Möglichkeiten und Grenzen der Sinnübermittlung und

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Möglichkeiten und Grenzen der Sinnübermittlung und
Universität Hildesheim
25.9.2003
Sommersemester 2003
Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis
Vordiplomshausarbeit Hauptfach Musik
Dozent: Dr. Andreas Hoppe
Möglichkeiten und Grenzen der Sinnübermittlung und
Kommunikation mittels Musik
Hausarbeit vorgelegt von Martin Fahn
Semesterzahl: 4
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31141 Hildesheim
 05121 – 691513
 0160 – 483 68 56
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1
Gliederung der Hausarbeit:
1
Die Stellung der Musik unter den kommunikativen Codes
2.1 Die Affektenlehre und Sinnübermittlung durch Tonfolgen
2.2 Das Morsealphabet als musikalische Sprache
2.3 Jodeln als Kommunikation
2.4 Die sprechenden Trommeln in Afrika
2.5 Jagdsignale
2.6 Signale in der Militärmusik
2.7 Hirtensignale
3.
Konvention als Vorraussetzung der Kommunikation mittels Codes
4.
Quellen- und Bildnachweis
2
1 Die Stellung der Musik unter den kommunikativen Codes
Schon Darwin vermutete 1871 in `The Decent of Man´, dass vormenschliche
Männer und Frauen, die noch nicht mit der Poesie der Sprache gesegnet
waren, sich möglicherweise mit Tönen und Rhythmen umwarben. Auch Eckart
Altenmüller vom Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin in Hannover
glaubt, dass Frühmenschen schon vor der Entstehung der Sprache mittels
einfacher Musik kommunizierten. Der Leipziger Psychologe Stefan Kölsch geht
noch
weiter
und
meint,
dass
die
Menschen
ohne
ausgesprochenes
Musikverständnis gar keine Sprache lernen könnten. Der Forscher führt zu
seiner Argumentation die Prosodie oder Satzmelodie in jeder Sprache an, die
emotionale Botschaften des Gesprochenen transportiert. Er fand auch heraus,
dass Musik jenes Zentrum des Gehirns aktiviert, das als eines der wichtigsten
Sprachzentren gilt: das so genannte Broca-Areal. Ist Musik eine Art Sprache?
Wie kann Musik Informationen übertragen? Inwiefern kann Musik der
Sinnübermittlung und der Kommunikation dienen?
Es gibt musikalische oder akustische Signale, die direkt Sinn oder
Informationen übertragen. Dazu gehören das Morsealphabet, das ursprüngliche
Jodeln, Jagd- und Militärsignale, Hirtensignale, Trommelsignale und Gesänge
anderer Kulturkreise. Weiterhin gehören Sirenen von Rettungsfahrzeugen oder
auch musikalische Erkennungssignale in der Rundfunkwerbung dazu. Auch das
früher bekannte Posthorn sei hier zu nennen. Diese Klangereignisse hatten
oder haben die Funktion zu informieren und eventuell auch Handlungen
auszulösen. Damit dies funktioniert, müssen derartige Signale verbindlich
konventionalisiert sein. Sie müssen außerdem so beschaffen sein, „daß sie den
Empfänger optimal erreichen und ihm die Botschaft verläßlich übermitteln“ 1.
Dazu nutzen sie eher höhere Tonlagen, die sich von anderen Geräuschen
abheben und besser zu orten sind, als lange Wellen tiefer Töne. Aus dem
selben Grund rufen wir eine Person aus großer Entfernung ganz unbewusst in
hoher Stimmlage und in der Regel mit einer fallenden kleinen Terz: `Ha-lo´. Der
Muezzin im Islam ruft mit einer Art Sprechgesang zum Gebet, um gut
verstanden zu werden und große Distanzen zu überwinden. Aber nicht nur den
konventionalisierten Signalen geben Forscher eine informative Bedeutung.
1 Karbusicky, Vladimir: Grundriß der musikalischen Semantik, Darmstadt, 1986, S. 87
3
Fanfaren und Hymnen vertreten Werte und lösen emotional motiviertes
Handeln aus. Arbeitslieder schaffen ein Zusammengehörigkeitsgefühl und
machen Mut. Lieder von Wanderhandwerkern und Hausierern sollen deren
Ankunft
im
Dorf
verkünden.
Aber
auch
einzelne
Tonfiguren
in
Instrumentalstücken können etwas bedeuten. In der Epoche der Romantik
wurde
die
Musik
als
`Sprache
der
Gefühle´
bezeichnet.
Bestimmte
Instrumentierung, Dynamik oder Melodien lösen in uns Affekte aus. Dies wird
z.B. in der Filmmusik stark ausgereizt. Die eine Melodie klingt wehmütig nach
Schmerz und Klage, die andere ist lustig, erregt und fordert zum tanzen auf,
während eine dritte majestätisch das Heldentum beschwört. Dass aber ein Ton,
ein Intervall oder ein bestimmtes Motiv Bedeutung transportiert, scheint auf den
ersten Blick ihrer Substanz zu widersprechen. Musik besteht aus zunächst
bedeutungslosen, spielhaften, unbestimmt ansprechenden Tonformen und
Klangereignissen. Und doch sind wir durch musikalische Wiederholungen und
Variationen gefühlsmäßig gerührt und glauben eine Art Sinn artikulieren zu
können. Bei manchen Klangkulissen haben wir Bilder vor den Augen, die jedoch
nicht eindeutig zur Musik zuzuordnen sind. Wir nehmen in tönenden Strukturen
irgendwelche Ereignisse wahr: zwitschernde Vögel, donnernde Wolken oder
den Galopp wilder Pferde.
Dennoch bezeichnen manche Wissenschaftler die Musik als Tonreihen, die
„keinen anderen Inhalt als sich selbst“
2
haben. Eduard Hanslik griff auch das
Dogma der Sprachadäquanz an: „Die schädlichsten und verwirrendsten
Anschauungen sind aus dem Bestreben hervorgegangen, die Musik als eine Art
Sprache aufzufassen“ 3 . „Der polnische Ästhetiker Stefan Morawski betrachtete
die Musik sogar als eine Art asemantische Kunst, die zwar Zeichen anwendet,
diese aber auf nichts verweisen“
4
. Mit Semiotik und Semantik in der Musik
beschäftigte sich auch Vladimir Karbusicky in seinem Werk: `Grundriß der
musikalischen Semantik´ von 1986. Karbusicky steht einer Definition von Musik
als auditiver Kommunikation sehr kritisch gegenüber. Die kommunikative
Funktion sei eine mögliche, jedoch nicht die bestimmende Funktion von Musik.
Zur Semantik der Hirtenmusik schrieb Christian Kaden: Hirtensignale –
Musikalische Syntax und kommunikative Praxis.
2 Hanslick, Eduard: Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der
Tonkunst, Leipzig, 1854, S. 206
3 Hanslick, 1854, S. 112
4 Karbusicky, 1986, S. 29
4
Im
Folgenden
wird
behandelt,
welche
Art
von
Klangereignissen
zur
Kommunikation dienen können, und wie Musik und akustische Signale
Informationen transportieren. Da bedeutungstragende Elemente sowohl in
klassischer abendländischer Musik, wenn auch nicht konkret, als auch in
Signalmusik vorkommen, wird hier beides behandelt. Erst wird die Semantik in
der klassischen Musik umrissen, um dann auf konkrete Ergebnisse bei dem
Sonderfall der Signale eingehen zu können.
2.1 Die Affektenlehre und Sinnübermittlung durch Tonfolgen
Bis zum Aufkommen der Affektenlehre um 1650 galt Musik nur als Begleitung
zum Wort. Erst durch die Haltung, Musik könne auch ohne Text Affekte wie
Liebe, Trauer, Klage, Fröhlichkeit, blinde Wut, Mitleid, Furcht, Beunruhigung,
Kühnheit
und
Verwunderung
darstellen,
hat
sich
das
geändert.
Instrumentalmusik konnte folglich auch für sich alleinstehen. Musik ohne Text
wurde seit dem 18. Jahrhundert sogar als Tonsprache anerkannt. Musik war
einerseits Ausdruck der psychischen Befindlichkeit des Künstlers und konnte
andererseits die Natur nachahmen. Dieser Wertgewinn der Musik schuf sowohl
die Basis für Oper und Passionspiel, als auch für musiksemantische Forschung.
Seither kann Musik bewusst eingesetzt werden, den textlichen Inhalt z.B. einer
Arie mit musikalischen Affekten zu unterstützen und zu verstärken.
Musik bietet viele Möglichkeiten etwas auszudrücken. Wir müssen um den
Informationsgehalt berechnen zu können nicht nur die Tonhöhe heranziehen,
sondern auch die Kombinationen von Intonation, Timbre, rhythmischer Agogik,
Instrumentierung und Dynamik sowie den formalen oder semantischen Apell
berücksichtigen. Musik ist hierbei nicht mit Sprache gleichzusetzten, da sie kein
Vokabular mit direkten Denotationen hat. „So ist die Musik [...] eine `nonrepresentative´ (nicht verweisende, nicht-darstellende) Kunstart; trotzdem muß
man sich mit ihrer `significance´ befassen.“ 5
Bei Karbusicky begegnet man einer kategorisch differenzierenden Einteilung
der musikalisch bedeutsamen Zeichen in hauptsächlich drei Gruppen, die sich
aber auch überschneiden können: Ikone, Indices und Symbole. Ikone sind
direkte Nachahmungen und Abbilder von z.B.: Vogelrufen, Schlachtengeräusch,
Blitz und Donner. Indices sind Anzeichen für etwas. Wie Rauch ein Anzeichen
5 Karbusicky, 1986, S. 80
5
für Feuer ist, werden musikalische Interjektionen (z.B.: `Oh-weh!´ ein Tonsprung
von einer Sekunde nach unten) als Zeichen von Affekten betrachtet. Symbole
sind willkürliche, verabredete oder auch figürliche Zeichen. Ein Beispiel in der
Musik ist das Läuten von Glocken. Allein eine Idee, ein Programm oder ein
Liedtitel impliziert schon eine gewisse Deutungsrichtung.
„Die vierte Abteilung der Symphonie fantastique von Hector Berlioz ist überschrieben `Der
Gang zum Richtplatz´, und im Programm heißt es, der Held träume, er habe seine
Geliebte getötet, sei deshalb zum Tode verurteilt worden und wohne jetzt seiner eigenen
Hinrichtung bei. Ein Marsch begleitet den Zug in dumpfen Schritten und lärmenden
Ausbrüchen. Zuletzt erklingt wiederum die Idée fixe (die sich – so weiß der Hörer aus dem
Programm – auf die Geliebte bezieht), aber hier erscheint dieses Thema nur einen
Augenblick, gleichsam als ein letzter Liebesgedanke, den der Todesstreich unterbricht.
Die Musik ist sehr realistisch. Aus dem abrubt verstummenden Fortissimo-Getön des
Orchesters löst sich die Soloklarinette, dolce assai e appassionato erklingt die Idée fixe;
im g-Moll-Fortissimo-Akkord des vollen Orchesters schlägt das Beil zu, pizzicato in den
Streichern fällt der Kopf, der den Liebesgedanken dachte, herab bis zum tiefen G.“
6
Wenn ein Hörer den Inhalt des Programms nicht kennt, öffnet sich der Gehalt
des Stücks ins Unkonkrete, Unbestimmte und Weiträumige, ohne aber ganz zu
verschwinden. Es bleibt seiner Phantasie überlassen, wie diese Öffnung gefüllt
wird, wobei die Klangereignisse des Orchesters einen gewissen Rahmen bilden,
der die Möglichkeiten der Imaginationen durchaus begrenzt. Ein anschauliches
Beispiel für die semantischen Ebenen Ikon, Index und Symbol ist der erste Satz
der ersten Sinfonie Gustav Mahlers.
„Der Satz wird eröffnet mit einem Klangbild vom Naturrauschen, mit einem minimalen
Geräuschpegel
aus
ausgehaltenen
Oktaven
und
fallenden
Quarten:
`langsam,
schleppend; wie ein Naturlaut´, wie es Mahler in der Partitur vorschreibt. Leise ertönt aus
weiter Ferne eine Fanfare – hier ein Symbol der erwachenden Aktivität. In Takt 29 erklingt
ein Ikon – der Kukucksruf, stilisiert in synkopiertem Quartfall (Mahlers Hinweis: `Der Ruf
eines Kukucks nachzuahmen´). Viermal erklingt er in der Klarinette, ihm antwortet eine
gedehnte Sequenz der Hörner, Instrumente, die traditionell die raumakustische Qualität
eines Geschehens im Freien darstellen und symbolisieren. Die Trompetensignale
aktivieren die Klangstruktur – eine Art Auflehnung gegen die Vorwegnahme des tragisch
klingenden Themas des 3. Satzes. Der Kukucksruf, der inzwischen mehrmals, fast trotzig
erklang, wird nun entsemantisiert: er verwandelt sich in eine Baßfigur der Tanzmusik – die
gestochene (staccato) Quarte hat nun eine nur noch strukturtragende Funktion. Dieser
6 Eggebrecht, Hans Heinrich: Musik im Abendland, München, 1996, S. 684-686
6
Teil (ab T. 63), in dem das Genre einer funktionellen Musik dominiert, bekommt seine
Semantik erst auf der kontextuellen Ebene des Ganzen: ein bildhaftes Symbol des
Naturlebens – eines Volksfestes im Freien, ähnlich wie bei Beethoven der Bauerntanz (in
der Pastoralsymphonie). In einer Art Durchführung wird das erste Naturbild (mit neu
auftauchenden Kukucksrufen) mit dieser Tanzszene verflochten.“
7
Durch die Entwicklung vom Kukucksruf zur Bassfigur zeigt Mahler die
Anwendbarkeit von Entsemantisierung und dadurch auch einen Wandel der
Bedeutung. Die Entdeckung solcher bedeutungstragender musikalischer
Zeichen können wir jetzt noch etwas allgemeiner fassen.
An zwei konkreten Beispielen haben wir die mögliche Bedeutung von
musikalischen Stilmitteln gesehen. Da man mit diesen Zeichen ähnlich arbeiten
kann wie mit sprachlicher Rhetorik, werden sie allgemein als musikalischrhetorische Figuren bezeichnet. Hier werden sie definiert und ihnen allgemeine
Bedeutungen zugeschrieben.
Wiederholungsfiguren:
Figur
Beschreibung
Sinn
Climax/Gradatio
Dreimalige Treppe vgl.
Sequenz/aufwärts(abw.)
Eindringlichkeit, Steigerung,
Nachdruck, Schlusswirkung
Epizeuxis
Einfache, doppelte identische
Wiederholung
Unmittelbare, nachdrückliche
Wiederholung
Repetitio/Anapher
Periodenwiederholung
Beziehung, Relation, auch:
Leidenschaften,
Wildheit/Verächtlichkeit
Epanalepsis/Complexio
Wiederholende Einrahmung
eines Wortes/Periode (Singet,
rühmet und lobet, singet)
Klarheit schaffend,
Ausdruckswiederholung,
Verstärkung
Anadiplosis
Endton=Anfangston einer
neuen Phrase
Verbindung schaffend
Paronomasia/Traductio
Variierte, nachdrückliche
Wiederholung (mehr Noten,
verziert)
Verstärkung
Abruptio
Unerwartetes Abreißen,
Zerreißen der Musik
Temperamentsausbruch,
Schlusswirkung, Resignation
Aposiopesis
Generalpause, Verstummen
Untergang, Nichts, Tod,
Endlosigkeit, Unsagbares
Pausenfiguren:
7 Karbusicky, 1986, S. 37
7
Tmesis
Zerschneiden der Melodie
durch Pausen
Figur
Trennung von Freunden/von
Gott
Beschreibung
Sinn
Suspiratio
Zerschneiden der Melodie
durch Seufzer
Mühe, Arbeit, Trauer
Apokope
Kürzung, Abschneidung der
letzten Note
Frage oder Verneinungen
Abbildung/Nachahmung (Descriptio, Illustratio):
Hypotyposis
Fast optische Abbildung der
Textbedeutung, Tonmalerei
Anschaulichkeit,
Überzeugung, Lebhaftigkeit
Anabasis/Katabasis
Sichtbarer Aufstieg/Abstieg
der Tonbewegung
Auf- und Abstieg auch im
übertragenen Sinne
Circulatio
Kreisbewegung
Verzierung, Kreisbewegung,
Abbild des Vollkommenen
Fuga, Immitatio
Echo der nachfolgenden
Stimmen, fugato –
Nachahmung, Kunstfertigkeit,
Kanon
Flucht, Fliehen, Eile,
Schnelligkeit, sukzessive
Handlungen, auch albernes
„Nachäffen“
Diminutio
Verkleinerung der Notenwerte
Untertreibung
Noema, auch als Antitheton
Akkordisch, homophon nach
polyphon
Gedanke, Entschluss,
Bestärkung, Gegensatz, auch
Intrige in der Oper
Quarta falsa
Tritonus
Das Unreine, Falsche,
Übeltäterische, Mangel,
Übermaß
Parrhesia
Querstand
Ambivalente Gefühle, Tod
Christi als Erlösung
Passus duriusculus
Harter Schritt, Chromatik aufoder absteigend
Sünde, Leid,
Gemütsbewegung
Transitus
Durchgang
Übergang, Verbindung, Zierde
Heterolepsis
Angesprungene Nebennote
oder Terzfall
Freiheit, andere ekstatische
Zustände
Multiplicatio
Vervielfältigung eines
Vibration, Erregung
Durchgangs (Transitus), Triller
Accentus
Betonung, als Vorschlag von
oben oder unten oder nach
oben angehängt
Verstärkung von langen Silben
oder Ausdruckselementen
Verminderter Septakkord
Zweifel
Trugschluss
Betrug
Neapolitaner
Todessehnsucht
Dissonanzfiguren:
8
8 Nach: Eggebrecht, Hans Heinrich: Musik im Abendland, München, 1996, S. 366 - 388
8
Hier wird deutlich, wie eng begrenzt die Möglichkeiten einer musikalischen
Zeichentheorie sind. Denn sowohl Symbole, als auch Ikone ergeben nur
oberflächliche, aber nicht essentielle Merkmale der musikalischen Gestaltung.
Sie sind nur Fragmente, die von der Hörimagination zu einem Ganzen
verbunden werden. Der Hörer darf eine Musikstruktur auch falsch verstehen, da
die Musik trotzdem semantisch unbestimmt ist.
Während beim Sprechen alle indexikalen Nuancen sofort registriert werden
(z.B.: eine verhüllte Drohung, Ironie, Resignation, Hoffnung) sind sie im
Musikalischen unscharf, und nur annähernd identifizierbar. Durch musikalische
Signale ist konkrete Informationsübermittlung und sogar Kommunikation
möglich, sie bedienen sich aber nur wenig an dem ästhetischen Reichtum der
Musik.
Wir sehen, dass Deutungen der Musik als Kommunikation voreilig und
empirisch unverifiziert sind. Ein Sonderfall ist das bekannte Schicksalsmotiv aus
Beethovens Sinfonie Nr.5 (g-g-g-es). Beethoven soll gesagt haben: „So klopft
das Schicksal an die Pforte.“
9
Dieses Motiv wurde durch eine Konvention nach
dem 2. Weltkrieg auch als Symbol für `Victory´ verwendet. Durch Zufall ist das
Motiv rhythmisch identisch zum `V´ im Morsealphabet (kurz-kurz-kurz-lang).
Beim Heranziehen des Morsealphabets zur Deutung der rhythmischen
Strukturen in der Musik kommt man sicher auf eine Vielzahl von Buchstaben,
die wahrscheinlich jedoch nicht beabsichtigt waren und deshalb nichts
bedeuten. Für sich selbst ist diese Informationscodierung jedoch ein
musikalisches Mittel der Kommunikation.
2.2 Das Morsealphabet als musikalische Sprache
Das Morsealphabet wurde in seiner ersten Fassung 1832 von Samuel F. B.
Morse entwickelt, nachdem dieser auf einer Schiffahrt von Europa nach
Amerika die Idee gehabt hatte, einen auf Elektromagnetismus beruhenden
Telegraphen zu bauen. In diesem Code, der aus Punkt (kurzer Ton), Strich
(langer Ton) und einer Lücke (Pause) besteht, werden die Buchstaben durch
verschiedene Kombinationen aus Punkten (kurzen Tönen) und Strichen (langen
Tönen) dargestellt; getrennt werden die Zeichen durch eine Lücke.
9 Karbusicky, 1986, S. 12
9
Bei der Übertragung bleibt die Tonhöhe immer gleich, es kommt nur auf den
Rhythmus an. Damit die Übertragungszeiten der Botschaften nicht zu lang
werden, zählte Morse in einer Druckerei die Häufigkeit der einzelnen zum Druck
verwendeten Lettern, um so den häufigen Buchstaben kurze Kombinationen,
den seltenen längere Kombinationen zuzuweisen. Bei der Codierung von 26
Buchstaben mit zwei verschiedenen Zeichen wurden die Kombinationen für
einen Buchstaben aus mathematischer Notwendigkeit bis zu vier Zeichen lang.
Später wurde der Code gerade in dieser Hinsicht noch einige Male überarbeitet
und es entstanden verschiedene Variationen in Europa und den USA. Der
Morsecode wurde zwar seit der Einführung des Sprechfunks immer mehr
zurückgedrängt, wird aber immer noch verwendet und gehört auch heute noch
zu
jeder
Funkerausbildung.
Das
wohl
jedem
bekannte
Beispiel
des
internationalen Morsealphabetes dürfte das SOS-Signal sein: ··· - - - ···
(kurz, kurz, kurz, lang, lang, lang, kurz, kurz, kurz)
Eine Version des Morsealphabetes:
Buchstabe
Code
Buchstabe
Code
Buchstabe
Code
A
.-
J
.---
S
...
B
-...
K
-.-
T
-
C
-.-.
L
.-..
U
..-
D
-..
M
--
V
...-
E
.
N
-.
W
.--
F
..-.
O
---
X
-..-
G
--.
P
.--.
Y
-.--
H
....
Q
--.-
Z
I
..
R
.-.
--..
10
10 Nach: Röhrich, Stefan, http://www.schuelerakademie.de/kurse/krypto/morse.html, 10.9.2003
10
2.3 Jodeln als Kommunikation
Jodeln ist das wortlose Singen auf Lautsilben. Der Jodler besteht aus Tönen
gebrochener Dreiklänge und wechselt zwischen Brust- und Kopfstimme, wobei
in
letztgenannter
ungeahnte
Höhen
erreicht
werden
können.
Durch
Kompression erzeugt der Sänger die Druckverhältnisse in den oberen
Atemwegen, die die Kopfstimme, das Falsett (ital.), oder auch Fistelstimme erst
möglich machen.
Die Ursprünge des Jodelns vermutet man in Tirol. Signale über größere
Distanzen zu übermitteln, war die ursprüngliche Funktion des Jodelns. Die
hohen Töne der Kopfstimme sind über weite Entfernungen vernehmbar.
Holzfäller (und andere) haben ihre Arbeit mit dem Jodelruf aufeinander
abgestimmt. Die Art der Melodie vermittelte die Bedeutung. Die Empfänger der
Signale
kannten
deren
Bedeutung
und
handelten
entsprechend . Aus
Verständigungs- und Arbeitsrufen bei Holzarbeitern, Jägern und Flößern
entwickelte sich nach und nach ein ganz eigener Gesang, der mit
Informationsvermittlung nichts mehr gemein hatte. Sicher ist diese These
allerdings nicht. Eine andere Hypothese besagt, dass der Jodel mit seinen
großen
Intervallsprüngen
aus
dem
Bedürfnis
entstanden
sei,
die
Gebirgslandschaft im musikalischen Ausdruck wiederzugeben. Je näher man
den Bergen gewesen sei, desto größer der Tonumfang des Liedes.
Sicher ist dagegen, dass nicht nur in Tirol gejodelt wird. Die in den oberen
Atemwegen entstehenden Geräusche gibt es auch in Polen, Rumänien,
Albanien und Georgien. Doch jodelähnliche Phänomene sind nicht nur auf
Europa beschränkt. Gejodelt wird auch bei den Mbuti im Ituri Regenwald bei der
Elefantenjagd. Bei den Bibayak-Pygmäen in Gabun sind die Frauen die besten
Interpreten dieser Sangestechnik. Aber auch die kanadischen Inuits, die
Indianer in Arizona, die Ureinwohner Argentiniens und Chiles und die Hulis in
Papua-Neuguinea
jodeln.
In
diesen
Fällen
steht
auch
mehr
die
Informationsvermittlung als ästhetisches Musizieren im Vordergrund.
Die Minnesänger des Mittelalters benutzten auch schon Gesang um
Informationen zu übermitteln. Das Wort Jodeln erschien 1796 zum ersten Mal in
einem Wörterbuch und könnte als Fortsetzung der Minnesängerei angesehen
werden.
11
„Kein Instrument kann eine Gefühlslage besser ausdrücken, als die menschliche Stimme.
Das Jodeln nimmt für sich in Anspruch Liebe, Leid und Freude ganz besonders intensiv
auszudrücken. Die Liebe bezieht sich nicht ausschließlich auf zwischenmenschliche
Beziehungen, sondern ebenfalls auf die Liebe zur Natur, zur Heimat, zur Freiheit und auch
auf die Liebe zu Gott. Leid kann mit dem Verlust etwas Wertvollem gleichgesetzt werden.
Dieser Verlust weckt Sehnsüchte, die ganz besonders in der Art des schweizerischen
Jodelns ihren Ausdruck finden. Schon der weitgereiste Goethe bemerkte: `Im Jodeln ist
ein Sehnsuchtston zu vernehmen´. Am bekanntesten ist allerdings der Ausdruck der
Freude. Dafür gibt es sogar einen Spezial-Jodler, den `Jutz´. In vielen Gesprächen wurde
deutlich, dass es leicht zu beschreiben ist, wie sich die Gefühlslage im Moment des
Zuhörens darbietet und welche körperlichen Reaktionen spürbar sind. Bei der Frage
`warum´ bleibt es bei Erklärungsversuchen. Wenn hartgesottenen Burschen Wasser in die
Augen schießt und scheinbar gefühllosen Typen die Gänsehaut (in der Schweiz
Hühnerhaut genannt) über den Rücken läuft und Damen ein Kribbeln verspüren, dann
sollte man meinen, Jodeln ist mehr als singen. Die Art der Töne löst im Körper und im
Kopf Assoziationen aus, die möglicherweise rational nicht gesteuert werden können. In
einer Zeit, da die letzten Geheimnisse der Menschheit entschlüsselt scheinen, gibt es nur
sehr eingeschränkte Kenntnisse über das sensitive Wahrnehmungsvermögen von
menschlichen Lauten. Im Falle des Jodelns reicht es aus, derartige Stimmlagen als
angenehm, tröstlich, aufheiternd, mutmachend, beruhigend und fröhlich zu empfinden.“
11
2.4 Die sprechenden Trommeln in Afrika
Die meisten Sprachen afrikanischer Völker sind Tonsprachen. „Im Unterschied
zu den meisten indogermanischen Sprachen hat der musikalische Ton in den
afrikanischen Sprachen südlich der Sahara in erster Linie lexikalischwortkonstruierende
sowie
grammatisch-formbildende
Funktion.“
12
Alle
Wortsilben haben wortbestimmende Toneigenschaften: hohe, tiefe und mittlere
Sprachtöne. Das selbe Wort, gesprochen mit anderen Tonhöhen der Vokale,
bedeutet auch etwas anderes. Ein Beispiel aus der Yorubasprache:
Das Wort `awo´
awo (a und o in mittlerer Tonlage gesprochen) bedeutet: Haut
àwò (a und o in tiefer Tonlage gesprochen) bedeutet: Farbe
11 Plieth, Helmut G., http://www.volkstuemliche-schweiz.ch/html/body_jodeln.html, 11.9.2003
12 Jungraithmayr, Herrmann: Funktion und Bedeutung der musikalischen Tonhöhe in
afrikanischen Sprachen, In: Simon, Artur (Hrsg): Musik in Afrika, Berlin, 1983
12
Dies wird schriftlich durch die Tonmarken über den Vokalen ausgedrückt. Die
Folge davon ist: Wenn ein Afrikaner mit Tonsprache eine beliebige Melodie
hört, werden bei ihm sprachliche Assoziationen erweckt. Dieses Phänomen gibt
es auch in Indien, China
13
, anderen südostasiatischen Ländern und bei einer
Anzahl von Indianern in Nordamerika. Es werden Wortfolgen suggeriert, deren
Sprachmelodik mit der Melodie des Instrumentalstückes übereinstimmt. Den
Melodien wurden dadurch auch die Namen gegeben, deren Assoziationen sie
erregen. Den umgekehrten Weg geht das Sprechtrommeln oder Sprechspielen.
Beim Sprechtrommeln wird versucht, einen Satz mit melodisch rhythmischen
Mitten instrumental darzustellen. Bei der Talking Drum oder Kanangó kann
durch spannen der Seile während des Spielens die Tonhöhe verändert werden.
Der Musiker gibt auf seinem Instrument nur die Tonmarken und den
Satzrhythmus der nachgeahmten Wörter wieder. Dadurch können Nachrichten
gesendet oder ganz allgemein etwas mitgeteilt werden. Das Sprechspielen auf
z.B. Flöten hat im Bereich westafrikanischer Sudansprachen hohe Virtuosität
erreicht. Die Aussagekraft der Instrumente ist jedoch auf allgemeinverständliche
Wendungen beschränkt. Diese Wendungen sind meist sinnblidlich und
bedeuten Mitteilungen, Anweisungen oder Befehle. Hier einige Beispiele
getrommelter Yoruba-Wörter auf der kanangó, einer kleinen sanduhrförmigen
Trommel mit veränderbarer Tonhöhe:
Abb. 1: Talking Drum, Kanangó
13 In China werden sogar bis zu fünf verschiedene Sprachtöne unterschieden.
13
Die Silbenerweckung durch Melodiestrukturen gibt es auch beim Jazz, einem
afro-amerikanischen Musikgenre. Beim `Scat-Gesang´ füllt der Sänger in eine
vorhandene Melodie verbal sinnlose Silben, die ihm dazu einfallen. Diese
phonetischen Konstruktionen kopieren den Melodiecharakter. Sogar das Wort
`Bebop´ geht auf Silbenerweckung durch Melodiestrukturen zurück. Das
auffallende Intervall des Tritonus wurde schließlich zum Namen dieser
Musikrichtung.
14
2.5 Jagdsignale
Ein Blick auf die gebräuchlichsten Instrumente in der Jagd- und in der
Militärmusik zeigt, inwiefern die Voraussetzungen für Signale (hohe Frequenz
und Lautstärke) bereits mittels der Intrumentierung erfüllt werden. Pikkoloflöte,
Horn und Trommel sind Instrumente, die sich auch gegen Lärm behaupten
können und über weite Strecken hörbar sind. Nach Karbusicky stellen Militärund Jagdsignale einen Sonderfall der musikalischen Kommunikation dar. Sie
seien „der einzige Bereich des Musikalischen, in dem eine Identifizierung mit
auditiver Kommunikation und einer Übertragung von Nachrichten tatsächlich
gegeben ist.“
14
Anders ausgedrückt: Nach Karbusickys Verständnis kann allein
im Fall von Militär- und Jagdsignalen von einer `Musik als Sprache´ gesprochen
werden. Einerseits handelt es sich um Signale, die verbindliche Handlungen
auslösen. Gleichzeitig sind es ästhetische Gebilde, wenn die ästhetische
Qualität auch sehr gering ist. Dazu ein Beispiel aus den Jagdsignalen:
Vergegenwärtigt
man
sich
die
Möglichkeiten
des
für
Jagdsignale
gebräuchlichen Instruments, des Horns, so begreift man zum Teil schon die
zwingende Einfachheit der Signale: Das Horn (ohne Ventile) verfügt nur über
einen begrenzten Tonumfang, daher finden sich in den meisten Signalen nur
die Dreiklangstöne c, e und g. Trotz dieser beschränkten Möglichkeiten und der
Notwendigkeit des Einfachen (Das Signal muss eindeutig verstanden werden!),
besteht beim Menschen offenbar eine Neigung zum Ästhetisieren. Ein weiteres
Jagdsignal, der Fuchstod, soll dies verdeutlichen:
14 Karbusicky, 1986, S. 88
15
In der Rhythmik des Signals sind die Bewegungen des Fuchses, der Schuss,
der ihn niederstreckt und sein Sterben versinnbildlicht: In den Takten eins bis
vier sehen wir die munteren Sprüngen des schlauen Tieres. Diese werden in
Takt fünf vom Schuss des Jägers beendet. Die absteigende Melodie aus vier
langen Tönen in den Takten sechs und sieben steht für das Sterben des Tieres.
In den Takten acht und neun schließlich erweist der Jäger – wie am Ende aller
Totsignale - dem erlegten Tier seine Ehre, indem er das `Halali´ bläst.
Wie wichtig neben dem ästhetischen Reiz von Jagdsignalen vor allem aber
ihr Signalcharakter (Information vermitteln und eventuell Handlung auslösen)
ist, und welch strengen Reglementierungen das Spielen musikalischer Signale
unterliegen kann, soll ein Zitat aus einem Jägerhandbuch vom Ende des 19.
Jahrhunderts verdeutlichen:
„Die Signale ‚das Ganze‘, ‚Halt‘, ‚Rechter Flügel‘, ‚Linker Flügel‘, ‚Mitte‘ dürfen nie allein
geblasen werden, sondern es müssen denselben die betreffenden Ausführungssignale
folgen, d.h. es müssen diejenigen Signale mitgeblasen werden, welche anzeigen, was das
Ganze, der rechte oder linke Flügel, die Mitte thun soll. Der Gerufene hat, sowie er das
Signal hört, sofort zu antworten, indem er sein Signal bläst, und dann sogleich kommt. Ist
der Gerufene nicht da, sondern hört ein anderer das Signal, so hat dieser mit seinem
Signal zu antworten und sofort zu kommen. Hört z.B. ein Heger das Signal ‚Försterruf‘ und
hört den Förster nicht antworten, so hat der Heger sein Signal d.h. das Signal ‚Hegerruf‘
zu blasen und zu kommen. – Signale, welche bei der Jagd vom Erbprinzen, und von der
Schützenlinie
ausgegeben
werden,
Forstpersonale nachgeblasen werden.“
müssen
15
15 Karbusicky, 1986, S. 90
16
stets
vom
gesamten
anwesenden
Ein Lobgedicht des Jägers auf sein Instrument, das Jagd- oder Pleßhorn, soll
meine weitere Betrachtung der Jagdsignale einleiten:
„Gefesselt hängt’s mir an der Hüfte
des Waidmanns Schmuck und blanke Zier
früh weckt es durch die Morgenlüfte,
bläst an die Jagd: auf ins Revier!
Es mahnet die Hunde,
es gellt in der Not,
es lockt in der Runde,
es schmettert ‚Hirschtot‘!“ 16
Das Gedicht macht deutlich, welche Aufgaben das Jagdhorn erfüllt, welche
Bedeutung es also für den Jäger hat. Es weckt die Jäger in der Früh, es zeigt
Beginn und Ende der Jagd an, es verkündet weitere Befehle an die Jäger und
die Hunde, bzw. übermittelt andere Informationen und ist nicht zuletzt ein
Notrufinstrument. Wenn auch die ersten beiden Zeilen des Gedichts den
schmückenden Wert des Jagdhorns an des Jägers Hüfte betonen, so richtet
doch der Hinweis `es gellt in der Not´ unsere Aufmerksamkeit auf eine
wichtigere Funktion. Das sichere Gelingen eines gefährlichen Unternehmens –
und eine Jagd, bei der geschossen wird, ist auch für die Jäger gefährlich - hängt
nicht zuletzt von gelungener Kommunikation der Teilnehmer ab.
Bei der Jagd verteilen sich die Jäger im Wald, sie befinden sich außer
Sichtweite voneinander. Um sich auf einfache und unmissverständliche Weise
über den Verlauf der Jagd auszutauschen, bzw. Befehle zu erteilen oder
entgegen zu nehmen, bedarf es eines lauten
Instruments und des
Verständnisses einer speziellen Signalsprache. Theoretisch wären zu diesem
Zweck auch Trillerpfeifen geeignet. Walter Frevert meint jedoch, „sie würden
[...] das Stimmungsvolle des Jagdablaufs im Wald und Feld grausam zerstören
und keinen Anspruch auf Pflege jagdlicher Kultur erheben.“
17
Es gibt also auch eine `jagdliche Kultur´, und die Musik, welche die Jäger auf
ihren Hörnern spielen, ist ein zentraler Bestandteil dieser Kultur. Um was für
eine Art von Musik handelt es sich? In einer Veröffentlichung von Feyerabendt
aus dem Jahr 1582 mit dem Titel „Wie du uff der Jagt mit Horn und Stimm
16 Görner, Joh. Val., 1744, in: Frevert, Walter: Das jagdliche Brauchtum, Hamburg, 1995, S. 78
17 Frevert, 1995, S. 78
17
deinen Gesellen ein Zeichen geben solt“
18
finden wir zwar Notenlinien, notiert
sind aber pro Signal höchstens zwei Noten. Der Befehl `Hoch da´ wird als
Signal allein durch den Ton g wiedergegeben. Demgegenüber stehen heutige
vieltaktige, mehrstimmige und mit Text unterlegte Signale wie z.B.: Zum Essen
18 Abb. In: Frevert, 1995, S. 79
18
Wenn auch immer noch auf die Dreiklangstöne c, e und g beschränkt, gehört
dieses Signal doch bereits in eine andere ästhetische Kategorie als etwa der
einfache Notruf:
Mit Hilfe von Parforcehörnern und Ventilhörnern in B-Stimmung lassen sich
heute auch Signale mit einem größeren Tonumfang blasen. Dazu gehört unter
anderem das `Große Halali´, das aber nur bei besonderen Anlässen geblasen
wird.
Von den sehr einfachen Signalen aus dem 16. Jahrhundert, die noch kaum
musikalischen Charakter aufwiesen, bis zu den mehrstimmigen Kompositionen
wie dem `Großen Halali´ und schließlich der Erweiterung des Repertoires um
Stücke von außerhalb des jagdlichen Rahmens, war es ein weiter Weg für den
Jäger und sein Instrument. Dennoch erfüllt das einfache Signal auch heute
noch seinen Zweck bei der Jagd. Die Musikstücke, die bei festlichen Anlässen
gespielt werden, haben die Signale nicht verdrängt. In Veröffentlichungen wird
darauf bestanden, dass das Blasen der Signale stets den Vorrang vor dem
reinen Musizieren behalten müsse. So schreibt Frevert:
„Das gemeinschaftliche Blasen verbindet! Diese aufrichtige Freude am Zusammenwirken
sollte im Interesse der Pflege des jagdlichen Brauchtums erhalten und gefördert werden.
Die Bläsergruppen müssen aber auch ein Gefühl dafür aufbringen, welchen Sinn
jagdliches Blasen hat. Sie sollten Übertreibungen vermeiden und sich Zurückhaltung
auferlegen, wenn die Grenzen zu trivialen Blaskonzerten überschritten werden.“
19
Um die Signalfiguren auf eine einheitliche Grundlage zu stellen, hat der
Deutsche Jagdschutz-Verband eine Sammlung der offiziellen deutschen
Jagdsignale zusammengestellt. Sie gliedert sich in `Allgemeine Signale´,
`Jagdleitsignale´ und `Totsignale´.
Beim Signal gibt es in der Regel keinen Text. Die Texte, die sich heute in
Sammlungen von Jagdsignalen finden, sind fast ausschließlich jünger als die
Musik. Das ursprüngliche Signal braucht keinen Text. Der Text verdoppelt die
19 Frevert, 1995, S. 79
19
Information, die schon im Signal enthalten ist. Könnte man unter den
Bedingungen, in denen das Signal zum Einsatz kommt, einen Text sprechen
und damit den Empfänger erreichen, bräuchte man kein Signal.
2.6 Signale in der Militärmusik
Ähnlich wie die zu kleinen Kompositionen weiterentwickelten Signale der Jäger
geht auch die heutige Militärmusik auf rein funktionale akustische Gebilde
zurück. Zunächst waren das „vor allem Signale zur Übermittlung von Befehlen,
seit ca. 1660 auch Märsche.“
20
Musikinstrumente wurden jedoch schon viel
früher als Signalgeber benutzt. Die Bibel
belegt ihren Gebrauch zu
vorchristlichen Zeiten, wenn das Volk Israel zum Krieg rüstete. So heißt es im 4.
Buch Mose, Kapitel 10:
„Der Herr sprach zu Mose: Mach dir zwei silberne Trompeten! Aus getriebenem Metall sollst du
sie machen. Sie sollen dir dazu dienen, die Gemeinde einzuberufen und den einzelnen Lagern
das Zeichen zum Aufbruch zu geben. [...] Wenn ihr in eurem Land in einen Krieg mit einem
Gegner verwickelt werdet, der euch bedrängt, dann blast mit euren Trompeten Alarm!“
21
Im römischen Heer verfügte jede Legion über 39 Tuba- und 36 Hornbläser, die
43 verschiedene Signale kannten. Sie standen im Offiziersrang und wurden oft
gemeinsam mit Heerführern abgebildet, was auf ihr großes Ansehen hinweist.
Dieses Ansehen genossen sie jedoch als Soldaten, nicht als Künstler.
„Trotz der zweifellos großen Bedeutung der Signalgebung im römischen Heer und des daraus
resultierenden hohen Ansehens der Bläser [...] galten diese nicht als Künstler, sondern als
Soldaten, die einen besonderen Dienst leisteten. Schon im römischen Heer gab es neben der
Signalgebung ein Auftreten aller Bläser zu Repräsentationszwecken.“
22
Die Notwendigkeit lauter Instrumente, um im Schlachtlärm und über weite
Strecken Signale zu übermitteln, ist mit der Erfindung des Funkgeräts und
anderer technischer Möglichkeiten der Informationsübermittlung verschwunden.
20 Hofer, Achim: Militärmusik/Einleitung in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Sachteil 6,
Finscher, Ludwig (Hrsg.), Kassel, Stuttgard, 1997, S. 269
21 Die Bibel, Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH,
Stuttgart, 1999, S. 148 f.
22 Höfele, Berhard: Militärmusik/Altertum in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Sachteil
6, Finscher, Ludwig (Hrsg.), Kassel, Stuttgard, 1997, S. 271
20
Militärmusik gibt es weiterhin. Jedoch ist ihr Einsatz heute größtenteils auf
festliche Anlässe beschränkt. Die Repräsentationszwecke, welche im römischen
Heer die Ausnahme bildeten, sind heute die Regel.
Früher dienten die Signale der Militärmusiker der Übermittlung von
Botschaften. Heute dient ihre Aufführung der Traditionspflege und der Stärkung
des
Zusammengehörigkeitsgefühls.
Wenn
auch
die
Notwendigkeit
für
akustische/musikalische Signale im Zuge der Entwicklung neuer technischer
Möglichkeiten der Kommunikation verlorengeht, so können die Signale doch
erhalten bleiben. Ihrer ursprünglichen Botschaft wird eine andere Bedeutung
zugeschrieben, vielmehr ein anderer Wert, da nicht mehr von der Bedeutung
eines Zeichens im Sinne der Semantik gesprochen werden kann.
So ist der `Große Zapfenstreich´ ein Beispiel dafür, wie Signale im Laufe der
Zeit ihre Bedeutung ändern oder verlieren und damit nicht länger als Signale
bezeichnet werden können. Aus dem Signal des `Zapfenstreichs´, das früher
den Soldaten das Ende des Abends anzeigte, hat sich in Jahrhunderten ein
festliches
Zeremoniell
und
nationales
Ritual
entwickelt.
Aufgrund
von
praktischer Notwendigkeit hat sich dagegen eine andere Signalart bis in unsere
Tage halten können. Diese wird im kommenden Abschnitt behandelt.
2.7 Hirtensignale
Viele musikalische Signale haben im Laufe der Zeit ihre Bedeutung verändert
oder sogar verloren. Die Signale von Viehhirten gibt es aber schon seit dem
Mittelalter
und
sie
werden
damals
wie
heute
noch
verwendet.
Die
Kommunikation, die durch akustische Ereignisse zwischen Hirt und Tierbesitzer
zustandekommt hat folgenden Zweck: „Die Viehirten setzen die Tierbesitzer
morgens mit Hilfe der Signale davon in Kenntnis, daß der Austrieb der Herde
bevorsteht, und veranlassen sie, die Tiere von ihren Ständen im Stall
loszubinden und auf die Straße herauszulassen.“
23
Es sind musikalische
Gebilde von unterschiedlicher Länge, die sich selten bis gar nicht an ein Metrum
halten. Die Tonalität ist auf die Töne des Durdreiklangs beschränkt. Je geringer
die zu überwindenden Distanzen sind desto kürzer ist das Musikstück. Es kann
aber auch die durchschnittliche Länge eines Volksliedes überschreiten.
23 Kaden, Christian: Hirtensignale – Musikalische Syntax und kommunikative Praxis, Leipzig,
1977, S. 21
21
Kommen die Tiere Mittags von der Weide und werden nachmittags wieder zur
Weide geführt, signalisiert der Hirt auch diesen zweiten Austrieb. Der Hirt gibt
sein Signal entweder von bestimmten Fixpunkten in der Siedlung aus, von
denen er mehrere Tierbesitzer erreichen kann, oder während er einzelne
Straßenzüge durchläuft. In besonderen Fällen kommt auch bei der Heimkehr
der Weidetiere am Abend ein Signal zum Einsatz. Wesentlich seltener sind
kommunikative Beziehungen zwischen Hirt und Tierbesitzer während des
Weideganges belegt: Wenn der Herde Gefahr droht, knallen die Hirten mit der
Peitsche, wenn sie von den Bergwiesen herunterjodeln, ist bei der Herde alles
in Ordnung. 24
Am häufigsten sind die „instrumental-musikalischen“ Signale, die auf
Tierhörnern, Natur-Holztrompeten, Metallblasinstrumenten, Flöten oder Pfeifen
gegeben werden. Ferner gibt es „instrumental-prämusikalische“ Signale, die auf
Peitschen, Klirrstöcken und Klappern erzeugt werden, „vokal-musikalische“ und
„vokal-prämusikalische“ Signale, worunter Rufe fallen.
25
Der Hirte passt seine
Signalgebung den äußeren Umständen an: In einem kleinen Dorf müssen nur
kurze Distanzen überwunden werden. Folglich kann er nur kurz singen oder mit
der Peitsche knallen und er wird gehört. Zur Überwindung von weiten Strecken
bedient er sich des Jodelns oder der Blasinstumente, da dies lauter ist. Die
Kommunikation funktioniert in diesem Fall eher über den Zeitpunkt des Signals,
als über das Musikalische. Denn die Hutungwirtschaft orientiert sich an festen
Zeiten. Somit ist klar, was mit einer geblasenen Melodie in der Früh, der Zeit
des Herdenaustriebs gemeint ist. Die Arbeitssignale der Hirten haben folglich
keine weitreichende Konventionsbasis wie etwa die Jagd- oder Militärsignale.
Sie werden von den jeweiligen Kommunikanten festgelegt. Eine wichtige Quelle
dieser Musik waren die Postsignale.
Zwischen Hirten und der geführten Herde kommt ebenfalls musikalische
Kommunikation zustande: „Das Lenken einer Herde mit Hilfe musikalischer
oder prämusikalischer Signale gehört zu den wichtigsten Aufgaben eines
Hirten.“
26
Er kann durch musizieren auf einem Instrument oder durch singen
während des Weideganges die Tiere beruhigen und so die gleichmäßige
Bewegung der Tiere unterstützen. Durch bestimmte geblasene Töne ändert die
Herde, ein Teil der Herde oder ein Einzeltier die Bewegungsrichtung.
24 Nur im Harz belegt.
25 Bezeichnungen stammen von Christian Kaden, 1977
26 Kaden, 1977, S. 24
22
Es
gibt
jedoch
nur
vereinzelt
Nachweise
für
arbeitsfunktionalen
Informationsaustausch mit Hilfe musikalischer Mittel zwischen verschiedenen
Hirten. Es sind überwiegend Formen belegt, die ästhetische Wirksamkeit
besitzen. Treffen sich Hirten, blasen sie gemeinschaftlich Lieder oder führen
sich gegenseitig ihre Signale vor. Das gestaltet die Weidezeit für sie
unterhaltsam und beruhigt gleichzeitig die Herde.
3. Konvention als Vorraussetzung der Kommunikation mittels Codes
Man kann sich aus dem Stegreif keine komplizierten Geschichten mittels Musik
erzählen, da der Informationswert, wenn einer besteht, nicht eindeutig ist.
Sinnübermittlung und Kommunikation können nur funktionieren, wenn vorher
klar gemacht wird, was bestimmte Zeichen, Melodien oder Rhythmen zu
bedeuten haben. Theoretisch könnte man so alles sagen, was sich auch durch
Sprache ausdrücken ließe, da man jedes Wort oder jeden Buchstaben in
rhythmische und melodische Signale kodieren kann. Sprache funktioniert auch
nur, weil diese Zeichenanwendung im jeweiligen Sprachraum konventionalisiert
wurde. Musikalische Affekte geben jedoch Aufschluss über die emotionale
Stimmung, und musikalisch-rhetorische Figuren sind Bruchteile von konkreten
Bedeutungen.
Töne bringen uns wahrscheinlich unseren Wurzeln näher. Die Assoziationen
die wir beim Hören von Musik verspüren sind vielleicht gar nicht so persönlich
wie wir dachten. Möglicherweise erinnert uns unser Stammhirn nur an
archaische Codes die in der Vorzeit zu einer Art `Common Sense´ der
Verständigung gehörten. So wie alles Leben aus dem Wasser kam, und im
Mutterleib dieses Milieu von Temperatur und Salzgehalt nachempfunden wird,
so bringen uns archaische Laute unserem Erbe an intuitivem Musikverständnis
näher.
Musikalische Signale eignen sich in manchen Bereichen besser als Sprache
zur Informationsübertragung. Deshalb haben sie einen festen Platz in unserer
Umwelt.
Was alle kommunikativen Codes vereint, ist die Kommunikation über
Zustände und Verhältnisse von Objekten in der physischen Welt. Wassily
Kandinsky rückt in seinem Buch: `Über das Geistige in der Kunst´ die Künste
zusammen und ordnet jeder Farbe ein Instrument zu. Aber wesentlich ist
23
folgender Aspekt: Er bewundert die Abstraktion der Musik vom Objekt und
fordert eine solche Abstraktion auch für die Malerei ein. Musik ist unabhängig
vom Objekt, vom natürlichen Vorbild, die Töne wirken für sich und bilden nicht
etwa einen Heuhaufen oder ein Portrait ab.
Aber Musik kann auch objekthaft sein, kann Bilder ins Bewusstsein rufen.
Sie ist nicht nur abstrakt sondern kommunikativ, sei es im Erwecken von
Emotionen oder im Vermitteln von konkreten Informationen. Oft findet beides
gleichzeitig statt. Der militärische Führer, weiß beim Formalsdienst an welchen
Takt er seinen Gleichschritt anzupassen hat, andererseits fühlt er sich heroisch
und eingebettet in die pompösen Anteile der Marschmusik. Dieser Dualismus ist
auch in der Hirtenmusik erkennbar, indem der Hirte seinen Schafen, deren
Fressfeinden und den Viehbesitzern seine Anwesenheit signalisiert und sich
selbst auf der anderen Seite entrückt fühlt durch die Klänge die er in der
Einsamkeit erzeugt.
Diese Arbeit will deutlich machen, dass eine Definition von Musik in jedem
Falle diese kommunikativen Aspekte berücksichtigen muss, und die Ästhetik
auch in der Musik objektorienttiert arbeiten kann. Die völlige Befreiung vom
Objekt in der Musik ist nicht so umfassend wie Kandinsky es in seinem Buch
bewundernd feststellt.
24
4. Quellen- und Bildnachweis
Bücher und Zeitschriften:
Die Bibel, Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH,
Stuttgart, 1999
DER SPIEGEL, Nr 31, Hamburg, 28.7.2003
EGGEBRECHT, Hans Heinrich: „Musik im Abendland“, München, 1996
FINSCHER, Ludwig (Hrsg.): „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“, Sachteil 6, Kassel,
Stuttgard, 1997
FREVERT, Walter: „Das jagdliche Brauchtum“, Hamburg, 1995
FUNK-HENNIGS, Erika: „Deutsche Militärmusik nach 1945“, in: FORUM Jazz Rock Pop, 1999
HANSLICK, Eduard: „Vom Musikalisch-Schönen - Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der
Tonkunst“, Leipzig, 1854
KADEN, Christian: „Hirtensignale – Musikalische Syntax und kommunikative Praxis“, Leipzig,
1977
KANDINSKY, Wassily: „Über das Geistige in der Kunst“, Bern, ca. 1980
KARBUSICKY, Vladimir: „Grundriß der musikalischen Semantik“, Darmstadt, 1986
SIMON, Artur (Hrsg): „Musik in Afrika“, Berlin, 1983
WANG, Mei-chu: „Die Rezeption des chinesischen Ton-, Zahl- und Denksystems in der
westlichen Musiktheorie und Ästhetik“, Frankfurt a.M., 1985
Internetseiten:
http://www.schuelerakademie.de/kurse/krypto/morse.html, 10.9.2003
http://www.volkstuemliche-schweiz.ch/html/body_jodeln.html, 11.9.2003
http://www.multikulti.de/de/main/f/reisefieber_archiv_3757.phtml, 11.9.2003
Bildnachweis:
Abb. 1, S. 13: http://www.ebay.de, 15.9.2003
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