Australian Open

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Australian Open
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Christophorus 323
Genuss
Australian Open
Mit der Offenheit ihrer Menschen, Restaurants und Köche werden die
Australian Open in Sydney auf dem Tischtuch ausgetragen. Besonders in
den vielen Lokalen direkt am Wasser wird jedes Essen zu einer
Inszenierung. Sie kündet vom Lebensgefühl einer auch kulinarisch
außergewöhnlichen Metropole. Soul-Food für den Alltag.
Text
Elmar Brümmer
Fotografie
Andreas Beil
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[1]
[1]: Aqua Dining
Wahrscheinlich die Schwimmbad-Terrasse mit dem besten Essen und dem
spektakulärsten Blick der Welt, einen Sprung über die Brücke von der City entfernt.
www.aquadining.com.au
[2]: Altitude
Sydney streckt sich – im 36. Stock des Shangri-La Hotels wird das berühmte Panorama
zu einem Spielzeug fürs Auge. An der Faszination ändert sich nichts.
www.altitudesydney.com
[3]
[3]: Waterfront
Unterhalb des historischen Viertels „The Rocks“ findet sich
gegenüber der Oper eine bunte Reihe von Lokalitäten.
[2]
[4]: Harbour Kitchen & Bar
Auf gleicher Höhe mit dem Opernhaus, auf der anderen Seite der Sydney Cove thront
das Park Hyatt Hotel. So nah am Wasser gebaut, dass die Wellen an den Panoramascheiben der Bar und des Restaurants züngeln.
www.harbourkitchen.com.au
Verzweifelt versucht das Auge Halt zu finden, irgendwo mittendrin zwischen dem Blue
Swimmer Omelette und dem Filet vom John Dory mit Schnittlauchnudeln. Es sagt sich
so leicht dahin: Das Auge isst mit. Im Augenblick schweifen die Pupillen immer wieder
ab, weit über Teller, Tisch und Terrasse des „Aqua dining“ hinaus. Zurück zur Konzentration, die handliche Speisekarte vors Gesicht gezogen. Auch das nützt nichts. Für einen
Augenblick siegt zwar die Komposition der Hauptgerichte, beginnen die Törtchen von
Yamba-Garnelen mit cremigem Lauch Gestalt anzunehmen. Doch dann geben sich die
Geschmacksnerven erneut geschlagen, fürs Erste. Der Hunger nach dem Panoramablick siegt. Er wird zur Gier.
Weshalb das ganze Restaurant folgerichtig ein bemerkenswerter langgestreckter Glaskasten ist, der wie ein Zeigefinger Richtung Skyline positioniert ist. „Wenn Sie sehen
möchten, wie die Kiefer Ihrer Gäste aus Übersee nach unten klappen, dann führen Sie
sie hierher“, rät der lokale Restaurantführer. Auch die Einheimischen klappen mit, deshalb kommen sie so gern. Speisenkarte weglegen, die Augen auf scharf stellen und sich
diese Postkarte mit Aroma einprägen: Unterhalb der Brüstung glitzert der historische
North Sydney Olympic Pool, direkt dahinter schwingt sich das mächtige Eisenskelett
der Harbour Bridge auf. Am Horizont wetteifern die weißen Kacheln des Opernhauses
mit den echten Segeln in der Bay von Port Jackson, das Grün des Botanischen Gartens
geht über in den Sandstein der Klippen, die sich bis zum Ozean ziehen, rechter Hand
glimmen die ersten Lichter des Luna Parks.
Auf diese Art kommen wir nie zum Essen, nicht mal zum Bestellen. Aber so ist das in
Sydney: Der Tag wird, wenn irgend möglich, als ein Fest aller Sinne inszeniert. Auch der
Alltag. Essen, Trinken, Leben gehören hier zwingend zusammen, über den geschilderten Zielkonflikt hinaus. Die Urbanität ist eine essenzielle Zutat. Und Wasser natürlich, A
[4]
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der Urquell des Lebens. Im Zusammenspiel ergibt das ein auf
der Welt einmaliges Lebensgefühl. Der gigantische Naturhafen
ist dabei so etwas wie der Tempomat der australischen Metropole – mal treibt er sie an, mal muss er stark herunterbremsen.
Denn für gewöhnlich kann keiner genug bekommen von dieser
Atmosphäre. Wer in Sydney richtig auf den Geschmack kommen
will, macht eine kulinarische Hafenrundfahrt. Mit die schönsten Restaurants der Metropole liegen am Ufer oder ganz in
der Nähe der mächtigen Bucht. Das Cabrio bleibt dazu ausnahmsweise in der Garage, wir nehmen die Ferry, die in stolzem
Grün und Gelb beinahe rund um die Uhr ihre Schnittbogenmuster auf das blaue Tuch zirkelt. Der riesige Naturhafen holt
die Weite des Landes ins Innere der Vier-Millionen-EinwohnerMetropole. Wir erliegen der Illusion, dass wir die Füße nicht
unter dem Tisch haben, sondern im Wasser. In Wirklichkeit
segelt unsere Seele.
[5]
[5]: Doyles
Aus der Watsons Bay hat es die Doyles-Familie längst ins Herz der Stadt
geschafft. Am Circular Quay leuchtet der Glasturm ihres Top-Restaurants
wie ein Leuchtfeuer für (Lebens-)Hungrige.
www.doyles.com.au
[6]: Ocean Room
Seafood ist bei dem Namen und der Lage direkt am Quay obligatorisch,
das Ganze wird modern ins Asiatische übersetzt. Im Aquarium tummeln
sich Riffhaie.
www.oceanroomsydney.com
[6]
Wer von Fähranleger zu Fähranleger denkt, vom zentralen Verteiler Circular Quay bis hinaus nach Watsons Bay, für den bekommt das Wort Crossover-Küche eine ganz neue, schmackhafte Bedeutung. Denn überall erwartet den Ankömmling
Kulinarisches. Lunch oder Dinner nach Fahrplan. Darüber hinaus wird in der Nähe des Wassers jede Verabredung zu einem
aussichtsreichenVergnügen.Wer die Bar der„Harbour Kitchen“
vis-à-vis der Opera wählt, findet an den hohen Fenstern nicht
die üblichen Hocker, sondern Schaukelstühle. Das ist nicht nur
Dekoration, sondern eine Botschaft. Und wer sich vom ultraschicken Atrium des alten Zollhauses aufs Dach des Gebäudes
beamen lässt, entdeckt über den eher einfallslosen Namen„Cafe
Sydney“ hinaus eine ganz neue, glitzernde Welt.Vor allem eine
offene: Besonders entspannt ist und isst man draußen. Eine
Offenheit, die befreiend wirkt.
Nicht bloß die Restaurantgäste machen sich in Sydney hübsch,
die Stadt und die Gastwirte tun ihr Möglichstes, um mitzuhalten. Protz und Kitsch sind nicht gemeint. In den Lokalen, die
von den Fachkritikern am höchsten dekoriert und beim Publikum am beliebtesten sind, herrscht eine lässige Einfachheit.
Eine Reduktion aufs Wesentliche, das ferne Outback scheint
abzufärben. Oft elegant, vor allem aber entspannt. Kein Widerspruch, sondern Symbiose. Von Minimalismus zu sprechen,
wäre schon fast übertrieben. Die Opulenz entsteht durch die verwendeten Farbtöne.Viel Braun, viel Ocker, viel Blau, viel Mint.
Im Hintergrund an der Waterfront immer das verheißungsvolle Glitzern in Aquamarin oder Grün, je nach Illumination
durch die Sonne – oder in der pechschwarzen Nacht durch das
Flackern der sich spiegelnden Lichter. Die Palette ergibt in
Summe eine ganz natürliche Coolness. Klingt eigentlich ganz
einfach: Wer den Trend setzt, bleibt immer im Trend.
Dass die schönsten Lokale Sydneys direkten Wasseranschluss
haben, wirkt nicht nur nach außen. Es bestimmt auch die Qualität des Innen-Lebens. Die Küchenchefs treibt es zu Höchstleistungen am Herd. Sie wissen mit Blick auf den Ausblick, dass
sie hier nur mit Besonderem bestehen können. Entsprechend
verführerisch gehen sie zu Werke. Prinzipiell sind die Kreationen marktfrisch, leicht und vital. Vieles kommt direkt vom
Growers Market in Pyrmont oder den raw bars der Ozeanfischer direkt auf den Tisch. In den Küchen funktioniert MultiKulti. Die Maîtres versammeln die Einflüsse der über 140 in
Sydney heimischen Nationalitäten, kombinieren den Wettstreit amerikanischer, europäischer und asiatischer Küche A
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[7]
Dinieren bedeutet auch inszenieren: Die Neuentdeckung „The Wharf“ gibt den Blick
auf die berühmte Brücke von einer anderen Perspektive aus frei
[7]: The Wharf
[8]
Am Ende von Pier 4 in der Walsh Bay gelegen, mit Blick auf den Luna Park. Wer
erst nach acht Uhr abends kommt, geht den Theaterbesuchern aus dem Weg.
www.thewharfrestaurant.com.au
[8]: Darling Harbour
Ein Einkaufskomplex, in dem es reichlich zu futtern gibt. Restaurants und Bars aller
Preisklassen – wie das Blue Fish, die Cohibar oder das Zaaffran bieten übers Wasser
hinweg City-Blick.
[9]: Vieri
Ein italienischer Liebling im weitläufigen Unterhaltungskomplex von Darling Harbour,
dem zu Olympia 2000 herausgeputzten Zweithafen der Innenstadt.
www.vierirestaurant.com.au
[9]
mit dem ureigenen australischen Prinzip, das der Kochbuchautor Bill Granger (der
mit seinem „bills“ als Frühstückskönig der Stadt gilt) so festgeschrieben hat: „Der
Küchentisch ist das Herz des Haushaltes.“ In die Öffentlichkeit übertragen ist dementsprechend das Restaurant nicht zum Essen allein geschaffen: Zeigen, Begegnen, Treffen,
Reden wird von den Dinierenden nicht als störend empfunden, es ist eigentlicher Zweck
der Mahlzeit. Ausleben bei Tisch, das verrät viel über den Charakter der Menschen
hier. Dass in den immer großen und immer hellen Räumen hervorragend gegessen
werden kann, davon gehen alle aus. Aber die Umgebung muss stimmen. „Position,
position, position“, heißt das Zauber-Wort bei der Reservierung – die im Übrigen nicht
bloß empfehlenswert, sondern unumgänglich ist. Die Sydneysider sind verwöhnt. Dass
sie am anderen Ende der Welt leben, stört sie nicht. So lange es sich um das schönste
A
andere Ende der Welt handelt.
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Ein grüner Rücken kann entzücken: Hinter dem Botanischen Garten und vor
dem Marinehafen Sydneys treffen sich die Gourmets in friedlicher Mission –
Woolloomooloo ist ein zur Flaniermeile gewordener Bootssteg
[10]
[10]: Woolloomooloo
Entlang der Cowper Wharf drängeln sich die In-Lokale: Water Bar, Aki’s, China Doll,
Manta, Otto, Nove und Kingsleys
[11]: Flying Fish
Gilt im kulinarischen Sinne als „sexiest restaurant“ der Stadt, was auch an der
exponierten Lage im Industriehafen liegen kann. Ein schmackhafter Gegensatz.
www.flyingfish.com.au
[11]
Wer als Fremder den Einblick in die Kulinaria Australiens sucht, dem sei ein guter Rat
gegeben: Möglichst nicht auf eigene Faust versuchen, der neuesten Strömung hinterherzureisen. Ortskundige überlassen das dem „Sydney Morning Herald“, dessen Beilagen „good living“ und „good weekend“ im wahrsten Sinne ihrer Titel Programm sind.
Und der einmal jährlich erscheinende Guide „good food“ ist der schmackhafteste Reiseführer, der sich finden lässt. Die Herausgeber feierten in diesem Jahr einen Rekord:
400 empfohlene und getestete Restaurants, insgesamt sogar 800 gute Adressen. Und das
in Zeiten, in denen der Preis für ein gutes Menü mit den Kosten für eine Tankfüllung
konkurrieren muss. Bei einem besonders guten Essen vielleicht auch zweimal tanken.
Die Realität zeigt, dass Sydney auf beides nicht verzichten will, kaum verzichten kann.
Schon gar nicht im Dezember und Januar, den nicht nur vom Klima her heißesten
Monaten. Draußen zu dinieren ist ein Privileg. Umso praktischer, wenn das ganze
Lokal eine Veranda ist, wie bei „The Wharf“, das ebenso wie die benachbarte TheaterCompany zur Urbanisierung eines einst verlassenen Docks beiträgt. Es gibt aber auch
ausgesprochene Restaurant-Bühnen, wie den Laufsteg der Cowper Wharf, auf der A
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[12]: Catalina
Eine Ikone in der an Kostbarkeiten reichen Restaurant-Szene von Sydney, in der Rose
Bay direkt auf dem Wasser gelegen. Sushi und Sashimi gelten als brillant.
www.catalinarosebay.com.au
sich die Restaurant-Perlen von französisch über chinesisch, italienisch bis australisch
wie an einer Kette reihen, die schönsten Yachten schunkeln davor und das Wasser-Taxi
ist ein Mahagoni-Juwel von Riva. Die Aussprache der Ortsangabe sollte man probieren, wenn man nüchtern ist: Woolloomooloo. Buchstabierhilfe: Viermal DoubleOoooh !
Ähnlich konzentriert sind die Terrassen im – allerdings eher lauten – Darling Harbour
und im ehemaligen Overseas Terminal gegenüber der Oper. Der kurze Bummel macht
augenfällig, dass hier der Wechsel zwischen in und out manchmal rasant sein kann. Und
dass, besonders im alten Terminal, die Innenarchitekten echte Künstler sind. Die Decke
hinauf mäandernde Dekorationen, riesige Lüster und leuchtende Aquarienmosaike
ziehen das Auge für einen kurzen Moment vom Magneten Oper ab. Ganz anders weiter draußen, wo das „Catalina“ seinen Charme auch durch die in der Rose Bay startenden Wasserflugzeuge bezieht oder das „Flying Fish“ am Außenposten des Hafens in
der Jones Bay ganz entspannt aufs Deck einlädt. Wir sind wieder beim Ziel-Konflikt
vom Anfang angekommen.
Es geht schließlich nicht um die schnöde Nahrungsaufnahme, sondern um ein wahrhaft sinn-liches Vergnügen. Ein Tagesablauf im Rhythmus der Mahlzeiten. Das Frühstück weckt die Sinne, der Lunch bringt sie zurück, das Dinner steigert sie. Mit diesen
Fixpunkten fällt die Lässigkeit leichter als anderswo, und es lässt sich prima die einfache
Gleichung aufmachen: Good food, good mood. In Sydney kommt man für gewöhnlich
mit nur einem Gefühl aus: dem Lebensgefühl.
Die Seele will ernährt sein. Satt sehen, satt essen.
B

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