Australian Open
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Seite 88 Christophorus 323 Genuss Australian Open Mit der Offenheit ihrer Menschen, Restaurants und Köche werden die Australian Open in Sydney auf dem Tischtuch ausgetragen. Besonders in den vielen Lokalen direkt am Wasser wird jedes Essen zu einer Inszenierung. Sie kündet vom Lebensgefühl einer auch kulinarisch außergewöhnlichen Metropole. Soul-Food für den Alltag. Text Elmar Brümmer Fotografie Andreas Beil Christophorus 323 Seite 89 Seite 90 Christophorus 323 Christophorus 323 Seite 91 [1] [1]: Aqua Dining Wahrscheinlich die Schwimmbad-Terrasse mit dem besten Essen und dem spektakulärsten Blick der Welt, einen Sprung über die Brücke von der City entfernt. www.aquadining.com.au [2]: Altitude Sydney streckt sich – im 36. Stock des Shangri-La Hotels wird das berühmte Panorama zu einem Spielzeug fürs Auge. An der Faszination ändert sich nichts. www.altitudesydney.com [3] [3]: Waterfront Unterhalb des historischen Viertels „The Rocks“ findet sich gegenüber der Oper eine bunte Reihe von Lokalitäten. [2] [4]: Harbour Kitchen & Bar Auf gleicher Höhe mit dem Opernhaus, auf der anderen Seite der Sydney Cove thront das Park Hyatt Hotel. So nah am Wasser gebaut, dass die Wellen an den Panoramascheiben der Bar und des Restaurants züngeln. www.harbourkitchen.com.au Verzweifelt versucht das Auge Halt zu finden, irgendwo mittendrin zwischen dem Blue Swimmer Omelette und dem Filet vom John Dory mit Schnittlauchnudeln. Es sagt sich so leicht dahin: Das Auge isst mit. Im Augenblick schweifen die Pupillen immer wieder ab, weit über Teller, Tisch und Terrasse des „Aqua dining“ hinaus. Zurück zur Konzentration, die handliche Speisekarte vors Gesicht gezogen. Auch das nützt nichts. Für einen Augenblick siegt zwar die Komposition der Hauptgerichte, beginnen die Törtchen von Yamba-Garnelen mit cremigem Lauch Gestalt anzunehmen. Doch dann geben sich die Geschmacksnerven erneut geschlagen, fürs Erste. Der Hunger nach dem Panoramablick siegt. Er wird zur Gier. Weshalb das ganze Restaurant folgerichtig ein bemerkenswerter langgestreckter Glaskasten ist, der wie ein Zeigefinger Richtung Skyline positioniert ist. „Wenn Sie sehen möchten, wie die Kiefer Ihrer Gäste aus Übersee nach unten klappen, dann führen Sie sie hierher“, rät der lokale Restaurantführer. Auch die Einheimischen klappen mit, deshalb kommen sie so gern. Speisenkarte weglegen, die Augen auf scharf stellen und sich diese Postkarte mit Aroma einprägen: Unterhalb der Brüstung glitzert der historische North Sydney Olympic Pool, direkt dahinter schwingt sich das mächtige Eisenskelett der Harbour Bridge auf. Am Horizont wetteifern die weißen Kacheln des Opernhauses mit den echten Segeln in der Bay von Port Jackson, das Grün des Botanischen Gartens geht über in den Sandstein der Klippen, die sich bis zum Ozean ziehen, rechter Hand glimmen die ersten Lichter des Luna Parks. Auf diese Art kommen wir nie zum Essen, nicht mal zum Bestellen. Aber so ist das in Sydney: Der Tag wird, wenn irgend möglich, als ein Fest aller Sinne inszeniert. Auch der Alltag. Essen, Trinken, Leben gehören hier zwingend zusammen, über den geschilderten Zielkonflikt hinaus. Die Urbanität ist eine essenzielle Zutat. Und Wasser natürlich, A [4] Seite 92 Christophorus 323 der Urquell des Lebens. Im Zusammenspiel ergibt das ein auf der Welt einmaliges Lebensgefühl. Der gigantische Naturhafen ist dabei so etwas wie der Tempomat der australischen Metropole – mal treibt er sie an, mal muss er stark herunterbremsen. Denn für gewöhnlich kann keiner genug bekommen von dieser Atmosphäre. Wer in Sydney richtig auf den Geschmack kommen will, macht eine kulinarische Hafenrundfahrt. Mit die schönsten Restaurants der Metropole liegen am Ufer oder ganz in der Nähe der mächtigen Bucht. Das Cabrio bleibt dazu ausnahmsweise in der Garage, wir nehmen die Ferry, die in stolzem Grün und Gelb beinahe rund um die Uhr ihre Schnittbogenmuster auf das blaue Tuch zirkelt. Der riesige Naturhafen holt die Weite des Landes ins Innere der Vier-Millionen-EinwohnerMetropole. Wir erliegen der Illusion, dass wir die Füße nicht unter dem Tisch haben, sondern im Wasser. In Wirklichkeit segelt unsere Seele. [5] [5]: Doyles Aus der Watsons Bay hat es die Doyles-Familie längst ins Herz der Stadt geschafft. Am Circular Quay leuchtet der Glasturm ihres Top-Restaurants wie ein Leuchtfeuer für (Lebens-)Hungrige. www.doyles.com.au [6]: Ocean Room Seafood ist bei dem Namen und der Lage direkt am Quay obligatorisch, das Ganze wird modern ins Asiatische übersetzt. Im Aquarium tummeln sich Riffhaie. www.oceanroomsydney.com [6] Wer von Fähranleger zu Fähranleger denkt, vom zentralen Verteiler Circular Quay bis hinaus nach Watsons Bay, für den bekommt das Wort Crossover-Küche eine ganz neue, schmackhafte Bedeutung. Denn überall erwartet den Ankömmling Kulinarisches. Lunch oder Dinner nach Fahrplan. Darüber hinaus wird in der Nähe des Wassers jede Verabredung zu einem aussichtsreichenVergnügen.Wer die Bar der„Harbour Kitchen“ vis-à-vis der Opera wählt, findet an den hohen Fenstern nicht die üblichen Hocker, sondern Schaukelstühle. Das ist nicht nur Dekoration, sondern eine Botschaft. Und wer sich vom ultraschicken Atrium des alten Zollhauses aufs Dach des Gebäudes beamen lässt, entdeckt über den eher einfallslosen Namen„Cafe Sydney“ hinaus eine ganz neue, glitzernde Welt.Vor allem eine offene: Besonders entspannt ist und isst man draußen. Eine Offenheit, die befreiend wirkt. Nicht bloß die Restaurantgäste machen sich in Sydney hübsch, die Stadt und die Gastwirte tun ihr Möglichstes, um mitzuhalten. Protz und Kitsch sind nicht gemeint. In den Lokalen, die von den Fachkritikern am höchsten dekoriert und beim Publikum am beliebtesten sind, herrscht eine lässige Einfachheit. Eine Reduktion aufs Wesentliche, das ferne Outback scheint abzufärben. Oft elegant, vor allem aber entspannt. Kein Widerspruch, sondern Symbiose. Von Minimalismus zu sprechen, wäre schon fast übertrieben. Die Opulenz entsteht durch die verwendeten Farbtöne.Viel Braun, viel Ocker, viel Blau, viel Mint. Im Hintergrund an der Waterfront immer das verheißungsvolle Glitzern in Aquamarin oder Grün, je nach Illumination durch die Sonne – oder in der pechschwarzen Nacht durch das Flackern der sich spiegelnden Lichter. Die Palette ergibt in Summe eine ganz natürliche Coolness. Klingt eigentlich ganz einfach: Wer den Trend setzt, bleibt immer im Trend. Dass die schönsten Lokale Sydneys direkten Wasseranschluss haben, wirkt nicht nur nach außen. Es bestimmt auch die Qualität des Innen-Lebens. Die Küchenchefs treibt es zu Höchstleistungen am Herd. Sie wissen mit Blick auf den Ausblick, dass sie hier nur mit Besonderem bestehen können. Entsprechend verführerisch gehen sie zu Werke. Prinzipiell sind die Kreationen marktfrisch, leicht und vital. Vieles kommt direkt vom Growers Market in Pyrmont oder den raw bars der Ozeanfischer direkt auf den Tisch. In den Küchen funktioniert MultiKulti. Die Maîtres versammeln die Einflüsse der über 140 in Sydney heimischen Nationalitäten, kombinieren den Wettstreit amerikanischer, europäischer und asiatischer Küche A Seite 94 Christophorus 323 [7] Dinieren bedeutet auch inszenieren: Die Neuentdeckung „The Wharf“ gibt den Blick auf die berühmte Brücke von einer anderen Perspektive aus frei [7]: The Wharf [8] Am Ende von Pier 4 in der Walsh Bay gelegen, mit Blick auf den Luna Park. Wer erst nach acht Uhr abends kommt, geht den Theaterbesuchern aus dem Weg. www.thewharfrestaurant.com.au [8]: Darling Harbour Ein Einkaufskomplex, in dem es reichlich zu futtern gibt. Restaurants und Bars aller Preisklassen – wie das Blue Fish, die Cohibar oder das Zaaffran bieten übers Wasser hinweg City-Blick. [9]: Vieri Ein italienischer Liebling im weitläufigen Unterhaltungskomplex von Darling Harbour, dem zu Olympia 2000 herausgeputzten Zweithafen der Innenstadt. www.vierirestaurant.com.au [9] mit dem ureigenen australischen Prinzip, das der Kochbuchautor Bill Granger (der mit seinem „bills“ als Frühstückskönig der Stadt gilt) so festgeschrieben hat: „Der Küchentisch ist das Herz des Haushaltes.“ In die Öffentlichkeit übertragen ist dementsprechend das Restaurant nicht zum Essen allein geschaffen: Zeigen, Begegnen, Treffen, Reden wird von den Dinierenden nicht als störend empfunden, es ist eigentlicher Zweck der Mahlzeit. Ausleben bei Tisch, das verrät viel über den Charakter der Menschen hier. Dass in den immer großen und immer hellen Räumen hervorragend gegessen werden kann, davon gehen alle aus. Aber die Umgebung muss stimmen. „Position, position, position“, heißt das Zauber-Wort bei der Reservierung – die im Übrigen nicht bloß empfehlenswert, sondern unumgänglich ist. Die Sydneysider sind verwöhnt. Dass sie am anderen Ende der Welt leben, stört sie nicht. So lange es sich um das schönste A andere Ende der Welt handelt. Seite 96 Christophorus 323 Ein grüner Rücken kann entzücken: Hinter dem Botanischen Garten und vor dem Marinehafen Sydneys treffen sich die Gourmets in friedlicher Mission – Woolloomooloo ist ein zur Flaniermeile gewordener Bootssteg [10] [10]: Woolloomooloo Entlang der Cowper Wharf drängeln sich die In-Lokale: Water Bar, Aki’s, China Doll, Manta, Otto, Nove und Kingsleys [11]: Flying Fish Gilt im kulinarischen Sinne als „sexiest restaurant“ der Stadt, was auch an der exponierten Lage im Industriehafen liegen kann. Ein schmackhafter Gegensatz. www.flyingfish.com.au [11] Wer als Fremder den Einblick in die Kulinaria Australiens sucht, dem sei ein guter Rat gegeben: Möglichst nicht auf eigene Faust versuchen, der neuesten Strömung hinterherzureisen. Ortskundige überlassen das dem „Sydney Morning Herald“, dessen Beilagen „good living“ und „good weekend“ im wahrsten Sinne ihrer Titel Programm sind. Und der einmal jährlich erscheinende Guide „good food“ ist der schmackhafteste Reiseführer, der sich finden lässt. Die Herausgeber feierten in diesem Jahr einen Rekord: 400 empfohlene und getestete Restaurants, insgesamt sogar 800 gute Adressen. Und das in Zeiten, in denen der Preis für ein gutes Menü mit den Kosten für eine Tankfüllung konkurrieren muss. Bei einem besonders guten Essen vielleicht auch zweimal tanken. Die Realität zeigt, dass Sydney auf beides nicht verzichten will, kaum verzichten kann. Schon gar nicht im Dezember und Januar, den nicht nur vom Klima her heißesten Monaten. Draußen zu dinieren ist ein Privileg. Umso praktischer, wenn das ganze Lokal eine Veranda ist, wie bei „The Wharf“, das ebenso wie die benachbarte TheaterCompany zur Urbanisierung eines einst verlassenen Docks beiträgt. Es gibt aber auch ausgesprochene Restaurant-Bühnen, wie den Laufsteg der Cowper Wharf, auf der A Seite 98 Christophorus 323 [12] [12]: Catalina Eine Ikone in der an Kostbarkeiten reichen Restaurant-Szene von Sydney, in der Rose Bay direkt auf dem Wasser gelegen. Sushi und Sashimi gelten als brillant. www.catalinarosebay.com.au sich die Restaurant-Perlen von französisch über chinesisch, italienisch bis australisch wie an einer Kette reihen, die schönsten Yachten schunkeln davor und das Wasser-Taxi ist ein Mahagoni-Juwel von Riva. Die Aussprache der Ortsangabe sollte man probieren, wenn man nüchtern ist: Woolloomooloo. Buchstabierhilfe: Viermal DoubleOoooh ! Ähnlich konzentriert sind die Terrassen im – allerdings eher lauten – Darling Harbour und im ehemaligen Overseas Terminal gegenüber der Oper. Der kurze Bummel macht augenfällig, dass hier der Wechsel zwischen in und out manchmal rasant sein kann. Und dass, besonders im alten Terminal, die Innenarchitekten echte Künstler sind. Die Decke hinauf mäandernde Dekorationen, riesige Lüster und leuchtende Aquarienmosaike ziehen das Auge für einen kurzen Moment vom Magneten Oper ab. Ganz anders weiter draußen, wo das „Catalina“ seinen Charme auch durch die in der Rose Bay startenden Wasserflugzeuge bezieht oder das „Flying Fish“ am Außenposten des Hafens in der Jones Bay ganz entspannt aufs Deck einlädt. Wir sind wieder beim Ziel-Konflikt vom Anfang angekommen. Es geht schließlich nicht um die schnöde Nahrungsaufnahme, sondern um ein wahrhaft sinn-liches Vergnügen. Ein Tagesablauf im Rhythmus der Mahlzeiten. Das Frühstück weckt die Sinne, der Lunch bringt sie zurück, das Dinner steigert sie. Mit diesen Fixpunkten fällt die Lässigkeit leichter als anderswo, und es lässt sich prima die einfache Gleichung aufmachen: Good food, good mood. In Sydney kommt man für gewöhnlich mit nur einem Gefühl aus: dem Lebensgefühl. Die Seele will ernährt sein. Satt sehen, satt essen. B