Ein Ochse meldet sich zu Wort Erich Weinert (1932) Verehrte

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Ein Ochse meldet sich zu Wort Erich Weinert (1932) Verehrte
Ein Ochse meldet sich zu Wort
Erich Weinert (1932)
Verehrte Anwesende, lassen Sie mich
Ein bescheidenes Wort in die Waagschale werfen!
Ich finde es unverantwortlich,
Die Gegensätze im Volk zu verschärfen.
Ich bin nicht von der modernen Art,
Ich habe noch meinen deutschen Glauben
und schlichten Ochsenverstand bewahrt.
Den kann man mir Gott sei Dank nicht rauben.
Sie vertreten heute so radikal
Umsturz und Auflehnung gegen das Schlachten,
Ich meine, man sollte die Dinge mal
Von einer höheren Warte betrachten.
Den Schlächterstand und den Ochsenstand
Gab es zu allen Zeiten auf Erden:
Sie sind geschaffen, fürs Vaterland
Zu schlachten und geschlachtet zu werden.
Und wenn der Schlächter sein Banner entrollt,
Dann müssen wir Ochsen zu sterben wissen!
Das hat die Vorsehung so gewollt,
Vor der auch wir Ochsen uns beugen müssen.
Nur eine gottverlassene Partei
bezeichnet die heilige Sache mit Morden.
Und außerdem ist die Schlächterei
Doch heute wirklich human geworden.
In dieser zivilisierten Zeit
Hat jeder Schlächter seinen Betäuber.
Was tun die nicht für die Ochsenheit!
Und so was nennen Sie Mörder und Räuber?
Nein, freiwillig gehen wir in den Tod!
Sie treffen mich nicht mit ihrem Gelächter.
Ich bin ein Ochse von altem Schrot
Und stehe in Treue zu meinem Schlächter!

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