Vortrag: Tunis, Kairo, Bengasi, Damaskus. Zivilgesellschaft und
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Vortrag: Tunis, Kairo, Bengasi, Damaskus. Zivilgesellschaft und
Vortrag: Tunis, Kairo, Bengasi, Damaskus. Zivilgesellschaft und Revolution in den Städten des Orients Hannah Wettig Vor einigen Monaten wurde ich angefragt etwas zur Rolle der Zivilgesellschaft in der arabischen Revolution zu schreiben. Man liest das immer wieder: Die Herausbildung der Zivilgesellschaft in den vergangenen Jahren sei eine Bedingung für die Revolutionen gewesen. Ich war allerdings etwas ratlos. Unter Zivilgesellschaft versteht man in Entwicklungsländern und ganz besonders in der arabischen Welt Nichtregierungsorganisationen: Menschenrechts-Organisationen und Frauenorganisationen, wo es sie gab auch Umweltorganisationen und Schwulen- und Lesbengruppen – letztere gab es nur im Libanon. Man kann sich vorstellen, dass das nur sehr wenig Menschen in diesen Ländern umfasst. Das wurde durchaus kritisiert. Im Neuen Jahrbuch Dritte Welt 2005 – Zivilgesellschaft schrieb Holger Albrecht: Gerade für den arabischen Raum sei der sozialwissenschaftliche Blick eingeschränkt, „da oftmals nur sehr spezifische Akteure (NRO), Diskurse (politische Liberalisierung, Reformen) und Hypothesen hinsichtlich des Ergebnisses von Wandlungsprozessen (Demokratisierung) untersucht werden (S. 131). Diese enge Definition hatte ihren Sinn. Die Bundesregierung hat sich als Ziel gesetzt, in ihrer Entwicklungspolitik Demokratie und Zivilgesellschaft zu unterstützen. Dabei sollte sie relativ unparteiisch sein, damit nicht die eine oder andere Partei sich erregt, dass eine bestimmte Weltanschauung unterstützt wird. Menschenrechts-, Frauen- und Umweltgruppen zu unterstützen, ist unproblematisch. Die politischen Stiftungen dürfen dann auch Parteien und Gewerkschaften unterstützen mit dem Geld der Bundesregierung. Zweiter Grund: Islamismus. Es macht aus westlicher Sicht Sinn, in christlichen Entwicklungsländern mit Kirchen zusammenzuarbeiten. In islamischen Ländern hingegen können die Moscheen nicht Partner der Entwicklungszusammenarbeit sein, weil dort ein islamistischer Einfluss fast immer gegeben ist. Bisher war der Islamismus nicht kompatibel mit 1 Demokratie, alleinige Ausnahme die AKP in der Türkei. Vielleicht ändert sich das. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es allerdings nicht logisch, dass Kirche bei den Umbrüchen in Osteuropa zur Zivilgesellschaft gezählt wurde. In muslimischen Ländern Moscheen und die Mobilisierung von Moscheegängern aber nicht. Wenn man eine Definition von Anfang an so baut, dass sie vor allem für die Politik verwertbar ist, ist das wissenschaftlicher Mumpitz. Im Endeffekt kommen dabei unbefriedigende Antworten heraus – damit kann dann auch die Politik nicht arbeiten. In der arabischen Welt haben wir jetzt das Phänomen, dass es einen umgekehrten Zusammenhang zwischen Revolution und Zivilgesellschaft gibt. Je weniger Zivilgesellschaft, umso eher Revolution. Das entspricht übrigens der These des Erfinders der Zivilgesellschaft. Das Wort benutzte erstmals Antonio Gramsci. Er wollte damals erklären, warum die Revolution in Russland funktioniert hatte, in Westeuropa aber gescheitert war. Seine These: In Westeuropa gab es zuviel Zivilgesellschaft. Zitat: „Im Osten war der Staat alles, die Zivilgesellschaft war in den Anfängen und gallerthaft. Im Westen bestand zwischen Staat und Zivilgesellschaft ein ausgewogenes Verhältnis, und beim Wanken des Staates entdeckte man sogleich eine robuste Struktur der Zivilgesellschaft.“ Natürlich ist die historische Situation, die Gramsci beschreibt eine andere. Es ist auch die Frage, ob man die russische Revolution als Revolution bezeichnen kann: Keine, die vom Volk ausging, sondern die Revolution einer „Avantgarde“. Das ist in der arabischen Welt anders. Dort sind die Revolutionen vom Volk ausgegangen. Trotzdem gab es sie genau dort, wo es wenig oder keine Zivilgesellschaft gab. Libyen und Syrien waren bzw. sind die repressivsten Regime der Region – in Libyen gab es Null Zivilgesellschaft, in Syrien nur in Ansätzen. Das tunesische Regime unter Ben Ali war zwar weniger brutal, aber dafür ein perfekter Überwachungsstaat. Auch dort war die Arbeit in formellen Gruppen schwierig: Es gab solche Gruppen zwar, aber ihre gesellschaftliche 2 Wirkung war gering. Ägypten ist eine Ausnahme: Hier gab es durchaus eine Zivilgesellschaft in Form zahlreicher NGOs. Umgekehrt kann man auch sagen: Je mehr Zivilgesellschaft, umso weniger Revolution. Die meisten Nichtsregierungsorganisationen, sogar Jugend- und Kulturzentren gibt es in Beirut und Ramallah. Libanon und Palästina blieben weitgehend ruhig. Weil ich also den Zusammenhang von Zivilgesellschaft und Revolution nicht so recht feststellen konnte, habe ich den Redakteur noch mal angerufen und gefragt. Er sagte, es seien auch Blogger und Parteien und überhaupt alles gemeint. Diese Ausweitung war natürlich auch etwas schwierig. Das war nun wie die Frage: Welche Rolle hatten die Menschen in der Revolution? Es gibt tatsächlich eine sehr breite Definition von Zivilgesellschaft. Für westliche Gesellschaften definiert man sie als Sphäre jenseits von Staat, Markt und Familie. Im Zusammenhang mit den arabischen Revolutionen muss man allerdings überlegen, ob Familie nicht auch Zivilgesellschaft sein kann. Die VaterMutter-Kind-Familie ist das sicher nicht. Aber: die Stammesstrukturen haben in Libyen und Jemen eine enorm wichtige Rolle in der Revolution gespielt. Der Stamm oder die Großfamilie kann in hochrepressiven Regimen die einzige Gruppe sein, die sich versammeln darf – jenseits von Staatsveranstaltungen. Dort ist Austausch möglich und ein gewisser Schutz vor Verrat. Stämme als Zivilgesellschaft? Das widerspricht allerdings intuitiv allem, was ich mit dem Begriff verbinde. Je länger ich drüber nachgedacht habe, umso klarer wurde mir: Es geht gar nicht um Zivilgesellschaft. Es geht um Räume. Diese Tagung heißt ja auch Revolution im Zwischenraum. Wo trifft man Menschen? Wo kann man sich austauschen? Wo bilden sich Gruppen? 3 Wenn Sie in eine neue Stadt ziehen, wo gehen sie hin, um Leute zu treffen? Cafés und Kneipen Parteien und Organisationen Gewerkschaften Sport Kulturveranstaltungen Internet All das gab es in der arabischen Welt noch vor einigen Jahren nur in sehr begrenztem Umfang. Wenn man Blogeinträge von vor zwei, drei Jahren liest, trifft man häufig auf das Motiv der Langeweile. Man muss sich diese Gesellschaften als absolut gelähmt vorstellen. Es passierte nichts, man konnte nirgends hingehen. Ulrike Haerendel hat gestern schon die griechische Polis erwähnt. Sie steht für die Urform der Demokratie. Entscheidendes Merkmal der griechischen Polis ist die Agora, der Versammlungsplatz. Ohne Orte der Versammlung ist Demokratie nicht denkbar. Eigentlich kann man sogar sagen: ohne Versammlungsorte existiert Gesellschaft gar nicht. Jede Gesellschaft braucht Treffpunkte, die feudale Gesellschaft kann sich im privaten Schlösschen treffen, die bürgerliche Gesellschaft braucht mehr oder weniger öffentliche Orte. Das muss kein Gemeindezentrum sein. Ein Kaffeehaus genügt. Im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts entstanden in den großen Städten überall Kaffeehäuser und Salons. Sie waren der Kristallisationspunkte der entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit. Ohne sie hätte es keine französische Revolution gegeben. Es braucht einen Raum, an dem Menschen zusammen kommen, um politische Ansichten zu äußern. Ohne einen öffentlichen Raum ist Meinung bedeutungslos. Als ich vor 18 Jahren das erste Mal in Kairo war, gab es dort Straßencafés, in denen alte Männer still an ihrer Wasserpfeife sogen und Backgammon spielten. In ein einziges dieser Cafés kamen gelegentlich auch Frauen, trafen sich Intellektuelle und Künstler um zu diskutieren. Ansonsten traf man sich in Hotelbars: Die waren nicht nur teuer, sondern vor allem musste man genau wissen, in welchem Hotel es so einen Intellektuellen-Treff gab. 4 Heute ist Kairo eine andere Stadt. Überall sind neue trendige Bistros und Sandwichbars entstanden. Die Besitzer der früheren Alt-Männer Cafés stellen jetzt Stühle auf die Straße. Vor allem abends ist es dort voll, überall sitzen junge Menschen und diskutieren – darunter auch viele Frauen. Der Wandel begann vor zehn Jahren. Damals setzte in einigen Ländern auch ein politischer Wandel ein. Als Baschar Al Assad in Syrien die Macht von seinem Vater übernahm ließ er zunächst ein bisschen Meinungsfreiheit zu. Er setzte neue Chefredakteure in den Staatsmedien ein und die ließen Debatten zu – solange sie das Regime nicht in Frage stellten. Die Zeit wird als Damaszener Frühling bezeichnet. Oppositionelle begannen sich in Cafés und Salons zu treffen. Als sie sich dann aber kritische äußerten, schlug das Regime zurück. Der Frühling währte nur wenige Monate. In Libyen fand der Sohn von Muammar Gaddafi, Saif Al Islam, dass ein bisschen Zivilgesellschaft gut für das Land sei. Er hatte seine Promotion über Zivilgesellschaft geschrieben. Ab 2003 war es erlaubt sich wohltätig zu engagieren. Mir haben Libyer gesagt: Man durfte den Armen helfen, man durfte aber nicht fragen, warum sie arm sind. Diese winzigen Ansätze waren aber nicht der Wandel, den ich meine. Zum gleichen Zeitpunkt eröffneten in Kairo, in Damaskus, in Bengasi trendige Cafés, wo junge Leute aus der Mittelschicht sich bei Kaffee und Croissant auszutauschen konnten. In Kairo und Damaskus auch Frauen. In Libyen, was eine sehr konservative Gesellschaft ist, nur Männer. Inspiriert war dieser Wandel von heimkehrenden Migranten, in Libyen auch von Jungunternehmern, die zwischen Malta und Tripolis ihre Geschäfte machten. Das ist eine Art Gegen-Öffentlichkeit zu den Moscheen. Davor konnte man sich allein in den Moscheen treffen und dabei einigermaßen unbeobachtet wähnen. Vielleicht ist diese Tatsache viel wichtiger für das Erstarken des Islamisus in den 1980er Jahren als die Attraktivität der Ideologie selbst. Aber es gibt auch andere Versammlungsorte: In Ägypten spielten z.B. die Fußballfans eine wichtige Rolle in der Revolution. Sie kannten sich seit Jahren aus dem Stadion. Auch in Libyen war das Stadion wohl ein subversiver Ort. Zumindest hat Gaddafi mal die gesamte Fußballmannschaft Bengasis verhaften lassen. In Tunesien kannten sich viele AktivistInnen von Theatervorstellungen. 5 Aber auch Streiks waren Versammlungsorte. In Ägypten wurde in den letzten drei Jahren vor der Revolution fast ununterbrochen irgendwo im Land gestreikt. Auch in Tunesien spielten Streiks eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung vor der Revolution. Wenn man also zu dem Schluss kommt, dass nicht das Vorhandensein von NGOs entscheidend ist für Demokratisierung, sondern Versammlungsorte, dann erklärt sich, warum der Aufstand gerade in Tunesien begann. Tunesien ist sehr stark geprägt vom französischen Kolonialismus – viel stärker als Syrien und sogar stärker als Beirut. In Tunis gibt es eine ausgeprägte Kaffeehauskultur, aber auch z.B. viele Theater. Außerdem war das Regime um ein westlich-kapitalistisches Anlitz bemüht. Die Tunesier durften sich in allem verhalten wie Europäer, solange sie nicht über Politik redeten. Das heißt aber auch, dass sie an vielerlei Orten zusammentreffen durften: In der Shopping-Mall genauso wie im YogaStudio. In allen drei Ländern der (vorerst) geglückten Revolutionen besetzten die Protestierenden zuallererst einen öffentlichen Versammlungsplatz: In Tunis den Platz der Kasbah, in Kairo den Tahir-Platz, in Bengasi den Platz vor dem Gerichtsgebäude, der in Tahir-Platz umbenannt wurde. Der syrische Theater-Autor Mohammed Al Attar beschreibt seine Erfahrung in Ägypten auf dem Tahrir-Platz: „Glücklich wie ein Kind schlenderte ich vom ägyptischen Museum zur Omar Makram Moschee. Der Platz war gepackt voll mit Diskussionskreisen und es war das leichteste auf der Welt daran teilzunehmen. Ich setzte mich zu einem Kreis, hörte zu und ging dann weiter zu einem anderen.“ In Syrien fehlt dieser Platz. Die großen Plätze werden vom Regime genutzt für Pro-Assad –Kundgebungen. Die Aktivisten demonstrieren in Seitenstraßen. Versuchen sie es doch auf einem zentralen Platz, werden sie oft nach nur zehn Minuten auseinander getrieben und verhaftet. Nur freitags ist das etwas anders. Wenn an 600 Orten gleichzeitig demonstriert wird, sind die Sicherheitskräfte überfordert. Aber eine längere Platzbesetzung bleibt unmöglich. Al Attar glaubt, dass die Abwesenheit eines Versammlungsplatzes in Syrien dazu führt, dass die syrische Revolution medial schlecht verarbeitet wird und es deshalb wenig Solidarität mit den Protestierenden gibt. 6 In jedem Fall fehlt es in Syrien noch an einem realen Ort, an dem Demokratie erlebbar wird. Neben den realen Orten gab es in allen Revolutionsländern die virtuellen Versammlungsorte im Internet. Facebook und Twitter sind ganz sicher hervorragende Mobilisierungtools. Sie sind aber nicht nur Brandbeschleuniger gewesen, wie hier gestern die These war. Sie waren Räume und Treffpunkte. Auf Facebook gab es zahlreiche Seiten, die sich mit politischen Themen beschäftigten, mit der Korruption oder mit Frauenrechten. Aber auch Musikfans trafen sie hier. Gerade gab es in Kairo das erste große Heavy-Metal-Konzert: Auch solche Leute treffen sich im Internet. Ohne das Internet würden sie nicht voneinander wissen. Für alle Revolutionen war das Internet als Tool wichtig. Aber bei der Dynamik unterscheiden sie sich stark. In Tunesien hätte sich die Nachricht von der Selbstverbrennung des Gemüsehändler Mohammed Bouazizi vielleicht ohne Internet nicht so schnell verbreitet. Ansonsten würde ich hier von einem ganz klassischen Verlauf sprechen, einem stetigen Anwachsen, getragen von sozialem Unmut. Auch in Syrien gab es eine langsamere Dynamik. Die Revolution entstand an der Peripherie und es dauerte eine ganze Zeit bis sie es ins Zentrum schaffte. In dem kleinen Ort Daraa hatten Kinder an die Wand geschrieben: Nieder mit dem Regime. Sie wurden verhaftet und gefoltert. Dagegen protestierten die Menschen in Daraa. Es brauchte einige Tage bis im ganzen Land Demonstrationen begannen. Es dauerte Wochen bis schließlich auch die Menschen in Damaskus auf die Straße gingen. Die Revolutionen in Ägypten und Libyen kann man hingegen eindeutig als Internet-Revolutionen bezeichnen. Sie wurden dort verabredet. In Ägypten gab es den Aufruf sich am 25. Januar zur Revolution zu treffen, auch in Bengasi riefen Leute auf Facebook zur Revolution am 17. Februar auf. Allerdings kam z.B. in Ägypten die Revolution erst so richtig in Schwung als Mubarak das Internet abschaltete. Am 28. Januar 2011 beschloss das ägyptische Regime alle Internetverbindungen und die Mobilfunknetze abzuschalten. Das Ergebnis: Die Zahl der Demonstranten und der Versammlungsorte stieg deutlich an. Am 25., 26. und 27. Januar traf man sich nur auf dem Tahrir-Platz. Am 28. Januar wurde an acht Orten demonstriert und die Sicherheitskräfte waren deutlich überfordert. In dem Moment wo der virtuelle Raum nicht mehr zur Verfügung stand, gingen auch viele, die zu Hause getwittert hatten, auf die Straße. 7 Fazit: Erkenntnis ist eigentlich banal. Widerstand braucht Räume. Aber für die Praxis durchaus relevant. Bisher wurden NGOs gefördert, die Demokratie, Menschenrechte oder vielleicht auch Umwelt im Namen führten. Die machten dann z.B. Kurse und Veranstaltungen. Und tatsächlich haben sich da auch Leute getroffen, kennengelernt und kleine Netzwerke sind entstanden. In Kairo haben sich so z.B. die Gründer der Sozialdemokratischen Partei gefunden. Aber das war etwas für schon politisierte Leute. Außerdem sind formelle Gruppen gefährdeter von Spitzeln des Regimes unterwandert zu werden. Daher müssen Leute in solchen Gruppen innerhalb des Regimes arbeiten, umstürzlerische Gedanken sollte man dort nicht äußern. Keimzelle von Revolutionen sind Räume, die zugänglicher sind und unbelasteter. Ein Café, ein Fußballstadion, ein Kulturzentrum, in dem erstmal nur getratscht, Musik oder Kunst gemacht wird. Das Internet ist ein neuer Raum, der geschaffen wurde. Zivilgesellschaft muss daher ganz weit gefasst werden, wenn man ihre Rolle in Revolutionen begreifen will. Sie umfasst alle Räume, in denen gesellschaftliche Diskurse entstehen. 8