Essstörungen - Das ewige Problem der jungen Mädchen

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Essstörungen - Das ewige Problem der jungen Mädchen
Essstörungen - Das ewige Problem der jungen Mädchen
Geschrieben von: Thomas Schwabauer, Jessica Dietz, Linda Cechal und Galina Peter
Mittwoch, den 19. Dezember 2007 um 22:00 Uhr - Aktualisiert Donnerstag, den 06. November 2008 um 16:54 Uhr
Wettbewerbsbeitrag zur Schülerreportage Kaum hat sie der Wecker wach
geklingelt, steht sie schon auf der Waage im Badezimmer. Sekundenlanges Bangen. Wenn
gleich mehr Gewicht angezeigt wird, als sie gestern auf den Rippen hatte, ist der Tag für sie
gelaufen. Sind es aber ein paar weniger, wird sie mit einem Lächeln durch die Gegend
spazieren. Angespannt richtet sich der Blick auf das Ziffernblatt der Waage. Sie zeigt 200
Gramm mehr an. 200 Gramm! Der blanke Horror. Für sie ist dieser Tag schon zu Ende, obwohl
er gerade erst angefangen hat, obwohl es gerade erst 6.15 Uhr ist.
Sie ist schwach geworden, hat die Kontrolle über sich selbst verloren und nun hasst sie ihr
eigenes Ich. Genau diese Szene spielt sich jeden Morgen in dem Leben der 16-Jährigen Julie
ab. Jeden Morgen entscheidet die Waage über ihre Stimmung. Jeden Tag beherrschen
Kalorien und Nahrungsmittel ihren Alltag. Ihre Leistungen in der Schule. Ihr Verhältnis zu Eltern
und Freunden - einfach alles!
„Es war einfach krass, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte als ans Abnehmen“,
erzählt uns die Schülerin im Interview. „Meine Hobbys und Freunde habe ich vollkommen
vernachlässigt, weil mich einfach nichts mehr interessiert hat.“ Julies Stimme verstummt,
Tränen steigen ihr ins Gesicht. Wir lassen ihr ein paar Minuten Zeit um ihre Gedanken zu
sammeln. Dann fragen wir sie nach der Ursache. „Das alles nur wegen einem Jungen der mehr
als 300 km von mir weg wohnt und den ich nicht einmal richtig kannte.“ Ja, das Ganze hatte mit
dem Chatten angefangen. Julie lernte eines Tages im Sommer diesen Jungen kennen und war
sofort beim Anblick seines Fotos hin und weg. Sie schrieben sich tagelang im Chat, bis er
meinte, dass er ihre Stimme mal hören möchte. Sie gab ihm ihre Telefonnummer, daraufhin rief
er sie an. Seitdem quatschten sie stundenlang miteinander über Gott und die Welt. „Und
irgendwann kamen wir an den Punkt, wo es um mein Aussehen ging. Ich hatte mich vorher nie
getraut, ihm ein Bild zu schicken. Er fragte seitdem fast jeden Tag, wann ich ihm denn nun
endlich das Bild schicken könne, aber ich musste ihm immer wieder ein Nein in die Tasten
tippen“, erinnert sich das Mädchen. Er spekulierte, beschrieb seine Traumfrau, erzählte, was er
an Frauen möge und was er hasste. Und was er hasste war eindeutig: „Fette Quallen.“ „Er
sprach es mit einem derartigen Ekel aus, dass mir glatt die Sprache weggeblieben ist. Ich fühlte
mich angesprochen und prompt zu dick.
In dieser Nacht, in der er mir das gesagt hatte, fasste ich den Beschluss abzunehmen. Für
ihn! War doch Motivation genug, oder?“ Aber so ganz klappte es da noch nicht, schließlich kann
man ja immer noch morgen anfangen. Oder übermorgen. „Ich verschob es immer auf den
nächsten Tag, doch der Wendepunkt kam noch.“ Julie erzählt:„Er hatte kein Internet, weil er mit
seiner Mutter umgezogen war. Ich vermisste ihn sehr, also schrieb ich ihm eine SMS. Kurz
darauf antwortet er mir und meinte, dass er oft an mich denken müsse. Da machte es „Klick“!“
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Essstörungen - Das ewige Problem der jungen Mädchen
Geschrieben von: Thomas Schwabauer, Jessica Dietz, Linda Cechal und Galina Peter
Mittwoch, den 19. Dezember 2007 um 22:00 Uhr - Aktualisiert Donnerstag, den 06. November 2008 um 16:54 Uhr
Seit diesem Tag hatte sie öfters „keinen Hunger“ oder „schon gegessen“, aber der Magen
knurrte. Ein paar Tage hielt sie es mit wenig Nahrung aus, aber „irgendwann konnte ich nicht
mehr. Ich ging in die Küche und aß. Nicht viel, aber ich aß. Danach ging es mir schlecht und ich
ging ins Badezimmer. Es musste raus, andernfalls konnte ich mir diesen Typen aus dem Kopf
schlagen.“ Das erste Mal, dass sie sich übergab. Aber bei Weitem nicht das Letzte. Es war „die
Lösung“ für ihr „Problem“: Du kannst essen, was und wie viel du davon magst und am Ende
holst du einfach alles wieder aus dir raus.
Klingt doch ganz einfach, oder nicht? Nein, es war nicht ganz so einfach wie es
auszusehen scheint. Und keineswegs gesund. Zwar nahm Julie innerhalb von wenigen Wochen
zehn Kilogramm ab, aber was sie da ihrem Körper antat, war ihr nicht bewusst. „Ich hätte es
besser wissen müssen. Es wurde doch überall davon berichtet. Julie guckte sich Beiträge über
diese Mädchen an und kaufte sich Zeitschriften, in denen über dieses Thema berichtet wurde.
So wollte sie nicht enden, aber mittlerweile war sie auf dem besten Weg dahin. Eine neuere
Ausgabe der „Bravo Girl“ brachte weitere Tatsachen ans Licht. In der Nummer 23 wird über ein
weiteres Mädchen berichtet, die durch Bulimie versuchte abzunehmen. Des weiteren erzählen
zwei Frauen aus dem Showbusiness, dass sie selbst mit einer Essstörung zu kämpfen hatten.
Folgen dieser Essstörung werden anhand einer Skizze verdeutlicht: Haare können ausfallen,
die Magensäure verursacht Karies und Parodontose, Hormone können nicht gebildet werden,
sodass die Periode ausfällt, etc. . Im schlimmsten Fall bezahlt man mit seinem Leben.
Insgesamt gibt es auch viele Probleme in den Kreisen der Prominenz. Oft wird nur die
„goldene Fassade“ sichtbar, aber die wahren Hintergründe bleiben im Verborgenen. Hollywood
ist der Ort und Ursprung all jener Essgewohnheiten, die für viele Jugendliche als falsche
Vorbilder zur Orientierung dienen.
Denn in einem Punkt sind sich die meisten Stars und Sternchen im amerikanischen Olymp
einig: Dünn sein ist in. Und wichtig für die Karriere. Denn nur wer superschlank ist, kann das
Erfolgspodest besteigen. Nur wer kein Gramm Fett zu viel hat, wird begehrt und bekommt
Aufmerksamkeit. Der Druck, in der Öffentlichkeit zu stehen, ist bei vielen der Grund für den
extremen Gewichtsverlust. Nehmen wir ein berühmtes Beispiel der letzten vier Jahre: Lindsay
Lohan, ehemaliger Kinderstar aus Filmen wie „Freaky Friday“. Ein süßes Mädchen mit Kurven,
natürlich und gesund. Doch innerhalb weniger Monate verschwanden die Proportionen, die
20-Jährige sieht mittlerweile aus wie ein Stock im Kleid, ohne irgendwelche weiblichen
Rundungen. Auch bei Nicole Richie und Keira Knightley gibt das Dekolleté nur noch Knochen
preis und auf dem Rücken kann man jede einzelne Rippe zählen. Obwohl letztere sich (noch)
nicht zu einer Essstörung bekannt hat und von Natur aus sehr schlank und mit relativ kleiner
Oberweite ausgestattet ist, leugnen Bilder der letzen Wochen die deutliche Veränderung nicht.
Sind nicht aktuelle Beispiele wie Angelina Jolie die großen Vorbilder für Millionen von Mädchen
auf der ganzen Welt? Sicherlich, denn sie stehen in der Öffentlichkeit, bewundert, perfekt und
unerreichbar.
Jedes junge Mädchen würde gerne sein wie ihr Star. Wenn sich also Jessica Simpson die
Haare färbt, wird das auch getan. Und beim Abnehmen ist es dasselbe. Aber die Frage ist
doch, warum alle nur auf die „dünne Seite“ Hollywoods schauen. Unbestreitbar ist diese Seite
größer und schließlich sind Models, allen voran Kate Moss, die Anführerinnen der Magerliga.
Denn auf den Laufstegen sind „überdurchschnittliche“ Kleidergrößen tabu. Alles was die 36
überschreitet, wird als ungeeignet abgestempelt. Aber warum wird man nicht wachgerüttelt,
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Essstörungen - Das ewige Problem der jungen Mädchen
Geschrieben von: Thomas Schwabauer, Jessica Dietz, Linda Cechal und Galina Peter
Mittwoch, den 19. Dezember 2007 um 22:00 Uhr - Aktualisiert Donnerstag, den 06. November 2008 um 16:54 Uhr
wenn man - und das nicht selten - von Todesfällen zu dünner Models hört und darüber im
Fernsehen regelmäßig berichtet wird? Schließlich sind auch Hünen des Modebusiness auf das
Problem aufmerksam geworden. Mailand, Paris und New York verbieten seit April diesen
Jahres zu knochige Models und führen strenge Kontrollen durch. Und die letzte Kollektion des
Designers Hugo Boss wurde speziell für Frauen mit Kleidergröße 42 und darüber entworfen.
Dementsprechend sah man bei der Präsentation auch fülligere Models auf dem Catwalk. Und
warum nehmen nur die Wenigsten wahr, dass es auch eine krasse Gegenseite gibt?
Schauspielerinnen wie Kate Winslet und Scarlett Johansson präsentieren stolz ihre
wohlgeformten Körper und Sängerin Beyoncé Knowles denkt gar nicht daran, sich auf
Modelmaße herunterzuhungern. Und es gibt genügend berühmte Models, die Figur besitzen:
Heidi Klum, Gisele Bündchen und Naomi Campbell. Warum schenkt man diesen Frauen, oder
besser gesagt ihren Körpern und Lebenseinstellungen, nur so wenig Beachtung? Vielleicht, weil
sie es einfacher haben? Weil sie ihren Weg gefunden haben? Weil sie schön sind und von der
ganzen Welt angesehen sind? Sie sind mit sich zufrieden, haben Selbstbewusstsein und ihre
Fehler sind nur nebensächlich. Zumindest in den Augen der Zuschauer, die nicht wissen, wie
hart das Leben in der Öffentlichkeit sein kann. Die Prominenz des zwanzigsten Jahrhunderts,
aber auch die Modemacher und die Menschen hinter den Kulissen tragen einen großen Teil der
Schuld am Schlankheitswahn. Weil sie wissen, dass sie ständig beobachtet werden und das
alle zu ihnen aufschauen. Aber sie sind eben auch nur Menschen. Denn wenn wir mal ehrlich
sind, hängt viel von unserem Selbstbewusstsein ab. Und an der Einstellung zur eigenen
Persönlichkeit und dem Leben.
Und zum Schluss kann man sich die Frage stellen, ob es nicht schöner ist, wenn du etwas
zu bieten hast und deine Figur ein Kleid ausfüllt. Mittlerweile ist ein Jahr vergangen, und Julie
hat den Inhalt dieser Worte auch verstanden, hat ihre Krise gemeistert. Sie hat einen
18-jährigen Freund und ist überglücklich. Denn Dank ihres jetzigen Freundes konnte sie ihre
Komplexe überwinden.
Diese Reportage wurde eingereicht von:
WPU Kurs 10 der König-Heinrich-Schule Fritzlar
Die Originalreportage können Sie sich hier herunterladen! 
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