INterview (...) mit Heinz Rudolf Kunze

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INterview (...) mit Heinz Rudolf Kunze
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Kultur
Die Harke, Nienburger Zeitung
Montag, 15. Februar 2016 · Nr. 38
Mal ehrlich
SoNNABEND/SoNNTAG, 13./14. FEBRUAR 2016
hen, dass wir da weggezogen
sind, als ich sechs war. Ich
kriegte eine Drüsenkrankheit,
der Arzt sagte, ich vertrüge das
Moorklima nicht. Ich hab das
lange vermisst.
Herr Kunze, Ihr neues Album
heißt schlicht „Deutschland“.
Denken Sie an Ihr Land wie einst
Heinrich Heine? Und lässt es Sie
auch nicht schlafen?
Ich habe an Deutschland gedacht, seit ich Musik mache
und vorher auch schon. Aber
im Moment ist natürlich wieder einmal ein besonderer
Grund zur Beunruhigung,
denn das Ansteigen der Unzufriedenen am rechten Rand ist
beklemmend. Das liegt aber
natürlich auch daran, dass die
demokratischen, etablierten
Parteien sich doch sehr schwertun mit vernünftigen Antworten auf die Flüchtlingskrise.
Die werden bei den anstehenden Landtagswahlen unglaubliche Quittungen bekommen.
Das wird wie ein Donnerhall
sein.
Sie haben selbst drei Kinder. Haben Sie heute Angst, sie in eine
unsichere Welt zu entlassen?
Ja. Man hat immer Angst um
seine Kinder. Zwar – die Welt
wird jetzt nicht wie früher: Es
wird in Deutschland keine NSDAP wiederkommen, auch
kein Hitler. Aber es gibt andere Gefahren.
Welche?
Dass die EU nicht funktioniert,
dass Europa auseinanderbricht
und sich nationalstaatlich eingräbt. Was bedeuten würde,
das Europa global keine Rolle
mehr spielt, dass es in Sachen
Gestaltungskraft gegen Russland, USA, China, Indien verliert. Und dann wächst automatisch wieder die Möglichkeit, dass es Kriege in Europa
gibt. Dann ist diese lange Friedensperiode, die wir genießen
durften, gefährdet. Ich hoffe,
dass unseren Kindern was einfällt, was uns nicht einfällt.
Als er gesprochen wurde, glaubten alle noch an den europäischen Gemeinschaftsgeist. Die
Kanzlerin hat nur nach dem
christlichen Grundsatz der
Nächstenliebe gehandelt. Etwas Anständigeres findet sich
auf den ersten Blick kaum in der
deutschen Geschichte.
Das war zutiefst humanistisch,
das stimmt. Und deckt sich ja
meiner Meinung nach auch
mit dem Grundwertekatalog
der EU. Eigentlich müssten das
alle Länder der Gemeinschaft
so sehen. Es ist eine Unverschämtheit, wie sich die Ostblockstaaten da einfach verweigern. Nachdem die EU
schon einmal bei Griechenland
ihre Glaubwürdigkeit verloren
und den Banken geholfen hat,
verliert sie die jetzt ein zweites
Mal. Meinen Song „Europas
Sohn“ habe ich aus dem Programm gestrichen.
Kann der klassische Protestsong
die Leute heute überhaupt noch
bewegen?
Wahrscheinlich nicht. Aber ich
will wenigstens Zeugnis ablegen. Ich will einiges trotzdem
mal gesagt haben. Nur ohne
den Zeigefinger vieler Protestsänger. Den gibt’s bei mir über-
Ziehen Protestsongs
überhaupt noch,
Heinz Rudolf Kunze?
„Deutschland“ heißt das neue
Album von Heinz Rudolf Kunze.
Natürlich macht sich der Künstler darin
einmal mehr Sorgen um die Zukunft
seines Landes – allein schon seiner
Kinder wegen. Matthias Halbig traf
den Dichter und Sänger in seinem
ländlich gelegenen Zuhause in
der Region Hannover.
haupt nicht. Ich fordere die
Leute zu nichts auf, bequatsche sie nie: Tut dies, lasst jenes. Ich beschreibe nur, was
ich vorfinde.
Dafür wird ein Lied bei Ihnen
schon mal zum Theaterstück, Sie
schlüpfen gern in zum Teil extreme Rollen. Was das jeweilige Lied zum Instrument für die
Falschen machen kann, und den
Sänger diskreditiert, wie im Fall
von „Willkommen, Ihr Mörder“.
Das Lied haben sich AfD-Anhänger bei Facebook zu eigen
gemacht. Ich habe das richtiggestellt. Erstens ist es 2014 geschrieben worden, mehr als ein
Jahr vor der Flüchtlingskrise.
Und es erzählt das Drama „Biedermann und die Brandstifter“
von Max Frisch nach, der nicht
an Flüchtlinge dachte, sondern
an die auf dem rechten Auge
blinden Spießer. Drittens gibt
es die Zeile „Denn man erkennt sie nicht“. Es geht also
keinesfalls um Leute, die optisch als Gruppe aus der Menge herausstechen.
Eigentlich weiß man, dass Fremdenfeindlichkeit nie zum Repertoire von Heinz Rudolf Kunze
gehören kann. Ist so etwas Sängers Risiko?
Das Lied wendet sich genau
gegen die, die es missbraucht
haben. Ich verbitte mir Beifall
von dieser Seite.
Ihr Albumcover erinnert an „Abbey Road“,nur ohne Beatles.
Straße mit ein paar Baustellen.
Ist das Deutschland?
Ich wollte so ein Bild aus der
Lebensmitte. Das zeigt, wie die
meisten Deutschen heute immer noch leben. Dort wohnt
Martin Huch, mein Grafiker,
und immer wenn ich da reinfahre, erinnert mich das an die
Straße in Osnabrück, wo ich
aufgewachsen bin. Das ist meine Lebensmitte: eine kleinbürgerliche Idylle, Enge.Bisschen
heimelig, bisschen muffelig.
Ich wollte kein Extrembild von
Berlin Kreuzberg oder München Grünwald.
Richtig idyllisch wird dann das
Deutschland Ihrer Kindheit in Ihrem Lied „In der Alten Piccardie“.
Ich hatte eine traumhafte Kindheit. Ich war mit auf dem Feld,
mit im Kuhstall. Das war wie
im Wilden Westen: Eine Straße, an der waren die Bauernhöfe aufgereiht, eine Zwergschule, ein Laden – das war’s.
Moor und Weite, flach ohne
Ende. Ich fand’s herrlich da. Ich
hab’s meinen Eltern nie verzie-
FoTo: MARTIN HUCH
Mit der AfD als großer Nutznießerin?
Ich glaube nach wie vor, dass
der größte Teil der AfD-Wähler
nur verunsicherte, irritierte,
wütende Menschen sind – und
nicht Nazis. Die muss man unbedingt zurückholen. Dazu
müssten die Herrschenden
aber endlich mal liefern.
Wie kann man als Dichter und
Sänger zu einer Lösung beitragen?
Ich kann in meinen Liedern
immer nur kommentieren, abbilden, reflektieren. Ich habe
auch keine Patentlösungen.
Wenn man mich aber als
Mensch nach meiner Meinung
fragt, sage ich: „Wir schaffen
das“ ist ein sehr schöner Satz,
aber besonnener wäre es gewesen, zu formulieren: „Gucken wir mal, was wir schaffen.“ Denn natürlich schaffen
wir nicht alles.
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Sie haben vor Jahren einen Kirchentagssong geschrieben.
Jetzt schlagen Sie in „Jeder
bete für sich allein“ den Verzicht
auf „Halbwahrzeichen“ wie Kirchen, Moscheen, Synagogen vor.
Immerhin nicht ganz so radikal
wie John Lennon, der in „Imagine“ von einer friedlichen Welt
ganz ohne Religion träumte.
So weit gehe ich nicht. Ich mag
Religion. Ich finde das Bedürfnis, an einen Gott zu glauben,
legitim. Aber wenn man den
verrückten Gedanken, Religion zu privatisieren, zu Ende
dächte, wäre dem Fanatismus
doch viel Dampf aus dem Kessel gelassen.
In „Das Paradies ist hier“ singen
Sie von der Endlichkeit. In „Der
letzte Trick“ geht es darum, die
Bühne zu verlassen.
Ich spiele solche Sachen durch.
Ich habe keine Lust, die Bühne
zu verlassen, ich stelle mir nur
vor, wie das so wäre. Die Angst,
dass alle Tricks durchschaut
sind, dass man die Magie nicht
mehr herstellen kann, ist eine
Berufskrankheit.
Plagen Sie Gedanken an die eigene Sterblichkeit?
Ich werde 60. Es ist absehbar,
dass weniger kommt, als schon
war. Und das ist kein schöner
Gedanke. Damit muss man fertigwerden, dagegen muss man
anmusizieren.
Wird die Angst vor dem eigenen
Ende stärker, wenn einer wie David Bowie abtritt?
Klar. Für mich ist das ein Riesenverlust. Zwar bin ich Bowie
nie begegnet, aber er war mir
immer sehr nahe. Er war für
mich die Verkörperung von
Neugier, von Immer-nach-vorne. Was soll die Zukunft jetzt
ohne David Bowie machen?
Flüchtlingskind und Fleißarbeiter: Heinz Rudolf Kunze wird im November 60
o fleißig ist wohl kein anderer
Musikant seines Jahrgangs:
Heinz Rudolf Kunze auf Platte
gibt es jährlich – zuweilen sogar
zweimal. Das Album „Deutschland“ (RCA/Sony), gestern erschienen, ist seine Nummer 34
und kommt früh im Jahr. Es geht
mit „Es ist in ihm drin“ bluesig
los, hat schimmernde WestcoastGitarren („Zu früh für den Regen“) und beatlige Harmonien in
„In der alten Piccardie“. Und im
schlagerhaft eingängigen „Das
Paradies ist hier“ klingt die Eröffnung sogar nach Disco.
FoTo: FINN
S
Musiker mit Haltung: Heinz
Rudolf Kunze live im Jahr
2011 (links) und stylish in den
Achtzigerjahren, in denen
mit „Dein ist mein ganzes
Herz“ eine Serie von SingleErfolgen begann.
„Deutschland“ ist kein reines
Protestalbum, es finden sich Erinnerungslieder („Nur eine Fotografie“) und Liebesbekenntnisse („Setz dich her“). Eingespielt
wurde es in intensiven Sessions im September. Die
Band schottete sich
im Studio ab, wohnte zusammen, arbeitete
zwölf Stunden am Tag.
Das 1956 im Lager Espelkamp
bei Minden geborene Kind von
Flüchtlingen ist schon gut 35
Jahre im Geschäft – seit Kunze
1980 den Würzburger Pop-Nach-
wuchsfestival-Preis gewann. Kunze galt anfangs als Liedermacher,
war aber stark von den Britbands
der Sechzigerjahre geprägt und
wird seit seiner Coverversion des
Kinks-Klassikers „Lola“ (1984) als
Rocker geführt. Mit dem Song
„Dein ist mein ganzes Herz“
(1985) machte seine Karriere den
Sprung in die Großhalle. Kunze
lebt mit seiner zweiten Ehefrau
in der Wedemark, hat drei Kinder
und arbeitet vornehmlich zwischen 10 und 18 Uhr – täglich.
Zwei Bands (Verstärkung und
Räuberzivil) hat Kunze, er hat
5000 Texte und mit seinem Kreativpartner Heiner Lürig auch drei
Musicals frei nach SkakespeareStücken ersonnen. Er ist Buchautor und wird irgendwann gewiss
auch als Maler, Regisseur, Museumsgründer in Erscheinung treten. Zunächst aber geht er im
Herbst auf 20-Stationen-Tournee
(u. a.: 1. 10. Leipzig, Haus Auensee; 9. 10. Rostock, Moya; 12. 10.
Hannover, Capitol; 17. 10. Frankfurt, Batschkapp; 22. 10. Berlin, C-Halle; 26. 10. Dresden, Alter
Schlachthof). Am 30. November
big
feiert er 60. Geburtstag.

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