Möglichkeiten und Grenzen der Sinnübermittlung und
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Möglichkeiten und Grenzen der Sinnübermittlung und
Universität Hildesheim 25.9.2003 Sommersemester 2003 Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis Vordiplomshausarbeit Hauptfach Musik Dozent: Dr. Andreas Hoppe Möglichkeiten und Grenzen der Sinnübermittlung und Kommunikation mittels Musik Hausarbeit vorgelegt von Martin Fahn Semesterzahl: 4 Marienburgerstr. 141 31141 Hildesheim 05121 – 691513 0160 – 483 68 56 [email protected] 1 Gliederung der Hausarbeit: 1 Die Stellung der Musik unter den kommunikativen Codes 2.1 Die Affektenlehre und Sinnübermittlung durch Tonfolgen 2.2 Das Morsealphabet als musikalische Sprache 2.3 Jodeln als Kommunikation 2.4 Die sprechenden Trommeln in Afrika 2.5 Jagdsignale 2.6 Signale in der Militärmusik 2.7 Hirtensignale 3. Konvention als Vorraussetzung der Kommunikation mittels Codes 4. Quellen- und Bildnachweis 2 1 Die Stellung der Musik unter den kommunikativen Codes Schon Darwin vermutete 1871 in `The Decent of Man´, dass vormenschliche Männer und Frauen, die noch nicht mit der Poesie der Sprache gesegnet waren, sich möglicherweise mit Tönen und Rhythmen umwarben. Auch Eckart Altenmüller vom Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin in Hannover glaubt, dass Frühmenschen schon vor der Entstehung der Sprache mittels einfacher Musik kommunizierten. Der Leipziger Psychologe Stefan Kölsch geht noch weiter und meint, dass die Menschen ohne ausgesprochenes Musikverständnis gar keine Sprache lernen könnten. Der Forscher führt zu seiner Argumentation die Prosodie oder Satzmelodie in jeder Sprache an, die emotionale Botschaften des Gesprochenen transportiert. Er fand auch heraus, dass Musik jenes Zentrum des Gehirns aktiviert, das als eines der wichtigsten Sprachzentren gilt: das so genannte Broca-Areal. Ist Musik eine Art Sprache? Wie kann Musik Informationen übertragen? Inwiefern kann Musik der Sinnübermittlung und der Kommunikation dienen? Es gibt musikalische oder akustische Signale, die direkt Sinn oder Informationen übertragen. Dazu gehören das Morsealphabet, das ursprüngliche Jodeln, Jagd- und Militärsignale, Hirtensignale, Trommelsignale und Gesänge anderer Kulturkreise. Weiterhin gehören Sirenen von Rettungsfahrzeugen oder auch musikalische Erkennungssignale in der Rundfunkwerbung dazu. Auch das früher bekannte Posthorn sei hier zu nennen. Diese Klangereignisse hatten oder haben die Funktion zu informieren und eventuell auch Handlungen auszulösen. Damit dies funktioniert, müssen derartige Signale verbindlich konventionalisiert sein. Sie müssen außerdem so beschaffen sein, „daß sie den Empfänger optimal erreichen und ihm die Botschaft verläßlich übermitteln“ 1. Dazu nutzen sie eher höhere Tonlagen, die sich von anderen Geräuschen abheben und besser zu orten sind, als lange Wellen tiefer Töne. Aus dem selben Grund rufen wir eine Person aus großer Entfernung ganz unbewusst in hoher Stimmlage und in der Regel mit einer fallenden kleinen Terz: `Ha-lo´. Der Muezzin im Islam ruft mit einer Art Sprechgesang zum Gebet, um gut verstanden zu werden und große Distanzen zu überwinden. Aber nicht nur den konventionalisierten Signalen geben Forscher eine informative Bedeutung. 1 Karbusicky, Vladimir: Grundriß der musikalischen Semantik, Darmstadt, 1986, S. 87 3 Fanfaren und Hymnen vertreten Werte und lösen emotional motiviertes Handeln aus. Arbeitslieder schaffen ein Zusammengehörigkeitsgefühl und machen Mut. Lieder von Wanderhandwerkern und Hausierern sollen deren Ankunft im Dorf verkünden. Aber auch einzelne Tonfiguren in Instrumentalstücken können etwas bedeuten. In der Epoche der Romantik wurde die Musik als `Sprache der Gefühle´ bezeichnet. Bestimmte Instrumentierung, Dynamik oder Melodien lösen in uns Affekte aus. Dies wird z.B. in der Filmmusik stark ausgereizt. Die eine Melodie klingt wehmütig nach Schmerz und Klage, die andere ist lustig, erregt und fordert zum tanzen auf, während eine dritte majestätisch das Heldentum beschwört. Dass aber ein Ton, ein Intervall oder ein bestimmtes Motiv Bedeutung transportiert, scheint auf den ersten Blick ihrer Substanz zu widersprechen. Musik besteht aus zunächst bedeutungslosen, spielhaften, unbestimmt ansprechenden Tonformen und Klangereignissen. Und doch sind wir durch musikalische Wiederholungen und Variationen gefühlsmäßig gerührt und glauben eine Art Sinn artikulieren zu können. Bei manchen Klangkulissen haben wir Bilder vor den Augen, die jedoch nicht eindeutig zur Musik zuzuordnen sind. Wir nehmen in tönenden Strukturen irgendwelche Ereignisse wahr: zwitschernde Vögel, donnernde Wolken oder den Galopp wilder Pferde. Dennoch bezeichnen manche Wissenschaftler die Musik als Tonreihen, die „keinen anderen Inhalt als sich selbst“ 2 haben. Eduard Hanslik griff auch das Dogma der Sprachadäquanz an: „Die schädlichsten und verwirrendsten Anschauungen sind aus dem Bestreben hervorgegangen, die Musik als eine Art Sprache aufzufassen“ 3 . „Der polnische Ästhetiker Stefan Morawski betrachtete die Musik sogar als eine Art asemantische Kunst, die zwar Zeichen anwendet, diese aber auf nichts verweisen“ 4 . Mit Semiotik und Semantik in der Musik beschäftigte sich auch Vladimir Karbusicky in seinem Werk: `Grundriß der musikalischen Semantik´ von 1986. Karbusicky steht einer Definition von Musik als auditiver Kommunikation sehr kritisch gegenüber. Die kommunikative Funktion sei eine mögliche, jedoch nicht die bestimmende Funktion von Musik. Zur Semantik der Hirtenmusik schrieb Christian Kaden: Hirtensignale – Musikalische Syntax und kommunikative Praxis. 2 Hanslick, Eduard: Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst, Leipzig, 1854, S. 206 3 Hanslick, 1854, S. 112 4 Karbusicky, 1986, S. 29 4 Im Folgenden wird behandelt, welche Art von Klangereignissen zur Kommunikation dienen können, und wie Musik und akustische Signale Informationen transportieren. Da bedeutungstragende Elemente sowohl in klassischer abendländischer Musik, wenn auch nicht konkret, als auch in Signalmusik vorkommen, wird hier beides behandelt. Erst wird die Semantik in der klassischen Musik umrissen, um dann auf konkrete Ergebnisse bei dem Sonderfall der Signale eingehen zu können. 2.1 Die Affektenlehre und Sinnübermittlung durch Tonfolgen Bis zum Aufkommen der Affektenlehre um 1650 galt Musik nur als Begleitung zum Wort. Erst durch die Haltung, Musik könne auch ohne Text Affekte wie Liebe, Trauer, Klage, Fröhlichkeit, blinde Wut, Mitleid, Furcht, Beunruhigung, Kühnheit und Verwunderung darstellen, hat sich das geändert. Instrumentalmusik konnte folglich auch für sich alleinstehen. Musik ohne Text wurde seit dem 18. Jahrhundert sogar als Tonsprache anerkannt. Musik war einerseits Ausdruck der psychischen Befindlichkeit des Künstlers und konnte andererseits die Natur nachahmen. Dieser Wertgewinn der Musik schuf sowohl die Basis für Oper und Passionspiel, als auch für musiksemantische Forschung. Seither kann Musik bewusst eingesetzt werden, den textlichen Inhalt z.B. einer Arie mit musikalischen Affekten zu unterstützen und zu verstärken. Musik bietet viele Möglichkeiten etwas auszudrücken. Wir müssen um den Informationsgehalt berechnen zu können nicht nur die Tonhöhe heranziehen, sondern auch die Kombinationen von Intonation, Timbre, rhythmischer Agogik, Instrumentierung und Dynamik sowie den formalen oder semantischen Apell berücksichtigen. Musik ist hierbei nicht mit Sprache gleichzusetzten, da sie kein Vokabular mit direkten Denotationen hat. „So ist die Musik [...] eine `nonrepresentative´ (nicht verweisende, nicht-darstellende) Kunstart; trotzdem muß man sich mit ihrer `significance´ befassen.“ 5 Bei Karbusicky begegnet man einer kategorisch differenzierenden Einteilung der musikalisch bedeutsamen Zeichen in hauptsächlich drei Gruppen, die sich aber auch überschneiden können: Ikone, Indices und Symbole. Ikone sind direkte Nachahmungen und Abbilder von z.B.: Vogelrufen, Schlachtengeräusch, Blitz und Donner. Indices sind Anzeichen für etwas. Wie Rauch ein Anzeichen 5 Karbusicky, 1986, S. 80 5 für Feuer ist, werden musikalische Interjektionen (z.B.: `Oh-weh!´ ein Tonsprung von einer Sekunde nach unten) als Zeichen von Affekten betrachtet. Symbole sind willkürliche, verabredete oder auch figürliche Zeichen. Ein Beispiel in der Musik ist das Läuten von Glocken. Allein eine Idee, ein Programm oder ein Liedtitel impliziert schon eine gewisse Deutungsrichtung. „Die vierte Abteilung der Symphonie fantastique von Hector Berlioz ist überschrieben `Der Gang zum Richtplatz´, und im Programm heißt es, der Held träume, er habe seine Geliebte getötet, sei deshalb zum Tode verurteilt worden und wohne jetzt seiner eigenen Hinrichtung bei. Ein Marsch begleitet den Zug in dumpfen Schritten und lärmenden Ausbrüchen. Zuletzt erklingt wiederum die Idée fixe (die sich – so weiß der Hörer aus dem Programm – auf die Geliebte bezieht), aber hier erscheint dieses Thema nur einen Augenblick, gleichsam als ein letzter Liebesgedanke, den der Todesstreich unterbricht. Die Musik ist sehr realistisch. Aus dem abrubt verstummenden Fortissimo-Getön des Orchesters löst sich die Soloklarinette, dolce assai e appassionato erklingt die Idée fixe; im g-Moll-Fortissimo-Akkord des vollen Orchesters schlägt das Beil zu, pizzicato in den Streichern fällt der Kopf, der den Liebesgedanken dachte, herab bis zum tiefen G.“ 6 Wenn ein Hörer den Inhalt des Programms nicht kennt, öffnet sich der Gehalt des Stücks ins Unkonkrete, Unbestimmte und Weiträumige, ohne aber ganz zu verschwinden. Es bleibt seiner Phantasie überlassen, wie diese Öffnung gefüllt wird, wobei die Klangereignisse des Orchesters einen gewissen Rahmen bilden, der die Möglichkeiten der Imaginationen durchaus begrenzt. Ein anschauliches Beispiel für die semantischen Ebenen Ikon, Index und Symbol ist der erste Satz der ersten Sinfonie Gustav Mahlers. „Der Satz wird eröffnet mit einem Klangbild vom Naturrauschen, mit einem minimalen Geräuschpegel aus ausgehaltenen Oktaven und fallenden Quarten: `langsam, schleppend; wie ein Naturlaut´, wie es Mahler in der Partitur vorschreibt. Leise ertönt aus weiter Ferne eine Fanfare – hier ein Symbol der erwachenden Aktivität. In Takt 29 erklingt ein Ikon – der Kukucksruf, stilisiert in synkopiertem Quartfall (Mahlers Hinweis: `Der Ruf eines Kukucks nachzuahmen´). Viermal erklingt er in der Klarinette, ihm antwortet eine gedehnte Sequenz der Hörner, Instrumente, die traditionell die raumakustische Qualität eines Geschehens im Freien darstellen und symbolisieren. Die Trompetensignale aktivieren die Klangstruktur – eine Art Auflehnung gegen die Vorwegnahme des tragisch klingenden Themas des 3. Satzes. Der Kukucksruf, der inzwischen mehrmals, fast trotzig erklang, wird nun entsemantisiert: er verwandelt sich in eine Baßfigur der Tanzmusik – die gestochene (staccato) Quarte hat nun eine nur noch strukturtragende Funktion. Dieser 6 Eggebrecht, Hans Heinrich: Musik im Abendland, München, 1996, S. 684-686 6 Teil (ab T. 63), in dem das Genre einer funktionellen Musik dominiert, bekommt seine Semantik erst auf der kontextuellen Ebene des Ganzen: ein bildhaftes Symbol des Naturlebens – eines Volksfestes im Freien, ähnlich wie bei Beethoven der Bauerntanz (in der Pastoralsymphonie). In einer Art Durchführung wird das erste Naturbild (mit neu auftauchenden Kukucksrufen) mit dieser Tanzszene verflochten.“ 7 Durch die Entwicklung vom Kukucksruf zur Bassfigur zeigt Mahler die Anwendbarkeit von Entsemantisierung und dadurch auch einen Wandel der Bedeutung. Die Entdeckung solcher bedeutungstragender musikalischer Zeichen können wir jetzt noch etwas allgemeiner fassen. An zwei konkreten Beispielen haben wir die mögliche Bedeutung von musikalischen Stilmitteln gesehen. Da man mit diesen Zeichen ähnlich arbeiten kann wie mit sprachlicher Rhetorik, werden sie allgemein als musikalischrhetorische Figuren bezeichnet. Hier werden sie definiert und ihnen allgemeine Bedeutungen zugeschrieben. Wiederholungsfiguren: Figur Beschreibung Sinn Climax/Gradatio Dreimalige Treppe vgl. Sequenz/aufwärts(abw.) Eindringlichkeit, Steigerung, Nachdruck, Schlusswirkung Epizeuxis Einfache, doppelte identische Wiederholung Unmittelbare, nachdrückliche Wiederholung Repetitio/Anapher Periodenwiederholung Beziehung, Relation, auch: Leidenschaften, Wildheit/Verächtlichkeit Epanalepsis/Complexio Wiederholende Einrahmung eines Wortes/Periode (Singet, rühmet und lobet, singet) Klarheit schaffend, Ausdruckswiederholung, Verstärkung Anadiplosis Endton=Anfangston einer neuen Phrase Verbindung schaffend Paronomasia/Traductio Variierte, nachdrückliche Wiederholung (mehr Noten, verziert) Verstärkung Abruptio Unerwartetes Abreißen, Zerreißen der Musik Temperamentsausbruch, Schlusswirkung, Resignation Aposiopesis Generalpause, Verstummen Untergang, Nichts, Tod, Endlosigkeit, Unsagbares Pausenfiguren: 7 Karbusicky, 1986, S. 37 7 Tmesis Zerschneiden der Melodie durch Pausen Figur Trennung von Freunden/von Gott Beschreibung Sinn Suspiratio Zerschneiden der Melodie durch Seufzer Mühe, Arbeit, Trauer Apokope Kürzung, Abschneidung der letzten Note Frage oder Verneinungen Abbildung/Nachahmung (Descriptio, Illustratio): Hypotyposis Fast optische Abbildung der Textbedeutung, Tonmalerei Anschaulichkeit, Überzeugung, Lebhaftigkeit Anabasis/Katabasis Sichtbarer Aufstieg/Abstieg der Tonbewegung Auf- und Abstieg auch im übertragenen Sinne Circulatio Kreisbewegung Verzierung, Kreisbewegung, Abbild des Vollkommenen Fuga, Immitatio Echo der nachfolgenden Stimmen, fugato – Nachahmung, Kunstfertigkeit, Kanon Flucht, Fliehen, Eile, Schnelligkeit, sukzessive Handlungen, auch albernes „Nachäffen“ Diminutio Verkleinerung der Notenwerte Untertreibung Noema, auch als Antitheton Akkordisch, homophon nach polyphon Gedanke, Entschluss, Bestärkung, Gegensatz, auch Intrige in der Oper Quarta falsa Tritonus Das Unreine, Falsche, Übeltäterische, Mangel, Übermaß Parrhesia Querstand Ambivalente Gefühle, Tod Christi als Erlösung Passus duriusculus Harter Schritt, Chromatik aufoder absteigend Sünde, Leid, Gemütsbewegung Transitus Durchgang Übergang, Verbindung, Zierde Heterolepsis Angesprungene Nebennote oder Terzfall Freiheit, andere ekstatische Zustände Multiplicatio Vervielfältigung eines Vibration, Erregung Durchgangs (Transitus), Triller Accentus Betonung, als Vorschlag von oben oder unten oder nach oben angehängt Verstärkung von langen Silben oder Ausdruckselementen Verminderter Septakkord Zweifel Trugschluss Betrug Neapolitaner Todessehnsucht Dissonanzfiguren: 8 8 Nach: Eggebrecht, Hans Heinrich: Musik im Abendland, München, 1996, S. 366 - 388 8 Hier wird deutlich, wie eng begrenzt die Möglichkeiten einer musikalischen Zeichentheorie sind. Denn sowohl Symbole, als auch Ikone ergeben nur oberflächliche, aber nicht essentielle Merkmale der musikalischen Gestaltung. Sie sind nur Fragmente, die von der Hörimagination zu einem Ganzen verbunden werden. Der Hörer darf eine Musikstruktur auch falsch verstehen, da die Musik trotzdem semantisch unbestimmt ist. Während beim Sprechen alle indexikalen Nuancen sofort registriert werden (z.B.: eine verhüllte Drohung, Ironie, Resignation, Hoffnung) sind sie im Musikalischen unscharf, und nur annähernd identifizierbar. Durch musikalische Signale ist konkrete Informationsübermittlung und sogar Kommunikation möglich, sie bedienen sich aber nur wenig an dem ästhetischen Reichtum der Musik. Wir sehen, dass Deutungen der Musik als Kommunikation voreilig und empirisch unverifiziert sind. Ein Sonderfall ist das bekannte Schicksalsmotiv aus Beethovens Sinfonie Nr.5 (g-g-g-es). Beethoven soll gesagt haben: „So klopft das Schicksal an die Pforte.“ 9 Dieses Motiv wurde durch eine Konvention nach dem 2. Weltkrieg auch als Symbol für `Victory´ verwendet. Durch Zufall ist das Motiv rhythmisch identisch zum `V´ im Morsealphabet (kurz-kurz-kurz-lang). Beim Heranziehen des Morsealphabets zur Deutung der rhythmischen Strukturen in der Musik kommt man sicher auf eine Vielzahl von Buchstaben, die wahrscheinlich jedoch nicht beabsichtigt waren und deshalb nichts bedeuten. Für sich selbst ist diese Informationscodierung jedoch ein musikalisches Mittel der Kommunikation. 2.2 Das Morsealphabet als musikalische Sprache Das Morsealphabet wurde in seiner ersten Fassung 1832 von Samuel F. B. Morse entwickelt, nachdem dieser auf einer Schiffahrt von Europa nach Amerika die Idee gehabt hatte, einen auf Elektromagnetismus beruhenden Telegraphen zu bauen. In diesem Code, der aus Punkt (kurzer Ton), Strich (langer Ton) und einer Lücke (Pause) besteht, werden die Buchstaben durch verschiedene Kombinationen aus Punkten (kurzen Tönen) und Strichen (langen Tönen) dargestellt; getrennt werden die Zeichen durch eine Lücke. 9 Karbusicky, 1986, S. 12 9 Bei der Übertragung bleibt die Tonhöhe immer gleich, es kommt nur auf den Rhythmus an. Damit die Übertragungszeiten der Botschaften nicht zu lang werden, zählte Morse in einer Druckerei die Häufigkeit der einzelnen zum Druck verwendeten Lettern, um so den häufigen Buchstaben kurze Kombinationen, den seltenen längere Kombinationen zuzuweisen. Bei der Codierung von 26 Buchstaben mit zwei verschiedenen Zeichen wurden die Kombinationen für einen Buchstaben aus mathematischer Notwendigkeit bis zu vier Zeichen lang. Später wurde der Code gerade in dieser Hinsicht noch einige Male überarbeitet und es entstanden verschiedene Variationen in Europa und den USA. Der Morsecode wurde zwar seit der Einführung des Sprechfunks immer mehr zurückgedrängt, wird aber immer noch verwendet und gehört auch heute noch zu jeder Funkerausbildung. Das wohl jedem bekannte Beispiel des internationalen Morsealphabetes dürfte das SOS-Signal sein: ··· - - - ··· (kurz, kurz, kurz, lang, lang, lang, kurz, kurz, kurz) Eine Version des Morsealphabetes: Buchstabe Code Buchstabe Code Buchstabe Code A .- J .--- S ... B -... K -.- T - C -.-. L .-.. U ..- D -.. M -- V ...- E . N -. W .-- F ..-. O --- X -..- G --. P .--. Y -.-- H .... Q --.- Z I .. R .-. --.. 10 10 Nach: Röhrich, Stefan, http://www.schuelerakademie.de/kurse/krypto/morse.html, 10.9.2003 10 2.3 Jodeln als Kommunikation Jodeln ist das wortlose Singen auf Lautsilben. Der Jodler besteht aus Tönen gebrochener Dreiklänge und wechselt zwischen Brust- und Kopfstimme, wobei in letztgenannter ungeahnte Höhen erreicht werden können. Durch Kompression erzeugt der Sänger die Druckverhältnisse in den oberen Atemwegen, die die Kopfstimme, das Falsett (ital.), oder auch Fistelstimme erst möglich machen. Die Ursprünge des Jodelns vermutet man in Tirol. Signale über größere Distanzen zu übermitteln, war die ursprüngliche Funktion des Jodelns. Die hohen Töne der Kopfstimme sind über weite Entfernungen vernehmbar. Holzfäller (und andere) haben ihre Arbeit mit dem Jodelruf aufeinander abgestimmt. Die Art der Melodie vermittelte die Bedeutung. Die Empfänger der Signale kannten deren Bedeutung und handelten entsprechend . Aus Verständigungs- und Arbeitsrufen bei Holzarbeitern, Jägern und Flößern entwickelte sich nach und nach ein ganz eigener Gesang, der mit Informationsvermittlung nichts mehr gemein hatte. Sicher ist diese These allerdings nicht. Eine andere Hypothese besagt, dass der Jodel mit seinen großen Intervallsprüngen aus dem Bedürfnis entstanden sei, die Gebirgslandschaft im musikalischen Ausdruck wiederzugeben. Je näher man den Bergen gewesen sei, desto größer der Tonumfang des Liedes. Sicher ist dagegen, dass nicht nur in Tirol gejodelt wird. Die in den oberen Atemwegen entstehenden Geräusche gibt es auch in Polen, Rumänien, Albanien und Georgien. Doch jodelähnliche Phänomene sind nicht nur auf Europa beschränkt. Gejodelt wird auch bei den Mbuti im Ituri Regenwald bei der Elefantenjagd. Bei den Bibayak-Pygmäen in Gabun sind die Frauen die besten Interpreten dieser Sangestechnik. Aber auch die kanadischen Inuits, die Indianer in Arizona, die Ureinwohner Argentiniens und Chiles und die Hulis in Papua-Neuguinea jodeln. In diesen Fällen steht auch mehr die Informationsvermittlung als ästhetisches Musizieren im Vordergrund. Die Minnesänger des Mittelalters benutzten auch schon Gesang um Informationen zu übermitteln. Das Wort Jodeln erschien 1796 zum ersten Mal in einem Wörterbuch und könnte als Fortsetzung der Minnesängerei angesehen werden. 11 „Kein Instrument kann eine Gefühlslage besser ausdrücken, als die menschliche Stimme. Das Jodeln nimmt für sich in Anspruch Liebe, Leid und Freude ganz besonders intensiv auszudrücken. Die Liebe bezieht sich nicht ausschließlich auf zwischenmenschliche Beziehungen, sondern ebenfalls auf die Liebe zur Natur, zur Heimat, zur Freiheit und auch auf die Liebe zu Gott. Leid kann mit dem Verlust etwas Wertvollem gleichgesetzt werden. Dieser Verlust weckt Sehnsüchte, die ganz besonders in der Art des schweizerischen Jodelns ihren Ausdruck finden. Schon der weitgereiste Goethe bemerkte: `Im Jodeln ist ein Sehnsuchtston zu vernehmen´. Am bekanntesten ist allerdings der Ausdruck der Freude. Dafür gibt es sogar einen Spezial-Jodler, den `Jutz´. In vielen Gesprächen wurde deutlich, dass es leicht zu beschreiben ist, wie sich die Gefühlslage im Moment des Zuhörens darbietet und welche körperlichen Reaktionen spürbar sind. Bei der Frage `warum´ bleibt es bei Erklärungsversuchen. Wenn hartgesottenen Burschen Wasser in die Augen schießt und scheinbar gefühllosen Typen die Gänsehaut (in der Schweiz Hühnerhaut genannt) über den Rücken läuft und Damen ein Kribbeln verspüren, dann sollte man meinen, Jodeln ist mehr als singen. Die Art der Töne löst im Körper und im Kopf Assoziationen aus, die möglicherweise rational nicht gesteuert werden können. In einer Zeit, da die letzten Geheimnisse der Menschheit entschlüsselt scheinen, gibt es nur sehr eingeschränkte Kenntnisse über das sensitive Wahrnehmungsvermögen von menschlichen Lauten. Im Falle des Jodelns reicht es aus, derartige Stimmlagen als angenehm, tröstlich, aufheiternd, mutmachend, beruhigend und fröhlich zu empfinden.“ 11 2.4 Die sprechenden Trommeln in Afrika Die meisten Sprachen afrikanischer Völker sind Tonsprachen. „Im Unterschied zu den meisten indogermanischen Sprachen hat der musikalische Ton in den afrikanischen Sprachen südlich der Sahara in erster Linie lexikalischwortkonstruierende sowie grammatisch-formbildende Funktion.“ 12 Alle Wortsilben haben wortbestimmende Toneigenschaften: hohe, tiefe und mittlere Sprachtöne. Das selbe Wort, gesprochen mit anderen Tonhöhen der Vokale, bedeutet auch etwas anderes. Ein Beispiel aus der Yorubasprache: Das Wort `awo´ awo (a und o in mittlerer Tonlage gesprochen) bedeutet: Haut àwò (a und o in tiefer Tonlage gesprochen) bedeutet: Farbe 11 Plieth, Helmut G., http://www.volkstuemliche-schweiz.ch/html/body_jodeln.html, 11.9.2003 12 Jungraithmayr, Herrmann: Funktion und Bedeutung der musikalischen Tonhöhe in afrikanischen Sprachen, In: Simon, Artur (Hrsg): Musik in Afrika, Berlin, 1983 12 Dies wird schriftlich durch die Tonmarken über den Vokalen ausgedrückt. Die Folge davon ist: Wenn ein Afrikaner mit Tonsprache eine beliebige Melodie hört, werden bei ihm sprachliche Assoziationen erweckt. Dieses Phänomen gibt es auch in Indien, China 13 , anderen südostasiatischen Ländern und bei einer Anzahl von Indianern in Nordamerika. Es werden Wortfolgen suggeriert, deren Sprachmelodik mit der Melodie des Instrumentalstückes übereinstimmt. Den Melodien wurden dadurch auch die Namen gegeben, deren Assoziationen sie erregen. Den umgekehrten Weg geht das Sprechtrommeln oder Sprechspielen. Beim Sprechtrommeln wird versucht, einen Satz mit melodisch rhythmischen Mitten instrumental darzustellen. Bei der Talking Drum oder Kanangó kann durch spannen der Seile während des Spielens die Tonhöhe verändert werden. Der Musiker gibt auf seinem Instrument nur die Tonmarken und den Satzrhythmus der nachgeahmten Wörter wieder. Dadurch können Nachrichten gesendet oder ganz allgemein etwas mitgeteilt werden. Das Sprechspielen auf z.B. Flöten hat im Bereich westafrikanischer Sudansprachen hohe Virtuosität erreicht. Die Aussagekraft der Instrumente ist jedoch auf allgemeinverständliche Wendungen beschränkt. Diese Wendungen sind meist sinnblidlich und bedeuten Mitteilungen, Anweisungen oder Befehle. Hier einige Beispiele getrommelter Yoruba-Wörter auf der kanangó, einer kleinen sanduhrförmigen Trommel mit veränderbarer Tonhöhe: Abb. 1: Talking Drum, Kanangó 13 In China werden sogar bis zu fünf verschiedene Sprachtöne unterschieden. 13 Die Silbenerweckung durch Melodiestrukturen gibt es auch beim Jazz, einem afro-amerikanischen Musikgenre. Beim `Scat-Gesang´ füllt der Sänger in eine vorhandene Melodie verbal sinnlose Silben, die ihm dazu einfallen. Diese phonetischen Konstruktionen kopieren den Melodiecharakter. Sogar das Wort `Bebop´ geht auf Silbenerweckung durch Melodiestrukturen zurück. Das auffallende Intervall des Tritonus wurde schließlich zum Namen dieser Musikrichtung. 14 2.5 Jagdsignale Ein Blick auf die gebräuchlichsten Instrumente in der Jagd- und in der Militärmusik zeigt, inwiefern die Voraussetzungen für Signale (hohe Frequenz und Lautstärke) bereits mittels der Intrumentierung erfüllt werden. Pikkoloflöte, Horn und Trommel sind Instrumente, die sich auch gegen Lärm behaupten können und über weite Strecken hörbar sind. Nach Karbusicky stellen Militärund Jagdsignale einen Sonderfall der musikalischen Kommunikation dar. Sie seien „der einzige Bereich des Musikalischen, in dem eine Identifizierung mit auditiver Kommunikation und einer Übertragung von Nachrichten tatsächlich gegeben ist.“ 14 Anders ausgedrückt: Nach Karbusickys Verständnis kann allein im Fall von Militär- und Jagdsignalen von einer `Musik als Sprache´ gesprochen werden. Einerseits handelt es sich um Signale, die verbindliche Handlungen auslösen. Gleichzeitig sind es ästhetische Gebilde, wenn die ästhetische Qualität auch sehr gering ist. Dazu ein Beispiel aus den Jagdsignalen: Vergegenwärtigt man sich die Möglichkeiten des für Jagdsignale gebräuchlichen Instruments, des Horns, so begreift man zum Teil schon die zwingende Einfachheit der Signale: Das Horn (ohne Ventile) verfügt nur über einen begrenzten Tonumfang, daher finden sich in den meisten Signalen nur die Dreiklangstöne c, e und g. Trotz dieser beschränkten Möglichkeiten und der Notwendigkeit des Einfachen (Das Signal muss eindeutig verstanden werden!), besteht beim Menschen offenbar eine Neigung zum Ästhetisieren. Ein weiteres Jagdsignal, der Fuchstod, soll dies verdeutlichen: 14 Karbusicky, 1986, S. 88 15 In der Rhythmik des Signals sind die Bewegungen des Fuchses, der Schuss, der ihn niederstreckt und sein Sterben versinnbildlicht: In den Takten eins bis vier sehen wir die munteren Sprüngen des schlauen Tieres. Diese werden in Takt fünf vom Schuss des Jägers beendet. Die absteigende Melodie aus vier langen Tönen in den Takten sechs und sieben steht für das Sterben des Tieres. In den Takten acht und neun schließlich erweist der Jäger – wie am Ende aller Totsignale - dem erlegten Tier seine Ehre, indem er das `Halali´ bläst. Wie wichtig neben dem ästhetischen Reiz von Jagdsignalen vor allem aber ihr Signalcharakter (Information vermitteln und eventuell Handlung auslösen) ist, und welch strengen Reglementierungen das Spielen musikalischer Signale unterliegen kann, soll ein Zitat aus einem Jägerhandbuch vom Ende des 19. Jahrhunderts verdeutlichen: „Die Signale ‚das Ganze‘, ‚Halt‘, ‚Rechter Flügel‘, ‚Linker Flügel‘, ‚Mitte‘ dürfen nie allein geblasen werden, sondern es müssen denselben die betreffenden Ausführungssignale folgen, d.h. es müssen diejenigen Signale mitgeblasen werden, welche anzeigen, was das Ganze, der rechte oder linke Flügel, die Mitte thun soll. Der Gerufene hat, sowie er das Signal hört, sofort zu antworten, indem er sein Signal bläst, und dann sogleich kommt. Ist der Gerufene nicht da, sondern hört ein anderer das Signal, so hat dieser mit seinem Signal zu antworten und sofort zu kommen. Hört z.B. ein Heger das Signal ‚Försterruf‘ und hört den Förster nicht antworten, so hat der Heger sein Signal d.h. das Signal ‚Hegerruf‘ zu blasen und zu kommen. – Signale, welche bei der Jagd vom Erbprinzen, und von der Schützenlinie ausgegeben werden, Forstpersonale nachgeblasen werden.“ müssen 15 15 Karbusicky, 1986, S. 90 16 stets vom gesamten anwesenden Ein Lobgedicht des Jägers auf sein Instrument, das Jagd- oder Pleßhorn, soll meine weitere Betrachtung der Jagdsignale einleiten: „Gefesselt hängt’s mir an der Hüfte des Waidmanns Schmuck und blanke Zier früh weckt es durch die Morgenlüfte, bläst an die Jagd: auf ins Revier! Es mahnet die Hunde, es gellt in der Not, es lockt in der Runde, es schmettert ‚Hirschtot‘!“ 16 Das Gedicht macht deutlich, welche Aufgaben das Jagdhorn erfüllt, welche Bedeutung es also für den Jäger hat. Es weckt die Jäger in der Früh, es zeigt Beginn und Ende der Jagd an, es verkündet weitere Befehle an die Jäger und die Hunde, bzw. übermittelt andere Informationen und ist nicht zuletzt ein Notrufinstrument. Wenn auch die ersten beiden Zeilen des Gedichts den schmückenden Wert des Jagdhorns an des Jägers Hüfte betonen, so richtet doch der Hinweis `es gellt in der Not´ unsere Aufmerksamkeit auf eine wichtigere Funktion. Das sichere Gelingen eines gefährlichen Unternehmens – und eine Jagd, bei der geschossen wird, ist auch für die Jäger gefährlich - hängt nicht zuletzt von gelungener Kommunikation der Teilnehmer ab. Bei der Jagd verteilen sich die Jäger im Wald, sie befinden sich außer Sichtweite voneinander. Um sich auf einfache und unmissverständliche Weise über den Verlauf der Jagd auszutauschen, bzw. Befehle zu erteilen oder entgegen zu nehmen, bedarf es eines lauten Instruments und des Verständnisses einer speziellen Signalsprache. Theoretisch wären zu diesem Zweck auch Trillerpfeifen geeignet. Walter Frevert meint jedoch, „sie würden [...] das Stimmungsvolle des Jagdablaufs im Wald und Feld grausam zerstören und keinen Anspruch auf Pflege jagdlicher Kultur erheben.“ 17 Es gibt also auch eine `jagdliche Kultur´, und die Musik, welche die Jäger auf ihren Hörnern spielen, ist ein zentraler Bestandteil dieser Kultur. Um was für eine Art von Musik handelt es sich? In einer Veröffentlichung von Feyerabendt aus dem Jahr 1582 mit dem Titel „Wie du uff der Jagt mit Horn und Stimm 16 Görner, Joh. Val., 1744, in: Frevert, Walter: Das jagdliche Brauchtum, Hamburg, 1995, S. 78 17 Frevert, 1995, S. 78 17 deinen Gesellen ein Zeichen geben solt“ 18 finden wir zwar Notenlinien, notiert sind aber pro Signal höchstens zwei Noten. Der Befehl `Hoch da´ wird als Signal allein durch den Ton g wiedergegeben. Demgegenüber stehen heutige vieltaktige, mehrstimmige und mit Text unterlegte Signale wie z.B.: Zum Essen 18 Abb. In: Frevert, 1995, S. 79 18 Wenn auch immer noch auf die Dreiklangstöne c, e und g beschränkt, gehört dieses Signal doch bereits in eine andere ästhetische Kategorie als etwa der einfache Notruf: Mit Hilfe von Parforcehörnern und Ventilhörnern in B-Stimmung lassen sich heute auch Signale mit einem größeren Tonumfang blasen. Dazu gehört unter anderem das `Große Halali´, das aber nur bei besonderen Anlässen geblasen wird. Von den sehr einfachen Signalen aus dem 16. Jahrhundert, die noch kaum musikalischen Charakter aufwiesen, bis zu den mehrstimmigen Kompositionen wie dem `Großen Halali´ und schließlich der Erweiterung des Repertoires um Stücke von außerhalb des jagdlichen Rahmens, war es ein weiter Weg für den Jäger und sein Instrument. Dennoch erfüllt das einfache Signal auch heute noch seinen Zweck bei der Jagd. Die Musikstücke, die bei festlichen Anlässen gespielt werden, haben die Signale nicht verdrängt. In Veröffentlichungen wird darauf bestanden, dass das Blasen der Signale stets den Vorrang vor dem reinen Musizieren behalten müsse. So schreibt Frevert: „Das gemeinschaftliche Blasen verbindet! Diese aufrichtige Freude am Zusammenwirken sollte im Interesse der Pflege des jagdlichen Brauchtums erhalten und gefördert werden. Die Bläsergruppen müssen aber auch ein Gefühl dafür aufbringen, welchen Sinn jagdliches Blasen hat. Sie sollten Übertreibungen vermeiden und sich Zurückhaltung auferlegen, wenn die Grenzen zu trivialen Blaskonzerten überschritten werden.“ 19 Um die Signalfiguren auf eine einheitliche Grundlage zu stellen, hat der Deutsche Jagdschutz-Verband eine Sammlung der offiziellen deutschen Jagdsignale zusammengestellt. Sie gliedert sich in `Allgemeine Signale´, `Jagdleitsignale´ und `Totsignale´. Beim Signal gibt es in der Regel keinen Text. Die Texte, die sich heute in Sammlungen von Jagdsignalen finden, sind fast ausschließlich jünger als die Musik. Das ursprüngliche Signal braucht keinen Text. Der Text verdoppelt die 19 Frevert, 1995, S. 79 19 Information, die schon im Signal enthalten ist. Könnte man unter den Bedingungen, in denen das Signal zum Einsatz kommt, einen Text sprechen und damit den Empfänger erreichen, bräuchte man kein Signal. 2.6 Signale in der Militärmusik Ähnlich wie die zu kleinen Kompositionen weiterentwickelten Signale der Jäger geht auch die heutige Militärmusik auf rein funktionale akustische Gebilde zurück. Zunächst waren das „vor allem Signale zur Übermittlung von Befehlen, seit ca. 1660 auch Märsche.“ 20 Musikinstrumente wurden jedoch schon viel früher als Signalgeber benutzt. Die Bibel belegt ihren Gebrauch zu vorchristlichen Zeiten, wenn das Volk Israel zum Krieg rüstete. So heißt es im 4. Buch Mose, Kapitel 10: „Der Herr sprach zu Mose: Mach dir zwei silberne Trompeten! Aus getriebenem Metall sollst du sie machen. Sie sollen dir dazu dienen, die Gemeinde einzuberufen und den einzelnen Lagern das Zeichen zum Aufbruch zu geben. [...] Wenn ihr in eurem Land in einen Krieg mit einem Gegner verwickelt werdet, der euch bedrängt, dann blast mit euren Trompeten Alarm!“ 21 Im römischen Heer verfügte jede Legion über 39 Tuba- und 36 Hornbläser, die 43 verschiedene Signale kannten. Sie standen im Offiziersrang und wurden oft gemeinsam mit Heerführern abgebildet, was auf ihr großes Ansehen hinweist. Dieses Ansehen genossen sie jedoch als Soldaten, nicht als Künstler. „Trotz der zweifellos großen Bedeutung der Signalgebung im römischen Heer und des daraus resultierenden hohen Ansehens der Bläser [...] galten diese nicht als Künstler, sondern als Soldaten, die einen besonderen Dienst leisteten. Schon im römischen Heer gab es neben der Signalgebung ein Auftreten aller Bläser zu Repräsentationszwecken.“ 22 Die Notwendigkeit lauter Instrumente, um im Schlachtlärm und über weite Strecken Signale zu übermitteln, ist mit der Erfindung des Funkgeräts und anderer technischer Möglichkeiten der Informationsübermittlung verschwunden. 20 Hofer, Achim: Militärmusik/Einleitung in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Sachteil 6, Finscher, Ludwig (Hrsg.), Kassel, Stuttgard, 1997, S. 269 21 Die Bibel, Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart, 1999, S. 148 f. 22 Höfele, Berhard: Militärmusik/Altertum in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Sachteil 6, Finscher, Ludwig (Hrsg.), Kassel, Stuttgard, 1997, S. 271 20 Militärmusik gibt es weiterhin. Jedoch ist ihr Einsatz heute größtenteils auf festliche Anlässe beschränkt. Die Repräsentationszwecke, welche im römischen Heer die Ausnahme bildeten, sind heute die Regel. Früher dienten die Signale der Militärmusiker der Übermittlung von Botschaften. Heute dient ihre Aufführung der Traditionspflege und der Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls. Wenn auch die Notwendigkeit für akustische/musikalische Signale im Zuge der Entwicklung neuer technischer Möglichkeiten der Kommunikation verlorengeht, so können die Signale doch erhalten bleiben. Ihrer ursprünglichen Botschaft wird eine andere Bedeutung zugeschrieben, vielmehr ein anderer Wert, da nicht mehr von der Bedeutung eines Zeichens im Sinne der Semantik gesprochen werden kann. So ist der `Große Zapfenstreich´ ein Beispiel dafür, wie Signale im Laufe der Zeit ihre Bedeutung ändern oder verlieren und damit nicht länger als Signale bezeichnet werden können. Aus dem Signal des `Zapfenstreichs´, das früher den Soldaten das Ende des Abends anzeigte, hat sich in Jahrhunderten ein festliches Zeremoniell und nationales Ritual entwickelt. Aufgrund von praktischer Notwendigkeit hat sich dagegen eine andere Signalart bis in unsere Tage halten können. Diese wird im kommenden Abschnitt behandelt. 2.7 Hirtensignale Viele musikalische Signale haben im Laufe der Zeit ihre Bedeutung verändert oder sogar verloren. Die Signale von Viehhirten gibt es aber schon seit dem Mittelalter und sie werden damals wie heute noch verwendet. Die Kommunikation, die durch akustische Ereignisse zwischen Hirt und Tierbesitzer zustandekommt hat folgenden Zweck: „Die Viehirten setzen die Tierbesitzer morgens mit Hilfe der Signale davon in Kenntnis, daß der Austrieb der Herde bevorsteht, und veranlassen sie, die Tiere von ihren Ständen im Stall loszubinden und auf die Straße herauszulassen.“ 23 Es sind musikalische Gebilde von unterschiedlicher Länge, die sich selten bis gar nicht an ein Metrum halten. Die Tonalität ist auf die Töne des Durdreiklangs beschränkt. Je geringer die zu überwindenden Distanzen sind desto kürzer ist das Musikstück. Es kann aber auch die durchschnittliche Länge eines Volksliedes überschreiten. 23 Kaden, Christian: Hirtensignale – Musikalische Syntax und kommunikative Praxis, Leipzig, 1977, S. 21 21 Kommen die Tiere Mittags von der Weide und werden nachmittags wieder zur Weide geführt, signalisiert der Hirt auch diesen zweiten Austrieb. Der Hirt gibt sein Signal entweder von bestimmten Fixpunkten in der Siedlung aus, von denen er mehrere Tierbesitzer erreichen kann, oder während er einzelne Straßenzüge durchläuft. In besonderen Fällen kommt auch bei der Heimkehr der Weidetiere am Abend ein Signal zum Einsatz. Wesentlich seltener sind kommunikative Beziehungen zwischen Hirt und Tierbesitzer während des Weideganges belegt: Wenn der Herde Gefahr droht, knallen die Hirten mit der Peitsche, wenn sie von den Bergwiesen herunterjodeln, ist bei der Herde alles in Ordnung. 24 Am häufigsten sind die „instrumental-musikalischen“ Signale, die auf Tierhörnern, Natur-Holztrompeten, Metallblasinstrumenten, Flöten oder Pfeifen gegeben werden. Ferner gibt es „instrumental-prämusikalische“ Signale, die auf Peitschen, Klirrstöcken und Klappern erzeugt werden, „vokal-musikalische“ und „vokal-prämusikalische“ Signale, worunter Rufe fallen. 25 Der Hirte passt seine Signalgebung den äußeren Umständen an: In einem kleinen Dorf müssen nur kurze Distanzen überwunden werden. Folglich kann er nur kurz singen oder mit der Peitsche knallen und er wird gehört. Zur Überwindung von weiten Strecken bedient er sich des Jodelns oder der Blasinstumente, da dies lauter ist. Die Kommunikation funktioniert in diesem Fall eher über den Zeitpunkt des Signals, als über das Musikalische. Denn die Hutungwirtschaft orientiert sich an festen Zeiten. Somit ist klar, was mit einer geblasenen Melodie in der Früh, der Zeit des Herdenaustriebs gemeint ist. Die Arbeitssignale der Hirten haben folglich keine weitreichende Konventionsbasis wie etwa die Jagd- oder Militärsignale. Sie werden von den jeweiligen Kommunikanten festgelegt. Eine wichtige Quelle dieser Musik waren die Postsignale. Zwischen Hirten und der geführten Herde kommt ebenfalls musikalische Kommunikation zustande: „Das Lenken einer Herde mit Hilfe musikalischer oder prämusikalischer Signale gehört zu den wichtigsten Aufgaben eines Hirten.“ 26 Er kann durch musizieren auf einem Instrument oder durch singen während des Weideganges die Tiere beruhigen und so die gleichmäßige Bewegung der Tiere unterstützen. Durch bestimmte geblasene Töne ändert die Herde, ein Teil der Herde oder ein Einzeltier die Bewegungsrichtung. 24 Nur im Harz belegt. 25 Bezeichnungen stammen von Christian Kaden, 1977 26 Kaden, 1977, S. 24 22 Es gibt jedoch nur vereinzelt Nachweise für arbeitsfunktionalen Informationsaustausch mit Hilfe musikalischer Mittel zwischen verschiedenen Hirten. Es sind überwiegend Formen belegt, die ästhetische Wirksamkeit besitzen. Treffen sich Hirten, blasen sie gemeinschaftlich Lieder oder führen sich gegenseitig ihre Signale vor. Das gestaltet die Weidezeit für sie unterhaltsam und beruhigt gleichzeitig die Herde. 3. Konvention als Vorraussetzung der Kommunikation mittels Codes Man kann sich aus dem Stegreif keine komplizierten Geschichten mittels Musik erzählen, da der Informationswert, wenn einer besteht, nicht eindeutig ist. Sinnübermittlung und Kommunikation können nur funktionieren, wenn vorher klar gemacht wird, was bestimmte Zeichen, Melodien oder Rhythmen zu bedeuten haben. Theoretisch könnte man so alles sagen, was sich auch durch Sprache ausdrücken ließe, da man jedes Wort oder jeden Buchstaben in rhythmische und melodische Signale kodieren kann. Sprache funktioniert auch nur, weil diese Zeichenanwendung im jeweiligen Sprachraum konventionalisiert wurde. Musikalische Affekte geben jedoch Aufschluss über die emotionale Stimmung, und musikalisch-rhetorische Figuren sind Bruchteile von konkreten Bedeutungen. Töne bringen uns wahrscheinlich unseren Wurzeln näher. Die Assoziationen die wir beim Hören von Musik verspüren sind vielleicht gar nicht so persönlich wie wir dachten. Möglicherweise erinnert uns unser Stammhirn nur an archaische Codes die in der Vorzeit zu einer Art `Common Sense´ der Verständigung gehörten. So wie alles Leben aus dem Wasser kam, und im Mutterleib dieses Milieu von Temperatur und Salzgehalt nachempfunden wird, so bringen uns archaische Laute unserem Erbe an intuitivem Musikverständnis näher. Musikalische Signale eignen sich in manchen Bereichen besser als Sprache zur Informationsübertragung. Deshalb haben sie einen festen Platz in unserer Umwelt. Was alle kommunikativen Codes vereint, ist die Kommunikation über Zustände und Verhältnisse von Objekten in der physischen Welt. Wassily Kandinsky rückt in seinem Buch: `Über das Geistige in der Kunst´ die Künste zusammen und ordnet jeder Farbe ein Instrument zu. Aber wesentlich ist 23 folgender Aspekt: Er bewundert die Abstraktion der Musik vom Objekt und fordert eine solche Abstraktion auch für die Malerei ein. Musik ist unabhängig vom Objekt, vom natürlichen Vorbild, die Töne wirken für sich und bilden nicht etwa einen Heuhaufen oder ein Portrait ab. Aber Musik kann auch objekthaft sein, kann Bilder ins Bewusstsein rufen. Sie ist nicht nur abstrakt sondern kommunikativ, sei es im Erwecken von Emotionen oder im Vermitteln von konkreten Informationen. Oft findet beides gleichzeitig statt. Der militärische Führer, weiß beim Formalsdienst an welchen Takt er seinen Gleichschritt anzupassen hat, andererseits fühlt er sich heroisch und eingebettet in die pompösen Anteile der Marschmusik. Dieser Dualismus ist auch in der Hirtenmusik erkennbar, indem der Hirte seinen Schafen, deren Fressfeinden und den Viehbesitzern seine Anwesenheit signalisiert und sich selbst auf der anderen Seite entrückt fühlt durch die Klänge die er in der Einsamkeit erzeugt. Diese Arbeit will deutlich machen, dass eine Definition von Musik in jedem Falle diese kommunikativen Aspekte berücksichtigen muss, und die Ästhetik auch in der Musik objektorienttiert arbeiten kann. Die völlige Befreiung vom Objekt in der Musik ist nicht so umfassend wie Kandinsky es in seinem Buch bewundernd feststellt. 24 4. Quellen- und Bildnachweis Bücher und Zeitschriften: Die Bibel, Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart, 1999 DER SPIEGEL, Nr 31, Hamburg, 28.7.2003 EGGEBRECHT, Hans Heinrich: „Musik im Abendland“, München, 1996 FINSCHER, Ludwig (Hrsg.): „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“, Sachteil 6, Kassel, Stuttgard, 1997 FREVERT, Walter: „Das jagdliche Brauchtum“, Hamburg, 1995 FUNK-HENNIGS, Erika: „Deutsche Militärmusik nach 1945“, in: FORUM Jazz Rock Pop, 1999 HANSLICK, Eduard: „Vom Musikalisch-Schönen - Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst“, Leipzig, 1854 KADEN, Christian: „Hirtensignale – Musikalische Syntax und kommunikative Praxis“, Leipzig, 1977 KANDINSKY, Wassily: „Über das Geistige in der Kunst“, Bern, ca. 1980 KARBUSICKY, Vladimir: „Grundriß der musikalischen Semantik“, Darmstadt, 1986 SIMON, Artur (Hrsg): „Musik in Afrika“, Berlin, 1983 WANG, Mei-chu: „Die Rezeption des chinesischen Ton-, Zahl- und Denksystems in der westlichen Musiktheorie und Ästhetik“, Frankfurt a.M., 1985 Internetseiten: http://www.schuelerakademie.de/kurse/krypto/morse.html, 10.9.2003 http://www.volkstuemliche-schweiz.ch/html/body_jodeln.html, 11.9.2003 http://www.multikulti.de/de/main/f/reisefieber_archiv_3757.phtml, 11.9.2003 Bildnachweis: Abb. 1, S. 13: http://www.ebay.de, 15.9.2003 25