Ansehen - Berliner Dom

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Ansehen - Berliner Dom
Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Pfarrer Alexander Höner
Sonntag Trinitatis, 30. Mai 2010, 18 Uhr
Predigt über Römer 11,33-36 (Lobpreis der Wunderwege Gottes)
>> O <<
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei
mit uns allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
schaut man auf das Gemälde, eine Ikonenmalerei, hat man das Gefühl, man schielt. Oder man ist in
einem dieser Spiegelgärten auf dem Jahrmarkt, wo man sich an einigen Stellen mehrfach sehen kann
und die eigenen Spiegelbilder ineinander überlaufen. Das Gemälde zeigt ein Gesicht, nein, eben nicht:
es zeigt drei Gesichter. Aber auch das ist nicht richtig. Es sind drei Gesichter ein und desselben Mannes.
Alle haben den gleichen Ausdruck. Sie gehen so ineinander über, dass sie auch ein einziges Gesicht sein
könnten. Ein Gesicht mit drei Mündern, drei Bärten, drei Nasen, darüber eine besonders breite Stirn.
Lange braune Haare scheiteln sich in der Mitte und fallen rechts und links auf die Schultern. Die
Augenpartie ist besonders verwirrend. Die beiden Augen des mittleren Gesichtes bilden gleichzeitig
jeweils ein Auge der zwei äußeren Gesichter. Man sieht also insgesamt nur vier Augen und auch vier
Augenbrauen, obwohl man bei drei Gesichtern ja sechs erwarten würde. Die Gesichter gehen ineinander
über. Deshalb sind zwei Augen sozusagen doppelt belegt. Wer ist dieser Mann auf dem Gemälde bzw.
wer sind diese drei Männer? Es ist eine Jesus-Darstellung aus dem Mittelalter. Damals war es durchaus
üblich, die Dreieinigkeit Gottes in einem solchen dreifachen Jahrmarkt-Spiegelgarten-Bildnis zu
illustrieren. Dann wurde es jedoch von Papst Urban VIII. 1628 verboten. Das Motiv ist heute nur selten
zu sehen. Dreimal Jesus für den dreifaltigen Gott.
Ich finde, das ist eine schöne Idee. Das Bild veranschaulicht etwas, was nicht nur für Gott gilt. Auch wir
Menschen vereinen mehrere Personen in uns. Eine Frau kann zum Beispiel gleichzeitig Mutter, Tante
und beste Freundin sein. Sie bleibt in ihren verschiedenen Rollen eine einzige Frau. Sie setzt keine
Masken auf, behält ihr Gesicht. Deshalb gefällt mir auch, dass die drei Jesus-Gesichter den gleichen
Ausdruck haben, und nicht einmal lachen, einmal weinen und einmal zornig schauen. Die Interpretation
wäre zu einfach. Jeder Mensch hat aufgrund seiner emotionalen Stimmungen unterschiedliche
Gesichter. Das ist aber mit dem dreigesichtigen Jesus nicht gemeint. Das Bild will helfen, die sperrige
Vorstellung von einem Gott, der gleichzeitig Vater, Sohn und Heiliger Geist ist, zu visualisieren. Und
dabei bedient sich der Maler einer optischen Täuschung. Genau so schwer, wie es fällt, dieses JesusGesicht zu fokussieren, so schwer ist es, die Dreieinigkeit Gottes gedanklich zu fassen.
Ich finde die künstlerische Idee so gelungen, weil sie die Betrachterin, den Betrachter verwirrt lässt. Das
Bild löst das Geheimnis Gottes nicht auf. Wenn man auf den dreifachen Jesus schaut, dann ist nicht
alles klar. Man sagt nicht: Ah, jetzt weiß ich, wie Gott ist. Das ist bei dem bekannteren
Dreieinigkeitsmotiv anders. Dort wird Gott als Jesus am Kreuz, als Vater auf dem Himmelsthron und in
der Taube als herabschwebender Heiliger Geist gedeutet. Die drei Offenbarungsarten Gottes werden hier
einzeln voneinander illustriert. Die Einheit ist graphisch nicht zu sehen. Stattdessen wird Gott bildlich
so aufgeschlüsselt, dass man fast meinen könnte, man hätte es mit drei Göttern zu tun: Dem
väterlichen Schöpfergott, dem sich selbst hingebenden Menschgott und dem sphärischen Tröstergott.
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Sicherlich sind das drei Weisen, wie wir Gott in unserem Leben erfahren können. Aber das geschieht
selten so getrennt: Jetzt habe ich Gott als Vater erlebt, gestern war er mir als Jesus nah und morgen
wird er mich als Geist umgeben. Gotteserfahrungen sind selten so eindeutig. Gott lässt sich nicht mit
einem klaren Bild aufschlüsseln. Unsere Glaubenserfahrungen korrespondieren vielmehr mit dem
uneindeutigen geheimnisvollen Schielbild. Gott ist uns nah und fremd zugleich. Es gibt Momente im
Leben, da haben wir das Gefühl, Gott klar zu erkennen, als wenn wir einem Menschen direkt ins Gesicht
schauen. Doch gleich im nächsten Moment verschwimmt dieses Bild und wird undeutlich. Wenn das
Leben gelingt, wenn ich in Not Gottes Macht an meiner Seite spüre, dann ist das Bild für eine Weile
klar. Zerbricht das Leben vor meinen Augen und ich fühle mich verlassen, dann verschwimmt das Bild
für eine Weile. Genauso geht es mir, wenn ich den dreigesichtigen Jesus anschaue. Seine drei Weisen
sind zu erkennen, aber nicht immer ganz scharf.
Als ich zum ersten Mal das Gemälde sah, blieb ich davor stehen. Und ich konnte erst einmal gar nichts
anderes, als es voller Staunen anzuschauen. So ist es manchmal auch bei unseren Glaubenserfahrungen.
Wir halten berührt und verwirrt für einen Augenblick inne. Es bleibt nur ein kleines Wort, nein,
eigentlich ist es nur ein Buchstabe. Das „O“. Ein staunendes „O“. Damit beginnt Paulus auch seinen
kurzen Lobeshymnus, der heute Predigttext ist:
33 O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich
sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! 34 Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer
ist sein Ratgeber gewesen«? (Jesaja 40,13) 35 Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm
vergelten müsste«? (Hiob 41,3) 36 Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre
in Ewigkeit! Amen.
Paulus staunt über Gott. Über seinen Reichtum, seine Weisheit, seine Erkenntnis und vor allem über
sein Geheimnis, seine Unfassbarkeit. Das Staunen über Gott. Das Staunen über das Leben. Vielleicht ist
es der Anfang des Glaubens. Ich möchte Theresa zu Wort kommen lassen. Theresa ist ein zehnjähriges
Mädchen. Für einen Artikel in einem Gemeindebrief ist sie gefragt worden, ob sie sich daran erinnert,
wann sie wirklich gestaunt habe. O-Ton Theresa: „Das ist eine ganz, ganz schwere Frage und ich habe
viel überlegt. Es gibt eigentlich nur so einen kleinen Unterschied zwischen Überrascht-Sein und
Staunen. Ich weiß nicht wirklich, wann ich das letzte Mal gestaunt habe, aber ich weiß sofort, wann
ich mich das letzte Mal geärgert oder gefreut habe. Vielleicht habe ich gestaunt, als ich ein Baby war
und einen großen Hund gesehen habe? Ich glaube, man staunt in seinem Leben nicht so oft (...)“. Dann
erzählt sie von Nilpferden, die so träge erscheinen, aber ungemein gefährlich werden können, und aus
dem Biounterricht, wo es darum ging, was alles lebendig ist. Und sie bekennt: „Das Staunen kam aber
vor allem, weil mir klar wurde, dass eigentlich alles, alles einmal gelebt hat, auch der Tisch aus Holz.“
Soweit die zehnjährige Theresa. (Aus: Predigtstudien 2009/2010, II/2, 23f)
Was lernen wir von ihr? Staunen ist etwas anderes als überrascht sein. Wir staunen nicht häufig. Wir
freuen und ärgern uns mehr. Und vor allem: Staunen hat etwas mit der Faszination des Lebens zu tun.
Wir staunen über das Leben. Der Theologe Fulbert Steffensky hat einmal gesagt: „Wie kann man
anderen Menschen eigentlich unseren Glauben nahe bringen? Wir erzählen ihnen einfach, was wir schön
finden.“ Das Staunen hat etwas mit Schönheit zu tun, mit einer geheimnisvollen Schönheit, die allem
Leben inne wohnt. Das Staunen über die Schönheit des Lebens entlockt uns ein „O“ und wir loben die
Macht, die das alles so wohl bereitet hat. Diese Macht, Gott, hat eine besondere Tiefe, wie Paulus
schreibt, die uns entzückt und uns loben lässt, jedoch die wir nie ganz ergründen. So wie wir das
Dreifachgesicht Jesu nie ganz ergründen werden. „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der
Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine
Wege!“ Paulus staunt über die Schönheit und das Geheimnis des Lebens. Er staunt über Gott. Ich
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möchte zum Schluss in das „O“ des Paulus einstimmen, und zwar mit Worten des Liederdichters Paul
Gerhard: „Ich sehe dich mit Freuden an/ und kann mich nicht satt sehen;/ und weil ich nun nichts
weiter kann, / bleib ich anbetend stehen./ O dass mein Sinn ein Abgrund wär/ und meine Seel ein
weites Meer, / dass ich dich möchte fassen!“ Amen.
„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus
Jesus.“ (Phil 4,7) Amen.
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