Vortrag Okatavia Brugger (RAI Sender Bozen): Mittwoch 14. Mai

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Vortrag Okatavia Brugger (RAI Sender Bozen): Mittwoch 14. Mai
Martin Fritz
Mitschrift nach Notizen, 15.05.
MEDIENLANDSCHAFT SÜDTIROL
Veranstaltungsreihe der sh.asus und dem Institut für Politikwissenschaft mit
Unterstützung der Südtiroler Sparkasse
Vortrag Okatavia Brugger (RAI Sender Bozen):
Der Südtiroler Rundfunk zwischen Staats- und Landesinteressen
Mittwoch 14. Mai 2008, Sowi-Hörsaal 1
O.B. betont eingangs, dass sie gerade heute eigentlich als Parlamentskorrespondentin
sehr dringend in Rom sein sollte, dass ihr aber der Kontakt zu Studierenden so wichtig
sei, dass sie trotz der aktuellen Lage lieber nach Innsbruck gekommen sei. Da sich die
Ausgangsfrage ihres Vortrags gewissermaßen aufgelöst hat, wird kein konzentriertes
Referat folgen, sondern ein lockeres Gespräch, in dem jederzeit Fragen möglich sind.
Nicht-mehr-Aktualität des Themas
Das Thema (Südtiroler Rundfunk zwischen Staats- und Landesinteressen) hat sich durch
die aktuelle politische Lage in Italien eigentlich vorerst erübrigt. Wie kam es dazu?
Ausgangspunkt war das Vorhaben des Landes, die Finanzierung des RAI Senders
Bozen vom Staat zu übernehmen, wie es unter der Regierung Prodi verhandelt wurde.
Der Staat hatte diesen Sender kurz nach dem zweiten Weltkrieg wie andere
Minderheiten-Sender in anderen Grenzregionen (z.B. Sender für die Slowenen um Triest)
gegründet, um diese Grenzregionen zu „unterstützen“ (d.i. an den Staat binden), daher
war er traditionell vom Staat finanziert (wenn eine Einflussnahme auch überhaupt nicht
mehr statt fand). Die JournalistInnen argwöhnten nun, dass die Pläne des Landes, die
Finanzierung zu übernehmen, nicht uneigennützig waren. Eigentlich hätte das Land zwar
nur die Infrastruktur bereitstellen dürfen und hätte ein Mitspracherecht bei der
ProgrammkoordinatorIn gehabt, inhaltlich wäre jede Einflussnahme rechtlich aber
unmöglich gewesen. Da das Interesse des Landes an der Finanzierung des Senders
trotzdem sehr stark war (das stand als Ziel sogar im Wahlprogramm der SVP, wie schon
in der Vorwoche von De Cesare erwähnt), war die Skepsis der JournalistInnen beim RAI
Sender Bozen so groß, dass ihre Interventionen dazu führten, dass das Vorhaben nicht
durchgeführt wurde, bis mit der Regierungskrise und den folgenden Wahlen eine völlig
neue Situation geschaffen wurde. Unter der Regierung Prodi ist eine Finanzierung durch
das Land vorerst ausgeschlossen, das Thema somit vom Tisch.
O.B. und ihre KollegInnen zweifeln nun, ob ihre Anstrengungen nicht kontraproduktiv
waren, d.h. ob sie unter dem (befürchteten) Einfluss des Landes nicht besser da
gestanden wären als jetzt mit der Finanzierung durch den Staat (im Form einer
Berlusconi-Regierung). Durch das Land wäre eine ausreichende Finanzierung nämlich
sicher gestellt gewesen, durch den Staat ist die RAI permanent in
Finanzierungsschwierigkeiten. Zwar bekommt die RAI Geld aus Gebühren und
Werbeeinnahmen, sie ist aber ein typisch aufgeblähter Staatsapparat (die Situation wird
noch verschlimmert dadurch, dass alle Parteien Einfluss auf die RAI nehmen und ihre
Günstlinge und Interessen dort unterbringen wollen und so eine wirtschaftliche Führung
fast unmöglich ist).
Die neue Regierung Berlusconi
Berlusconi ist bekanntlich selbst Besitzer mehrerer TV-Sender (das MediasetImperium, Rete4, Canale5 und Italia1) dass er sich für die RAI einsetzt, die sozusagen
seine Konkurrentin ist, darf angezweifelt werden.
Die Regierung Berlusconi I hatte schon das sog. Gasparri-Gesetz verabschiedet, ein
(Berlusconis Mediaset begünstigendes) Mediengesetz. Die Regierung Prodi hatte nun ein
neues (die Möglichkeiten der Mediaset beschneidendes) Mediengesetz ausgearbeitet,
jedoch nicht mehr verabschiedet. Unter der neuen Regierung Berlusconi wird es wohl
trotz EU-Einwänden kein neues Mediengesetz geben. Berlusconi scheint allgemein auf
EU-Kollisionskurs gehen zu wollen, im Extremfall vielleicht sogar zu versuchen, aus der
EU auszutreten. O.B. zweifelt daran, dass der sehr versöhnlichen Rede Berlusconis am
13.5. zu trauen ist.
In Bezug auf das Thema des abends ist jedenfalls interessant, dass sich die Lega Nord in
der Regierung für (Steuer- und) Medienföderalismus einsetzen wird. Wie sich das jedoch
genau entwickeln wird, bleibt abzuwarten.
Das italienische Fernsehen
Berlusconi hatte bei seinem Einstieg in die Politik offen gesagt, dass er das tat, um seine
Sender zu retten, weil ihm die politischen Proteges ausgegangen waren. O.B. konstatiert
eine Nivellierung des italienischen Fernsehens durch die Berlusconi-Sender, deren
schlechten Niveaus sich die RAI angepasst habe. Eine Generation, die mehr beim Grande
Fratello als bei sich selbst zu hause sei, sei so mit dem Fernsehen herangewachsen. O.B.
betont die gefährliche, manipulative Wirkung, die Fernsehen haben kann. Als
(unterhaltsames) Beispiel für diese Fernseh-„Kultur“ zeigt O.B. ein offizielle
Wahlkampfvideo der PDL (Berlusconi besitzt auch eine riesige Werbeagentur, ist also
auch hier vom Fach):
http://youtube.com/watch?v=WXf-YbsSh0Y (Menomale che Silvio c'è - video ufficiale
inno campagna PDL)
Eine andere Strategie ist, mittels Fernsehen gezielt Angst zu erzeugen (z.B. FoxChannel, das „Bush-Fernsehen“). So haben die Sender der Mediaset im Wahlkampf
gezielt und sehr reißerisch davon berichtet, wenn sog. „Ausländer“ Frauen vergewaltigten
(von einem Fall wurde angeblich sogar häufiger berichtet als von 9-11).
Aber nicht nur Berlusconi, auch seine politischen Gegner bedienen sich ähnlicher
medialer Mittel. O.B. zeigt wiederum als Beispiel ein Wahlkampfvideo das Partitio
Democratico:
http://youtube.com/watch?v=E0UBZ0z0bvo (I'm PD - Con Walter si può fare)
Das also ist das Umfeld, in der die RAI öffentlich-rechtliches Fernsehen machen soll. Der
RAI Sender Bozen sticht dabei noch mit Qualität heraus, man vergleiche die Südtiroler
Tagesschau mit der gesamt-italienischen. Aber auch hier gibt es Tendenzen zur
Kommerzialisierung, z.B. ist die Berichterstattung von den Miss-Wahlen ein ewiger
Streitpunkt zwischen O.B. und den jeweiligen Chefredakteuren. Die Redaktion des RAI
Senders Bozen ist relativ alt (das jüngste Redaktionsmitglied 42 Jahre), worin O.B. ein
erfolgreiches Sträuben gegen die oben skizzierten Tendenzen begründet sieht.
Publikumsfrage: Waren die gezeigten Werbe-Spots als solche gekennzeichnet?
Eben nicht, wie allgemein Schleichwerbung im italienischen Fernsehen (begünstigt durch
die Legge Gasparri) zunimmt, z.B. bei Kochsendungen tritt die Moderation oft aus ihrer
Rolle und preist z.B. Küchenmesser an. Genau dagegen hatte die EU auch u.a. (bislang
ohne Ergebnis) geklagt.
Publikumsfrage: Der Sender Europa 7 hat eigentlich die Rechte an einer Sendefrequenz
bekommen, trotzdem sendet auf dieser Frequenz der Sender Rete 4 (gehört zur
Mediaset), wie schaut es in dieser Causa aus?
Obwohl Gerichtsurteile (auch der EU) vorliegen, die das Recht von Europa 7 auf die
Frequenz klar bestätigen, sendet nach wie vor Rete 4 auf der umstrittenen Frequenz.
Publikumsfrage: Ist das Szenario eines EU-Austritts realistisch in Anbetracht der EUBefürwortung der Industriellenvereinigung (in Person von Montezemolo) wie der linken
Opposition?
Montezemolo ist politisch schwächer als Berlusconi, würde sich also nicht durchsetzen
können. Zudem hat sich Tremonti in seinem neuen Buch „La paura e la speranza“ sich
sehr Europa-kritisch gezeigt. Ein EU-Austritt ist also nach O.B.s Einschätzung durchaus
im Bereich des Möglichen.
Geschichte des RAI Sender Bozen
Der RAI Sender Bozen ist 1966 in Rom entstanden als kleiner Teil der TG1, der anfangs
nur die Nachrichten auf Deutsch übersetzte. Schon sehr bald aber hatten die
RedakteurInnen völlig freie Hand (nicht zuletzt weil eine Bevormundung durch einen
italienischen Chefredakteur aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse nicht möglich war),
bis auf den Umstand, dass sie nur das Bildmaterial der italienischen RAI zur Verfügung
hatten. Die Südtiroler misstrauten dem Sender anfangs, da sie ihn als
Manipulationsinstrument („ein nur deutsch sprechender, aber italienischer Sender“)
ansahen, diese Befürchtung erwies sich jedoch schnell als gegenstandlos und wurde
schnell aufgegeben: Versuch der Einflussnahme oder gar Zensur von Rom kam nach
O.B.s Wissen nie vor.
1983 wurden in ganz Italien Regionalprogramme gegründet, die Redaktion des RAI
Sender Bozen übersiedelte nach Bozen, nur O.B. blieb als Parlamentskorrespondentin in
Rom.
Heute gilt der RAI Sender Bozen als vorbildhaft für ganz Italien: Er ist als einziger
dreisprachig, er ist der restlichen RAI technisch weit voraus (digitale Schnitttechnik statt
immer noch analoge wie im Rom). Ein Grund dafür ist sicher die starke Konkurrenz durch
Sender aus Österreich und Deutschland.
Die aktuelle Lage
Die aktuelle Lage für MedienmacherInnen schätzt O.B. als sehr schlecht ein. Ein Beispiel
ist Marco Travaglio (Buch: „L’odore die soldi“, Sendung „Che tempo che fa“), der so bald
wohl kaum noch Sendungen machen wird können. Er ist übrigens eher ein konservativer
(kein linker) Journalist, trotzdem einer der wenigen kritischen JournalistInnen in Italien,
der sich noch nicht mit dem System arrangiert hat. Dafür hat er derzeit auch ca. 20
Prozesse am Hals.
Allgemein ist die Kultur des freien Journalismus in Italien traditionell nicht sehr
ausgeprägt. Das hängt was mit der Journalisten-Kammer zusammen, der die jüngere
Generation von JournalistInnen nicht angehört, da die kaum noch fix angestellt werden,
sondern nur aus Basis von Zeitverträgen arbeiten, was sie natürlich abhängig und
erpressbar macht. Dazu kommt, dass z.B. durch das Internet auch bei Zeitungen viele
Stellen ersatzlos gestrichen werden.
Publikumsfrage: Wie sehen Sie die Lage im Parlament, jetzt wo viele Parteien aus dem
Parlament geflogen sind, die SVP die älteste Partei im Parlament ist und Di Pietro in der
Opposition?
Die Überraschung bei der Wahl war nicht Berlusconis Sieg (der war absehbar durch das
Verhalten Berlusconis, der damit gezeigt hat, wie sicher er sich seines Sieges war: z.B.
war Berlusconi z.T. im Wahlkampf gar nicht mehr aufgetreten, als nächstes die ManganoAussage („Vittorio Mangano war ein Held, weil er nichts über uns gesagt hat“). Die
eigentliche Überraschung war also das Debakel auf der linken Seite, wo Grüne und
Kommunisten aus dem Parlament geflogen sind. Ob dieses neue Parlament mit weniger
Parteien jetzt stabiler sein wird, ist nicht abschätzbar. Di Pietro jedenfalls hat tatsächlich
die einzige wichtige Oppositionsrolle.
Dass die SVP am 13.5. gegen Berlusconi gestimmt hat (und sich nicht enthalten hat)
wertet O.B. als taktisch unklug, da sie sich damit nach Berlusconis versöhnlicher Rede
nichts vergeben hätte und später (bei Verletzungen der Autonomie etc.) immer noch
gegen Berlusconi auftreten hätte können.
Publikumsfrage: Wird O.B. durch ihren Bruder (der Parlamentarier ist) in ihrer Arbeit
eingeengt?
Allerdings, die gegenseitige Befangenheit ist für sie und für ihren Bruder ungünstig, sie
gehen sich beruflich tunlichst aus dem Weg. Für beide ist eine Karriere eigentlich
unmöglich, weil immer gegenseitige Unterstützung vermutet würde. Andere Leute
können hingegen ohne offensichtliche Verwandtschaft ihre Seilschaften im Geheimen
sehr effizient aufbauen, weil da niemand so drauf achtet wie z.B. bei O.B. und ihrem
Bruder.
Publikumsfrage: Wird über die Selbstbestimmung Südtirols jemals abgestimmt werden?
O.B. kann dies nicht einschätzen, würde persönlich so eine Entscheidung aber spannend
finden. Sie wäre persönlich für einen Anschluss an Österreich, nicht für einen
eigenständigen Staat Südtirol, obwohl die Strukturen und damit die Möglichkeit dafür
ihrem Dafürhalten nach vorhanden wären. Die südtiroler Politiker trauen sich an diese
Frage aber nicht heran, weil die Erinnerung an die Polarisierung nach der Option und die
Repressionen nach den sog. Freiheitskämpfern noch zu frisch sind und die Autonomie
ohnehin hervorragend funktioniert (Hinweis auf O.B.s Vater, der in dieser Frage auch
schon gehandelt hat). Cossiga hat wieder einmal einen Antrag auf Abstimmung
eingebracht, was er sich davon verspricht, bleibt rätselhaft, u.U. möchte er mit einem
Nein der Bevölkerung (Zwischenruf aus dem Publikum: das schon allein aus finanziellen
Gründen zu erwarten wäre) das Thema nur endgültig vom Tisch haben.
Publikumsfrage: Wie ist O.B.s Verhältnis zu den Dolomiten?
Es ist nicht vorhanden, da die Dolomiten in Rom nicht erhältlich ist. Vielleicht erspart sich
O.B. dadurch auch verschiedenes.
O.B. betont, dass sie auch Fragen zur Alltagspraxis bei der RAI gern beantwortet (z.B. ob
es eine Maske gäbe) und erzählt davon, dass ModeratorInnen bei der RAI z.B. ihre
Kleidung für die Moderation früher selbst kaufen mussten, dafür aber einen BagatelleBetrag bekamen, um sich hin und wieder „eine ordentliche Krawatte kaufen zu können“.
Publikumsfrage: Wie werden die Sprecher beim RAI Sender Bozen ausgebildet?
Es gibt zwar auch Ausbildungen gemeinsam mit italienischen KollegInnen, die aber
praktisch wenig nützen. Sinnvoller sind Aus- und Fortbildungen, die in Kooperation mit
österreichischen und deutschen Sendern gemacht werden.

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