Die Dreigroschenoper - Hessisches Landestheater Marburg

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Die Dreigroschenoper - Hessisches Landestheater Marburg
Die Dreigroschenoper
Theaterpädagogisches Begleitmaterial zur
Inszenierung von Matthias Faltz
für Schulklassen ab Stufe 9
Spielzeit 2012/13
ZUM INHALT
EINLEITENDE WORTE
Seite 2
DIE BESETZUNG
Seite 3
DARUM GEHT'S – EINE KURZE STÜCKBESCHREIBUNG
Seite 4
BERTOLT BRECHT UND DAS EPISCHE THEATER
Seite 5
„DREIGROSCHENOPER“ – ENTSTEHUNGSGESCHICHTE
Seite 7
ZUR INSZENIERUNG VON MATTHIAS FALTZ AM
HESSISCHEN LANDESTHEATER MARBURG (Interview)
Seite 9
UND DER MACK’ IST EINE FRAU...
Pressestimme zur Besetzung des Mackie Messer mit einer Schauspielerin
Seite 12
EINLEITENDES ZUR SPIELPRAKTISCHEN NACHBEREITUNG
Seite 13
ARBEITSVORSCHLAG 1
„Und, wie war's?“ - Reflektion des Theaterbesuchs
Seite 14
ARBEITSVORSCHLAG 2a
„Typisch“ Mann? „Typisch“ Frau? – Geschlechterrollenstereotype
Seite 15
ARBEITSVORSCHLAG 2b
Seite 16
„Denn die einen sind im Dunkeln...“ – (Kinder-)Armut in Deutschland & Europa
ARBEITSVORSCHLAG 2c
„...und die andren sind im Licht“ – Assoziationen zu Licht und Schatten
Seite 17
WARM UPS & COOL DOWNS
Seite 18
KOPIERVORLAGEN
Seite 19
QUELLEN UND LITERATURVERZEICHNIS
Seite 23
IMPRESSUM
Seite 24
2
EINLEITENDE WORTE
Liebe Pädagoginnen und Pädagogen,
mit diesem Begleitmaterial wollen wir Ihnen Informationen und spielpraktische Anregungen an die Hand
geben, mit denen Sie ihren Theaterbesuch der „Dreigroschenoper“ vor- und nachbereiten können. Die
Materialien und alle Arbeitsvorschläge sind, ebenso wie die Inszenierung, für SchülerInnen ab 14 Jahren
geeignet.
Auf den ersten Seiten finden Sie Informationen rund um die Inszenierung der „Dreigroschenoper“ am
Hessischen Landestheater Marburg, außerdem Hintergrundwissen zum Autor und zur Entstehungsgeschichte des Werkes. Ein fiktives Interview mit Bertolt Brecht und dem Marburger Intendanten und
Regisseur Matthias Faltz gibt Aufschluss über die Motivationen und künstlerischen Entscheidungen der
Marburger Inszenierung und über den Transfer der im Stück verhandelten Themen ins Heute. Dieser Teil
ist für die informative Vorbereitung des Stückbesuchs geeignet.
Im zweiten Teil der Begleitmaterialien (ab Seite 12) finden sie Anregungen und Vorschläge zur
Nachbesprechung und zur spielpraktischen Vertiefung ausgewählter Themen des Stücks mit Ihren
SchülerInnen.
Das Team der Theaterpädagogik wünscht Ihnen und Ihren SchülerInnen einen gelungenen Theaterabend
und eine kreative und anregende Auseinandersetzung mit dem Stück!
Herzlichst,
Ihre
Nina Eichhorn
(Theaterpädagogin)
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DIE BESETZUNG
Die Dreigroschenoper
Ein Stück mit Musik in einem Vorspiel und acht Bildern
von Bertolt Brecht
Nach John Gays „The Beggar’s Opera“
Übersetzt aus dem Englischen von Elisabeth Hauptmann, Musik von Kurt Weill
Mit:
Jonathan Jeremiah Peachum
Thomas Streibig
Frau Peachum
Annette Müller
Polly Peachum, ihre Tochter
Sonka Vogt
Macheath (Mackie Messer)
Oda Zuschneid
Brown, Polizeichef / Reitender Bote
Ogün Derendeli
Lucy, seine Tochter / Betty
Kathrin Hylla
Seeräuber-Jenny
Gergana Muskalla/Marlene Hoffmann
Ede Jimmy Filch / Münz-Matthias
Timo Hastenpflug
Trauerweiden-Walter /
Hakenfinger-Jakob / Konstabler
andere Ganoven / Huren
Gerhard Skrzypiec, Michael Schneider,
Jonas Breitstadt, Florian Gierlichs
Regie: Matthias Faltz
Musikalische Leitung: Michael Lohmann
Video: Philipp Karau, Stephanie Kayß
Bühne: Leopold Volland, Lars Herzig
Kostüme: Mascha Schubert
Dramaturgie: Alexander Leiffheidt
Regieassistenz: Anne Richter
Musiker: Andreas Jamin, Christian Keul, German Marstatt, Hans Kreuzinger, Jacob Bussmann, Johannes
Eimermacher, Peter Ehm
Premiere: 31. August 2012, Stadthalle Erwin-Piscator-Haus, Marburg
Dauer: ca. 2,5 Stunden, eine Pause
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DARUM GEHT'S – EINE KURZE STÜCKBESCHREIBUNG
Jonathan Peachum ist der Bettlerboss im Londoner Stadtteil Soho und er ist sauer: Seine Tochter Polly
hat hinter seinem Rücken den Gangster und Brandtstifter Macheath (dt.: Mackie Messer) geheiratet. Also
beschließt Peachum, den Ganoven bei der Polizei zu verpfeifen. Macheath gelingt zunächst die Flucht, er
findet Unterschlupf in einem Hurenhaus. Doch dann spielt Peachum ein Ass aus, mit dem niemand
gerechnet hat...
Im Allgemeinen ist es die Figur des Macheath, die uns als Zuschauer der „Dreigroschenoper“ am meisten
fasziniert: ein skrupelloser, charmanter Mordkünstler. Aber Macheath ist ein Auslaufmodell. Peachum
gegen Macheath: Das ist der Konflikt des Fabrikanten gegen den Heimarbeiter, verlagert ins
Berufsverbrechermilieu.
Dass in der organisierten Kriminalität die Gesetze des Marktes gelten, bedarf keiner Belege. Aber um
Peachum und Macheath geht es in der „Dreigroschenoper“ nur vordergründig. Der eigentliche Protagonist
Brechts ist die Masse: das Heer der Bettler. John Gay, dessen „Beggar’s Opera“ von 1728 Brecht als
Vorlage diente, kannte deren Elend gut. Das London des 18. und 19. Jahrhunderts war ein Schmutzhaufen; die Lebensbedingungen in den Slums waren unvorstellbar schlecht. Im Gegensatz dazu ist das
London Brechts imaginär. In welcher Zeit seine Oper spielt, ist somit gleichgültig – solange es das Heute
ist. Der entscheidende Unterschied: Gay karikierte die Mächtigen seiner Zeit. Brecht richtet sich an die
Machtlosen der unseren.
Dass sich die Ausgestoßenen zum Bettlerheer organisieren können, ist übrigens keine Utopie, sondern
Realität. London im August 2011: Die ,Prolls’ formieren sich per Blackberry Messenger zum plündernden
Mob. Über 100 Läden und Wohnungen werden zerstört, fünf Menschen sterben. Eine Weiterentwicklung,
die Brecht interessiert hätte: Wo bei ihm Peachum war, ist nun das digitale Medium. Den ausbeuterischen
Organisator brauchten die Plünderer nicht; sie arbeiteten auf eigene Rechnung.
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BERTOLT BRECHT UND DAS EPISCHE THEATER
Bertolt Brecht
Bertolt Brecht wurde am 10 Februar 1898 in
Augsburg als Sohn eines Papierfabrikdirektors
geboren. Die ersten Jahre verbrachte die Familie
in einem handwerklichen Umfeld, so war im
Erdgeschoss des Wohnhauses eine
Feilenhauerei untergebracht. Brecht war ein
eher schüchterner Junge und hatte ein
Herzleiden. Von seiner Mutter wurde er liebevoll
umsorgt, zu ihr entwickelte er ein besonders
inniges Verhältnis. Nach der Volksschule
besuchte Brecht von 1908 bis 1917 das
Königliche Realgymnasium zu Augsburg (heute:
Peutinger-Gymnasium), welches er im Ersten
Weltkrieg mit dem Notabitur abschloss. Sein
poetisches Talent zeigte sich schon sehr früh.
Bereits 1913 schrieb er in seinem Tagebuch
„Ich muß immer dichten“. Sein Studium mit den
Fächern Naturwissenschaften, Medizin und
Literatur musste Brecht beenden, weil der
Kriegsdienst als Sanitäter ein zeitgleiches
Studium nicht zuließ. 1920 starb seine Mutter. In
dieser Zeit schloss Brecht mehrere Bekanntschaften, die sein späteres Schaffen deutlich
beeinflussten; so z. B. 1920 eine enge
Freundschaft mit dem berühmten Kabarettisten
Karl Valentin. Von da an pendelte Brecht häufig
zwischen Berlin und München, um weitere
Beziehungen zu Personen aus dem Theater und
der literarischen Szene aufzubauen.
Als überzeugter Kommunist baute Brecht seine politischen Ansichten und Ziele mit in seine Werke ein.
Kurz vor der Bücherverbrennung flüchtete er am 28. Februar nach 1933 nach Dänemark. In seinem
fünfjährigen Exil entstanden mehrere seiner berühmtesten Werke. Bereits kurz nach dem Krieg wurde
Brecht von Freunden gedrängt, nach Deutschland zurückzukommen und seine Stücke selbst zu
inszenieren. Am 22. Oktober 1948 kehrte Brecht nach Deutschland zurück. Als wichtige Aufgabe empfand
er es, wieder im Theaterbetrieb Fuß zu fassen. Zusammen mit Helene Weigel gründete er das Berliner
Ensemble und war seitdem als Regisseur und Autor zahlreicher (Theater-)Texte tätig.
Seine letzten Lebensjahre verbrachte Brecht in Ost-Berlin, bis er am 14. August 1956 an den Folgen
eines Herzinfarktes starb.
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Das epische Theater
Als Autor „epischer Dramen“ war es Brechts Ziel, gesellschaftliche und politische Veränderungen in Gang
zu setzen. Im Gegensatz zum naturalistischen Theater, bei dem sich der Zuschauer in einer passivrezeptiven Rolle befindet, wollte er im epischen Drama die Wirklichkeit als veränderungsbedürftig und
veränderbar zeigen. Der Zuschauer sollte dazu bewogen werden, sich an dieser Veränderung und
Umgestaltung seiner Realität – und somit der Welt – zu beteiligen. Das vermeintlich Altbekannte sollte in
neuem Licht gezeigt werden, um so dem Zuschauer die Distanzierung zu ermöglichen. Das Theater sollte
vom Repräsentations- und Unterhaltungsinstrument für die Oberschicht zu einer kritischen Veranstaltung
insbesondere für das Proletariat reformiert werden.
Eine zentrale Kategorie des epischen Theaters ist die „Verfremdung“. Durch eine Vielzahl von
Verfremdungseffekten, sollte verhindert werden, dass sich die Zuschauer in die Handlung des Stückes
einfühlen und mit den Protagonisten mitfühlen. So sind Brechts Stücke unterbrochen von Songs und
Anmerkungen, in denen die Schauspieler aus ihren Rollen treten und das Geschehen kommentieren.
Die Schauspieler führen ihre Bühnenfiguren somit vor und distanzieren sich von deren Handlungen.
Unterstützt wurden diese von den Spielern angewandten Effekte durch die verfremdete Gestaltung des
Bühnenbildes, der Kostüme, der Maske und durch die Beleuchtung. Projektionen von Filmen und von
Szenentiteln verwiesen außerdem in Brechts Inszenierungen auf die Übertragbarkeit der Bühnenhandlung
auf die großen gesellschaftlichen Zusammenhänge.
Brechts Zuschauer sollten staunen, fragen und zum Denken und Handeln animiert werden.
Nicht immer gelang ihm dies jedoch. Brecht musste sich darüber bewusst werden, dass auch seine
Dramen vom Publikum „konsumiert“ wurden, dass sich die Zuschauer von den dargestellten Handlungen
und Gefühlen der Bühnenfiguren mitreißen ließen.
Dazu der Dramaturg der Marburger Inszenierung Alexander Leiffheidt:
„Selbstverständlich sind Brechts Stücke Waren, das hat er selbst am besten gewusst. Aber sie sind auch
immer Aufforderungen zum Denken, und als solche eben keine Gegenstände, sondern Praktiken, also
Denk-Tätigkeiten, die sich – und uns! – durch die Strategien ihres Erfinders immer wieder der
Verdinglichung und Fetischisierung entziehen können. Der Widerspruch zwischen Kritik und
Unterhaltung besteht – der Widerspruch zwischen den Schlagern Weills, der Bürgerschelte Brechts und
den Komplexitäten unserer Welt besteht ebenfalls. Das eine ist kein eindimensionaler Kommentar zum
anderen, sondern beide, Stück und Zeit, stehen mittlerweile längst in einem Widerspruch, den wir
verschärfen, vertiefen und erfahrbar machen müssen. Nicht die Aktualität der „Dreigroschenoper“ sollte
uns somit interessieren (denn die liegt auf der Hand) sondern vielmehr das, was an ihr heute falsch ist.
Nicht die ›ewige Wahrheit‹ sollte uns interessieren, dass der Bürger ein Verbrecher sei, sondern die
vorläufige, da heutige Erkenntnis, dass es den Bürger (und somit auch den Verbrecher) vielleicht
bald gar nicht mehr geben wird. Dann erst führen wir Brecht auf, den Autor, und nicht Brecht, das
Label. Wenn wir Brechts Stücke – besonders die so verführerische „Dreigroschenoper“! – als Anleitung
zum Denken verstehen, können wir nach wie vor viel an ihm lernen, ohne dabei von ihm lernen zu
müssen. Und auch dass das Ganze Spaß machen darf, ist ein Widerspruch, mit dem wir leben können
sollten. Denn wie sagt der große BB: Das Theater bleibt Theater, auch wenn es Lehrtheater ist, und
soweit es gutes Theater ist, ist es amüsant.“
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„DREIGROSCHENOPER“ – ENTSTEHUNGSGESCHICHTE
Die Uraufführung der „Dreigroschenoper“ fand am 31. August 1928 im Theater am Schiffbauerdamm in
Berlin statt. Das „Stück mit Musik in einem Vorspiel und acht Bildern“ wurde die erfolgreichste deutsche
Theateraufführung bis 1933, einige Musiknummern, wie die Moritat von Mackie Messer, wurden Welthits.
Die Handlung des Stückes hat im weiteren Sinne einen historischen Hintergrund. Im 18. Jahrhundert
gab es in London eine gut organisierte Verbrecherbande, deren Anführer Jonathan Wild war. Diese
Bande hatte mehrere Abteilungen, die einerseits Diebstahl und Raub betrieben, andererseits den Opfern
die Beute zum Wiederkauf anboten. Sie unterhielt enge Beziehungen zur Polizei und lieferte dieser
missliebige Komplizen aus. Wild wurde 1725 in London hingerichtet. Diese Konstellation griff John Gay
für seine Beggar’s Opera (1728) auf, Jonathan Peachum trägt in der Oper Züge des Jonathan Wild.
Vorlage von Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ war die deutsche Übersetzung dieser Beggar’s Opera. Im
Original lautete die Bezeichnung: „Ein Stück mit Musik in einem Vorspiel mit 9 Bildern nach dem
Englischen des John Gay. Übersetzung: Elisabeth Hauptmann. Bearbeitung: Bertolt Brecht. Musik von
Kurt Weill“.
Die „Dreigroschenoper“ ist – trotz des Namens, der an die Vorlage angelehnt ist – keine durchkomponierte
Oper für Opernsänger, sondern ein Theaterstück mit 22 abgeschlossenen Gesangsnummern für singende
Schauspieler.
Die Idee zur Aufführung der „Dreigroschenoper“ entstand im Frühjahr 1928 im Zusammenhang mit der
geplanten Wiedereröffnung des Berliner Schiffbauerdamm-Theaters (heute Spielort des Berliner
Ensembles). Bertolt Brecht und der junge Kurt Weill wollten gemeinsam eine neue Form des Musiktheaters entwickeln. Gemäß Brechts Idee vom „epischen Theater“ sollte das Geschehen auf der Bühne
die Zuschauer nicht in eine illusionäre Welt hineinziehen, sondern sie vielmehr zur kritischen Reflexion
anregen.
Am 1. August 1928 war Probenbeginn unter der Regie von Erich Engel. Die musikalische Leitung hatte
Theo Mackeben; es spielte die Lewis Ruth-Band. Das Bühnenbild wurde von Caspar Neher entworfen.
Besetzt waren: Harald Paulsen, Peter Lorre, Rosa Valetti, Carola Neher, Kurt Gerron, Kate Kühl, Ernst
Busch und Naphtali Lehrmann. Kurt Weill trug zu Beginn seine Lieder vor und überzeugte den Regisseur
Erich Engel und Direktor Aufricht, seiner Frau Lotte Lenya die Rolle der Spelunken-Jenny zu übertragen.
In ihren Erinnerungen schrieb Lotte Lenya, dass die Produktion unter keinem guten Stern stand und in der
Stadt Gerüchte über ein „völlig unzugängliches“ Stück, das Brecht geschrieben hätte, verbreitet wurden.
Bald begann eine Pechsträhne: Carola Nehers Mann, der Dichter Klabund, litt an Tuberkulose und musste
nach einem Anfall in ein Sanatorium nach Davos. Als sich seine Lage verschlimmerte, brach Neher die
Proben ab und fuhr zu ihm. Nach Klabunds Tod kam Neher am 18. August wieder nach Berlin zurück und
wurde bei den Proben zweimal ohnmächtig, bis ihr ein Arzt das Auftreten untersagte. Später bekannte sie,
dass sie Brechts Songs, die er teilweise von dem französischen Dichter François Villon abgeschrieben
hatte, nicht ertragen konnte, da Villon Klabunds Lieblingsdichter gewesen war. Eine Woche vor der
Premiere übernahm Roma Bahn von ihr die Rolle der Polly.
Die letzten Tage vor der Premiere waren von Auseinandersetzungen zwischen dem Regisseur und dem
Autor über die Songs geprägt, es wurde sogar vorgeschlagen, die Musik ganz zu streichen. Als der
Regisseur Erich Engel nach einem Streit um den Schlusschoral entnervt das Handtuch warf, übernahm
Brecht in letzter Minute selbst die Regie, außer ihm glaubte aber niemand mehr an eine Premiere.
Die Uraufführung fand am 31. August 1928 statt und war einer der größten Erfolge der Theatergeschichte,
allerdings nicht sofort. Zunächst herrschte eisige Stimmung und offensichtliche Ablehnung im Zuschauer-
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raum. Erst mit dem Kanonensong brach das Eis. Beifallsstürme erklangen, das Publikum trampelte, der
Song musste sogar wiederholt werden. Von da an wurde jeder Satz beklatscht und die „Dreigroschenoper“
wurde zum größten Theatererfolg der Weimarer Republik.
Bereits im Januar 1929 wurde sie an 19 deutschen Theatern sowie in Wien, Prag und Budapest gespielt.
Die „Dreigroschenoper“ sollte später das erfolgreichste deutsche Stück des 20. Jahrhunderts werden.
Doch vorerst fiel es, so wie alle Werke Brechts, der nationalsozialistischen Zensur zum Opfer. 1933 wurde
„Die Dreigroschenoper“ verboten. Das Stück war bis dahin in 18 Sprachen übersetzt und mehr als 10.000
Mal an europäischen Bühnen aufgeführt worden. Ihre erste Wiederaufführung im Nachkriegs-Berlin
erlebte sie bereits im August 1945 am Hebbel-Theater mit Hubert von Meyerinck in der Hauptrolle.
1949 spielten die Münchner Kammerspiele
eine von Brecht veränderte Fassung mit
Hans Albers als Macheath. Von da ab
reihte sich eine Inszenierung an die
andere.
Von der Kritik eher skeptisch aufgenommen wurde die Inszenierung von
Klaus Maria Brandauer 2006 im Berliner
Admiralspalast. Campino spielte Mackie
Messer, an seiner Seite standen Jenny
Deimling als Lucy, Maria Happel als
Spelunkenjenny, Gottfried John als
Peachum, Birgit Minichmayr als Polly,
Katrin Sass als Frau Peachum und
Michael Kind als Tiger Brown. Trotz
aller Kritik besuchten mehr als 70.000
Zuschauer die 45 Vorstellungen.
Am Hessischen Landestheater Marburg
gibt es nun mit der Besetzung des
Macheath mit einer Frau, der
Schauspielerin Oda Zuschneid, eine
Weltneuheit in der Aufführungsgeschichte des Werkes.
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ZUR INSZENIERUNG VON MATTHIAS FALTZ AM HESSISCHEN LANDESTHEATER MARBURG
„Der soziale Sprengstoff wächst“
Im Gespräch mit Bertolt Brecht und
Matthias Faltz
Besitzt „Die Dreigroschenoper“ heute
noch einen Bezug zur Gegenwart,
oder zeigt sie uns eine Vergangenheit,
die mittlerweile überwunden ist?
Matthias Faltz:
Es geht uns immer um den Abgleich mit
heutigen Erfahrungen bei der Auswahl
der Stücke, und da finden wir massiv
aktuelle Bezüge. Der soziale Sprengstoff,
der aus dem Gefühl der Benachteiligung
unterer Schichten entsteht, ist in den
letzten Jahren gewachsen bzw. mehrfach
explodiert. Peachums Macht beruht auf
dem Wissen um die Gefahr für die
Regierung und seinen Möglichkeiten,
die Unruhen anzuheizen.
Bertolt Brecht: Die „Dreigroschenoper“
befasst sich mit den bürgerlichen
Vorstellungen nicht nur als Inhalt, indem
sie diese darstellt, sondern auch durch
die Art, wie sie darstellt. Sie ist eine Art
Referat über das, was der Zuschauer im
Theater vom Leben zu sehen wünscht.
Gleichzeitig sieht er aber auch einiges,
was er nicht zu sehen wünscht –
er sieht seine Wünsche also nicht nur
ausgeführt, sondern auch kritisiert.
Insofern eine Produktion dem Rechnung
trägt, hat sie immer einen Bezug
zur Gegenwart der Zuschauer.
In dieser Inszenierung wird sehr stark mit dem Medium der Projektion gearbeitet. Welche
Absichten verfolgen Sie damit?
BB: Die Tafeln, auf welche zum Beispiel Auszüge aus den Szenen projiziert werden, sind ein primitiver
Anlauf zur Literarisierung des Theaters. Diese Literarisierung muss in größtem Ausmaß weiterentwickelt
werden, wie überhaupt die Literarisierung aller öffentlichen Angelegenheiten.
In der aktuellen Inszenierung wird Macheath von einer Frau gespielt – und zwar als ein oftmals
sehr feminin wirkender Mann. Gleichzeitig haben wir mit Polly eine junge Frau, die ihre
anfängliche Schüchternheit ablegt und zur beinharten Geschäftsfrau wird, ihren Willen mit roher –
maskuliner? – Gewalt durchzusetzen weiß. Herr Faltz, sehen Sie die Geschlechterrollen im Jahr
2012 als überholtes Modell an? Finden Sie, Herr Brecht, darin Ihre Figuren wieder?
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MF: Es geht weniger um das Problem der Geschlechterrollen, als um das Lösen der Klischees, die sich
mit einer Figur wie Mackie Messer verbinden. Bei uns entsteht durch die Besetzung bzw. Verfremdung
automatisch ein Abstand zum Bild des bösen Gangsters als Ursache allen Übels. Man schaut
gezwungenermaßen hinter das oberflächliche Problem und landet beim Versuch der Interpretation bei den
darunterliegenden Schichten.
BB: Der Zuschauer soll nicht auf den Weg der Einfühlung verwiesen werden, was die Übermittlung des
Stoffes betrifft, sondern zwischen dem Zuschauer und dem Schauspieler findet ein Verkehr statt, und bei
aller Fremdheit und allem Abstand wendet der Schauspieler sich doch letzten Endes direkt an den
Zuschauer. Dabei soll der Schauspieler dem Zuschauer über die Figur, die er darzustellen hat, mehr
erzählen, als „in seiner Rolle steht“. Er muss natürlich jene Haltung einnehmen, durch die es sich der
Vorgang bequem macht. Er muss jedoch auch noch Beziehungen zu anderen Vorgängen als denen der
Fabel eingehen können, also nicht nur die Fabel bedienen.
Das Heer der Bettler und die Ganovenbande: das sind Statisten, unbedeutende Individuen, die
zwischen den Machtkämpfen Macheaths und Herrn Peachums aufgerieben werden. Nicht wahr?
MF: Im Gegenteil. Die Bettler werden in ihrer Masse zum Druckmittel für die Interessen der Protagonisten
und die Kleinganoven entscheiden durch ihre Verweigerung über das Ende des Gangsterbosses.
BB: Ja, die Bedeutung der Masse als wesentlicher Faktor der Handlungsentwicklung ist zum Beispiel
etwas, was meine „Dreigroschenoper“ von der „Beggar`s Opera“ John Gays deutlich unterscheidet. Auch
hier ist der größte Feind das Klischee: Die Schauspieler sollten es unbedingt vermeiden, diese Banditen
als eine Rotte jener traurigen Individuen mit roten Halstüchern hinzustellen, die die Rummelplätze
beleben und mit denen kein anständiger Mensch ein Glas Bier trinken würde.
Das Bühnenbild zu der aktuellen Inszenierung beeindruckt durch seine Wandelbarkeit. Ist es aber
auch ein geeigneter Bühnenaufbau für die „Dreigroschenoper“?
BB: Eine Bühne für die „Dreigroschenoper“ ist umso besser aufgebaut, je größer der Unterschied
zwischen ihrem Aussehen beim Spiel und ihrem Aussehen beim Song ist.
MF: Und je klarer die Unterschiede zu Tage treten. Licht und Dunkel, Oben und Unten, Hinten und Vorn,
das sind die wesentlichen semantischen Aufteilungen. Die Bühne muss die Möglichkeit zur Verfremdung
bieten, sie muss einen ›Sinnraum‹ schaffen und nicht einfach naturalistische Vorstellungen beispielsweise
von einem Hinterhof oder einem Gefängnis etc. nachbauen. Die Bilder, die im Kopf entstehen, sind immer
die stärksten und besten Bilder.
Herr Brecht, Herr Faltz: Vielen Dank für das Gespräch.
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UND DER MACK' IST EINE FRAU...
Pressestimme zur Besetzung des Mackie Messer mir einer Schauspielerin
Marburger Magazin Express, 07.09.2012
„Skrupellos gut gespielt“
Dreigroschenoper in Marburg: Weltpremiere zwischen Gaunerkomödie, Doku-Soap und
Frauenpower
von Jenny Berns
Am Landestheater Marburg ist man ein Wagnis eingegangen: Die Figur des Mackie Messer aus Bertolt
Brechts „Dreigroschenoper“ wird erstmals von einer Frau gespielt - eine Weltpremiere. Die Veränderung
wurde möglich dank der Zustimmung von Brecht-Erbin Barbara Brecht-Schall. Netter Gag, bloße
Theaterattitüde, oder macht das tatsächlich einen Sinn? Laut Ankündigung verfolgt Regisseur Matthias
Faltz mit der veränderten Besetzung eine Intention: Macheath, dem Gangsterboss, soll das alte MachoImage durch eine weibliche Interpretation der Rolle genommen werden, mit dem Ziel, die Brechtsche Idee
der Verfremdung an heutige Erfahrungen anzupassen. Doch kann das funktionieren?
Die gesellschaftskritischen Theaterstücke Brechts, lange Zeit nur noch Repertoire-Klassiker, gewinnen
angesichts von Wirtschaftskrise und wachsender Schere zwischen Arm und Reich, heute wieder an
Brisanz. In Marburg bleibt man dabei - trotz aller Veränderungen - im Großen und Ganzen dem Original
treu. Die Inszenierung Faltz' geht allerdings über eine bloße Hommage an die Ideen Brechts hinaus.
Das Stück wird konsequent ins 21. Jahrhundert geführt. Dies beginnt schon beim Bühnenbild: Die alten
Schrifttafeln wurden durch Projektionen ersetzt, die Kulisse wechselt zwischen steril weißer BusinessLounge, die an einen bekannten Computer-Hersteller erinnert und backsteindominiertem, dunklem
Hinterhof. Jonathan Peachum erscheint, skrupellos gut gespielt von Thomas Streibig, als aalglatter
Geschäftsmann; vordergründig politisch korrekt, jedoch ausschließlich im eigenen Interesse handelnd,
brieft er die bei ihm angestellten Bettler, wie man den Menschen am besten das Geld aus der Tasche
ziehen kann. Seine Gattin (gespielt von Annette Müller) wird in der Marburger Inszenierung ganz zur
selbstverliebten High-Society-Lady, wie sie dem Zuschauer aus diversen Doku-Soaps bekannt sein dürfte.
Genau wie die Figur der Tochter Polly Peachum (gespielt von Sonka Vogt) die sich von der schüchternen
Verliebten zur knallharten Geschäftsfrau entwickelt, bekommt auch der Charakter der Mrs. Peachum in
der Marburger Aufführung mehr Gewicht beigemessen. So ist es, anders als bei Brecht, die Dame des
Hauses, die maßgeblich die Verhaftung Mackie Messers vorantreibt. Mit großer Präsenz versteht es
Annette Müller, dieser Rolle Leben einzuhauchen.
Die beworbene Weltpremiere des weiblichen Mackie Messer ist dank der hervorragenden
schauspielerischen Leistung von Oda Zuschneid ein echter Coup. Anstelle des harten Underdogs gibt
es jetzt einen schmierigen Mafiosi mit Yuppie-Attitüde, der bestens in heutige Verhältnisse passt. In
Erweiterung dazu verwandelt sich das glorreiche Gangstermilieu der 20er in eine Art Gaunerkomödie
mit Einschüben, die an erfolgreiche Mafia-Dramen wie Martin Scorseses „Goodfellas" erinnern. Mag der
Exkurs ins Comedy-Genre Brecht-Kennern in der ersten Hälfte der Aufführung noch „Bauchschmerzen"
bereiten, so fügt sich das Ganze nach der Pause zu einem stimmigen Bild. Wenn die alten Kumpel, wie
Polizeichef Tiger Brown, Mackie in den Rücken fallen oder die Ehefrau dem nun machtlosen Gangster
nichts mehr abgewinnen kann, schließt sich der Kreis zum Anfang der Inszenierung. Dort lassen die
Marburger eben nicht die Moritat von Mackie Messer, sondern den Song „Denn wovon lebt der Mensch?"
(„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral") singen. Passend dazu auch die Wahl der SchlussSzene, bei der Matthias Faltz auf die Variante des Dreigroschenfilms aus 1930 zurückgreift: „Denn die
einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht
man nicht".
Eine insgesamt gelungene Inszenierung, bei der die „Modernisierungen" nicht um ihrer selbst Willen
vorgenommen wurden, sondern die ursprüngliche Intention Brechts in einen aktuellen Bezug gesetzt wird.
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EINLEITENDES ZUR SPIELPRAKTISCHEN NACHBEREITUNG
Zunächst einmal hoffen wir, dass Sie einen gelungenen Theaterbesuch erlebt haben.
Auf den folgenden Seiten finden Sie Anregungen zur spielpraktischen Nachbereitung der Marburger
Inszenierung der „Dreigroschenoper“ mit Ihren SchülerInnen. Als Zeitraum dafür ist jeweils eine
großzügige doppelte Schulstunde von insgesamt 90 Minuten vorgesehen. Arbeitsvorschlag 1 bildet den
Ausgangspunkt für alle weiteren Arbeitsvorschläge. Je nach Interessenlage können Sie an diesen die
Arbeitsvorschläge 2a, 2b oder 2c anschließen, welche sich thematisch voneinander unterscheiden.
Arbeitsvorschlag 2a legt seinen Schwerpunkt auf die spielerische Auseinandersetzung mit
Geschlechterrollen und –stereotypen. Arbeitsvorschlag 2b beschäftigt sich mit dem Phänomen der
Kinderarmut in der deutschen Wohlstandsgesellschaft und in Arbeitsvorschlag 2c geht es um die
assoziative und spielpraktische Auseinandersetzung mit den im Stück auf besondere Weise verhandelten
Kontrasten „Licht und Dunkel“. Kopiervorlagen für die Arbeitsvorschläge finden Sie auf Seite 19 ff. der
Materialien.
Gerade vor den spielpraktischen Übungsteilen sollte ein kurzes Warm up stehen, um die SchülerInnen
auf diese besondere Form der Unterrichtsgestaltung einzustimmen, um den Kopf frei und den Körper
lebendig werden zu lassen. Cool Down-Übungen wiederum gestalten den Ausklang der Stunde
angenehm. Eine Auswahl simpler, aber effektiver Warm Up- und Cool Down-Übungen finden Sie auf
Seite 18 dieser Materialmappe. Suchen Sie sich die aus, die am besten zu Ihnen und Ihren SchülerInnen
passen. Sollten Sie eigene Übungen dafür haben, benutzen Sie diese.
Wir wünschen Ihnen viel Spaß dabei!
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ARBEITSVORSCHLAG 1
„Und, wie war's?“ - Reflektion des Theaterbesuchs
Materialien: keine
Vorbereitung: keine
Dauer: bei 25 SchülerInnen ca. 15 Minuten
Dieser Arbeitsvorschlag dient der ersten Reflektion des Vorstellungsbesuches in der Gruppe. Die
gesammelten Eindrücke bekommen hier Raum, es entsteht ein erster Eindruck darüber, wie die
SchülerInnen den Theaterbesuch fanden, was ihnen besonders aufgefallen ist und auch was sie irritiert
hat und welche Fragen sie sich stellen. Jeder darf seine Meinung äußern, Diskussionen sind erwünscht,
eine falsche Bemerkung gibt es nicht.
Ablauf:
Die SchülerInnen sitzen idealerweise im Stuhlkreis und äußern sich der Reihe nach zum Theaterbesuch.
Sie können das Gespräch mit folgenden Fragen anregen:
Diskussionsanregung
• Was hat Euch am besten gefallen? Welches waren eure Lieblingsmomente und warum?
Welche Lieder mochtet ihr besonders und warum?
• Welche Figuren waren euch sympathisch / unsympathisch und warum?
• Wie fandet ihr das Bühnenbild und die Kostüme?
• An welchen Stellen musstet ihr lachen? Was fandet ihr traurig oder tragisch?
• Was hat euch nicht so gut gefallen und warum?
• Wie fandet ihr die Bezugnahme zur Aktualität der im Stück verhandelten Themen wie
Polizeigewalt etc. mittels Videoprojektionen? Wo kann man noch aktuelle politische und
gesellschaftliche Bezüge herstellen (Occupy-Bewegung, Osteuropäische „Bettlerbanden“,
Armut in der deutschen Wohlstandsgesellschaft)
• Wie wirkte die Besetzung des Macheath mit einer weiblichen Schauspielerin auf euch? Warum
glaubt ihr, hat der Regisseur dies so entschieden? (Interview mit dem Regisseur Matthias Faltz,
siehe Seite 10f.)
Hinweis: Achten Sie darauf, dass die SchülerInnen ihre Meinungen begründen. Dies schult ihre
Fähigkeit als mündige Zuschauer Theater unter inhaltlichen, formalen und ästhetischen Gesichtspunkten
interpretieren und beurteilen zu können, denn es schärft ihre Wahrnehmung für die unterschiedlichen
theatralen und theaterästhetischen Mittel, sowie deren mögliche Wirkungen auf sie selbst als Zuschauer.
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ARBEITSVORSCHLAG 2a
„Typisch“ Mann? „Typisch“ Frau? – Geschlechterrollenstereotype
Materialien: evtl. Papier und Stift, evtl. Kopiervorlage 3 als inhaltliche Vorbereitung für den/die
Pädagogen/in und/oder als Vertiefung für die SchülerInnen im Anschluss an die Übung
Vorbereitung: keine Dauer: bei 25 SchülerInnen ca. 45 Minuten
Die Marburger Besetzung des Mackie Messer mit einer Schauspielerin sorgt für einen neuen Blick auf
die Figur, und möglicherweise auch für Irritationen beim Publikum, welches die geschlechtsstereotype
Darstellung des Mackie durch einen Mann gewohnt ist. In dieser Übung sollen sich die SchülerInnen mit
der Frage beschäftigen, warum es bestimmte geschlechtspezifische Erwartungshaltungen gibt und was
passiert, wenn diese gebrochen und verfremdet werden. Dabei soll das spielerische Moment im Vordergrund stehen. Das Entstehen komischer und auch alberner Situationen ermöglicht ein unverkrampftes
Herangehen ans Thema und eröffnet neue Sichtweisen und Erfahrungen auch bezüglich der eigenen,
als selbstverständlich erachteten Geschlechterrollenidentität.
Ablauf:
Nach einem kurzen Warm up (siehe Seite 18) wird ein Stuhlhalbkreis gebildet. Bezugnehmend auf die
Diskussionsbeiträge zur Frage nach der Wirkung der weiblichen Besetzung des Mackie Messer aus
Arbeitsvorschlag 1 sollen die Schüler nun folgende Frage diskutieren:
•
Gibt es „typisch“ männliche und „typisch“ weibliche Gestik, Mimik, Körperbewegungen
und Körperhaltungen?
Wer eine Idee hat, geht nach vorne und macht diese vor. Wer sich nicht traut, kann auch beschreiben,
was er meint und jemand anderes spielt es vor. Die Schüler sollen sich die gesammelten Gesichts- und
Körperausdrücke merken (wenn es sehr viele sind, kann auch ein Protokollant bestimmt werden.)
In einem zweiten Schritt wird nun folgende Frage diskutiert:
•
Gibt es „typisch“ männliche und „typisch“ weibliche Sätze?
Die Ideen werden an der Tafel oder einem Flipchart nach Kategorie sortiert aufgeschrieben.
Dann sucht sich jeder der Jungen eine „typisch“ weiblichen Körper- und Gesichtsausdruck und einen
„typisch“ weiblichen Satz aus und probt diese. Die Mädchen proben wiederum die „typisch“ männlichen
Bewegungen und Sätze. Es wird Platz für einen Laufsteg geschaffen, auf dem die SchülerInnen
nacheinander nach vorne laufen, dort in ihrer geprobten Körperhaltung kurz einfrieren und anschließend
ihren Satz sagen. Jeder Spieler bekommt Applaus, dann ist der bzw. die Nächste dran. Anschließend
können die SchülerInnen beraten, wer am „authentischsten“ das Stereotyp des jeweils anderen
Geschlechts imitiert hat und einen Sieger bzw. eine Siegerin küren.
Hinweis: Bei dieser Laufstegnummer ist absolute Freiwilligkeit notwendig, niemand sollte genötigt
werden mitzumachen, der nicht möchte! Das Gefühl sich bloßzustellen, muss absolut vermieden werden.
Im Anschluss können die untenstehenden Fragen das Thema inhaltlich vertiefen. Bei verstärktem
Interesse kann in der Gruppe der Text von Kopiervorlage 3 (Seite 21) gelesen und diskutiert werden.
Diskussionsanregung
• Woher mag es kommen, dass es eine Vielzahl an unterschiedlichen Verhaltensweisen bei
Männern und Frauen gibt?
• Ab wann beginnt ein Mensch, sich entsprechend seines Geschlechts, bzw. den damit
verbundenen Erwartungshaltungen zu verhalten? Wie verhalten sich Kinder?
• Wie habt ihr euch in der Rolle der Männer / Frauen gefühlt? Wie begründet ihr dieses Gefühl?
• Welche Vorteile hätte es, wenn es dieses stereotype Rollenverhalten nicht gäbe und alle
„gleich“ wären? Was wären eurer Meinung nach die Nachteile?
• Wann wird ein „typisches“ Rollenverhalten zur „Zwangsjacke“ für Menschen? Kennt ihr solche
Situationen? Diskutiert gemeinsam über mögliche Lösungen.
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ARBEITSVORSCHLAG 2b
„Denn die einen sind im Dunkeln...“ – (Kinder-)Armut in Deutschland & Europa
Licht und Dunkel - diese beide Gegensätze werden in der „Dreigroschenoper“ metaphorisch für das
Oben und Unten der sozialen Schichten, für Armut und Wohlstand benutzt. Die folgenden Arbeitsschritte
und Übungen dienen zur Auseinandersetzung Ihrer Schüler mit dem Thema Armut, unter dem
besonderen Fokus auf Kinder und Jugendliche. In gemeinsamen Gesprächen können die Jugendlichen
sich über ihre eigenen Erfahrungen und Meinungen und möglichen Irritationen, sowie ihren Vorurteile
diesbezüglich austauschen und sich im Idealfall selbst im sozialen Gefüge unserer Gesellschaft verorten.
Materialien: Kopiervorlage 1 (Seite 19) in ausreichender Anzahl, Stifte
Vorbereitung: keine Dauer: ca. 60 Minuten
Ablauf:
Im Anschluss an ein Warm Up lesen Sie mit Ihren Schülern den Text über Kinder- und Jugendarmut der
Kopiervorlage 1. Lassen Sie die Schülerinnen die Stellen und Aussagen im Text markieren, die sie am
meisten überraschen. Jeder Schüler hat nun die Möglichkeit, eine der angestrichenen Aussagen oder
Fakten an die Tafel zu schreiben. Sprechen Sie mit ihren SchülerInnen anschließend über das Festgehaltene. Gehen Sie nun in eine Diskussionsrunde über, in der die eigenen Erfahrungen der Schüler
zum Tragen kommen (siehe Kasten).
Diskussionsanregung
Sprechen Sie mit Ihren Schülern über die eigenen Erfahrung mit dem Thema „Armut“. Folgende
Fragen könnten eine Diskussion einleiten:
• Was versteht ihr unter Armut?
• Warum und wann sind Menschen, eurer Meinung nach, arm?
• Kennt ihr persönlich Menschen, die von Armut betroffen sind? Wenn nein, woran könnte das
liegen?
• Welche Luxusobjekte und nicht-lebensnotwendigen Konsumgüter (Computer, Fernseher,
Handy, Schmuck...) nennt ihr euer eigen? Stellt Euch vor, ihr (allein) müsstet auf diese
verzichten? Was glaubt ihr, würde passieren? Wie würde sich dies auf euren Alltag und eure
Beziehungen zu euren Freunden und Mitmenschen auswirken?
Nach der Gesprächsrunde werden Gruppen mit maximal 6 Personen gebildet. In der Gruppe tauschen
sich die SchülerInnen über ihr subjektives Verständnis von Armut aus, das sich aus der Frage nach ihren
Bedürfnissen und nach ihrer Zufriedenheit ergibt. Im Zentrum stehen für sie dabei die Fragen:
•
Was ist mir selbst wichtig?
•
Worauf kann ich nicht verzichten?
Nachdem sich alle in der Gruppe geäußert haben, sollen sich die SchülerInnen auf einen Aspekt einigen,
der für alle Gruppenmitglieder von Bedeutung ist, auf den keiner verzichten möchte. Nun denkt sich jede
Gruppe eine Situation aus, die zu ihrem gemeinsamen Ergebnis passt und baut mit allen Gruppenmitgliedern ein Standbild dazu. Dann präsentieren sich die Gruppen gegenseitig ihre Standbilder. Die
Zuschauenden beschreiben jeweils, welche Situation dargestellt wird und interpretieren diese.
In einem zweiten Schritt können die Gruppen eine Szene zu ihrem Standbild entwickeln und sie den
anderen vorspielen. Nach einem Applaus wird in der Großgruppe über die szenisch dargestellten
Sichtweisen auf das Thema Armut gesprochen.
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ARBEITSVORSCHLAG 2c
„...und die andren sind im Licht“ – Assoziationen zu Licht und Schatten
Licht und Dunkel stehen in der „Dreigroschenoper“ vor allen Dingen synonym für verschiedene soziale
Milieus. Doch welche Assoziationen rufen diese beiden Kontraste noch hervor? Welche Gefühle,
Stimmungen, Orte und Situationen verbinden wir damit?
Materialien: Papier und Stifte, evtl. Kopiervorlage 2
Vorbereitung: keine Dauer: ca. 45 Minuten
Ablauf:
Zu Beginn steht ein kurzes Warm Up (Seite 18). Dann wird der Raum durch eine sichtbare oder
angedeutete Markierung geteilt. Eine Raumhälfte ist die „Licht“-Seite, eine die „Dunkel“- oder „Schatten“Seite. Nun werden in der Großgruppe nach und nach für die beiden Kontraste Licht und Dunkel zu den
folgenden Kategorien assoziative Wörter oder Stichpunkte gesammelt:
•
•
•
•
•
Gefühle
Orte
Situationen
Figuren / Personen
Körperempfindungen (z. B. warm, kalt, entspannt, angespannt etc.)
Jedes Wort wird auf ein eigenes A4-Blatt geschrieben. Dann werden die gefundenen Assoziationen auf
dem Boden in ihrer entsprechenden Raumhälfte verteilt hingelegt. Es werden Gruppen zu 3 bis 5
Personen gebildet. Jede Gruppe entscheidet sich für eine Raumhälfte und wählt von jeder Kategorie
mind. ein Wort aus. Mit Hilfe dieser Wörter soll nun ein Standbild gebaut werden.
Dann präsentieren sich die Gruppen gegenseitig ihre Standbilder. Die Zuschauenden beschreiben jeweils
welche Situation dargestellt wird und interpretieren diese. In einem zweiten Schritt können die Gruppen
eine Szene zu ihrem Standbild entwickeln und sie den anderen vorspielen. Nach einem Applaus wird in
der Großgruppe über die Szenen gesprochen.
Ein Schwerpunkt des Auswertungsgesprächs sollte die Betrachtung der Szene unter dem vorgegebenen
„Licht“- bzw. „Schatten“- Kontrast stehen. Es sollte reflektiert werden, welche positiv oder negativ
konnotierten inneren Bilder und Vorstellungen wir mit Licht und Schatten verbinden. Dabei sollte auch
versucht werden die Frage zu beantworten, ob Gefühle, Orte etc. überhaupt nach diesen beiden
Kontrasten unterscheiden und somit klar voneinander abgegrenzt werden können.
Wenn noch Zeit bleibt, kann abschließend das Dreigroschen-Finale III (Songtext auf Kopiervorlage 2)
gemeinsam gelesen und unter den eben zusammengetragenen Ergebnissen und Erkenntnissen
besprochen und interpretiert werden.
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WARM UPS …
1. DER LEERE PLATZ
Alle sitzen im Kreis außer einer Person A. Ein Stuhl ist unbesetzt. Die Person A in der Mitte muss
versuchen, sich auf den freien Stuhl zu setzen. Die anderen Spieler müssen dies verhindern, indem sie
den freien Platz von links oder rechts besetzen. So wird aber ein neuer Platz frei, der ebenso schnell
wieder besetzt werden muss, usw. Schafft es A, sich zu setzen, muss derjenige in die Mitte, der zu
langsam reagiert hat.
2. KLATSCHKREIS
Alle stehen im Kreis. Ein Klatschzeichen soll möglichst schnell an den Nebenstehenden weitergegeben
werden. Dieser wiederum gibt es an den Nächsten im Kreis weiter, usw. Als Schwierigkeitssteigerung
kann das Klatschzeichen dann die Richtung wechseln und auch diagonal durch die Mitte weitergegeben
werden. Wichtig ist, dass der Rhythmus flüssig bleibt.
3. „DAS HABE ICH NOCH NIE GEMACHT ...“
Alle sitzen im Kreis außer einer Person. Die Person in der Mitte sagt etwas, was sie noch nie gemacht
hat. Nun müssen alle diejenigen, die das auch noch nie gemacht haben, aufstehen und mit einer Person
ihren Platz tauschen. Derjenige, der keinen Platz bekommen hat, muss nun in die Mitte.
4. „GROMMOLO“
Die SchülerInnen finden sich zu zweit zusammen und unterhalten sich 3 Minuten in einer
Phantasiesprache („Grommolo“) über den vorangegangenen Theaterbesuch. Mimik und Gestik dürfen
dabei gern übertrieben eingesetzt werden.
COOL DOWNS …
1. AUSSCHÜTTELN, AUSKLOPFEN & AUSSTREICHEN
Simpel, aber effektiv: den ganzen Körper durchschütteln und -rütteln, angefangen bei den Füßen über die
Beine, Rumpf, Arme, Hände, Schulter, Kopf (vorsichtig!). Als nächstes mögliche Verspannungen über die
Füße, Hände und das Gesicht von der Körpermitte weg nach außen ausstreichen und evtl. mit einem
Seufzer in die Kreismitte werfen. Dann partnerweise zusammenkommen und sich wechselseitig den
Rücken abklopfen und ausstreichen.
2. SCHLUSS! AUS! BASTA!
Alle stehen im Kreis und machen gleichzeitig drei Bewegungen zu den nacheinander laut gerufenen
Worten:
Schluss!: rechten, gestreckten Arm vor dem Körper von links oben nach rechts unten
ziehen,
Aus!: linken Arm von rechts oben nach links unten ziehen
Basta!: beide Arme zeichnen gleichzeitig ein X von oben nach unten
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Kopiervorlage 1
„Denn die Einen sind im Dunkeln...“ – (Kinder-)Armut in Deutschland & Europa
Bettler, Huren und Kleinganoven - als ganzer Chor stehen die Mitglieder der sozialen Unterschicht bei
Brechts „Dreigroschenoper“ auf der Bühne. Doch ist Armut in einer Wohlstandsgesellschaft wie der
unseren tatsächlich ein Thema mit Aktualität, ein Thema, das uns alle angeht? Und ist arm nur, wer wenig
(Geld und Gut) hat?
Arm ist, so die herrschende Definition der Armut der EU, wer über weniger als 60 % des mittleren NettoEinkommens verfügt. Für eine Alleinerziehende mit zwei Kindern sind das in Deutschland ca. 1440 Euro.
45 % dieser Kleinfamilien fallen unter die Armutsgrenze. Vor allem deren Kinder sind arm, auch wenn man
es ihnen nicht ansieht. Armut bemisst sich nach dem, was die anderen haben, wird also subjektiv erlebt.
Und Armut ist nicht nur materiell, sie misst sich auch an der Fürsorge, die Kinder bekommen und die
Eltern geben. Arme Kinder sind ausgeschlossen vom normalen Lebensstandard; sie werden schon sehr
früh aus den Lebensbereichen Bildung, Kultur und Sport ausgegrenzt. Jedes sechste Kind in
Deutschland, also mehr als 2,5 Millionen Mädchen und Jungen, leben in Armut, auch wenn diese nicht
immer sofort sichtbar ist. Ihnen fehlt es an Geld für Essen, Kleidung und Freizeitaktivitäten.
Ursachen von Armut bei Kindern und Jugendlichen
Die Gründe für diese Armut sind vielfältig. In der Regel trifft Armut vor allem Kinder, deren Eltern von
Dauer- oder Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind. Diese Familien müssen mit Hartz-IV-Sätzen
haushalten, die gerade für das Nötigste zum Leben reichen, aber auch nicht für mehr. Auch Kinder und
Jugendliche aus kinderreichen Familien mit Migrationshintergrund sind häufiger von Armut bedroht. Hier
gibt es oft wenige Verdiener, die wiederum oft wegen mangelnder Sprachkenntnisse im sozialen Niedriglohnsektor verhaftet bleiben. Die Folge davon sind geringere Bildungs- und Berufschancen für die eigenen
Kinder. Oft entwickeln sich hieraus "Armutskarrieren", d.h. die fehlenden Bildungschancen führen dazu,
dass wichtige Potenziale der Kinder und Jugendlichen verloren gehen. So haben sie es schwerer, einen
adäquaten Schulabschluss zu machen und einen Beruf zu erlernen, der ihnen ein selbstbestimmtes und
selbstständiges Leben ermöglicht und mit dem sie für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen können,
geschweige denn eine Familie ernähren können.
Haben oder Sein?
Neben der faktisch belegbaren materiellen Armut gibt es natürlich eine subjektive Ebene: Denn jeder
Mensch hat andere Maßstäbe bezüglich Armut und findet eigene Wege zu Glück und Zufriedenheit.
Materielle Armut heißt, wenig zu besitzen, trotzdem kann man sehr reich an Erfahrungen, Erlebnissen
oder schönen Momenten sein. Wenn man etwas in seinem Leben vermisst, fühlt man sich arm. Das
müssen aber nicht unbedingt materielle Dinge sein. Manche Menschen wählen bewusst eine einfache,
ärmliche Existenz und verzichten auf materiellen Besitz: Nur so fühlen sie sich frei, beschenkt und
glücklich. Armut und Reichtum sind also nicht unbedingt Gegensätze. Dennoch gehören sie zusammen,
denn ohne das eine gibt es auch nicht das andere.
Quellen:
•
•
http://www.kinder-armut.de/armut/kinderarmut-definition.html
Hast du genug? Unterrichtsmaterialien zum Thema Armut in Deutschland für den
Einsatz in der Sekundarstufe I und II (Hrsg.: Aktion Mensch e.V.)
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Kopiervorlage 2
Dreigroschen-Finale III Songtext
Und so kommt zum guten Ende
Alles unter einen Hut.
Ist das nöt'ge Geld vorhanden
Ist das Ende meistens gut.
Dass nur er im Trüben fische
Hat der Hinz den Kunz bedroht.
Doch zum Schluss vereint am Tische
Essen sie des Armen Brot.
Und die einen sind im Dunkeln
und die andren sind im Licht,
doch man sieht nur die im Lichte,
die im Dunkeln sieht man nicht.
Doch man sieht nur die im Lichte,
die im Dunkeln sieht man nicht.
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Kopiervorlage 3
Geschlechtsidentität
Entwickelt ein Individuum ein Gefühl, wie es sich in Bezug zu seiner Geschlechtsklasse verhält und wie es
hinsichtlich deren Idealvorstellungen beurteilt wird, so spricht man an dieser Stelle von einer
„Geschlechtsidentität“.
Geschlechterrollen und –stereotype
In allen Kulturen gilt das Geschlecht als wichtige Kategorie für die soziale Differenzierung, mit ihr
verbindet sich eine Vielzahl geschlechtsbezogener Erwartungen und Vorschriften. Kinder lernen schon
sehr früh, welche Merkmale in ihrer Kultur als „männlich“ und welche als „weiblich“ angesehen werden,
bzw. welches Verhalten vor diesem Hintergrund als abweichend gilt. Lawrence Kohlberg hat darauf
hingewiesen, dass Kinder einen aktiven Beitrag bei der Interpretation ihrer Geschlechterrolle leisten, denn
sobald sie die Unveränderbarkeit ihrer Geschlechtszugehörigkeit erkannt haben, streben sie danach, sich
ihrem Geschlecht entsprechend zu verhalten. Während Kinder im jüngeren und mittleren Alter aufgrund
ihres Entwicklungsstands recht starr Geschlechterstereotypen folgen, setzen sich Jugendliche jedoch
schon eher kritischer mit solchen Normen auseinander. Dazu einige Fakten in Kurzform:
•
Unter Stereotyp versteht man vereinfachte, gesellschaftlich verbreitete Bilder, die die
Wahrnehmung der Welt beherrschen. Das bewirkt, dass man eine Meinung über Dinge bereits hat,
ohne eigene Erfahrungen damit gemacht zu haben. Auf den Menschen bezogen bedeutet das, von
Gruppen oder Gesellschaften geteilte Vorstellungen über andere Personen aufzunehmen.
Geschlechtsstereotype sind also Eigenschaften, die Frauen und Männern aufgrund ihres
Geschlechts zugeschrieben werden.
•
Geschlechtsstereotype erwerben Kinder bereits im 2. Lebensjahr. Ein rigides
Geschlechtsstereotyp wird (z.B. Bügeln tun nur Frauen) nach der Zeit durch ein flexibles
Geschlechtsstereotyp (z.B. Bügeln tun meistens Frauen) ersetzt.
•
Geschlechtsstereotype der jeweiligen Kulturen beeinflussen spätestens nach der Geburt eines
Kindes das psychologische Geschlecht wesentlich. Dadurch ist es möglich, dass vorhandene
Geschlechtsunterschiede verstärkt, vermindert oder überhaupt erst erzeugt werden.
Einige psychologische Theorien zur Entstehung der Geschlechtsunterschiede
Es gibt verschiedene psychologische Theorieansätze, die zu erklären versuchen, warum Jungen und
Mädchen schon im Kindergarten unterschiedliche Verhaltensrepertoires, Interessen und Beschäftigungsvorlieben zu haben scheinen. Ein psychologischer Ansatz vertritt die Meinung, dass Jungen und Mädchen
schon ab dem Kleinkindalter für Verhalten, dass ihrem Geschlecht angemessen erscheint, belohnt
werden, was durch Lob, Anerkennung und direkte Belohnung erfolgt, während ihrem Geschlecht unangemessene Verhaltensweisen nicht verstärkt, sondern sogar manchmal sogar bestraft, missbilligt oder
einfach ignoriert werden. Diese sogenannte Bekräftigungstheorie basiert also darauf, dass bestimmte
dem Geschlecht entsprechende Verhaltensstereotype existieren und Eltern ihre Kinder diesen Stereotypen gemäß erziehen, d.h., dass Eltern ihre Kinder unterschiedlich behandeln.
Die Imitationstheorie vertritt dagegen den Standpunkt, dass Kinder geschlechtstypisches Verhalten durch
die Beobachtung gleichgeschlechtlicher Modelle bzw. die Nachahmung und Übernahme deren
geschlechtsangemessenen Verhaltens erwerben.
Eine weitere Theorie, die Identifikationstheorie, nimmt an, dass durch die Beziehung zu den wichtigsten
Bezugspersonen (vor allem den Eltern) geschlechtsspezifisches Verhalten gefördert bzw. erlernt wird. Das
heißt, dass sich also Mädchen mit der Mutter und Jungen mit dem Vater identifizieren, und auch jeweils
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deren Einstellungen, Werthaltungen und äußere Verhaltensweisen übernehmen.
In der psychoanalytischen Theorie der Geschlechtsrollenentwicklung hingegen ist der anatomische
Unterschied zwischen Jungen und Mädchen ausschlaggebend. Während Knaben einen Penis besitzen
und Mädchen nicht, sodass sie sich als verstümmelt und minderwertig empfinden und das andere
Geschlecht deshalb beneiden. Mädchen fühlen sich daher angeblich unbewusst zum Vater hingezogen,
um ihren kastrierten Zustand zu beenden, während Jungen sich unbewusst zur Mutter hingezogen fühlen
und den Vater als Rivalen erleben. Zu diesen psychologischen Theorien kommen biologische, kulturelle
und soziologische Einflussfaktoren hinzu, die eine zusätzliche Rolle bei der Herausbildung geschlechtstypischen Verhaltens spielen.
Die Mehrzahl der aktuell vorliegenden wissenschaftlichen Befunde legt jedenfalls nahe, dass etwa der
Feinaufbau des Gehirns schon sehr früh von Sexualhormonen beeinflusst wird, so dass die Umwelt von
Geburt an und auch schon davor bei Mädchen und Jungen auf schon grundlegend unterschiedlich verschaltete Gehirne einwirkt, sodass es später nahezu unmöglich wird, in der Entwicklung Erfahrungseinflüsse getrennt von den körperlichen Vorraussetzungen zu erfassen.
Aus: Lexikon für Psychologie und Pädagogik: http://lexikon.stangl.eu/1021/geschlechtsstereotypegeschlechtsrollenstereotype/
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QUELLEN UND LITERATURVERZEICHNIS
•
Manfred Brauneck: Theater im 20. Jahrhundert. Programmschriften, Stilperioden, Reformmodelle.
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 1982
•
Materialsammlung und Programmheft zur Inszenierung des Hessischen Landestheaters Marburg
•
Marburger Express Magazin, Ausgabe 35/12
•
Homepage des Vereins für soziales Leben e.V.: Kinder-Armut.de
•
Hast du genug? Unterrichtsmaterialien zum Thema Armut in Deutschland für den Einsatz in der
Sekundarstufe I und II (Hrsg.: Aktion Mensch e.V.)
•
•
Lexikon für Psychologie und Pädagogik: http://lexikon.stangl.eu/1021/geschlechtsstereotype-
geschlechtsrollenstereotype/
Freie Enzyklopädie Wikipedia
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IMPRESSUM
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