möglichkeiten eine r deutsch-französischen industrielle n Zusammen arbeit mußte er nicht neu überzeugt werden.
Eine allenthalben »steigende Interessennahme« am Problem der deutsch-französi schen Wirtschaftsbeziehungen vermerkt e wenig später der Geschäftsführer de r Vereinigung der Maschinenbauanstalten vo n Württemberg-Baden, Han s Kuntze, nach
einem Besuch in Paris in der Zeit vom 2. bis 17. Juni 1948 23. In seinen Gesprächen mit
Vertretern au s Politik und Wirtschaft, unte r anderem dem Präsidenten des CNPF,
Georges Villiers, und dem führenden Man n der Elektrizitätswirtschaft, Ernest Mercier, meinte Kuntz e während de r Zei t seine s Aufenthaltes eine n »Umbruc h i n der
Einstellung zum deutsch-französischen Problem « feststellen z u können. Die gerade
veröffentlichten Londone r Beschlüsse hätten »eine gewisse Nervosität« in amtlichen
wie in privaten Kreise n hervorgerufen . Ma n hab e erkannt , s o sein e Einschätzung ,
daß »diese Beschlüsse Frankreich nunmehr dazu zwingen, die Politik der angelsächsischen Mächte in Deutschland mitzumachen , daß es bei einer solchen Lage klüger
ist, z u de m Proble m al s solche m ein e positive Einstellun g z u gewinnen , un d da ß
Frankreich gegenübe r den angelsächsischen Ländern hierbei stark im Hintertreffe n
ist, so daß der Versuch gemacht werden muß, diesen Vorsprung einzuholen«.
Aufgrund diese r - subjekti v so interpretierten - positive n Wendung der französi schen Politik rechnete sich Kuntze nunmehr Chancen für die deutsche Exportindustrie aus , erneut au f de m französische n Markt , de n auc h e r au s de r Vorkriegszei t
kannte, Fuß zu fassen. Möglichkeiten hierzu sollten sich insbesondere aus den energischen Bemühungen um eine Mechanisierung der Landwirtschaft ergeben , zum anderen auc h - nich t zuletz t u m den französischen Devisenprobleme n Rechnun g z u
tragen - durc h den deutschen Import von in Frankreich nur unzureichend abzuset zenden Gußerzeugnissen aus der Saar gegen die Abnahme von Landmaschinen.
Die Einladung an den deutschen Besucher zu einem Bericht vor der »Commission
des Affaires allemandes« des CNPF markierte zu diesem Zeitpunkt das starke Inter21 Schreibe n Thoennissen, 3.3.1948, Abschrift, MBA, Bestand Wilhelm Haspel.
22 Ibid .
23 Berich t vom 29.6.1948, Bundesarchiv Koblenz (künftig: BA), B 102, Bd. 2028, H. 1.
Verständigung von Wirtschaft z u Wirtschaf t
195
esse de s französische n Unternehmerverbandes , seinerseit s Informatione n übe r di e
wirtschaftliche Entwicklun g i n Westdeutschlan d z u erhalten 24. Präsiden t Villier s
selbst faßt e zude m ein e Reis e i n di e Bizon e in s Auge , angeblic h au f Wunsc h de s
Staatssekretärs fü r di e deutsche n Angelegenheite n Schneiter , »u m de n persönliche n
Kontakt mit der deutschen Wirtschaft herzustellen , der vorläufig gan z fehle« 25. Auch
wenn e s zu diese r Reis e nicht komme n sollte , täuschte sic h der deutsch e Geschäfts reisende des Juni 194 8 über die grundsätzlich aufgeschlossen e Haltun g des französi schen industriellen Dac h Verbandes keineswegs.
IL
In der Tat wurde in den Instanzen des Conseil National du Patronat Français seit Anfang 194 8 di e Gestaltun g de s zukünftige n Wirtschaftsverhältnisse s z u Deutschlan d
mehrfach diskutiert . I n George s Villiers hatt e de r französisch e Unternehmerverban d
einen Präsidenten , de r sic h z u eine m deutliche n Fürspreche r zugunste n de r Neuein richtung wirtschaftliche r Kontakt e nac h Deutschlan d machte . Sei n diesbezügliche s
Engagement dürfte von erheblichem Gewich t gewesen sein. Seine Aktivität im Widerstand, sein Schicksal als Deportierter un d Überlebende r vo n Arbeitslagern un d de s
Konzentrationslagers Dacha u gabe n ih m di e notwendig e Unabhängigkei t gegenübe r
dem Vorwurf eine s Rückfalls i n Praktiken wirtschaftlicher Kollaboration 26. E r war i n
der Lage, eine Konferenz der »Bewegung für Moralische Aufrüstung« i m Juni 194 9 für
die öffentliche Erklärun g z u wählen, e r sei zu Gespräche n mi t deutschen Persönlich keiten bereit »pour établir les bases d'une liaison économique entre nos deux pays«27.
Das Wiederanknüpfen vo n Kontakte n nac h Deutschland bewertet e Villiers weni ge Jahre nac h Kriegsend e nüchter n al s »wirtschaftlich e Notwendigkeit« 28 . Fü r ih n
war de r Gesichtspunk t entscheidend , da ß Deutschlan d vo r de m Krieg e ei n bedeu tender Handelspartne r Frankreich s gewese n wa r un d e s auch i n der Nachkriegszei t
aller Voraussicht nac h wiede r werde n würde . Zögerlichere n Vertreter n vo n Einzel verbänden hiel t e r wiederholt vor , daß ander e Länder , namentlich di e Benelux-Staa ten und Großbritannien , bereit s dabe i seien, die organisatorischen Voraussetzunge n
für ihr e Präsenz auf dem deutschen Markt zu schaffen. I n der Tat hatte sich schon im
September 194 8 ein e deutsch-belgisch-luxemburgisch e Handelskamme r i n Köl n
konstituiert 29 .
Wichtige Ausgangspunkte de s verstärkten Interesses für di e deutsche Problemati k
waren da s Scheiter n de r Londone r Außenministerkonferen z vo n November/De zember 194 7 sowie di e Einbeziehung Westdeutschland s i n die Marshall-Plan-Hilfe ,
die ein e Reorganisatio n de s politische n un d wirtschaftliche n System s i n de n dre i
Westzonen absehba r werde n ließen 30. Al s ein e direkt e Konsequen z de r sic h verän 24 Gesprächsau f Zeichnung vo n Seite n de s C N P F : Réunio n du mercredi 16 juin à 14h.30 , 33 rue Jea n
Goujon, Archive s nationales (künftig: AN), 72 AS 113.
25 Berich t Kuntze (wie Anm. 23).
26 Georges VILLIERS, Témoignages, Paris 1978.
27 Konferen z vo m 6.6.1949 i n Caux, Schweiz; Le Monde, 8.6.1949.
28 Comité directeu r des C N PF vom 13.12.1949 , A N , 72 AS 641.
29 De r Tagesspiegel, 19.9.1948 .
30 Robert Fabr e (CNPF), Aufzeichnung 2.2.1948 ; Note, 14.1.1948, A N , 72 AS 113.
196
Andreas Wilkens
dernden Lag e wurd e di e Einrichtun g de s bereit s genannte n »Deutschland-Aus schusses« vom Bureau des CNPF im Februar 194 8 entschieden. Seine Aufgabe war
zunächst die Beobachtung der deutschen Entwicklung, die Sammlung von Informa tionen, die den französischen Industrieverban d in die Lage versetzen sollten, qualifiziert zu einem Problem Stellun g zu nehmen, das - s o Villiers - »zunehmen d kom plex« erschien 31. De r CNPF bereitete sic h somi t frühzeiti g au f di e Stabilisierun g
Westdeutschlands vor. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Motiv, der mit Sorge registrierten amerikanischen Einflußnahme auf das deutsch e Industriemilieu nicht völlig freie Han d z u lassen . In de r Abwehr eine r regelrechten »mainmise« vermeinte
man auch auf gemeinsame Interessen mit deutschen Industriellen zu treffen .
Inwieweit sic h de r französisch e Industrieverban d de r deutsche n Problemati k
auch auf Veranlassung der französischen Regierun g annahm, wird weiterer Klärun g
bedürfen. Jedenfalls is t belegt , daß au f deutsche r Seit e Konrad Adenaue r i m März
1948 dahingehend orientier t war , daß di e französische Regierun g ein e nicht nähe r
bezeichnete »Kommission von Industriellen« beauftragt habe , die Möglichkeit einer
»Verflechtung« de r französischen un d der deutschen Industrie zu prüfen 32.
Als Präsident de r beim CNPF konstituierten Commission des Affaires allemandes amtierte zunächst George s Villiers selbst, für di e zu leistende konzeptuelle Ar beit versicherte sich dieser der Mitarbeit keines geringeren als André François-Poncet33. Dem Bild des früheren Botschafter s Frankreich s im Deutschen Reich fügt diese Rolle eine wichtige Facette hinzu. François-Poncet befand sic h in dieser Periode
im diplomatischen »Wartestand« , bevor er - geförder t durc h Außenminister Schuman - schrittweis e wieder in den aktiven diplomatischen Diens t zurückkehrte , die
erste Etappe war die Ernennung zum »chargé de mission spéciale« bei General Koenig im November 1948 34. Ab September 194 9 sollte er als Hochkommissar i n Bonn
die französisch e Deutschlandpoliti k wiede r a n herausgehobene r Stell e vertreten 35.
Dem Unternehmensverband wa r er der geeignete Ratgeber für di e wiederum inner halb de r Commission des Affaire s allemandes eingerichtete Arbeitsgruppe , dere n
Aufgabe es sein sollte »de définir l'attitude générale à proposer au Patronat français à
l'égard des affaires allemandes« 36.
Bei einer ersten Vorbesprechung mi t Mitarbeitern de s CNPF am 15 . Jun i 194 8
skizzierte François-Poncet seine Überlegunge n zu r künftige n Politi k gegenübe r
Deutschland. Nach der Devise »du pain, du travail et de l'espoir« sollte den Deut 31 Protokol l des Comité directeur des CNPF vom 20.2.1948, A N, 7 2 AS 641.
32 Schreibe n Adenaue r a n Jacob Kindt-Kiefer , 30.3.1948 , in : Adenauer, Brief e 1947-1949 , bearbeite t
von Hans Peter MENSING, Berli n 1984 , Nr.796. Die Verbindung zwischen Adenauer und Außenmi nister Bidault dürfte übe r desse n stellvertretende n Kabinettsche f Jea n Mori n hergestell t worde n
sein; vgl. ibid. , S.552 ; Pierr e GERBET , Le relèvemen t 1944-1949, Pari s 1991 , S. 422; Hanns Jürge n
KÜSTERS, Deutsch-französisch e Wirtschaftsbeziehunge n i n de n Anfangsjahre n de r Europäische n
Gemeinschaft, in : Revue d'Allemagne 20 (1988) S. 274-296, hier: S. 283.
33 »Projet« de constitution de la Commissio n de s Affaire s allemandes , o.D . (Ma i 1948), A N , 72 AS
113.
34 Raymond POIDEVIN , Robert Schuman, homme d'Etat 1886-1963, Paris 1986, S. 210/211.
35 Vgl . insgesamt : Han s Manfre d BOCK , Zu r Perzeptio n de r frühe n Bundesrepubli k Deutschlan d i n
der französischen Diplomatie : Die Bonne r Monatsbericht e de s Hochkommissars André François Poncet 1949-1955, in: Francia 15 (1987) S. 579-658, hier: S. 598.
36 Fabr e (CNPF), Note à l'attention de Monsieur Christa, 10.6.1948 , A N, 7 2 AS 113.
Verständigung von Wirtschaft z u Wirtschaf t
197
sehen einerseit s di e Mitte l z u ihre r Existenzsicherun g gegebe n werden , andererseit s
sollte aber auf lange Sicht eine effiziente Kontroll e sichergestell t werden, »pour évite r
que ne renaisse pour nou s l e danger allemand« 37. Die Notwendigkeit de r Beteiligun g
am Wiederaufbau i n Deutschlan d wa r fü r François-Poncet in der ansonste n drohen den Gefahr de r Bolschewisierung begründe t wi e auch in der anderenfalls ohn e fran zösische Präsen z sic h vollziehenden Neuordnun g de r deutsche n Verhältniss e unte r
amerikanischer und britischer Ägide - gerad e auch im wirtschaftlichen Bereich 38.
Die Arbeitsgruppe François-Poncet, der insgesamt 1 0 Personen angehörte n - da von dre i Mitarbeite r de s CNPF (Benaerts, Fabre , Le Besnerais), fün f Industriell e
bzw. Vertrete r vo n Fachverbände n (Davesac , Perrin-Pelletier , d e Vitry , d e Wendel ,
Auberger) un d ei n Journalist de r »Le Monde« (Lauret ) - tra f zu m erste n reguläre n
Treffen a m 1 . Juli 194 8 zusamme n un d macht e sic h a n di e Ausarbeitun g eine s
Schriftsatzes z u de n Deutschlandbeziehungen 39 . De r Tex t i n de r Läng e vo n zeh n
Seiten mi t verschiedenen Anhänge n unte r de m Titel »Observations su r l e problèm e
allemand présentée s pa r l e CNPF« lag drei Wochen späte r vor. Bis hin zu einzelne n
Formulierungen tru g er die Handschrift vo n François-Poncet40. In einer breiten politischen Perspektiv e sprac h di e Stellungnahm e grundsätzlic h eine r Verständigungs politik mi t Deutschlan d da s Wort , seine r Einbeziehun g i n de n Bereic h de r west europäischen Zivilisation , di e nich t zuletz t di e Teilun g Deutschland s akzentuiere n
und somi t den Westteil der Expansion des Kommunismus entziehe n würde. In wirt schaftlicher Hinsich t wurde n Chance n ausgerechne t insbesonder e fü r di e Export e
der französischen Landwirtschaft , di e in Deutschland eine n aufnahmefähigen Mark t
finden würden , währen d i m Bereic h de r industrielle n Produktio n deutlic h au f di e
spätere Teilun g de r Märkt e abgehobe n wurde . I n diese m wichtige n Bereic h hie ß e s
als Zielvorgabe : »Un des premiers objectif s à atteindre dan s l a reprise de s relation s
commerciales entre la France et l'Allemagne devrait être le maintien, la consolidation
ou l e renouvellement de s accords particuliers qu i existaien t avan t l a guerre entr e in dustriels o u commerçant s françai s e t allemands dan s un gran d nombr e d e branches .
Ces accords dont le nombre dépassait une centaine portaient sur les prix, les partages
de clientèle, l'exploitation d e brevets ou de licences.« 41
Diesem Dokumen t zufolg e wa r di e französisch e Industri e bereit , wiede r a n di e
Kartelle oder die kartellähnlichen Vereinbarungen mi t der deutschen Industrie anzu knüpfen, wie sie in der Vorkriegszeit bestanden hatten 42. Man antizipierte eine Rückkehr der deutschen industriellen Exportzweige auf den Weltmarkt, auf dem sie in erster Lini e au f di e Konkurren z britische r Erzeugniss e treffe n würde , währen d ma n
37 Conversation ave c Monsieur François-Poncet l e mardi 15 juin à 15 h au Figaro, ibid.
38 Vgl . die Gedankengänge in : André FRANC OIS-PONCET, De Versailles à Potsdam. La France et le problème allemand contemporai n 1919-1945, Paris 1948, S. 302f.
39 Christ a (CNPF), Not e à l'attentio n d e Monsieu r l e Présiden t Villiers , 15.6.1948, AN, 72 AS 113.
Über weiter e Sitzunge n un d de n interne n Diskussionsverlau f konnte n kein e Unterlage n gefunde n
werden.
40 Ei n erster Text trägt das Datum 20.7.1948, eine inhaltlich unveränderte zweite Fassung die Zeitangabe August 1948 ; AN, ibid .
41 Ibid .
42 Vgl . Clemen s A . WUR M (Hg.) , International e Kartell e un d Außenpolitik . Beiträg e zu r Zwischen kriegszeit, Stuttgart 1989 ; Dominique BARJO T (Hg.), International Cartels Revisited. Vues nouvelle s
sur les cartels internationaux (1880-1980), o.O. [Caen ] 1994.
198
Andreas Wilkens
sich des relativen französischen industrielle n Rückstandes durchaus bewußt war. Ei n
Ausgleich zwische n de n divergierende n Interesse n de r beteiligte n Lände r schie n
kaum anders vorstellbar als auf dem Wege direkter Absprachen zwischen den einzelnen Industriebranchen.
Auf kurz e Sich t schlu g di e Stellungnahme de s CNPF eine Reihe von unmittel baren Maßnahmen zugunste n eine r Verbesserung de s französisch-deutschen Wirt schaftsaustausches vor : Vereinigung de r Bizone und de r französischen Zon e zu einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet, Erleichterun g de r Reisemöglichkeiten franzö sischer Industrieller nac h Westdeutschland, Schaffun g eine s öffentlich anerkannte n
Organismus, »qui aurait pour objet le rétablissement des liens anciens et de favoriser
rétablissement d e liens nouveaux entre milieux industriels e t commerçants françai s
et allemands.«43
Für François-Poncet war da s Konzep t deutsch-französische r Industriekartell e
ein hartnäckig verfolgter alter Plan. Bekanntlich hatte er nach dem Ersten Weltkrieg
in enge n Beziehunge n zu r führende n Figu r de s schwerindustrielle n Verbande s
»Comité des Forges«, Robert Pinot , gestanden , de r sein e Karrier e z u Begin n de r
20er Jahre erheblic h förder n sollte 44. Später , i m Jahre 1931 , war François-Poncet
Autor eine s Planes , de r i n de r systematische n Einrichtun g vo n Kartelle n i n ver schiedenen Wirtschaftsbereichen da s probate Mittel sah , den Gefahre n vo n Über produktion un d Preisverfall z u begegnen 45. Anderthalb Jahrzehnte späte r und jenseits des neuen Weltkriegs griff e r nun diese Konzeption wieder auf .
Welche unmittelbaren Reaktione n da s CNPF-Memorandu m be i den Mitgliedsverbänden und Industriellen fand, läßt sich derzeit nicht belegen. Nachweislich aber
stellten sich die industriellen Fachverbänd e au f unmittelbare Absprachen mi t ihren
deutschen Partnern ein, zu denen es ab Ende 1949 kommen sollte. François-Poncet
selbst förderte di e Kartell-Idee, wo e r nur konnte . Zu Beginn des Jahres 194 9 instruierte er den Leiter der »Services commerciaux français e n Allemagne«, Bernard
Lefort, wie folgt: »Il y a des ententes industrielles à rétablir. Si les deux industries arrivent à s'imbriquer de telle façon que chacune sache ce que fait l'autre, qu'elles finissent par avoir des intérêts communs, l'industrie allemand e ne pourra pas un jour se
retourner contr e l'industrie français e e t lui jouer des tours comme elle lui en jouait
dans l e passé.« 46 Lefort selbst faßt e di e ausgegeben e Leitlini e gegenübe r französi schen Industriellen in die Worte: »La période des quatre ou cinq ans d'après-guerre
est terminée; c'est la lutte qui reprend et il vaut mieux être coude à coude avec son adversaire qu'en fac e de lui« 47. Die enge Verbindung zwische n den Industrie n beide r
Länder erschein t hie r al s eine Sicherheitsvorkehrung i n politischer wi e wirtschaft licher Hinsicht . Kartell e würden nich t unmittelbar Interessengegensätz e aufheben ,
43 A N , 7 2 AS 113.
44 Vgl . André FRANCOIS-PONCET, La Vie et l'Œuvre de Robert Pinot, Paris 1927.
45 BOC K (wie Anm . 35 ) S . 591/592 .
46 Bernar d Lefort, Conseiller commercial , in einer Rede vom 20.5.1949 , in der er sich auf ein e Unter redung mit François-Poncet »vor mehreren Monaten« bezieht , Manuskript in: AN, 7 2 AS 113. Das
Auditorium geht aus der Unterlage nicht hervor, wahrscheinlich handelt es sich um die Commission
des Affaires allemandes des CNPF.
47 Ibid .
Verständigung von Wirtschaft z u Wirtschaf t
199
immerhin würden sie vermeiden, daß es zu einer »concurrence sauvage«48 zwischen den
europäischen Wirtschaften käme . Im Verständnis von François-Poncet waren sie somit
in der Lage, einen wesentlichen Beitrag zur künftigen Gestaltung Europas zu leisten.
III.
Entsprechend de r Empfehlun g de s Memorandum s de r Arbeitsgrupp e FrançoisPoncet ging der CNPF in der zweiten Jahreshälfte 194 8 an die Konstituierung eines
operativen Verbindungsorgans fü r Frage n des Wirtschaftsverhältnisses z u Deutschland. Der Industrieverband entschie d sich, die ungenügend funktionierende ACIA ,
die in ihrer Endphas e offensichtlic h finanziel l vo n ih m unterstützt wurde , ganz in
die eigen e Obhu t z u nehme n un d organisatorisc h wi e personel l au f ein e breiter e
Grundlage zu stellen 49. Dabei sah der CNPF in dieser Phase den Vorteil der Beibehaltung einer gesonderten Vereinigung für di e Beziehungen mit Deutschland darin ,
sich nicht selbst öffentlich a n erster Stelle zu exponieren. Das Verhältnis zur deut schen Wirtschaft verlangt e im Hinblick auf das Meinungsklima im eigenen Land in
jedem Fall große Vorsicht. Villiers riet intern dazu, vor einer Kontaktaufnahme je weils die politische Situation der deutschen Geschäftspartner z u prüfen50. In Sachen
Deutschlandpolitik achtete der Industrieverband darauf, sein Vorgehen jederzeit abzustimmen mit dem französischen Außenministerium , das seinerseits sein Interesse
an einer zügigen Neugründung eines Verbindungsorgans deutlich gemacht hatte51.
Der Präsident des CNPF persönlich warb bei Fachverbänden und Unternehme n
für dere n Beitritt zu der neuen »Association Française pour les Relations Economiques avec l'Allemagne« (AFREA). Die französische Wirtschaft dürf e keinesfalls den
deutschen Markt vernachlässigen, so das Drängen Villiers' in einem Rundschreibe n
vom 6. Dezember 1948 , zumal sich amerikanische Firmen bereits anschickten, sich
die besten Plätze zu reservieren 52. So weit ersichtlich, hatte diese präsidentielle Aufforderung durchau s Erfolg . Zahlreich e Fachyerbände un d Zusammenschlüss e alle r
Branchen und aller Größenordnungen erklärte n ihren Beitritt zur AFREA, von der
»Confédération général e des Petites et Moyennes Entreprises« und der »Fédération
nationale des Industries électrométallurgiques et électrochimiques« bis zur »Manufacture Lorrain e de Cuirs« und dem »Comptoir Alsacien du Bois«53. Auch die ausgewogene Besetzung des »Comité directeur« der AFREA bereitete dem CNPF keine Schwierigkeiten. Vertreten waren natürlicherweise insbesondere die Wirtschaftszweige, die eine besondere Entwicklung ihrer Exporte nach Deutschland erwarteten,
48 François-Poncet am 28.12.1949 im Gespräch mit Staatspräsident Vincent Auriol, dem er die Vorteile
von Kartelle n z u erläutern suchte : Vincent AURIOL , Journal du Septennat, Bd.3: 1949, Paris 1977,
S. 461. Mi t Hinweisen zu weiteren Äußerungen François-Poncets s. BOCK (wie Anm. 35) S . 600/601.
49 Villier s im Comité directeur des CNPF vom 17.9.1948, AN, 72 AS 641 .
50 Commission des Affaire s allemandes, Compte-rendu de la réunion du 14 octobre 1948, AN , 72 AS, 356.
51 S o de Boysson, der zu diesem Zeitpunkt Directeur général délégué der ACIA war und diesen Posten
auch be i de r nachfolgende n AFRE A übernehme n sollte , i m Comité directeu r des CNPF vom
17.9.1948, ibid.
52 Villier s an die Präsidenten de r Fachverbände, 6.12.1948, mit der Anlage eines »Programm e pour
l'organisation des relations économique s entr e l a France e t l'Allemagne « sowie de n Statute n de r
AFREA, AN, 72 AS 113.
53 Vgl . die Beitrittsschreiben in : AN , 72 AS 356.
200
Andreas Wilkens
namentlich die Nahrungsmittelindustrie, die Metallindustrie, die Chemieindustrie sowie Wirtschaftsvereinigungen de s Elsaß' und Lothringens 54.
Zur Schirmherrschaft übe r die AFREA ba t der CNPF auch die Vereinigung der
französischen Industrie - und Handelskammern , sollt e die neue Vereinigung doc h
praktisch alle Funktionen einer traditionellen Handelskammer im Verkehr mit Westdeutschland übernehmen 55.
Auf eine möglichst breite Resonanz in der Öffentlichkeit zielt e auch der doppelte
Gründungsakt de r AFREA ab. Eine erste Einweihungssitzung vo m 28. April 194 9
wurde am 6. Juli 1949 nochmals mit prominenten Vertretern der französischen Re gierung - unte r ihnen Außenminister Robert Schuman, Gesundheitsminister Pierr e
Schneiter - ehemal s Staatssekretär fü r deutsch e Angelegenheiten - , Industrie- und
Handelsminister Robert Lacoste, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Antoine
Pinay - wiederholt . Schuman demonstrierte di e Rückendeckung durc h die franzö sische Regierung , inde m e r i n seine r Ansprach e de n Gleichklan g de r Wirtschafts initiative mi t der Leitlini e seiner eigene n Deutschlandpolitik unterstrich . Deutsch land müss e seinen Plat z i n eine m »ensemble international« wiederfinden : »L'Allemagne ne doit pas rester isolée« 56. Schuman stimmte die Unternehmer auc h darauf
ein, daß die französische Regierun g die Wirtschaftsentwicklung i n Deutschland aus
reinen Gründen des Konkurrenzkampfes nich t begrenzen werde57.
Die offizielle Kautio n durch hochrangige Regierungsvertreter war für die französischen Industriellen mehr als nur von dekorativer Bedeutung. Ihnen ging es in erster
Linie darum, sich bei Anbahnung und Entwicklung der direkten Kontakte zur deutschen Wirtschaft vo r der innenpolitischen Polemi k um eine angebliche Neuauflag e
wirtschaftlicher Kollaboratio n mi t dem ehemaligen Kriegsgegne r z u schützen 58. So
vermeldete der Ende März 1949 zu einem ersten Informationsbesuch nac h Paris gereiste Hauptgeschäftsführe r de r Industrie - un d Handelskamme r Koblen z be i aller
positiven Resonanz auch die Scheu führender französische r Wirtschaftler , »vo n extremen politischen Parteien in der Presse als Kollaborateure angegriffen z u werden,
wenn sie sich in deutsch-französischen Beziehunge n exponieren« 59.
In der Phase vor der Präsentation des Schuman-Planes stellten französische Indu strielle di e politisch-psychologisch e Problemati k ihre r Deutschland-Beziehunge n
durchaus in Rechnung. In dieser Lage konnte es nur von Vorteil sein, gegenüber der
Öffentlichkeit di e Einordnung de r eigenen Aktivität i n die Gesamtkonzeptio n de r
regierungsamtlichen Deutschlandpolitik zu demonstrieren. Die AFREA selbst sollte
wiederum durch ihre Existenz entsprechende Bedenken in der französischen Wirt schaft überwinden , wurde ihr doch von ihrem Präsidenten Pierr e Jaudon al s erstes
Ziel vorgegeben , »d'apporter au x chef s d'entrepris e français , qu i on t à entrer, e n
54 Schreibe n AFREA an CNPF, 2.12.1949 (mit Anhang), ibid.
55 Villiers an Cusenier, Président de la Chambre de Commerce de Paris, 8.12.1948, AN, 72 AS 356.
56 Zit. nach handschriftlicher Noti z eines Zuhörers; vgl. das Schreiben Schumans an Villiers, 30.4.1949,
Nr.840, AN, ibid.
57 Knappe s Resümee der Rede Schumans in: Europa-Archiv 1949 , S. 2549.
58 Vgl . in diesem Sinne die Ausführungen vo n Marcel Lambert (Metallindustrie) im Comité directeur
des CNPF vom 13.12.1949, AN, 72 AS 641.
59 Aufzeichnun g vo n Poll , 2.4.1949, »Verbindung zwische n de r deutsche n un d französische n Wirt schaft«, BA, NL Henle, Bd. 299.
Verständigung von Wirtschaft z u Wirtschaf t
201
Allemagne, dans l a voie des rapports économiques , une sorte d'apaisement d e conscience, de les aider à lever leurs scrupules et leurs réserves« 60.
IV.
Nach de r Gründun g de r AFREA wa r es an der französischen Seite , darauf z u drän gen, i n Westdeutschlan d ei n einheitliche s Gegenstüc k al s Ansprechpartne r z u be kommen. I n Abwesenheit eine s zentrale n Industrie-Verbandes , de r sich dieser Auf gabe hätt e annehme n könne n - de r BD I sollt e ers t a m 19 . Oktober 194 9 unter de r
Bezeichnung »Ausschu ß fü r Wirtschaftsfrage n industrielle r Verbände « gegründe t
werden - , war e s in de r Bizon e z u verschiedene n nich t miteinande r koordinierte n
Initiativen für ein e Frankreich-Vereinigung de r deutschen Wirtschaft gekommen 61.
So hatte auf Einladun g de s Düsseldorfer Oberstadtdirektor s Walthe r Hense l un d
des Kölner Oberbürgermeisters Erns t Schwering Mitte September 194 8 eine Grupp e
von französische n Industrielle n un d Professore n namhaft e deutsch e Vertrete r au s
Wirtschaft un d Wissenschaft - unte r ihnen der Generaldirektor de r Deutschen Koh lenbergbau-Leitung Kost , der Treuhandverwalter de r Stahlindustrie Dinkelbach, der
Präsident de s Wirtschaftsverbande s de r Chemische n Industri e Menn e - , z u eine r
Aussprache getroffen , di e i m wesentliche n de n schwerindustrielle n Beziehunge n
gewidmet war . Dabei wurd e di e Möglichkeit erwogen , diese m Gesprächskrei s ein e
festere For m z u geben 62.
Bei der Industrie - un d Handelskamme r Frankfur t wurd e i m November 194 8 ein
»Arbeitskreis Frankreich« eingerichtet , der sich zur Aufgabe stellte , die am Handelsgeschäft mi t Frankreic h interessierte n deutsche n Firme n z u sammel n un d dere n In teressen sowoh l deutsche n al s auc h ausländische n Stelle n gegenübe r z u vertreten 63.
Als Nachrichtenorga n ga b de r Arbeitskrei s de n zweiwöchentlic h erscheinende n
»Deutsch-französischen Wirtschaftsdienst « heraus . Der locker e Zusammenschlu ß
verstand sic h als repräsentativ für all e Zweige der deutschen Wirtschaft. Di e Liste der
30 Beiratsmitglieder führt e s o bekannte Industriell e un d Wirtschaftsmanage r au f wi e
Fritz Berg, Heinrich Kost, W. Alexande r Menne, Walter Schwede, Ludger Westrick .
Parallel versammelt e sic h i n Düsseldorf , unte r de m Vorsit z de s regionale n FDP Politikers Friedric h Middelhauve , ei n »Studienausschu ß fü r di e deutsch-französi schen Wirtschaftsbeziehungen« , de r sic h besonder s de n Interesse n de r Ruhrindu strie verbunden fühlte 64.
60 Ansprach e Pierr e Jaudon, o.D. [6.7.1949] , A N, 7 2 AS 641 ; Jaudo n war daneben Präsident der »Association pour le Sauvegarde des Biens et Intérêts Français à l'Etranger«.
61 Werne r BÜHRER , Ruhrstah l un d Europa . Di e Wirtschaftsvereinigun g Eisen - un d Stahlindustri e
und di e Anfäng e de r europäische n Integration , Münche n 1986 , S . 113-125 ; DERS. , Wegbereite r
der Verständigung . Deutsch-französisch e Industriellenkontakt e 1947-1955 , in : Revue d'Allemagne 23 (1991) S. 73-86; Der Volkswirt, September 1949 , Nr.28: Deutschland und Frankreich.
62 Hense l a n Henle, 14.9.1948 , BA, NL Henle , Bd. 299; Rheinischer Merkur, 18.9.1948 : Vorstufen de r
Annäherung.
63 Informationsblat t de r Industrie - un d Handelskamme r Frankfurt , »Zwec k un d Organisatio n de s
Arbeitskreises Frankreich^ , o.D . [Apri l 1949] , A N, 7 2 AS 356; Die Welt , 7.5.1949 : Deutsch-fran zösischer Kontakt .
64 Kur t Freiher r VO N LERSNER , Parise r Betrachtungen , in : Deutsch-französische r Wirtschaftsdienst ,
1.7.1949, Hef t 7 ; BÜHRER, Ruhrstah l und Europa (wie Anm. 61) S. 121/122.
202
Andreas Wilkens
Die Zusammenführung diese r improvisierten Verbindungen erfolgt e a m 22. September 194 9 mit de r Gründun g de r »Deutsche n Vereinigun g zu r Förderun g de r
Wirtschaftsbeziehungen mi t Frankreich « (DEFRA) , dere n Präsidentschaf t de r
Vorstandsvorsitzende de r Frankfurter »Metallgesellschaft« , Richar d Merton , über nahm65. Der während des Krieges emigrierte Merton, der bereits den »Arbeitskrei s
Frankreich« mit initiiert hatte, sollte in den kommenden Jahren eine rege Aktivität
im Bereich der industriellen Kontakte nach Frankreich entfalten. Die Zusammensetzung des Vorstandes der DEFRA ließ erkennen, daß sich hier die Schwerindustriellen der Ruhr mit einem aktiven Engagement eher zurückhielten. Immerhin war neben de m Mitarbeite r vo n Merton , Rober t Fritz , de m ehemalige n Präsidente n de r
deutschen Friedensdelegation in Versailles, von Lersner, dem Wormser Leder-Fabrikanten von Heyl auch der Vorsitzende der Kohlenbergbau-Leitung Kos t vertreten.
Andere Ruhrindustrielle , wi e etw a de r Generaldirekto r de r Gutehoffnungshütte ,
Hermann Reusch, akzeptierten die Mitgliedschaft i n der DEFRA oder standen - wie
der Chef des Klöckner-Konzerns Günter Henle - z u ihr in engem Kontakt.
Erkennbar richtet e sich das Arbeitsprogramm vo n AFREA und DEFRA , deren
Promotoren sich erstmals am 8. und 9. Juli 1949 i n Bad Neuenahr und Ende Oktober
1949 in Paris zu gemeinsamen Arbeitsbesprechungen trafen , auf die praktische Verbesserung des bilateralen Wirtschaftsverkehrs. Di e Erleichterung direkter Industriebesprechungen wurde als »Kern der Tätigkeit« beider Vereinigungen definiert66. Dabei lag das Schwergewicht der Bemühungen deutlich auf dem Bereich der verarbeitenden Industrie 67. Ihre Sache war nicht die Entwicklung weitertragender Projekt e
von unmittelbarer politischer Bedeutung.
Eine zentrale Vermittlungsaufgabe sahe n die beiden Vereinigungen angesichts der
von de r »Organisatio n for European Economi c Cooperation « (OEEC ) sei t End e
1949 mit konkreten Maßnahmen angestrebten europäische n Handelsliberalisierun g
auf sic h zukommen 68. Di e Industriellen stande n i n der Erwartung, daß der Abba u
von Kontingenten und anderen Handelsbeschränkungen zügi g verwirklicht werden
würde. Um so wichtiger mußte es sein, den direkten Kontakt mit den industriellen
Branchen de s jeweils anderen Lande s aufzunehmen. E s galt, einer selbstzerstöreri schen Konkurrenz rechtzeitig entgegenzuwirken. CNPF-Präsident Villiers insistierte in einem Rundschreiben an die Präsidenten der Fachverbände von Ende November 194 9 darauf, daß die von den USA mit Nachdruck betrieben e Liberalisierungspolitik zwar einerseits Vorteile bieten könne, andererseits unvermeidlich Risiken in
sich berge, »qui pourraient sans doute être atténués par des contacts privées entre industries françaises et allemandes«69.
65 Deutsch-französische r Wirtschaftsdienst , 1.10.1949 , Heft 1 3 (mit richtigem Datum und Satzung).
66 Zusammenfassende s Protokol l über die Sitzung des Verwaltungsrates de r DEFRA a m 14.11.1949,
Haniel-Archiv (Duisburg), HA 40010146/79.
67 Deutsch-französische r Wirtschaftsdienst , 15.7.1949 , Heft 8 ; Industriekurier, 10.11.1949 : Befriedi gende Ergebnisse in Paris.
68 Zu r Gründungsgeschichte der OEEC s. OEEC - A t Work for Europe. An Account of the Activities
of the Organisation for European Economic Co-operation, Paris 1954 ; Jaco b J. KAPLAN , Günthe r
SCHLEIMINGER, The European Payment s Union. Financial Diplomacy in the 1950s , Oxford 1989 ,
S. 18-47; Gérard BOSSUAT, La France, l'aide américaine et la construction européenn e 1944-1954,
Paris 1992 , S.677-734 .
69 Schreibe n Villiers, 25.11.1949, Réf. D 42.726, AN, 72 AS 356.
Verständigung von Wirtschaft z u Wirtschaf t
203
In beiden Länder n war man sich wohl im klaren darüber, daß an die Rückkehr ei ner sich offen bekennende n Kartellpoliti k angesicht s der bekannte n amerikanische n
Kartell-Feindlichkeit zunächs t nicht zu denken war. Aus der Sicht der französische n
wie der deutschen Wirtschaftsvertreter gin g es immerhin darum, »die Produktion auf einander abzustimmen , damit die Unternehmen sic h in der bestmöglichste n Situatio n
befinden«70.
Das Interess e a n derartige n marktregelnde n Absprache n schie n au f beide n Seite n
gleichermaßen vorhande n z u sein 71. Zwa r ware n sic h di e deutsche n Industriebran chen ihre s relative n Kostenvorsprung s aufgrun d niedrigere r Lohnkoste n bewußt ,
deshalb konnten si e die Tendenz haben , wie es auf der Sitzung des DEFRA-Verwal tungsrates vo m 15 . Dezember 194 9 fü r di e Elektroindustri e berichte t wurde , ehe r
abzuwarten un d di e französische Industri e »au f sic h zukommen« z u lassen 72. Andererseits mußt e auc h de r deutsche n Industri e nac h Jahre n de r internationale n Ab schnürung wie auch im Hinblick auf den beeinträchtigten eigene n Produktionsappa rat a n der einvernehmliche n Regelun g von Handelspraktike n gelege n sein . So stan d
das Bekenntnis von Berg hinter demjenigen vo n Villiers in keiner Weise zurück. De r
»Vollzug de r Liberalisierung « könn e nu r beschleunig t werden , s o de r deutsch e In dustrieführer End e 1949 , »indem unerwartet e Auswirkunge n eine r unübersehbare n
Konkurrenzlage au f de m Weg e industrieller Vereinbarunge n abgefange n werden« 73.
Aus seinen »ernsten Bedenken« gege n das eingeschlagene Tempo der Liberalisierung ,
die zude m all e Industriezweig e unterschiedslo s treffe , macht e de r BD I z u diese m
Zeitpunkt kei n Hehl 74.
Die a n den Schut z de s einheimische n französische n Markte s gewöhnte n franzö sischen Industrielle n fühlte n sic h gege n di e ne u aufkommend e deutsch e Konkur renz schlech t gewappnet . De r neu e Vorsitzende de r Deutschland-Kommissio n de s
CNPF, Henri Lafond , warnt e intern eindringlich vor der »menace d'importation de
produits allemand s d'autan t plu s redoutabl e qu e s'éten d l a libératio n de s échan ges«75. Was la g i n diese r Situatio n näher , al s ein e unmittelbar e Verständigun g mi t
den deutsche n Produzente n z u suchen , zuma l dies e sic h sei t de n erste n Kontakte n
zu »Vereinbarungen « berei t gezeigt hatten ?
Auftrieb erhielte n di e direkte n Industriebesprechunge n übe r di e innerhal b de r
OEEC vereinbart e Handelsliberalisierun g hinau s auc h durch di e Anfang Dezembe r
1949 aufgenommene n erste n direkte n deutsch-französische n Handelsvertragsver handlungen, di e i n eine m Waren - un d Zahlungsabkomme n de n OEEC-Vorgabe n
Rechnung trage n sollten 76. Verschiedene Kontakt e sin d i n dieser Phas e von AFRE A
und DEFR A vermittel t worden, allerdings mußten dies e auch registrieren, daß zahlreiche Verbindunge n a n ihne n vorbe i liefe n un d vo n de n Fachverbände n direk t ge knüpft wurden .
70 Pierr e FERENCZI, Dachorganisation der deutsch-franz. Wirtschaf t ? in: Industriekurier, 10.11.1949 .
71 Vgl . auch insgesamt: BERGHAHN (wi e Anm. 2) S. 112-115.
72 Zusammenfassende s Protokoll , Haniel-Archiv, HA 40010146/541 .
73 »Vie r Fragen an Fritz Berg«, Interview, in: Die Zeit, 8.12.1949, Nr. 49.
74 BDI , Geschäftsbericht 19.10.1949-31.3.1950 , S. 10/11 .
75 Procès-verbal de la réunion de la Commission des Affaires allemandes, 21.7.1950, A N, 7 2 AS 113.
76 Zu r Erläuterung dieses am 10.2.1950 unterzeichneten Abkommens s . Vollrath von MALTZAN , Libe ralisierung nach Maß, in: Die Zeit, 16.2.1950 , Nr. 7, S. 6.
204
Andreas Wilkens
Villiers berichtet e de m Comité directeu r des CNPF Mitte Dezembe r 194 9 von
Verhandlungen un d de m erfolgreiche n Abschlu ß vo n Vereinbarunge n zwische n
deutschen un d französische n Vertreter n de r Uhren - un d de r Keramikindustrie 77.
Auch der Vize-Präsident de s Verbandes de r französischen Elektroindustrie , Henr i
Davezac, hatte bei einer Reise nach Frankfurt erst e Besprechungen geführt , di e bei
einem weiteren Zusammentreffen vo n Verbandsvertretern a m 17. Dezember in Ettlingen konkretisiert werden sollten. Eine Delegation der »Union Française des Industries Exportatrices« hielt sic h End e Oktobe r 194 9 in Bon n un d Frankfur t auf 78.
Weitere Industriezweig e beide r Lände r - di e Bauindustrie, die Textilindustrie, di e
Automobilindustrie - stande n bis Ende 1949 in einem unmittelbaren Informations austausch miteinander.
Diese direkte Kontaktaufnahm e zwische n de n Branchenverbände n wa r e s wohl
auch, die AFREA un d DEFR A ihr e Handlungsgrundlage entzoge n un d ihr e Ent wicklung zu wichtigen Koordinierungsstellen verhinderte. Insbesondere der französischen AFRE A gelan g es trotz manche r Appell e von Villier s offenba r nicht , eine
größere Zahl von wichtigen Fachverbänden und Einzelunternehmen zur festen Mitgliedschaft z u bewegen. Die Vereinigung blieb letztlich marginal, persönliche Rivalitäten und Ambitionen dürften dabe i mit eine Rolle gespielt haben. Das Urteil des
Französischen Hohen Kommissar s in der Bundesrepublik, André François-Poncet ,
über di e Wirkun g de r AFRE A fie l scho n i m Novembe r 194 9 vernichten d aus 79.
Wohl war es bald abzusehen, daß die industriellen Dachverbände in den beiden Ländern di e Pfleg e de r zunehmen d wichtige n bilaterale n Wirtschaftsbeziehunge n un mittelbar selbst in die Hand nehmen würden.
Kennzeichnend fü r di e wachsende Bedeutung, die vom französischen Unterneh merverband de n Wirtschaftsbeziehungen mi t Deutschland zugemesse n wurde, war
die im Juli 1950 vorgenommene Neuorganisation der internen »Commission des Affaires allemandes« unter de m Vorsitz von Henr i Lafond , Vize-Präsiden t - a b 1951
Präsident - de r Banque de l'Union Parisienn e und al s eine der Gründerfiguren de s
CNPF dessen »éminence grise« 80. Die 1 3 Mitglieder de r Kommission , durchwe g
führende Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Handel, hatten jeweils die Kompetenz
für ein e Branche oder ein Sachproblem - vo n Transport- über Preis- und Lohn- bis
zu Handels - und Energiefragen . Auffälli g is t sicherlich, daß zur Frag e der Kartell e
eine eigene Zuständigkeit eingerichtet wurde, die in diesem Fall von Henri Davezac,
dem führenden Vertrete r der Elektroindustrie wahrgenommen wurde81.
Der Problembereic h vo n Kohl e un d Stah l war au f ausdrückliche n Wunsc h de r
Ruhrindustriellen au s dem Kompetenzbereic h vo n DEFR A un d AFRE A ausge klammert geblieben. Die Behandlung dieses gerade im deutsch-französischen Kon text so entscheidenden Themas hatten die selbstbewußten deutschen Ruhrindustriellen keinesfalls andere n Zwischenträger n i m bilateralen Verhältnis überlassen wollen .
77 Comité directeur des CNPF vom 13.12.1949, AN, 72 AS 641 .
78 Deutsch-französische r Wirtschaftsdienst , 1.11.1949 , Heft 15.
79 François-Poncet an Commissariat généra l au x Affaires Allemandes et Autrichiennes, Telegramm
Nr.775/HC/CAB., 2.11.1949, AMAE, Europe 1944-1960, Allemagne, Bd. 474, Bl . 17 .
80 S o BRIZAY (wie Anm. 6) S. 8 1 u. WEBER (wie Anm. 6) S. 92 ; vgl . Bulleti n du CNPF, 5.2.1951, Nr. 62,
S.22.
81 Schreibe n Lafond, 12.7.1950 , mit Anlage, AN, 72 AS 113.
Verständigung von Wirtschaft z u Wirtschaf t
205
Zudem war aus der Sicht der deutschen Stahlindustrie der Zeitpunkt für eine direkte
Fühlungnahme mit den französischen Verbände n mit dem Ziel von marktregelnden
Absprachen noc h nich t gekommen . De r einflußreich e Herman n Reusc h beschie d
Merton, ma n könne »au f de r Basis von etwa 8, 5 Millionen jato [Tonne n pro Jahr]
Rohstahl unmöglich zu Quotenvereinbarungen kommen«. Selbst die zugestandenen
11 Millionen jat o seie n »kei n Ausgangspunkt« 82. Marktabsprache n ware n fü r di e
deutsche Stahlindustrie erst erstrebenswert, wenn zuvor die alliierten Produktions beschränkungen für die Stahlproduktion gefallen waren. Dabei war sie sich bewußt,
daß di e Zeit au f ihre r Seit e stand. I n der späteren Phas e der Schuman-Plan-Ver handlungen de s Jahres 1950/5 1 wurde n Vertrete r de r deutsche n Kohle- , Eisen und Stahlindustrie unmittelbar zu den Verhandlungen au f Arbeitsebene hinzuge zogen.
Auf de m Gebie t de r schwerindustriellen Beziehunge n spielt e im Sinne einer gedanklichen Fundierun g eine s deutsch-französische n Interessenausgleich s sei t de r
zweiten Jahreshälfte 194 8 der Ruhrindustrielle Günter Henle, Leiter und Mitinhaber
der Unternehmen Klöckner , eine herausragende Rolle. Mehrere Schriftsätze i n dieser Period e noc h vo r ode r be i de r Gründun g de r Bundesrepubli k thematisierte n
Bedingungen un d Chance n eine r deutsch-französische n Industrieverständigung 83.
Als Henles unmittelbare Motive und Ziele der Hinwendung zu Frankreich im Rahmen eine r allgemeine n Westbindun g de r Bundesrepublik sin d unschwer z u erken nen: die Beendigung der alliierten Demontagen, die Verhinderung einer Verlagerung
von Stahlproduktionskapazitäten vo m Ruhrgebiet nach Lothringen, die Aufhebun g
der alliierte n Produktionsbeschränkungen . I m Gegenzu g plaidierte Henl e für ein e
loyale politisch e un d wirtschaftlich e Zusammenarbei t mi t de m Nachbar n i m
Westen. Im Bereic h de r ih n persönlich tangierende n Montanindustri e legt e e r den
Akzent auf die hergebrachte Komplementarität deutscher und französischer Kohle- ,
Erz- und Stahlproduktion und brachte dies zur Abwehr der alliierten Entflechtungsund Dekartellisierungsplän e auc h be i amerikanische n Entscheidungsträger n z u
Gehör.
Henle besaß durchaus das Selbstbewußtsein dessen, der früh zu der Einschätzung
gekommen war, daß die Westalliierten in jedem Fall vor der Notwendigkeit stehe n
würden, »Deutschlan d wiede r zu einem Industrie-Ausfuhrland werde n z u lassen«,
es also auch wieder zum »Wettbewerb auf dem Weltmarkt« zuzulassen, wollten sie
nicht »schwerste Krisenzustande in Mitteleuropa heraufführen« 84.
Als Industrieller, Abgeordneter de s Wirtschaftsrates wi e des Deutschen Bundestages, Mitglied be i den Schuman-Plan-Verhandlunge n un d zeitweis e enger Berate r
Adenauers dürfte Henle als Bindeglied zwischen Wirtschaft und Politik in der Phase
der Wende von den 40er zu den 50er Jahren eine erhebliche Wirkung erzielt haben.
82 Reusc h a n Merton, 11.12.1949 , in: Haniel-Archiv, HA 40010146/541 ; in diese m Sinne auch: Wilhelm Salewski (Wirtschaftsvereinigung Eisen - und Stahlindustrie) an Reusch, 22.2.1950, ibid.
83 Fü r das Jahr 194 8 s. vor allem: »Ruhrgebiet und europäische Zusammenarbeit«, 26.10.1948, sowie
»Programmpunkte für eine deutsch-französische Industrie-Entente« , 6.11.1948, in: BA, NL Henle,
Bd. 482 bzw. 299; vgl. auch: BÜHRER, Ruhrstahl und Europa (wie Anm. 61) S. 126-137.
84 Aufzeichung , o. Autor [Henle], »Zur Frage der Möglichkeit einer internationalen industriellen Verständigung«, 18.9.1948, BA, NL Henle, Bd. 299.
206
Andreas Wilkens
Henle war keiner der klassischen, alteingesessenen Ruhrindustriellen . Woh l fiel es
ihm auc h au s diese m Grund e leichter , ei n politisc h durchdachte s Konzep t z u ent wickeln, das sich weitgehend realisiere n sollte: von der frühen Kontaktsuch e mi t eu ropäisch orientierten Franzosen i n den Jahren 1948/4 9 über die Akzeptierung des alliierten Ruhrstatut s bi s zu r spätere n nachdrückliche n Befürwortun g de r Annahm e
des Schuman-Planes. Auch wenn Henl e zu denjenigen gehörte , die die europäische n
Kartelle der Zwischenkriegszeit au s eigener Erfahrung kannte n und dies e Verständigung zunächs t fü r »ebens o unentbehrlic h wi e segensreich « hielten 85, setzt e e r sic h
bald vo n eine r schlichte n Erneuerun g diese r Traditio n ab . Die Kartell e hätte n »di e
wachsende Fesselun g de s Warenaustausches durc h Hochschutzzölle , Kontingentie rung des Außenhandels un d Devisenpoliti k nich t aufhalten« können , so Henle End e
des Jahres 1949 86. Die Aufteilun g de r Märkt e i m internationale n Wettbewer b hab e
dem »nationalistische n Program m de r Autarki e kein e tragende Ide e entgegenzuset zen vermocht«. Mit seinem Eintrete n fü r ein e »Umformung« de r »Rezept e der Vergangenheit«87, d.h. der Loslösung von der Kartellpolitik alte n Stils hin zu der von de r
amerikanischen Regierun g betriebene n Liberalisierun g de s Außenhandels , ebnet e
ein aufgeklärte r Industrielle r wi e Henl e mi t de n Weg zur Integratio n de r deutsche n
Wirtschaft i n ei n neues Welthandelssystem, i n dem de r westeuropäischen Koopera tion eine entscheidende Bedeutung zukommen sollte .
V.
Die offiziell e Neuaufnahm e de r organisierte n deutsche n Industri e i n da s Geflech t
internationaler Verbindunge n erfolgt e i m Zusammenhan g mi t de r Gründun g de r
OEEC 88 . Au s de r Perspektiv e de r Wirtschaf t ware n di e direkt e wi e di e indirekt e
Mitarbeit i n der OEEC dafü r entscheidend , da ß sich ihr »wiede r die Tore zur Welt «
öffneten89. Di e Vertreter de r Industrieverbänd e vo n zunächs t 1 3 OEEC-Mitglieds ländern kame n erstmal s a m 18 . Mai 194 9 in Pari s zusamme n um , anscheinen d eine r
Anregung Paul-Henr i Spaak s folgend , übe r di e Installierung eine s ständige n Sekre tariats z u beraten , das die Verbindung z u de n Arbeiten de r OEE C herstelle n sollte .
Federführend be i diese r Initiativ e wa r de r CNPF. Dessen Präsiden t Villier s wa r e s
auch, de r au f de r konstituierende n Sitzun g de s »Rate s de r Europäische n Industrie verbände« (REI ) a m 30. September 194 9 den Vorsitz in diesem neugeschaffene n eu ropäischen Industriellen-Gremiu m übernahm 90 .
85 Ibid .
86 Henle , »Deutsche Volkswirtschaft i m europäischen Verband«, 7,12.1949, BA, NL Henle , Bd. 483.
Es handelt sich um die überarbeitete Fassung eines Vortrags Henles auf dem von der deutschen und
der französischen Sektio n de r »Europäischen Bewegung « organisierten Treffen i n Bernkastei vom
26727.11.1949. Die Vorlage stammte von Fritz Hellwig.
87 Ibid .
88 Werne r BÜHRER, Auftakt i n Paris. Der Marshallplan und die deutsche Rückkehr auf die internationale Bühne 1948/49, in: Vf Z 36 (1988) S. 529-556.
89 Wilhel m BEUTLER , De r Bundesverban d de r Deutsche n Industrie , in : Der We g zum industrielle n
Spitzenverband, o.O. [Köln] 1956, S . 314.
90 Offiziel l wurde n zunächst nur die französische und die englische Bezeichnung verwendet: »Conseil
des Fédérations Industrielles d'Europe« (CIFE) bzw. »Council of European Industrial Fédérations«
(CEIF).
Verständigung von Wirtschaft z u Wirtschaf t
207
Die Tatsache, daß der deutsche Industrieführer Frit z Berg unmittelbar in den Vorstand diese s Verbandes gewähl t wurde, wurde von seiten der deutschen Industri e al s
»hoffnungsvolles Zeichen « dafü r gewertet , »da ß die europäischen Industrielle n ihr e
deutschen Kollege n au f gleiche m Fuß e behandel n wollten« 91. Trot z de r z u diese m
Zeitpunkt noc h weitgehen d ungefestigte n Lag e der Bundesrepublik schie n di e Auf nahme der deutschen Industrievertrete r i n den Kreis des westeuropäischen Dachver bandes ein e Sach e de r Selbstverständlichkeit . Da s Proble m de r Saar , da s au f politi scher Eben e zu r selbe n Zei t de n Beitrit t de r Bundesrepubli k zu m Europara t verzö gern sollte, war zwischen den Industrieverbänden kei n Thema .
Der REI-Zusammenschlu ß dient e de r Koordinierun g de r Positione n de r Indu strieverbände i n Frage n wi e Handelsliberalisierung , Investitionsplanun g ode r de r
Einrichtung de r Europäischen Zahlungsunion , Fragen, in denen die Industrievertre ter in den einzelnen Branchen-Komitees de r OEEC ihr e Interessen z u Gehör brach ten. Si e ware n dabe i de r Überzeugung , da ß i n diese n Bereiche n kei n Fortschrit t
erzielt werde n könnt e »sans l'accor d direc t des industries intéressés« 92. Zur Haupt struktur de s RE I wurd e sei n Exekutivausschuß , gebilde t au s de n Hauptgeschäfts führern de r Mitgliedsverbände. Als Generalsekretär wurde 195 1 de r amtierende Ge schäftsführer de s CNPF, René Arnaud, bestellt, womit di e treibende Roll e des fran zösischen Unternehmerverbandes auc h personell hervorgehoben wurde . Mit seine m
Vertreter i m Sekretaria t de s RE I - Gerhar d Riedber g - verfügt e de r BD I sei t 194 9
über einen ständigen Verbindungsmann i n Paris93.
Für di e Frage der Kontinuitä t de r Beziehungen zwische n de n europäische n Wirt schaftsverbänden is t es von einige m Interesse , daß eine Vorform de s REI-Exekutiv ausschusses praktisch bereit s in den 20er und 30e r Jahren bestande n hatt e und zwa r
als »Direktorenkonferenz de r europäischen Industrieverbände« 94. Am 3 . und 4 . Ok tober 1927 , nicht zuletzt in Reaktion au f die Genfer Weltwirtschaftskonferenz , hatt e
die erste dieser Direktorenkonferenze n au f Einladun g de r Fédération of Britis h In dustries i n London stattgefunden , di e letzte der insgesamt 1 3 Begegnungen vo r de m
Krieg wurde i m Juli 193 8 in Oslo abgehalten . Es ging also tatsächlich um ein e »Wiederaufnahme de r Arbeiten « - s o Erwi n Lemmé, der fü r di e internationale n Bezie hungen verantwortliche Mitarbeite r de s BDI 95 - al s nach dem Krie g die Direktoren konferenz i m Septembe r 194 7 erstmals erneu t zusammentra f un d a b 195 1 mit Wil helm Beutler , de m Hauptgeschäftsführe r de s BDI , auc h wiede r eine n deutsche n
Vertreter zur Teilnahme einlud .
91 Walthe r HERRMANN, Der Rat der Europäischen Industrieverbände (REI) in seinen ersten 25 Jahren,
in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 24 (1979 ) S. 45-61.
92 Bulleti n d u CNPF, 20.12.1950/5.1.1951, Nr. 60 , S. 8/9 : Le Consei l des Fédérations Industrielles
d'Europe.
93 Vgl . Gerhar d RIEDBERG , Di e Gründun g de r Offizielle n Deutsch-Französische n Industrie - un d
Handelskammer, in: Zeitschrif t für Unternehmensgeschichte 27 (1982 ) S. 107-118.
94 Frit z BLUMENRATH, Die internationale Arbeit des Reichsverbandes, in: Der Weg zum industriellen
Spitzenverband, o.O. [Köln] 1956, S . 248-266, hier: S. 257.
95 Erwi n LEMMÉ, »Direktorenkonferenz« un d »Mayrisch-Komitee « i m Rahmen de r internationale n
Industrie-Zusammenarbeit, in : Libellus Amicitiae . Für Dr . Wilhelm Beutle r zu r Vollendung de s
60. Lebensjahre s am 5. September 1957 , o.O . [Köln], o.J. [1957], S. 105-118 , hier: S. 107.
208
Andreas Wilkens
Auch hinsichtlic h de r behandelte n Theme n stellte n sic h di e Besprechunge n i m
Rahmen de s RE I al s ein e Fortsetzun g de r Vorkriegs-Direktorenkonferenze n dar .
Kartellfragen, Handelsliberalisierung , di e Haltun g gegenübe r de r amerikanische n
Wirtschafts- un d Außenhandelspolitik , da s Verhältnis z u den Gewerkschaften wa ren vor wie nach dem Krieg Gegenstände der Diskussion unter den Vertretern de r
europäischen Industrieverbände. Die 1930 geübte Kritik am so verstandenen Primat
der Politi k i m Briand-Memorandu m hatt e 2 0 Jahre späte r ih r Gegenstüc k i n de r
Auseinandersetzung mit den ersten Schritten der europäischen Integration 96.
Ähnlich wie in der Vorkriegszeit zur Diskussion der wirtschaftlichen Aktivitäte n
des Völkerbundes und später zur Begleitung der OEEC-Arbeit, s o installierten die
europäischen Industrieverbände schließlich auch parallel zur Einrichtung der Montanunion ei n spezifisches Konsultationsorgan . Bereit s während de r noch laufende n
Verhandlungen übe r den Schuman-Plan waren die Industrieverbände de r sechs betroffenen Lände r mit einer gemeinsamen Resolutio n hervorgetreten , in der sie kritisch z u verschiedene n Dispositione n de s diskutierte n EGKS-Vertragsentwurfe s
Stellung nahmen. Mit einiger Schärfe wandten sie sich darin gegen die nach ihrer gemeinsamen Interpretation sich abzeichnende »dirigierende und allmächtige Gewalt«
der Hohen Behörde 97. Zielscheibe waren insbesondere die vorgesehenen Anti-Kar tell-, in zweiter Lini e die Fusionskontrollbestimmungen, di e Jean Monnet - unter stützt von amerikanischer Seite - al s wichtige Kernbestimmungen de s Vertragswerkes galten. Mit den Anti-Trust-Vorkehrungen sollt e sich die künftige Montanunio n
grundsätzlich von früheren kartellartige n Zusammenschlüssen unterscheiden 98. Gegen diese Konzeption, die in der Tat eine starke Hohe Behörde vorsah, verteidigten
die europäischen Industrieverbände zum einen die Möglichkeit direkter Absprachen
unter den beteiligten Industrien wie auch speziell die Existenz bestehender nationaler Monopole wie des zentralisierten »Deutsche n Kohlenverkaufs« , des »Comptoir
des Produits sidérurgiques« oder der französischen Kohleimportgesellschaf t ATIC .
Das Interesse, die eigenen tradierten Organisationsstrukturen - fü r die deutsche Seite kam das Prinzip der Verbundwirtschaft hinz u - i n die Ära der europäischen Kooperation hinüberzuretten, war ein genügend starker Antrieb, die Verbände trotz ihrer ansonsten teilweis e divergierenden Haltunge n z u eine m abgestimmten Vorsto ß
zu bewegen . Bekanntlic h wa r de r Industriellen-Initiativ e unmittelba r kei n Erfol g
beschieden, immerhin sollte das allgemeine Kartellverbot diverse Ausnahmeregelungen vorsehen. Speziel l die »Chambre Syndical e de la Sidérurgie Française« behielt
ihren kämpferische n Widerstan d auc h währen d de r französische n Ratifizierungs 96 Vgl . ibid., S. 108-112.
97 AN , 81 AJ 138, »Observations & propositions des Fédérations industrielles nationales des pays intéressés pa r l e Pla n Schuman , su r le s clause s économique s d u 'Proje t d e traité ' e n préparation« ,
17.1.1951; vgl. auch Matthias KIPPING , Zwischen Kartelle n un d Konkurrenz . De r Schuman-Pla n
und die Ursprünge der europäischen Einigung 1944-1952, Berlin 1996, S. 231-234.
98 Vgl . das von der Monnet-Gruppe für de n amerikanischen Gebrauc h erstellt e interne Papier vom
9.5.1950, das di e Unterschiede de r Montanunio n z u eine m Kartel l herausstrich , in : Pierre URI ,
Fragments d e politique économique . Le s liberté s d e l a fonctio n publique , le s servitude s d e l a
dispersion, Grenobl e 1989, S. 113-115; s. auch die »Réponse au x observations faite s su r le Plan
Schuman«, 5.3.1951, die gleichfall s vo n eine m Mitarbeite r Monnets stammen dürfte , AN, 81
AJ 138.
Verständigung von Wirtschaft z u Wirtschaft
209
débatte Ende 195 1 bei", während sic h die deutschen Verbänd e frühzeitig au f ein e
Arbeit mit und an dem neuen Regelwerk einstellten 100.
In jedem Fall hatten die Indus trie verbände mit dieser Erfahrung voll erkannt, daß
einschneidende Entscheidungen nicht mehr nur auf nationaler Ebene, sondern künftig
im europäischen Kontext getroffen würden. Für den BDI wa r dies der Anlaß, am 8. Dezember 195 0 einen internen Europa-Ausschuß einzurichten , der die europapolitische
Haltung des Verbandes künftig klären sollte101. Die Koordinierung der Positionen auf
europäischer Ebene übernahm die im Rahmen des RE I am 27 . Septembe r 1952 i n Paris
gegründete »Union der Industrien der sechs Schuman-Plan-Länder«, die ihre Aufgabe
zunächst als Interessenvertretung gegenüber der Luxemburger Behörde sah.
Diese Gruppierun g entfaltet e i n de n 50e r Jahren ein e kontinuierlich e Aktivitä t
und griff dabei schließlich auch Fragen auf, die über die Montanunion hinausgingen
und allgemein den Fortgang der europäischen Entwicklung betrafen. Es wurde beispielsweise die gemeinsame Position entwickelt, daß die Integration der Währungen,
beginnend mit einer Begrenzung der Fluktuationsmargen auf 5 Prozent um den offiziellen Kur s un d fortentwickel t bi s zur gemeinsame n Währung, vor alle n andere n
möglichen Teilintegrationen den Vorrang haben sollte. Nach einer Einschätzung aus
dem Quai d'Orsay sah es so aus, als machten sich die deutschen Industrieverbänd e
- i m Kontrast zu dem eher »indifferenten« CNPF - i n diesem Kreis zu den »champions de la communauté politique«102.
1958 ist au s diesem Zusammenschlu ß paralle l zu r Gründun g de r Europäische n
Wirtschaftsgemeinschaft di e vo m RE I unabhängig e »Unio n de s Industrie s d e la
Communauté européenne« (UNICE) mit Sitz in Brüssel hervorgegangen 103.
Den für da s bilaterale Verhältnis von BDI und CNPF entscheidenden Kommu nikationskanal richteten die Industrieverbände im November 195 1 ein . Anläßlich eines Besuches einer Delegation unter Georges Villiers und dem ersten stellvertretenden CNPF-Präsidenten Pierr e Ricard in Düsseldorf un d Bonn gaben die Verbände
die Gründun g eine s »Deutsch-französische n Industriekomitees « (»Comité écono mique franco-allemand« ) bekannt104. Di e Übernahm e de s Vorsitzes au f deutsche r
Seite durch Fritz Berg selbst und auf französischer Seit e durch den Vorsitzenden des
Verbandes der metallverarbeitenden Industrie Albert-Roger Métrai verweist auf den
Stellenwert, den BDI und CNPF dem Komitee von Anfang an beimaßen. Weit bevor
auf politischer Ebene der Nutzen eine s geregelten Konsultationsmechanismus ent 99 Henr y W. EHRMANN , The French Trade Associations and the Ratification o f the Schuman Plan, in:
World Politic s 6 (1954) S. 453-481; Philippe MIOCHE, Le patronat de la sidérurgie française e t le
Plan Schuma n e n 1950-52: Les apparence s d'u n comba t e t l a réalité d'un e mutation , in : Klau s
SCHWABE (Hg.), Die Anfänge des Schuman-Plans 1950/51, Baden-Baden 1988, S. 305-318.
100 Vgl . die wichtigen Analysen von Ernst B. HAAS , The Uniting of Europe. Political, social, and economic forces 1950-1957, Stanford 21968, S. 162-193.
101 BDI , Geschäftsbericht 1950/51 , S. 12/13 ; 1953 erfolgte die Umbenennung in »Ausschuß für inter nationale Beziehungen«.
102 Direction des Affaires économiques et financières, L e Directeur général , Note a.s. Conversation
avec M. Bernière du Patronat Français, 11.2.1953, AMAE, DE-CE, Bd. 578, Bl. 62/63.
103 Fritz NAGELS, Die Zusammenarbeit der industriellen Spitzenverbände in Europa, in: Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft 1 (1958) S. 444-446.
104 BDI , Jahresbericht 1951/52, S. 13/14.
210
Andreas Wilkens
deckt wurde, verfügten BDI und CNPF somit bereits zu Anfang der 50er Jahre über
ein Organ, in dem eine ständige zweiseitige Abstimmung möglich war.
Nach den Erklärungen des BDI-Präsidenten Berg hatte das neue Komitee nichts
weniger zu r Aufgabe , al s gemeinsam e Produktionsprogramm e auszuarbeiten , di e
Möglichkeiten zu Produktionssteigerungen zu prüfen und die Märkte aufzuteilen 105.
Zur Teilnahme an der ersten ordentlichen Arbeitssitzun g de s Komitees vom 13.
bis 15 . Mär z 1952 in Paris reiste ein Dutzend hochkarätiger Vertreter der deutschen
Wirtschaft, nebe n Berg und der Geschäftsführung de s BDI u.a. Wilhelm Alexander
Menne, Präsident de s Verbandes de r Chemische n Industrie , Friedrich Luisenhoff ,
Präsident des Zentralverbandes des deutschen Baugewerbes, Max Thoennissen vom
Verband de r Automobilindustrie. Da s Zusammentreffen stan d unte r de m Zeiche n
der Verbesserun g de s Handelsaustausches , de s Wunsches nac h Intensivierun g de r
Kontakte au f Industrie - un d Brancheneben e insbesonder e jeweil s i m Vorfeld vo n
deutsch-französischen Handelsvertragsverhandlungen 106. Di e einige Wochen zuvo r
verfügte Aufhebun g de r französische n Importliberalisierun g trübt e da s Klim a de r
»compréhension mutuell e et d e parfaite cordialité « offenbar keineswegs 107. Abgestimmt wurde n insbesonder e auc h die Positionen de r Verbände zu internationale n
Fragen. Gemeinsamer Ansicht war man etwa über die Notwendigkeit des Fortbestehens der OEE C auc h über da s Ende de r Marshall-Plan-Hilfe hinaus , wobei aller dings die Forderung nac h stärkerer Hinzuziehun g de r Industrie n erhobe n wurde .
Einig war man sich ebenso darüber, daß - sollt e es zur Verwirklichung des landwirtschaftlichen »Poo l vert« kommen - dere n Hohe Behörde keinesfalls dasselb e Ausmaß an Kompetenzen erhalte n dürfe, mi t der zuvor die Hohe Behörd e der EGK S
ausgestattet worde n war . Ei n detailliertere s Studiu m vo n Einzelfrage n wurd e ge mischten Unterkommissionen übertragen .
Der vom BDI drei Monate nach Inkrafttreten de r EGKS aufwendig organisiert e
»Europatag« vo n Trie r a m 30./31 . Oktobe r 195 2 bracht e di e Gelegenheit , diese r
Konzeption von Europa eine breite Resonanz zu verleihen. Vor Vertretern aus Industrie und Politik der sechs Montanunions-Länder und Großbritanniens ließen Fritz
Berg und Georges Villiers keinen Zweifel an ihrer Sorge, »daß die erheblichen Vollmachten, die das Vertragswerk der Hohen Behörde eingeräumt hat, zu dem von uns
allen abgelehnte n Dirigismu s führe n könnten« 108. Di e Institutione n de r Montan union hatten kaum ihre Arbeit aufgenommen, d a beschrieben BDI und CNPF ihre
gemeinsame Erwartun g hinsichtlic h eine s begrenzte n Aktionsradius ' de r Luxem burger Behörde 109. In der Folgezeit wurde diese gemeinsame Linie auch gegenübe r
105 Zit . nach: François-Poncet an Ministère des Affaires étrangères, Telegramm Nr.7853, 10.11.1951,
AMAE, Europe 1944-1960, Allemagne, Bd. 377, Bl. 235.
106 Comité mixte franco-allemand, Compte-rend u des réunions des 13 , 14 et 15 mars 1952 à Paris,
AN, 7 2 AS 113; »Text e des motions adoptées par l e Comité mixte franco-allemand«, ibid.
107 Zit.: Bulletin du CNPF, 20.7.-5.8.1952, Nr. 84, S. 39: Comité industriel de liaison franco-allemand.
108 S o Fritz Berg, zit. nach: Fritz BLUMENRATH , Di e internationale Arbeit des BDI, in: BDI (Hg.),
Fünf Jahre BDI. Aufbau und Arbeitsziele des industriellen Spitzenverbandes, Bergisch-Gladbach
1954, S . 169-202, hier: S. 180; s.a. den Abdruck der Reden und Ansprachen u.a. von Fritz Berg,
Georges Villiers, Ludwig Erhard, Franz Etzel, in: BD I (Hg.), Europa-Tag Trier, 30.-31. Oktober
1952, Drucksach e Nr. 18 .
109 Vgl . Bulletin du CNPF, 5.12.1952, Nr. 89, S. 19-24: Une Journée de l'Europe à Trêves.
Verständigung von Wirtschaft zu Wirtschaft
211
den anderen Projekten eine r europäischen wirtschaftlichen Integration , namentlich
der Schaffung eine s europäischen Agrarmarktes, bekräftigt 110.
Die Einrichtung de s direkten Drahte s zwische n BD I und CNPF in Form des
»Deutsch-französischen Industrie-Komitees « machte nunmehr die zunächst noch weiter bestehenden Vereinigungen AFRE A und DEFRA endgülti g überflüssig. Ihr e ursprünglichen Funktionen hatten die Industrie-Dachverbände direkt an sich gezogen111.
Aus dem Niedergang von AFREA und DEFRA wiederu m entstan d 195 3 der
Vorstoß Richard Merton s zur Bildung einer etwas höher angesiedelten , exklusive n
deutsch-französischen Industriellen-Gesprächsrunde . In einem Schreiben an führende
deutsche Industriell e schlu g er die Schaffung eine r Verbindung »nac h der Art des
'Mayrisch-Komitees' nach dem Ersten Weltkrieg« vor, d.h. »eines Kreises führender
deutscher und französischer Herre n aus der Wirtschaft, di e in zwangloser Weise die
Fragen deutsch-französischer wirtschaftliche r Zusammenarbeit, darüber hinaus aber
auch damit zusammenhängende politische Fragen, besprechen könnten« 112. Für den
Vorsitz dachte er - kau m mehr überraschend - a n den französischen Hohe n Kom missar André François-Poncet, der bei vorbereitenden Kontakten offensichtlich ei n
großes Interesse an dem Projekt gezeigt hatte. Zwischen dem Leiter der Wirtschaftsabteilung de r Französische n Hohe n Kommission , Bernar d Lefort , un d Merto n
wechselten Mitte 1953 bereits Listen mit möglichen deutschen und französischen In dustriellen, di e zur Teilnahme gebete n werde n sollten . D a das Komitee bewuß t
außerhalb der Industrieverbände angesiedelt werden sollte, war die direkte Teilnahme von Berg und Villiers von Merton nicht vorgesehen.
Letztlich blie b dies e Initiativ e zu r Bildung eine s »Beratende n Ausschusse s fü r
deutsch-französische Wirtschaftsbeziehungen « allerding s ohne Ergebnis. Der Haupt grund dürft e dari n liegen , daß BDI und CNPF angesichts ihre s bereit s bestehen den und ihres Erachtens gut funktionierenden »Industrie-Komitees « nich t die Notwendigkeit eines weiteren Kontaktkreises sahen113.
An Verbindungsstrukture n un d Gesprächskanälen fehlt e e s offensichtlich nich t
zwischen deutschen und französischen Wirtschaftskreisen . Sei t Ende der 40er Jahre
war ein Netz geflochten , das zu einem dichten und kontinuierlichen Informations austausch genutzt wurde. Dabei sind bei weitem nicht alle formellen un d informel len Kontakt e un d Verbindungen berücksichtigt . Z u nennen wäre n insbesonder e
auch die internationalen Zusammenschlüss e au f der Ebene der industriellen Bran chen, von denen sich etwa die Stahlproduzenten zu einem diskreten »Club des Sidérurgistes« verbanden114. In offizieller Funktio n hingegen trafen sich die Vertreter der
110 Sitzun g der Unterkommission »Poo l vert« am 29.11.1952 in Paris, Bulletin du CNPF, 5.2.1953,
Nr. 93, S. 35: Affaires allemandes.
111 Rfaymond ] Lartisien, Note à l'attention des Messieurs Villiers, Bernière, 27.3.1952, Réunion du
Bureau de 1'AFREA du mercredi 26 mars, AN, 72 AS 113.
112 Merto n an deutsche Industrielle , 14.9.1953 , Politisches Archi v des Auswärtige n Amt s (künftig :
PAAA), Abt.4., Ref.410, l.Abg. , Bd . 87; unter den zehn Adressaten befanden sich u.a. Herman
J. Abs, Hans C. Boden, Ulrich Dörtenbach, Günter Henle, Hermann Reusch.
113 Ber g an Merton, 18.9.1953, BA, NL Henle, Bd. 246.
114 HAA S (wie Anm . 100 ) S. 325-326,* Philippe MIOCHE, L'adaptatio n du patronat de la sidérurgie
française à l'intégration européenne de 1945 à 1967, in: DUMOULIN, GIRAULT, TRAUSCH (Hg.) (wie
Anm. 1) S. 63-75, hier: S. 74.
212
Andreas Wilkens
»Wirtschaftsvereinigung Eisen - un d Stahlindustrie « (Gerhar d Bruns, Fritz-Aurel
Georgen) mit den Repräsentanten der »Chambre syndicale de la sidérurgie françai se« (Pierr e Ricard ) im Beratende n Ausschu ß de r Europäische n Gemeinschaf t fü r
Kohle un d Stahl 115. Di e dor t vo n de n Stahlproduzente n eingenommen e Haltun g
dürfte nich t zuletzt im »Club des Sidérurgistes« vorgeklärt worden sein. Zwischen
Firmen de r deutsche n un d de r französische n Stahlindustri e entwickelt e sic h nun mehr ei n Verhältnis geschäftliche r Normalität . Be i einem Treffen a m 6. Juni 195 2
zwischen de m Direkto r de r Aciéries de Longwy , Jea n Raty , un d de m techni schen Direktor der August-Thyssen-Hütte, Alfred Michel , ging es um das Projekt,
500000 bis 1 Mio. Tonnen Stahl in französischen Anlage n walzen zu lassen. Verhandelt wurd e auc h übe r Vereinbarunge n übe r gemeinsam e Export e un d übe r ein e
eventuelle französisch e Hilf e fü r di e Remontage der teildemontierte n August Thyssen-Hütte116. Gu t zwe i Jahre zuvo r wär e die s noc h ein e phantastische Vor stellung gewesen.
Schwer einzuschätzen in ihrer tatsächlichen Bedeutung sind die damaligen weiteren Gesprächszirkel und Einflußgruppen lockerere r Art wie die bereits 194 6 eingerichtete »Ligue européenne de coopération économique« , deren deutscher Sektio n
Hermann Joseph Abs vorsaß117, oder das 1952 gegründete »Comité européen pour le
Progrès économique et social« (CEPES). Hier waren von deutscher Seite u.a. Fritz
Berg, Hans C. Boden, Otto A. Friedrich, W. Alexande r Menne und Richard Merton
vertreten118. Merton war gleichzeitig - mi t Abraham Frowein - auc h einer der beiden
deutschen Präsidiumsmitgliede r be i der in Paris etablierten »Internationale n Indu strie- und Handelskammer« 119.
Ein überraschend enger Gesprächszusammenhang bedeutete natürlich nicht Konfliktlosigkeit. Zahlreic h sind die Einzelpunkte, in denen deutsche und französisch e
Industrielle durchaus divergierende Interessen vertraten:
- Seit dem Liberalisierungsstop vom Februar 1952 hinkte Frankreich zunächst bis
Frühjahr 195 5 beständig hinter den Liberalisierungsvorgaben de r OEEC hinterher .
Bei den Handelsvertragsverhandlungen jene r Zeit drängten der BDI und die Fachverbände die deutschen Verhandlungsführer permanent , eine Lockerung der französischen Einfuhrrestriktionen z u erwirken 120.
115 List e der Mitglieder von Erzeuger - und Arbeitnehmergruppe in : Bulletin de r Bundesregierung,
29.1.1953, Nr. 20 , S. 155.
116 Haut-Commissariat de la République Française en Allemagne, Direction générale des Affaires politiques, Mission de liaison, Note d'Information, 10.6.1952, Nr. 166, AMAE, Europe 1944-1960,
Allemagne, Bd. 378, Bl. 254.
117 Michel DUMOULIN, Anne-Myriam DUTRIEUE , La Ligue européenne de coopération économique
(1946-1981). Une groupe d'étude et de pression dans la construction européenne, Bern, Paris 1993.
118 Anne-Myriam DUTRIEUE, Le CEPES , un mouvemen t patronal européen ? (1952-1967), in: DUMOU LIN, GIRAULT, TRAUSCH (Hg.) (wie Anm. 1) S. 213-230; BDI, Jahresbericht 1953/54, S.27; vgl. Wer ner BÜHRER , Germa n Industr y an d Europea n Integration , in : Clemens WUR M (Hg.) , Western
Europe and Germany. The Beginnings of European Integration 1945-1960, Oxford, Washington
1995, S . 87-114 , hier: S. 98.
119 Walthe r HERRMANN, Internationale Bestrebungen der Unternehmerverbände, in: Europa-Archiv
1952, S . 5247-5250.
120 Vgl . z.B. Schreiben Hipp und Gocksch (BDI) an den Ministerialdirektor im Bundesministerium
für Wirtschaft Reinhardt, 8.2.1955, BA, B 102 , Bd . 57973.
Verständigung von Wirtschaft zu Wirtschaft
213
- Eine n regelrechten Zahlenkrie g lieferten sic h deutsche und französisch e Indu strieverbände über die Höhe der Löhne und Sozialabgaben in den beiden Ländern121.
Die französische Industri e sucht e unter Beweis zu stellen, daß für si e die Öffnun g
der Grenzen wegen des deutlich höheren Lohnniveaus in Frankreich nicht akzeptabel sein konnte, die deutsche Industrie hielt mit ihren Argumenten dagegen. Die von
der französischen Regierun g Anfang 195 4 eingesetzte »Nathan-Kommission « ver mochte mit ihren Zahlen den Streit nicht zu entscheiden 122, er setzte sich bis zu den
Römischen Verträgen fort.
- Z u den ständigen Forderungen der französischen Stahlindustri e gehörte die Kanalisierung de r Mose l zu r kostengünstigere n Versorgun g Lothringen s mi t Ruhr koks, wie auch zur Verbesserung der Exportmöglichkeiten ihrer Erzeugnisse in den
süddeutschen Raum 123. Di e Assemblée nationale hatt e be i de r Ratifizierun g de s
EGKS-Vertrages di e Moselkanalisierun g z u eine r Hauptforderun g erhoben . Au f
deutscher Seite stemmte sich die Industrie mit ebenso großem Einsatz und direkten
Interventionen bei Bundeskanzler Adenauer gegen den Ausbau der Wasserstraße124.
- Ei n - wen n auch nicht uninteressanter - Nebenschauplat z is t aus der Sicht der
deutschen Industri e di e Frag e vo n gemeinschaftliche n Investitione n i m französi schen Teil Afrikas gewesen. Die deutsche Industrie war als Lieferant von know-how
und als Kapitalgeber gefragt, als letzterer war sie sicherlich der falsche Adressat, verfügte si e doch im eigenen Land über genügend Möglichkeiten bzw. Notwendigkeiten zu Investitionen. Ihr Interesse konzentrierte sich zunächst auf die Erweiterung
der Exportkontingente 125. Zwische n de r Zögerlichkei t französische r Stellen , de n
Deutschen - wi e sie es meinten - da s Tor nach Afrika z u öffnen un d der deutschen
Skepsis hinsichtlic h de r Zukunftsträchtigkei t eine s Investitions-Engagement s ver gingen die 50er Jahre ohne prominente Realisierungen.
Weitere Punkte könnten hinzugefügt werden wie etwa das Problem der Rückgabe
der nach Kriegsende in Frankreich sequestrierten deutschen Warenzeichen oder auch
die grundsätzlich bi s zum Abschluß des deutsch-französischen Niederlassungsab kommens im September 195 6 bestehende Unmöglichkeit fü r deutsch e Gewerbetrei bende, sich in Frankreich niederzulassen oder deutsche Firmenfilialen z u leiten. Von
einer befriedigenden Regelun g insbesondere dieses letzten Problems machte die deutsche Industrie auch immer wieder ihr Engagement für die Einrichtung einer deutschen
bzw. deutsch-französischen Handelskamme r in Paris abhängig126.
121 Vg l François-Poncet an Mendès France, a/s Charges sociales en Allemagne et en France, 31.12.1954,
AMAE, Europe 1944-1960, Allemagne, Bd. 478, Bl. 36-48. Deutsches Industrie-Institut, Material
zum Zeitgeschehen, 27.10.1954, Nr. 26: Lohnkosten im Rahmen der deutsch-französischen Zu sammenarbeit; Bulletin der Bundesregierung, 11.1.1955, Nr. 6, S. 49: Das Lebensniveau in Deutschland und Frankreich.
122 Vgl . L'Année politique 1954, S. 116-121; Bulletin du CNPF, April 1954, Nr. 118, S. 35/36: Le rapport de la Commission Nathan.
123 Fernan d CHANRION , Les aspect s internationau x de la canalisation d e l a Moselle , in : Politique
étrangère 19 (1954) S. 157-168.
124 Schreibe n Bundesverband der Deutschen Industrie und Deutscher Industrie-und Handelstag an
Bundeskanzler Adenauer, 9.11.1953, BA, B 136, Bd. 1550, Bl. 78-85.
125 Bundesverban d de r Deutschen Industri e a n Bundesminister fü r Angelegenheiten de s Marshallplans Blücher, 20.7.1951, PAAA, Abt.4, Ref.410, l.Abg., Bd. 53.
126 Schreibe n Paul Beyer (DIHT) an Staatssekretär Hallstein, 20.3.1953, PAAA, Abt.4,1. Abg., Bd. 84.
214
Andreas Wilkens
Und dennoch, trotz aller einzelnen Reibungspunkte, trotz der nicht erfüllten Erwartungen und hinausgezögerten Antworten: Der europapolitische Gesamtrahmen,
in dem sie sich zu bewegen hatten, brachte die Industrieverbände immer wieder dazu, eine Annäherung der Standpunkte und einen gemeinsamen Nenner ihrer Interessen zu suchen. Höchst aufschlußreich wurde hierfür das Jahr 1954.
VI.
Der Beginn des Jahres 1954 sah die deutsch-französischen politischen Beziehungen in
einer Sackgasse. Weder das seit Jahren schwelende Saar-Problem war zu einer Lösung
gebracht worden, noch war ein Ende des Tauziehens um die Europäische Verteidigungsgemeinschaft i n Sicht. Nicht ganz zufällig verfiel Adenauer in dieser Situation
wieder auf sein e alte Idee 127 eines Kapitalaustausche s zwische n den deutschen und
französischen Grundindustrien, um - wi e er gegenüber Georges Bidault am 9. März
1954 erklärte - »da s deutsch-französische Verhältnis dadurch auf eine lebenskräftigere
Grundlage zu stellen«128. Als Beispiel nannte der Kanzler die im Bundesbesitz befindliche Kohlengrube »Hibernia«. Der in diesem Fall wohl eher improvisierte Gedankengang traf beim französischen Ministerpräsidenten allerdings auf keine Reaktion.
Adenauer griff in dieser Phase offensichtlich auf seine engen Beziehungen zu prominenten Vertretern der deutschen Wirtschaft zurück , u m diese auc h in direkten
Kontakten mi t ihre n französische n Kollegen , Möglichkeite n eine r intensivierte n
wirtschaftlichen Kooperation als Grundlage für eine engere politische Gemeinschaft
prüfen zu lassen. Jedenfalls scheint der politische Impuls ausschlaggebend gewesen
zu sein für eine breit angelegte und wohlvorbereitete Besprechun g zwischen Spitzenvertretern der deutschen und der französischen Wirtschaft am 29. und 30. März
1954 in Paris.
Das Treffen , da s außerhal b de r Zusammenkünft e de s Industrie-Komitee s vo n
BDI un d CNPF stattfand, bracht e vo n deutsche r Seit e u.a . Frit z Berg , Hans Günther Sohl, Günter Henle, Wilhelm Beutler und von französischer Seite Georges
Villiers, Pierre Ricard, Jacques Ferry, Robert Baboin, Jean Raty zusammen, d.h. die
Führungen der Industrie-Dachverbände sowi e die Repräsentanten der Kohle- und
Stahlindustrien. Ziel war ein grundsätzliches Ausloten der Haltung der anderen Seite
in der Frage der Fortführung der europäischen Integrationspolitik.
Das überlieferte Protokoll läßt durchweg die weiterhin tiefe Skepsis der französischen Industrie-Vertrete r gegenübe r eine r Ausweitun g de s europäische n Integra tionsfeldes erkennen 129. Hinsichtlich des Experiments der Montanunion hieß es einhellig, dieses sei »für die französische Stahlindustrie sehr schlimm ausgelaufen«. Als
minimale Vorbedingung fü r alle weiteren Schritt e wirtschaftlicher Integratio n benannten die französischen Industrie-Vertreter die Harmonisierung der Steuern und
der Sozialabgaben in den beiden Ländern sowie die Kanalisierung der Mosel.
127 Vgl . den Beitrag in diesem Band von Hanns Jürgen KÜSTERS, Konrad Adenauer und die Idee einer
wirtschaftlichen Verflechtung mit Frankreich.
128 Aufzeichnun g Blankenhorn, 9.3.1954, BA, NL Blankenhorn, Bd. 30b, Bl. 209-211.
129 * Vermerk über die Besprechung zwischen französischen und deutschen Industriellen in Paris am
29. und 30. März 1954«, BA, NL Henle, Bd. 185.
Verständigung von Wirtschaft zu Wirtschaft
215
Die deutschen Industriellen registrierten, daß die Aversion ihrer französischen
Gesprächspartner gegenübe r Jean Monnet und dessen - wi e e s genannt wurde »amerikanische Mystizismen « i n bezug au f di e Kontroll e kartellmäßige r Abspra chen so weit ging, daß sie sogar zum Verzicht auf den französischen Vorsitz in der
Hohen Behörd e berei t waren , nu r um den »Erfinder « de r Montanunion loszu werden.
Auch die deutschen Industrielle n waren allerdings drei Jahre nach Unterzeichnung des EGKS-Vertrages noc h nicht restlos zur Philosophie des freien Wettbewerbes au f einem freien Stahlmark t bekehrt . De n Hauptgeschäftsführe r de s BDI,
Wilhelm Beutler , zitier t da s interne Protokol l wörtlic h mi t eine m Appell, de r an
Deutlichkeit nicht s zu wünschen übrig ließ: »Wir müssen Kartelle in aller Form
machen!« Mi t de m Angebo t z u Mengen - un d Preisabsprache n wa r de n franzö sischen Stahlindustriellen ganz aus dem Herzen gesprochen, zu konkreten Vereinbarungen scheint es allerdings - sowei t erkennbar - nich t gekommen zu sein.
Im ganzen hatt e di e Zusammenkunf t di e gemeinsam e Gegnerschaf t gegenübe r
dem als Dirigismus verstandenen Wirken der Hohen Behörde der EGKS bestätigt,
auch wenn die von Luxemburg ausgehende Beeinträchtigung des eigenen Handelns
von der französischen Stahlindustrie inzwischen realistischerweise deutlich geringer
als noch in den Jahren 195 1 bis 195 3 veranschlagt wurde 130. Die Diskussio n hatte
aber auch tendenziell unterschiedliche Haltungen gegenüber der Frage der Öffnung
der europäische n Märkt e zu m Ausdruc k gebracht : währen d sic h di e deutsche n
Industriellen sehr wohl auf den Fortgang der europäischen Integrationspolitik einstellten und mit der Hypothese de r Annahme der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, der Realisierung der politischen Gemeinschaft mi t anschließender Ausgestaltung der wirtschaftlichen Kooperation arbeiteten, verblieben die französischen
Industriellen in einer defensiv-negativen Haltun g und richteten zunächst eine Barriere von - teilweis e unrealistischen - Vorbedingunge n auf.
Entsprechend negati v fiel de r Bericht aus, den Henle Bundeskanzle r Adenaue r
über die »Fühlungnahme« mit den französischen Industriellen erstattete131. Um deren Integrationsfreudigkeit sei es »leider recht schlecht bestellt«, so vermeldete Henle dem Bundeskanzler. »Alle Ausführungen des Herrn Ricard«, hieß es weiter, seien
»ein Klagelied mit eingeflochtenen Forderungen an die deutsche Adresse« gewesen;
die Franzosen hätten mit einer Haltung reagiert, »die gelegentlich ans Erpresserische
grenzte«. Einziger fruchtbarer Aspekt sei die gemeinsame kritische Haltung gegenüber der Politik der Hohen Behörde der EGKS gewesen.
In dem ähnlich intonierten Bericht Hans-Günther Sohls, des Leiters der AugustThyssen-Hütte, a n Adenauer (vo m 3. April 1954 ) findet sic h deutlich ausgesprochen, welche Rolle sich die Industriellen bei einem Fortgang des europäischen Prozesses zuerkann t sehen wollten. Die französischen Industrielle n seien der Auffassung, so referierte Sohl, »daß die wirtschaftliche Durchführun g des Schumanplans
weitgehend i n die Han d der beteiligten Industrie n geleg t und daß sich die Hoh e
Behörde au f kontrollierend e Maßnahme n und schiedsrichterliche Funktione n beschränken sollte. Man möchte bei einer weitergehenden wirtschaftlichen Integration
130 MIOCHE (wie Anm . 114 ) S. 70/71.
131 Henl e an Adenauer, 1.4.1954, BA, NL Henle, Bd. 185.
216
Andreas Wilkens
den Einfluß de r beteiligten Wirtschaftskreise nich t wieder so stark zurückgedräng t
sehen, wie man es nach der bisherigen Arbeit der Montanunion empfindet« 132.
Kein Zweifel , da ß Soh l dies e de n französische n Industriellen-Kollege n zuge schriebene Einstellung auch selbst teilte. Zur »Auflockerung de r Situation« empfah l
Sohl, die deutsche und die französische Regierung sollten zu erkennen geben, daß sie
eine »maßgebliche und verantwortliche Einschaltung der beteiligten Industrien« bei
der zukünftige n Gestaltun g de r wirtschaftliche n Integratio n Europa s wünschte n
und fördern wollten. Diese Einschätzung war recht unverhohlen gegen das EuropaModell gerichtet, das seit 195 0 mit EGKS, EVG und der mit ihr verbundenen Eu ropäischen Politischen Gemeinschaft unte r vielen Schwierigkeiten Gestalt anzunehmen suchte. Sicher - de r BDI hatte bereits in seiner »Königsteiner Erklärung« vom
26. Mär z 1952 der Schaffung weitere r Teilintegrationen über die Montanunion hin aus öffentlich ein e Absage erteilt un d eine r »konsequente n Weiterentwicklun g de r
Liberalisierungspolitik« das Wort geredet133. Damals jedoch schien der Integrationsansatz Monnets noch eine gewisse Dynamik zu entfalten, zwei Jahre später konnten
die Industrieverbände de r Auffassung sein , nunmehr mi t ihren Vorstellungen vo n
einer unmittelbaren Mitgestaltung der europäischen Wirtschaftsbeziehungen besse r
zum Zuge zu kommen.
VII.
Der französisch e wi e der deutsche Industrieverban d hatte n einig e Schwierigkeiten ,
offen zu m Projek t de r Europäische n Verteidigungsgemeinschaf t Stellun g zu bezie hen. Sie hatte n als Spitzenorganisationen Rücksicht zu nehmen auf eine differenzierte
verbandsinterne Meinungsbildun g wi e au f komplex e innenpolitisch e Konstellatio nen. Immerhin betrieb ein führende r Repräsentant des CNPF - André Boutemy - eine
virulente Kampagne gegen die EVG, die im offiziellen »Bulletin « des Verbandes allerdings bezeichnenderweis e keine n Widerhal l fand 134. Woh l warnt e Villier s i m Juni
1954 Ministerpräsident Mendès France vo r de n schwerwiegende n wirtschaftliche n
Konsequenzen des Vertragswerkes135; doch wurde die Standardforderung nac h umfassenden Hilfsmaßnahme n fü r di e eigene Wirtschaft vo r einem möglichen europäischen Wettbewerb in der Rüstungsindustrie durchaus ohne exzessiven Ton vorgetragen. Gegenüber dem integrativen Aspekt des Projektes dürfte die Mehrheit der französischen Industrielle n letztlic h ablehnend gewese n sein. Ihren deutschen Kollege n
hatten die Spitzenvertreter - unte r ihnen der engagierte EVG-Gegner Pierre Ricard im März 195 4 deutlich gemacht, daß sie eine gemeinsame Armee für ein e »Unmöglichkeit« hielten und eine Koalitionsarmee nach Lage der Dinge vorzuziehen sei136.
132 Soh l an Adenauer, 3.4.1954, BA, B 136, Bd. 8357 .
133 Entschließun g des BD I vom 26.3.1952 mit Begleitschreiben an Adenauer, BA, B 136 , Bd . 3956; vgl.
BDI, Jahresbericht 1952/53 , S. 25/26; Werner BÜHRER, Der BDI und die Außenpolitik der Bundesrepublik in den 50er Jahren, in: VfZ 40 (1992) S. 241-261, hier: S. 248.
134 Vgl . insgesamt: Georgette ELGEY, Histoire de la IVe République. La République des contradictions
1951-1954, Paris 1968 , S. 310-314; Jacques VERNANT , L'économie français e devan t l a CED, in:
Raymond ARON, Daniel LERNER (Hg.), La querell e de la CED, Paris 1956, S. 109-123.
135 Auszu g des Schreibens vom 23.6.1954 in: ELGEY (wie Anm. 134) S. 312.
136 »Vermer k über die Besprechung...« (wie Anm. 129).
Verständigung von Wirtschaft zu Wirtschaft
217
Auf deutscher Seite gingen große Teile der Industrie nur mit Reserven an die Rüstungsfrage heran , historisch e Erfahrun g wi e wirtschaftlich e Prioritäte n bewoge n
gleichermaßen zu Zurückhaltung. Bei aller Skepsis gegenüber dem Dirigismus integrativer Lösungen ka m eine offene Frontstellun g gege n die EVG schon aus politischer Rücksichtnahme au f di e Bundesregierung nich t i n Frage. In jedem Fall wäre
die Befürwortun g de r Wiederbewaffnun g ohn e gleichzeitig e europäisch e Einbin dung innenpolitisch nich t haltbar gewesen . Ein Gutteil Erleichterung is t unschwer
aus der sich nüchtern gebenden Feststellung des BDI nach dem Scheitern des EVGProjektes herauszulesen , mi t dem Votum der französischen Nationalversammlun g
habe »die Entwicklung zu r europäischen Einhei t unter Übertragung von Hoheitsrechten auf supranationale Körperschaften ei n Ende gefunden« 137. E s schien, als sei
nach dem 30. August 195 4 nunmehr de r Weg frei, fü r eine n dem eigenen Europa Konzept konformeren Neuansatz .
CNPF und BDI hatten somit zumindest kein Problem, sich auf die in der Londoner Neunmächtekonferen z vo n September/Oktobe r 195 4 anvisierte un d währen d
der Pariser Konferenze n vo m 20. bis 23. Oktober fixiert e Lösun g des Beitritts der
Bundesrepublik zu r NATO einzustellen 138. Was die Industrieverbände beide r Länder jedoch weiterhin unmittelbar interessierte, war der Modus, nach dem künftig in
Europa das militärische Beschaffungswesen organisier t werden sollte. Würde es zu
dem von Ministerpräsident Mendès France seit September 195 4 angestrebten europäischen Rüstungspoo l kommen? 139 Würd e e s doc h noc h ein e neu e selbständig e
supranationale Behörd e geben, nachdem die EVG gerad e abgewehrt war? Welches
wäre die Rolle der nationalen Regierungen, welche die Mitsprachemöglichkeiten der
nationalen Industrien und ihrer Verbände?
Eine eng e Verbindung unte r de n Industrieverbände n konnt e unte r alle n mögli chen Hypothese n weiterhi n nu r vorteilhaf t sein . Zeitgleich z u de n Parise r Regie rungs-Konferenzen vom 20. bi s 23. Oktobe r kamen die Spitzen von BDI und CNPF
zu einer eigenen Gipfelkonferenz i n Paris zusammen. Es fügte sich, daß sich Mendès
France und Adenaue r i n der vorgeschalteten bilaterale n Begegnun g von L a CelleStCloud vom 19 . Oktober bereit s auf ein breites Programm zur Intensivierung des
wirtschaftlichen Austausche s geeinig t hatten. Speziell der vereinbarte Abschluß eines mehrjährige n Handelsvertrage s sollt e de n deutsch-französische n Beziehun gen nach einer Phase der Belastungen eine neue Qualität verleihen 140. Die bewußt in
137 BDI , Jahresberich t 1954/55, S. 23.
138 Zu m politischen Kontext s. Bruno THOSS, Der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur WEU
und NATO i m Spannungsfeld vo n Blockbildun g un d Entspannung (1954-1956) , in : Anfänge
westdeutscher Sicherheitspolitik 1945-1956 , hg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 3:
Die NATO-Option, München 1993, S . 1-234 ; Gero von GERSDORFF, Adenauers Außenpolitik gegenüber den Siegermächten 1954. Westdeutsche Bewaffnung und internationale Politik, München
1994; Georges-Henr i SOUTOU , La France, 1*Allemagne et les accords de Paris, in: Relations internationales 52 (1987) S. 451-470.
139 Wortlau t der auf der Neunmächtekonferenz (28.9.-3.10.1954 ) eingebrachte n »Note de la délégation française sur le problème de l a production des armements « vom 30.9.1954 sowie des »Proje t de
directive de l a délégation française sur l a production des armements « vom 1.10.1954 in: Documents
Diplomatiques Français 1954, [Bd. 2] Annexes, Teil 2, S. 298/299 u. 308.
140 Andrea s WILKENS, Das Programm von La Celle-St.Cloud. Der Ausbau der deutsch-französische n
Wirtschaftsbeziehungen 1954-1957 , in: Revue d'Allemagne 25 (1993 ) S. 565-580. Zu de n Beschlüs-
218
Andreas Wilkens
Parallelität zu den diplomatischen Verhandlungen anberaumte Zusammenkunft de r
industriellen Verbände war mehr als nu r ein Fingerzeig auf die prominent e Rolle, die
sich die industriellen Spitzenverbände im neuen europäischen Gefüge zudachten.
Die Besprechungen zwischen BDI und CNPF gipfelten i n einer »streng vertraulich«141 klassifizierten schriftlichen Vereinbarung, die in elf präzisen Punkten die Bedingungen un d Möglichkeite n de r zukünftige n industrielle n Zusammenarbei t zu sammenfaßte142. Konkret empfahl der Katalog:
- di e Ausweitun g de r bilaterale n Handelsbeziehunge n mittel s de s Abschlusse s
langfristiger Handelsverträge ;
- ein e Abstimmung unter den Industrien des Atlantikpaktes , um den - wi e e s hieß »anarchischen Handelspraktiken« auf dem Weltmarkt entgegenzuwirken;
- Abmachunge n bei Industrialisierungsvorhaben in Entwicklungsländern etwa im
Maschinenbau, in der Elektrotechnik, bei öffentlichen Bauvorhaben ;
- ein e arbeitsteilige Kooperation auf der Ebene der industriellen Produktion.
Dieser letzte Punkt dürfte zu dem eigentlichen Motiv und Kern der Vereinbarung
führen: Die Abstimmung zwischen den beiden Industrieverbänden be i der Defini tion, Vergabe und Ausführun g vo n Rüstungsaufträgen , insbesonder e zu r Ausrü stung der im Entstehen begriffenen deutsche n Bundeswehr. BDI und CNPF stellten sich vor, daß die Organisation de r Rüstungsprojekte i n den Händen eine r gemischten Kommission liegen würde, in der neben den Vertretern der Regierungen
auch die Repräsentanten de r Industrie n beide r Lände r maßgeblic h vertrete n sei n
würden.
Bereits seit dem Frühjahr 195 3 hatte der BDI intern eine umfassende Struktur mit
einem »Arbeitskrei s für Rüstungsfragen « un d einer Serie von nicht weniger als 27
fachlichen Arbeitsgruppe n aufgebaut , u m in allen relevanten Bereichen für di e mit
der deutschen Wiederbewaffnung z u erwartende Auftragswelle gewappne t zu sein143.
Nach dem die damalige Situation kennzeichnenden Bekenntni s des BDI war es das
Ziel, den Regierungsstellen zu »ersparen«, eine umfangreiche eigen e Apparatur aufzuziehen144. Mit diesen organisatorischen Vorbereitungen schien der BDI selbst den
zuständigen Beschaffungsstelle n i m »Am t Blank« überlegen , zuma l die deutsch e
Industrie i n breitem Umfan g au f Ra t und Erfahrun g vo n Rüstungsfachleute n de r
früheren deutschen Wehrmacht zurückgreifen konnt e 145.
sen gehörte auch die Gründung einer paritätischen Deutsch-Französischen Handelskammer , die
im Juni 1955 erfolgte.
141 S o wurde die Vereinbarung in den Informationsorganen von BDI und CNPF nicht erwähnt; vgl.
BDI, Jahresberich t 1954/55, S. 23/24; Beutler (wie Anm. 89) S. 350f.; Bulletin du CNPF, November 1954, Nr . 126 , S. 4.
142 Französische r Ursprungstex t de r Vereinbarung vo m 22.10.1954 in : PAAA, B 17 , Bd. 126 , Bl.
77-79; deutsche Übersetzung unter dem Titel »Protokol l übe r eine Vereinbarung zwischen dem
Bundesverband der Deutschen Industrie und dem Conseil National du Patronat Français«, ibid.,
Bl. 86-88.
143 BDI , Jahresbericht 1953/54, S. 164-166 ; BEUTLER (wie Anm. 89 ) S. 333.
144 BDI , Jahresbericht 1955/56, S. 178.
145 Vgl . Werner ABELSHAUSER, Rüstung, Wirtschaft, Rüstungswirtschaft: Wirtschaftliche Aspekte des
Kalten Krieges in den 50er Jahren, in: Klau s A. MAIER, Norbert WIGGERSHAUS (Hg.), Das Nordatlantische Bündnis 1949-1956, München 1993, S . 89-108, hier: S. 97/98.
Verständigung von Wirtschaft zu Wirtschaft
219
Das im Rahmen des EVG-Vertrages vorgesehen e integrierte Beschaffungswese n
für di e militärische Ausrüstun g de r europäischen Armee 146 muß 1953/5 4 die Abstimmung unter den Industrieverbänden geradez u herausgeforder t haben . Die von
Theodor Blank berufene Rüstungsindustrie »unter europäischer Kontrolle«, ein militärisches Beschaffungsamt mi t »europäischem Status« standen gleichermaßen quer
zu den europäischen Ordnungsvorstellungen von BDI und CNPF147. Auch vor dem
Scheitern der EVG dürfte es somit zu diesem Gegenstand Beratungen zwischen den
beiden Industrieverbänden gegeben haben.
Das nun von Mendès France verfochtene Anschlußprojek t de r Errichtung eines
europäischen Rüstungspools rief die Industrieverbände in demselben Maße auf den
Plan. BDI un d CNPF kam es gleichermaßen darau f an , nach den z u unterschied lichen Graden als negativ bewerteten Erfahrungen mit der EGKS eine weitere supranationale Organisation zu verhindern. Ebenso galt ihr gemeinsamer Widerstand der
möglichen Eingliederun g de s Rüstungswesen s i n di e bestehend e »Apparatu r de r
Montanunion«. In der Ablehnung der Übertragung weiterer Entscheidungskompe tenzen auf ein e überstaatliche Behörde und der damit verbundenen Verminderun g
der eigenen Handlungsfreiheit fande n BDI und CNPF eine gemeinsame Interessenbasis. Für den BDI - wi e auch für den CNPF - dürft e es sich in diesem Zeitabschnitt
um die einzige derartige Vereinbarung eine r strategischen Zusammenarbei t mi t einem europäischen Partnerverband gehandel t haben. Das Abkommen war zunächst
zugeschnitten auf die Kooperatio n zwischen den deutschen und französischen Indu strien, Frankreich war aus der Sicht des BDI ohne Zweifel der Partner , mit dem der
Aufbau einer übernationalen Rüstungsindustrie stand oder fiel.
Eine deutsch-französische Rüstungskooperatio n wa r im übrigen im Herbst 1954
keineswegs ein e leere Formel . S o hatte beispielsweis e ei n führende s französische s
Elekronikunternehmen Mitt e 195 4 mit Siemens ein Abkommen über die Wahl von
elektronischem militärische n Ausrüstungsmaterial abgeschlossen 148. Seit Jahren bereits wurde zwische n verschiedenen deutschen un d französische n Exponente n de r
gemeinsame Bau von Industriebetrieben i n Nordafrika diskutiert . Anfang Oktobe r
1954 fanden im Quai d'Orsay Sitzungen zu der Frage statt, ob die wünschenswerte
deutsch-französische Kooperatio n im Bereich des Flugzeugbaus, d.h. auch des Baus
von Militärflugzeugen, nicht mit Vorteilen in Colomb-Béchar in der südlichen Sahara angesiedelt werden sollte 149. Der Bau von Anlagen zu gemeinsamer Flugzeugproduktion - w o auch immer - finde t sich als einziges spezifisches industrielles Kooperationsprojekt in dem Abkommen zwischen BDI und CNPF erwähnt.
146 Edwar d FURSDON, The European Defence Community: A History, London 1980, S . 161-166 .
147 Zitat e von Blank nach: Volker R. BERGHAHN , Paul J. FRIEDRICH, Otto A. Friedrich, ein politischer
Unternehmer. Sein Leben und seine Zeit, 1902-1975, Frankfurt, New York 1993, S . 255 (mit weite ren Hinweisen zur Haltung der deutsche n Industrie).
148 E s handelt sich um da s Unternehme n CSF de r Compagnie Generale de TSF; vgl. die »Note sur des
accords industriels franco-allemands dans le domaine des Armements« aus dem Kabinett von Ministerpräsident Mendès France (ohne Autor), 15.10.1954, confidentiel, Archiv Institut Pierre Mendès France (Paris), Dossier Accords de Paris I.
149 Aufzeichnun g G[hislain ] Cflauzel], Direction des Affaire s économiques et financières, Sectio n
Transports, 11.10.1954, très secret, a/s coopération franco-allemande dans le domaine de la construction aéronautique, AMAE, Europe 1944-1960, Allemagne, Bd. 502, Bl. 51-53.
220
Andreas Wilkens
Unmittelbar nac h Unterzeichnung de r Übereinkunft de r Spitzenverbände über sandte Berg am 22. Oktobe r 1954 ein Exemplar des noch nicht übersetzten französi schen Original-Textes an Bundeskanzler Adenauer 150, nur einem kleinen Kreis weiterer deutscher Politike r wurd e sie im weiteren zugänglic h gemacht . Ob di e Vereinbarung bereit s mi t Wisse n un d Zustimmun g de s deutsche n wi e de s französi schen Regierungschefs zustande gekommen war, läßt sich anhand der gegenwärtigen
Quellengrundlage nich t entscheiden . Übe r di e Tatsach e de s Industriellentreffen s
waren sie mit Sicherheit unterrichtet gewesen. Nicht nur die bekanntlich vertrauensvollen Beziehungen zwischen Berg und Adenauer dürften hierfü r ein e Gewähr bieten, Berg selbst verwies später darauf, BDI und CNPF hätten während der Verhandlungen »ständig« mit den Regierungsdelegationen ihre r beiden Länder Fühlung gehabt151. Für die französische Seit e ist belegt, daß Pierre Ricard, Präsident des Stahlunternehmerverbandes un d Vize-Präsiden t de s CNPF, in dieser Period e i n engem
Kontakt mit Mendès France stand152.
Bei späte r eingeweihte n deutsche n Politiker n tra f da s CNPF-BDI-Abkomme n
auf harsche Kritik, insonderheit be i Ludwig Erhard und Franz Etzel. Der Bundeswirtschaftsminister bewertet e di e Aktivitäte n de r Industrieverbänd e unte r ord nungspolitischen Gesichtspunkten. Bereits seit Jahren führte er im bundesdeutschen
Rahmen einen beständigen Kampf gege n das von ihm so gewertete Übergreifen de s
verbandspolitischen Engagement s in den politischen Bereich, speziell im langwierigen Prozeß der Kartellgesetzgebung lag er im Dauer-Clinch mit dem BDI153. In Erhards Perspektive verletzte auch die jüngste Initiative der beiden Industrieverbänd e
»die Verantwortlichkeit de s Staates und de r staatliche n Wirtschaftspolitik«, inde m
sie darauf abziele , »durch Verhandlungen de r Industrien de r Atlantik-Pakt-Staate n
eine aufeinande r abgestimmt e Wirtschaftspolitik festzulegen« 154. Di e Abstimmun g
der Wirtschaftspoliti k i m internationale n Rahme n hatt e fü r Erhar d dagege n aus schließlich in der Hand der Staaten zu verbleiben, speziell eine »Verselbständigung«
der Verbandsaktivitäten auf dem Gebiet der Rüstung kam für ihn nicht in Frage.
Dabei ist anzumerken, daß - wi e de r BDI - auc h Erhard vehement gegen die Schaffung eine s supranationale n Rüstungspool s eingestell t war 155, nur bezo g e r ebens o
entschieden Stellun g gegen die Beeinträchtigung des staatlichen Entscheidungsspiel raums durch den organisierten Gruppeneinfluß .
Die Einwände Etzels , Vizepräsident de r Hohe n Behörd e de r EGK S in Luxem burg, waren mit denjenigen Erhard s teilweise identisch, insofern auc h er dem Abkommen entgegenhielt, daß »die Wirtschaftspolitik vo n den Staaten gemacht wird«
150 Ber g an Adenauer, 22.10.1954, PAAA, B 17 , Bd . 126, Bl . 76.
151 Ber g an Erhard , 22.11.1954, BA, B 136 , Bd . 6894 .
152 Philipp e MIOCHE, Méfiance, intelligence, convergence: les relations réciproques entre Pierre Mendès France et le patronat, in: Michel MARGAIRAZ, Pierre Mendès France et l'Economie. Pensée et
action, Paris 1989, S. 249-275, hier: S. 261.
153 Albrech t DÜREN, Ludwig Erhards Verhältnis zu organisierten wirtschaftlichen Interessen, in: Ludwig Erhard - Beiträg e zu seiner politischen Biographie. Festschrift zu m fünfundsiebzigsten Ge burtstag, hg. von Gerhard SCHRÖDER u.a., Frankfurt, Berlin, Wien, 1972, S.42-66; Peter HÜTTENBERGER, Wirtschaftsordnung un d Interessenpolitik i n der Kartellgesetzgebung de r Bundesrepublik 1949-1957, in: VfZ 24 (1976 ) S. 287-307.
154 Erhar d an Berg, 13.11.1954, Abschrift, BA, B 136 , Bd. 6894 .
155 Vgl . Erhard an Adenauer, 18.10.1954, in: Ludwig-Erhard-Archiv (Bonn), NL Erhard, 11)3.
Verständigung von Wirtschaft zu Wirtschaf t
221
und »keinesweg s von den Industriellen harmonisiert « werde n könne 156. Der über zeugte Integrations-Europäer Etze l mußte das Abkommen darübe r hinau s als Angriff au f den mit der Montanunion eingeschlagene n Weg der Europapolitik werten .
Er vermißte nicht nur die Einbeziehung der Benelux-Länder, Italiens und Großbri tanniens. Vor allem kam die Ablehnung einer gemeinsamen europäischen Autoritä t
durch die Industrieverbände in der Sicht Etzels bestenfalls einem Rückfall in die Zeit
vor 1914 gleich, in eine Epoche liberalisierter Wirtschaftsbeziehungen also , die ohne
institutionelle Sicherung - s o Etzel - allerding s keinen Bestand hatte haben können.
Es dürfte allerdings nicht in erster Linie die Kritik Erhards und Etzels an der allzu
forschen Einmischung des BDI in die Außen- und Außenwirtschaftspolitik de r Bundesrepublik gewesen sein, die eine Realisierung der BDI-CNPF-Vereinbarung im anvisierten Sinne verhinderte. Berg selbst schwächte in seiner Erwiderung auf die Kriti k
Erhards ab, es habe sich »zunächst nur einmal um einen ganz allgemeinen Gedankenaustausch« zwische n der deutschen und de r französischen Industri e gehandelt , jegliche Anmaßung vo n staatliche n Funktione n durc h di e Industrie se i völlig fernlie gend157. In europapolitische r Hinsich t bekräftigt e de r BDI-Präsiden t allerding s di e
strikte Ablehnung einer »Ausweitung der Befugnisse de r Montanunion«, insbesondere auch in der Form einer Verbindung des Rüstungspools mit der Montanunion.
Grund genu g also für di e beiden Industrieverbände, weiterhin einen engen Kontakt aufrechtzuerhalten . Di e nächsten zweiseitige n Gespräch e folgte n a m 17 . November 1954 un d am 14./15. Januar 1955 158. Mitte November 1954 entschieden ihrerseits Vertreter de r italienischen Industrie , in dieser Angelegenhei t Verbindun g mi t
BDI und CNPF aufzunehmen. Si e waren beunruhigt über die Möglichkeit eines exklusiven deutsch-französischen Rüstungskartells 159.
Dabei waren die Chancen für ein e Verwirklichung eines europäischen Rüstungspools - i n welcher Ausformun g auc h imme r - vo n Anfan g a n gerin g gewesen 160.
Bald nach der Eröffnung de r diesbezüglichen Regierungskonferenz i m Rahmen der
WEU in Paris am 17. Januar 1955 sollte es sich erweisen, daß das Projekt bei keiner
weiteren Regierun g Unterstützun g fand . Adenaue r un d Erhar d befürchtete n ein e
massive Benachteiligung der deutschen gegenüber der französischen Rüstungswirt schaft, di e Benelux-Länder un d auc h Italie n sahe n di e Gefahr eine s deutsch-fran zösischen Zusammenspiels ohne adäquaten institutionellen Rahmen. Die Rüstungsintegration in Europa - s o das spätere Ergebnis der WEU-Beratungen im Palais de
Chaillot - würd e übe r ein e gewiss e Standardisierung sowi e punktuelle Koopera tionen nich t hinausgehen . Mi t de r Abwendun g de r supranationale n Lösun g wa r
für di e Industrieverbände ei n wichtiges Zie l erreicht. Innerhal b de r Bundesrepu blik allerdings führte di e bald vorgenommene Zusammenfassung de r wesentlichen
156 Etze l übersandt e seine n Kommenta r mi t Begleitschreibe n vo m 3.11.195 4 a n Fritz Ber g und Wil helm Beutler: PAAA, B 17, Bd. 126, Bl. 80-85 u. 89.
157 Ber g an Erhard, 22.11.1954, Abschrift, BA, B 136, Bd. 6894.
158 Bulleti n du CNPF, Februar 1955, Nr. 129, S. 67: Comités mixtes de liaison industrielle.
159 Elen a CALANDRI, The Western European Union Armaments Pool: France's Quest for Security and
European Cooperatio n i n Transitio n 1951-1955 , in : Journal o f Europea n Integratio n Histor y 1
(1995) S. 37-63, hier: S. 50.
160 Pierr e GUILLEN , L a France et l'intégration de la RFA dans l'OTAN, in : Guerres mondiales et conflits contemporains 159 (1990) S. 73-91, hier: S. 86ff.; THOSS (wie Anm. 130) S. 96-103.
222
Andreas Wilkens
Kompetenzen des Rüstungs- und Beschaffungswesens fü r die Bundeswehr im Bundeswirtschaftsministerium z u eine r marktwirtschaftlic h orientierte n Beschaffungs politik mi t deutliche r Einschränkun g de r unmittelbaren Einflußmöglichkeite n de s
BDI161.
Mit der Relance européenne und de r Konferenz vo n Messina Anfang Juni 195 5
setzte die Europapolitik z u eine r neue n Orientierun g an . Im Verhandlungsverlau f
sollte es sich zeigen, daß die Politiker in Deutschland wie in Frankreich das Heft i n
der Hand behielten und wichtige Kompromisse im Zweifelsfall auc h gegen den Widerstand ihrer nationalen Industrieverbände durchzusetzen vermochten, gleichzeitig
aber auch integrativen Lösungen enge Grenzen setzten.
VIII.
Resümierend ließe n sich folgende Ergebniss e dieser Untersuchung zu den direkten
Verbindungen deutscher und französischer Wirtschaftskreise i m ersten Nachkriegsjahrzehnt festhalten :
1. Zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunk t - a b Anfang 194 8 - stellt e sich der
repräsentative Industrieverban d CNPF auf ein e Wiederaufnahme geregelte r Beziehungen zur deutschen Wirtschaft ei n und traf dafür organisatorische Vorkehrungen.
In Erwartung einer baldigen Rückkehr der deutschen Industrie auf die Exportmärkte, aber auc h der Aufnahmefähigkeit de s deutschen Markte s für französisch e Pro dukte schien es dem Industrieverband - u.a . beraten von André François-Poncet der angezeigte Weg, die Wirtschaftsbeziehungen wiede r in der Weise aufzunehmen ,
in der sie vor dem Krieg zum Teil geregelt wurden: durch Branchenübereinkünfte ,
Marktabsprachen und Kartelle.
2. Die deutschen Wirtschaftsvertrete r ware n z u engen und kontinuierliche n Be ziehungen zum CNPF wie zu den Fachverbänden bereit. Soweit erkennbar schickten auch sie sich an, die Zwischenkriegstradition kartellmäßige r Absprachen wieder
aufzunehmen. Fü r si e ging es dabei zunächs t u m di e Rückkehr z u internationale r
Respektabilität.
Ab Ende 1949 wurde der BDI unmittelbar in die europäische wirtschaftliche Zu sammenarbeit einbezogen . I n de r Folg e vermocht e e s de r Industrieverban d seh r
schnell, sein Netz internationaler Beziehunge n auszubauen. Der Weg zu Kartellabsprachen, der sich 1949 konkret abzeichnete, wurde allerdings früh verlegt durch die
Liberalisierungspolitik de r OEEC sowie die in den europäischen Ländern verfolgt e
Anti-Kartell-Politik, die ihren Niederschlag erstmals in den entsprechenden Dispositionen des Schuman-Planes fand.
3. Die kurzfristige Realitä t im deutsch-französischen Verhältni s war aus der Sicht
der deutschen Industrie seit Anfang der 50er Jahre zunächst reichlich mit Konflikt stoff versetzt: Während der Ausweitung des bilateralen Handels zunächst durch den
deutschen, dan n durc h de n französische n Liberalisierungssto p Grenze n gezoge n
waren, bestanden in zahlreichen Einzelbereichen erhebliche Interessendivergenzen .
Zu den auf politischer Eben e verschiedentlich angeregte n gegenseitige n Investitio nen im größeren Umfang ist es nicht gekommen.
161 ABELSHAUSE R (wie Anm . 145 ) S . 99 .
Verständigung von Wirtschaft z u Wirtschaft
223
4. In de r Europapoliti k dagege n fande n BD I un d CNPF ihr >terrai n d'entente< .
Zwar favorisierte die deutsche Industrie früh die Liberalisierung des Handels mittels
der Politik der OEEC, die die französische Industri e i n der ersten Hälfte de r 50er
Jahre mi t deutliche n Reserve n verfolgte . I n de r Ablehnun g vo n Teilintegratione n
nach dem Präzedenzfall de r Montanunion waren sich die Verbände allerdings einig.
Als es darum ging, gemeinsam Mitspracherechte zu sichern und die Neuauflage von
supranationalen Instanze n zu verhindern, konnten die Industrieverbände im Oktober 1954 ein regelrechtes Abkommen schließen, das auf ein Europa der industriellen
Absprachen als Alternative zu einem - etw a in Rüstungsfragen - teilintegrierte n Europa abzielte.
5. Aus der Sicht des BDI hatten die Beziehungen zur französischen Wirtschaf t einen hervorgehobenen , abe r keine n exklusive n Charakter . Hohe n Stellenwer t be saßen etwa auch die Verbindungen zu den amerikanischen und britischen Industrieverbänden. Allerdings macht e sich der BDI durchaus die Formel zueigen, wonach
»im Rahmen de r aufzubauende n europäische n Kooperatio n di e deutsch-französi sche Zusammenarbeit da s Kernstüc k bilde n muß« 162. Diese Grundpositio n wurd e
auch dann nicht revidiert, als in der zweiten Hälfte der 50er Jahre die Interessen von
BDI und CNPF in europapolitischer Hinsicht wiederum stärker auseinanderliefen .
Der BDI sah sich in dieser Phase trotz seines eigenen Drängens auf die Schaffung ei ner große n europäische n Freihandelszon e gern e i n eine r vermittelnde n Positio n
zwischen den kontrastierenden französischen und den britischen Interessen.
Und dies mit gutem Grund: Inzwischen waren sich - wi r sind an der Wende von
den 50er zu den 60er Jahren - Deutschlan d und Frankreich zu den gegenseitig wichtigsten Handelspartnern geworden.
162 Frit z BERG, Entwicklung und Aussichten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit , in: Der Volkswirt,
7.7.1956, Nr. 27, S. 26.
WERNER BÜHRE R
FRANKREICH UN D DA S RUHRGEBIET - MYTHO S UND REALITÄ T
In de n deutsch-französische n Wirtschaftsbeziehunge n spielt e da s Ruhrgebie t al s
Kohle- und Kokslieferant für die lothringische Stahlindustrie lange Zeit eine bedeutende Rolle. Diese Abhängigkeit ließ sich durch privatwirtschaftliche Zusammenar beit und Verflechtung mildern , aber nicht beseitigen. Der Versuch Frankreichs, das
Ruhrproblem machtpolitisc h au s der Welt zu schaffen, scheitert e nach dem Ersten
Weltkrieg nich t zuletz t aufgrun d fehlende r Unterstützun g seiten s de r US A un d
Großbritanniens. Wie notwendig eine radikale Lösung dieses Problems gewesen wäre, dafür lieferte der Zweite Weltkrieg nach französischer Ansich t nachträglich einen
schrecklichen Beweis. 1945 nahm Frankreich einen neuen Anlauf zu r Regelung der
Ruhrfrage. Di e Bereitschaf t de r Amerikane r un d Briten , de n französische n Wün schen entgegenzukommen, war dieses Mal größer. Nach der Erfahrung de s Krieges
war allerdings auch die Versuchung größer, die Bedeutung des Ruhrgebiets als Basis
deutscher Machtpolitik und schwerindustrielle Bastion zu überschätzen. Es dauerte
einige Jahre, ehe dieser Mythos verblaßte.
Der folgende Beitrag geht der Frage nach, wie sich die französische Perzeption der
>Ruhr< zwischen 1945 und 1960 veränderte: Welches Bild dominierte nach Kriegsende, und wie realitätsnah war dieses Bild? Mit welchen Konzepten und Maßnahme n
sollte die >Macht< der rheinisch-westfälischen Industri e gebrochen werden? Wie und
weshalb wandelte sich die französische Perzeption ? Welche Rolle spielten dabei die
zunehmenden Kontakt e mi t Ruhrindustriellen ? Wi e wirkte sic h die institutionali sierte Zusammenarbeit i n der Organisation Européenne de Coopération Economi que (OECE ) und späte r i n de r Europäische n Gemeinschaf t fü r Kohl e un d Stah l
(EGKS/CECA) aus ? Wie reagierten Politi k un d Wirtschaf t i n Frankreic h au f da s
merklich offensivere Auftrete n einzelne r Industrieller seit Mitte der fünfziger Jahre ?
Obgleich de r »Mytho s Ruhrgebiet « gelegentlic h wiede r auflebte , s o das Fazit de s
Beitrags, blieb die pragmatische Sich t des wirtschaftlichen Konkurrenten , di e Anfang der fünfziger Jahre die Oberhand gewonnen hatte, vorherrschend.
I.
Unter de m frische n Eindruc k de s Kriege s dominiert e i n Frankreic h zunächs t da s
Bild vom Ruhrgebiet als Waffenkammer un d wirtschaftliche Schaltzentral e Deutschlands: »Les nécessités de la guerre ont encore accru l'influence d e la >Ruhr< sur l'ensemble d e l'Economi e d u Reich, voire d e l'Europe ; sièg e d e nouvelle s industries ,
fournisseur d'énergie et de matières premières, la >Ruhr< n'a cessé d'accroître son rôle
d'animatrice de toutes les activités allemandes, et, constatation plus évidente que jamais, son rôle de dominatrice s'est développé de façon sans doute plus considérable
226
Werner Bührer
que celui-là«, hieß es noch im Dezember 1946 in einer Studie1. Die »Ruhrmagnaten«
wurden für di e Verbrechen des Nazi-Regimes mitverantwortlich gemach t und sollten enteignet werden . Eine Verstaatlichung, die eine neue, noch größer e Machtzu sammenballung zur Folge gehabt hätte, wurde allerdings abgelehnt; wie Außenminister Bidault dem britischen Botschafter i m Februar 194 7 versicherte , würde er dieser
Möglichkeit sogar »die Rückkehr von Herrn Stinnes« vorziehen2. Als beste Lösung
galt die Abtrennung des Ruhrgebiets vom künftigen Deutschlan d in Form eines internationalisierten Territoriums. Für dieses Ziel hatte sich General de Gaulle bereits
als Che f de r provisorische n französische n Regierun g star k gemacht : »Di e wirt schaftliche Sicherheit ganz Europas hängt von der Ruhr ab«, hatte er in einem Interview mit der Londoner »Times « vom 10 . September 194 5 erklärt; »wenn Deutschland allei n di e Kontroll e übe r ein e jährliche Kohlenerzeugun g vo n 14 0 Millionen
Tonnen sowi e über die Ruhrindustrie hat , wird e s seine wirtschaftliche Mach t und
damit die Voraussetzung dafü r wiedergewinnen , erneu t ein e Bedrohung darzustel len«3. Diese Linie verfochten auc h die nachfolgenden Regierungen , doch stießen sie
damit in Washington und Londo n zunehmen d au f Widerstand 4. Im Frühjahr 1947 ,
als ein e Internationalisierun g nac h französische n Vorstellunge n imme r unwahr scheinlicher wurde, kam schließlich der Gedanke auf, deutsche Stahlkapazität in der
Größenordnung von 5 Millionen Tonnen nach Frankreich zu verlagern. Dieser Vorschlag wurde hauptsächlich friedenspolitisch begründet , obwohl auch eine standortpolitische Rechtfertigung - Kostenvorteil e bei der Produktion von Massenstahl nach
dem Thomasverfahren - denkba r gewesen wäre5.
Inwieweit stimmt e di e Perzeptio n vo m »Machtzentru m Ruhrrevier « un d de r
schwerindustriellen Komplizenschaf t mi t de m nationalsozialistische n Regim e mi t
der historischen Realität überein? Und waren die einzelnen Vorschläge den französischen Zielen überhaupt dienlich? Zweifellos hatte die Ruhrindustrie die Machtüber1 »Aspects économique s et administratifs de la situation dans la 'Ruhr'«, Studie v. 23.12.1946, Bulletin
d'Etudes Nr . 51, Archives d u Ministèr e de s Affaire s étrangère s (AMAE) , Y 1944-49, Paix/RuhrRhénanie, vol. 392.
2 Zit. n. Rolf STEININGER, Reform un d Realität. Ruhrfrage un d Sozialisierung in der anglo-amerikani schen Deutschlandpolitik 1947/48 , in: Vierteljahrsheft e fü r Zeitgeschichte (VfZ) 27 (1979) S. 169-240,
hier S . 186 . Vgl. auc h Werner BÜHRER , Di e französisch e Ruhrpoliti k un d da s Comebac k de r west deutschen Schwerindustrielle n 1945-1952 , in : Pete r HÜTTENBERGER , Hansgeor g MOLITO R (Hg.) ,
Franzosen und Deutsche am Rhein: 1789 - 191 8 - 1945 , Essen 1989 , S. 27-46, bes. S. 33-37.
3 Zit . n . Erns t DEUERLEIN , Di e Rhein-Ruhr-Frag e nac h de r Kapitulation , in : Walte r FORS T (Hg.) ,
Ruhrgebiet un d neue s Land , Köln , Berlin 1968 , S. 155-202 , hier S. 188 ; vgl. auc h Memorandum de r
französischen Regierun g v. 12.1.1946 , AMAE, Y 1944-49, Paix/Ruhr-Rhénanie, vol. 389.
4 Vgl . dazu Raymon d POIDEVIN , Frankreic h und di e Ruhrfrage 1945-1952 , in: Historische Zeitschrif t
228 (1979) S. 317-334, bes. S. 317-325; John GILLINGHAM , Di e französische Ruhrpoliti k un d die Ursprünge des Schumanplans, in: VfZ 3 5 (1987) S. 1-24 , bes . S. 1-10; Rolf STEININGER , Ei n neues Lan d
an Rhein un d Ruhr . Die Ruhrfrag e 1945/4 6 un d di e Entstehung Nordrhein-Westfalens , Köl n 1990 ,
S. 70-122.
5 Vgl . BÜHRE R (wi e Anm. 2); Lothringen-Stahl stat t Ruhrstahl? Stellungnahme z u de m französische n
Vorschlag einer Verlagerung rheinisch-westfälischer Roheisen - und Rohstahlerzeugung nac h Frankreich, Düsseldorf 1947 . Zur Frage der Standortvorteile vgl. Ulrich WENGENROTH, Partnerschaf t ode r
Rivalität? Die Beziehungen zwischen der deutschen und der französischen Schwerindustri e vom späten 19 . Jahrhundert bi s zur Montanunion, in : Yves COHEN , Klau s MANFRAS S (Hg.), Frankreich un d
Deutschland. Forschung , Technologi e un d industriell e Entwicklun g i m 19 . un d 20 . Jahrhundert ,
München 1990 , S. 321-330.
Frankreich und das Ruhrgebiet - Mytho s und Realität
227
nähme Hitler s un d desse n au f di e Zerschlagun g de r Arbeiterbewegun g gerichtet e
Politik unterstützt, ebenso, schon wegen der damit verbundenen Profite, die forcierte Aufrüstung. Vergliche n mit dem Ersten Weltkrieg war der Expansions- und Annexionsdrang de r etablierte n Konzern e jedoc h »unterentwickelt« 6. Währen d de r
wirtschaftliche Handlungsspielrau m zumindes t de r Großunternehme n neuere n
Forschungen zufolge weniger von seiten des Staates, sondern vielmehr von »Außenseitern« wie Flick oder den Hermann-Göring-Werken eingeschränkt wurde, war der
politische Einfluß ehe r gering 7. Der Zusammenhalt, wie er in der Weimarer Zeit in
der sogenannte n Ruhrlad e seine n sinnfälligste n Ausdruc k gefunde n hatte , ging jedenfalls weitgehen d verloren . Di e wirtschaftliche n »Erfolgsgeheimnisse« , di e Verbundwirtschaft un d di e räumliche Nähe zu r Weiterverarbeitung, bliebe n hingege n
unangetastet.
Nach 194 5 versuchten di e Ruhrindustriellen, dies e Trümpfe z u verteidigen . Bemerkenswerterweise ware n e s zunächs t nich t di e Franzosen , sonder n di e fü r da s
Ruhrgebiet al s Besatzungsmach t hauptverantwortliche n Briten , di e mi t ihre r i m
Frühjahr 194 7 eingeleiteten Entflechtungspolitik diese n Vorteil zunichte zu machen
drohten8. Entsprechend massi v war der Widerstand, der sich in den Konzernen dagegen regte 9. De r Differenzierungsproze ß i n de r Unternehmerschaft , de r bereit s
während des »Dritten Reiches« eingesetzt hatte, wurde durch diese britische Politik
noch verstärkt. Ein Teil der Manager war nämlich - se i es aus Opportunismus, sei es
aus Überzeugung - bereit , mit der britischen Militärregierung zusammenzuarbeiten ;
zu dieser Gruppe zählten Heinrich Dinkelbach, Heinrich Kost und Willy Schlieker.
Ein zweiter, kleiner Kreis, zu dem Günter Henle von Klöckner und Hans-Günthe r
Sohl von den Vereinigten Stahlwerken gerechnet werden können, hielt eine gewisse
Entflechtung aus wirtschaftlichen un d firmenpolitischen Gründe n für sinnvoll. Diese Industriellen waren offen fü r neue Wege in der Industrie- und Wirtschaftspolitik ,
aber auch in der internationalen Politik, ohne deshalb als »Kollaborateure« mi t den
Besatzungsmächten verschrie n z u werden . Ei n dritte r Kreis , repräsentier t durc h
Hermann Reusc h von der Gutehoffnungshütte un d Walter Schwede von den Ver6 Z u den Zielen schwerindustrieller Kreis e vor dem und im Ersten Weltkrieg vgl. Willibald GUTSCHE ,
Die deutsche n Montanmonopol e un d Großbanke n un d di e französischen Erzfelde r vo r de m erste n
Weltkrieg, in: Zeitschrift fü r Geschichtswissenschaft 2 4 (1976) S. 681-706; Fritz FISCHER , Grif f nac h
der Weltmacht. Di e Kriegszielpoliti k de s kaiserliche n Deutschlan d 1914/18 , Kronber g 197 7 (Nach druck) S . 216-219 ; Georges-Henr i SOUTOU , Uo r e t le sang. Les but s de guerre économique s de la
Première Guerre mondiale, Paris 1989, S. 51-85.
7 Vgl . John GILLINGHAM , Industr y an d Politic s in the Third Reich . Ruhr Coal , Hitle r an d Europe ,
Stuttgart 1985; Gerhard Th . MOLLIN, Montankonzern e un d »Dritte s Reich« . De r Gegensat z zwi schen Monopolindustrie und Befehlswirtschaft i n der deutschen Rüstung und Expansion 1936-1944 ,
Göttingen 1988 .
8 Vgl . STEININGE R (wi e Anm . 2) ; Horst LADEMACHER , Di e britisch e Sozialisierungspoliti k i m Rhein Ruhr-Raum 1945-1948 , in : Claus SCHARF , Hans-Jürge n SCHRÖDE R (Hg.) , Di e Deutschlandpoliti k
Großbritanniens und die britische Zone 1945-1949 , Wiesbaden 1979 , S. 51-92.
9 Vgl . Werner BÜHRER , Ruhrstah l un d Europa . Die Wirtschaftsvereinigun g Eisen - und Stahlindustri e
und die Anfänge der europäischen Integration, München 1986 , S. 46-51; Gloria MÜLLER, Mitbestim mung in der Nachkriegszeit. Britisch e Besatzungsmach t - Unternehme r - Gewerkschaften , Düssel dorf 1987 ; Gabriele MÜLLER-LIST (Bearb.), Neubeginn bei Eisen und Stahl im Ruhrgebiet. Die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der nordrhein-westfälischen Eisen - und Stahlindustrie 1945-1948 , Düsseldorf 1990 .
228
Werner Bührer
einigten Stahlwerken, visierte eine möglichst weitgehende Restauration de r frühe ren Verhältniss e an . Eine vierte Grupp e umfaßt e diejenige n Industriellen , welch e
durch ihre enge Verbindung zum NS-Machtapparat i n der Unternehmerschaft dis kreditiert ware n - Walte r Rohlan d vo n de n Vereinigte n Stahlwerke n etwa . Ein e
Sonderrolle nahmen Krupp und Flick ein, die in Nürnberg unter Anklage standen;
die unternehmerische Solidarität mit Krupp war sehr groß, andererseits galt Krupp in
französischen Auge n als Symbolfigur fü r di e Ruhrindustrie. Kurzum, unumstrittene schwerindustriell e »Führer « wi e Erns t Poensgen , Alber t Vogle r ode r Pau l
Reusch fehlten nach 1945 - ein e Situation, die in Frankreich übrigens durchaus erkannt wurde10.
Eine Art ruhrindustrielle r Schaltzentral e existiert e also nicht mehr , und i m Falle
einer Verwirklichung de r französischen Internationalisierungsplän e wäj e de r noc h
vorhandene Einfluß de r Industriellen au f ei n Minimum reduzier t worden. Bei entsprechender Ausstattun g der Kontrollorgane wäre die Gefahr unerwünschte r Ent scheidungen seitens der Ruhrunternehmen alle r Wahrscheinlichkeit nach gering gewesen. Eine Verlagerung hätte hingegen ein beträchtliches Potential in Deutschland
belassen; nach industrieinterne n Schätzunge n wa r 1946/4 7 eine Produktionskapa zität von rd. 1 2 Millionen Tonnen Rohstahl pro Jahr vorhanden 11, nach eine r Produktionsverlagerung folglich immer noch mindestens 7 Millionen Tonnen. Überdies
wäre es , günstige Konjunkturbedingunge n vorausgesetzt , kau m möglic h gewesen ,
Kapazitätsausweitungen z u unterbinden. Der Vorzug des Verlagerungskonzepts bestand in erster Linie darin, daß es politisch und wirtschaftlich einigermaße n plausibel
begründet werden konnte; eine langfristige Garanti e gegen ein Wiedererstarken der
Ruhrindustrie bot es nicht. Daß entsprechende Vorsichtsmaßnahmen unbedingt erforderlich waren , darüber herrschte in Frankreich jedoch Einigkeit. Die Ruhrplän e
waren, mit anderen Worten, durchaus ernstgemeint, sie dienten keineswegs nur als
diplomatisches »Spielmaterial«. Fraglich war indes, ob der französische Einflu ß ausreichen würde, diese Pläne zu verwirklichen. Der Verlagerungsvorschlag deutete bereits an, daß die französische Seite notfalls auch auf indirektem Wege zum Ziel zu gelangen hoffte .
IL
Nach der Verkündung des Marshallplans im Juni 194 7 sanken die Chancen für ein e
Realisierung der ursprünglichen französischen Ruhrplän e weiter. Der Versuch ruhrindustrieller Kreise , Kontakte nach Lothringen z u knüpfen, bo t deshal b eine willkommene Gelegenheit , neu e Möglichkeiten de r Einflußnahm e un d Kontroll e auszukundschaften. I m November 194 7 trafen sic h Vertreter de r de Wendel- und de r
ARBED-Gruppe au f der einen und der Ruhrindustrie auf der anderen Seite. In den
Gesprächen gin g e s vor alle m um französisch e Kapitalbeteiligunge n a n deutsche n
Bergwerken i n de r Größenordnun g vo n bi s z u 5 0 Prozent; di e Ruhrindustrielle n
10 Vgl . beispielsweise den Bericht über die Haltung des Bundesverbands der Deutschen Industrie zum
Schumanplan v. 17.6.1950, Présidence du Conseil, SDECE, Archives de l'Occupation Française en
Allemagne et en Autriche (AOFAA), SGAAA, G - questions économiques, paquet 55.
11 Vgl . BÜHRE R (wie Anm. 9) S. 66.
Frankreich und das Ruhrgebiet - Mytho s und Realität
229
wollten au f dies e Weis e di e britisch e Entflechtungspoliti k unterlaufen 12. Wei l di e
Unternehmer aus Frankreich und Luxemburg angesichts der zu erwartenden außenpolitischen Komplikatione n vo r Verhandlunge n übe r Beteiligunge n noc h zurück schreckten, blieb dieses erste Treffen zwa r ohne konkretes Ergebnis; freilich dürft e
ihnen kau m entgange n sein , daß di e Ruhrkonzerne u m ih r wirtschaftliches Über leben kämpften - ein e Erfahrung, die geeignet war, alte Ängste vor dem vermeintlich
übermächtigen Konkurrenten abzubauen.
Diese und spätere Kontakte beschränkten sich keineswegs auf die Gruppe der kooperationswilligen Unternehmer ; ganz bewußt wurde das Gespräch mit Industriellen wie Reusch und Schwede gesucht, die als die eigentlich Mächtigen galten 13. Auf
deutscher Seite bemühte sich insbesondere Günter Henle nach Kräften darum , dem
Nachbarn im Westen die Angst davor zu nehmen, »verspeist« zu werden. Sein Plädoyer fü r eine n deutsch-französische n wirtschaftliche n Zusammenschlu ß unte r
Führung Frankreichs war zugleich der Versuch, ein neues Image für di e Ruhrindustrie zu kreieren: kooperationsbereit, dem freien Wettbewerb verpflichtet, westlich europäisch orientiert , immu n gege n »nationalistisch e Aufwallungen« 14. Vereinzel t
wurde auch einer Wiederbelebung des Koks-Erz-Austauschs zwische n Lothringe n
und dem Ruhrgebiet das Wort geredet; allerdings betrachteten die Stahlindustriellen
des Reviers diesen Vorschlag eher als Geste denn als Ausdruck wirtschaftlicher Not wendigkeit, bevorzugte n si e doch scho n sei t de n zwanzige r Jahren hochwertiger e
Erze vor allem aus Schweden 15. Im Jahr 194 8 betrug der Anteil lothringischer Erz e
am westdeutschen Verbrauch lediglich 1 0 Prozent 16.
Eine weitere For m institutionalisierte r Zusammenarbei t au f (privat)wirtschaftli cher Ebene stellten schließlich internationale Kartelle dar. Der Gedanke einer Neuauflage der Internationalen Rohstahlgemeinschaft vo n 1926 bzw. der Internationalen
Rohstahlexportgemeinschaft wurd e End e de r 1940e r Jahre au f beide n Seite n de s
Rheins diskutiert; die maßgeblichen Ruhrindustriellen erkannte n jedoch rasch, daß,
vom Widerstand der Amerikaner einmal abgesehen, eine Kartellierung unter den damaligen Bedingungen - fü r di e Bizone galt ein alliiertes Produktionslimit vo n 10,7
Millionen Tonne n Rohstah l pr o Jah r - weni g vorteilhaf t gewese n wäre 17. Hinz u
kam, daß die Kartellpläne in politischen Kreise n Frankreichs au f Skepsis oder Ablehnung stießen . Ein e Beeinflussung ode r ga r Kontroll e de r Kartellpartner , zuma l
der wirtschaftlic h bedeutenderen , die s lehrte n jedenfall s di e Erfahrunge n au s de r
Zwischenkriegszeit, wa r kau m möglich . Wenn diese Ziele erreicht werde n sollten ,
mußten folglich andere Wege beschritten werden.
Die französische Regierun g versuchte Washington und Londo n deshalb von der
Notwendigkeit politische r Kontrollinstanze n z u überzeugen, wenn scho n eine Internationalisierung de s Ruhrgebiets al s Option ausschied . Ergebnis diese r Bemüh ungen ware n da s Ruhrstatut un d di e Internationale Ruhrbehörd e (IRE) . Das Ab 12 Vgl . GILLINGHA M (wi e Anm . 7 ) S . 166 ; BÜHRE R (wi e Anm . 2 ) S . 33-37 .
13 Vgl . z u diese n Treffen Werne r BÜHRER , Wegbereite r de r Verständigung. Deutsch-französisch e In dustriellenkontakte 1947-1955 , in: Revue d'Allemagne 23 (1991) S. 73-86.
14 Henl e in einer Aufzeichnung vo m 22.11.1949, zit.n. BÜHRER (wie Anm. 9) S. 134.
15 Vgl . WENGENROT H (wi e Anm . 5 ) S . 326 .
16 Vgl . POIDEVI N (wi e Anm . 4 ) S . 329 .
17 Vgl . BÜHRE R (wie Anm . 9 ) S . 156-165 .
230
Werner Bührer
kommen sollte sicherstellen , »da ß di e Bodenschätz e de r Ruh r i n Zukunf t nich t
für Aggressionszwecke , sonder n nu r i m Interesse des Friedens genutzt « würden 18.
Noch Ende 1948 dominierte also das Bild vom Ruhrgebiet als Aggressionspotential.
Mit Hilfe der im Mai 1949 gegründeten Ruhrbehörde hoffte n di e Franzosen, dieses
Potential unter Kontrolle halten zu können. Allerdings konnte die neue Behörde lediglich das Verhältnis zwischen deutschem Verbrauch und Ausfuhr steuern , und auf
Frankreich entfielen nu r drei von insgesamt 1 5 Stimmen im Rat der IRB. Französische Befürchtungen, di e Deutsche n könnten das Kontrollsyste m unterlaufen, erwiesen
sich jedoch al s unbegründet. Dennoch , al s langfristige Lösun g taugt e diese s Ruhr regime nicht. Immerhin scheint es zu einer »Veränderung des psychologische n Klimas«
beigetragen z u haben , wie der langjährig e Stahlverbandsgeschäftsführe r un d CDU Bundestagsabgeordnete Han s Dichgans rückblickend konstatierte: »Man sprach miteinander, baute Vertrauen auf und suchte gemeinsam erträgliche Kompromisse«19.
III.
Das Problem, de m sich die französische Ruhrpoliti k End e 1949 , Anfang 195 0 gegenübersah, läßt sich folgendermaßen umreißen: Die Chancen, eine erneute deutsche
Stahlhegemonie mit machtpolitischen Mitteln verhindern zu können, standen denkbar schlecht . Insbesonder e di e USA hatte n deutlic h z u verstehe n gegeben , daß die
einseitigen alliierte n Restriktione n s o bal d wi e möglic h abgebau t werde n sollten .
Wollte die Regierung in Paris das Ziel der Kontrolle des deutschen Potential s nich t
gänzlich aufgeben, mußt e sie auf außerökonomisch e Zwangsmitte l verzichten un d
einen Mechanismus installieren, den weder die beiden anderen westlichen Besatzungsmächte noch di e Deutschen al s diskriminierend ablehne n konnten . E r mußt e alle n
Beteiligten gleiche Rechte garantieren, die »natürlichen« Gegebenheite n berücksich tigen und vor allem allein wirtschaftlichen Notwendigkeite n unterliegen. Motiv und
Zielsetzung dieser Politik blieben unverändert: »The only way to avoid German domination of Europe is to hâve Europe dominate the Ruhr«, auf diese prägnante Formel brachte der sozialistische Politiker André Philip die französische Konzeption 20.
Die Verantwortlichen i n Pari s ware n überzeugt , da ß ein e derartig e Politi k de n
Handlungsspielraum de r Schwerindustrielle n jenseit s de s Rheins s o weit einenge n
würde, daß die französischen Interesse n gewahrt blieben. Für einen solchen Vorstoß
schien es höchste Zeit, denn in der zweiten Hälfte des Jahres 1949 häuften sich , von
der französischen Diplomati e sorgfälti g registriert , deutsche und ausländisch e Zeitungsberichte übe r di e wachsende »Macht « de r Großindustrie 21. Daneben wurde n
18 Ruhrstatu t v. 28.12.1948, zit. n. Horst LADEMACHER , Walte r MÜHLHAUSEN (Hg.) , Sicherheit - Kon trolle - Souveränität . Das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949 . Eine Dokumentation ,
Melsungen 1985 , S . 74-86 , hie r S . 74 . Vgl . außerde m Carste n LÜDERS , Da s Ruhrkontrollsystem .
Entstehung und Entwicklung im Rahmen der Westintegration Westdeutschlands 1947-1953 , Frankfurt, New Yor k 1988 , S. 87-151.
19 Han s DICHGANS , Montanunion. Menschen und Institutionen, Düsseldorf, Wien 1980, S. 40.
20 Berich t übe r eine n Vortra g Philip s v . 27.10.1949, Archi v de s Breme r Ausschusse s fü r Wirtschafts forschung, Bestand H 12,1948-1951.
21 François-Poncet an Schuman v . 5.11.1949 u . Bonnet an Schuman v . 9.12.1949, AMAE, Europ e
1949-1955, Allemagne, vol. 280.
Frankreich und das Ruhrgebiet - Mytho s und Realität
231
auch auf eigen e Faust Informatione n übe r Einstellung und Absichte n schwerindu strieller Kreise gesammelt. Ein Mitarbeiter des Hohen Kommissars François-Poncet
nahm beispielsweise von einem Essen mit Kost und Henle den Eindruck mit, »que
les grands industriels exercent sur le Chancelier une influence qu i paraît s'accroîtr e
tous les jours et qu'ils le poussent à la constitution d'un bloc bourgeois et à une politique de plus en plus conservatrice«22. Mochte diese Sorge auch übertrieben sein, die
zunehmenden Aktivitäte n der Ruhrindustrie waren eine Tatsache. Diese Konstellation gebar den Schumanplan.
Ziel de r Initiativ e Jean Monnet s un d Rober t Schuman s wa r es , wie e s in de m
bekannten Memorandu m Monnet s vo m 3 . Mai 195 0 hieß, ein e »Herrschaf t de r
deutschen Industrie , dere n Existen z i n Europ a ein e Furch t verursache n würde ,
die Grund ständige r Unruhe wäre«, zu verhindern und für beid e Industrien »Bedingungen gemeinsame r Expansio n i n der Konkurrenz « z u schaffen . Z u diese m
Zweck mußten allerdings die in Frankreich als »künstlich« eingestuften Standort vorteile de r Ruhrindustri e wi e Verbundwirtschaft , höher e Export - al s Inlands preise für Kohl e und ungleich e Frachttarife fü r deutsch e un d ausländisch e Kun den beseitigt werden 23.
Jenseits de r nich t zuletz t innenpolitisc h motivierte n Warnun g vo r eine r wirt schaftlichen Hegemoni e Westdeutschland s wa r de r Schumanpla n Resulta t eine r
nüchternen Betrachtun g de s Konkurrente n jenseit s de s Rheins . Desse n Vorteil e
wurden sachlich analysiert, ohne irgendwelche »Geheimnisse« dafür verantwortlic h
zu machen. Daß die wirtschaftliche Rechnun g dennoch nicht ganz aufging, weil das
Ruhrgebiet auc h unter de n Bedingunge n de r von Monnet und seine n Mitstreiter n
propagierten »concurrence loyale« einen gewichtigen Wettbewerbsvorteil besaß, resultierte nicht aus einer mystifizierenden Sich t der Ruhrindustrie, sondern in erster
Linie aus einer Fehleinschätzung de r künftigen Entwicklun g de s Wettbewerbsfak tors de r Marktnähe. Zwar war den französischen Experte n durchaus bewußt , da ß
die Ruhrkonzerne hie r einen Vorsprung hatten, doch vertrauten si e darauf, daß die
geplante Montanunion diese n Vorteil ausgleichen würde - ein e irrtümliche Erwar tung, wie sich später herausteilte24.
Der Schumanplan markierte das Ende aller ernstgemeinten Versuche, die Ruhrindustrie z u entmachten ; nu n gin g es >nur< noch u m Kontrolle . Zumindest Monnet
verstand den Montanpool dessenungeachtet al s Versuch, die französischen Inferio ritätsgefühle z u bekämpfen und den Industriellen seines Landes zu einem unverzerr22 François-Poncet an Außenministerium v. 29.4.1950, ibid., vol. 221 .
23 Zit.n . Gilbert ZIEBURA , Die deutsch-französischen Beziehunge n seit 1945 . Mythe n und Realitäten,
Pfullingen 1970 , S. 195-200 . Zu m Schumanpla n vgl . Alan S. MILWARD, Th e Reconstruction of
Western Europe 1945-51, London 1984 , S. 362-420; Raymond POIDEVIN , Robert Schuman - homme d'État 1886-1963, Paris 1986, S. 244-296; BÜHRER (wie Anm. 9) S. 165-215 ; John GILLINGHAM ,
Coal, steel, and the rebirth of Europe, 1945-1955. The Germans and French from Ruh r conflict t o
economic Community , Cambridg e 1991 ; Dirk SPIERENBURG , Raymon d POIDEVIN , Histoire de la
Haute Autorité de la Communauté Européenne du Charbon et de l'Acier. Une expérience supranationale, Brüssel 1993 , S. 9-52.
24 Vgl . Constantin GOSCHLER, Christoph BUCHHEIM , Werner BÜHRER, Der Schumanplan als Instrument französischer Stahlpolitik . Zur historischen Wirkung eines falschen Kalküls, in: VfZ 27 (1989)
S. 171-206.
232
Werner Bührer
ten Bild der deutschen Konkurrenz zu verhelfen. Schon in den Verhandlungen über
den Vorschlag Schumans stellte sich dieser Effekt ein : Vo n Beginn an wurde deutlich,
wo die Stärken und Schwäche n der Ruhrindustrie lagen . Und i n der Endphase, als
die Ruhrindustrie massi v gegen die geplanten Antikartell- und Antifusionsbestim mungen zu Felde zog, gelang es ihr letztlich nicht, die Bundesregierung für ihre Ziele einzuspannen25. Diese Erfahrungen sorgten ebenso für eine realistischere Sicht des
Nachbarn wie die im Zeichen der deutsch-französischen Verständigun g zunehmenden Industriellenkontakte , insbesonder e zwische n de m Bundesverban d de r Deut schen Industrie (BDI) und dem Conseil National du Patronat Français (CNPF)26. So
zeigte sich beispielsweise der Präsident der Chambre Syndicale, Pinot, der zwei Jahre in Deutschland verbracht hatte, »erstaunt über die Bereitwilligkeit und den guten
Willen zur Zusammenarbeit«, den er »auf technischem und kaufmännischem Gebie t
bei den Werksdirektoren un d de n leitende n Persönlichkeite n de r deutschen Stahl industrie und der Wirtschaftsvereinigung (Eisen - und Stahlindustrie; W.B.) angetroffen« hatte27.
IV.
Zum Zeitpunk t de r Paraphierun g de s EGKS-Vertrage s konnte n di e französische n
und deutschen Vertreter in den Kohle- und Stahlkomitees der OECE bereits auf eine
etwa dreijährige Zusammenarbei t zurückblicken . Verläßliche Rückschlüsse auf den
künftigen Kur s de r deutsche n Montanindustrielle n ware n i n diese n Jahre n zwa r
kaum möglich, weil deren Handlungsspielraum durc h alliierte Restriktionen eingeengt wa r un d de r Bundesministe r fü r de n Marshallplan , Fran z Blücher , überdie s
zunächst »Zurückhaltung« verordne t hatte 28. Die regelmäßigen Kontakte, die Gelegenheit, Informatione n auszutausche n un d di e Planungen de s Partners kennen zulernen, truge n dennoc h z u eine r realitätsnähere n französische n Perzeptio n de r
>Ruhr< bei.
25 Vgl . François-Poncet an Außenministeriu m v . 3.3.1951 , AMAE , Europe 1949-1955, Généralités,
vol. 66; BÜHRER (wie Anm. 9) S. 197-206; Klaus SCHWABE, >Ein Akt konstruktiver Staatskunst< - die
USA und die Anfänge de s Schumanplans, in: DERS. (Hg.) , Die Anfänge de s Schumanplans 1950/51 .
Beiträge de s Kolloquium s i n Aachen, 28.-30 . Ma i 1986 , Baden-Bade n u.a . 1988 , S . 211-239, bes .
S. 228-238; Isabel WARNER , AUied-Germa n Negotiations on the Déconcentration of th e West German Steel Industry , in: Ian D. TURNE R (Hg.) , Reconstruction in Post-War Germany . British Occupation Policy an d th e Wester n Zones, 1945-55, Oxfor d u.a . 1989 , S. 155-185 ; John GILLINGHAM ,
ean Monnet and th e Europea n Coa l an d Stee l Community : A Preliminary Appraisal , in : Dougla s
BRINKLEY, Cliffor d HACKET T (Hg.) , Jean Monnet : The Pat h t o Europea n Unity , Houndmill s u.a .
1991, S . 129-162 ; Gérard BOSSUAT, L a France , l'aide américain e et la constructio n européenn e
1944-1954, Paris 1992, S. 767-785.
26 Vgl . Fün f Jahr e BDI . Aufba u un d Arbeitsziel e de s industrielle n Spitzenverbandes , hg . v . Bundes verband de r Deutschen Industrie , Bergisch-Gladbac h 1954 , S. 177f. ; Werner BÜHRER , Germa n In dustry and European Integration in the 1950s , in: Clemens WUR M (Hg.) , Western Europe and Germany. Th e Beginning s o f Europea n Integratio n 1945-1960 , Oxford , Washingto n 1995, S . 87-114 ,
hierS.96f.
27 Vortra g Pinot v. 17.4.1951 , Handakten Salewski (Kopie im Besitz des Verf.).
28 Vgl . Berich t übe r di e Sitzun g des ERP-Spiegelkomitee s Eise n un d Stah l v . 29.3.1950, Archi v de r
Wirtschaftsvereinigung Stahl , Alt-Registratur, Eisen- u. Stahlkomitee der OEEC, 9.3.1949- 30.9.1950.
Frankreich und das Ruhrgebiet - Mytho s und Realität
233
Dies bedeutet nicht, daß die Zusammenarbeit insbesondere im Stahlkomitee ohne
Störungen verlaufen wäre. Wenn der deutsche Vertreter das ausgesprochen freundli che Klima in diesem Komitee lobte und die Unterstützung seiten s anderer Delegationen hervorhob, so meinte er damit nicht die französische Vertretung 29. Von dieser
Seite kamen nämlich in den Anfangsjahren de r OECE wiederholt Einwänd e gegen
deutsche Projekte ; insbesonder e di e nac h Ansich t stahlindustrielle r Kreis e i n de r
Bundesrepublik dringen d notwendig e Breitbandstrass e stie ß au f massive n Wider stand30. Noch 195 2 bat der Französische Hohe Kommissar die Bundesregierung, einen entsprechenden Antra g an die OECE zurückzuziehen - freilic h ohn e Erfolg 31.
Nicht aus diesem Grund, sondern weil ihnen das Zustimmungsverfahren al s zu langwierig erschie n un d ander e Finanzierungsquelle n zu r Verfügun g standen , plante n
die Deutschen ihre Vorhaben jedoch seit den frühen fünfzige r Jahre n an der OECE
vorbei32. Ungeachte t diese r Differenze n übe r di e Investitionspoliti k normalisiert e
sich da s Verhältnis zwische n Deutsche n un d Franzose n i n der OECE jedoch zu sehends33.
Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich in der Montanunion. Auch hier entstanden Meinungsverschiedenheiten übe r die >richtige< Investitionspolitik de r Hohe n
Behörde, über Preisgestaltung, Anpassungsbeihilfen, Schrottversorgun g oder Kartellfragen34. Di e Normalisierung gerad e der Beziehungen zwische n französische n
und deutsche n Stahlbeamte n un d -industrielle n schrit t dennoc h voran : »Obwoh l
viele Experten, die noch das Tauziehen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg erlebt hatten , de r Tätigkei t de r Luxemburge r Beamtenschaf t i m Anfang mi t Zwei feln und Befürchtungen begegneten , enstand sehr bald eine Atmosphäre allgemeinen Vertrauens«, so noch einma l Dichgans: »Wer Wünsche in Luxembur g hatte ,
mußte mi t eine r intensive n kritische n Prüfun g rechnen . Abe r e r konnt e siche r
sein, da ß e s nich t national e Argument e waren , di e ein e Ablehnun g begründe ten«35. Diese Bedingunge n erleichterte n e s den Montanindustrielle n au s Frank reich und den anderen Mitgliedsländern, die Ruhrindustrie als >normale< Konkurrenz zu betrachten.
29 Namentlic h erwähn t wurde lediglich die englische Delegation; ibid.
30 Vgl . Sitzung Unterausschuß Eisen und Stahl v. 27.6.1950, Klöckner-Archiv, NL Henle , Europäisch e
Gemeinschaften/Schuman-Plan, Juni-30.8.1950 ; Aktennoti z übe r ein e Besprechun g mi t Mr . Sim mons, ECA Washington, v. 6.10.1950, ibid., Korrespondenz I-Z, Mai 1950 -Juli 1952 .
31 Vgl . Aide-Mémoire v. 13.5.1952, Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, N.A., Abt. II, Az. 318-02,
Bd.4. E s handelte sich um ein Projekt der August-Thyssen-Hütte, verbunden mit einem Ausbau der
Rohstahlkapazität au f 1 Mio. Jahrestonnen. Gleichzeiti g war der Ausbau de s Hüttenwerks Waten stedt-Salzgitter auf 850000 Mio. Jahrestonnen beantragt worden. Die Bundesregierung lehnte dieses
Ansinnen ab , wies de n Leiter der OECE-Vertretung jedoc h an, »durch den deutschen Spreche r i m
Stahlkomitee vo r Behandlun g de r deutschen Anträg e Fühlun g mi t seine m französische n Kollege n
aufnehmen zu lassen, um in freundschaftlicher For m die Notwendigkeit der deutschen Projekte diesem nochmals zu begründen«; vgl. Vermerk v. 15.5.1952 , ibid.
32 Vgl . zur Frage der Finanzierung Heiner R. ADAMSEN , Investitionshilf e fü r die Ruhr. Wiederaufbau ,
Verbände und Soziale Marktwirtschaft 1948-1952 , Wuppertal 1981.
33 Vgl . daz u allgemei n Werne r BÜHRER , Wirtschaftlich e Zusammenarbei t i m multilaterale n Rahmen .
Die Bundesrepublik und Frankreich in der OECE, in: Revue d'Allemagne 25 (1993) S. 553-564.
34 Vgl . Jean MONNET , Erinnerungen eine s Europäers , München/Wien 1978 ; GILLINGHAM (wi e Anm .
23) S . 299-363 ; SPIERENBURG, POIDEVI N (wi e Anm . 23)
35 DICHGAN S (wie Anm . 19 ) S . 86/87 .
.
234
Werner Bührer
V.
Mythen haben bekanntlich ein langes Leben. So kann es nicht verwundern, daß das
Bild der mächtigen und unbelehrbaren Ruhrindustri e i m Laufe der fünfziger Jahr e
gelegentlich wieder auflebte. Ausgelöst wurden solche Tendenzen durch den rasanten wirtschaftlichen Aufschwun g in der Bundesrepublik, der von offizieller franzö sischer Seit e zwa r aufmerksam , abe r keinesweg s besorg t verfolg t wurde . I m De zember 1954 beispielsweise berichtete François-Poncet, »que le bilan de cette année
est particulièremen t favorabl e e t que l'expansio n allemand e s'es t poursuivi e à un
rythme plus rapide encore qu'en 1953« 36 - ein Trend, der bekanntlich anhielt. 1952
produzierte die westdeutsche Stahlindustrie bereits 15,8 Mio. Tonnen Rohstahl pro
Jahr, während i n Frankreich lediglic h 10, 9 Mio. Tonnen erzeugt wurden. 195 7 sah
das Verhältnis noc h ungünstiger fü r Frankreic h aus : 14,1 Mio. gegenüber 2 8 Mio.
Tonnen, wenngleich einschließlic h de s Saargebiets 37. Begleitet war dies e Entwick lung von eine r Rekonzentratio n de r westdeutsche n Kohle - und Stahlindustri e durchaus, jedenfalls nac h deutscher Überzeugung, im Einklang mit den Regeln der
EGKS38.
Leicht beunruhigt wurden ferner die Bemühungen des Krupp-Konzerns verfolgt ,
in di e frühere n Märkt e zurückzukehren . Unte r de m Stichwor t »expansion industrielle allemande au Brésil« und unter Hinweis auf deutsche Presseberichte meldete
François-Poncet bereits im März 195 2 nach Paris, »que la Société Krupp a l'intention, à échéance lointaine, de conquérir l e marché de l'Amérique latine« 39. Krupp
war ebe n imme r noc h da s Symbo l fü r die expansionistisch e Ruhrindustrie . Mi t
steigender Besorgnis registrierten französische Beobachte r schließlich ein vermeintlich nachlassendes Interesse der deutschen Industrie im allgemeinen und der Ruhrindustrie im besonderen a n der europäischen Integration : »Depuis que la République Fédérale a retrouvé son rang de grande puissance, et au fur e t à mesure qu'elle
recouvre son potentiel économique d'avant guerre , la désaffection qu'ell e manifest e
à l'égard de s tentatives économique s d'intégratio n européenne , ses expériences et
ses réalisations, quelque temps propices à son relèvement, lui étaient devenues, maintenant, un e gêne« , konstatierte de r französisch e Botschafte r i n Bonn i m Frühjah r
1956. Besonder s alarmiert zeigte er sich über »les attaques incessantes dirigées par la
grande industrie rhénane contre la CECA, les réserves sinon l'hostilité qu'expriment
les milieux économiques les plus diverses à l'égard d u nouveau projet d'intégratio n
atomique«40.
36 François-Poncet a n Mendès France v. 22.12.1954, AMAE, Europe 1949-1955, Allemagne, vol. 337.
37 Vgl . Werner BÜHRER , Vo n der Theorie zu r Praxis. Die westdeutsche Eisen - und Stahlindustrie un d
die europäische Integratio n 1950-1960 , in: Ottfried DASCHER , Christia n KLEINSCHMID T (Hg.) , Di e
Eisen- und Stahlindustri e i m Dortmunde r Raum . Wirtschaftliche Entwicklung , sozial e Strukture n
und technologische r Wande l i m 19 . un d 20 . Jahrhundert, Dortmun d 1992 , S. 545-559; Dietma r
PETZINA, Zwische n Neuordnun g un d Krise . Zu r Entwicklun g de r Eisen - un d Stahlindustri e im
Ruhrgebiet seit dem Zweiten Weltkrieg, in: ibid., S. 525-544.
38 Vgl . GILLINGHA M (wi e Anm . 23 ) S . 352-356 ; SPIERENBURG , POIDEVI N (wi e Anm . 23 ) S . 222-236 ,
396-399.
39 François-Poncet an Schuman v. 19.3.1952, AMAE, Europe 1949-1955, Allemagne, vol. 349.
40 Jox e a n Pineau v . 15.2.1956, Historica l Archives of the European Communitie s (HAEC) , MAEF /
DECE, vol. 629.
Frankreich und das Ruhrgebiet - Mytho s und Realität
235
Zweifellos stie ß etwa im Bundesverband de r Deutschen Industrie das Projekt eines Gemeinsamen Marktes der Montanunionstaaten anfangs auf Ablehnung. Daraus
eine prinzipiell integrationsfeindlich e Haltun g ableite n z u wollen , wär e allerding s
verfehlt, plädierte der BDI doch gleichzeitig für eine Fortsetzung der Integration im
OECE-Stil41. Sogar die EGKS, in der Öffentlichkeit of t als Inbegriff de s Dirigismus
attackiert, wurde nicht grundsätzlich in Frage gestellt: »En présent«, faßte der neue
Botschafter Couve de Murville ein Gespräch mit BDI-Hauptgeschäftsführer Beutle r
vom Frühjahr 195 7 zusammen, »malgré certaines critiques, les milieux charbonniers
et sidérurgiques fédéraux sont favorables a u maintien de la Communauté«42. Sie galt
selbst einem Hermann Reusch , der nicht gerade zu den Integrationsfreunden unte r
den Schwerindustriellen zählte , als erhaltenswerte Einrichtung 43. Daß die deutsche
Industrie, ungeachte t gelegentliche r Drohgebärden , letzlic h au f Integrationskurs
blieb, war nich t zuletz t jene n Industrielle n un d Verbandsfunktionäre n z u verdan ken, die in der OECE oder in der Montanunion arbeiteten und die Vorteile der Integration >hautnah< kennen- und schätzengelernt und mitgeholfen hatten, französische
Befürchtungen abzubauen .
Die Aufregung, di e vereinzelte kritische Äußerungen zu r Integrationspolitik au s
schwerindustriellen Kreise n in Frankreich hervorriefen, legte sich jedoch rasch wieder. Anfang der sechziger Jahre beispielsweise wurden auch solche integrationspolitischen Vorstellungen, welche der offiziellen französische n Politi k - etw a dem »plan
d'accélération du Marché commun « - zuwiderliefen , sachlic h un d ohn e Verdäch tigungen registriert 44. Außerde m blie b die als Folge der Gründun g de s Gemeinsa men Marktes insgeheim befürchtete wirtschaftlich e >Invasion < offensichtlich aus : »Il
a souligné d'autre par t que le scepticisme affiché ic i par de nombreux industriel s à
l'égard du Marché commun avait des effets néfastes pour l'économie allemande: tandis que les industriels français profitaient de s perspectives nouvelles qui s'offraient à
eux pour développer leurs exportations vers la République Fédérale, leurs collègues
allemands, paralysés par le doute, avaient beaucoup trop négligé jusqu'ici le marché
français«45. Zum guten politischen Klim a trug sicherlich bei, daß sich beispielweise
der BDI zumindest in seinen öffentlichen Stellungnahme n jeglicher Attacken gegen
die französische Haltun g in der Frage der Freihandelszone enthielt , wie ein Mitarbeiter der Botschaft in Bonn ausdrücklich hervorhob 46.
Das Ruhrproblem stand indes längst nicht mehr im Zentrum der deutsch-franzö sischen Beziehungen. In den Verhandlungen über die Intensivierung der wirtschaft lichen Zusammenarbeit , di e das Scheitern de r Europäische n Verteidigungsgemein schaft kompensiere n sollten , rückte n ander e Theme n i n de n Vordergrund . Auc h
wenn Ministerpräsiden t Mendès France vorsorglich mögliche n Ängste n entgegen trat, Frankreic h könnt e de r Dynami k de r deutsche n Wirtschaf t unterliege n - ei n
Mittel, den deutschen Vorsprung nich t z u gro ß werden z u lassen , war das Projek t
41 Vgl . BÜHRE R (wie Anm . 26 ) S . 104-106.
42 Couve de Murville an Pineau v. 8.2.1957 (wie Anm. 40).
43 Vgl . Entwurf zu einem Vortrag über die Montanunion v. 18.9.1954, Haniel-Archiv (jetzt RheinischWestfälisches Wirtschaftsarchiv, Köln), NL H. Reusch, 40010146/47.
44 Französische r Botschafter an Couve de Murville v. 9.2.1960, HAEC, MAEF/DECE, vol. 630.
45 Französische r Botschafter an Couve de Murville v. 15.3.1960, ibid.
46 Conseiller commercial an Minister für Finanzen und Wirtschaft v. 14.11.1960, ibid.
236
Werner Bührer
der Moselkanalisierung, eines der Hauptanliegen der französischen Regierung . Und
der heftige Widerstand der Ruhrindustrie gegen dieses Vorhaben zeigte, daß sie sich
ihrer Wettbewerbsvorteile keineswegs sicher war47.
Die Normalisierung des deutsch-französischen Verhältnisse s und die Entmystifizierung der >Ruhr< machten ungeachtet vereinzelter, eher taktisch motivierter Rückgriffe au f traditionelle Klischees weiter Fortschritte. Zwar waren die Steigerungsraten der Stahlproduktion, wie erwähnt, im Ruhrgebiet größer als in Frankreich, aber
die Montanunion verhinderte eine neuerliche deutsche >Stahlhegemonie<. Anfängliche Befürchtungen, di e Ruhrindustriellen könnte n di e Kohle als >Waffe< einsetzen ,
bestätigten sich ebenfalls nicht. Daß die Ruhrindustrie ihre frühere Macht eingebüßt
hatte, war für jeden, der sich nicht durch alte Vorurteile oder gelegentliche Drohgebärden aus dem Revier den Blick trüben ließ, unverkennbar. Begünstigt wurde diese
Entmystifizierung sicherlic h nicht zuletzt dadurch, daß zunächst der Bergbau, später auch die Stahlindustrie die dominierende Rolle im Wirtschaftsgeschehen a n andere Industrien abtrete n mußten. Spätestens als die deutsche Stahlindustrie Mitt e der
siebziger Jahre gemeinsa m mi t ihrer europäische n Konkurren z i n die Krise geriet ,
dürfte i n Frankreich der letzte Rest des Glaubens an die Übermacht der Ruhrindustrie geschwunden sein.
47 Vgl . Andreas WILKENS , Das Program m von L a Celle-St. Cloud. Der Ausbau de r deutsch-französi schen Wirtschaftsbeziehungen 1954-1957 , in: Revue d'Allemagne 25 (1993) S. 565-580.
SYLVIE LEFÈVRE
LES SIDÉRURGISTES FRANÇAI S PROPRIÉTAIRE S D E
CHARBONNAGES DAN S L A RUHR (1945-1954)
Après la guerre de 1914-1918, le mouvement des prises de participations française s
en Allemagne, qui existait déjà avant la guerre, s'est amplifié. Malgré les grandes difficultés créée s par le régime nazi, la France, comme d'autres pays étrangers, a gardé
en Allemagn e de s participation s d'un e certain e importance , mise s sou s séquestr e
pendant la Deuxième Guerre mondiale, et qui lui sont rendues en 1945. Sur les 196
millions de RM de participations françaises à des sociétés industrielles et commerciales de droit allemand , 57 sont investi s dan s les mines, dont 52 se trouvent dan s la
Ruhr ou plutôt dans l'ensemble du bassin rhéno-westphalien 1.
Mais la fin des hostilités ne marque pas la fin des difficultés. Ainsi , après une rapide présentation d e ces charbonnages françai s dan s la Ruhr, nous verrons que les
sidérurgistes françai s von t tou t d'abor d s'employe r à obtenir l a reconnaissance e n
droit comm e e n fai t d'u n statu t privilégi é d e leur s charbonnage s pa r rappor t au x
charbonnages allemand s e t vont s'acharne r à défendre leu r droi t d e propriété fac e
aux différents projet s alliés concernant la Ruhr, puis face aux Allemands.
A partir d e 1950, ils essayeront d e profiter de s mesures d e déconcentration qu i
frappent le s grands groupe s sidérurgiste s allemand s e t s e lanceront dan s une politique de prises de participations majoritaires dan s les houillères de la Ruhr, espérant
ainsi gêner un tant soit peu la reconstitution d'une intégration verticale de l'industrie
lourde allemande qu'ils savent par ailleurs inévitable.
I. Présentation des charbonnages allemands sous influence française 2
Les 52 millions de participations françaises dans les houillères de la Ruhr sont principalement réparties entre quatre charbonnages :
1/ »Friedrich-Heinrich « et »Heinrich-Robert« dans l e bassin d'Aix-la-Chapell e
sont détenus en totalité ou presque par De Wendel3. Ces charbonnages possèdent des
filiales qui assurent l'écoulement de leur production sur le marché allemand. De plus,
De Wendel est propriétaire de la concession »Glückauf« située elle aussi dans le bassin
d'Aix-la-Chapelle, mais qui n'a pas encore été exploitée en 1945;
1 Rapport sur »les participations financières française s e n Allemagne - Recherche d'une politique des
participations« (Archive s de l'Occupation Française en Allemagne et en Autriche (AOFAA) - Colmar, Services françai s à Paris - SEÂAA/CGAAA - Centre d'Etude s et de Documentation, caiss e
2650, dossier 9).
2 Voir aussi le tableau ci-dessous.
3 Liste des entreprises allemandes possédées ou contrôlées par la société »Les Petits-Fils de François de
Wendel et Cie« (Archive s Nationale s (AN ) - Paris, Archives d'entreprises , D e Wendel - 18 9 AQ,
dossier 336).
238
Sylvie Lefèvre
2/ »Carolus Magnus« à Palenberg, détenu e n totalité par Marine, Micheville et
Pont-à-Mousson réunis dans le consortium »Compagnie minière de Rhénanie«;
3/ »Car l Alexander « à Bäsweiler, détenu à 50% seulement pa r le s Aciéries d e
Longwy, les autres 50% appartenant aux Frères Röchling.
Il faut note r auss i qu e Schneider-L e Creuso t détien t un e participation français e
indirecte e t minoritair e pa r l'intermédiair e d e s a participatio n d e 11,68% dans
l'ARBED, qui possède une participation dans P«Eschweiler Bergwerk«4.
IL Politique de défense du droit de propriété face
aux projets concernant la Ruhr
Pour comprendr e l a situation dan s laquelle s e trouvent le s charbonnages françai s
en Allemagne à la fin de la guerre, il faut rappeler que selon les Accords de Potsdam,
l'économie allemande est considérée dans son ensemble, c'est-à-dire sans distinction
entre propriétaires alliés ou neutres. De plus, les Anglo-Saxons mettent sur pied des
organismes qui doivent prendre en mains l'économie allemand e avant de permettre
aux propriétaires alliés ou neutres de récupérer la gestion de leurs affaires e t ce, afin
de mieux contrôler la limitation de l'industrie allemande 5.
a) Les propriétaires français et les autorités d'occupation britanniques
Les mines de la Ruhr, qu'elles soien t propriétés de s Alliés ou de s Allemands, sont
donc placées à partir du 22 décembre 1945 sous le contrôle direct des autorités d'occupation britanniques 6. »Comm e tou s le s charbonnage s appartenan t à de s Alle mands, les houillères sont placée s sou s séquestr e e t l e custodian affect é à chacune
d'elles poursuit, à leur égard, son administration dans les mêmes conditions que pour
les entreprises allemandes.«7
Au cours de l'année 1946, les livraisons de charbon de la Ruhr s'avèrent de plus en
plus indispensables. Se pose alors le problème de la différenciation entr e les intérêts
allemands et alliés dans la Ruhr. En effet, le s propriétaires français veulent aboutir à
la discrimination e n droit, comme en fait, entre les charbonnages français o u alliés,
d'une part, et les charbonnages allemands, d'autre part. Rien n'autorise, selon eux, un
régime de confusion, les accords concernant les réparations à recevoir de l'Allemagne
n'ayant pa s encor e régl é le s conditions d e disponibilité de s biens immeubles . Ils
veulent aussi voir reconnaître l'attribution au x houillères françaises de s produits de
4 Liste des participations françaises dans l'industrie allemande, lettre n° 681 du 20.7.1948 de la Délégation économique et financière d u Group e Français au Conseil de Contrôle à Düsseldorf (AOFAA,
Services français à Paris - SEAAA/CGAAA, Direction politique, dossier 49).
5 Résumé de l'exposé de M. Schrader sur l'activité du Groupement III - Allemagne, réunions des 18,19
et 20 juin 1947 (Archives de la Compagnie de Saint-Gobain - Blois, Affaires d'Allemagne , dossie r
CSG-00293/325).
6 Compte rendu de l'entretien du 29.12.1945 entre les sidérurgistes français propriétaire s de charbonnages dans la Ruhr e t M. Charguéraud, Directeur des Accords techniques au ministère des Affaire s
étrangères (AN, De Wendel -189 AQ, dossier 343).
7 Projet d e not e d e l'AFIP A (Associatio n Français e de s Intérêt s Permanent s e n Allemagne ) d u
7.10.1946 (AN, De Wendel - 18 9 AQ, dossier 343).
Les sidérurgistes français propriétaires de charbonnages dans la Ruhr (1945-1954) 2 3
9
l'exportation d e leu r charbon , ca r il s se plaignent d e l'insuffisance d u pri x d e vent e
extrait e t de s perte s qu i e n résultent . E n effet , l'extractio n abouti t à de s livraison s
réglées su r l a bas e d e 15 RM pa r tonn e pou r l e charbon e t d e 18 RM pou r l e cok e
métallurgique, alor s qu e les prix d e revient se situeraient pou r l'ensembl e de s mine s
du bassin aux environs de 35 RM par tonne 8 .
Dès le début de l'année, les propriétaires français entreprennen t des démarches au près d u gouvernemen t françai s concernan t le s charbonnage s s e trouvan t sou s con trôle britannique . A u Qua i d'Orsay , il s reçoivent l e soutien d e la Direction de s Ac cords techniques , qui es t prête à demander à Londres d e réserver le s droits de s pro priétaires français . Il s voudraient auss i qu e permissio n soi t donné e pou r un e inter vention rapid e su r plac e d e leur s délégués , c e qu e Londre s sembl e prê t à accepter ,
bien qu e les autorités militaire s britannique s soien t méfiante s e n ce qui concerne le s
intérêts privés 9.
En fait , i l apparaît, a u milie u d e 1946, que le s mines d e la Ruhr continuen t d'êtr e
gérées par le s anciennes sociétés , le séquestre n e jouant aucu n rôl e dan s l a conduit e
des entreprise s (contrairemen t à ce qui s e passe e n Sarre ) e t l e North German Coa l
Control (NGCC) , mi s en place par le s Britanniques, ne pouvant pa s suivr e l'exécu tion de ses directives d'assez près , notamment pa r manque d'un nombr e suffisan t d e
techniciens de valeur 10.
b) La question de la propriété des mines et le plan français
d'internationalisation de la Ruhr
Comme l' a soulign é à plusieurs reprise s Raymon d Poidevin , dè s 1945, les Françai s
font »d e la livraison d e charbon alleman d un e question d'intérê t vital« , question qu i
»est inséparabl e d e l'un e de s grande s revendication s destinée s à la sécurit é d e l a
France: l'internationalisation d e la Ruhr« 11.
Nous n e reviendron s pa s ic i sur l e plan françai s d'internationalisatio n d e la Ruh r
qui a déjà fai t l'obje t d e nombreu x travaux 12. Rappelon s seulemen t qu'a u débu t d e
l'année 1946, le plan françai s per d so n caractèr e puremen t militair e a u profit d'un e
exploitation d e la Ruhr a u bénéfice d e l'Europe. Le s Français qu i liaient étroitemen t
8 Ibid .
9 Entretien du 29.12.1945 (voir n. 6).
10 Compte rend u d e l a réunion tenu e l e 31.12.1946 au sujet d e l a Ruhr (AOFAA , Service s françai s à
Paris - SEAAA/CGAAA, Directio n politique, dossier 75).
11 Raymond POIDEVIN , L a France et le charbon allemand a u lendemain de la Deuxième Guerr e mon diale, dans: Relations internationales 44 (1985) p. 366.
12 Parmi ceux-ci, on peut citer par exemple: Catherine de CUTTOLI-UHEL, L a politique allemande de la
France (1945-1948) - Symbole de son impuissance, dans: La puissance française, sous la direction de
R. FRANC K e t R. GIRAULT , Pari s 1988, p. 93-111; John GILLINGHAM , Die französische Ruhrpoliti k
und di e Anfänge de s Schuman-Plans. Ein e Neubewertung , dans: VfZ 3 5 (1987) p. 1-24 ; Raymon d
POIDEVIN, L a politique allemand e de la France en 1945, dans: 8 mai 1945: la victoir e e n Europe ,
Actes du colloqu e internationa l d e Reims , sou s l a direction d e M. VAÏSSE , Lyo n 1985, p. 221-238;
Raymond POIDEVIN , Frankreic h und di e Ruhrfrag e 1945-1948 , dans: HZ 228 (1979 ) p. 317-334;
Georges-Henri SOUTOU , L a politique française à l'égard de la Rhénanie (1944-1947), dans: Franzosen und Deutsche am Rhein 1789-1918-1945, sous la direction de P. HÜTTENBERGER et H.-G. MOLI TOR, Essen 1989, p. 47-65.
240
Sylvie Lefèvre
le détachement politique de la Ruhr et son contrôle économique se rapprochent alors
de plus en plus de la position des Britanniques qui a toujours privilégi é le contrôle
économique; le but à atteindre reste toujours e t avant toute chose d'empêcher tout e
influence allemande dans la Ruhr13.
En ce qui concerne plus particulièrement la question de la propriété des charbonnages français dans la Ruhr, le Quai d'Orsay soutient, nous l'avons vu, les propriétaires. D'une réunion tenue le 31 décembre 1946 au Commissariat général pour les Affaires allemandes et autrichiennes (CGAAA), il ressort que l'on doit »tenir compte du
fait qu'u n certai n nombr e d e mines sont propriété s alliées . Ces mines produisaien t
avant guerr e 11 millions d e tonnes pa r an , soit 9% de la production totale d e la
Ruhr. Les mines françaises à elles seules produisaient 6 millions et demi de tonnes, soit
5,2% de la production totale. Quelque soit le régime, il est indispensable de maintenir
l'option qu e possédait antérieuremen t l a France sur le charbon extrai t de ces mines
françaises. En conséquence, il convient de réserver un statut spécial à ces mines.«14 On
propose même d'envisager certains échanges afin de délimiter »une petite Ruhr« qui
aurait u n statu t internationa l e t qu i n e comprendrai t plu s aucun e min e alliée , ou
de nationaliser, préalablement à toute discussion internationale, les intérêts français !
On y exprime aussi à nouveau l'idée que »la gestion de ces mines alliées pourrait se
faire par une sorte de consortium des quatre Puissances (France, Hollande, Belgique,
Luxembourg).« Le mémorandum remis aux gouvernements américain, britannique et
soviétique, le 1er février 1947, et présenté comme le plan français pour la Ruhr, demande à nouveau que des dispositions spéciales soient prises pour que soient sauvegardés
les intérêts alliés15. Ce mémorandum se heurte évidemment à l'opposition du gouvernement travailliste britannique qui souhaite une socialisation de la Ruhr.
Après la rupture du système quadripartite, à l'été 1947, la France, consciente que le
futur statu t de la Ruhr dépend désormais d'un accor d entre les trois Alliés occidentaux, est obligée de limiter ses projets d'internationalisation d e la Ruhr à la propriété
des entreprises, le but poursuivi n'étant d'ailleurs pas le transfert juridique du titre de
propriété, mais le contrôle sur la gestion que permettrait d'obteni r l e transfert d e la
propriété à une organisation internationale 16.
c) Les propriétaires français faceaux projets anglo-saxons
En septembre 1947, à la suite des entretiens de Londres sur le niveau de la production
industrielle de la Bizone et du communiqué de Washington, les Anglo-Saxons mettent au point un mémorandum concernant le statut provisoire des mines de la Ruhr.
Il est question de les remettre entre les mains d'une direction allemande. Et, en no13 Michae l SEEWALD, La France et T Autorité internationale de la Ruhr (1945-1953), mémoire de maîtrise préparé sous la direction du Pr. G.-H. Soutou, dactylographié, Université Paris-IV, 1994, p. 44.
14 Réunion du 31.12.1946 (voir n. 10).
15 Compte rend u secre t d u 10.4.1947, CMAE d e Mosco u (AOFAA , Service s françai s à Paris SEAAA/CGAAA, Centre d'Etudes et de Documentation, caisse 2661, dossier 5).
16 Note n ° 2925 de Pierr e Leroy-Beaulie u pou r l e Haut-Commissair e françai s e n Allemagn e d u
19.1.1950 sur »le contrôle des industries minières et métallurgiques de la Ruhr« (Archives diplomatiques du Ministère des Affaires étrangères (AMAE) Paris, Europe 1944-1960, Allemagne, vol. 798,
fol. 248-251).
Les sidérurgistes français propriétaire s de charbonnages dan s la Ruhr (1945-1954) 2 4
1
vembre 1947, la Direction allemande du Charbon reçoit des Britanniques la gestion
de la production et de la répartition17.
Se posent alors, pour les Français, les problèmes du lien de subordination entre les
autorités allemandes et les dirigeants français de s mines de la Ruhr et, de la discrimination, de la part de la Direction allemande, envers les charbonnages alliés. Les propriétaires français de charbonnages allemands sont inquiets. La Direction des Affaires économiques du ministère des Affaires étrangère s réclame des mesures les protégeant18. Parisot, conseiller technique pour le charbon au CCFA remarqu e en effet,
dans une lettre adressée à Jeanniot, directeur du service minier chez De Wendel, que
les pouvoirs qu i sont conféré s tan t à la Direction général e allemand e du Charbo n
qu'au group e de contrôle anglo-saxon enlèvent aux propriétaires français l a plupart
des droits qui sont l'attribut d e la propriété19. La Deutsche Kohlenbergbau-Leitung
(DKBL) devient donc, dès sa mise en place, la cible des attaques françaises. D'un e
part, elle s l'accusen t d e soumettre san s distinctio n toute s le s mines au x mêmes
instructions, ce qui est considéré comme une ingérence inacceptable20. D'autre part,
elles dénoncent la concentration excessive qui se trouve entre ses mains. De plus, les
propriétaires, qui se plaignent de ne pas recueillir le fruit d e leurs initiative s et investissements passés et d'être dans l'ignorance en ce qui concerne le futur, réclamen t
des garanties pour augmenter leur prise d'engagement. Le gouvernement français demande donc aux Britanniques qu'une subvention adéquate vienne compenser la différence avec le prix de vente insuffisant fix é par les autorités militaires britanniques.
»Cette subvention devrait en particulier tenir compte pour les mines d'Aix-la-Cha pelle des conditions défavorables d e l'exploitation conformément à la demande présentée par les propriétaires intéressés au début de 1947.«21 Mais les Anglo-Saxons repoussent la demande française d'un régime spécial pour les mines alliées.
Par l'ordonnance n° 75 du 10 novembre 1948, les commandants en chef de la Bizone décident, malgré les mises en garde de Paris, de confier provisoiremen t la direction et la gestion des mines et des usines aux Allemands, en laissant le soin de régler
définitivement la question à un gouvernement allemand représentatif librement élu22.
Si cette ordonnanc e sembl e clor e le débat entr e Américain s e t Britanniques su r la
question de la propriété des mines de la Ruhr (i l n'y aura pas de socialisation), en
France, elle déchaîne les passions. Cependant, Robert Schuman réussit à obtenir, »à
la conférence de s trois Occidentaux du 20 novembre, l'engagement qu e la question
de la propriété n e sera réglée qu'au momen t d e la signature du traité de paix avec
l'Allemagne«23.
En janvier 1950, rien n'est réglé. Bien que les points de vues des trois puissances à
la Haute-Commission allié e soient désormais suffisamment rapproché s pour qu'u n
17 Raymond POIDEVIN , Robert Schuma n - Homme d'Eta t - 1886-1963 , Paris 1986 p. 186.
18 Télégramme d'Herv é Alphand , Directeu r généra l charg é des Affaires économiques , pour Washing ton du 13.9.1947 (AMAE, Y Internationale 1944-1949, vol. 376, fol. 72-74).
19 Lettre du 7.1.1948 (AN, De Wendel - 189AQ, dossier 343).
20 Bulletin n° 937 du 17.02.1948 sur le contrôle et la gestion des mines de la Ruhr de M. Jeanniot pour la
gérance (AN, De Wendel - 189AQ, dossier 343).
21 Lettre de G. Parisot (voi r n. 19).
22 POIDEVIN (voi r n . 17) p. 210.
23 Ibid. , p. 211.
242
Sylvie Lefèvre
accord apparaisse possible en ce qui concerne la nouvelle loi destinée à remplacer la
loi n° 75 sur la déconcentration de l'industrie sidérurgique et minière allemande, »le
seul point en litige sur lequel la Haute-Commission doi[ve] se prononcer à bref délai,
reste le préambule pour lequel les Anglais demandent le maintien du texte antérieur
qui remet au gouvernement allemand librement élu le droit de décider de la propriété
future de s entreprises minières et sidérurgiques«24. Les dirigeants britanniques semblent irréductibles sur cette question, car ils ont pris des engagements envers les syndicats et le parti travailliste.
Le début de l'année 1950 est donc un moment critiqu e pour le s propriétaires de
charbonnages français dan s la Ruhr. Ils doivent aussi désormais s'inquiéter des projets allemands.
d) Les propriétaires français face aux propositions allemandes
En effet, le 8 février, le parlement de Bonn dépose une motion pour que le gouvernement alleman d prépar e u n proje t d e lo i e n vue d'une réform e d e la propriét é
charbonnière. Des menaces de nationalisation et de socialisation pèsent sur les mines alliées 25. Ces questions font l'obje t d'étude s d e la part du gouvernemen t alle mand.
On envisage alors, du côté français, les conséquences d'une nationalisation de ces
charbonnages, d'une part, et de mesures de socialisation (u n droit d e cogestion ou
droit de décision - »Mitbestimmungsrecht « - étant réclamé par les syndicats allemands), d'autr e part . L e programme d'importatio n d e combustible s étranger s e n
France pour 1950 est de 6 millions de tonnes en provenance d'Allemagne occidentale. »Il faut remarquer à ce sujet que la production des mines françaises e n Allemagne
permet d'ores et déjà de couvrir plus des 2/3 de ce tonnage et permettra dans un proche avenir d'en couvrir la presque totalité.«26 Ainsi, l'ensemble de ces charbonnages,
dont la production a été égale à celle des charbonnages français a u cours de 1949, représente une capacité de production supérieure d'environ 30% à celle des charbonnages français. On comprend qu'un effort pou r les sauvegarder doive être fait. C'est
d'ailleurs ce que réclament les propriétaires français d e charbonnages en Allemagne
qui son t trè s inquiets ca r ils ont l'impressio n qu e le gouvernement françai s n e fait
rien contre la création »d'un gigantesque trust d'Etat dans la Ruhr«27. Ainsi, dans une
lettre qu'i l reme t l e 16 mars 1950 à Hervé Alphand , Pierr e Jaudon, président d e
l'AFIPA, attire son attention sur la gravité des conséquences qu'entraînerait l'adhé sion du gouvernement françai s à l'ensemble des dispositions de la loi n° 75. »Cette
décision aurait pour effet d'abandonne r définitivemen t à la discrétion du gouvernement allemand la question de la propriété des charbonnages français e n Allemagne.
Elle exclurai t tout e possibilit é ultérieur e pou r l e gouvernemen t françai s d'insére r
dans le traité de paix, ou tout autre convention en tenant lieu, une disposition de sauve24 Note n° 2925 (voir n. 16).
25 Note du 31.5.1950 (AN, De Wendel - 189AQ, dossier 346).
26 Ibid .
27 Bulletin de Monteil, représentant de la maison De Wendel en Allemagne, pour Jeanniot du 1.3.1950
sur la loi n° 75 et lettre de Jaudon à Alphand du 13.3.1950 (AN, De Wendel - 189AQ, dossier 346).
Les sidérurgistes français propriétaires de charbonnages dans la Ruhr (1945-1954) 24
3
garde tendant à exclure les charbonnages français et alliés du champ d'application de
mesures restrictives du droit de propriété.«28
Les Français refusent don c de confier l a décision de la propriété future d e l'industrie lourd e à la seule appréciatio n d u gouvernemen t allemand . L a nouvelle lo i
n° 75, adoptée par la Haute-Commission allié e à la majorité simpl e le 14 avril 1950,
est provisoirement suspendue 29. Lors d'un entretien à la Direction des Affaires éco nomiques avec Robert Gillet, le 28 avril 1950, Jaudon demande alors »qu'un accord
formel soi t concl u entr e les gouvernements occupant s e t signifié a u gouvernemen t
allemand afin de prévoir que ce dernier, s'il en venait à prendre des mesures de nationalisation, socialisation (ou tendant à tout autre mode d'appropriation collective ) ne
saurait les étendre aux charbonnages alliés.«30
Durant le s années 1945-1950, les propriétaires françai s d e charbonnages dan s la
Ruhr s e sont don c employé s ave c acharnement à défendre leu r droi t d e propriét é
face aux projets qui le menaçaient. Cependant, dès les premières discussions autour
de l a mis e e n plac e d e l a Communaut é Européenn e d u Charbo n e t d e l'Acie r
(CECA), ils décident de se lancer dans une politique plus offensive.
III. Tentatives françaises de prises de participations
dans les houillères de la Ruhr
a) Réactions des propriétaires français de charbonnages allemands
au moment de la mise en place de la CECA
Nous ne reviendrons pas ici sur la genèse du Plan Schuman et sur les réactions des
sidérurgistes françai s e n général 31, mai s i l es t bo n d e rappele r qu e l a propositio n
française d u 9 mai 1950, qui tend à »placer la production franco-allemande d e charbon et d'acier sous une haute autorité commune, dans une organisation ouverte à la
participation de s autres pays d'Europe«, insiste sur le fait que »ce marché commun
limité à deux produits majeurs , libérés des droits de douane, doit permettre la modernisation de la production, l'élimination des entreprises non rentables et favoriser
une planification soupl e sans toucher à la propriété mais sans céder aux appétits des
grands producteurs.« 32 L a déclaration précis e auss i que l'institution d e la HauteAutorité »n e préjuge e n rien du régime de propriété des entreprises de la Ruhr« ce qui laisse le gouvernement de Bonn libre de procéder à une nationalisation s'il le
souhaite33.
Or, le 21 septembre 1950, sont publiées les »mesures exécutoires effectives I-III «
de la loi allié e n°27 concernant l a décartellisation d e l'industrie sidérurgiqu e alle 28
29
30
31
Lettre de Jaudon (voir n. 27).
»Le Figaro« du 15/16 avril 1950 (AN, De Wendel - 189AQ, dossier 346).
Lettre de Jaudon du 2.5.1950 (AN, De Wendel - 189AQ, dossier 346).
A ce sujet, voir, entre autres: Klaus SCHWABE (Hg.), Die Anfänge des Schuman-Plans (1950-1951),
Beiträge des Kolloquiums in Aachen (28-30 mai 1986), Baden-Baden 1988.
32 Déclaration de Robert Schuman du 9.5.1950 (Archives historiques des Communautés européennesFlorence, Dossiers de la Haute-Autorité de la CECA, vol. 1:1952-56, sous-série France-Allemagne,
CEAB 1/55).
33 POIDEVIN (voir n. 17) p. 263.
244
Sylvie Lef èvre
mande. Ces règlements ordonnent l'éclatement immédiat des 6 plus grands Konzern
et prévoient l'organisation d e 54 entreprises minières indépendantes 34. Déjà, la décision n° 7 de la Haute-Commission alliée, publiée en octobre 1950, a mis fin depuis le
25 mai 1950 au contrôl e su r certaine s entreprise s charbonnière s don t »FriedrichHeinrich« et »Heinrich-Robert.«35 Le s sidérurgistes françai s envisagen t alor s de se
lancer dans le rachat des mines que les Konzern doivent abandonner.
Ainsi, pendant les discussions du groupe de travail pour l'étude d e la CECA, un
contre-projet d'avi s présenté par M. Mayolle, au nom du groupe des chefs d'entre prises, demande au gouvernemen t françai s d e prendre certain s engagement s e n fa veur des propriétaires français d e charbonnages allemands . Ces derniers réclament ,
entre autres , l'appu i d u gouvernemen t »pou r l a pris e d e participations française s
dans les houillères allemandes, afin d'assurer l'approvisionnemen t e n coke de l'économie française« e t une »action énergique pour obteni r l a décartellisation e t la déconcentration effective des industries allemandes du charbon et de l'acier.«36 En effet,
comme l'expliquera Serge Monteil à Humbert de Wendel dans son bulletin du 10 décembre 1951. »Le problème de l'économie combinée charbon-acier en Ruhr n'a pas été
résolu définitivement et cela ne fait aucun doute sur son évolution et sa reconstitution.
Le contrat d'affiliatio n type-holdin g doi t reteni r tout e l'attentio n de s propriétaire s
français d e charbonnages dans la Ruhr. Ce contrat va donner un avantage indéniable
aux sociétés allemandes disposant de mines liées. Il convient donc d'envisager à nouveau la liaison de notre maison avec ses filiales sou s un aspect analogue.« 37 Les industriels français veulen t évite r que l'industrie d e base allemande ne s'avère capable
d'engendrer de s pratiques discriminatoire s qu i s'exerceraient prioritairemen t »au x
dépens de la sidérurgie française (notamment en Lorraine) laquelle ne pourrait bénéficier d'avantages comparables, en partie du fait de la nationalisation des charbonnages
en France.«38 La peur de la concurrence allemande, qui reste toujours très forte, pousse donc les sidérurgistes français à entreprendre une politique plus offensive.
b) Politique française de prises de participations dans les mines allemandes
- Le rachat de la »Harpener Bergbau«
En 1952, la famille Flick qui, comme Krupp et Thyssen, est contrainte de se défaire,
dans le délai de cinq années, de ses biens charbonniers e t sidérurgiques, engage des
négociations avec le consortium français SIDECHA R (Sociét é sidérurgique de Participations e t d'Approvisionnement e n Charbon) pou r l a vente de la majorité de s
actions de la mine »Harpen« . SIDECHAR, compos é d e dix entreprises sidérurgi ques française s sou s l'égid e d e la maison D e Wendel, a été spécialement constitu é
34 Jean-Marie PALAYRET , Jean Monnet, la Haute Autorité de la CECA face au problème de la reconcentration de la sidérurgie dans la Ruhr (1950-1958), dans: Revue d'Histoire diplomatique 34 (1991)
p.311.
35 Lettre de Monteil à Jeanniot du 12.10.1950 (AN, De Wendel - 189AQ, dossier 343).
36 Annexe III du rapport du groupe de travail pour l'étude de la CECA du 3.10.1951 (AMAE, Direction économique/Coopération économique , CECA, vol. 503, fol. 118-120).
37 (AN, De Wendel -189AQ, dossier 344).
38 PALAYRET (voir n. 34) p. 310. Cette citation est en fait extraite de la version in-extenso de cet article
que m'a aimablement remise M. Palayret.
Les sidérurgistes français propriétaires de charbonnages dans la Ruhr (1945-1954) 2 4
5
pour l'occasion et représente une capacité de production d'acier de 9 millions de tonnes par an39.
Les négociations se poursuivent tout au long de l'année 1953. Du côté allemand, le
chancelier Adenaue r intervien t expressémen t e n faveur d e cette vente 40. D u côté
français, le ministre des Affaires étrangères , Georges Bidault, qui, comme le rappelle
Georges-Henri Soutou dans son étude, tout en soutenant la difficile ratificatio n d e
la CECA, »restait très préoccupé par une vision très classique de l'équilibre indu striel franco-allemand, pa s vraiment compatible avec l'esprit de la CECA«, soutient
à fond ce projet41. Il faut dire que la mine »Harpen« peut produire plus de 6 millions
de tonnes de charbon et 3,5 millions de tonnes de coke par an. »E n permettant à la sidérurgie lorrain e d e contrôler 7,5% de la production charbonnièr e d e RhénanieWestphalie, elle lui assur[e] une position presque identique à celle de ses concurrents
allemands, puisque prè s des 2/3 du coke sidérurgiqu e import é pa r la France son t
reçus, sous droit de propriété, par les sidérurgistes lorrains«42.
Les Allemands vont donc étudier de près les répercussions sur leur industrie lourde
de l'acquisition pa r un groupe françai s d e la majorité de s actions de la »Harpener
Bergbau«. Il ressort, tout d'abord, qu e cette vente pourrait avoir des conséquences
graves pour l'économi e d e la République fédérale , notammen t e n ce qui concerne
l'exportation d u coke, car les Français n'on t pa s caché à Flick qu'ils entendaien t
développer la capacité de cokéfaction de cette entreprise qui contribuait, déjà depuis
1918, d'une façon importante (10 à 12%) à la production allemande de coke43. Mais,
en mai 1954, les milieux dirigeants de l'économie allemande s'attachent surtou t à en
souligner les avantages:
1. »Les capitaux que le Crédit National vient de mettre à la disposition de SIDECHAR étaien t initialement prévus pour le financement d e la construction de cokeries sidérurgiques en Lorraine. Il en résulte pour eux que ces cokeries ne seront pas
construites«. Ceci un élément non négligeable pour l'industrie du coke de la Ruhr44.
2. Les stocks de coke sur le carreau de la mine »Harpen« qui s'élèvent à près de
36 millions de DM, seront vite absorbés, vu le grand besoin des Français 45. Ainsi,
l'avenir de la mine semble désormais assuré car, ave c sa très haute capacité de production de coke, l'entreprise, en raison de la mauvaise situation du marché, doit soutenir
une lutte très âpre pour trouver des débouchés à un moment où les acheteurs disposent de stocks suffisants 46.
39 PALAYRET (voir n. 34) p. 340.
40 Dépêche DRA reproduit e et envoyée le 30.4.1954 par le cabinet du Haut-Commissariat d e la République français e e n Allemagne (HCRFA ) a u Ministère à Paris (AMAE , Europ e 1944-1960, Allemagne, vol. 483, fol. 70).
41 Georges-Henri SOUTOU , George s Bidaul t et la construction européenn e (1944-1954), dans: Revue
d'Histoire diplomatiqu e 34 (1991) p. 295.
42 PALAYRET (voir n. 34) p. 340.
43 Dépêche DRA (voi r n. 40).
44 Dépêche d'Andr é François-Poncet , Haut-Commissair e françai s e n Allemagne, pou r l a Direction
des Affaire s économique s e t financières (DAEF ) à Paris (AMAE , Europ e 1944-1960, Allemagne,
vol. 483, fol. 78-80).
45 Ibid .
46 Traduction d e l'article d e Dr. Kurt Richebäche r sur: »La vente d e la majorité d e Harpen« dans le
»Volkswirt« du 22.05.1954 (AMAE, Europe 1944-1960, Allemagne, vol. 488, fol. 164-169).
246
Sylvie Lefèvre
3. »Le groupe acquéreur n'a pas caché (...), d'autre part, qu'il souhaitait s'assurer
de manière durable - ce qui va de soi dans le cadre du marché commun - les mêmes
conditions d e livraiso n e t le s même s pri x qu e ceu x qu i son t consenti s au x usine s
sidérurgiques de la Ruhr«. L'achat de la participation de Flick dans la mine »Harpen«
devrait donc conduire les sidérurgistes français, selon leurs homologues allemands,
à adopte r à l'égard d u GEORG, le nouveau comptoi r d e vente de s charbons d e
la Ruhr, institué l e 7 février 1953 en remplacement d u Deutscher Kohlen-Verkau f
(DKV), une position très voisine de la leur et ne pas demander, par exemple, sa dissolution. C'est là une conséquence capitale pour les sidérurgistes allemands qui pensent
qu'une action commune franco-allemande en la matière ne peut pas ne pas influer sur
les décisions de la Haute-Autorité47.
4. Enfin, on pense que les capitaux dont va disposer l'industrie Flick après la conclusion de cette vente lui permettront d'effectuer de s investissements dans l'industrie
chimique française, en métropole et en Afrique 48.
Le contrat de vente est définitivement sign é par le groupe Flick et le consortium
SIDECHAR e n mai 1954 à Paris49. Le prix global de la vente s'élèverait à 180 millions de DM50.
Toutes les tentatives menées ne connurent cependant pas le même succès.
- L'échec du rachat de la mine »Konstantin-der-Große«
Au début du mois d'août 1952, dans le cadre des mesures s'imposant conformémen t
à la loi n° 27, »la Haute-Commission allié e aurait fait savoir aux Aciéries de Krupp
qu'elles pourraient vendre une majorité d'intérêt s qu'elle s possèdent dans les mines
de la Ruhr à un groupe français.«51 Des négociations s'engagent alors entre la famille
Krupp et le consortium SIDECHAR 52. Elles portent non seulement sur les 51% du
capital de toute la mine détenus par Krupp, mais aussi sur les 26% du capital qui sont
en possession d'un group e suisse et avec lequel les Français auraient également pris
contact.
En cas de succès, le groupe français dominerait donc non seulement la mine, dont
les gisements permettent encore une exploitation de 50 à 60 ans, mais aussi une cokerie moderne produisant un coke spécial dont la sidérurgie française a fortement be soin.
Mais les négociations traînent en longueur. En mai 1953, une dépêche d'agence af firme qu'u n représentan t d e la famille Krupp négocierait ave c un group e financie r
47 Dépêche d'André François-Poncet (voir n. 44).
48 Dépêche DRA reproduit e e t envoyée l e 5.6.1954 par le cabinet du HCRFA a u Ministère à Paris
(AMAE, Europe 1944-1960, Allemagne, vol. 488, fol. 161).
49 Information d e source privée annexée à un extrait de la revue de presse allemande (n° 12/54) du
10.04. au 10.05.1954 (AN, De Wendel - 189AQ, dossier 346).
50 Article de NIndustriekurier« du 11.8.1955 (Politisches Archiv des Auswärtigen Amts-Bonn, Referat 200, Band 74 - 84SM22/94.05) .
51 Extrait de la revue de presse allemande (n° 68/52) du 4 au 16.8.1952 (AN, De Wendel - 189AQ , dossier 346).
52 Télégramme d'Armand Bérard, Haut-Commissaire adjoint français en Allemagne, pour la DAEF à
Paris du 8.8.1952 (AMAE, Europe 1944-1960, Allemagne, vol. 488, fol. 61-63).
Les sidérurgistes français propriétaires de charbonnages dans la Ruhr (1945-1954) 24
7
Les charbonnages allemands sous influence française (mai 1954)53
1950
1000t %
A/Influence réelle (>51% )
Friedrich-Heinrich (De Wendel)
Heinrich-Robert (De Wendel)
Carolus Magnus
(Cie minière de Rhénanie)
Carl Alexander
(Cie minière de Rhénanie)
Harpener Bergbau (SIDECHAR)
B/ Influence indirecte (< 51 %)
Eschweiler (ARBED)
charbon
1952
1953
1000t %
1000t %
1,8
1,2
2287 1, 9
1470 1, 2
2247 1, 8
1466 1, 2
0,6
755 0, 6
645 0, 5
0,5
3,8
755 0, 6
4408 3, 6
3,1
4004 3, 2
1952
1000t %
coke
1953
1000t %
625 1, 7
354 0, 9
612 1, 6
354 1, 0
772 0, 6
4573 3, 7
2758 7, 4
2815 7, 5
4192 3, 4
881 2, 4
990 2, 6
N.B. Les cases vides correspondent à des chiffres no n communiqués .
italien la vente de la mine »Konstantin«, les Italiens offrant u n prix de 25% supérieur
à celui qu'aurait proposé le groupe français 54.
Cette tentative française d e prise de participations dans la mine »Konstantin-der Große« se solde par un échec car, en juillet 1954, il apparaît clairement que les vendeurs n'ont jamais songé sérieusement à la cession de celle-ci au groupe français qu i
s'était porté acquéreur 55.
Conclusion
Entre 1945 et 1954, les sidérurgistes lorrains, propriétaires de charbonnages dans la
Ruhr, après s'être employés dans un premier temps à obtenir la reconnaissance d'u n
statut particulier pour leurs charbonnages par rapport aux charbonnages allemands,
vont essayer d'obtenir, à partir du moment où la CECA se met en place, les mêmes
avantages que les charbonnages allemand s de la Ruhr. Si le rachat de la majorité d u
capital de la mine »Harpen« doubl e effectivement leu r capacité de production d e
coke dans la Ruhr, il ne leur permettra pas cependant d'exercer un e influence déci sive, contrairement à leurs espoirs, face aux Konzern qui sont pour la plupart, en
novembre 1954, en voie de reconstitution56.
53 D'après une dépêche du HCRFA pour la DAEF à Paris du 19.05.1954 (AMAE, Europe 1944-1960,
Allemagne, vol. 488, fol. 158-160).
54 Dépêche DRA reproduit e et envoyée le 22.5.1953 par le cabinet du HCRFA au Ministère à Paris
(ibid., fol. 119).
55 Dépêche DRA reproduite et envoyée le 19.7.1954 par le cabinet du HCRFA au Ministère à Paris
(ibid., foi. 170).
56 PALAYRET (voir n. 34) p. 307.
MATTHIAS KIPPIN G
WELCHES EUROP A SOL L E S SEIN ?
Der Schuman-Plan un d die deutsch-französischen Industriebeziehunge n
Einleitung1
In de n Darstellunge n zu r Entwicklun g de r deutsch-französische n Beziehunge n i n
der unmittelbaren Nachkriegszei t überwiege n bi s heute außen- und sicherheitspoli tische Aspekte 2. Die s gil t auc h fü r de n Schuman-Pla n vo m 9 . Ma i 1950 , de r di e
Grundlage fü r di e Montanunio n bildet e un d dami t eine n wichtige n Schrit t zu r
Annäherung zwische n Frankreich un d der Bundesrepublik Deutschlan d nu r wenige
Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs darstellte . Selbst der britische Histori ker Ala n Milward , de r di e wirtschaftliche n Hintergründ e de s französische n Vor schlags im Detail untersucht hat , hält dessen Motive weiterhin für überwiegend poli tisch3.
Die Rolle der Vertreter der betroffenen Industrie n ha t erst in jüngster Zeit das Interesse der historischen Forschun g gefunden 4. Dabe i betont John Gillingham vo r allem di e Kontinuitä t de r Montanunio n mi t de n internationale n Stahlkartelle n de r
zwanziger und dreißiger Jahre. Seiner Meinung nach »hätte die französisch-deutsch e
Verständigung übe r Kohl e un d Stah l nicht geschehe n können , hätt e e s nicht i n der
westeuropäischen Schwerindustri e ein e Tradition der Produzenten-Kooperation ge geben«5. Allerdings weis t er gleichzeitig au f die einhellige Ablehnung de s SchumanPlans durch die französische Stahlindustri e hin , eine Haltung, die angesichts der Tatsache, daß nach Meinung von Gillingham di e Ruhr un d Westdeutschland insgesam t
Hauptnutznießer de r Gemeinschaft waren , verständlich erscheine n muß 6.
1 De r Autor möcht e a n dieser Stelle den Organisatoren des Kolloquiums , in erster Linie Dr. Andreas
Wilkens, dafü r danken , ih m di e Möglichkei t zu r Teilnahm e eingeräum t z u haben . Fü r inhaltlich e
Kommentare is t e r de n Teilnehmer n sowi e besonder s Professo r Patric k Fridenso n z u Dan k ver pflichtet, de r mi t seine n kritische n Hinweise n sei t Jahren eine n erhebliche n Beitra g z u seine n For schungen und Veröffentlichungen übe r die deutsch-französischen Beziehunge n leistet. Für deren Inhalt trägt der Autor trotzdem die alleinige Verantwortung.
2 Sieh e die zahlreichen Arbeiten von Pierre Gerbet, Wilfried Loth und Raymond Poidevin, die an dieser Stelle nicht im einzelnen zitiert werden können.
3 Ala n MILWARD, The Reconstruction of Western Europe 1945-1951,2. Aufl., Berkeley 1987 , S. 377ff.
4 Ei n Grund dafür mag die schwierige Quellenlage sein. Nach Auskunft des BDI sind die meisten Ak ten aus seiner Frühzeit vernichtet worden. Die Unterlagen des CNPF befinden sic h in den Archives
Nationales, sind aber nur mit Genehmigung zugänglich. Diese wird zur Zeit noch sehr restriktiv gehandhabt.
5 Joh n GILLINGHAM , Zu r Vorgeschichte der Montan-Union. Westeuropas Kohl e und Stahl in Depression und Krieg, in: VfZ 34 (1986) S. 381-405, hier S. 381.
6 DERS. , Coal , Steel, and the Rebirth of Europe, 1945-1955. The Germans and French from Ruhr Conflict t o Economi c Community , Cambridg e 1991 , S. 229 sowi e da s mi t »Bonn , Boom , Bang « über schriebene Kapitel.
250
Matthias Kippin g
Dagegen sieht Philippe Mioche in der Haltung der französischen Stahlproduzen ten einen Wandlungsprozeß. Nach anfängliche m Zöger n habe sich deren Verband,
die Chambre Syndicale de la Sidérurgie Française (CSSF), deutlich gegen die Montanunion gestell t und mi t allen Kräften dere n Ratifizierung z u verhindern gesucht .
Den Mißerfolg dieser Anstrengungen erklärt er einerseits mit dem Übergewicht der
politischen Erwägungen, anderseits damit, daß die Stahlindustrie die Unterstützung
des Unternehmerverbandes CNPF {Conseil National du Patronat Français) verloren
habe. Dessen Vorsitzender George s Villiers war, so Mioche, »den Bemühungen um
die wirtschaftliche Integratio n eindeutig wohlgesonnen«7. Nach Ansicht von Werner
Bührer stan d auc h der Bundesverband de r Deutschen Industri e der europäische n
Einigung im allgemeinen sehr positiv gegenüber. Die Verbandsvertreter hätten allerdings gegen den Schuman-Plan gewisse »Einwände« gehabt, ohne diese jedoch lautstark zu äußern, da sie wußten , daß es keine »realistische Alternative« dazu gab. Außer dem habe »der Einfluß des Verbandes der Eisen- und Stahlindustrie denjenigen de s
BDI bei weitem übertroffen« 8.
Demgegenüber versuch t de r vorliegende Beitra g aufzuzeigen , da ß de r entschei dende Widerstand gegen die Montanunion gerade von den beiden Spitzenverbänden
kam. Sie machten detaillierte Vorschläge zu deren Ausgestaltung als Kartell der Produzenten, di e i m deutlichen Gegensat z zu r marktwirtschaftlic h orientierte n Kon zeption vo n Jean Monnet, dem eigentlichen Initiato r de s Schuman-Plans, standen .
Wie der erste Teil des Aufsatzes belegt, hatten diese Vorstellungen der Unternehmervertreter zur wirtschaftlichen Integratio n in Westeuropa bereits vor dem 9. Mai 1950
Gestalt angenommen und zu einer ersten Annäherung zwischen den Verbänden geführt. Der zweite Teil gibt einen kurzen Überblick über die Hintergründe des Schuman-Plans und di e unmittelbaren Reaktione n der Betroffenen. I m Mittelpunkt des
dritten Teils stehen die Bemühungen des CNPF und des BDI, den Vertrag über die
Europäische Kohle- und Stahlgemeinschaft i n ihrem Sinne zu beeinflussen. Wenn ihnen auch der Erfolg weitgehend versagt blieb, beschleunigten sie jedoch den Ausbau
der direkten Beziehungen zwischen den deutschen und französischen Industriellen .
Der vierte Teil macht deutlich, wie es Jean Monnet gelang, sich trotz dieses massiven
Widerstandes mi t seine r Konzeptio n de r europäische n Integratio n weitgehen d
durchzusetzen. Er konnte sich dabei in den Kreisen der französischen Industri e auf
eine einflußreiche, abe r bislang wenig beachtete Gruppe , nämlich di e Metallverar beiter stützen.
7 Philipp e MIOCHE, L e patronat de la sidérurgie français e e t le Plan Schuman en 1950-1952: les apparences d'un combat et la réalité d'une mutation, in: Klaus SCHWABE (Hg.), Die Anfänge des SchumanPlans, Baden-Baden 1988 , S. 305-318 sowie DERS. , L'adaptation du patronat de la sidérurgie français e
à l'intégration européenn e d e 1945 à 1967, in: Michel DUMOULI N u.a. (Hg.), L'Europ e d u patronat ,
Bern 1993, S. 63-75.
8 Werne r BÜHRER , The Fédératio n o f Germa n Industr y an d European Integratio n 1949-1960 , ibid. ,
S. 17-28; vgl. auch DERS., Der BDI und die Außenpolitik der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren,
in: Vf Z 40 (1992) S. 241-261.
Welches Europa soll es sein?
251
Annäherung zwischen den Unternehmervertreter n
Aufgrund de r unzureichenden Quellenlage liegen die Ursprünge der erneuten Kontaktaufnahme zwische n de n deutsche n un d französische n Industrielle n nac h de m
Zweiten Weltkrieg noch weitgehend im Dunkeln9. Interesse an einer Neuaufnahm e
der Beziehunge n zwische n Industrievertreter n bestan d sicherlic h beiderseit s de s
Rheins. So richtete beispielsweise die kurz zuvor neugegründete Chambre Syndicale
de la Sidérurgie Française bereits im Januar 194 6 einen ständigen Zollausschuß ein,
dessen Aufgab e »di e Wiederaufnahme de r Außenbeziehungen , Kartellabsprachen ,
etc.« beinhaltete 10. Daß de r französisch e Verban d scho n damal s Kontakt e mi t de r
deutschen Stahlindustri e suchte , ist allerding s ehe r zweifelhaft . Tatsächlic h ginge n
Bemühungen in diese Richtung eher von der Ruhrindustrie und ihr nahestehende n
Kreisen aus. Im Einvernehmen mit westdeutschen Politiker n und Gewerkschaften ,
suchten diese nach Möglichkeiten, die von den Alliierten geplante Demontage und
Entflechtung de r Stahlkonzerne zu verhindern. Dabei wurde auch eine direkte Beteiligung der französischen Herstelle r an den deutschen Werken erwogen.
Im November 1947 schlug der Kölner Bankier Robert Pferdmenges einem Vertreter des größten französischen Stahlproduzente n De Wendel vor, einen 50%igen Anteil an den Vereinigten Stahlwerken zu erwerben. Er fand dafür bei der französische n
Firma aber anscheinend keine große Resonanz. Es ist wahrscheinlich, daß hinter diesem Vorschlag sei n Freund Konra d Adenaue r steckte . Der später e Bundeskanzle r
hatte ähnlich e Vorstellunge n zu r deutsch-französische n Wirtschaftsverflechtun g
schon in den zwanziger Jahren geäußert. Er selbst oder ihm nahestehende Persön lichkeiten, darunter nebe n Pferdmenges auc h der Klöckner-Chef un d CDU-Abge ordnete Günter Henle, griffen si e nach dem Krieg immer wieder auf, allerdings ohne
Erfolg. Nebe n eine r Abhilf e fü r di e französisch e »Sicherheitspsychose « bo t dies e
Lösung auch eine Möglichkeit, die dringend notwendige Modernisierung der deutschen Produktionskapazitäte n z u finanzieren , den n de r Erwer b de r Anteil e sollt e
mit Hilfe amerikanischen Kapitals erfolgen 11.
Eine weitau s nachhaltiger e Wirkun g hatte n di e Bemühunge n de s CNPF-Präsi denten Georges Villiers um eine Annäherung zwischen der französischen un d deutschen Industrie. Erste konkrete Vorschläge dazu unterbreitete der Verband im Sommer 1948. Damals war klar, daß sich eine Teilnahme der westdeutschen Besatzungszonen a m Wiederaufbau i n Europa un d de r dafü r vo n den Vereinigten Staate n im
Rahmen des Marshallplans bereitgestellte n Finanzhilf e nich t mehr verhindern ließ.
9 Vgl . zum folgenden im Detail Matthias KIPPING, Zwischen Kartellen und Konkurrenz. Der Schuman-Plan und die Ursprünge der europäischen Einigung 1944-1952 , Berlin 1996 , S. 75-80. Siehe
auch Werner BÜHRER, Ruhrstahl und Europa . Die Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie
und die Anfänge der europäischen Integration 1945-1952 , München 1986, S. 113-125 und DERS. ,
Wegbereiter der Verständigung. Deutsch-französische Industriellenkontakt e 1947-1955 , in: Revue
d'Allemagne 23 (1991 ) S. 76-78. Bührer stützt sich auf deutsche Quellen und kommt daher teilweise
zu anderen Angaben.
10 Informationssitzun g der CSSF am 18.1.1946, zusammengefaßt von François de Villepin, 19.1.1946,
Archives de Saint-Gobain-Pont-à-Mousson, Blois, PAM 70671.
11 Daz u mit weiterer Literatur KIPPING (wie Anm. 9) S. 142-14 5 und DERS., Competing for Dollars and
Technology: The United States and th e Modernization of the Frenc h and Germa n Steel Industries after
World War II, in: Business and Economi c History 23/1 (Herbs t 1994) S. 229-240, hier: S. 235f.
252
Matthias Kippin g
Die deutsche Industrie würde daher über kurz ode r lang erneut ihre n Weg auf di e
Auslandsmärkte finden . Di e Währungsreform vo m Juni 194 8 hatte bereits eine der
Voraussetzungen dafür geschaffen 12.
Im Folgemonat verfaßte der französische Unternehmerverban d ein e Stellungnahme zum »deutschen Problem«, in der er eine Teilnahme der Westzonen am Marshallplan eindeutig befürwortete 13. Ansonsten , so heißt es darin, werde »ein elendes und
haßerfülltes Deutschlan d daz u getrieben , eine politische Penetration de s Ostens zu
akzeptieren«. Der CNPF forderte zwar einerseits gewisse Vorsichtsmaßnahmen, besonders im Hinblick auf die militärische Sicherheit und die Kontrolle der Ruhrproduktion, sah aber den »Aufbau eine s einheitlichen Westeuropa mit einem freien Verkehr von Waren, Kapital und Arbeitskräften« al s ebenso wichtigen Garanten für die
Sicherheit Frankreichs. Dort werde »Westdeutschland seine n natürlichen Platz fin den, statt eine Belastung zu sein«.
In wirtschaftliche r Hinsich t erwartet e de r französisch e Unternehmerverban d
ein Wiedererstarken de r deutsche n Konkurrenz , d a Deutschland ebens o wie die
anderen westeuropäischen Staaten genötigt sei zu exportieren, um seine Zahlungsbilanz auszugleichen . Nach de m Verlust der traditionellen Märkt e i n Mittel- und
Osteuropa werd e di e deutsche Industri e ih r Augenmer k soga r vermehr t au f de n
Westen richten. Um den dadurch möglichen Kampf u m die Absatzmärkte z u verhindern, schlugen die Industrievertreter de n Abschluß von Kartellabsprachen vor:
»Eines der ersten Ziele einer Wiederaufnahme de r Handelsbeziehungen zwische n
Frankreich un d Deutschlan d mu ß die Beibehaltung, die Konsolidierung ode r di e
Erneuerung der besonderen Abmachungen sein, die vor dem Krieg zwischen fran zösischen und deutschen Industrielle n und Händler n i n einer großen Anzahl von
Branchen bestanden . Diese Abmachungen, dere n Zahl über hundert lag , betrafe n
die Preise, eine Aufteilung der Kunden sowie die Benutzung von Patenten oder Lizenzen.«
Zum einen erscheint die hier vom französischen Unternehmerverban d eingenom mene Haltun g zu r deutsche n Teilnahm e a m europäische n Wiederaufba u i n vielen
Punkten realistische r un d konstruktive r al s die damals vo n de r Parise r Regierun g
verfolgte Politik 14. Zum anderen wird in dieser Stellungnahme ein Phänomen deutlich, das Volker Berghahn in zahlreichen Arbeiten immer wieder herausgestellt hat.
Demnach konnte n sich die meisten europäischen Industrielle n nac h den Erfahrun gen der Zwischenkriegs- und Kriegszeit »ein Wirtschaftssystem ohn e Kartelle nicht
12 Christop h BUCHHEIM , Di e Wiedereingliederun g Westdeutschland s i n die Weltwirtschaft 1945-1958 ,
München 199 0 und Werner ABELSHAUSER, Wirtschaftsgeschicht e de r Bundesrepublik Deutschlan d
1945-1980, Frankfurt/M. 1983 .
13 CNPF, Observation s su r l e problèm e allemand , 20.7.1948, PAM 70669. Auto r un d Adressa t sin d
leider unbekannt. Vgl. jetzt hierzu den Beitrag von Andreas Wilkens in diesem Band.
14 Es schein t jedoch , da ß zu m gleiche n Zeitpunk t auc h innerhal b de s Außenministerium s ei n Um denken i n de r Deutschlandfrag e begann , vgl . daz u u.a . Raymon d POIDEVIN , De r Fakto r Europ a
in de r Deutschlandpoliti k Rober t Schuman s (Somme r 1948 bi s Frühjah r 1949) , in : VfZ G 3 3
(1985) S . 407-410 un d besonder s Dietma r HÜSER , Frankreich , Deutschlan d un d di e französisch e
Öffentlichkeit 1944-1950 , in: Stefan MARTEN S (Hg.), Vom »Erbfeind« zu m »Erneuerer« . Aspekt e
und Motive de r französischen Deutschlandpolit k nac h dem Zweite n Weltkrieg , Sigmaringe n 199 3
(Beihefte de r Francia, 27), S. 19-64 .
Welches Europa soll es sein?
253
mehr vorstellen« 15. Bezeichnenderweis e hatt e CNPF-Präsiden t Villier s bereit s i m
April 194 8 empfohlen, au f di e zunehmende international e Konkurren z durc h »di rekte Kartellabsprachen zwischen den Herstellern über eine Aufteilung der Produktion und der Märkte« z u reagieren, »um so die Verschwendung einer anarchische n
und unbändigen Konkurrenz durch eine loyale Auseinandersetzung auf dem Gebiet
der Qualität und der Preise zu ersetzen«16.
Getreu seinen eigenen Vorschlägen bemühte sich der Spitzenverband in der Folgezeit tatsächlic h darum , die Kontakte zu r deutschen Industri e wiederherzustellen 17.
So übernahm er im Herbst 194 8 die Kontrolle über die Association pour le Commerce et l'Industrie Français en Allemagne (ACIA). Diese Vereinigung war gegen Ende
1947 mit Unterstützun g ode r au f Initiativ e de r französische n Administratio n ge schaffen worden , u m »dauerhaft e wirtschaftlich e Kontakt e zwische n de n beide n
Ländern herzustelle n un d Möglichkeite n eine r Zusammenarbeit de r beiden Volkswirtschaften z u prüfen«. Offenbar wa r die ACIA als organisatorische Plattform wenig erfolgreich, den n der Unternehmerverband gründet e im April 194 9 gemeinsam
mit der Chambre de Commerce de Paris die Association Française pour les Relations
Economiques avec l'Allemagne (AFREA) unter Vorsitz des CNPF-Präsidenten un d
des Leiters der Handelskammer.
Im gleichen Zeitraum unternahm George s Villiers weitere Schritte, um die Kommunikation und die Konzertation zwische n den westeuropäischen Industrievertre tern zu stärken und »um darüber zu wachen, daß sich Europa in einer liberalen Atmosphäre entwickelt«18. Im Mai 1949 lu d er Repräsentanten der Spitzenverbände aus
allen Teilnehmerländern des Marshallplans nach Paris ein, die beschlossen, einen Rat
der Europäischen Industrieverbände (REI) zu gründen. Man wählte Villiers zum ersten Präsidenten de s Rates und richtet e ei n ständiges Sekretariat i n Paris ein. Dort
traf sich auch von September 194 9 an das Orientierungskomitee de s Rates, dem unter andere m Si r Norman Kippin g vom britischen Unternehmerverban d un d BDI Präsident Fritz Berg angehörten.
In den Folgemonaten und -jähren kam es in diesem Rahmen zu einem regen Meinungsaustausch i n Frage n de r wirtschaftliche n Zusammenarbei t i n Europa 19. Di e
Vorsitzenden de s CNPF und des BDI entwickelten außerde m eng e freundschaftli che Bindungen. Danebe n trafe n sic h deutsch e un d französisch e Industrievertrete r
seit 194 9 auch vermehr t i m Rahmen de r Europabewegung , beispielsweis e au f de r
Westminster-Konferenz i m April oder bei einer bilateralen Zusammenkunft i n Bern15 Volke r R. BERGHAHN , Montanunio n un d Wettbewerb, in: Helmut BERDIN G (Hg.) , Wirtschaftlich e
und politische Integratio n i n Europa i m 19 . und 20 . Jahrhundert, Göttinge n 1984 , S. 247-270, hie r
S.251.
16 Nécessité de la baiss e des prix. U n appe l d e M . George s VILLIERS , in : L'Usin e Nouvell e vom
29.4.1948.
17 Di e folgende Darstellung beruht auf Beiträgen in L'Usine Nouvelle vom 20.1., 7.4. und 21.4.1949 sowie au f Äußerungen von George s Villiers vor dem Comité Directeu r des CNPF am 17.9.194 8 un d
am 14.6.1949, siehe dessen Sitzungsprotokolle, Archives Nationales (AN) , 72AS 873.
18 George s VILLIERS, Témoignages, Paris 1978, S. 149.
19 Di e Sitzungsprotokolle diese r Treffen sowi e der halbjährlichen Hauptversammlungen finde n sic h
in A N , 72Ä S 78 8 un d 809 ; vgl. auc h Walte r HERRMANN , De r Ra t de r Europäische n Industrie verbände (REI ) i n seinen erste n 25 Jahren, in: Zeitschrift fü r Unternehmensgeschichte 2 4 (1979 )
S. 45-61 .
254
Matthias Kipping
kastei im November20 . Doch bildeten vor allem der REI und das gute persönliche Verhältnis zwischen Villiers und Berg die Grundlage für die konzertierte Aktion der beiden
Spitzenverbände in der Auseinandersetzung um die Ausgestaltung der Montanunion .
Der Schuman-Plan: Motivation und Reaktione n
Die am 9. Mai 195 0 von Außenminister Rober t Schuman vorgetragene Erklärung er hielt eine n deutliche n Hinwei s darauf , da ß e s sic h be i de r geplante n Kohle - un d
Stahlgemeinschaft nich t um ei n internationales Kartel l handeln sollte . Pierre Uri, ein
enger Mitarbeite r vo n Jean Monnet , hatte außerde m ei n zusätzliches Memorandu m
verfaßt, i n dem er die Unterschiede zwische n dem »Pool « und eine m Kartellabkom men im Detail herausstellte 21. Gestützt auf die Memoiren der beiden Akteure, hat die
Forschung dies e Äußerunge n vo r alle m al s eine n Versuc h interpretiert , amerikani sche Bedenke n z u zerstreuen , e s handl e sic h bei m Schuman-Pla n u m ei n mühsa m
vertuschtes Superkarteil 22. Di e Aktione n un d Stellungnahme n Monnet s sowoh l i m
Vorfeld al s auc h unmittelba r nac h de r Erklärun g vo m 9 . Mai mache n jedoc h deut lich, daß er tatsächlich direkte Absprachen zwische n den Produzenten mi t allen Mitteln zu verhindern suchte .
So hatten sein e Mitarbeiter i m Plankommissariat unte r Hinzuziehun g eine s Juristen bereit s i n de r erste n Jahreshälfte 194 9 einen Gesetzentwur f zu m Kartellverbo t
erarbeitet, de r sic h weitgehend a n de n strikte n amerikanische n Antitrustregelunge n
orientierte23. Aufgrund erhebliche r Widerständ e seiten s des Unternehmerverbande s
und au s de n Reihe n de s christdemokratische n Mouvement Républicain Populaire,
d.h. der Partei von Rober t Schuman, fand de r Vorschlag in der französischen Regie rung jedoch keine tragfähige Mehrheit. Nach langen internen Auseinandersetzunge n
legte der Finanzminister schließlich am 12. Mai 1950 dem Parlament einen Kabinettsentwurf vor . Anders als von Monnet vorgeschlagen, sah dieser jedoch kein absolute s
Verbot fü r Kartell e vor , sonder n ermöglicht e di e Unterscheidun g zwische n »nütz lichen und schädliche n Absprachen« .
Im Herbs t 194 9 hatt e Monnet eine dramatisch e Warnun g vo r eine r Neuauflag e
nationaler und internationale r Kartell e an die Amerikaner gerichtet . Diese Entwick lung, so erklärte der Plankommissar gegenübe r eine m Mitarbeiter de r Marshallplan Behörde in Frankreich, drohe »di e Steigerung der Produktivität un d de r Produktio n
zu behinder n un d generel l de n wirtschaftliche n Wiederaufba u aufzuhalte n ode r z u
verzögern«24. Nur ein e »sofortige un d entschieden e Aktion der USA« könne verhin20 Vgl . zu beiden Treffen BÜHRER . Ruhrstahl (wie Anm. 9) S. 135f . und 161f .
21 De r US-Botschafter i n Frankreich sandte dessen Text am 12.5.1950 nach Washington, Foreign Relations of the United States (FRUS) 1950, Bd . III, S. 700f.
22 Sieh e für Details KIPPING (wie Anm. 9) S. 174-178.
23 Vgl . hierzu und zum folgenden Matthia s KIPPING, Concurrence et compétitivité. Les origines de la
législation anti-trus t français e aprè s 1945, in: Etudes e t Documents VI (1994) S. 429-455. Da das
Originaldokument bislang nicht auffindbar ist , bleiben Vermutungen über Inhalt und Datierung auf
Hinweise in anderen Quellen angewiesen.
24 Missio n to France TOECA and OSRN° 1275,11.10.1949 , United States National Archives, Record
Group 469, Mission to France, Office o f the Director, Communications and Records Unit, Subject
Files (Central Files) 1948-56, Germany; siehe auch FRUS 1949, Bd . IV, S. 443-445, bes. Fn. 2.
Welches Europa soll es sein?
255
dern, daß sich die französischen un d britischen Industriellen den von den deutschen
Konzernen ausgehenden Bemühungen um Kartellabsprachen anschlössen.
Seit Mitte des Jahre s trafen sich in der Tat Vertreter der westeuropäischen Stahlindustrie, um über möglich e Maßnahmen gege n den rapide n Verfal l de r Weltmarkt preise für Stahlprodukt e zu diskutieren. Anscheinend hatten sie sich damals bereits
über ein e Aufteilung de s Schweizerischen Markte s einige n können 25. Es ist unklar,
ob die Initiative dafür tatsächlic h von den deutschen Herstellern ausging. Doch verteidigte dere n Verband , di e Wirtschaftsvereinigun g de r Eisen - un d Stahlindustri e
(WV Stahl), gegenüber Bundeswirtschaftsminister Ludwi g Erhard di e Notwendigkeit von »Marktabreden« unter Hinweis auf »internationale Entwicklungen« 26.
In diesem Zusammenhang mu ß der von Monnet und seine n engen Mitarbeiter n
verfaßte Schuman-Plan auch als ein Versuch gewertet werden, die Neubildung internationaler Kartell e z u verhinder n un d bestehend e national e Kartell e aufzulösen 27.
Diese Absicht macht e der Plankommissar beispielsweis e gegenübe r Vertretern de r
britischen Regierung deutlich, die er zu einer Teilnahme an den Verhandlungen über
die Montanunion bewege n wollte 28. In eine m Gespräc h mi t französischen Stahl industriellen unterstrich Monnet ebenfalls, »daß die Hauptidee des Plans die Verurteilung aller Kartelle war«29. Außerdem lehnte er jede unmittelbare Beteiligung von
Industrievertretern an den Verhandlungen ab, die am 20. Jun i 1950 unter seiner Leitung zwische n de n Delegatione n au s Frankreich, de r Bundesrepublik , Italie n un d
den Benelux-Ländern begannen.
Die Auffassung von der wirtschaftlichen un d politischen Notwendigkeit der zwischenstaatlichen Integration in Europa unter Einschluß Deutschlands hatte Monnet
bereits i m Lauf e de s Kriege s entwickelt 30. Sein e Vorstellungen eine s gemeinsame n
Marktes ohne direkte Absprachen zwischen den Industriellen wurden wohl besonders durch seinen Aufenthalt i n den USA geprägt, zeigten aber auch eine deutliche
Nähe zu den Ideen des französischen Sozialiste n André Philip31. Es gibt einige Hinweise darauf , da ß Monnet die Hoh e Behörd e ursprünglic h al s Orga n zu r Über wachung der Wettbewerbsregeln innerhalb der Montanunion nach dem Vorbild der
amerikanischen Fédéral Trade Commission (FTC) geplant hatte32.
Dagegen hätten es die Vertreter der französischen Stahlindustrie , die in ihrer Mehrzahl noch persönliche Erfahrungen mit den Kartellen der Zwischenkriegszeit hatten,
25 Daz u mit Quellen und weiterer Literatur KIPPIN G (wi e Anm. 9) S. 139f .
26 Vermer k übe r di e Vorstandssitzung a m 16.3.1950 , Historische s Archi v de r WV Stahl , Düsseldorf ,
Sitzungsberichte 1947-1952 , Bd. 3.
27 Natürlic h handelt es sich hier nur um einen Aspekt des französischen Vorschlags. Dieser wird in der
Forschung allerdings häufig unterbewertet, vgl. dazu im Detail KIPPIN G (wi e Anm. 9) S. 16-22.
28 Ibid. , S. 177.
29 Zusammenfassun g eine s Treffen s a m 30.6.1950 , PA M 19413 , zitier t vo n MIOCHE, Patrona t (wie
Anm. 7) S. 309 .
30 E r verdeutlichte si e beispielsweis e i n zwei Interview s mi t der Zeitschrift Fortun e 194 4 und 1945 ,
Jean MONNET, Erinnerungen eines Europäers, München 1978 , S. 282-285.
31 Vgl . dazu im Detail KIPPIN G (wie Anm. 9) S. 149-156 .
32 Nac h de n Erinnerunge n seine s enge n Mitarbeiter s Jacques VA N HELMONT , Options européenne s
1945-1985, Luxemburg 1986 , S. 29. Der mit Monnet befreundete US-Juris t Georg e W. Ball fertigt e
während der Verhandlungen eine Ausarbeitung über die FTC an, siehe Irwin M. WALL , The Unite d
States and the Making of Postwar France 1945-1954, Cambridge 1991 , S. 192.
256
Matthias Kippin g
vorgezogen, di e Einzelheite n de s Plan s i m direkte n Gespräc h mi t ihre n ausländi schen Kollegen zu erörtern . Tatsächlich erklärt e CSSF-Präsident Aubru n i n einem
Gespräch mi t Monnet noch a m 9 . Mai, daß e r zunächs t einma l Kontak t mi t de n
deutschen Stahlproduzente n aufnehme n wolle 33. Daß di e Verbandsführung natio nale und internationale Kartelle als beste Form der Marktorganisation sah, verdeutlichen auc h die Diskussionen, di e zum gleiche n Zeitpunkt innerhal b de r französi schen Stahlindustrie auf Anregung der CSSF stattfanden. Ih r Ziel war es, das noch
aus der Kriegszei t stammend e un d sei t 194 7 vom Verban d gelenkt e zentral e Ver kauf skontor {Comptoir des Produits Sidérurgiques) durch ei n freiwilliges Abkom men zwischen den Produzenten z u ersetzen 34. Aubruns rechte Hand, Alexis Aron,
bezeichnete eine solche Abmachung als Vorstufe und Vorbedingung jeglicher internationaler Übereinkunft 35.
Die deutschen Stahlhersteller nahmen den Schuman-Plan zunächst positiv auf, da
sie sich davon ei n Ende der Demontagen, der Konzernentflechtun g un d de r ihnen
von den Alliierten auferlegten Produktionsbeschränkun g versprachen 36. Doch auch
in der Wirtschaftsvereinigung de r Eisen- und Stahlindustrie wurde die Ansicht vertreten, »man müßte eine Fühlungnahme mit französischen Industrielle n suchen und
auf dieser industriellen Basis die Pläne erörtern«. Tatsächlich war nach Informatio nen aus Paris die französische Stahlindustri e gewillt , »mit der deutschen sofort zu sammenzukommen«37. Wahrscheinlic h trafe n sic h di e Vertreter de r französische n
und westdeutschen Produzente n in der Folgezeit am Rande der Verhandlungen regelmäßig38. Dennoch scheinen die Verbände damals keine konkreten Vorschläge zur
Ausgestaltung des Schuman-Plans gemacht zu haben. Bemühungen, der geplanten
Gemeinschaft ein e kartellähnlich e For m z u geben , kame n dagege n au s Teilen de r
französischen Verwaltung , wo man bereits während de s Krieges mit ähnlichen Gedanken gespielt hatte39.
33 Nac h Angabe n vo n Jacque s Ferry , damal s Wirtschaftssekretär , späte r Generaldelegierte r un d
schließlich Präsiden t de r CSSF , wiedergegeben i n eine r Not e vo n François de Villepin , 16.5.1950 ,
PAM 70690.
34 Si e hatten schon im März 195 0 begonnen, um der zunehmenden Kritik am CPS, die von den Metallverarbeitern aber auch aus der französischen Stahlindustri e selbs t kam, zu begegnen, scheiterten jedoch im September 195 0 am Widerstand zahlreicher Stahlproduzenten, vgl. im Detail KIPPIN G (wi e
Anm. 9) S. 98-101,109-111 un d 197-203 .
35 E r selbs t hatt e übrigen s scho n währen d de s Kriege s detailliert e Plän e fü r ei n weltumspannende s
Stahlkartell ausgearbeitet, siehe Philippe MIOCHE, La vitalité des ententes sidérurgiques en France et
en Europe de l'entre-deux-guerres à nos jours, in: Dominique BARJO T (Hg.), Internationa l Cartel s
Revisited (1880-1980), Caen 1994, S. 119-128, hier S. 123f .
36 Sieh e zur Reaktion der Ruhrindustrie im Detail BÜHRER , Ruhrstah l (wie Anm. 9) S. 170-179.
37 Vermer k übe r di e Sitzun g de s engere n Vorstand s a m 3.6.1950, Historische s Archi v de r WV Stahl ,
Düsseldorf, Sitzungsberichte 1947-1952 , Bd. 3.
38 Da s kan n man aus Äußerungen von Aubrun schließen, der sich immer wieder darüber beschwerte ,
daß er mehr Informatione n übe r den Stand der Verhandlungen vo n seine n ausländische n Kollege n
als von de r französischen Delegatio n erhielt , sieh e etw a sein e Schreibe n a n Monnet vom 12.7 . und
6.9.1950, beide in A N, 81A J 135.
39 KIPPIN G (wi e Anm. 9) S. 75f. Vgl. zu den Überlegungen über die Nachkriegsordnung Europa s insgesamt Michel DUMOULIN (Hg.), Plans de s temps de guerre pour l'Europ e d'après-guerr e 1940-1947,
Brüssel 199 5 sowi e fü r Frankreic h Andre w SHENNAN , Rethinkin g France . Plan s for Renewal
1940-1946, Oxford 1989 .
Welches Europa soll es sein?
257
So sahen die Mitarbeiter der Abteilung für Außenwirtschaftsbeziehungen {Direction des Relations Economiques Extérieures) des Finanzministeriums die Vorstellungen Monnets mit großem Unbehagen. Seit 1948 hatten sie zahlreiche Vorschläge zur
wirtschaftlichen Integratio n in Europa unterbreitet, die eine Zoll-, Wirtschafts- un d
eventuell soga r Währungsunio n anstrebten 40. U m de n Bedenke n de r Industrielle n
gegen die Gefahren eine r »anarchischen « Konkurren z gerech t z u werden , sahe n
ihre Pläne den Abschluß von »Spezialisierungsabkommen« innerhal b der einzelnen
Branchen vor . De n Mißbrauc h diese r kartellähnliche n Abmachunge n sollt e ein e
»Europäische Investitionsbank« durc h die Kontrolle der notwendigen Kredit e verhindern. Diese, Idee, die der französische Finanzministe r Mauric e Petsche erstmal s
im Herbst 194 9 geäußert hatte, griff e r im Juli 1950 wieder auf. Nach den Aussagen
eines hohen Ministerialbeamten stand dahinter auch der Gedanke, »die Initiative in
dieser Sach e zurückzugewinnen un d da s Treiben vo n Herr n Monnet, wenn nich t
ganz auszuschalten, so doch zumindest zu überwachen«41. Diese Bemühungen blieben jedoch erfolglos 42.
Eindeutige Vorschläg e für ein e Neuauflage de s internationalen Stahlkartell s ka men seit Anfang 195 0 aus dem Industrieministerium. Die beiden leitenden Beamten
der fü r di e Montanindustrie n zuständige n Abteilun g sahe n dari n vo r alle m ein e
Möglichkeit, die alliierte Kontrolle der deutschen Stahlproduktion durch privatwirtschaftliche Abmachunge n (unte r minimale r staatlicher Aufsicht ) z u ersetzen. Ihrer
Ansicht nach bot der Schuman-Plan eine ausgezeichnete Gelegenheit, diese Vorstellungen zu verwirklichen43. Es erscheint denkbar, daß ihre Ideen Eingang in die internationalen Verhandlunge n übe r di e Ausgestaltung de r Vertragsbestimmungen fan den. Denn entgegen den erklärten Absichten Monnets sahen die zum Abschluß der
ersten Diskussionsrunde verfaßten Dokumente weitreichende Kompetenzen für die
Vertreter der betroffenen Industrie n vor 44.
Wahrscheinlich nach Warnungen seiner amerikanischen Berater, daß der Vertragsentwurf in Kartellstrukturen »zurückdrifte« , griff Monnet Anfang Oktober persönlich in die Verhandlungen über dessen wirtschaftliche Bestimmungen ein 45. Ende des
Monats unterbreitete die französische Delegation detaillierte Vorschläge zum Verbot
wettbewerbsbeschränkender Praktike n in der Montanunion. Anfang Dezember legte sie dann die Entwürfe zweier Artikel vor, die mit unwesentlichen Änderungen unter den Nummern 65 und 66 auc h Aufnahme in den endgültigen Vertragstext fanden.
Sie untersagten Kartellabsprache n un d unterwarfe n horizontal e un d vertikal e Zu sammenschlüsse eine r vorherigen Genehmigun g durc h di e Hohe Behörde 46. Diese
40 A m bekanntesten davon sind sicherlich die sogenannten Finebel/Fritalux-Projekte, siehe dazu mit
weiteren Literaturhinweisen KIPPING (wie Anm. 9 ) S. 80-8 6 und 123-129.
41 Le »Combinat« et POECE, Note pour M. Filippi, 19.5.1950, AN, F60ter 474.
42 Vgl . insgesamt KIPPING (wie Anm. 9 ) S. 170-174 . Eine Europäische Investitionsbank wurde erst mit
den Römischen Verträgen geschaffen.
43 Ibid. , S.135f. und 167-170.
44 Ibid. , S. 207-214.
45 Intervie w am 17.5.199 0 mit Raymond Vernon, der damal s die Verhandlunge n aus de m State Department verfolgte, vgl. zum US-Einfluß im Detail KIPPING (wie Anm. 9) S. 218-222.
46 Sieh e zu diesen Bestimmungen u.a. Hans A. SCHMITT, The European Coal and Steel Community:
Operations of the Firs t European Antitrust Law, 1952-1958, in: Business History Review 38 (1964)
S. 102-122. Vgl. zu ihrem Hintergrund auch KIPPING (wie Anm. 9 ) S. 222-224.
258
Matthias Kipping
Bestimmungen führte n z u eine r erheblichen Verschärfung de s Widerstandes gege n
die Montanunion sowohl in Frankreich als auch in der Bundesrepublik. Dabei konzentrierte sich die Argumentation der Gegner des Schuman-Plans vor allem auf den
Vorwurf des Dirigismus.
Die Auseinandersetzung um die Kartellfrag e
Die Vertreter der französischen Stahlindustri e standen dem Schuman-Plan von Anfang an sehr kritisch gegenüber. So äußerte CSSF-Präsident Jules Aubrun bereits unmittelbar nac h der Erklärung de s Außenministers un d seine m anschließenden Ge spräch mit Monnet in einem Zeitungsinterview »ernsthafte Besorgnisse« über die angeblich dirigistischen Methoden des Plankommissars47. Und in einem Schreiben, das
er am 12. Juli 1950 gleichzeitig an Robert Schuman und Jean Monnet richtete, machte
Aubrun seine kritische Haltung gegenüber der geplanten Montanunion erneut deutlich und verlangte gründliche Studien über deren Auswirkungen auf die französische
Stahlindustrie als Vorbedingung für weitere Gespräche mit dem Ausland48.
Auch de r CNPF, dessen Präsiden t ebenfall s a n dem obengenannten Treffe n mi t
Monnet teilgenommen hatte, stand den Vorstellungen des Plankommissars »sehr reserviert« gegenüber, obwohl er dem französischen Vorschlag »im Prinzip« zustimmte. Da s Führungsgremium de s Verbandes befürchtete, da ß es auf diesem Weg zu einer »Sozialisierung und Internationalisierung de r Basisindustrien« komme n würde.
Es beauftragte dahe r Georges Villiers damit, die weitere Entwicklung gena u zu beobachten und gegebenenfalls »z u verlangen, daß die Umsetzung des Schuman-Plans
der Privatwirtschaft anvertrau t werde«49. Auf der Hauptversammlung des CNPF am
1. Jul i 195 0 wiederholte Villier s di e prinzipielle Zustimmun g de s Verbande s zu m
französischen Vorschlag , warnte aber gleichzeitig vor einem möglichen »internationalen Dirigismus«, »wo doch der nationale Dirigismus, gegen den wir so viel gekämpft
haben, gerade erst verschwindet«50.
Aus diesen Äußerungen wird deutlich, daß die Vertreter der CSSF und des CNPF
unter dem Begriff de s »Dirigismus « vor allem eine Rückkehr zur Situation in der unmittelbaren Nachkriegszei t verstanden . Damals hatte die neue französische Regie rung die Kontrolle über den vom Vichy-Regime geschaffenen Lenkungs - und Verteilungsapparat der Wirtschaft übernomme n und außerdem eine Reihe von Schlüsselindustrien, darunter di e Kohleförderung, verstaatlicht 51. Erst im Laufe de r Jahre
1947 bis 1949 hob sie die Zwangsmaßnahmen auf und gab die Löhne sowie die meisten Preise schrittweise frei. Oftmals wurden die bestehenden Kontrollorgane jedoch
nicht aufgelöst , sonder n von den entsprechende n Verbände n übernommen , was in
47 L'Information vom 11.5.1950 , wo er allerdings nicht namentlich erwähnt wird. Daß es sich um
Aubrun handelt geht aus eine m Begleitschreiben hervor, PAM 82336.
48 Wi e Anm. 38. Die einzelnen Hersteller vertraten allerdings sehr unterschiedliche, darunter auch zustimmende Positionen zur Montanunion. Diese Divergenzen traten im Laufe der Verhandlungen
und der Ratifizierungsdebatte imme r deutlicher zu Tage, vgl. im Detail KIPPIN G (wi e Anm. 9)
S. 203-206 und 258-262.
49 Sitzun g des Comité Directeur am 13.6.1950 , AN, 72AS 874.
50 Hie r zitiert nach AGEFI vom 3.7.1950, AN, 81AJ 132.
51 Sieh e dazu im Überblick und mit weiteren Literaturhinweisen KIPPING (wie Anm. 9 ) S. 36-38.
Welches Europa soll es sein?
259
den Augen Monnets und anderer Kritiker zu einer Art »privatwirtschaftlichem Diri gismus« führte, wie etwa im Fall des bereits erwähnten Comptoir des Produits Sidérurgiques52.
Wie gesehen, hielten sich die französischen Unternehmervertrete r allerdings abgesehen von den genannten Warnungen anfangs mit allzu deutlicher Kritik und konkreten Gegenvorschlägen zurück. Erst als im Laufe der zweiten Runde der Verhandlungen im Herbst 195 0 die kartellfeindliche Ausrichtung des Vertrages immer deutlicher
wurde, verschärften si e ihre Angriffe. S o drohte CSSF-Präsident Aubru n i n einem
Brief an Ministerpräsident René Pleven vom 13. November 1950 offen mit der Ablehnung des Schuman-Plans durch die Stahlindustrie und wies außerdem auf die Gefahr
von sozialen Unruhen hin 53. Auch unter den deutschen Stahlherstellern kamen mehr
und mehr kritische Stimmen auf, als sichtbar wurde, daß die Vertreter der betroffene n
Industriezweige in der neuen Gemeinschaft nur eine minimale Rolle spielen sollten54.
Der Widerstan d de r einzelne n Herstelle r sowi e de r Wirtschaftsvereinigun g de r
Eisen- und Stahlindustrie richtete sich vor allem gegen die Bemühungen der Alliierten, di e Entflechtun g un d Dekartellisierun g de r deutsche n Montanindustrie n vo r
dem Abschluß der Vertragsverhandlungen endgülti g durchzuführen. Dabe i bestand
die französische Regierung auf der weitgehenden Abschaffung de r sogenannten Verbundwirtschaft, d.h . der vertikalen Integratio n vo n Kohleförderun g un d Stahlpro duktion, di e Amerikane r dagege n au f eine r Auflösun g de r Monopolstellun g de s
Deutschen Kohlenverkauf s (DKV) . Anfang 195 1 verweigerte schließlic h di e Bundesregierung ihre Zustimmung zu den oben erwähnten Bestimmungen über Kartellverbot und Fusionskontrolle und verhinderte damit vorläufig den Abschluß der Verhandlungen über die Montanunion. Einerseits war dies sicherlich eine Reaktion auf
den zunehmenden Druc k seiten s der Industrie. Es gibt aber andererseits Hinweis e
darauf, da ß dahinte r auc h taktisch e Erwägunge n standen . Demnach versucht e di e
Bundesregierung, vo n de n Alliierte n günstiger e Konditione n fü r di e Neuordnun g
der Stahlkonzerne zu erwirken 55.
Trotz einer ähnlichen Interessenlage und regelmäßigen Treffen zwische n den Repräsentanten de r deutschen un d französische n Stahlproduzente n schein t e s damals
nicht zu Absprachen über mögliche konzertierte Aktionen gekommen zu sein. Dagegen verständigten sich die Spitzenverbände der sechs Teilnehmerstaaten am Schuman-Plan Anfang 195 1 au f eine gegen den Vertragsentwurf i n seine r damaligen Form
gerichtete gemeinsam e Erklärung. Sie wurde woh l a m Rande de r Hauptversamm lung des Rates der Europäischen Industrieverbände (REI) , die am 8. Januar 195 1 in
Paris stattfand, beschlosse n und wenige Tage später den Verhandlungsdelegationen ,
den betroffenen Regierunge n und der Presse übergeben. Das Dokument enthielt ne52 Sieh e oben S. 256 sowie KIPPING (wie Anm. 9) S. 63-75.
53 Pleven sandte noch am gleiche n Tag ein e Kopie des Schreibens an Monnet, AN, 81AJ 135.
54 Vgl . etw a die Bemerkunge n au f de r Vorstandssitzung de r Wirtschaftvereinigung de r Eisen- und
Stahlindustrie a m 11.12.1950 , Historische s Archi v de r W V Stahl , Düsseldorf , Sitzungsbericht e
1947-1952, Bd. 3 . BÜHRER , Ruhrstahl (wie Anm. 9 ) bes. S. 186f . scheint diesen Meinungswandel unterzubewerten, vgl. dagegen KIPPING (wie Anm. 9) S. 224-228.
55 S o Isabel WARNER, Allied-German Negotiations on the Déconcentration of the West German Steel
Industry, in: Ian D. TURNE R (Hg.) , Reconstruction in Post-War Germany . British Occupation
Policy and the Western Zones, 1945-1955, Oxford 1989, S. 155-185 , hier S. 169.
260
Matthias Kipping
ben einer allgemeine n Stellungnahm e auc h konkret e Gegenvorschläg e fü r einig e
wirtschaftliche Schlüsselbestimmungen des Vertrages56.
Die sechs Spitzenverbände unterstrichen darin zunächst ihre prinzipielle Zustimmung zum Schuman-Plan. Doch warnten sie, damit der altbekannten Argumentation des CNPF folgend, eindringlic h vor der Gefah r eine s »Hyper-Dirigismus« de r
Hohen Behörde und lehnten außerdem das von Monnet in den Vertragsentwurf ein gebrachte absolute Verbot von Kartellabsprachen ab . Statt dessen schlugen die Unternehmervertreter i n ihrem detaillierte n Gegenentwur f ein e Struktur vor , die den
»Vereinigungen de r Hersteller « ein e entscheidend e Roll e zuwies . Dies e erstellte n
demnach Produktionsprogramme un d durften sic h ebenfalls untereinande r abspre chen, u m gemeinsa m »di e notwendige n Maßnahme n zu r Angleichun g de r Preis e
und Verkaufsbedingungen sowoh l im gemeinsamen Markt als auch beim Export zu
ergreifen«. Die Hohe Behörde wurde dagegen zu einem bloßen Kontrollorgan reduziert, das zwar Empfehlungen ausspreche n konnte , aber über keinerle i Mittel ver fügte, deren Durchsetzung zu erzwingen.
Diese Vorschläge liefe n eindeuti g darau f hinaus , der Montanunio n ein e kartellmäßige Form zu geben. Das zeigt sich auch daran, daß die Bestimmungen zur Fusionskontrolle im Entwurf der Spitzenverbände erheblich abgeschwächt und das Kartellverbot soga r ersatzlo s gestriche n wurde . Dami t wäre n auc h di e bestehende n
Wettbewerbsbeschränkungen i n de n einzelne n Teilnehmerstaate n (darunte r da s
Comptoir des Produits Sidérurgiques und der Deutsche Kohlenverkauf) erhalte n geblieben. Die Ausrichtung dieses Gegenentwurfs verwunder t nicht, wenn man weiß,
daß seine Autoren zwei enge Mitarbeiter von CSSF-Präsident Jules Aubrun waren57.
Gewicht erhielt der Vorstoß aber erst durch die Unterstützung der Spitzenverbände.
Daß der CNPF auch inhaltlich hinte r dem Gegenvorschla g stand , macht die Rede
von Villiers auf dessen halbjährlicher Hauptversammlun g am 19. Januar 195 1 deutlich. Dort griff er den Schuman-Plan in seiner damaligen Form und vor allem die angeblich »willkürlichen« Vollmachten der Hohen Behörde scharf an. Es gehe nicht an,
so der Verbandspräsident, daß »man unter dem Vorwand, die Wiederherstellung von
internationalen Kartelle n z u verhindern , di e Produzente n eine m quas i unverant wortlichen Dirigismus unterwirft« 58.
Die genaue Rolle des BDI bei der Abfassung des genannten Dokuments bleibt gegenwärtig aufgrun d de r unzureichende n Quellenlag e weitgehen d i m Dunkeln . E s
erscheint abe r relati v wahrscheinlich, da ß sei n Präsiden t Frit z Ber g die Ansichte n
von Villier s zu r Notwendigkei t vo n direkte n (Kartell-)Absprache n zwische n de n
Produzenten teilte und die Bemühungen, den Schuman-Plan in diesem Sinne auszugestalten, aktiv unterstützte. Wie aus einer Bemerkung von Bundeskanzler Adenauer gegenüber den alliierten Hohen Kommissare n deutlic h wird, hatte der BDI ihm
schon im Dezember 195 0 seine Bedenken gegen die Montanunion im Detail vorge56 Observations & propositions su r les clause s économique s d u »Proje t d e Traité« e n préparation,
17.1.1951. Das Dokument findet sich in einer Vielzahl von Archiven, darunter AN, 81AJ 138. Siehe
für weitere Fundstellen und insgesamt KIPPING (wie Anm. 9) S. 231-236.
57 Loui s Charvet, Generaldelegierter der CSSF, sowie der bereits erwähnte Alexis Aron, nach Auskunft von Aubrun auf Sitzungen von Verbandsgremien am 16. bzw. 19.1.1951, zusammengefaßt in
einer Note von François de Villepin, 20.1.1951, PAM 70671.
58 Wortprotokol l der Vormittagssitzung, S. 45-47, AN, 72AS 841.
Welches Europa soll es sein?
261
tragen59. Berg versuchte außerdem zum gleichen Zeitpunkt, die Verabschiedung eines Gesetze s gege n Wettbewerbsbeschränkungen i n de r Bundesrepubli k mi t alle r
Kraft zu verhindern60.
Insgesamt mu ß ma n i m Gegenvorschla g de r Spitzenverbänd e woh l de n gefähr lichsten Angriff au f die vo n Jean Monnet angestrebte kartellfeindliche Ausgestaltun g
der Montanunion sehen. Erstaunlicherweise hat er trotzdem in der Forschung noch
kaum Beachtung gefunden61. Wie ernst die Lage damals war, zeigt auch die Reaktion
des Plankommissars. Einerseits orchestrierte er eine Kampagne in der internationalen Presse gegen die europäischen Stahlkartelle und die mangelnde Bereitschaft vieler
Unternehmer, sich dem freien Wettbewer b auszusetzen 62. Die Spitzenverbände sa hen sic h daraufhi n genötigt , ihr e Forderunge n abzuschwächen . I n eine r erneute n
Stellungnahme wiederholte n si e zwar di e Kriti k a n den Vollmachte n de r Hohe n
Behörde, ließen abe r ihre n Vorschlag eine r kartellmäßige n Ausgestaltun g de s Vertragsentwurfs fallen und betonten nur noch die Notwendigkeit einer »aktiven Mitarbeit« de r Unternehmerverbände , u m da s Funktioniere n de r Montanunio n z u ge währleisten.
Gleichzeitig übte Monnet erheblichen Druck auf die Bundesregierung aus, um sie
zur Aufgabe ihre s Widerstandes gege n das Kartellverbot un d di e Fusionskontroll e
zu bewegen 63. So drohte er selbst beispielsweise wiederholt mi t seinem Rücktrit t
als Verhandlungsleiter und mit einem Abbruch der Vertragsverhandlungen. Letzt endlich waren es jedoch in erster Lini e die Amerikaner, allen voran Hochkommis sar McCloy, die Adenauer zu m Einlenke n brachten . I n eine m Memorandum vo m
14. Mär z 195 1 stimmt e er der Entflechtung der Stahlkonzerne, inklusive einer erheblichen Einschränkung de r Verbundwirtschaft, sowi e einer Auflösung de r DKV zu
und akzeptierte schließlich auch die beiden fraglichen Artike l zu Kartellverbot un d
Fusionskontrolle.
In Frankreic h unternahme n zu m gleiche n Zeitpunk t Aubru n un d Villiers eine n
letzten Versuch, durch eine direkte Intervention bei Außenminister Robert Schuman
die Ausrichtung de s Vertragstextes i n ihre m Sinn e z u beeinflussen . Doch wi e de r
CNPF-Präsident i m nachhinein vo r eine m Führungsgremiu m de s Verbandes fest stellte, waren die dabei erreichten Konzessionen eher »bescheiden«64. Georges Morin,
Vertreter de s Stahlproduzente n Pont-à-Mousson beim Spitzenverband , charakteri sierte die von Monnet auf Wunsch Schumans gemachten Änderungen sogar als »völ59 Protokol l der Sitzung vom 14.12.1950 , Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutsch land, Bd. 1 : Adenauer und die Hohen Kommissar e 1949-1951 , hg. von Hans-Peter SCHWARZ , Mün chen 1989, Dokument Nr. 21, hier S. 309, bes. Fn. 24.
60 Daz u im Detail Volker R. BERGHAHN und Paul J. FRIEDRICH , Ott o A. Friedrich, ein politischer Un ternehmer. Sein Leben und seine Zeit 1902-1975, Frankfurt/M. 1993 , S. 97-133.
61 Wede r Mioche noch Bührer scheinen ihn zu kennen. Gérard BOSSUAT, L a France, l'aide américain e
et la construction européenne 1944-1954, Paris 1992, S. 778 erwähnt das Dokument nu r am Rande.
GILLINGHAM (wi e Anm. 6) S. 292f. hält es fälschlicherweise fü r die Gründungscharta eine r »National Association of the Schuman Plan Nations«. Tatsächlich wurde diese erst am 13. November 195 2
geschaffen, Mitteilungen des BDI Nr. 3/1. Jg., 10. Dezember 1952 , S. 4f.
62 Ei n Interview mit dem amerikanischen Journalisten Theodore H. White belegt sehr gut seine kunstvolle Vorgehensweise, vgl. dazu im Detail KIPPIN G (wie Anm. 9) S. 236-240.
63 Daz u und zum folgenden ibid. , S. 250-254.
64 Protokol l der Sitzung des Comité Directeur vom 22.5.1951, S. 7, A N, 72A S 874.
262
Matthias Kipping
lig unbedeutend«65. Alexis Aron von der CSSF und Pierre Ricard, der einflußreich e
Stellvertreter des CNPF-Präsidenten, die am Treffen mi t dem Außenminister eben falls teilgenommen hatten, beklagten sich gegenüber einem US-Vertreter »bitterlich«
über die Vorgehensweise Monnets und seine »sozialistische Konzeption« 66.
Der Verhandlungsleite r un d sein e Mitarbeiter wiese n allerding s di e von Unter nehmerseite imme r wieder erhobene n Vorwürf e gege n die angeblich dirigistische n
Vollmachten de r Hohe n Behörd e vehemen t zurück . Fü r Monnet konnte nu r ein e
solche supranationale Institution die Verteidigung des Allgemeininteresses übernehmen. Überließe man diese Aufgabe, wie von den Spitzenverbänden gewünscht , den
Produzenten ode r ihren Repräsentanten, käme dies »einer wahrhaften Verstümme lung der Autorität des Staates gleich«67. Und in der Pressekonferenz nac h Abschluß
der Verhandlungen am 19. März 1951 machte Monnet seine Position im Hinblick auf
die Kartellfrage noc h einmal sehr deutlich: »Die Beseitigung der Kartelle, die Regelung der Zusammenschlüsse, das ist kein Dirigismus, sondern die Freiheit. Man vergißt, da ß e s auc h eine n >Dirigismu s de r privatwirtschaftliche n Einzelinteressen <
gibt. Lesen Sie den Vertragstext und zeigen Sie mir, wo sich der Dirigismus befindet ,
den man ihm vorwirft. Meine r Meinung nach ist der Dirigismus i n den Kartellen ,
und der Schuman-Plan beseitigt diesen Dirigismus«68.
Die Unternehmervertreter setzten die Bemühungen, die praktische Ausgestaltung
der Montanunion in ihrem Sinne zu beeinflussen, auch nach der Unterzeichnung des
Vertragstextes a m 18 . April 195 1 in Paris fort. S o beschäftigten sic h die Mitglieder
des REI-Orientierungskomitees a m 7. Mai 1951 mit den von ihren jeweiligen Regierungen erwogene n Gesetze n zu r Kartellkontrolle 69. I n seine n Eingangsbemerkun gen unterstrich George s Villiers den »engen Zusammenhang« zwische n den einzelstaatlichen Maßnahmen und dem Schuman-Plan. Die anschließende Diskussion verdeutlicht noch einmal, wie tief die positive Einstellung zu Kartellabsprachen in weiten Teilen de r europäische n Industri e verwurzel t war . Besonders deutlic h äußert e
sich dabei Villiers Stellvertreter Pierr e Ricard. Er bezeichnet e Kartell e als eine Art
»Krönung« der Verbandsorganisation der Wirtschaft und verurteilte daher das mögliche Verbot von solchen Abmachungen.
Inhaltlich waren also die Positionen der CSSF, des CNPF und der meisten anderen
westeuropäischen Spitzenverbänd e zu r Notwendigkei t vo n direkte n Absprache n
zwischen de n betroffene n Industrie n weitgehen d identisch . Doc h manifestierte n
sich nac h de r Vertragsunterzeichnun g erheblich e Unterschied e i n de r Vorgehens weise der verschiedenen Gegner des Schuman-Plans70. So verlangte CSSF-Präsident
Jules Aubrun einschneidende Veränderungen im Vertragstext, da er in seiner gegenwärtigen Form »da s Überleben eine s der wichtigsten Industriezweige der französi 65 Vgl . seine Zusammenfassung der Sitzung der Commission des Relations Economiques Internationales des CNPF am 12.3.1951, PAM 70669.
66 Vgl . dazu sein Telegramm an das State Department vom 14.3.1951, FRUS 1951, Bd. IV, S. 98-101.
67 Réponse aux observations faites sur le Plan Schuman par les »Fédérations Industrielles de l'Europe
de l'Ouest«, 5.3.1951, AN, 81AJ 138. Die Autorenschaft Monnets für dieses Dokument ist nicht belegt, erscheint aber aufgrund seiner vielen ähnlichen Aussagen wahrscheinlich.
68 Communiqué de Presse, hier nach L'Information vom 21.3.1951, AN, 81AJ 146.
69 Sitzungsprotokoll , AN, 72AS 788.
70 Hierz u und zum folgenden KIPPING (wie Anm. 9) S. 263-266 sowie 307-316.
Welches Europa soll es sein?
263
sehen Wirtschaft i n sehr gewagter Art und Weise aufs Spiel setze«71. Als seine Hilferufe und Drohbriefe ohn e Wirkung blieben, konzentrierte sich der Verband darauf,
die Ratifizierung der Montanunion in Frankreich zu verhindern, wobei er auch nicht
vor der Bestechung von Parlamentsabgeordneten zurückschreckte 72. Doch mi t seiner wenig konzilianten Haltung manövrierte sich der CSSF-Präsident eindeutig ins
Abseits. Angeblich erklärte Finanzminister René Mayer im Herbst 1951 , da ß er das
»Gezeter dieses Greises nicht mehr ertragen könne«73. Auch innerhalb der französi schen Stahlindustrie nahm die Kritik an den schlechten »Public Relations« der Verbandsführung z u und führte schließlich Anfang 1952 zur Ablösung von Aubrun und
seinem Generaldelegierten Charvet 74.
Im Vergleich zur CSSF ging der französische Spitzenverban d wesentlich pragmatischer vor. Nach Gesprächen mit Vertretern aus den anderen Teilnehmerstaaten im
Mai 1951 hielt sein Präsident George s Villiers eine Ratifizierung de r Montanunio n
für wahrscheinlich. Er sprach sich daher gegen eine eindeutige Ablehnung des unterzeichneten Vertragstextes aus . Statt dessen solle man die Bemühungen darau f kon zentrieren, gewiss e Modifikationen z u erreiche n un d vo r alle m die Zusammenset zung der Hohen Behörde zu beeinflussen 75. I m Herbst 1951 , d.h . noch vor den entscheidenden Parlamentsabstimmungen, unternahmen CNPF und BDI erste konkrete
Schritte, um ihre Bindungen im Hinblick auf die neue Gemeinschaft z u verstärken.
Bei eine m Treffe n i n Düsseldor f Anfan g Novembe r beschlosse n di e führende n
Vertreter der beiden Verbände die Gründung eines ständigen Verbindungskomitee s
mit der Aufgabe, »eine dauerhafte Kooperatio n zwischen der deutschen und französischen Industrie zu gewährleisten«76. Die Äußerungen von Berg und Villiers auf der
anschließenden Pressekonferenz mache n noch einmal deutlich, daß sie einerseits direkte Absprachen zwischen den Industriellen (beispielsweise über gemeinsame Produktionsprogramme oder die Aufteilung de r Märkte) weiterhin für sinnvoll hielten,
daß si e aber andererseits fes t mi t eine r Ratifizierun g de r Montanunion rechneten .
Villiers sprac h erneu t di e Möglichkeit eine r Ergänzun g de s Vertragswerks an , beharrte aber vor allem auf der Notwendigkeit, »weise und intelligente Persönlichkeiten« für die Hohe Behörde zu finden 77.
Einen letzten Versuch, den Vertrag in seinem Sinne umzugestalten, unternahm der
CNPF Ende November i m Conseil Economique78. Die dort von den Verbandsver 71 S o Aubrun in einem Brief an de n Außenminister vom 11. Ma i 1951, Ministère des Affaires étrangères, Archive s diplomatiques, DE-CE 1945-1960, Bd. 511.
72 Beleg e dafür gibt Philippe MIOCHE, La sidérurgie et l'Etat en France des années quarante aux années
soixante, Thèse pou r le Doctorat d'Etat , Université d e Paris IV, 1992, S. 1324-1324F. Diese Bestechungsversuche erwähnt e auc h Monnets enge r Mitarbeiter Pierr e Ur i i n einem Intervie w am
9.1.1989, Archiv der Europäischen Gemeinschaften, Florenz, INT 2.
73 Diese s Zitat aus zweite r Hand erwähnt François de VÜlepin in einer Note vom 26.10.1951 , PAM 82336.
74 A n ihre Stelle traten Pierre Ricard und Jacque s Ferry. Die Zeitung Combat sprach in ihrer Ausgabe
vom 4.2.1952 von einer »Palastrevolution«, vgl. KIPPING (wie Anm. 9) S. 316-319.
75 Erklärun g von Villiers vor dem Comité Directeur am 22.5.1951, Sitzungsprotokoll, S. 7-10 (wie
Anm. 64).
76 Vgl . hierzu mit Quellenangaben und Literaturhinweisen KIPPING (wie Anm. 9) S. 314f .
77 Ibid.
78 Dies e Versammlung, in der alle wirtschaftlichen Interessengruppe n (Industrie, Arbeitnehmer, Landwirtschaft, Handel etc.) vertreten waren, verfügte über keinerlei Entscheidungsbefugnisse. Ein e Ablehnung der Montanunio n hätte allerdings einen erheblichen Rückschlag für di e Regierun g bedeutet.
264
Matthias Kipping
tretern unterbreitete Resolution sah vor, die geplante fünfjährige Übergangs - in eine
Probezeit zu verwandeln, den Abbau der Zoll- und Handelsschranken nu r schritt weise zu vollziehen und anschließen d da s Vertragswerk gründlic h zu überarbeiten .
Damit fande n di e Repräsentanten de s CNPF jedoch kein e Mehrheit. Be i der Ab stimmung über de n vom Berichterstatte r de s Wirtschaftsrates vorgelegte n zustim menden Entschließungsantrag, enthielten sie sich der Stimme, angeblich um »deut lich zu machen, daß die französische Industri e dem Schuman-Plan zustimme , aber
das ablehne, was Monnet daraus gemacht habe«79.
Am 29. Novembe r 195 1 stimmte n der Conseil Economique und am 13. Dezembe r
die Nationalversammlung de r Montanunion mi t deutlicher Mehrhei t zu . Auch die
anschließenden Bemühungen des neuen CSSF-Präsidenten Pierre Ricard, die Ratifizierung im Conseil de la République zu verhindern, blieben trotz seiner guten Kontakte zu einer Vielzahl von Politikern erfolglos. Danach bemühte sich Ricard um eine zumindest oberflächliche Aussöhnun g mit Monnet und erreichte außerdem, daß
die Regierung einen Stahlindustriellen, Léon Daum, als zweites französisches Mit glied der Hohen Behörde benannte 80. Nach der Ratifizierung i n allen sechs Teilnehmerstaaten trat der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft fü r Kohl e und Stahl
schließlich am 25. Juli 1952 in Kraft. Die Hohe Behörde nahm unter Vorsitz von Jean
Monnet am 10. August in Luxemburg ihre Arbeit auf. I n seiner Antrittsrede unter strich e r erneut die Notwendigkeit de s Kartellverbots, um zu vermeiden, daß Absprachen unter den Produzenten an die Stelle der aufgehobenen Handels - und Zollschranken traten81.
Daß Monnet sich mi t diese r Konzeptio n vorläufi g hatt e durchsetze n können ,
muß angesichts des gemeinsamen massiven Widerstandes der europäischen Spitzenverbände (allen voran CNPF und BDI ) erstaunen. Einerseits tru g dazu sicherlic h
die politische Bedeutung der Montanunion und das Eingreifen der Amerikaner, besonders gegenüber der Bundesregierung, bei. Andererseits konnte der Initiator des
Schuman-Plans bei seinen Bemühungen gegen die Kartellabsprachen auf die Unterstützung eines Teils der französischen Unternehmerschaf t rechnen .
Die Schlüsselrolle der Stahlverarbeiter
Bereits in den fünfziger Jahre n hatten Henry Ehrmann und Ernst Haas die Haltung
der politischen und wirtschaftlichen Interessengruppe n in Frankreich und den anderen Teilnehmerstaaten zu r Montanunio n i m Detai l untersucht 82. Dabe i wiese n si e
auch auf die positive Einstellung der Vertreter der metallverarbeitenden Industrie n
hin. Neuere Forschungen haben gezeigt, daß die Stahlverarbeiter bereits im Vorfeld
der Erklärung vom 9. Mai 1950 eine wichtige Rolle spielten, ja sogar einen entschei79 S o der Vertreter von Pont-à-Mousson beim CNPF, Georges Morin, in einer handschriftlichen Notiz auf einer Note vom 29.11.1951, PAM 19425.
80 Vgl . im Detai l KIPPING (wie Anm. 9) S. 321-324.
81 Jean MONNET, Le s Etats-Unis d'Europe on t commencé. Discours et allocutions 1952-1954, Paris
1955, S. 80-85.
82 Henry W. EHRMANN, The French Trade Associations and the Ratification of the Schuman Plan, in:
World Politics VI, N° 4 (Juli 1954) S. 453-481 und Ernst B. HAAS , The Uniting of Europe. Political,
Social, and Economie Forces 1950-1957,2. Aufl., Stanford 1968.
Welches Europa soll es sein?
265
denden Beitrag zu deren Ausrichtung leisteten 83. Ähnlich wie bei den Gegnern kam
es auch bei ihnen zu einem Ausbau der Beziehungen im Gefolge des Schuman-Plans.
Und auc h hie r hatte n dies e direkten Kontakt e bereit s i n der unmittelbare n Nach kriegszeit begonnen.
Tatsächlich trafen sich die Vertreter von mehreren Verbänden der metallverarbeitenden Industrie in Westeuropa bereits 194 8 zu einem ersten Kongreß in Paris, der
sich mit technischen Fragen beschäftigte. Di e Initiative dafür gin g wohl vom belgischen Verband Fabrimétal und von Jean Constant, dem Generaldelegierten des entsprechenden französischen Dachverbande s {Syndicat Général des Industries Mécaniques et Transformatrices des Métaux), aus84. Für di e Organisation de r Veranstaltung zeichnet e de r Leite r vo n desse n Dokumentationsabteilung , Cyri l d e Novar ,
verantwortlich. Constant und de Novar spielte n auch in der Folgezeit ein e wichtige Rolle bei der Ausweitung der Kooperatio n zwische n den einzelnen westeuropäischen Verbänden. Bereits au f de m ersten Kongre ß wurde di e Einrichtung eine s
Koordinationsorgans beschlossen.
Repräsentanten der deutschen verarbeitenden Industrie nahmen an den Kooperationsbemühungen der übrigen Verbände erst seit 1950 teil. Doch schon einige Jahre
zuvor rückten die bundesdeutschen Metallverarbeiter in den Mittelpunkt des Interesses ihrer ausländischen Kollegen . Mit der schrittweisen Beseitigung der Ausfuhr kontrollen, und besonders nach der Währungsreform vo m Juni 1948 sowie nach der
Abschaffung de s Zwanges, deutsche Waren in Dollar zu bezahlen , Mitte 1949 , trat
die deutsche Industri e vermehrt au f de n Auslandsmärkten i n Erscheinung. An die
Stelle der Rohstoffe, die bis 1948 den größten Anteil an den Exporten der Westzonen
ausgemacht hatten, traten erneut Fertigwaren, darunter vor allem Produktions- und
Kapitalgüter85. Spätestens seit Anfang 194 9 begann diese Entwicklung nach Ansicht
der einflußreiche n Wochenzeitschrif t L'Usine Nouvelle, die französische n Unter nehmerkreisen nahestand, »einige der Deutschland benachbarten Industrienatione n
zu beunruhigen« 86.
Von der Zunahme der deutschen Konkurrenz waren die metallverarbeitenden In dustrien, wie Maschinenbau ode r Automobilherstellung , besonder s betroffen . Au f
den Auslandsmärkten verloren die französischen Herstelle r immer öfter Aufträge an
westdeutsche oder britische Firmen87. Aufgrund de s seit 1947 von den Amerikanern
initiierten Abbau s de r Handelsschranken , sowoh l i m Rahmen de s GATT als auch
des Marshallplans, schien man damals eine Ausweitung des Wettbewerbs auf Frank83 Daz u i m Detail KIPPIN G (wi e Anm. 9) und zusammenfassen d DERS. , Les tôles avan t les casseroles.
La compétitivité de l'industrie française et les origines de la construction européenne, in: Entreprise s
et Histoire N° 5 (Juni 1994 ) S. 73-93.
84 Di e meiste n der folgenden Angabe n stamme n aus einem Intervie w am 13.10.199 3 mi t einem späteren Nachfolger Constants, Georges Imbert, dem an dieser Stelle recht herzlich für seine Gesprächsbereitschaft gedank t sei; vgl. auch Stephan PFISTERER, Der VDMA un d die Anfänge der europäischen
Integration (1950-1960), Magisterarbeit, Universität Bonn, 1995 , hier S. 55-59.
85 Vgl . dazu BUCHHEIM (wi e Anm. 12) bes. S. 42-49 sowie seinen Beitrag in diesem Band.
86 Zitier t au s einem Beitra g in der Ausgabe vo m 10.2.194 9 mi t dem bezeichnende n Tite l »L'industrie
allemande va-t-elle bénéficier d'u n dumping?«. Vgl. auch den Artikel »L a renaissance de la concurrence allemande« vom 10.3.1949 .
87 Sieh e für Beispiele KIPPIN G (wie Anm. 83) S. 77.
266
Matthias Kipping
reich selbst nicht mehr auszuschließen. Anders als der CNPF suchten der Dachverband der Metallverarbeiter un d sei n Generaldelegierter di e Lösung für de n zuneh menden Konkurrenzdruc k abe r nicht in (Kartell-)Absprachen zwische n den Indu striellen. In zahlreichen Stellungnahmen zur wirtschaftlichen Integratio n in Europa
äußerte sich Constant im Gegenteil zustimmend zu r weitgehenden Liberalisierun g
des Handels und des Zahlungsverkehrs, da er darin die einzige Möglichkeit sah, einen Rückfall »i n den alten Schlendrian« z u verhindern. Constant gab sich keinerlei
Illusionen übe r di e Folgen de r Marktöffnun g hin . Si e resultiere »fü r di e eine n im
Zwang sich anzupassen oder zu wandeln, für di e anderen in der Notwendigkeit z u
verschwinden«88.
Allerdings fordert e de r Generaldelegiert e de s Dachverbande s al s Vorbedingun g
für di e Marktöffnung ein e Beseitigung de r Handelsschranke n be i Stahlprodukten .
Denn e r erkannt e seh r schnell , daß de r entscheidend e Nachtei l de r französische n
Metallverarbeiter im Vergleich zu ihren deutschen Konkurrenten in den teilweise bis
zu 50% höheren innerfranzösischen Stahlpreise n lag 89. Deshalb verlangte Constant
in de r Folgezei t i n unzählige n Interventione n be i verschiedene n Ministerie n ein e
Aufhebung de s Monopol s de r französische n Stahlindustrie , d.h . di e Möglichkei t
für di e Stahlverbraucher , ih r Rohmateria l auc h au s Westdeutschlan d beziehe n z u
können. Gleichzeitig übte er vehemente Kritik an den kartellähnlichen Praktiken der
CSSF, vor allem am Zwang, Bestellungen über das zentrale Verkaufskontor {Comptoir des Produits Sidérurgiques) aufzugeben, de r z u unregelmäßige r Qualitä t un d
überlangen Lieferfristen führe 90.
Um seinen Forderungen meh r Nachdruck z u verleihen, bemühte sich der Dachverband, genauere Informationen übe r die Zusammensetzung der Herstellkosten in
den verschiedenen Ländern zu erhalten. Er sandte deshalb einen detaillierten Fragebogen an seine ausländischen Pendants, und bat außerdem seine Mitgliedsverbände
darum, die Namen und Adressen von einzelnen Unternehmen zu nennen, die in engem Kontakt mit dem Ausland standen 91. Ob sich darunter auch deutsche Verbände
oder Firmen befanden, ist unklar, erscheint aber wahrscheinlich angesichts der Tatsache, daß Constant in der Folgezeit immer wieder konkrete Beispiele für di e erheblichen Unterschiede bei den Herstellkosten zwischen Frankreich und Westdeutschland geben konnte.
Doch waren der Dachverband de r Metallverarbeiter un d sei n Generaldelegierte r
damals bei weitem nicht die einzigen Kritiker der französischen Stahlindustri e und
ihres Kartellverhaltens. Der Leiter des verstaatlichten Automobilkonzerns Renault ,
Pierre Lefaucheux, befan d sic h seit 194 5 in einer Art Dauerkonflikt mi t den Stahl 88 S o in der Ausgabe der Verbandszeitschrift Les Industries Mécaniques vom Mai 1949. Nach Angaben von Imbert (wie Anm. 84) erreichten Constants kritische Leitartikel damals eine solche Breitenwirkung, da ß de r französisch e Regierungsche f a m Monatsanfan g eine n Motorradkurie r i n di e
Druckerei sandte, um als erster über seine möglichen neuen Angriffe informiert zu sein.
89 Sieh e beispielsweise seine in L'Usine Nouvelle vom 2.6.1949 veröffentlichte Erklärung. Eine von der
Direction des Prix des Finanzministeriums im August 1949 durchgeführte Untersuchung bestätigte
diese Unterschiede, vgl. KIPPING (wie Anm. 9) S. 94f.
90 Daz u im Detail, ibid., S. 94-104.
91 Syndicat Général des Industries Mécaniques, Circulaire quotidienne d'information, 24.6.1949, zu
finden im Dokumentationszentrum des Verbandes, Courbevoie.
Welches Europa soll es sein?
267
{Produzenten und ihren Repräsentanten. Auch er beschwerte sich wiederholt in der
Öffentlichkeit un d bei seinen zahlreichen Freunden in Verwaltung und Politik über
die hohen Stahlpreise in Frankreich, die es dem führenden französische n Automobil hersteller schwe r machten , au f de n Auslandsmärkte n z u bestehen , wo e r damals
etwa ein Drittel seine r Produktion absetzte 92. Ähnlich wie Constant suchte auc h
Lefaucheux de n direkte n Kontak t mi t seine n ausländische n Konkurrenten . S o erhielt e r beispielsweis e vo n Volkswage n Informatione n übe r di e Stahlpreis e i n de r
Bundesrepublik, di e er anläßlich der Pariser Automobilausstellung i m Herbst 195 0
an die Presse weitergab. Demnach betrug die Differenz zwische n den französische n
und deutschen Binnenpreisen für Karosserieblech e rund 25% , be i anderen Produk ten sogar bis zu 40%93.
Die Mehrzahl der deutschen Metallverarbeiter stand dem Schuman-Plan ebenfall s
positiv gegenüber , auch wenn sie sich weniger lautstark äußerte n al s ihre französi schen Kollegen 94. Besonders die süddeutschen Betriebe konnten von einer Öffnun g
der westeuropäischen Stahlmärkte profitieren. Bereits seit Mitte 1949 hatten sie sich
darüber beschwert, daß sie durch die hohen Frachtkosten von der Ruhr benachteiligt
waren. Anfang 1950 kam es zwischen ihnen und Vertretern der deutschen Stahlindustrie zu Verhandlungen über einen möglichen Preisausgleich. Nach Ansicht der WV
Stahl »handelt es sich hier um eine sehr schwierige Aufgabe, die aber angefaßt un d
geregelt werden muß, weil sonst die Gefahr besteht, daß die süddeutschen Verarbeiter den Antrag stellen, Material zollfrei aus dem Saargebiet einzuführen« 95. Tatsächlich zeigte n Berechnungen , di e der Verband kur z nac h der Erklärun g vo m 9 . Mai
1950 anstellte, daß bei einem Wegfall de r Handelsschranke n fas t de r gesamt e süd deutsche Raum zum Absatzgebiet der saarländischen und lothringischen Produzenten wurde96.
Auch die deutschen Automobilhersteller befürwortete n mi t großer Wahrschein lichkeit die ungehinderte Einfuhr vo n Stahlerzeugnissen aus Frankreich. Denn dort
war di e Modernisierung de r Walzwerke mi t der Anschaffun g zweie r kontinuierli cher Breitbandstraßen au s den Vereinigten Staaten bereits wesentlich weiter fortge schritten als in der Bundesrepublik97. So unterstützt e beispielsweise VW-Chef Hein 92 Fü r Details KIPPIN G (wie Anm. 9) S. 44-46,91-93 un d 98-100.
93 A la Régie Renault. L'exposé de M. Lefaucheux, in: L'Usine Nouvelle vom 12.10.1950 . Er sprach damals nu r von eine m »deutsche n Konkurrenten« . Da ß e s sich dabei um Volkswagen handelte , wir d
aus einer Note der Direction des Industries Mécaniques et Electriques im Industrieministerium vo m
12.12.1950 deutlich, AN, Ministère de l'Industrie, 830589, N° 11 .
94 Sieh e dazu im Detail PFISTERE R (wie Anm. 84) S. 60-69.
95 Vermer k über die Sitzungen des engeren Vorstands am 27.7.1949 und am 9.2.1950, Historisches Ar chiv de r W V Stahl , Düsseldorf , Sitzungsbericht e 1947-1952 , Bd . 3 . I n Westdeutschlan d wi e i n
Frankreich wurde n damal s di e Transportkoste n nich t a b Wer k sonder n vo n eine r einheitliche n
Frachtbasis (Oberhause n bzw . Thionville ) berechnet . Di e Produzente n stimmte n schließlic h End e
1950 der Zahlung eines Frachtausgleichs an die süddeutschen Verbraucher zu; vgl. Franz LAMMERT ,
Das Verhältnis zwischen der Eisen schaffenden un d der Eisen verarbeitenden Industrie seit dem ersten Weltkrieg, Diss. Köln 1960 , S. 185 und 188.
96 Francopreis e fü r einig e süddeutsch e Empfangsstationen , 31.7.1950 , Historische s Archi v de r W V
Stahl, Düsseldorf, Aktenordner Schumanplan .
97 Ei n Teil der ersten Anlage, die Kaltstraße von Montataire, nahm Anfang 195 0 den Betrieb auf, vgl .
insgesamt KIPPING , Competing (wie Anm. 11).
268
Matthias Kippin g
rieh Nordhoff einerseit s die Bemühungen de r deutschen Stahlproduzente n u m die
Errichtung einer modernen Walzstraße an der Ruhr, war aber andererseits gezwungen, seine Bleche dort zu kaufen, »wo es etwas gibt«98. In den ersten Jahren nach Einrichtung des gemeinsamen Stahlmarktes im Mai 1953 lieferte die französische Stahl industrie tatsächlich große Mengen von Karrosserieblechen an die deutschen Automobilproduzenten".
Während sich die deutschen Metallverarbeiter bei den Verhandlungen und der Ratifizierung de r Montanunion ehe r zurückhielten, gib t es keine Zweifel a n der ent scheidenden Rolle der Stahlverbraucher für den Erfolg des Schuman-Plans in Frankreich. Mit ihrer Forderung nach einer Öffnung de s französischen Stahlmarkte s hatten sie, wie gesehen, eine wichtige Rolle bei der inhaltlichen Ausrichtun g de s fran zösischen Vorschlag s gespielt 100. E s erschein t dahe r nich t verwunderlich , da ß si e
nach dem 9. Mai 1950 der »Monnet-Schuman-Idee« vorbehaltlos zustimmten, da sie
versprach, ihre Forderung nach einer »Liberalisierung der Bleche vor den Töpfen«,
d.h. des Rohmaterials vor den Fertigwaren, zu erfüllen 101.
Während de r Vertragsverhandlunge n un d de r Ratifizierungsdebatt e gewan n di e
positive Haltun g de r verarbeitende n Industri e besonder e Bedeutun g i m Hinblic k
auf den Widerstand des CNPF gegen das von Monnet für die Montanunion vorgesehene Kartellverbot. Tatsächlich war Jean Constant, der Generaldelegierte des Syndicat Général des Industries Mécaniques, bereits in der Auseinandersetzung um das innerfranzösische Kartellgeset z für sehr strikte Regelungen eingetreten. So hatte er damals vo r eine m Führungsgremiu m de s Spitzenverbande s di e kartellfreundlich e
Position von CNPF-Präsident George s Villiers kritisiert. Dieser dürfe nicht vergessen, so Constant, daß es in Frankreich Industriezweige gäbe, die nicht alle bestehenden Abmachunge n fü r »wohltuend « hielten 102. Noc h vehemente r un d lautstarke r
reagiert« er auf die Vorschläge einer kartellähnlichen Ausgestaltung der Montanunion, die die europäischen Spitzenverbände , wie gesehen, Anfang 195 1 vorlegten. I n
einem Leitartikel der Verbandszeitschrift stellt e sich Constant eindeutig auf die Seite
der »Initiatore n de s Plans, die einen einheitlichen Markt mit einem echten Wettbewerb schaffe n wollen « un d lehnt e dagegen die Vorstellungen de r »Industriekreise ,
die einem internationalen Kartell den Vorzug geben«, ab. Die Erfahrungen mi t dem
Internationalen Stahlkartel l der Zwischenkriegszeit un d den gegenwärtigen Prakti ken der französischen Stahlindustri e hätten gezeigt, daß eine solche Lösung nicht im
Interesse der Verarbeiter war103.
Doch beließ es Constant nicht bei öffentlichen Stellungnahmen . Am 12 . Februar
1951 richtete er außerdem ein Schreiben an den Industrieminister Jean-Marie Lou 98 Kar l A. SCHENZINGER u.a., Heinrich Nordhoff, Münche n 1969 , S. 92-94.
99 MiLWARD(wi e Anm. 3 ) S . 413 un d GILLINGHA M (wie Anm . 6 ) S . 357 .
100 Da s wird besonders i n einem von Monnet verfaßten Exposé zu den Hintergründen de s Schuman Plans deutlich , da s e r am 4. Ma i 195 0 a n den Außenministe r sandte . Ein e deutsch e Übersetzun g
findet sic h be i Gilber t ZIEBURA , Di e deutsch-französische n Beziehunge n sei t 1945 , Pfullinge n
1970, S . 195-200. Vgl. zu seiner Interpretation KIPPIN G (wie Anm. 9) S. 162-164.
101 Sieh e zur Reaktion der Stahlverarbeiter i m Detail ibid. , S. 182-189 . Di e Zitat e stamme n au s Leit artikeln von Constant.
102 Protokol l der Sitzung des Comité Directeur am 18.4.1950, S. 6f., A N , 72A S 874.
103 Le problème de l'acier, in: Les Industries Mécaniques, Februar 1951, S. 1-4 .
Welches Europa soll es sein?
269
vel. Dari n wiederholte er nicht nur seine Forderung nach einer freien Wahl der Lieferanten, sowohl innerhalb als außerhalb Frankreichs, sondern nahm auch zu den Angriffen des CNPF-Präsidenten gegen die Hohe Behörde Stellung. Villiers habe deren
Vollmachten mit den Praktiken eine s totalitären Regime s verglichen. Der General delegierte wies diesen Vorwurf entschieden zurück und betonte dagegen, daß die bestehenden Regelunge n innerhal b de r französische n Stahlindustri e (besonder s da s
Verkaufsmonopol des CPS) »noch weniger im Einklang mit demokratischen Prinzipien« standen 104.
Diese direkten Angriff e Constants auf den CNPF-Präsidenten führte n höchst wahrscheinlich zu seiner Absetzung als Generaldelegierter des Dachverbandes der
Metallverarbeiter End e Februa r 1951 , obwohl da s Verbandsorgan Les Industries
Mécaniques in seine r Märzausgab e persönlich e Erwägunge n al s Anla ß fü r sei n
Ausscheiden angab . E s scheint , da ß e s damal s zwische n de m Präsidente n de s
Dachverbandes, Albert-Roger Métrai, und Constant zu einer Auseinandersetzun g
über desse n »eigenmächtig e Vorgehensweise« kam 105. Métrai stand de m Syndicat
Général des Industries Mécaniques seit Juni 1950 vor. Anders als sein Generaldelegierter teilt e e r di e Ansichte n vo n Villier s übe r di e Notwendigkeit vo n direkte n
Absprachen zwischen den Industriellen und verurteilte ebenfalls den »internationalen, willkürliche n un d ewige n technokratische n Superdirigismus « de r Hohe n
Behörde106.
In de r Folgezei t nah m Métrai die Leitun g de r Verbandsgeschäft e weitgehen d
selbst in die Hand un d sucht e unter Vermittlung des CNPF eine direkte Überein kunft mi t den Vertretern der Stahlindustrie über Preise, Qualität und Lieferfristen .
Doch trot z dere n mehrfache r Zusicherun g verbessert e sic h di e Versorgungs- un d
Wettbewerbslage de r französischen Abnehme r nicht . Die Stahlproduzenten bevor zugten weiterhin die in Folge des Koreabooms lukrativere n Exportmärkte , was zu
einer deutlichen Verstimmung unter den Metallverarbeitern und weiterem Druck für
ein baldiges Inkrafttreten de r Montanunion führte 107. Constant setzte seine Bemühungen zugunsten de s Schuman-Plans ebenfall s fort . E r konnte sic h dabei auf sein e
Funktion al s Präsiden t de r Association des Utilisateurs des Produits Sidérurgiques
stützen. Die wichtigsten französischen Stahlverbraucher , darunter wie nicht anders
zu erwarten auch Renault-Chef Lefaucheux , hatten diese Vereinigung im Juni 1950
gegründet, um ihre Interessen i n die Verhandlungen übe r die Montanunion einzu bringen.
Ein entscheidende s Argument , da s Jean Constan t und di e übrigen Befürworte r
der Montanunion in ihren Stellungnahmen immer wieder anbrachten, war die erhebliche wirtschaftliche Bedeutun g der verarbeitenden Industrien . Diese spiegelte sich
vor allem in der Zahl der Arbeitsplätze wider. Bereits in seiner ersten Reaktion auf
die französische Erklärun g hatt e de r Generaldelegiert e de s Dachverbande s darau f
104 AN , IND 22300.
105 Nac h Aussage von Imbert (wie Anm. 84) . Vgl . insgesamt KIPPING (wie Anm. 9 ) S. 266-269.
106 Zitier t aus seine m Beitrag »Le Plan Schuman constitue un sau t dans l'inconnu«, in: Nouvelle Revue
de PEconomie Contemporaine 16/17 (April-Mai 1951) S. 37-41. Vor dem Comité Directeur des
CNPF lobte Villiers übrigens den »Mut« und die »Entschlossenheit« dieser Stellungnahme, Protokoll der Sitzung vom 19.6.1951, S. 1 lf., AN, 72AS 874.
107 Daz u und zum folgenden im Detail KIPPING (wie Anm. 9) S. 269-273.
270
Matthias Kipping
hingewiesen, daß »die Stahlproduktion de n Lebensunterhalt vo n 15000 0 Personen
garantiert während seine Verarbeitung eine Million versorgt« 108. Und Renault-Che f
Pierre Lefaucheu x hatt e scho n i m Jahresbericht de s Konzern s fü r 194 9 herausgestellt, daß die Erzeugnisse de r Metallverarbeitung i m Vergleich zu Stahlprodukte n
»eine unendlich größer e Meng e a n französischer Arbeitsleistun g enthalten« 109. Da
der Schuman-Plan in seinen Augen die Wettbewerbsfähigkeit de r französischen Verarbeiter auf de n Exportmärkten entscheiden d verbesserte, erklärte sich Lefaucheu x
als dessen »fanatischer Anhänger« 110.
Auch Jean Monnet und seine Mitarbeiter benutzte n während der Ratifizierungs debatte die Argumente der Stahlverarbeiter. Durch ihr wirtschaftliches Gewich t beeinflußten dies e wohl ebenfalls die Entscheidung der Präsidenten der französische n
Industrie- und Handelskammern, di e sich im Herbst 195 1 zugunsten der Montan union aussprachen, trotz gegenteiliger Empfehlungen der CSSF und des CNPF. Diese deutliche Stellungnahme »neutralisierte« zumindest teilweise den Widerstand der
Unternehmervertreter un d leistet e dami t sicherlic h eine n erhebliche n Beitra g zu r
Ratifizierung des Schuman-Plans in Frankreich. Daß sich Monnet mit seiner kartellfeindlichen Positio n durchsetze n konnte , lag also nicht nur a n der politischen Bedeutung der Montanunion, sondern auch an der eindeutigen und lautstarken Unterstützung durch die Metallverarbeiter.
Zusammenfassung un d Ausblick
Zusammenfassend kan n ma n feststellen , da ß de r Schuman-Pla n ein e Katalysator funktion hatte . Das gilt sowohl im Hinblick auf Inhalt und Methode der wirtschaft lichen Integration in Westeuropa als auch was die Beziehungen zwischen der deutschen und französischen Industri e anbelangt.
Vor allem dank der Unterstützung durc h di e Amerikaner und di e französische n
Metallverarbeiter gelan g es Monnet, sich bei der Ausgestaltung des Montanunionvertrages mit seiner auf einen freien Wettbewerb gestützten Konzeption des gemeinsamen Stahlmarktes durchzusetzen. Dies gilt übrigens nicht für die Kohle, wo zahlreiche Ausnahmeregelungen un d di e fortgesetzten Eingriff e de r Teilnehmerstaate n
die Durchsetzung marktwirtschaftlicher Prinzipie n weitgehend unmöglich machten.
Doch auc h in der Stahlindustrie gestaltet e sich die Umsetzung de r entsprechende n
Vertragsbestimmungen schwierig . Noc h vo r de m Inkrafttrete n de r Montanunio n
bemühten sic h di e Stahlproduzente n au s de n sech s Teilnehmerländer n u m Preis und Mengenabsprachen. Obwohl ihnen dies für die Exportmärkte bald gelang, blieben entsprechend e Bestrebunge n au f de m Binnenmark t weitgehen d erfolglos . Di e
nationalen un d internationale n Stahlkartell e nac h 194 5 waren tatsächlic h nu r ei n
müder Schatten ihrer Vorgänger aus der Zwischenkriegszeit 111.
108 Le Plan Schuman, in: Les Industries Mécaniques, Juli 1950 , S . 1-4 .
109 AN , IND 22296. Für die französischen Export e schlug er daher vor, ein e Strategie zu verfolgen, die
man im modernen Sprachgebrauch mit »high value-added« charakterisieren würde.
110 Vgl . hierzu und zum folgenden im Detail KIPPING (wie Anm. 9) S. 273-280 und 285-288.
111 Vgl . insgesamt Dir k SPIERENBURG , Raymon d POIDEVIN , Histoire de la Haute Autorité de la
Communauté Européenn e du Charbon et d e PAcier . Une expérienc e supranationale, Brüsse l
1993.
Welches Europa soll es sein?
271
Trotzdem bleib t festzuhalten , da ß Monnet seine Ambitionen zu r Schaffun g eine s
wettbewerbsorientierten Kohle - und Stahlmarktes nur teilweise verwirklichen konnte .
Das ma g auch eine r der Gründ e dafü r gewese n sein , daß e r sich 195 5 nicht z u eine r
Wiederwahl al s Präsident de r Hohe n Behörd e stellte 112. Bleibendere Wirkun g hatt e
dagegen die von ihm gewählt e Methode der europäischen Einigung , d.h. der weitge hende Ausschlu ß de r Industrievertrete r vo n de n Verhandlunge n übe r di e Monta nunion. Auc h i n de r Folgezei t blie b de r Ausba u de r bilaterale n un d multilaterale n
Wirtschaftsbeziehungen i n Westeurop a ein e fas t ausschließlich e Angelegenhei t de r
Politik. Zwa r fehlt e e s nich t a n Versuche n de r Unternehmervertreter , meh r Ein fluß au f die Ausgestaltung der wirtschaftlichen Zusammenarbei t z u gewinnen, doc h
blieb ihne n de r Erfol g weitgehen d versagt 113. Auc h hie r zeig t sic h ei n deutliche r
Bruch mi t de r Zwischenkriegszeit , i n der die meisten westeuropäischen Staate n in ternationale Kartellabsprache n al s Grundlag e eine r weitergehende n Wirtschafts integration sahen 114.
Als Katalysato r wirkt e de r Schuman-Pla n schließlic h auc h be i de n Beziehunge n
zwischen de n Industrielle n un d ihre n Repräsentante n beiderseit s de s Rheins . Di e
deutschen un d französische n Unternehmerverbänd e hatte n ihr e Kontakt e bereit s
vorher wiede r aufgenommen . Doc h führt e de r französisch e Vorschla g vo m 9 . Ma i
1950 z u dere n Ausba u un d Vertiefung , vo r alle m zwische n de n beide n Spitzenver bänden CNPF und BDI . Deren Präsidente n George s Villiers und Frit z Ber g unter nahmen gemeinsam e Aktione n un d schufe n neu e Institutionen , u m ihr e Vorstel lungen eine s geeinte n Europ a au f de r Basi s vo n (Kartell-)Absprache n z u verwirk lichen. Si e bliebe n dami t zwa r letztendlic h erfolglos , schufe n abe r dadurc h di e
Voraussetzung fü r ein e weitergehend e Annäherun g zwische n de n Industrie n de r
beiden Länder , di e bi s heut e ei n wichtige s Elemen t de r deutsch-französische n
Freundschaft bildet .
112 Ibid. , S. 308-321.
113 Sieh e dazu beispielsweise Andreas WILKENS, Das Programm von La Celle-Saint-Cloud. Der Ausbau der deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehunge n 1954-1957 , in : Revue d'Allemagne 25
(1993) S. 565-580 sowie seinen Beitrag in diesem Band.
114 Clemen s A. WURM (Hg.), Internationale Kartelle und Außenpolitik. Beiträge zur Zwischenkriegszeit, Stuttgart 1989.
CLAUDE CARLIE R
LES DÉBUT S DE L A C O O P É R A T I O N A É R O N A U T I Q U E :
LE G R O U P E O
La coopératio n aéronautiqu e e t spatial e franco-allemand e es t aujourd'hu i bie n éta blie. De nombreux programmes on t uni et unissent toujours le s deux pays: avions de
transport militair e Transall, commercial Airbus , d'entraînemen t militair e Alph a Jet ,
hélicoptère Tigre, missiles tactiques, satellites, lanceurs Ariane.
Cette coopératio n européenne , bilatéral e o u plurilatéral e a abouti a u rapproche ment de s deux nations. En 1945, une telle entente n'était pa s envisageable, les leçon s
tirées de la guerre et l'évolution d u contexte international l'on t rend u possible .
A la fin de la Seconde Guerre mondiale, deux révolutions technologiques , d'origin e
allemande pour l'essentiel , ouvrent une ère nouvelle: le moteur à réaction et le missile
balistique.
Le moteur à réaction permet de dépasser, dans les domaines militaire et civil, les limites du moteur à hélices: avec lui on va plus loin, plus haut, plus vite.
Avec la fusée, une frappe militair e quasi-invulnérable devien t possible. L'éventua lité, alor s à l'étud e au x Etats-Uni s e t e n Unio n soviétique , d e l a dote r d'un e têt e
nucléaire renforce encor e son efficacité . D e même , sur un autr e plan, celle-ci pourr a
étudier les couches supérieures de l'atmosphère terrestr e puis très rapidement, lance r
des satellites.
Les alliés américain, russe, britannique e t français entenden t bien profiter de s connaissances avancées allemandes. Si les trois premiers pays en bénéficient pa r priorité ,
la France n'en es t pas exclue.
En 1945, la défaite d e l'Allemagne me t un terme à sa production aéronautique : son
industrie ne peut plus participer à la course au moteur à réaction et à l'espace.
L'industrie aéronautiqu e français e subsist e mai s ell e es t réduit e à la portion con grue. Eliminée , dè s 1940, de l a cours e a u progrè s technologique , ell e repar t quasi ment à zéro en bénéficiant pou r so n redémarrage d e la volonté des premiers gouver nements d'après-guerr e qu i mettent tou t e n œuvre pou r s a relance. Pour comble r l e
retard dan s la propulsion à réaction, la France adopte des techniques étrangère s plu s
performantes qu e celle s qu'ell e avai t p u étudier , dan s l a clandestinité , pendan t l a
guerre (réacteur Râteau, statoréacteur Leduc) .
Afin d e doter l e pays d'une véritabl e industrie des moteurs d'avions , le gouvernement français , lor s d'un e nationalisatio n qu i sanctionn e le s industriel s ayan t colla boré avec le IIP Reich, crée, en mai 1945, la Société nationale d'étude e t de construction de moteurs d'aviation (SNECMA). A cette époque le ministre de l'Air est Charles
Tillon, membre du Parti communiste français .
274
Claude Carlier
L'apport alleman d
En août 1939, en Allemagne, un avion équipé d'un turboréacteu r conç u par la société
Heinkel effectue so n premier vol: le Heinkel He 178.
Pendant l a guerre, la société Bayerische Motoren-Werk e (BMW) me t a u poin t l e
réacteur BM W 003 qui équip e l e quadrimoteur Arad o 235 et le monomoteur Hein kel He 162 Volks jäger.
Parallèlement, la société Junkers fabrique l e propulseur d u bimoteu r Messerschmitt
262, le Jumo 004, de même technique que le BMW mais de durée de vie plus limitée.
Lors d e l a capitulatio n allemande , Hermann Oestrich, docteu r ingénieur , direc teur techniqu e d e l a branche turboréacteur s de s usine s BMW , se trouve e n Allema gne, dan s l a zon e américaine . Le s service s américain s intéressé s prennen t contac t
avec lui et lui proposent u n projet d e contrat extrêmemen t larg e car il détient l e plus
grand potentiel technique allemand e n matière de moteurs à réaction.
Le Service technique de l'aéronautique français , ave c l'accord d u ministr e de l'Air ,
prend égalemen t de s contact s ave c Oestric h ains i qu'ave c le s principaux ingénieur s
allemands qui étaient sous ses ordres.
Les Britanniques, eux aussi, ont des conversations avec Oestrich lors d'un voyag e
qu'il effectue à Londres.
Après un déplacement à Paris au ministère de l'Air, déplacement asse z risqué puisqu'il se trouve en résidence surveillée à la disposition de s services américains, Oestric h
opte libremen t pou r l a proposition français e moyennan t u n contra t présentan t de s
avantages équivalents à ceux du projet américain .
A l a fi n d e septembr e 1945, il pass e irrégulièremen t (le s autorité s américaine s
n'ayant donn é aucune autorisation pour l'ensemble d e l'opération) e n zone français e
d'occupation e t s'installe , avec un e solid e équip e technique , à Lindau-Rickenbac h
(au bor d d u la c d e Constance X dan s un e ancienn e usin e Dornier . Il s formen t l e
Groupe O d e l'Atelier aéronautique de Riokenbach chargé de la conception d'un tur boréacteur s'inspiran t de s technique s déj à utilisée s su r le s BM W 003 et Jumo 004.
L'appellation d e l'Atelie r es t repris e pou r donne r so n no m a u premie r réacteur :
l'ATAR (Atelie r aéronautiqu e d e Rickenbach). Herman n Oestrich évoqu e ains i se s
premiers rapports ave c les Français:
»Lors d e la reprise de notre activit é pour l e compte du ministèr e de l'Air français ,
nous fûmes chargé s de sortir, dans un minimum d e temps et en nous appuyant su r les
expériences antérieures , u n turboréacteu r susceptibl e d'êtr e utilisé , e n particulier ,
dans le s avion s d e chass e modernes . O n devai t pouvoi r obteni r immédiatemen t e t
sans aucun risque les caractéristiques nominale s fixées. D'autre part, l'étape suivant e
devait pouvoir souteni r la concurrence avec les moteurs étrangers .
Après quelques entretien s ayan t pour obje t l a détermination de s caractéristiques d u
moteur, on nous passe une commande visant un projet avec les caractéristiques suivantes:
poussée: 1 700 kgp;
diamètre: 890 mm;
poids: 900 kg;
consommation spécifique : 1,3 kg/kgph« 1 .
1 Rapport d'Hermann Oestrich, non daté (fin 1948-début 1949), archives SNECMA.
Les débuts de la coopération aéronautique
275
Parallèlement, le ministère de l'Air recrute de nouveaux spécialistes allemands et
autrichiens pour renforce r e t compléter le Groupe O e n recherchant égalemen t les
moyens techniques et le matériel nécessaires. Ainsi, de nouveaux ingénieurs et d'importantes installation s d'essai s sont , à la fin d e 1945 et au début d e 1946, transférés
clandestinement de la zone américaine à la zone française.
Le contrat avec l'Etat français
Le 25 avril 1946, l'Etat français, représenté par le Directeur technique et industriel de
l'aéronautique, et Oestrich, s'engageant en son nom personnel et au nom du groupe
des techniciens allemand s dont i l s'est assuré la collaboration e t appelé Groupe O ,
concluent un contrat. Il doit assurer à l'Etat français l a collaboration du Groupe O
pour l'étude de turboréacteurs et de turbopropulseurs. Il prévoit en particulier:
1 - La création , e n zon e d'occupatio n française , d'u n atelie r d'Eta t dirig é pa r
un directeu r généra l françai s nomm é pa r l e ministr e d e l'Air , assist é d'u n direc teur technique placé administrativement sou s son autorité. Oestrich es t nommé directeur technique et dirige, comme ingénieur en chef, les études, la fabrication e t les
essais. L'Etat françai s assum e tous les besoins matériel s e t financiers d e l'établisse ment.
2 - Des droits de licence pour le Groupe O au taux normal de licence pour les appareils à venir, mais avec un taux spécial pour l'Atar 101 dont l'étude, déjà avancée à
la création de l'Atelier, est apportée par le Groupe O.
3 - Le détachement d'ingénieurs français au Groupe technique jusqu'à concurrence du quart de l'effectif d u Groupe O avec un maximum de 10.
4 - Le contrat est garanti pour cinq ans au minimum. Au-delà, sa prolongation est
prévue annuellement, par tacite reconduction, sauf dénonciation par l'une des parties
avec préavis de 6 mois.
Ce contrat accorde à Oestrich, en cas de réussite, des avantages financiers correspondant à ceux des industriels français de l'aéronautique. De plus, il reste seul interlocuteur du Groupe O vis-à-vis de l'Etat français. Il est également le seul responsable
de la direction interne du Groupe, qu'il s'agisse de l'affectation d e ses membres aux
différents postes ou de la répartition entre eux des avantages et privilèges relevant des
droits de licence.
Sur le plan industriel, la SNECMA met l'ensemble de ses moyens de production et
d'essai ains i que ses ateliers à la disposition du Group e O. Elle sera ultérieuremen t
chargée de la fabrication e n série du matériel étudié par le Groupe.
Sur le plan technique , le Groupe O es t rattach é à la Société Voisin, filiale d e la
SNECMA qui a la charge de la gestion du matériel.
Un avenan t a u contrat , égalemen t dat é d u 25 avril 1946, prévoit l e transfert e n
France du Groupe O à Decize, dans la Nièvre. En effet, le Contrôle interallié de Berlin est intervenu, en avril 1946, pour que soient arrêtées toutes études ou fabrications
d'armement en Allemagne. Les opérations de transfert débutent dès mai 1946.
Le transfer t e t l'installatio n s'effectuen t souven t dan s de s condition s délicates .
Aux difficultés matérielles , s'ajoutent de s difficultés d'ordr e psychologique: faire accepter par la population locale l'installation de 120 familles allemandes. Les difficultés psychologiques sont surmontées par l'intervention du Parti communiste françai s
276
Claude Carlier
auprès des municipalités concernées , ainsi Jacques Duclos , dans un discour s à Decize, en aoû t 1946, déclare qu e »ceu x qu i critiqueraien t l'installatio n de s Allemands à
Decize ne pouvaient êtr e que des collaborateurs« .
Le premier ATAR
L'Etat command e si x prototypes à la SNECMA . Il s son t étudié s pa r l e Group e O
avec l'aide d e Français qu i avaient travaill é dans l'armée d e l'Air américain e pendan t
la guerre et d'ingénieurs d e la SNECMA affecté s à la filiale Voisin.
Le turboréacteur Ata r 101 est étudié et calculé en exploitant les expériences acqui ses au cours des travaux antérieurs e t en intégrant le s dernières innovations .
L'étude d u moteu r d e séri e commenc e à l'automne 1946 tandis qu e l a SNECM A
met en fabrication le s premiers prototypes. Dans le courant d e 1947, les premiers essais des différents élément s constitutifs son t effectués .
Le réacteu r comport e de s caractéristique s technologique s qui , à l'usage, s e révè lent particulièremen t judicieuse s pou r l'aveni r d e cett e machine : compresseur axial ,
chambre de combustion annulaire, tuyère à section variable, températures maximale s
constantes.
Le 26 mars 1948, le »101 VI«, premier turboréacteu r Atar , fonctionne su r un ban c
d'essai à Villaroche. Ce prototype d e 880 kg de masse est caractérisé par une poussé e
de 1 70 0 kg.
Le deuxième prototype Ata r 101 V2 est monté quelque s semaine s plus tar d su r le
banc d'essa i e t atteint , fi n juin , a u régim e maximu m d e 8 050 t/mn, l a poussé e d e
2200 kg. Hermann Oestrich es t satisfait :
»Pour l'étude d e l'Atar 101, il nous fallait teni r compte de deux points de vue par ticulièrement importants . L'étude devai t d'une part être conduite de façon à éliminer
tous le s aléas. Pour mene r à bien cett e entreprise , i l ne fallait utilise r qu e de s pièce s
ayant déj à fai t leur s preuves , pièce s don t o n pouvai t admettr e qu'elle s fonctionne raient immédiatement dan s le nouveau moteur a u prix de légères modifications. Cec i
devait permettr e d e lance r l a série dan s l e plus bre f délai . C'est ains i qu'o n renonç a
sciemment à gagner le s derniers quelque s point s d e rendement qu'i l eû t ét é possibl e
d'obtenir. Néanmoins , i l s'est déj à avér é dan s l'entrefait e qu e l'étud e a été conduit e
avec des marges suffisantes pou r qu e l'Atar 101 puisse être offert, à cette heure, avec
une poussée de 2200 kgp au lieu des 1700 kgp initialement prévus« 2.
Le 9 octobre 1950, le moteur est essayé en vol, à Villaroche, sur un avion bimoteu r
à hélices Maraudeur B 26G. Le réacteur est maintenu par un support dan s la trappe à
bombes et son alimentation e n air est assurée par deux écopes situées à l'extérieur.
En novembre 1951 un quadrimoteur Languedo c SE 161 est, à son tour, adapté aux
essais e n vol. Cett e fois , l e réacteur e n essa i es t fixé su r l e dessus d u fuselage , c e qu i
rend possible l'expérimentation auss i bien au sol qu'en vol.
Puis vient l a consécration, l e 5 décembre 1951, avec le premier vol effectué su r u n
avion monomoteu r M D 450 Ouragan d e présérie. Pour l a première foi s d e sa jeune
carrière, un turboréacteur Ata r (101 Bl) fait décoller un avion .
2 Ibid .
Les débuts de la coopération aéronautique
277
L'intégration dans la SNECMA
Les relation s d'Herman n Oestric h ave c l a directio n techniqu e d e l a SNECM A n e
sont pa s toujour s trè s harmonieuses . Arguan t d e l'autorit é qu e lu i donne l e contra t
avec l'Etat, i l ne rend pa s compte, autant qu'i l es t tenu d e le faire, de l'évolution de s
travaux de son Groupe qu'i l considère comme »son « entreprise .
De so n côté , l a SNECM A pren d ombrag e d e l'importanc e d'u n Group e qu i
échappe, e n partie , à son autorité . Néanmoins , compte-ten u d e l a bonne évolutio n
des réalisation s engagées , elle lui laisse une trè s grand e marg e d e manœuvre et , ave c
le soutie n d u secrétaria t d'Eta t à l'Air, jou e l a cart e d e l a conciliatio n e n intégran t
progressivement l e Group e dan s l a Société . Cel a s e fai t a u fu r e t à mesur e qu e l a
SNECMA concentr e ses moyens et ses études autour des programmes Atar .
Le 9 mai 1950, le processus d e l'intégration d u Group e O es t lancé par l e secréta riat d'Etat à l'Air qu i résilie le contrat du 25 avril 1946 à dater du 1 er juin 1950:
»A partir d e cette date, la SNECMA ser a exclusivement chargé e de poursuivre le s
études, la réalisation et la mise au point de l'Atar 101 et de développer la technique d e
cette machine et de machines analogues à la suite du Group e O. «
»A cet effet, l a SNECMA organiser a un Département compos é notamment d'un e
partie d e ceu x de s technicien s allemand s o u autrichien s d u Group e O qu i on t tra vaillé jusqu'ici à l'Atar 101, et qui accepteront de passer avec cette Société un contra t
de travail individuel« 3.
Le 5 juin 1950, le secrétariat d'Eta t à l'Air me t fi n à l'existence d u Group e O e t
donne so n accor d su r l e nouvea u statu t d'Herman n Oestric h devenu , e n moin s d e
cinq ans , un citoye n françai s ( à sa demande, le 16 mai 1948) et le principal directeu r
technique de la plus grande entreprise française d e moteurs d'aviation .
L'ancien Group e O es t transfér é a u nouvea u centr e SNECM A d e Melun-Villa roche.
Progressivement, le s ingénieur s d'origin e allemand e parten t à la retraite o u quit tent la Société pour alle r travailler dans d'autres pay s (RFA, Egypte, Afrique d u Sud ,
Argentine). Des ingénieurs français prennen t l a relève et contribuent, de 1948 à 1958,
à la réalisation de plusieurs versions de l'Atar 101:
- A/B, 2 600 kgp, 50 moteurs produits ;
- C/D, 3 000 kgp, 510 moteurs produits ;
- E, 3 700 kgp, 598 moteurs produits ;
- F/G, 4 400 kgp, 492 moteurs produits .
Les fabrications e n série des versions 101 C/D e t 101 E débutent e n 1951 et 1956
respectivement, tandi s qu e le premier essa i du 101 F à postcombustion es t réalisé e n
1952.
Les premiers avions à être dotés en série d'un réacteu r Atar sont le Mystère I I C d e
la sociét é Dassaul t e t l e Vautour d e l a Sociét é national e d e construction s aéronau tiques du Sud-Ouest .
Outre le s réacteurs proprement dits , la SNECMA fabriqu e de s systèmes de post combustion o u réchauff e qui , en aval de la turbine, en injectant e t en brûlant à nouveau du carburan t dan s une chambre d e postcombustion, augmenten t l a poussée d u
3 Avis en date du 9 mai 1950 au personnel allemand et autrichien du Groupe O, archives SNECMA.
278
Claude Carlier
moteur. La mise au point de la postcombustion es t indispensable pour atteindre les
vitesses supersoniques.
A l'Atar 101 succède l'Atar 8 pour l'Etendar d IV (4 400 kgp, 176 moteurs pro duits) puis, adaptés aux diverses versions de Mirage III, l'Atar 9B (6000 kgp, 419 moteurs produits), l'Atar 9C (6000 kgp, 1 400 moteurs produits).
En 1958, débutent les essais en vol du Mirage III A qui atteint rapidement Mach 2
en palier, performance réalisée pour la première fois en Europe. L'avion est propulsé
par un Atar 9B d'une poussée de 6000 kg, soit une augmentation de 36 % par rapport
à l'Atar 101 G de série.
Quant a u bombardier Mirage IV (1er vol en 1959), propulsé par deux Atar 9D, il
bat, l e 19 septembre 1960, le record d u mond e d e vitesse en circuit ferm é à 1 820
km/h.
Le départ d'Hermann Oestrich
Hermann Oestrich quitte la SNECMA le 30 septembre 1960. Le même jour, le président directeur général de la Société, Henri Desbruères, fait diffuser l a note de service
suivante:
»Monsieur Michel Garnier, directeur technique adjoint, est nommé, à compter du
1er octobre 1960, directeur technique en remplacement d e Monsieur Oestric h qui a
demandé à quitter ses fonctions.«
»Le rôle qu'a joué Monsieur Oestrich dans la conduite des études et dans la mise
au point de l'Atar est bien connu. Son nom restera attaché à ce matériel qui, par ses
brillants succè s techniques obtenu s sou s s a haute direction, s'es t classé parmi les
turbomachines mondiales les meilleures.«
»Par ses qualités techniques remarquables et dans les tâches difficiles d e coopération franco-allemande qu'i l avait à mener, Monsieur Oestric h s'es t montré un chef
clairvoyant et un collaborateur précieux.«
»Dans s a séance du mard i 27 septembre 1960, le Conseil d'administratio n d e la
SNECMA m'a chargé de lui exprimer en son nom ses plus vifs remerciements, auxquels je joins ceux de toute la société ainsi que les miens propres.«
»A l'hommage que je rends ici à Monsieur Oestrich, j'associe tout le personnel de
la Direction technique«4.
Hermann Oestrich es t décéd é e n 1973 à l'âge d e 69 ans, il es t enterr é e n terr e
française.
Epilogue
Le 8 juin 1995, lors de la commémoration d u 50 e anniversaire d e la création d e la
SNECMA, un hommage particulier a été rendu au Groupe O. Devant plus de 1 00 0
invités, en présence du général Speidel, attaché de Défense près l'ambassade de RFA
en France, le président directeur général de SNECMA, Bernard Dufour, a remis une
médaille commémorative à huit »anciens « du Group e O . Ces derniers, malgré leur
âge, avaient tenu à être présents.
4 Archives SNECMA.
Les débuts de la coopération aéronautique
279
Conclusion
La coopération entre ingénieurs français et allemands a facilité le démarrage d'une industrie française de s moteurs à réaction. En peu d'années, la SNECMA est devenue
un de s quatr e motoriste s occidentau x capable s d e fabrique r de s moteur s d e fort e
puissance.
Après le rétablissement de la souveraineté allemande et l'adhésion à l'Alliance atlantique, le gouvernement allemand a souhaité rebâtir une industrie aéronautique et
s'est appuyé sur la France qui a accepté, en 1956, de vendre la licence de fabricatio n
de l'avion cargo militaire Nord 2501 Noratlas.
L'Histoire montre ainsi un de ses retournements spectaculaires: en 1945, la France
a manifesté l a volonté d'acquérir de s technologies allemandes , dix ans après c'était
l'inverse. Cette coopération s'est amplifiée à partir des années 60 avec Transall, Euromissile, Alpha Jet, Airbus, Ariane, Eurocopter permettant ainsi, en 1995, cinquante
ans aprè s so n démarrage , de constitue r u n de s pôles essentiel s d u développemen t
scientifique et technique de l'Europe.
FÉLIX TORRES
LES ARCHIVES D'ENTREPRIS E E N FRANCE :
HISTOIRE E T MISE E N PERSPECTIV E
Cet article analyse dans la durée le rapport des entreprises françaises à leur mémoire
archivistique. Fait marquant, si l'on observe un retard français e n matière d'archives
d'entreprise, il relève surtout d'une coupure privé/public qui reste aujourd'hui trè s
prégnante. Dans ce cadre, le renouveau historique et documentaire auquel on assiste
depuis une quinzaine d'années, pour incontestable qu'il soit, reste étroitement déterminé à la relation particulière qu'entretient l'entrepris e privée française ave c sa mémoire et son histoire.
Le »retard« français et ses conséquences
L'émergence d'un e préoccupatio n pou r le s archive s d'entrepris e a ét é tardiv e e n
France et longue à mettre en œuvre. Alors que l'Allemagne crée , dès 1906, un premier dépôt d'archives économique s {Wirtschaftsarchiv) pour la région de Rhénanie
et de Westphalie, suivi en 1913 par un premier congrès sur les archives économiques
à Cologne, un exemple repris par la Suisse ou les Pays-Bas, il faut attendre les années
1920 pour que l'Inspecteur généra l des Archives Charles Schmidt lance une campagne d'opinion pou r qu e les propriétaires d'archive s privée s déposent celles-c i dans
les archives publiques. Il publie à cet effet un article dans une revue à grand tirage, la
Revue de Paris, l e 15 mai 1926 1. Ses efforts aboutissen t a u versement d e quelque s
fonds d'archive s d'entreprise s dan s les dépôts publics. Son combat est relayé par la
revue des Annales d'Histoire économique et sociale, laquelle publie, durant la décennie 1930, de nombreux articles en faveur de la préservation et l'utilisation de ces documents, signés Charles Schmidt, Lucien Febvre et Marc Bloch2.
Le 28 mars 1931, une circulaire d u ministèr e d e l'Instruction publiqu e prescri t
aux archivistes départementaux de se rendre dans les établissements en liquidation
et d'y prélever sur les papiers proposés à la vente ou à la destruction les documents
offrant u n intérêt économique. Un décret-loi du 17 juin 1938, complété par le Règlement d'administration publiqu e du 13 janvier 1940, autorise le classement comm e
monuments historique s d e fonds d'archive s privées . Ce texte permet notammen t
le classement de deux fonds d'entreprise, celui de la Société d'électricité du Bazacle
à Toulouse, et les archives de la maison de commerce et d'armement Gardi s à Bordeaux.
1 Charles SCHMIDT, Les archives économiques modernes, dans: Revue de Paris, 15 mai 1926.
2 Cf. notammen t Lucie n FEBVRE , L'organisation rationnelle des entreprises: les archives privées et
l'histoire, et Charles SCHMIDT, L'organisation rationnelle des entreprises, dans: Annales d'Histoir e
économique et sociale 2 (1930).
282
Félix Torres
Le 14 avril 1949, Charles Braibant , Directeur de s Archives de France, décide la
création d'un service des Archives économiques aux Archives de France, rattaché à la
sous-section des archives privées et du microfilm, fondée à la même date. Le premier
conservateur ser a Bertrand Gille , historien d e l'économie e t des techniques, qui va
déployer à ce poste une énergie infatigable, collectan t de s fonds, écrivan t de nombreux articles, publiant des manuel s et une typologie du classement de l'archive d'entreprise qui est longtemps restée la référence française dans ce domaine3. En quelques années, de très nombreux fonds importants sont déposés aux Archives Nationales. Citons
ceux de la Compagnie générale transatlantique (1855-1910), de la Banque de France
(1802-1857), de la Société générale (1864-1893), de Saint-Gobain (1625-1840), de la
Régie Renault... En 1955, Bertrand Gill e crée en outre un Centre de recherches sur
l'histoire des entreprises , qui est rattaché par la suite à la Ve Sectio n de l'Ecole des Hautes Etudes, centre qui édite à partir de 1958 la revue spécialisée Histoire des entreprises.
La décision de 1949 est complétée par la constitution d'un Comit é de sauvegarde
des archives économiques , formé d e hauts fonctionnaire s e t de personnalités eminentes dans le domaine industriel et social ainsi que dans celui de la recherche. Son
but était de sensibiliser les entreprise s à la conservation de leurs archives et de favoriser les dons ou dépôts auprès des services d'archives publics. Enfin, une enquête nationale est lancée par les archivistes départementaux pour recenser les fonds d'archi ves économiques existant dans leurs départements.
Prise de conscience au cours des années 1920, engagement de la revue d'histoire la
plus en flèche et la plus prestigieuse de cette époque, les Annales, mesures administratives diverses et création d'une section spécialisée aux Archives de France ... En
apparence, malgré un décalage de une à deux décennies, la France ne fait pas mauvaise figure à l'égard des Etats-Unis, où se fonde, à Harvard, la Business Historical Society qui recueille, via la Baker Library, des archives d'entreprise et publie le Journal
of Economie and Business History. Ou de la Grande-Bretagne, qui attend 1935 pour
mettre en place le Council for th e Préservation of Business Archives (ou, plus simplement, le Business Archives Council), appuyé par l'Economie History Review de
l'université de Manchester. Un courant d'opinion s e forme en faveur de la préservation des archives d'entreprises dans le pays.
En apparence. Car le mouvement que représente Bertrand Gille reste, malgré le recueil de nombreux fonds et le travail archivistique et historiographique qui l'accompagne, ponctuel sino n marginal . A l a différence de s pays anglo-saxons , la prise de
conscience des années 1920-1930, la décision de 1949, ne débouchent sur aucun effe t
d'entraînement. Au cours des années 1950, »anéantissement et inaccessibilité des archives« caractérisent la situation française, selon les termes de François-Jacques Himly ,
qui tente de mettre sur pied un centre d'archives à Strasbourg qui voit finalement l e
jour à la fin de la décennie, grâce à l'appui de la Chambre de Commerce de la ville4.
3 Voir e n particulier, Le s archive s économiques , dans : Gazette de s archives , tome 20, juillet 1956; Les
Archives d'entreprises, Directio n des Archives de France, Paris 1958 et, avec Isabelle GUÉRIN-BROT ,
Etat sommair e de s archive s d'entrepris e conservée s au x Archive s Nationales , 2 vol., Paris , 1: 195 7
(avec un e longu e introductio n d e Bertran d GILLE ) e t 2: 1977 . Bertrand Gill e es t malheureusemen t
mort avant d'achever la réalisation d'un manuel d'archivistique d'entreprise , resté inachevé.
4 De l a nécessité de créer un centre économique à Strasbourg, dans: Etudes strasbourgeoises, 1953.
Les archives d'entreprise e n France: Histoire et mise en perspective
283
On n e saurait toutefoi s dir e que les entreprises françaises ignoren t totalemen t à
cette époque la dimension du passé. Issues pour l a plupart du XIXe siècle, nombre
d'entre elles mettent en avant leur ancienneté, conservent leurs »papiers d'archives«,
éditent, lors de leurs grands anniversaires, des albums jubilaires. On peu t citer, aux
côtés de la Compagnie de Saint-Gobain e t de la Société générale, qui éditent toutes
deux en 1965, la première l'album du tricentenaire, la seconde celui du centenaire (un
ouvrage d'excellente tenue, car confié à une plume historienne), le groupe Schneider
fort d'un e création remontant à 1836 et aux débuts de la Première révolution indu strielle. Jusqu'aux années 1950, toutes les nombreuses publications que diffuse l a firme du Creusot débutent par l'historique documenté des établissements industriels et
de l'action social e mise en oeuvre. Un service d'archives fonctionne e n permanence,
et est montré aux illustres visiteurs qui se succèdent en Bourgogne. On n e manque
pas de célébrer le centième anniversaire de la naissance d'Eugène Schneider en 1905
et les grands contrats industriels que signe la Société des Forges et Ateliers du Creusot (SFAC) sont précédés par le passage dans une salle célébrant les grandes réalisation de Schneider & Cie ...
Cette dimensio n rétrospectiv e es t moin s »historienne « (a u sen s d'une approch e
critique et scientifique d u passé) qu'»historiographique«5. L'histoire sert à légitimer
une tradition familiale ou tout simplement la continuité d'une maison honorable, car
des sociétés anonymes et non familiales publient elles-aussi des albums commémoratifs à l'occasion d'anniversaires. Elle exclut surtout tout appel à l'histoire académique
et à l'université. Tradition familiale et secret des affaires se combinent pour conserver
aux archives des entreprises françaises un caractère strictement patrimonial et confidentiel. A cette fermeture correspon d e n outre un paysage intellectuel et social peu
propice, à la différence de s Etats-Unis ou de la Grande-Bretagne.
Outre-Atlantique, une chaire de Business History est fondée en 1927, destinée indifféremment à de futurs »managers « ou chercheurs, un enseignement théorique qui
bénéficie de l'influence d u grand économiste autrichien Joseph Schumpeter. OutreManche, un couran t dynamiqu e d'histoir e d'entrepris e s'organis e dan s le s année s
1950 et débouche sur la création de la revue Business History en 1958 et de nombreuses réalisations, comme le livre classique de Charles Wilson sur l'histoire d'Unileve r
en 1954. Rien de tel en France. La pensée économique se consacre plutôt à l'analyse
macro-économique d e la croissance, et les écoles historiques privilégient soi t la dimension politique et diplomatique, soit les grands cycles économiques et sociaux, le
tout dans un contexte fortement marqu é par le marxisme et la contestation sociale 6.
Analyser le parcours de l'entreprise comm e simple agent économique animé par le
profit apparaî t presque impensable au vu de la faible légitimit é sociale celle-ci dans
les années d'après-guerre e n France... Ce manque d'interlocuteur n e peut que conforter la politique de fermeture des archives des entreprises françaises.
5 Voir l'analys e qu e dress e d e c e phénomèn e Alai n BAUDAN T dan s s a thèse : Pont-à-Mousso n
(1918-1939), stratégies industrielles d'une dynastie lorraine, Paris 1980.
6 Cette situation intellectuelle a notamment été analysée par Jean-Pierre DAVIE T dans: Bilan et perspectives d e l'histoir e d e l'entreprise , Rapport , Ministèr e d e l'Industri e e t d e l a Recherche/Maison de s
Sciences d e l'Homme , 1984, résumé dans : Jean-Pierre DAVIET , L'Histoir e d e l'entrepris e e n France ,
un premier bilan, dans: Maurice HAMO N e t Félix TORRES , Mémoir e d'avenir . L'histoir e dan s l'entre prise, Paris 1987.
284
Félix Torres
L'exemple l e plus caricatura l d e c e divorc e reste , outr e l'insuccè s d e l a revu e
Histoire des entreprises de Bertrand Gille, qui cesse de paraître après 12 numéros en
1965, la thèse de Jean Bouvier, professeur d'histoir e économiqu e à la Sorbonne, imprégné de marxisme, sur le Crédit Lyonnais au XIXe siècle, un établissement pour tant nationalis é depui s 1945. Jean Bouvie r doi t soudoye r l e gardie n de s archive s
lyonnaises de la banque pour y accéder en toute clandestinité! A lire pourtant l'ouv rage de Jean Bouvier , o n n e trouve rie n d e révolutionnair e mai s a u contraire , un e
analyse de qualité sur les conditions d e développement d e la banque et ses taux de
profit7. Mieux, le travail de Jea n Bouvier contribue à faire de la banque du boulevard
des Italiens le prototype de la »banque à la française«, alor s que des établissements
comme la Société générale ou les deux ancêtres de la BNP, l e Comptoir national d'escompte de Paris et la Banque nationale pour le commerce et l'industrie (BNCI), plus
anciennes, offrent de s parcours très originaux, la dernière étant notamment influen cée par le modèle de »banque à l'allemande«, via sa maison-mère le Comptoir d'es compte de Mulhouse, qui participe de l'essor économiqu e de l'Empire alleman d de
1871 àl918 8 .
A ce divorce s'ajoute, dan s les années 1960-70, la volonté général e de la France
comme de l'entreprise française, de tourner la page du passé, au moment où arrivent
des Etats-Unis, directement o u dan s les bagages des nombreuses mission s d e productivité partant Outre-Atlantique, les outils modernes du management. Le »retard
français« es t attribué en particulier aux défauts et aux incapacités de l'entreprise traditionnelle. Ajouton s à cette perception défavorabl e le s effets d e l a croissance de s
»Trente Glorieuses« et le changement de taille (et la disparition) de nombreuses entreprises industrielles, auxquelles se joignent des nouveaux venus, issus pour la plupart d e secteurs comm e l a distribution, l'électroménager , le s cosmétiques o u le s
loisirs, en bre f de s entreprise s travaillan t pou r l a société de consommation, alor s
largement indifférente a u passé.
Dans ce contexte agressivement moderniste, il n'est pas étonnant que les archives
d'entreprise fassent l'obje t d'u n désintérê t général. Soit elles témoignent de sociétés
commerciales e n voie d e disparitio n o u l'absorption , soi t elle s renvoien t a u passé
révolu d e l'entreprise, celu i du XIXe siècle ou d e l'Entre-deux-guerres, san s pertinence pour le présent. Les disparitions et destructions sont nombreuses à cette époque, notammen t à l'occasion des déménagements qui signifient tan t un changement
de taille que le départ du siège traditionnel de la société. Que de fois avons-nous entendu cette phrase: »Les vieux papiers entassés depuis des années sont partis à la benne par camions entiers«. C'est le cas de l'Agence Havas , la plus ancienne agence de
presse du monde, née en 1835, au moment de son déménagement avenue Charles-deGaulle à Neuilly. Seul un fonds limité échappe à la destruction et gagne les Archives
Nationales9. Le s archive s d u Comptoi r nationa l d'escompt e d e Paris , né e n 1848,
disparaissent à peu près complètement pour leur part au moment de la création de la
BNP en 1966.
7 Jean BOUVIER, L e Crédit Lyonnais de 1863 à 1882, Paris 1963.
8 Félix TORRES (dir.), Une banque moderne. Histoire d e la BNP e t de ses maisons-mères, BNP/Publi c
Histoire, Paris 1992, non publié.
9 Isabelle GUÉRIN-BROT, Inventair e des archives de l'Agence Havas (Branche Information), Paris 1969.
Les archives d'entreprise e n France: Histoire et mise en perspective
285
Les successeurs de Bertrand Gill e à la section Entreprises des Archives Nationales,
Robert Marquan t d e 1958 à 1961 puis Isabell e Guérin-Bro t poursuiven t néanmoin s
leurs efforts e n assumant, seuls »la charge d'un servic e dont le s responsabilités n'on t
cessé de s'accroître alor s qu e les effectifs étaien t réduits« 10 . De 1963 à 1972, le ser vice reçoi t 238 tonnes d'archives , notammen t le s fonds d e compagnie s d'assuranc e
fusionnées e n 1968, Le Solei l e t L'Aigle , de la Banque National e d e Crédi t (liqui dée en 1932), de la Compagnie des Forges et Chantiers de la Méditerranée, de la Banque Rothschild , auxquel s i l fau t ajoute r le s 900 tonnes d'archive s d e l a Banqu e
d'Algérie, déposés à Aix-en-Provence. Si la priorité est donnée à la sauvegarde d'ar chives menacée s d e disparition , de s mesure s plu s ambitieuse s son t étudiées . E n
1966, les travau x d e l a Commissio n d e l'Equipemen t culture l d u Ve Pla n (Group e
Archives) débouchen t su r de s circulaires diffusée s pa r l e ministère d e l'Industrie e t
la Direction de s Archives de France engageant le s préfets à sauvegarder le s archive s
d'entreprises disparue s o u fusionnées . E n 1970, pourtant, le s recommandation s
d'un group e analogu e pou r l e VI e Plan , anim é pa r Pierr e Villard , afi n d'assure r »l a
protection d e document s d'u n intérê t fondamenta l pou r l'histoir e d e la nation «
n'aboutissent pas .
En 1972, à l'initiativ e d u ministèr e de s Affaire s culturelles , u n group e d e travai l
présidé pa r M . Valls , Inspecteur de s Finances , e t comprenan t de s représentant s de s
fédérations professionnelle s e t de s conservateur s d'archives , not e l e retar d françai s
dans l e domain e d e l a préservatio n de s source s d e l'histoir e économique , l'insuffi sance des moyens financiers mi s à la disposition de s Archives de France, la méfianc e
du secteur privé. Ses représentants refusen t l'éventualit é d'u n proje t d e loi d'archive s
plaçant sou s l e contrôle d e l'Eta t u n certai n nombr e d'archive s d'entrepris e offran t
un intérê t majeu r pou r l a recherche scientifique , économiqu e e t sociale. A l'inverse ,
l'idée d'une fondatio n privé e suggérée par M. Valls, qui recevrait des dons et subven tions diverses , et qui prendrait e n charge les archives de s entreprise s moyennan t ré tribution, se heurte à l'opposition de s Archives de France.
En province, la situation es t peu o u prou identique . Un quart de siècle après le recensement effectu é e n 1949, l'enquête lancé e en mai 1973 par la Direction de s Archives de France apporte une vue d'ensemble su r les fonds d'archive s d'entrepris e cons titués dans les départements. La situation n'est guère brillante, comme le souligne Vital
Chomel, qu i not e un e accumulatio n forcémen t disparate : »Conduit e san s appui s
extérieurs, sans renforts e n personnel qualifié (...) la collecte ne pouvait avoir que des
résultats sporadiques« . 215 fonds existen t pou r l a Franc e entière , 36 départements
étant totalemen t dépourvu s d'archive s économiques , 12 ne possédan t qu'u n seu l
fonds, l a plupart disposan t d e trois à quatre fonds e n moyennes. Aux côtés de fond s
d'origine diverses , le nombre de sociétés anonymes représentées n'est que de ... 3511.
Hormis quelque s exceptions , »l'ensembl e de s dépôts existant s n e saurait êtr e carac térisé pa r un e quelconqu e cohérence« . L e symbol e d e cett e situatio n plutô t dépri mante es t l'éche c d'u n proje t élabor é pa r l a Direction de s Archives d e France, ave c
10 Voir l e panorama d'Isabell e GUÉRIN-BRO T e t Vita l CHOMEL , Le s archive s d'entrepris e e n France ,
dans: La Gazette des archives 84 (1974) p. 9-18 et p. 19-35.
11 Vital CHOMEL , Le s archives d'entreprise dan s les départements, ibid.
286
Félix Torres
l'appui du département des Ardennes, concernant la création d'un centr e d'archives
d'entreprise pour les régions du Nord de Champagne-Ardennes e t de Lorraine, qui
aurait été installé dans les locaux de l'ancienne manufacture d e draps de Dijonval à
Sedan. Celle-c i aurai t p u accueilli r de s fond s déposé s pa r de s entreprise s locale s
moyennant un e location d'un pri x modeste. Mais aucune des sociétés sollicités par
les directeurs des archives des départements ne donne suite à la proposition...
Le nouvel âge des archives d'entreprise française s
Pourtant, les années 1970 voient un spectaculaire renversement de tendance: des services spécialisée s d'archive s son t créé s dan s plusieur s grande s firme s o u dan s le s
Chambres de Commerce, des sociétés spécialisées dans l'histoire d'entreprise et dans
l'archivage apparaissent et proposent des services spécialisées, la »Business History«
française s e développe et se structure, les Archives publiques multiplient les initiatives et amorcent l a création d e centres de dépôts régionaux.. . E n bref, l'histoire e t
l'archivage d'entreprise acquièrent enfin en France droit de cité et une certaine notoriété auprès du monde des affaires.
On peut expliquer cette mutation par deux faits majeurs . D'une part la redécouverte par l'entreprise de sa dimension historique, reliée à sa nouvelle place dans la société française a u cour s de s année s 1980. Au momen t o ù l a France verse de faço n
massive dan s l'évocatio n d u patrimoine 12, l'entrepris e émerg e enfi n comm e acteu r
autonome, doté d'une identité voire d'une culture propre. Après la phase de rupture
des années 1960-70, elle éprouve l e besoin d e mettre e n ordre so n passé, recueillir
voire retrouver sa mémoire, écrite et orale, formaliser celle-ci à des fins de communication interne , le plus souvent, extern e quelquefois, vi a des sociétés spécialisées de
»Public History« ou d'»histoire appliquée« 13. Ou en ouvrant ses archive s à des historiens universitaires.
Une vigoureuse histoir e d'entreprise s e développe en effet depui s une quinzain e
d'années, dans le sillage des travaux initiés par François Caron, Albert Broder, Maurice Lévy-Leboyer ou Alain Plessis: thèses, ouvrages, articles se multiplient, avec des
noms comm e Dominique Barjot , Huber t Bonin , Eric Bussière, Pierre Cayez, Emmanuel Chadeau, Jean-Pierre Daviet, Marc Meuleau, une revue est créée, Entreprises
et histoire, un enseignement spécifique débute à l'Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales, confié à Patrick Fridenson, historien de Renault. Ce mouvement, incontestable par son ampleur et la qualité de ses réalisations, suffit-il à fonder une histoire
des entreprises à la française, susceptible de nourrir des études sectorielles et générales du type de celles conduites par Alfred Chandle r Outre-Atlantique? L a question
reste ouverte14.
12 Ce mouvemen t a été parfaitement dépein t e t analys é dan s Le s lieu x d e mémoire , dirigé s pa r Pierr e
N O R A , SOUS la forme d e plusieurs volumes édités de 1987 à 1992, Paris, avec notamment u n article de
François CARO N consacr é spécifiquement à l'entreprise.
13 Voir HAMON , TORRE S (voi r n . 6), un ouvrag e iss u d'u n colloqu e rassemblan t e n 1985 industriels e t
historiens français e t américains autour d e ce thème.
14 Voir le bilan dressé par Patrick FRIDENSO N dans : The Relatively Slo w Development o f Big Business
in 20th Century France, document inédit , repri s dans : La grand e entrepris e industriell e a u tournan t
d'un siècle , Les journées de PANVIE, 20 septembre 1994.
Les archives d'entreprise en France: Histoire et mise en perspective
287
Le deuxième trait saillant réside dans l'explosion d e l'information e t la généralisation de l'informatique a u cours des années 1960-70. La naissance de la notion de traitement de l'information avec ses déclinaisons comm e la bureautique e t l'informatiqu e
renouvelle les procédures documentaire s dan s l'entreprise. Comme le signalait Mau rice Hamon, ce phénomène a »crée des documents en masse et fait découvrir aux sociétés (du moins au x plus grande s d'entre elles ) la logique et l'importance de s systè mes d'informatio n bie n maîtrisés . Comm e si , en somme, l a logique formell e de s
ordinateurs ressuscitait , au lieu de la tuer, la logique formelle de l'archivistique tradi tionnelle, aux eminentes qualités scolastiques« 15.
La gigantesque quantité d'informations qu e produit l'entreprise modern e doit êtr e
maîtrisée et gérée, pour de s raisons d'économie e t d'efficacité. Le s plus grands grou pes industriels français s e dotent de centres d'archivage, sur le modèle plus ou moins
conscient de Saint-Gobain. A la suite de sa fusion ave c Pont-à-Mousson e n 1969, la
Compagnie fondé e pa r Colbert ouvr e précocement , sou s l'égid e d e Roger Martin ,
ses archives aux chercheurs à partir de 1975 et édifie au début des années 1980 à Blois
un centre d'archivage modern e et ambitieux anim é par Maurice Hamon, chartiste de
formation, recrut é pou r l'occasion . Se s deux tour s d e quatre étages , recouvertes de
miroirs solaires , abritent plus de 300 kilomètres d'archive s e t jouent un double rôle :
celui de lieu de mémoire historiqu e de Saint-Gobain, ouver t au x chercheurs, avec la
présence de salles de travail e t d'une bibliothèque ; et , parallèlement, celu i de centre
documentaire du Groupe, abritant et fournissant à la demande des documents de seconde génération au divers services et filiales de Saint-Gobain.
Le groupe d'assurance s Axa , Bouygues, le Crédit Agricole , le Crédit Lyonnais , la
Caisse des Dépôts e t Consignations, EdF , Elf-Aquitaine, France-Télécom , Lafarge Coppée, la RATP, Rhône-Poulenc, la SEITA, la SNCF, Total... O n peut considére r
que, depui s un e décennie, la majorité de s grands groupe s français , public s e t privés,
se sont dotés de centres d'archivage rigoureux et performants ouvert s - sous certaines
conditions - aux chercheurs ou menant des missions historiques 16. Cet essor s'est accompagné de la floraison d e nombreuses sociétés privées d'archivage, conduisant de s
audits, études et réalisations ponctuelles, ou proposant de s surfaces de location d'ar chives17.
C'est dan s cette voie d'assistance aux entreprises privées que s'orientent le s Archives de France, parallèlement à leur tâch e traditionnell e d e recueil e t de classement
d'archives. Signalons à ce propos qu'un guid e complet des fonds a été récemment pu blié par les Editions d e l'Epargne, sou s le titre Les archives aux sources de l'histoire
des entreprises 1*.
En province, la réalisation marquant e de s dix dernières année s a été le Centre des
Archives du Monde du Travail (CAMT) de Roubaix, inauguré à l'automne 1993. Ce
15 Maurice HAMON , Le s archives du monde d u travail. Le s entreprises e t leurs archives: le temps des
mutations, La Gazette des archives 141 (1988) p. 171-175.
16 Voir Les archives du monde du travail. Actes du XXXIII e congrès des archivistes français, Roubaix,
5-7 octobre 1993, Paris 1995; cf. en particulier l'introduction de Françoise HILDESHEIMER , L a place
de l'Etat ou vingt ans après, ibid. p. 9-19.
17 Les sociétés les plus marquantes de ce secteur sont le SERDA (études et formation), Eco Arc et Locarchives (archivage).
18 Par Raymond DARTEVELL E et Françoise HILDESHEIMER e n 1995.
288
Félix Torres
»grand projet « e n province, décid é e n 1983 à la suite de s travau x d e l a commissio n
des archive s industrielle s dirigé e pa r M . Maléco t entr e 1980 et 1981, installé dan s
l'ancienne filature Motte-Bossu t d e Roubaix, déclarée monument historiqu e en 1978
et entièremen t réhabilitée , a bénéfici é d e plusieur s facteurs , l e caractèr e embléma tique d u Nord-Pas-de-Calai s comm e régio n industrielle , l a richesse d e se s archive s
économiques e t sociales, cataloguées grâc e à l'enquête approfondi e mené e par Cathe rine Dhérent 19 , l a nécessit e d e sauvegarde r plusieur s fond s e n péri l à l a suit e d e l a
disparition d e grandes entreprises régionales . L'enjeu résid e dans le sauvetage, au niveau local, de fonds d'entrepris e qu i sont le plus souvent détruits e t n'arrivent jamai s
dans les dépôts publics départementaux .
Le CAMT d e Roubaix offr e ains i 8000 m2 de surfaces d'archive s abritan t d'ores e t
déjà trois kilomètres d'archives (don t la moitié est classée), des salles de consultatio n
et de réunion, un ensemble animé par une quinzaine de personnes. Significativement ,
le centre veut aussi jouer un rôle de sensibilisation, de conseil et de formation auprè s
des entreprises régionales qui préfèrent conserve r leurs archives propres. La difficul té à faire cohabiter archives publiques et archives d'entreprises e n activité demeure en
effet quas i intacte . L e 21 septembre 1983, le Consei l de s ministres , su r l a bas e de s
propositions d u rappor t d e M . Malécot , avai t annonc é l a créatio n d e cin q centre s
d'archives d u mond e »d u travail « (u n term e ambigu , significati f de s tension s affec tant la relatio n à l'entrepris e e n France ) à vocatio n interrégionale . Seu l celu i d u
Nord-Pas-de-Calais a v u l e jou r pou r de s raison s d e financement . So n ouvertur e
permet d'envisage r la création d'autre s sites , en Lorraine o u dan s l a région Rhône Alpes, qu i seront , d e tout e manière , moin s ambitieu x e t onéreu x qu e l e CAM T d e
Roubaix.
La voie qui se dessine semble être celle de relations contractuelles souples , menées
de faço n »raisonnée « o u »intégrée « pa r le s responsables d'archive s départementale s
(c'est l e cas dans l e Territoire d e Belfort o u dan s l e département d e Seine-Saint-De nis), ou pa r de s structures mi-associative s mi-privées , bien implantée s dan s u n tiss u
régional à l'image d u Centr e rhéna n d'archive s e t de recherches économique s (Cera re). Cett e associatio n a vu l e jour à Mulhouse e n 1983, sous l'impulsio n d'u n gran d
industriel local, Jacques-Henri Gros , soucieux de préserver la mémoire de son entreprise familiale. Depuis le Cerare a conduit des plans d'archivage pour une quarantai ne d'entreprises, en Alsace mais aussi en région parisienne (il a même été consulté par
un Land allemand!). Le centr e propose de s stage s d e formatio n e t de s espace s d'ar chivage dans un ancie n hanga r textile , qui abrit e déj à le s fonds d e 50 entreprises su r
1,7 km de rayons (sur un total de 4,3 km).
Quelle est , e n entreprise , l a fonction exact e d'un archivag e d e natur e historique ?
O n retomb e ic i sur l a vieille mais toujours pertinent e distinctio n entr e le s trois âge s
des archives : archives courantes , documents intermédiaire s ( à conserver un e dizain e
d'années) e t enfin archive s historiques, à préserver sans limitation de durée. Les deux
premiers, nécessaires tant à la bonne marche de l'entreprise qu' à sa mémoire »sociale «
(documents légau x e n tout genre) , bénéficient aujourd'hu i d u boo m de s technique s
19 Catherine DHÉRENT , Archive s d u mond e d u travail . Région Nord-Pas-de-Calais , Guid e d e recher che, Archives départementale s d u Nord/Offic e régiona l d e l a culture e t de l'éducatio n permanent e
Nord-Pas-de-Calais, Lill e 1986.
Les archives d'entreprise en France: Histoire et mise en perspective
289
documentaires, d e plus e n plus sophistiquée s grâc e à l'informatique e t relèven t de s
circuits documentaires classiques . En ce sens, le premier travail d'un archivist e d'ent reprise consist e d'abor d à classe r e t à éliminer , afi n d e freine r l'accumulatio n d u
papier, faciliter voire développer l'information d'u n servic e à l'autre. Comme le résume Maurice Hamon : »Pou r débloque r l a situation (d'engorgemen t de s archives), résume-t-il, j'ai décidé de ne garder que 10% d'archives >utiles< , de mettre e n place u n
système de gestion souple et décentralisé permettant d e décharger les sites et de don ner un accès général à l'information. «
Au-delà, l e fait nouvea u résid e dans l'intérê t nouvea u de s entreprise s à l'égard d e
leur »mémoir e historique«. Celle-ci étai t hier négligée, hormis le s collections d e documents sociau x e t le s dossiers »historiques « constitué s notammen t pou r de s anni versaires, car relevant d'un passé poussiéreux et obsolète. Elle devient aujourd'hui u n
fonds intempore l qu'i l fau t conserve r pou r le s génération s futures , à la foi s témoi gnage d'une pérennit é (e n soi comme à l'égard de s chercheurs à venir) e t expressio n
d'une identité : »ce que nous sommes« . En c e sens, une de s difficultés d e l'entrepris e
consiste à cerner et définir cett e mémoire historique, une demande que m'ont adress é
explicitement plusieur s entreprises , notammen t tou t récemmen t u n gran d group e
d'assurance: »qu'es t c e qui es t historique dan s no s archives?« ; »qu'est-ce qu i mérit e
d'être conserv é à ce titre?«.
Dans ce t espri t e t pour conclure , le renouveau d e l'archivag e d'entrepris e auque l
on assist e depuis une à deux décennies e n France reste, malgré ses promesses, limité.
Il ne reme t pas e n cause la vieille coupure public/priv é e n ce qui concern e le s fond s
d'archives d'entreprise s vivante s et , pou r ce s dernières , i l renvoi e tou t autan t à l a
fonction social e de »l'institutio n entreprise « dan s l a société française qu' à so n iden tité propre, celle d'une organisatio n privée existant d'abord pou r elle-même .
HORST A. WESSEL
DEUTSCHE WIRTSCHAFTSARCHIVE :
BESTÄNDE, FORSCHUNGEN, ENTWICKLUNGE N
Die Institutionalisierung der unternehmensgeschichtlichen Forschung
in Deutschland
Mit der wissenschaftlich historischen Forschung über Unternehmungen und Unternehmer werden nahez u all e entscheidenden Problem e wirtschaftlicher un d gesell schaftlicher Entwicklunge n in Deutschland wie in Frankreich und auch in allen anderen industrialisierten Staaten angesprochen1.
Diese Erkenntnis is t durchau s nich t neu ; si e is t bereit s vo r Jahrzehnte n i n
Deutschland Grundlage für die Arbeiten von Wissenschaftlern wie Richard Ehrenberg2, Bruno Kuske 3, Walther Däbritz 4, Conrad Matschoß 5 und schließlic h Frit z
1 Han s POHL , Unternehmensgeschicht e i n de r Bundesrepubli k Deutschlan d - Stan d de r Forschun g
und Forschungsaufgaben fü r die Zukunft, in : Zeitschrif t fü r Unternehmensgeschichte 22 (1977) Heft
1, S. 26-41, hier S. 27.
2 Ehrenber g (1857-1921 ) war, bevor er Nationalökonom wurde , Kaufmann gewesen . Seine Studien,
u.a. über di e Fugger, waren zunächs t der historischen Schul e der Nationalökonomie verpflichtet .
Nach seiner Berufung nac h Rostock setzte er sich für ein e tiefer greifend e und zuverlässigere Wirtschaftswissenschaft ein , d.h. die Wirtschaft sollt e von ihren Einzelzellen, den Unternehmungen un d
Haushalten, aus erforscht werden. Ehrenberg hat mit seiner vergleichenden Methode der wirtschaftswissenschaftlichen Forschun g wenig Anerkennung gefunden; vgl. Klara VAN EYLL, Voraussetzungen
und Entwicklungslinie n vo n Wirtschaftsarchive n bi s zu m Zweite n Weltkrie g (Schrifte n zu r Rhei nisch-Westfälischen Wirtschaftsgeschichte , 20) , Köl n 1969, S . 22 ff. u. 33 ff .
3 Kusk e (1876-1964) war vor seinem Studium an der Universität Leipzig (u.a. bei Karl Bücher und Karl
Lamprecht) Handelsschullehrer. 1903 kam er zur Bearbeitung von Quellen zur Geschichte des Kölner
Handels und Verkehrs im Mittelalter nach Köln. 1912 erhielt er die erste hauptamtliche Dozentur fü r
das Fach Wirtschaftsgeschichte un d fünf Jahre später wurde er der erste Ordinarius für Wirtschaftsge schichte. 1920 übernahm er die Direktion des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv s z u Köln im
Nebenamt. Kuske hat selbst zahlreiche Publikationen zur Geschichte von Unternehmen im Rheinland
und Westfalen vorgelegt, v.a. jedoch hat er eine Fülle von Dissertationen aus diesem Bereich angeregt
und betreut. Aus dem »Kuske-Kreis« seine r ehemaligen Schüler ist der Wirtschaftshistorische Verei n
Köln (WHV) hervorgegangen, dessen Vorsitz führt z.Zt . Friedrich-Wilhelm Hennig , einer der Nachfolger Kuskes auf dem Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte de r Universität Köln; ebd., S. 92 ff.
4 Däbrit z (1881-1963) war der erste, der wegen seiner unternehmensgeschichtlichen Leistunge n an einer
deutschen Universität , nämlich 192 7 in Köln, habilitiert wurde. Der - wi e Kuske - Schüle r von Karl
Bücher war zuvor als Bankkaufman n täti g gewesen. Auf seine Anregung wurde das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschun g gegründet , desgleichen die Volkswirtschaftliche Vereinigun g im
Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet , di e e s sic h zu m Ziel e gesetz t hatte , namhafte Vertrete r de r
Wirtschaft und des öffentlichen Leben s zu Vorträgen über zeitnahe Wirtschaftsfragen z u veranlassen und
entsprechende Veröffentlichunge n herauszugeben , schließlic h di e seit 193 2 erscheinenden Rheinisch Westfälischen Wirtschaftsbiographien; vgl . Frit z PUDOR, Lebensbilder aus dem Rheinisch-Westfälischen
Industriegebiet, Jahrgang 1962-1967 (Schriften de r Volks- und Betriebswirtschaftlichen Vereinigun g im
Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet , N.F., Hauptreihe , Heft 28), Baden-Bade n 1927 , S . 29-34.
5 Matscho ß (1871-1942), Direktor des Vereins deutscher Ingenieure und Professor a n der Technischen
Hochschule Berlin; Begründer der Technikgeschichte.
292
Horst A. Wessel
Redlich6 gewesen , jedoc h auc h fü r da s Handel n vo n Unternehmer n wi e Alfre d
Krupp7, Carl Duisberg8, Generaldirektor der Firma Bayer und Schöpfer des Werkes
Leverkusen, und Ernst Poensgen 9, Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke AG,
des damal s größte n Montankonzern s i n Europa . Di e politische n un d wirtschaft lichen Entwicklungen der Zwischen- und vor allem der Nachkriegszeit haben jedoch
andere Prioritäten gesetz t und di e Beschäftigung mi t der Unternehmensgeschicht e
in de r wissenschaftliche n Forschun g un d de r unternehmerische n Praxi s z u eine r
nachgeordneten Größe schrumpfen lassen . Ihre Bedeutung geriet in Deutschland in
Vergessenheit und hat erst - i m Umweg über die Vereinigten Staaten - z u Beginn der
1970er Jahre neue Geltung erlangt.
Dennoch kam es zunächst nicht zu einer Institutionalisierung der Wissenschafts disziplin Unternehmensgeschicht e - wede r a n noch außerhal b de r Hochschulen 10.
Erst im Jahre 1976 ist durch das Zusammenwirken von Wissenschaftlern und Vertretern der unternehmerischen Wirtschaft di e Gesellschaft fü r Unternehmensgeschich te gegründet worden, die es sich zu einer ihrer wesentlichen Aufgaben gemach t hat,
die unternehmensgeschichtliche Forschung in Deutschland zu intensivieren und ihr
den Wiederanschluß an internationale Standards zu ermöglichen. Dazu bediente sie
sich mit Erfolg verschiedener, in der wissenschaftlichen Forschun g bewährter Mittel.
Die 195 6 vo n Wilhel m Treu e begründet e »Tradition« , Zeitschrif t fü r Firmenge schichte und Unternehmerbiographie, wurde unter dem neuen Namen »Zeitschrif t
für Unternehmensgeschichte« fortgeführ t un d entsprechend der weiteren Aufgaben stellung der Gesellschaft umgestaltet. Vor allem jüngere Wirtschafts- und Sozialhistoriker, Nationalökonomen und Juristen erhielten dadurch eine Publikationsmöglichkeit un d ei n Diskussionsforu m fü r ihr e Forschungen . Be i ihre n Veranstaltunge n
führt die Gesellschaft Vertreter der wissenschaftlichen Forschun g und der unternehmerischen Praxi s zusammen . I n de n öffentliche n Vortragsveranstaltunge n werde n
6 Redlic h (1892-1978), Pionier der amerikanischen und deutschen Unternehmensgeschichte. Hatte sich
vergeblich zu habilitieren versucht, emigrierte 1936 nach den USA, 1950 Mitglied des Research Center
in Entrepreneurial Histor y a t Harvard University (Cambridge/Mass.), zahlreiche Beiträge zur deutschen und amerikanischen Unternehmensgeschichte, u.a. die Artikel »Unternehmer« und »Unternehmungs- und Unternehmergeschichte « i m Handwörterbuc h de r Sozialwissenschafte n (HdSw ) 1959,
Anfänge un d Entwicklun g de r Firmengeschicht e un d Unternehmerbiographi e (erste s Beihef t de r
»Tradition«) 1959, Der Unternehmer, wirtschafts- und sozialgeschichtliche Studien, 1964; vgl. Walther
HERRMANN, Fritz Redlich, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 24 (1979) H. 1., S. 1-9.
7 Alfre d Krup p (1812-1887) entwickelte das vom Vater gegründete Unternehmen zu einem der bedeutendsten Werke seiner Art, er schuf da s große Sozialwerk seines Unternehmens in einer Zeit, in der
gesetzliche Vorschriften zu r sozialen Sicherung der Mitarbeiter unbekannt waren.
8 Car l Duisberg (1861-1935) entdeckte nach wissenschaftlicher Tätigkei t a n Hochschulen i m praktischen Betrieb künstliche Farbstoffe, die den Weltruf des Unternehmens Bayer begründeten; Gründer
und Organisato r de s Werkes Leverkusen , maßgebliche r Fördere r de s Zusammenschlusse s zu r IG
Farbenindustrie AG.
9 Erns t Poensgen (1871-1949) entstammte einer alten Reidemeisterfamilie aus der Eifel. Nach dem Studium an der TH Charlottenburg trat er in das väterliche Unternehmen ein und übernahm Leitungsaufgaben; nac h der Fusio n mi t dem Phoeni x wurde e r Vorstandsmitglied, nac h de r Gründun g de r
Vereinigte Stahlwerke AG erster stellvertretender Vorsitzender des Vorstands, dann Vorstandsvorsitzender; zugleic h führt e e r die wichtigsten Verbänd e de r Montanindustrie; Mannesmann-Archiv ,
P 2.2508-2.5910; P 7.5550-7.5599.
10 Vgl . POH L (wie Anm . 1 ) S . 26 .
Deutsche Wirtschaftsarchive: Bestände, Forschungen, Entwicklungen 29
3
generelle Themen in Vorträgen behandelt und in Diskussionen erörtert, die sowohl
historisch relevant wie aktuell sind. Die Symposien bieten Spezialisten aus dem Inund Auslan d ei n Fel d zu r Behandlun g vo n Theme n vo r alle m au s de r Sozialge schichte. Die Referate un d Diskussionsbeiträg e werde n als Beihefte zu r Zeitschrif t
für Unternehmensgeschichte gedruckt. Bedeutende Ergebnisse der deutschen unternehmensgeschichtlichen Forschun g werden in englischer Übersetzung im »German
Yearbook on Business History« der Wissenschaft über den Kreis seiner deutschsprachigen Vertreter hinaus weltweit zugänglich gemacht . Weitere Veröffentlichunge n
betreffen Forschungsprojekte , di e oft vo n mehreren Wissenschaftlern übe r länger e
Zeit durchgeführt wurden 11.
Die intensiv e Fördertätigkei t de r Gesellschaf t fü r Unternehmensgeschicht e ha t
die erhofften positive n Auswirkunge n gehabt . Zum eine n ka m e s zu eine r frucht baren Zusammenarbeit mi t bereits bestehenden Einrichtunge n verwandte r Zielset zungen im In- und Ausland . Zum anderen entstanden neu e Institutionen, z.B . der
vor allem von jungen Wissenschaftlern de r Universität Bochum gegründete Arbeitskreis kritischer Unternehmens - und Industriehistoriker . A n der Universität Erlan gen-Nürnberg wurde ein Lehrstuhl für Unternehmensgeschichte geschaffen; zu den
Lehraufträgen fü r dies e Wissenschaftsdisziplin i n München und Köln kam ein weiterer in Düsseldorf hinzu . Die Zahl der unternehmensgeschichtlichen Forschungs arbeiten ist auf ein Vielfaches angewachsen , vor allem hat deren Qualität zugenom men. Beteiligt daran sind nicht mehr allein Vertreter der Unternehmensgeschichte im
engeren Sinne, sondern auc h die der Unternehmensgeschichte nahestehende n Dis ziplinen Wirtschafts-, Sozial - und Technikgeschichte des In- und Auslandes sowie
auch der Rechts- und Kunstgeschichte un d anderer Wissenschaftsdisziplinen. Di e
1976 von Hans Pohl erstellte Analyse, daß die Masse der Darstellungen weder den
an ein e wissenschaftlich exakte , sachliche Unternehmensgeschichtsschreibun g z u
stellenden Ansprüche n genügt e noc h di e Roll e vo n Unternehme n un d Unter nehmern in Wirtschaft un d Gesellschaft richti g darstellte12, verlor weitgehend ihre
Grundlage. Di e ausgewogen e Unternehmensforschun g ha t sic h durchgesetzt ; un d
denen, die sie betreiben, bleibt die Anerkennung auch seitens der Kollegen der anderen Wissenschaftsdisziplinen nich t mehr versagt.
Diese Forschungsarbeiten sind ohne Ausnahme stark quellenorientiert; insbesondere werden die Quellen der unternehmerischen Wirtschaft berücksichtigt , die in öffentlichen Archiven nicht vorhanden sind und lange Zeit nicht die ihnen gebührende
Beachtung gefunden hatten . Deshalb setzt sich die Gesellschaft fü r Unternehmens geschichte seit ihrer Gründung für di e Erhaltung bestehender sowie für di e Errichtung neuer Wirtschaftsarchive ein . Ferner wirkt sie auf die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Archive für Unternehmen und Wissenschaft ein . Sie tut dies in Zusammenarbeit mi t der seit 195 7 bestehenden Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchi vare e.V. (VdW). Grundlage dafü r bilde t di e Erkenntnis, daß für di e wissenschaft liche Behandlung sowohl makroökonomischer Probleme , wie die Rolle der Unternehmen in Wirtschaft un d Gesellschaft, al s auch mikroökonomischer Aspekte , d.h.
11 Selbstdarstellun g und Informationsberichte, die ab 1976 von der Geschäftsstelle veröffentlicht wur den.
12 Vgl . POH L (wie Anm . 1) .
294
Horst A. Wessel
die Betrachtung von Unternehmen ode r Betrieben als einzelwirtschaftliche Einhei ten, die dichte und möglichs t lückenlos e Überlieferung vo n kleinen, mittleren un d
großen Unternehmen aller Sektoren und Branchen die unabdingbare Voraussetzung
ist. Allerdings ga b es, als die Gesellschaft fü r Unternehmensgeschicht e ihr e Arbeit
aufnahm, nur wenige, zu wenige Archive, die der Forschung zugänglich waren.
Die Entstehung der Wirtschaftsarchive i n Deutschland
und die Phasen ihrer Entwicklung
1. David Hansemann und die ersten Unternehmens-»Archive« (~ 1860)
Wirtschaftsarchive habe n in Deutschland ein e große Tradition. Zwar sind die deutschen Wirtschaftsarchive wesentlic h jünger als beispielsweise die Staats- und Adelsarchive, aber bereits im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts - nac h dem Beginn
der Phas e de r Hochindustrialisierun g - habe n einzeln e Unternehme r konkret e
Überlegungen angestellt , die die Sicherung der für de n laufenden Geschäftsbetrie b
nicht mehr benötigten, aber mit Rücksicht auf die rechtliche, wirtschaftliche, technische oder auc h sozial e Beweiserheblichkei t al s für dauern d aufbewahrungswürdi g
erscheinenden Unterlagen zum Gegenstand hatten.
Eine wichtige Grundlag e dafü r bildete n di e in de n 1860e r Jahren erfolgreiche n
Bemühungen des preußischen Wirtschaftspolitikers un d Unternehmers David Hansemann13 um das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch . E r schuf dami t ei n fü r
die Staaten des Deutsche n Bundes (also einschließlich Österreich) einheitliches Handelsrecht. Dieses verpflichtete di e Unternehmen nicht nur zur Eintragung ins Handelsregister und damit zur Offenlegung nich t nur der Kapital- und der Leitungsverhältnisse, sondern auch zur Führung und Aufbewahrung wichtige r Geschäftsunter lagen, z. B. von Geschäftsbüchern .
Noch bevor das Gesetz Geltung erlangte, erhielt David Hansemann 186 0 bei der
Reorganisation de s »Phoenix« , Aktiengesellschaft fü r Bergba u un d Hüttenbetrieb ,
des ersten vertikal gegliederten Montankonzerns , die Gelegenheit, nac h der Inten tion des von ihm erarbeiteten Gesetzes zu handeln. Er gab die Anweisung, Verträge,
Urkunden, Anerkennungsschreibe n u.a . wichtig e Unterlage n au f Daue r aufzube wahren un d dafü r ei n feuerfeste s Archi v z u errichte n - bereit s zeh n Jahre späte r
mußte dieses erweitert werden 14. Geführt wurde n diese Archive von Registratoren.
Wenn es auch noch keine historischen Archive waren, so bildeten sie doch eine wesentliche Grundlage dafür. Die Bestände »Phoenix« und »Demag« im MannesmannArchiv bzw. im Westfälischen Wirtschaftsarchi v sowi e die »Keimzelle« des Archivs
der Deutschen Bank liefern dafür überzeugend e Beispiele. In Essen führten di e Regulative Alfred Krupps , die 1874/75 eine Stelle forderten, »a n der die Geschichte des
13 Davi d Hansemann (1790-1864), Wollkaufmann, gründete 182 4 die Aachener Feuerversicherungsanstalt, aus der die Aachen und Münchener hervorging, 185 1 die Diskonto-Gesellschaft i n Berlin,
Eisenbahnpionier, preußische r Finanzminister ; Walthe r DÄBRITZ , Davi d Hansemann , in : Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsbiographien, Bd. 7, S. 1-24 .
14 Lut z HATZFELD, Hansemann wollte ein Archiv . Eine handelsrechtliche Anekdote zum 200. Geburts tag eine s rheinischen Unternehmers, in: Archiv und Wirtschaft 23 (1990 ) S. 143-146 .
Deutsche Wirtschaftsarchive: Bestände , Forschungen, Entwicklunge n 2 9
5
Hauses aus den Quellen geschriebe n werden kann« , zur Errichtun g eine r Zentral registratur - immerhi n hatt e man bereits für di e Weltausstellung von 187 3 in Wien
eine Veröffentlichung vorgelegt , die die Geschichte des Hauses Krupp zum Gegenstand hatte15.
2. Die ersten hauptamtlich betreuten Unternehmensarchive
(nach der Jahrhundertwende)
Historische, hauptamtlic h betreut e Archiv e sin d ers t nac h de r Jahrhundertwend e
entstanden. Das erste war 1905 das Krupp-Archiv. Es folgten 190 7 das Siemens- und
das Bayer-Archiv. Richard Ehrenberg, der mit Unterlagen aus den Unternehmen arbeitende Ordinarius für Nationalökonomie hatt e 1902 bei Krupp und 190 6 bei Siemens Unterlagen für seine Studien ausgewertet. Während in Essen noch keine ungedruckten Quelle n zu r Verfügung gestande n hatten, hatte er bei Siemens, wie er im
Vorwort seine r Arbei t übe r Siemen s ausdrücklic h hervorhob 16, de n vertrauliche n
Briefwechsel von Werner von Siemens mit seinen Brüdern nutzen können. »Es ist sicher«, so schreibt Klar a van Eyll in ihrer Untersuchung de r Voraussetzungen un d
Entwicklungslinien von Wirtschaftsarchiven, »da ß neben anderen Erwägungen auch
die Forschungen Richard Ehrenbergs zur Gründung des Siemens-Archivs i m Jahr e
1907 beigetragen haben.« 17 Übrigens ha t Ehrenber g bereit s damal s au f da s Unter nehmensarchiv al s den beste n Verwahrort fü r di e historisch wichtige n Unterlage n
der Unternehme n hingewiesen : »Namentlic h wirtschaftlich e Unternehmunge n .. .
sind zu r Bildun g von Betriebs-Archiven anzurege n un d dabe i mi t Ra t un d Tat zu
unterstützen. Au f solch e Weise lassen sich Geschäftsgeheimniss e wei t besse r wahren, als wenn das Material wie neuerdings geplant wird, besonderen (regionalen - d .
Verf.) Wirtschaftsarchiven anvertrau t wird. Dies verbietet sich überdies schon wegen
des große n Umfange s de r z u sammelnde n Materialien.« 18 Das Siemens-Archiv er hielt mi t Kar l Burhenn e eine n Leiter , der 190 9 den erste n grundlegende n Aufsat z
über - wi e man damals noch sagte - »Betriebs-Archive « veröffentlicht hat 19.
Bei den damalige n Farbenfabrike n Baye r ka m de r Ansto ß zu r Errichtun g eine s
Unternehmensarchivs aus dem Unternehmen selbst. Anlaß war- wie später noch oft
- ei n Jubiläum, zwa r nich t de s Unternehmens , s o doc h da s Dienstjubiläu m eine s
Vorstandes und Miteigentümers. Im Protokoll vom 21.3.1907 heißt es : »Her r Prof.
(Carl - d . Verf.) Duisberg (gleichfalls Vorstandsmitglied - d . Verf.) gibt einen Überblick über den Stand der bisherigen Beratungen und die Art und Weise, in welcher
die Feier vor sic h gehen soll .. . Wa s soll die Firma tun? Sol l die Feier ähnlich wie
beim Jubiläum des Herrn Kommerzienrat Bayer (gleichfalls Vorstand - d . Verf.) begangen werden, zu welcher Photographien der Fabrik und der Angehörigen gesammelt und in 4 Alben auf einem Postament überreicht wurden? .. . Her r Prof. Duis15 DERS. , Werkarchiv und Bibliothek , in: Archiv und Wirtschaft 1 1 (1977) S. 111.
16 Richar d EHRENBERG , Di e Unternehmungen de r Brüder Siemens, 1. Bd., Jena 1906 , S. III.
17 VA N EYLL (wi e Anm . 2 ) S . 35 .
18 Richar d EHRENBERG , Pla n zu r Errichtun g eine s Institut s fü r exakt e Wirtschaftsforschung , in :
Thünen-Archiv, 2. Bd., Jena 1909 , S. 173; vgl . a. K. BUSSE , Das Siemens-Archiv i n München, in: Der
Archivar 1 3 (1960) Sp.318ff .
19 Kar l BURHENNE , Betriebs-Archive , in: Thünen-Archiv, 2. Bd., Jena 1909 , S. 695-717.
296
Horst A. Wessel
berg schlägt vor, die Geschichte der Firma nunmehr zusammenzustellen. Ein solches
Werk wäre für di e Firma nicht nu r nötig , sondern auc h nützlich, dabei würde zu gleich ei n Archiv entstehen... « Dies e Geschicht e umfaßt e schließlic h 70 3 Seiten.
Alle Quellen, die dafür zusammengetrage n wurden , bilde n nebe n de n erwähnte n
Fotoalben die »Keimzelle« des Bayer-Archivs20.
Neben diesen Unternehmensarchiven entstande n bis zum Ersten Weltkrieg zwei
weitere Grundtype n vo n Wirtschaftsarchiven : di e sogenannten Hochschularchiv e
und die regionalen Wirtschaftsarchive .
3. Hochschularchive
Die Hochschularchive, von denen heute das Weltwirtschaftsarchiv i n Hamburg und
das Archi v de s Institut s fü r Weltwirtschaf t i n Kiel , da s Schmalenbach-Archi v i n
Köln sowie seit einigen Jahren erneut das Thünen-Archiv in Rostock von Bedeutung
sind, verdanken ihr e Entstehung de m Forschungsinteresse eine s einzelnen Wissenschaftlers ode r einer Interessengruppe 21. Diese Archive besaßen und besitzen nur in
Ausnahmefällen originäre s Quellenmaterial; ihre Sammlungen bestehen, abgesehen
von einige n Nachlässen, vornehmlich au s bereits veröffentlichten Unterlagen , z.B.
Bilanzen, Geschäftsberichten , Fest - un d Denkschriften , Prospekte n un d sonstige n
Druckschriften sowi e Zeitungsausschnitten . Dies e Sammlunge n diente n fas t aus schließlich Lehr- und Studienzwecken - mi t Vorrang der Wissenschaftler »vo r Ort«22.
4. Die ersten regionalen Wirtschaftsarchive (~ 1906)
Die ersten regionalen Wirtschaftsarchive entstande n 1906 . Den entscheidenden Anstoß daz u ha t di e Industrie - un d Handelskamme r Düsseldor f gegeben . I n ihre m
Rundschreiben a n sämtliche Handelskammern der Provinzen Rheinland und Westfalen vo m Jahre 190 4 hieß es: »Die spärlich fließenden Quelle n de r Wirtschaftsge schichte werden nicht so gefaßt, daß sie dauernd Wissenschaft und Praxis befruchten
können, sonder n di e einzelne n Dokument e werde n achtlo s behandelt , un d viele s
geht ganz unter, was nicht wieder ersetzt werden kann, weil sich bisher kaum jemand
die Mühe gegeben hat, solche Dinge zu sammeln, geordnet aufzubewahren un d fü r
eine Bearbeitung bereit zu halten«23.
, Di e Düsseldorfer dachte n a n eine dezentrale Archivierun g von Quelle n be i den
einzelnen Kammern und an einen zentralen Quellennachweis. Die Kölner Industrieund Handelskammer plädierte für den Aufbau eines zentralen Wirtschaftsarchivs fü r
beide Provinzen, da ihrer Meinung nach nur die »Conzentration der Akten, Schrift stücke und Drucksachen a n einer Stelle allein die Möglichkeit biete zu einer gründli20 Vgl . Peter GÖB, Das Bayer-Archiv - Entstehung, Entwicklung, Organisation, in: Archiv und Wirtschaft 7 (1973) S. 83-87, Zitat: S. 83f .
21 VA N EYLL (wie Anm . 2) .
22 Fü r da s Archiv des HWWA vgl. ebd., S. 43ff; s.a. Archiv- und Dokumentationsführe r Hamburg ,
Hamburg 1990 , S. 2; für da s Thünen-Archiv, VAN EYLL (wie Anm. 2) S. 33 ff; ferner Lut z WERNER ,
Aspekte der Thünenrezeption in Deutschland, in: Hohenheimer Themen. Zeitschrift für kulturwissenschaftliche Themen 2 (1993).
23 Ebd. , Anhang Nr. 1, S. 178-180 , Zitat S. 178.
Deutsche Wirtschaftsarchive: Bestände, Forschungen, Entwicklungen 2 9
7
chen Durchforschung un d wissenschaftlichen Bearbeitung« 24. Die Kölner Vorstellun gen fanden fast uneingeschränkte Zustimmung - nich t zuletzt deshalb, weil die Kölner
Kammer den weitaus größten Teil der Kosten für Errichtun g und Betrie b des Archivs
übernahm; und daran hat sich im Grunde genommen bis heute wenig geändert 25.
Während all e westfälischen un d fas t all e rheinischen Industrie - und Handelskam mern sic h a m Rheinisch-Westfälische n Wirtschaftsarchi v beteiligten , errichtet e di e
Kammer Düsseldor f ei n eigenes Archiv, und di e Kammer Saarbrücke n gründet e ei n
regionales Wirtschaftsarchiv fü r di e Saarregion. Beide haben keine große Bedeutun g
erlangt. Das »Saararchiv«, das, abgesehen von wenigen Quellen aus Wirtschaftsunter nehmen, di e al s Deposit a übernomme n worde n waren , nu r übe r gedruckt e Mate rialien verfügte, is t im Zweiten Weltkrieg vernichtet worden. Ein ähnliches Schicksa l
erlitt da s Archi v fü r Wirtschaftsgeschicht e Leipzig , da s gleichfall s 190 6 entstande n
ist. Diese s is t allerding s damal s meh r de m Name n al s seine r Organisation , Zielset zung und Arbeit nach ein regionales Wirtschaftsarchiv gewesen 26. Bei seiner Wieder begründung i m Jahre 199 3 wurd e nich t nu r a n di e alt e Traditio n angeknüpft , son dern zugleic h auc h di e Voraussetzun g fü r ei n leistungsfähige s regionale s Wirt schaftsarchiv geschaffen 27. Di e kleine, im wesentlichen aus Einzelstücken bestehend e
Sammlung der Düsseldorfer Industrie - und Handelskamme r is t vor wenigen Jahren
von dem Kölner Archiv übernommen worden .
Festzuhalten gilt , da ß di e regionale n Wirtschaftsarchiv e au f Initiativ e de r Wirt schaft entstande n sin d un d da ß nebe n de m eigene n Interess e a n eine r dauerhafte n
Bewahrung historisch wichtiger Unterlagen auc h die Belange der wissenschaftliche n
Forschung berücksichtig t wurden . Si e sin d eigenständige , verselbständigt e Institu tionen de r Wirtschaft , un d si e stehen i n deren Selbstverwaltung . Ihr e Bedeutun g al s
Auffanginstitution fü r Bestände , di e vo n de r Vernichtun g bedroh t sind , vo r alle m
weil die Träger, die Unternehmen, nich t meh r existieren , kann ga r nicht überschätz t
werden28. Sie bieten nicht nur eine Fülle von Quellen zur regionalen Unternehmens geschichte, sonder n mi t ihre n Schriftreihe n i n Wirtschaft un d Wissenschaf t angese hene Publikationsmöglichkeiten 29. Sei t einige n Jahrzehnten widme n sic h di e regio nalen Wirtschaftsarchive , dami t de m Beispie l de s Westfälische n Wirtschaftsarchiv s
folgend, eine r weiteren Aufgabe, nämlich der Gründung neue r und de r Pflege beste hender Unternehmensarchiv e - dabe i schenk t da s Westfälisch e Wirtschaftsarchi v
den lang e z u Unrech t vernachlässigte n historische n Sammlunge n de r Handwerks betriebe und ihrer Kammern besonder e Aufmerksamkeit .
24 VA N EYLL (wie Anm . 2 ) S . 170 .
25 Vgl . dazu Klara VAN EYLL, Die Entstehungsgeschichte der frühen Wirtschaftsarchive, in : Archiv und
Wirtschaft 3 (1969 ) S . 51-63 ; DIES. , Da s Rheinisch-Westfälisch e Wirtschaftsarchi v i n Köln . An merkungen zu r Konzeptio n eine s regionale n Wirtschaftsarchiv s heut e un d morgen , in : ebd . 7
(1973) S. 21-26.
26 Ebd. , S. 74, 87 ff, 106ff ; P. H. MERTES , Organisation und Funktion der Archivgutpflege i n der Wirtschaft, in: Tradition 5 (1960), Heft 4/5 , S. 189f., 197ff .
27 Di e Jahrestagun g 199 4 de r Vereinigun g deutsche r Wirtschaftsarchivar e fan d i n Leipzi g statt , vgl .
Anm. 43.
28 Wi r werden darauf im Zusammenhang mit dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv un d den Branchenarchiven zurückkommen .
29 Vgl . z.B . di e Referate de s wissenschaftlichen Symposium s au s Anlaß de s 75jährige n Bestehen s de s
Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv s a m 28 . un d 29 . Janua r 198 2 i n Köln ; veröffentlicht :
298
Horst A. Wessel
5. Impuls für die Unternehmensarchive (1930er Jahre)
In di e Zeit de r nationalsozialistischen Herrschaf t fie l di e für da s Archivwesen de r
Wirtschaft fruchtbar e dritt e Phase. Auslöser waren diesmal nicht Vorstellungen und
Wünsche der Wirtschaft, sonder n Klagen der Wissenschaft sowi e politische Vorhaben. Schon Ende der 1920er Jahre waren Sicherung und Pflege des Archivgutes industrieller Unternehmungen seitens der Wissenschaft wiederholt als unzureichend kritisiert worden. Deshalb führte i m Jahre 193 5 Professor Dr . Albert Brackmann, der
Generaldirektor de r Preußischen Staatsarchive, im Zusammenhang mit den Bestrebungen zur Schaffung eine s allgemeinen Archivgutschutzgesetzes erste Besprechungen mit führenden Männer n de r Wirtschaft. E r wollte dabei in Erfahrung bringen ,
welche Schutzbestimmungen die Wirtschaft fü r erforderlich erachtete . Insbesondere
Ernst Poensgen, Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke AG, des größten Montankonzerns in Europa, zugleich auch Leiter der Industrieabteilung der Wirtschaftskammer Düsseldor f sowi e der Wirtschaftsgrupp e Nordwes t de r Eisenschaffende n
Industrie, bemühte sich als Sprecher des noch bestehenden Zweckverbande s nord westdeutscher Wirtschaftsvertretunge n u m ein e sachgemäße Berücksichtigun g de r
Unternehmensinteressen.
Um der akut drohenden Gefahr , da ß die Aktenbestände de r privaten Wirtschaf t
per Reichsgesetz zwangsweise in Staatseigentum überführt würden, wirkungsvoll zu
begegnen, beschlosse n di e Vertrete r de r rheinisch-westfälische n Montanindustri e
unter Führung von Ernst Poensgen im Jahre 1936, da s Problem selbst in zweckmäßiger Weise z u lösen . I n weitere n Gespräche n mi t de n Leiter n de r Staatsarchiv e i n
Düsseldorf und Münster wurden die Grundsätze für die Archivierung in Unternehmensarchiven aufgestellt . Hauptzie l wa r es , zumindest be i jedem größere n Unter nehmen sowie bei den Werksgruppen der Vereinigte Stahlwerke AG die bereits vorhandenen Sammlunge n historisc h wichtige r Unterlage n durc h »technisch , volks wirtschaftlich un d archivarisch« ausgebildete Archivleiter betreuen zu lassen. Diese
sollten eine in der Unternehmenshierarchie herausgehobene Stellung erhalten30.
Im Frühjahr wurd e eine Archivkommission gebildet , der Vertreter der rheinischwestfälischen Montanindustrie - Verein Deutscher Eisenhüttenleute, Bergbauverein,
Röhren-Verband, Rheinisch-Westfälisches Kohlensyndikat , Gutehoffnungshütte ,
Krupp, Klöckner, Mannesmann, Vereinigte Stahlwerke - un d die Leiter der beiden
genannten Staatsarchiv e angehörten . Be i de r erste n Sitzun g sprac h Dr . Bernhar d
Vollmer, der Direktor de s Düsseldorfer Staatsarchivs , über die Aufgaben un d Ziele
der »Werksarchive«, wie man damals die Unternehmensarchive fälschlicherweise bezeichnete. Der bei dieser Gelegenheit beschlossene Arbeitsausschuß warb für die Errichtung von Unternehmensarchiven und arbeitete in Zusammenarbeit mit der staatlichen Archivverwaltung Richtlinien für die Einrichtung und den Betrieb von Archiven in Unternehmen sowie für die Kassation von Akten der Wirtschaft aus.
Wirtschaftsarchive un d Kammer n - Aspekt e wirtschaftlicher Selbstverwaltun g gester n und heute
(Schriften zur Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsgeschichte, 34), Köln 1982.
30 Vgl . Lutz HATZFELD, Die archivische Überlieferung der Vereinigte Stahlwerke AG. Zur Archivgeschichte eine r entflochtene n Unternehmung , in : Der Archiva r 3 6 (1983) S . 383-39 4 (Zitat) ;
Klara VAN EYLL, 25 Jahre VdW: Bilanz - Standor t - Perspektiven , in: Archiv und Wirtschaft 1 6
(1983) S.85-96.
Deutsche Wirtschaftsarchive: Bestände , Forschungen, Entwicklungen 2 9
9
1938 nahm bei den Vereinigten Stahlwerken eine Archivberatungsstelle unter der
Leitung von Dr. rer. pol. Hedwig Behrens, erster Vorsitzender der 195 7 gegründeten Vereinigung deutscher Werksarchivare, ihre Arbeit auf. Be i allen Gründer- un d
Beteiligungsgesellschaften de r Vereinigt e Stahlwerk e A G sowi e be i Mannesmann ,
GHH und Hoesch entstanden fachlich betreute Archive. Diesem Umstand ist es zu
verdanken, daß die Archive dieser Unternehmen den Krieg mit seinen insbesondere
für da s Ruhrrevier verheerende n Zerstörunge n ohn e größere Verluste überstande n
haben - di e größte n Schäde n sin d de n Bestände n ers t nac h de m Krieg e zugefüg t
worden, als die Unternehmen unter Verwaltung der alliierten Militärregierung bzw.
unter Treuhandverwaltung gestanden haben. Im Gegensatz dazu sind im RheinischWestfälischen Wirtschaftsarchi v umfangreich e Beständ e durch Kriegseinwirkunge n
vernichtet worden 31, die der Forschung und auch den z.T. noch bestehenden Unternehmen heute fehlen.
Leider konnte ei n Vorschlag - mi t weitreichenden Folge n bis heute - wege n der
Kriegsereignisse nicht realisiert werden. Die Generaldirektion der Staatlichen Preußischen Archive hatte nämlich die Errichtung regionaler Wirtschaftsarchive be i allen
18 Bezirks-Wirtschaftskammern vorgeschlagen . Damit wäre die bis heute vermißte
flächendeckende Versorgung mit Archiven der Wirtschaft, die sich aufgabenteilig ergänzen, geschaffen worden . Gegründet wurde damals auf Initiative der Dortmunder
Kammer das Westfälische Wirtschaftsarchiv. Ein e regelmäßige Tätigkeit konnte das
neue regionale Wirtschaftsarchiv ers t nach 1945 aufnehmen 32.
6. Die Stunde der Wirtschaftsarchive (nach 1945)
Die Zeit von der Kapitulatio n übe r Entflechtung , Demontag e un d Enteignun g bi s
zur Entlassung aus der Treuhandverwaltung war die Stunde der Wirtschaftsarchive .
Neben den vorhandenen wurden zahlreiche neue Unternehmensarchive gegründet .
Sie sicherten di e Unterlagen zu r Wahrun g von Besitzansprüchen , zu r Anmeldun g
von Schadens- und Enteignungsnachweisen, zur Klärung ehemaliger Besitzverhält nisse un d zu r befohlene n Dokumentatio n de r demontierte n Anlagen . Auc h Wer bung und Öffentlichkeitsarbeit nutzte n die historischen Bestände, um mit Hinweis
auf ehemals angesehene Produkte und die große Tradition des Unternehmens dessen
Stellung am Markt zu verbessern. Dazu zählten dann auch im wachsenden Umfan g
die anläßlich von Unternehmens]ubiläen erscheinende n »Festschriften« , di e jedoch
meist nur ei n sehr eingeschränktes Bil d der Entwicklung des jeweiligen Unterneh mens boten - unte r Ausblendung aller Schwierigkeiten un d vor allem Rückschläg e
wurde von Erfolg zu Erfolg geschritten.
Im neugebildeten Bundesland Nordrhein-Westfalen bestande n nun zwei regionale Wirtschaftsarchive, i n Köln und Dortmund. Das sollte sich als vorteilhaft erwei sen, denn infolge der starken Strukturveränderungen dieser Region - zunächs t in der
Textilindustrie, dan n auc h i m Steinkohlenbergba u sowi e i n de r Eisen - un d Stahl industrie - wurde n viele Bestände herrenlos und drohten, für immer verloren zu ge31 Vgl . VAN EYLL (wie Anm. 2) (Bestandsübersicht 1907-1939 ) S. 190-194.
32 Ottfrie d DASCHER , 1 0 Jahre Stiftung Westfälische s Wirtschaftsarchi v i n Dortmund, in : Technische
Kulturdenkmale (1979 ) S. 30-36.
300
Horst A. Wessel
hen; andererseits mußte n di e ne u entstehende n Unternehmensarchiv e i n der Auf bauphase betreut werden 33. Da die übrigen Regionen damals noch nicht über regionale Wirtschaftsarchive al s Auffangstellen verfügte n un d di e öffentliche n Archiv e
nur i n Ausnahmefälle n Archivgu t de r Wirtschaf t übernahmen , ginge n kau m vor stellbar viele Bestände für immer verloren und stehen der Forschung nicht mehr zur
Verfügung.
7. Neue regionale Wirtschaftsarchive (80er Jahre)
Die in den 1930e r Jahren eingeleitet e und nac h 194 5 fortgesetzte Entwicklun g gewann mit der Gründung der Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare (1957 ) und
der Gesellschaft fü r Unternehmensgeschichte a n Fahrt. Die Zahl der Wirtschaftsar chive überhaupt und insbesondere der Archive, die der Forschung zugänglich sind,
nahm imme r meh r zu . Ein e i n Anbetrach t de r lange n Stagnatio n erfreulich e Ent wicklung verzeichnete n di e regionale n Wirtschaftsarchive . Obwoh l de r Deutsch e
Industrie- und Handelsta g bereits 195 3 - vo r dem Hintergrund eine r erneuten Initiative, die Archivierung des Archivgutes der Wirtschaft i n staatliche Hand z u nehmen - versproche n hatte, die Tätigkeit der Archive bei den Industrie- und Handelskammern zu aktivieren und die Errichtung weiterer regionaler Wirtschaftsarchive z u
fördern, war es zunächst bei der guten Absicht geblieben.
Es dauerte bis 1980, ehe mit dem Baden-Württembergischen Archi v in StuttgartHohenheim da s dritte regionale Wirtschaftsarchiv i n der Bundesrepublik Deutsch land entstand - nac h dem Vorbild des Westfälischen Wirtschaftsarchivs 34. Angesichts
der binnen weniger Jahre gefüllten Regale, scheint die im wesentlichen von der Wirtschaft getragen e Gründun g gerad e rechtzeiti g erfolg t z u sein . Beding t durc h de n
Strukturwandel i n Baden-Württemberg braucht e die von einem der wissenschaftli chen Festredner geäußert e un d vo m Verfasser, damal s Geschäftsführe r de r Gesell schaft fü r Unternehmensgeschichte , al s falsch un d schädlic h zurückgewiesen e Ab sicht, nu n i n di e Unternehme n z u gehe n un d di e Archiv e herauszuholen , gottlo b
nicht realisiert zu werden.
1986 folgt e dan n da s IHK-Wirtschaftsarchi v fü r Münche n un d Oberbayer n nach dem Kölner Vorbild -, da s vor wenigen Jahren zum bayerischen Wirtschafts archiv erweitert wurde35.1991/92 konnten endlich die langjährigen Pläne zur Errichtung eine s regionalen Wirtschaftsarchiv s fü r de n Rhein-Main-Rau m i n Wiesbaden
und - al s Außenstelle - fü r Nordhesse n in Kassel verwirklicht werden 36. Die Gründung eine r entsprechende n Einrichtun g fü r Schleswig-Holstei n zieh t sic h bereit s
33 DERS. , Das Westfälische Wirtschaftsarchiv un d seine Bestände, London, New York, Paris 1990.
34 Ger t KOLLMER , Stiftun g Baden-Württembergische s Wirtschaftsarchiv . Gründun g - Rechtsfor m Perspektiven, in : Archiv un d Wirtschaf t 1 3 (1980), Hef t 4 , S . 114-117 ; Jutta HANITSCH , Zwische n
Wissenschaft un d Quellensicherung . Da s Wirtschaftsarchi v Baden-Württember g zieh t Bilanz , in :
Der Archivar 37 (1984), Heft 4, S. 488-492.
35 Angel a KALTENBRUNNER , Da s Münchene r Handelskammerarchiv , in : Archi v un d Wirtschaf t 9
(1976) Hef t 2/3 , S. 97-100; DIES., Ein e Zukunft fü r die Vergangenheit: Bei der IHK Münche n ent steht Bayerns erstes Regionalarchiv, in: Archiv und Wirtschaft (1986 ) S. 154 f.
36 Vgl . Symposium für Dr. Carl Anton Reichling am 18. März 198 5 im Kultusministerium Rheinland Pfalz zu Mainz, in: Archiv und Wirtschaft 1 8 (1985) S. 68f .
Deutsche Wirtschaftsarchive: Bestände, Forschungen, Entwicklungen 30
1
über mehr als ein Jahrzehnt hin. Zwar ist man sich über die Leiterin einig, nicht aber
über de n Standor t un d di e Finanzierung 37. Niedersachsen , Rheinland-Pfalz , da s
Saarland und Berli n sowie die Stadtstaaten Breme n und Hambur g - habe n aus der
nicht nur von der Forschung gemachten Erkenntnis, daß ein regionales Wirtschafts archiv seit langem schmerzlich vermißt wird, bisher keine Konsequenzen gezogen 38.
8. Die Wirtschaftsarchive in den neuen Bundesländern
In de n neuen Bundesländern wa r e s um das Archivwesen de r Wirtschaft zunächs t
ganz schlecht bestellt. Zwar hatte es in der DDR ein dichtes Netz von Archiven gegeben39, in das auf der untersten Ebene auch die gewerblichen Betriebe eingebunden
waren. Aber diese waren angewiesen, ihre - nach der herrschenden Ideologie - histo risch wichtigen Unterlagen an die übergeordneten Staatsarchive abzugeben. Abgegeben wurde in der Tat, jedoch in vielen Fällen nicht das Material aus den Jahren von
vor 194 5 und oftmals auc h von den Unterlagen aus der laufenden Archivierun g nur
die von zweitrangiger Bedeutung. Die zurückbehaltenen Bestände verblieben in der
Obhut de r parteiabhängige n Traditionskabinette 40. Dies e wurden nac h de m End e
des zweite n deutsche n Staate s aufgelöst , un d di e Angebot e wertvolle r Stücke , die
unter de r Hand , au f Trödelmärkte n un d i n Antiquariaten angebote n werden , ver raten einiges über den Verbleib.
Allerdings verbliebe n i n de n meiste n Betrieben , vo r alle m i n dene n mi t eine r
großen Tradition , umfangreiche Bestände . Von Ausnahmen abgesehe n wa r jedoc h
eine fachliche Betreuung nicht gewährleistet, weil die Betriebe im Bemühen, den aufgeblähten Personalstand z u reduzieren, vor allem ihre Archivare und Bibliothekar e
entließen. Selbst in den Fällen, in denen ausschließlich ABM-Kräfte mi t der Archivarbeit beauftrag t wurden , legte man zu wenig Wert auf Qualifikation . Frühe r wa r
nach nun nicht mehr gültigen allgemeinen Kassationsrichtlinien gearbeite t worden ,
für selbständige s Arbeite n fehlt e jed e Erfahrung, desgleiche n mangelt e e s den ne u
hereingeholten Archivkräften a n einem für die Bewertung ausreichenden Überblick
über die Geschichte der Betriebe sowie der Rechtsvorgänger.
Wie wir aus leidvoller Erfahrung wissen, wurden nicht selten im »vorauseilenden
Gehorsam« Bestände vernichtet, um den neuen Investoren ein Werk ohne »historischen Ballast« übergeben zu können. Unsere Interventionen haben zwar manchmal
die Vernichtun g durch Feuer oder Reißwolf verhindern können, aber nur auf Kosten
der Zersplitterung und Aufteilung der Bestände oder einer Übergabe an die Staatsar37 Ulrik e ALBRECHT , Ei n regionale s Wirtschaftsarchi v fü r Schleswig-Holstein . Stan d de r Planunge n
und Perspektiven, in: Archi v und Wirtschaft 23 (1990) Heft 1 , S. 12-14; ebd. 25 (1992) Heft 4, S. 164.
38 Vgl . Archiv und Wirtschaft 1 8 (1985) Heft 2, S. 68f .
39 Véronique TÖPEL, Aufgabe n un d Ausbildun g de r Wirtschaftsarchivar e i n de r DD R - Staatlich e
Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Wirtschaftsarchive i n der DDR, in : Archiv und Wirtschaft 2 5 (1992 ) Heft 4 , S. 149-153 ; Petra LISTEWNIK , Di e archivisch e Situatio n i n den neuen Bun desländern der Bundesrepublik Deutschlan d - au s der Sicht der Wirtschaftsarchive, in : Archiv un d
Wirtschaft 26 (1993) Heft 2, S. 59ff.
40 Kur t METSCHIES , Archivgut von Industrieunternehmen, Banke n und Versicherungen. Erfahrunge n
des Zentrale n Staatsarchiv s Potsdam , jetzt : Bundesarchiv/Abteilunge n Potsdam , in : Archi v un d
Wirtschaft 26 (1993) Heft 2 , S. 47-59.
302
Horst A. Wessel
chive. Letztere übernahmen meis t nur zu bereitwillig, verfügten jedoc h weder über
sachgerechte Unterbringungsmöglichkeite n noc h is t da s Persona l vorhanden , u m
das Materia l i n angemessene r Fris t z u bearbeite n un d fü r ein e Nutzun g z u er schließen.
In Gesprächen mit der Treuhand, an denen auch Geschäftsführung un d Präsidium
der Treuhand beteilig t waren, hat die Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare 41
erreicht, daß jede Vernichtung von Archivunterlagen verboten wurde und 199 1 für
die nicht mehr betreuten Bestände in allen fünf neue n Bundesländern und in Berlin
sogenannte Treuhand-Depot s eingerichte t wurden . Gleichzeiti g entstan d ein e Ar chivdatenbank, mit deren Hilfe in jedem der sechs Depots die Akten erfaßt werden;
durch die Vernetzung ist eine Recherche über alle Akten sämtliche r Depots - nac h
der Zusammenfassung de r Depots Berlin und Brandenburg sind es fünf - möglich .
Schon heute können insbesondere alle Personal- und Rentenfragen de r stillgelegten
Betriebe - sowei t sie der Treuhand unterstehen - geklär t werden42.
In Leipzig ist im April 199 3 unter der Trägerschaft de r Industrie- und Handels kammer - sowi e unter der tatkräftigen Mitwirkun g der »Patenkammer« in Köln, ein
regionales Wirtschaftsarchiv gegründe t worden. Es knüpft nich t nur an die alte Tradition, die bis in die Zeit der ersten regionalen Wirtschaftsarchive zurückreicht , an,
sondern geht, wie die VdW-Mitglieder anläßlich ihrer Jahrestagung 199 4 in Leipzig
feststellen konnten, weit darüber hinaus43.
Auch Unternehmensarchive gibt es nach wie vor in den neuen Bundesländern. Einige haben di e schwierige Übergangszei t überstanden , ander e sin d ne u gegründe t
worden. Allerdings kann von einer Konsolidierung noch nicht gesprochen werden,
denn zu m eine n is t die Privatisierung noc h nich t abgeschlosse n un d zu m andere n
werden die meisten Unternehmen noch Jahre brauchen, bis sie sich ohne Unterstützung auf dem Weltmarkt zu behaupten vermögen.
9. Die übrigen Wirtschaftsarchive
Neben den regionalen Wirtschaftsarchiven un d den Unternehmens- bzw. Konzernoder Werks-Archiven gibt es in Deutschland noch weitere Arten von Wirtschaftsar chiven. Beim Branchenarchiv handelt es sich um eine Einrichtung, die über den Bereich einer Wirtschaftseinheit un d einer Region hinaus wirtschaftshistorische Unter lagen übernimmt, aufbereite t un d zu r Auswertun g berei t hält . Das größt e Archi v
dieser Art ist das Bergbau-Archiv beim Deutschen Bergbau-Museum i n Bochum 44.
41 Nachde m de r Vorsitzende anläßlic h einer öffentlichen Vortragsveranstaltun g i n Köln die Präsidentin der Treuhand auf die unhaltbaren Zustände aufmerksam gemacht hatte, wurden er und die Leiterin des Krupp-Archivs nach Berlin gebeten, um die Vorstellungen der VdW darzulegen.
42 Evely n KROKER , Renate SCHWÄRZEL, Archive der Wirtschaft. Zur aktuellen Situation des Wirtschaftsarchivwesens in der Bundesrepublik Deutschland, 1993 .
43 LISTEWNI K (wie Anm. 39) S. 59-63; Sächsisches Wirtschaftsarchiv e.V . - ei n junges Archiv stellt sich
vor, in: ebd., S . 7 8 f.; Petr a LISTEWNIK , Da s Archi v zu r Wirtschaftsgeschichte Leipzig s - Traditio n
und Auftrag, in: Archiv und Wirtschaft 26 (1993) S. 104 ff.
44 Evely n KROKER , Da s Bergbau-Archi v Bochu m (Veröffentlichunge n au s dem Deutsche n Bergbau Museum Bochum, 51 = Schriften des Bergbau-Archivs, 5) Bochum 199 2 (inzwischen liegt eine Neuauflage vor).
Deutsche Wirtschaftsarchive: Bestände, Forschungen, Entwicklungen 30
3
Es entstan d 196 9 im Zusammenhan g mi t de r Neuordnun g de s Ruhrkohleberg baus und der Schließung zahlreicher Schachtanlagen. Allerdings beschränkt sich die
Tätigkeit nich t au f di e Archivierun g de s Ruhrkohlebergbaus , auc h Beständ e de r
übrigen Reviere sowie des Erzbergbaus befinden sich in Bochum. Hier wurde rechtzeitig und i n vorbildlicher Weis e für di e Sicherung der archivwürdigen Unterlage n
gesorgt. Das historisch e Archi v des Börsenvereins de s Deutschen Buchhandel s is t
1953 in Frankfurt a. M. gegründet worden. Es dient der Sammlung von Quellen der
deutschen Verlags- und Buchhandelsgeschichte bis zurück ins 16. Jahrhundert 45. Ein
drittes Branchenarchiv besteht seit 1989 i n Hohenberg/Eger beim Museum der deutschen Porzellanindustrie für di e schriftliche Überlieferun g de r Unternehmen dieses
Industriezweigs46. Eine vierte und fünfte Grupp e von Wirtschaftsarchiven präsen tieren die Kammerarchive, also die Archive der Industrie - und Handelskammern ,
sowie die Archive der Wirtschaftsverbände 47.
Die Bedeutung der Wirtschaftsarchive fü r die Forschung
Wirtschaftsarchive sin d private Einrichtungen ihrer Träger, und sie dienen vorrangig
den Zwecken der Träger - dari n ist ihre Existenzberechtigung hauptsächlich begründet. Ein Wirtschaftsarchiv, vor allem ein Unternehmensarchiv, das die Prioritäten anders setzt , gerä t i n Gefahr , geschlosse n z u werden 48. Viele Wirtschaftsarchive sin d
darüber hinaus der wissenschaftlichen Forschun g zugänglich. Wegen ihrer eingangs
genannten allumfassenden Bedeutun g ist die Forschung auf diese Unterlagen angewiesen, und bezeichnenderweise ist es ja nach der Jahrhundertwende und erneut in
den 1920e r Jahren die Wissenschaft gewesen , die durch ihre Klagen über die unzureichende Sicherung und Zugänglichkeit de r Quellen der unternehmerischen Wirt schaft die Gründung von Wirtschaftsarchiven veranlaß t hat. Unternehmensgeschichte
betreiben heute viele - wei t über den Kreis der Mitglieder und Förderer der Gesellschaft fü r Unternehmensgeschicht e hinaus ; sie alle sind au f di e Wirtschaftsarchiv e
angewiesen.
Im Unternehmensarchiv kan n der Forscher auf Primärquellen am Ort ihrer Entstehung zurückgreifen. Die vermehrte Gründung von Unternehmensarchiven kommt
also einem natürlichen Anliege n der Forschung nach , immer meh r Primärquelle n
zu erschließen , u m dami t da s Net z wissenschaftliche r Erkenntnisfelde r enge r z u
knüpfen. Dem Wissenschaftler wir d die Möglichkeit eröffnet, aufgrun d vielfach zu45 Ger d SCHULZ, Archive des Buchhandels, in: Archiv und Wirtschaft 1 8 (1985) Heft 1 , S. 17-19 ; Hermann STAUB, Die »Verleger-Zentralkartei« der Buchhändler-Vereinigung im historischen Archiv des
Börsenvereins, in: ebd., 23 (1990 ) Heft 1 , S. 15f .
46 Da s Museum der deutschen Porzellanindustrie, in: Archiv und Wirtschaft (1986 ) Heft 2 , S. 48-52;
Wolfgang SCHILLING , Das Zentrale Archiv für di e Deutsche Porzellanindustrie - ei n neues Branchenarchiv entsteht, in: Archiv und Wirtschaft 2 6 (1993) S. 112 ff. 199 3 hat das Porzellanarchiv den
ersten Band mit der Geschichte der Fa. Havilan d veröffentlicht .
47 Z.B . ebd. 18 (1984) Heft 2 , S . 81; 1 9 (1985 ) Heft 3 , S . 120f. ; 17 (1983) Heft 1 , S . 34.
48 Vgl . Horst A . WESSEL , Da s Archivwese n de r Wirtschaf t un d unternehmensgeschichtlich e For schung in Deutschland. Ergebni s und Ausblick, in: De bedrijven en hun geheugen . Verslag van
de studieda g rond bedrijfsgeschiedenis, Antwerpen , 1 0 december 199 3 (Miscellan a Archivist a
Studia 60), Brüssel 1994.
304
Horst A. Wessel
gänglicher Primärquelle n detailliert e Erkenntniss e übe r sei n Forschungsobjek t z u
erlangen und de n Gra d de s wissenschaftlichen Aussagewerte s seine r Arbeit z u er höhen49.
Das einzelne Unternehmensarchiv gib t dem Forscher die Möglichkeit, Teilaspekte oder unternehmenstypische Entwicklunge n aufzuzeigen . Di e Berücksichtigun g
mehrerer historische r Archiv e von Unternehmen eine s Wirtschaftszweiges erlaub t
es dem Wissenschaftler , branchentypisch e Trend s bzw . Sonderentwicklungen her auszuarbeiten oder anhand der Primärquellen bestehende Vermutungen zu erhärten
bzw. zu widerlegen. Den Erforscher n de r Unternehmensgeschichte, abe r auch der
Wirtschafts- un d Sozialgeschichte ganz allgemein, kommt zugute, daß ihnen in den
Unternehmensarchiven vo n nahez u alle n größere n un d viele n mittleren deutsche n
Unternehmen, vor allem der Industrie, ein ausgezeichnetes, allerdings nicht immer
restlos zugängliches und wohlgeordnetes Quellenmaterial zur Verfügung steht 50.
Wie bereits ausgeführt, dienen die Unternehmens-, die Kammer- und Verbandsarchive sowie mit Einschränkun g auc h di e Branchen- un d regionale n Wirtschaftsar chive i n erste r Lini e de n Zwecke n ihre r Träger . Inwiewei t ode r o b überhaup t ei n
Wirtschaftsarchiv de r Forschun g zugänglic h gemach t wird , da s is t ein e Entschei dung ausschließlich des jeweiligen Trägers - kei n Gesetz verpflichtet ihn dazu. Noch
vor wenigen Jahrzehnten waren nur wenige große Unternehmensarchive - vor allem
die historischen Archive der GGH, von Siemens und zeitweise von Krupp sowie die
beiden regionalen Wirtschaftsarchive de r Forschung zugänglich. Entsprechend ein seitig waren die Ergebnisse. Inzwischen haben nahezu alle größeren und auch viele
mittlere Unternehme n ihr e historische n Archiv e de r Forschun g geöffnet . Da s is t
hauptsächlich das Verdienst der Vereinigung der deutschen Wirtschaftsarchivare un d
- sei t ihrer Gründung - auc h das der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte .
»Ein bisher einmaliges, äußerst wertvolles Hilfsmittel« wurd e der Forschung mit
dem Verzeichnis deutscher Wirtschaftsarchive a n die Hand gegeben 51. Dabei handelt
es sich um ein eigenständiges Fundstellenverzeichnis, das von Wirtschaftsarchivare n
im Auftrage de r Gesellschaft fü r Unternehmensgeschicht e erstell t wird und den of t
versteckten Standor t bestimmte r Quelle n i n deutsche n Wirtschaftsarchive n nach weist. Inzwischen liegen drei Bände vor:
- Nachwei s historische r Quelle n i n Unternehmen, Kammer n un d Verbände n de r
Bundesrepublik Deutschland, 3. Auflage, Stuttgart 1994;
- Nachwei s historischer Quelle n i n Unternehmen un d Verbänden de r Kreditwirt schaft, 2. Auflage, Stuttgart 1988;
- Nachwei s de r Bestände von Unternehmen , Kammer n und Verbände n de r Wirtschaft i n öffentlichen Archive n der Bundesrepublik Deutschland , 1 . Auflage, Stuttgart 1991.
Die vollständige, auch konzeptionell überarbeitet e 3 . Auflage de s ersten Bandes
entspricht de n Forderunge n nich t nu r nac h eine m ständi g aktualisierte n zuverläs 49 Vgl . z.B. Bodo HERZOG , 40 Jahre (1937-1977) Historisches Archiv der Gutehoffnungshütte Aktien verein (GHH-AV) , in : Zeitschrift fü r Unternehmensgeschicht e 2 5 (1980) , S . 28-44; s.a. di e Nach weise in Archiv und Wirtschaft .
50 Vgl . z.B . POH L (wi e Anm . 1)
51 POH L (wi e Anm . 1 ) S . 38 .
.
Deutsche Wirtschaftsarchive: Bestände, Forschungen, Entwicklungen 3 0
5
sigen Fundstellennachweis Unternehmens-, wirtschafts-, sozial- und technikgeschichtlicher Quellen, sondern darüber hinaus auch nach einem allgemeinen Findbuch der
deutschen Wirtschaftsarchive 52: All e 242 Bestandsübersichten biete n mit insgesam t
mehr als 1600 Beständen eine kurzgefaßte Darstellung der Geschichte des jeweiligen
Unternehmens sowi e der ursprünglich selbständige n Bestandsbildner , ferne r ein e
Beschreibung der Bestände mit Laufzeit, Umfang und Findmittel. Trotz einiger Bedenken wegen der noch nicht erreichten Konsolidierun g wurden erstmals auch die
Betriebs-/Unternehmensarchive in den neuen Bundesländern erfaßt und nachgewiesen. Das Verzeichnis hat weltweite Verbreitung gefunden und wird zur Vorbereitung
der Archivtätigkeit intensiv genutzt.
Neben diese m allgemeine n Fundstellennachwei s gib t e s Spezialinventare , aller dings liegen diese nur z.T. im Druck vor. Im Mannesmann-Archiv stehen Spezialinventare zur Verfügung, die z.B. Bestände nachweisen, die Südamerika, die Themenbereiche Wasserstraßen, Häfen un d Schiffbau sowi e Gelsenkirchen und Hamm betreffen. Zumindes t fü r da s Land Nordrhein-Westfalen - bal d auc h für di e gesamte
Bundesrepublik - kan n die Forschung auf ein Verzeichnis historischer Filmbestände
zurückgreifen53. Au s dem Bereich der Wirtschaft sin d es 30 Bestände mit insgesamt
rd. 14000 Filmen54. Zur Zeit finden die audiovisuellen Quellen noch nicht die ihrem
Wert entsprechend e Berücksichtigun g - wa s z.T . auc h a n de n schwierige n Nut zungsmöglichkeiten liegt -, aber die Nachfrage nach diesen Quellen nimmt deutlich
zu, und in diesem Falle sind viele Wirtschaftsarchive darau f vorbereitet .
Das Mannesmann-Archiv, mit 5000 lf. Regalmeter Akten, mehr als einer Million
Fotos und rd. 1000 0 Filmrollen eines der größeren Unternehmensarchive, zählte in
den vergangenen fünf Jahren insgesamt 12 7 Angehörige externer wissenschaftliche r
Einrichtungen al s Benutzer. Die meisten von ihne n kamen von deutschen Univer sitäten. Das Interesse der japanischen Wissenschaftler, die in früheren Jahren zumindest ebenso stark vertreten waren wie die Nordamerikaner, hat nachgelassen 55.
Auffallend is t die Zurückhaltung von Angehörigen französische r Einrichtunge n
- die s insbesonder e unte r Berücksichtigun g de r enge n deutsch-französische n Ver flechtungen auf dem Felde der Wirtschaft. Im Mannesmann-Archiv befindet sich der
Bestand de s »Phoenix«, Aktiengesellschaft fü r Bergba u un d Hüttenbetrieb . Diese r
erste vertikal gegliederte Montankonzern Deutschlands ist maßgeblich mit französischem Kapital gegründet worden. Viele Protokolle und Briefe in französischer Spra che belege n de n Einflu ß auc h französische r Unternehme r au f da s Unternehmen .
Andererseits hatten und haben Mannesmann sowie seine Tochterunternehmen nicht
nur Vertriebsgesellschaften , sonder n auc h Produktionsstätte n i n Frankreich. Ge meinsam mi t französische n Partnern , wi e Sacilo r un d Valloure c is t Mannesman n
52 Vgl . die zahlreichen Besprechungen des Nachweises .
53 Filmschätze n au f de r Spur . Verzeichni s historische r Filmbeständ e i n Nordrhein-Westfale n (Ver öffentlichungen de r staatliche n Archiv e de s Lande s Nordrhein-Westfalen , Reih e C : Quelle n un d
Forschungen, Bd. 33), Düsseldorf 1994 .
54 Hors t A . WESSEL , Di e Oberlieferun g vo n Filmquelle n i n Archive n vo n Unternehmen , Kammer n
und Verbänden der Wirtschaft, in: ebd., S. 143-169.
55 Vgl . daz u auc h HERZO G (wi e Anm . 49 ) insbes . S . 36ff; Dir k APPELBAUM , Di e wissenschaftlich e
Nutzung de s Unternehmensarchiv s Fran z Hanie l & Cie . GmbH , in : Archi v un d Wirtschaf t 2 6
(1993) S. 17 1 ff .
306
Horst A. Wessel
Kooperationen mit zukunftsweisender Bedeutun g eingegangen. Selbst zu Verkehrsfragen, z.B . zur Kanalisierung von Saar und Mosel, gibt es umfangreiches Material ,
das die deutsch-französischen Beziehunge n zum Gegenstand hat.
Die unter Berücksichtigung von Quellen aus dem Mannesmann-Archiv bearbei teten Themen sind vorwiegend dem großen Bereich der Wirtschaftsgeschichte zuzu ordnen. Zur Spitzengruppe zählen auch die Sozial-, die politische und die Technikgeschichte. Das bemerkenswert rege Interesse der Kunsthistoriker ist auf die heraus ragenden Fabrik- un d Verwaltungsbaute n vo n Mannesmann , fü r di e insbesonder e
die Namen Peter Behrens, Ludwig Mies van der Rohe, Walter Gropius und Le Corbusier stehen , gerichtet , da s de r Stadtgeschicht e finde t sein e Erklärung i n de r fas t
einhundert Jahre langen überragenden Bedeutung des Konzerns bzw. der Röhrenindustrie für die Stadt Düsseldorf, das der Verbands- und Rechtshistoriker erklärt sich
aus der besonderen Rolle, die Mannesmann in den wirtschaftlichen Verbände n und
beispielsweise bei der Entwicklung der Mitbestimmung gespielt hat.
Abschließend dar f ma n feststellen, da ß Deutschland übe r ei n gut ausgebaute s un d
leistungsfähiges Wirtschaftsarchivwesen verfügt , das viele Staaten als vorbildlich ansehen56. Wir selbst sind jedoch mit dem Erreichten noch lange nicht zufrieden, den n
unseres Erachtens is t die Zahl der Wirtschaftsarchive - gemesse n a n der Zahl der
Unternehmen insgesamt - noc h zu gering und außerdem besitzt ein großer Teil der
bestehenden Unternehmensarchiv e noc h nich t de n Stellenwert , de r ih m aufgrun d
seiner inner- wie überbetrieblichen Bedeutung zukommt.
Ohne Unternehmensarchive keine unternehmensgeschichtliche Forschung. Ohne
Kenntnis de r Vergangenheit , ohn e Wissen u m da s Gewordene , sein e Grundlagen ,
Quellen, Motiv e un d Widersprüchlichkeite n kan n di e Gegenwar t nich t bewältig t
und aus ihr heraus nicht verantwortungsbewußt in die Zukunft gewirk t werden57.
Wir haben nicht nur die Verpflichtung, für die kommenden Generationen die Ressourcen der Natur zu erhalten und zu pflegen, sondern auch die Schrift-, Bild - und
Tonquellen, damit die, die nach uns kommen, ihr Wissen von der Gegenwart auf die
Kenntnis vo n de r Vergangenheit gründe n können . Di e Archivgutpfleg e de r Wirt schaft wir d und mu ß auch in Zukunft ein e Aufgabe sein , die primär von der Wirtschaft un d de n vo n ih r selbs t gegründete n un d geförderte n Institutione n an - un d
wahrgenommen werden kann und muß. Diese Aufgaben erfülle n erfahrungsgemä ß
regionale Wirtschaftsarchive i m Verbund mit den Unternehmensarchiven am besten
- unterstützt , soweit dies erforderlich ist , von den öffentlichen Archiven . Das Verhältnis zwische n öffentliche n un d Wirtschaftsarchive n wir d nich t vo m Geis t de r
56 Hors t A. WESSEL, Archives in the Economic System in Germany, in: Organization and Managemen t
1900-1930. Proceedings of the Japan-Germany Conference on Business History in Tokyo 1981,
Tokyo 1983 , S. 181-193; DERS., Unternehmensarchive un d Unternehmensgeschichte i n Japan, in:
Archiv und Wirtschaf t 1 4 (1981) H. 3/4, S. 70-73; DERS., Gli archivi d* impresa in Germania (Tagung
Genua am 28729.10.1982) , in: Rassegn a degli Archivi di Stato XLIX, Rom 1984, S. 488-500; DERS.,
Camere d i commerci o e archivi economic i nell a Germani a fédérale, in: Tempo Reale 3 (1990)
S. 23-32; DERS., Business Archives in Germany. Achievement and Outlook, in: Business Archives
51 (1985) S. 1-10.
57 Pete r von SIEMENS , Unternehmensführun g un d Geschichtsbewußtsein, in : Zeitschrift fü r Unternehmensgeschichte 22 (1977) H. 1, S. 3.
Deutsche Wirtschaftsarchive: Bestände, Forschungen, Entwicklungen 30
7
eifersüchtigen Konkurrenz , sondern meh r und meh r vom Geis t der ideellen Kon kurrenz geprägt, der in möglichst vielen Fällen auch zu konkreter Zusammenarbei t
anstiftet58. Un d diese Zusammenarbeit bilde t das tragfähige Fundament an Quellen,
auf dem die Arbeiten von Forschern aus der ganzen Welt erstellt werden können ein Angebot, dem sich die Wissenschaft nich t entziehen kann.
58 Vgl . Der Archivar 41 (1988) H. 1 mit den Referaten des 59. Archivtages in Frankfurt a.M. zum
Thema »Archive und Wirtschaft«.
RAINER HUDEMAN N
WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN I M DEUTSCH-FRANZÖSISCHE N
V E R H Ä L T N I S DE R N A C H K R I E G S P E R I O D E :
S T A N D U N D PERSPEKTIVE N D E R F O R S C H U N G 1
Zwei Tag e voller Bericht e un d Diskussionen , di e ihrerseit s zumeis t Resümee s um fangreicher weitere r Arbeite n darstellte n - si e auf s o enge m Rau m ausgewoge n zu sammenzufassen is t schwerlic h möglich . U m s o weniger , al s di e Gespräch e gerad e
auch die hochgradige Komplexitä t de r deutsche n un d de r französischen Politi k un d
Wirtschaft i n diese n Jahren gezeig t haben , ein e Komplexität , di e knapp zusammen fassende Statement s eigentlic h vo n de r Sach e he r verbietet . S o se i stat t eine s Resü mees zu m Abschlu ß diese r Gespräche , unte r zwangsweise r Inkaufnahm e de r Un vollkommenheit un d der Subjektivität de r Auswahl, in acht Punkten auf einige Leit linien der Diskussion hingewiesen , welche sich, wie mir scheint, durch die Mehrhei t
der Beiträg e hindurchzogen . Da s wappne t allerding s auc h nu r unzureichen d gege n
die unumgängliche Vereinfachung .
Acht Themenkomplexe lasse n sich hier skizzieren. Erstens die Frage nach der longue durée, nach den Langzeitperspektiven. Her r Merkl e hat einleitend darau f hinge wiesen, da ß au s seine r Perspektiv e eine s Verantwortliche n de r deutsche n Industri e
die Jahre 194 5 bis 1960 eher pragmatisch von Historikern gewählt e Zäsuren bezeich nen, als daß sie seiner Erfahrung entsprächen . Die französischen Beteiligunge n in der
Ruhrindustrie, die Sylvie Lefèvre aufzeigte, ergänze n Merkles Erfahrung: 194 5 wurde i n de n deutsch-französische n Wirtschaftsbeziehunge n manche s revitalisiert , wa s
durch da s »III. Reich« unterbroche n ode r i n ander e Bahne n gelenk t worde n war .
Das gil t besonders fü r Firmenkooperationen , di e gelegentlich noc h au f da s 19 . Jahrhundert zurückginge n un d bi s i n di e 1960e r Jahr e aufrechterhalte n wurden , teil s
auch darübe r hinaus . Christop h Buchhei m ha t allerding s darau f hingewiesen , da ß
nicht alle die 60er Jahre auch überdauerten .
Ein zweite s Langzeitthema , da s übe r di e hie r i m Mittelpunk t stehend e Epoch e
hinausreicht - vo r allem Jacques Bariéty hat es betont -, is t die Persistenz von Kohl e
und Stah l als Kernproblem zwische n Deutschlan d un d Frankreich . E s ist eine Persistenz, di e i m Grund e vo m Ausgan g de s 19 . Jahrhunderts zumindes t bi s etw a 195 5
reichte, als Erdöl die Kohle als primärer Energieträger zu überrunden begann . Es wird
noch einmal auf dieses Jahr als mögliche Epochengrenze zurückzukommen sein .
Ein dritte s Them a - da s i n de n Vorträgen interessanterweis e ehe r unterschwelli g
mitspielte, obwoh l e s einen Schwerpunk t de r bisherige n Forschun g bilde t - is t de r
traditionelle machtpolitisch e deutsch-französisch e Gegensat z mi t seine r ökonomi 1 Di e folgenden Überlegunge n wurden zu Ende des Pariser Kolloquiums a d hoc formuliert. Fü r den
Druck wurden sie leicht überarbeitet, der Vortragsstil wurde jedoch beibehalten. Zugrunde liegen die
Tagungsbeiträge in der Form, in der sie in Paris vorgetragen bzw. vorgelegt wurden.
310
Rainer Hudemann
sehen Fundierung , de r imme r wiede r ne u aufbrechend e französisch e Reflex au f
deutsche, vo r alle m wirtschaftlich e Machtpositione n sei t de m 19 . Jahrhundert. Ins besondere Jacques Bariéty hat au f ih n hingewiesen , da s Thema wurd e fü r di e späte ren Epochen weniger detailliert ausdiskutiert .
Viertes Leitlinienthema : da s Verhältni s vo n Politi k un d Wirtschaft . Hie r schein t
sich ein recht erstaunliche r Konsen s z u ergebe n - wi e ein Redner e s formulierte: al s
Wirtschaftshistoriker müßt e e r zwa r au f de m Prima t de r Wirtschaf t insistieren , i m
Grunde hab e sic h hie r abe r de r Prima t de r Politi k bestätigt . A n di e Arbeite n vo n
Raymond Poidevi n übe r di e Zeit vor dem Erste n Weltkrie g knüpft e Bariéty mit de r
These an, die Wirtschaftsprobleme seie n zwischen beiden Ländern i n der Zwischen kriegszeit nie zentral gewesen. Vor allem im Umfeld de r Europapolitik i n der Nach kriegszeit is t eigentlich vo n alle n Seiten - vo n Raymon d Poidevin , Werne r Abels hauser, Wilfrie d Lot h un d andere n - herausgestell t worden , wi e komple x sic h di e
ökonomische Situatio n zwar einerseits darstellte, wie stark sicherlich auch - s o Hen rik Uterwedd e - di e strukturelle n Weichenstellunge n au f ein e europäisch e Lösun g
hinwirkten, wie groß aber andererseits doch die Bedeutung der politischen Entschei dungen blieb - vielfac h ebe n größer als die wirtschaftlichen Zwänge .
Eine fünft e lang e Lini e de r Entwicklun g - si e hat hie r vor alle m Werne r Abels hauser nachgezeichnet , Georges-Henr i Souto u beton t si e gleichfalls häufi g - is t di e
Westorientierung der Bundesrepublik bzw . die Westorientierung Deutschlands , eine
alte Grundorientierung de r deutschen Politik , auch wenn Deutschland si e vor alle m
in den Weltkriegen zeitweis e umlenkte i n eine eher mitteleuropäisch e Richtung . A n
die alte Grundorientierun g knüpft e ma n 194 5 wieder a n und verban d si e auf politi scher Eben e mi t de m klare n Bekenntni s z u Westeuropa . Solch e außenpolitische n
Langzeitperspektiven schluge n sic h konzeptionel l i n vielfältige r Weis e durchau s
spannungsreich nieder . Da s vo n Hann s Jürgen Küster s geschildert e Beispie l Aden auers is t i n unsere m Zusammenhan g besonder s relevant : e r entwickelt e 192 3 sei n
Konzept, durc h ein e Kooperationspoliti k mi t Frankreic h de n Härte n de r französi schen Deutschlandpoliti k nac h Möglichkei t vorzubeuge n un d ein e französisch e
Vorherrschaft z u verhindern; 194 5 knüpfte e r an dieses Konzept a n und versuchte es,
soweit e r i n de n Besatzungsjahre n daz u di e Mach t hatte , auc h umzusetze n - un d
natürlich spielte es in seiner Politik als Kanzler ab 1949 eine Rolle.
Zu de n Frage n de r longue duré e gehört al s ein sechster Punk t di e Frage nac h de r
Industrieverflechtung, di e sich eher in den 60er Jahren zu entfalten schein t - abe r das
ist, wenn ic h recht sehe, kontrovers geblieben . Carlier und Albrech t habe n es anders
akzentuiert, als das andere Redner getan haben. Jedenfalls kame n einige Weichenstellungen gerad e de r 50e r Jahre i n Verbindun g mi t de r EW G - Buchhei m ha t darau f
hingewiesen - ers t in den 60er Jahren zu r Wirkung .
Wo lag - siebten s - de r Wendepunkt i n der longue durée? Es war bemerkenswert ,
wieviele Beiträg e au f da s Jahr 1955/5 6 abgehobe n haben . Gern e feier t ma n de n je weiligen Jahrestag de s Elysée-Vertrages vo n 196 3 oder auc h den Schuman-Pla n vo n
1950 al s di e groß e Wendemark e i n de n deutsch-französische n Beziehungen . Auf grund de r Forschungsergebniss e de r letzte n 1 0 bis 1 5 Jahre sprich t dagege n vie l da für - un d auc h ich sehe dies so -, da ß wesentliche strukturell e un d faktisch e Grund lagen fü r eine n Wande l i m deutsch-französische n Verhältnis , sowoh l au f de r Eben e
der Konzeptione n de r Entscheidungsträge r al s auc h ansatzweis e bereit s i n prakti -
Wirtschaftsbeziehungen im deutsch-französischen Verhältnis der Nachkriegsperiode 31
1
scher Umsetzung vor allem in der Besatzungspolitik, in den Jahren 1944 bis 1946 gelegt wurden. Unter der wirtschaftsgeschichtlichen un d energiepolitischen Perspektive erscheint nu n da s Jahr 1955/5 6 als besonders deutlich e Etappe , wenn nich t ga r
Wende. Abelshauser - unte r einschränkender Betonung der langfristigen außenpoli tischen Linie n - un d Lot h habe n herausgearbeitet , wi e die französisch-amerikani sche Konfliktkonstellatio n be i gleichzeitige r Kooperatio n de r deutsche n un d de r
französischen Regierun g 195 6 kurzfristig eine n wesentlichen Impul s dafür bildete ,
daß die EWG au f de n Weg kam - als o eine Wendemarke durchaus vor den Römischen Verträgen. Auch die Suez-Krise, der Ungarn-Aufstand un d die offizielle Ent schärfung des Saarproblems, das in dieser Zeit bereits mehr atmosphärische als ökonomische Bedeutung hatte, deuten darauf hin , daß in der Mitte der 50er Jahre eine
Zäsur zu sehen ist. Ihre Tragweite sollte weiter diskutiert werden.
Dieser erst e groß e Komple x de r Langzeitperspektive n berühr t bereit s viel e der
Einzelfragen, auf die etwas genauer einzugehen ist.
Ein zweites großes Thema, das sich durch viele Diskussionen und Beiträge gezogen hat, ist die Frage nach den Konzeptionen französischer Entscheidungsträger zu
Kriegsende. Da s überkommene Bild einer Politik, die vor allem auf Demontage der
deutschen Industrie gerichtet war, auf eine Ausschaltung der deutschen Konkurrenz,
auf ein unabhängiges Rheinland: »abaisser la politique allemande pour se prémunir
contre une revanche«, wie es Gérard Bossua t formuliert hat , dieses traditioneller e
Bild ist hier vor allem von Bossuat vertreten worden. Jacques Bariéty und Raymond
Poidevin haben nachdrücklich darauf hingewiesen, daß 1945 eben nicht 1919 war. In
der Forschung der letzten zehn Jahre ist viel Material zum Vorschein gekommen, das
zeigt, daß auf de n Entscheidungsebenen de r französischen Politi k - i m État-major
de l'armée, unter de n hohen Beamten, bis hin zu de Gaulle persönlich - ein e Fülle
von Differenzierunge n i n diesem Jahr 194 5 und teilweis e soga r scho n 1943/4 4 in
Algier zu beobachten ist. Poidevin zeigte, daß z.B. die Zerstörung der deutschen Industrie nicht zu den Zielen der Wirtschaftsfachleute i n Paris gehörte und man auch
einen korrekten Lebensstandard in Deutschland anstrebte. Botschafter Pierre Maillard
hat die Differenziertheit de r de Gaulieschen Positione n i n seinem Buch besonder s
deutlich herausgearbeitet. Für wesentliche Entscheidungsträger lie f die interne Diskussion übe r di e erforderlich e Modernisierun g Frankreich s unte r andere m - hie r
vereinfache ich jetzt wieder stark - darau f hinaus, daß Frankreich eben nicht alleine,
»autark« existieren könne, sondern auf seine europäischen Nachbarn angewiesen sei.
Im einzelne n entwickelte n sic h darau s durchau s unterschiedlich e Konzeptionen .
Vielerseits klar war aber, daß Frankreich sich nicht isolieren konnte, und daraus folgte eine r de r Ansätz e zu r frühe n Ausdifferenzierun g de r Reflexio n übe r di e Wirt schaftspolitik i n Deutschland. Das heißt nicht, daß alle Beschlüsse in dem komplexen Regierungssyste m un d dementsprechen d komplizierte n EntScheidungsproze ß
bereits gefallen wären. Vieles von dem, was in der französischen Besatzungszon e geschah - darübe r wurde hier fast ga r nicht gesproche n - , mußte auch zunächst wieder zurückwirke n au f di e Pariser Ebene ; diese Wechselwirkungen sin d besonder s
schwierig zu untersuchen, auc h wenn hierüber jetzt meh r bekannt ist als noch vor
fünf Jahren. Die subjektive Perzeption der Modernisierungszwänge, deren struktu relle Merkmale und dere n Zusammenhang mit unterschiedlichen Konzepte n euro-
312
Rainer Hudemann
päischer Kooperation Uterwedde dargelegt hat, bildete jedenfalls eine n wesentliche n
Hintergrund dafür , da ß di e Deutschlandpoliti k Frankreich s sic h gerad e auc h i m
Wirtschaftsbereich frü h auszudifferenziere n begann . Allerdings wa r das intern hoh e
Gewicht ökonomische r Rationalitä t de r Öffentlichkei t nich t vermittelba r und , s o
Buchheim und Bührer , politisch oft schwe r durchzusetzen .
Das gal t gleichfall s fü r da s Spannungsverhältni s zwische n ökonomische r Zentra lisierung un d politische r Dezentralisierun g i n Deutschland , ei n Konzept , da s au f
Führungsebene a b Sommer 194 5 entwickelt wurde und i n dem Franzosen un d Bri ten - wi e auc h Martin a Kesse l i n ihre m Buc h übe r di e Außenministerkonferenze n
gezeigt hat - i m wesentlichen übereinstimmten. Ich war selbst lange der Ansicht, daß
zwar zahlreiche überkommene Urteil e über die französische Politi k erheblich zu er gänzen ode r auc h z u revidiere n sind , sobal d sic h de r Zugan g z u de n Akte n öffne t
und ma n Analysemethode n wi e Fragestellunge n weiterentwickel t - da ß si e abe r
wenigstens i m Wirtschaftsbereic h stimmen . Sei t wenigen Jahren zeig t sich , da ß da s
Erfordernis eine r Korrektu r zeitgenössische r politische r Urteil e auc h fü r Teil e de s
Wirtschaftsbereichs gilt . Christoph Buchheim hat das hier am pointiertesten begrün det. Meine eigene These - si e will ich hier nicht detaillierter ausführen - ist , daß kon struktive Aspekt e i n de r französische n Politi k insbesonder e deshal b ein e stark e
Bedeutung erhielten , weil das Ziel einer Veränderung de r al s nationalistisch un d mi litaristisch interpretierten deutsche n Gesellschaf t unte r dem Stichwort »Demokrati sierungspolitik«, wi e di e Militärregierun g e s damals nannte , z u eine m wesentliche n
Bestandteil de r Sicherheitspoliti k wurde . Dazu gehört e z.B . die Kulturpolitik , daz u
gehörte di e Gewerkschaftspoliti k un d - ökonomisc h un d finanzpolitisc h besonder s
relevant - di e Sozialpolitik. Solche Bereiche erhielten im Rahmen der neu verstande nen Sicherheitspolitik ein e weit größere politische Relevanz , als sie 1919 gehabt hat ten. Trotzde m bliebe n differenziert e Analyse n un d Ansätz e i n de r Öffentlichkei t
schwer vermittelbar, wie auch be i Matthias Kippin g für di e Kohleprobleme i m Vor feld de s Schumanplane s deutlic h wurde . I n de r kürzlic h abgeschlossene n Disserta tion vo n Dietma r Hüse r werde n gerad e dies e komplizierte n Zusammenhäng e un d
ihre Wirkunge n au f da s deutsch-französische Verhältni s i n den frühe n Nachkriegs jahren ausführlich analysiert .
Ein dritte r Punk t wa r di e Frage, inwieweit Frankreic h eigentlic h au s seiner Position
als Siegermacht tatsächlic h Vorteile gezogen hat. Christoph Buchhei m ha t die bisherigen Vorstellunge n vo n eine r reine n Ausbeutungspolitik , di e sic h fü r Frankreic h
auch entsprechend ausgezahl t habe , bislang am prononciertesten i n Frage gestellt. I n
seinem Buc h übe r di e Wiedereingliederung Westdeutschland s i n di e Weltwirtschaf t
prägte e r dafü r de n Begrif f de r »Selbstausbeutun g Frankreichs« : Frankreic h hab e was ma n i n Deutschlan d lang e Zeit nich t wußt e ode r nich t wahrhabe n wollt e - di e
Entnahmen au s seine r Zon e tatsächlic h i n Dolla r bezahlt , zunächs t entsprechen d
Kontrollratsbeschluß z u 80 % und späte r sogar zu 100 % der Weltmarktpreise; wen n
Paris dieselbe n Devise n au f de m Weltmark t eingesetz t hätte , s o hätt e e s dafür Pro dukte kaufen können , die für de n eigenen Wiederaufbau wesentlic h wichtiger gewe sen wären al s viele der Import e au s de r kleine n un d i n Teilen zerstörte n Zon e - u m
die These wieder vereinfach t z u skizzieren . I n seine m Beitra g hier zeigt e Buchhei m
eine Füll e zeitgenössische r Fehlperzeptione n auf . E r wie s u.a . darau f hin , da ß z.B .
Wirtschaftsbeziehungen i m deutsch-französischen Verhältni s der Nachkriegsperiode 31
3
die durc h da s »Ausbeutungskonzept « erzwungen e stark e Exportorientierun g de r
Zone nac h Frankreic h hi n de n Deutsche n nich t nu r vo r 194 9 zahlreich e Vorteil e
brachte, sonder n noc h bi s End e de r 50e r Jahre i n de r französische n Handelsbilan z
mit Deutschlan d z u eine m Negativsald o beitru g - ein e besonder s problematisch e
Folge fü r di e Wirtschaftsbeziehunge n i n de n 50e r Jahren. Auc h z.B . di e Tatsache ,
daß ein guter Teil der für Besatzungslaste n z u zahlenden Gelde r in Deutschland wie der ausgegeben wurde, ist in Deutschland bislan g nicht beachtet worden .
Leider is t Philippe Mioche nicht gekommen , s o daß hie r i m Augenblick nu r sei n
Resümeepapier einbezoge n werde n kann . Mioche legt dar, daß di e Revanchepoliti k
auch von Wirtschaftsseite i n Frankreich eher eine Sache der PME, der Petites et Moyennes Entreprises gewesen ist als der Großindustrie . I n weiteren Beiträge n wurde deut lich, da ß auc h innerhal b de r Großindustri e fü r di e 40e r un d 50e r Jahre differenzier t
werden muß . Immerhin is t hier gerade in der Frage: Vorteil oder nicht , eine deutlich e
Unterscheidung z u machen . Wirtschaftsfachleute habe n besonder s kla r gesehen , da ß
eine rei n destruktiv e Lini e i n Deutschlan d sic h seh r schnel l gege n di e eigene n Wirt schaftsinteressen wende n konnte - auc h wenn die Erwartungshaltung de r Öffentlich keit es verhinderte, daß solche Ansätze in Frankreich breiter diskutiert wurden .
Ein vierte r Komple x sin d di e deutsch-französischen Gegensätze. I n de r Grundten denz zielte n die Diskussionen vo r alle m auf di e Frage: wie kam es zur deutsch-fran zösischen Kooperation ? W o entstan d Kooperatio n un d w o nicht ? Dabe i sollt e di e
nach wie vor groß e Spannbreit e verbleibende r Gegensätz e abe r nich t unterbewerte t
werden. Manche von ihnen wurden in dieser Zeit bereinigt, andere nicht. Die Beiträ ge un d Diskussione n zeigte n ei n breite s Fel d deutsch-französische r Kontroverse n
und Konfliktkonstellationen , da s über di e vor alle m von Gérard Bossuat i n Erinne rung gerufene n Folge n de s Krieges, der deutsche n Besatzun g i n Frankreich un d de r
französischen Reaktione n darau f wei t hinausreichte . Hinsichtlic h de r Kriegsfolge n
war de r Vortra g vo n Han s Merkl e ei n besonder s feine s Beispie l dafür , wi e ei n
führender Unternehmer , de r offensichtlic h selbs t besonder s groß e Schwierigkeite n
mit de r französische n Besatzungsmach t hatte , heut e einerseit s di e Problem e nich t
verschweigt un d si e auf de r andere n Seit e doch i n ein e langfristig e Perspektiv e ein ordnet.
Uterwedde arbeitet e di e langfristigen ökonomische n Grundlage n de r Gegensätz e
im Spannungsverhältnis z u den Konvergenztendenzen heraus . Als vielfältig wirken des Konfliktpotentia l is t erneut da s Problem de r negative n französische n Handels bilanz (Buchheim ) z u nennen . Lot h ha t au f di e unterschiedlich e Organisatio n de r
Sozialpartner hingewiesen , di e manch e Verständigun g erschwerte ; si e bildet e bei spielsweise ei n Strukturproble m i m Hintergrun d de r vo n Wilken s dargelegte n
Dialogschwierigkeiten zwische n CNPF und BDI , wenngleich e s in diesem Zusam menhang nich