Wie die Bauwelt jetzt ist

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Wie die Bauwelt jetzt ist
betrifft Geburtstagsadresse
Was geht mir so durch den Kopf, wenn jede Woche die Bauwelt, die ich vor ungefähr schon 20 Jahren als Monatszeitschrift in vier Teillieferungen beschrieb, auf dem Schreibtisch
landet? Zunächst einmal: Sie ist inzwischen ein wirkliches
Wochenmagazin geworden. Aber meine Gedanken gehen weiter, weil mein Kopf, im Unterschied zur Mehrheit der normalen, meist architekturpraktizierenden Leser und Leserinnen,
nicht von der Metaebene des medialen Vermittlungsbetriebs
der Architektur figuriert ist. Ich kann mich einer gewissen Bewunderung nicht erwehren, dass der nun hundert Jahre alte
Leuchtturm der deutschen Architekturpublizistik immer
noch inhaltlich frisch und beharrlich sein Dasein behauptet.
Warum?
Wie die Bauwelt jetzt ist ...
Geburtstagsadresse: Dietmar Steiner
Der Direktor des Architekturzentrums Wien hat uns, als erster darum gebeten, zum hundertsten Geburtstag
der Bauwelt einen Text ganz ohne Anekdotisches oder Sentimentales geschickt, dafür aber mit allerlei kleinen
Haken und Ösen. Das beginnt eigentlich schon beim Titel, wenn sich statt des betulichen „heute“ das aggressive
„jetzt“ nach vorne drängelt.
Cover der Langspielplatte
„Let it Bleed“, 1969.
Entwurf: Robert Brownjohn
Torte: Delia Smith
Ich konsumiere jede Woche mit Neugier die Selektion der aktuellen Meldungen, freue mich über kompetente Hintergründe bei „betrifft“, halte den Spot auf Wettbewerbsergebnisse für einen echten Gewinn, erkenne die redaktionelle Anstrengung, jedes Heft einem Thema zu widmen und dieses
journalistisch attraktiv und gut ausgewählt aufzubereiten,
sehe die Mühen des Alltags, auch alle hard-facts zu den einzelnen Projekten recherchieren zu müssen. Ich halte in Zeiten
wie diesen den ebenso unaktuellen wie fragmentarischen Veranstaltungskalender für überflüssig, widme mich mit dem
mitfühlenden Mitleid des immer auch noch Bücher-Lesenden
den aufschlussreichen Buchbesprechungen, überblättere die
für die Ökonomie des Magazins wichtigen Stellenanzeigen,
und erwarte mir auf der legendären letzten Seite manchmal
mehr Witz, als eingelöst wird. Irgendwie ist die Bauwelt immer
noch ein wenig preußisch streng und unterkühlt. Aber in
Kombination mit dem lockerer daherkommenden „Baumeister“ aus dem südlichen Freistaat bildet sich so doch die relevante deutsche Architekturpublizistik ab. Sorry für die ehrenwerten Anstrengungen bei „db“ und „dbz“, aber von außerhalb
Deutschlands gesehen und gelesen, verwechsle ich dennoch
ständig die beiden.
Über all die anderen Newcomer am Markt der deutschen Architekturpublizistik bekomme ich keinen konzisen Überblick. Manche sind ganz engagiert und großsprecherisch aufgemacht, aber als Profi erkennt man doch, wo harte inhaltliche
Arbeit dahintersteckt, oder wo das Business-Modell im Vordergrund steht. Und doch gibt es sie noch, die guten alten Architekturmagazine. Rund hundert von ihnen landen jeden Monat
auf meinem Schreibtisch, wo ich sie in der jeweils angemessenen Geschwindigkeit konsumiere und rezipiere. Alle wandern dann in die Bibliothek des Architekturzentrums Wien,
wo sie als Wissensspeicher nachgefragt werden können, auffindbar dank eines klugen humanoiden Bibliothekars, der
alles weiß. Ich bin, damit die geneigten Leser meine historische Herkunft nachvollziehen können, seit den siebziger
Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem gedruckten Gedächtnis der Architektur aufgewachsen. Ich habe die Veränderungen des publizistischen Milieus der Architektur seit den acht-
ziger Jahren mitgestaltet, bei der Stadtbauwelt, bei „domus“,
und vielen anderen Printmedien. Damals musste alles journalistischer werden, es waren Geschichten gewünscht und nicht
nur die spartanische plus-minus-Kritik der reinen Lehre einer
gesinnungsgetriebenen Architekturkritik. Postmodern war der
Zustand der Publizistik und der Kultur im allgemeinen geworden und ist es bis heute. Und dann waren es die Bilder, die auf
einmal die totale Herrschaft über die Architekturpublizistik
errangen. Noch bis Ende der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts waren Architekturmagazine schwarz-weiße Bleiwüsten mit vielen Plänen und abgesoffenen Bildern.
Dann, in den neunziger Jahren, wurde Architektur zum kulturindustriellen Lifestyle, und die Entwicklung der Sensationen der Star-Architekten begannen, auch alle anderen Medien zu attraktivieren. Rund zwanzig Jahre lang, bis heute,
wurde die jeweils neueste Architektur bis in die allgemeinen
Medien hinein gehypt und gepusht. Zahas neueste Exaltation
auf dem Cover von zehn Magazinen in einem Monat war die
Devise. Es begann damit aber auch die Krise der klassischen
Architekturmagazine. Sie wollten noch unterscheiden zwischen den ernsthaften und ehrlich der Baukultur verpflichteten Leistungen und versuchten, sich dem Hype der gesinnungslosen Spektakel zu verweigern. Sie wollten nicht einfach
nur das jeweils Angesagte „featuren“, sondern sich inhaltlich
mit Projekten und Bauten auseinandersetzen. Aber längst
schon führte die „In und Out“-Gesinnung das Schwert. Was
publiziert wurde war gut, schlecht war einfach alles was nicht
erschien. Die Zunft der Architekten betrachtet nun die eigentlich unabhängigen Magazine als Marketing-Instrumente. Kritik ist nicht mehr erlaubt, manchmal wird sie sogar mit juristischer Hilfe verfolgt.
Dieser Kampf ist heute medial endgültig verloren. Es gibt
keine Unterscheidung mehr zwischen „content driven“ und
„client driven“ Architektur, keine Unterscheidung mehr zwischen einer singulären, inhaltlich begründeten kulturellen
Position eines Architekten und spekulativ elaborierter Business-Architektur. Im Internet tummeln sich heute jede Menge
Architektur-Pornos, mit einer unübersehbaren Menge geiler
Bilder und Null-Information, selbst das „baunetz“ ist, obwohl
technisch fast perfekt gemacht, davon nicht ausgenommen.
Wie die Bauwelt jetzt ist ... wird sie nur überleben, wenn die
jungen Rendering-Analphabeten doch noch lesen lernen
und wenn es nach dem Hype des schnellen Scheins wieder
den Wunsch nach einer fundiert recherchierten, ja langsamen Auseinandersetzung gibt. Das inhaltlich kompetente
Leitmedium aber wird sie solange bleiben, solange Inhalte
nachgefragt sind. Aber wenn das nicht mehr geschieht, wären wir auch beim Ende der Architektur angelangt ...
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