Praxis - Köln International School of Design

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Praxis - Köln International School of Design
Köln
International
School
of Design
Leichtigkeit
Vordiplom / Nebenthema, März 2005
Matthias Lange
4. Semester
Matrikel-Nr.: 11040885
Design for Manufacturing (DFM)
Dipl. Ing. Michael Eichhorn
«Je schwerer das Gewicht, desto näher ist unser Leben der
Erde, desto wirklicher und wahrer ist es.
Im Gegensatz dazu bewirkt die völlige Abwesenheit von Gewicht, daß der Mensch (...) sich von der Erde, vom irdischen
Sein entfernt, daß er nur noch zur Hälfte wirklich ist und seine
Bewegungen ebenso frei wie bedeutungslos sind. Was also
soll man wählen? Das Schwere oder das Leichte? (...) Das ist
die Frage. Sicher ist nur eins: der Gegensatz von leicht und
schwer ist der geheimnisvollste und vieldeutigste aller Gegensätze.»
Milan Kundera, »Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins«
Inhalt
Einleitung
Leichtigkeit
Offenbacher Ansatz der Produktsprache
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7
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Praxis
Praktische Funktion
Gewicht
Grundkräfte
Graviationskraft
Masse
Absolutes Gewicht
Dichte
Statischer Auftrieb
Nutzen
Leichtbau
Stabilität
Evolution
Natur
Technik
Wachstumsprozeß
Material
Zugfestigkeit, E-Modul
Druckfestigkeit
Verhältnis, BIC
Werkstoffe
Aufgeschäumte Werkstoffe
Verbundstoffe
Chitin
Holz
GFK und CFK
Sandwichbauweise
Elefant
Waben
Konstruktion
Differential- und Integralbauweise
Riesenseerose
Audi, Space Frame-Bauweise
Festo, Air to Air
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Inhalt
Mobilität
Klein und leicht
Groß und leicht
Riesig und leicht
Leicht vs. Schwer
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Formalästhetik
Formalästhetische Funktion
Leichte Anmutung
Transluzens
Hell & Dunkel
Farben
Anmutung des Leichtbaus
Form
Materialanmutung
Schweben
Struktur
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23
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23
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24
24
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26
26
Anzeichen
Anzeichenfunktion 27
27
Symbol
Symbolfunktion
Effizienz (gesellschaftlich/industriell)
Komfort
Leicht und schwer
Blowchair
Metapher
Rolltreppe
Light-Produkte
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29
30
30
31
31
31
Fazit
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Quellen und Weiterführendes
Literatur
Internet
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34
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Einleitung
Leichtigkeit
Wie schon im Zitat von Milan Kundera, am Anfang der Arbeit,
zu erkennen ist, erstreckt sich die Bedeutung von Leichtigkeit
über viele verschiedene Bereiche. Diese werden auch in der
Definition im Wörterbuch deutlich:
Leich|tig|keit [f. –nur Sg.] 1 leichte Beschaffenheit 2 Mühe-losigkeit; das schafft er mit L. das schafft er leicht, ohne Mühe
[Wissen]
Täglich sind wir mit einer Vielzahl von Gegenständen und Produkten konfrontiert, die wir wahrnehmen, benutzen, transportieren, und sogar von ihnen transportiert werden.
Eine der spürbarsten und grundlegendsten Eigenschaften
dieser Produkte ist ihr Gewicht und somit, gegebenenfalls,
auch ihre »leichte Beschaffenheit«. Zum anderen ist Leichtigkeit die Einschätzung der Mühelosigkeit eines Vorgangs, bei
dem das Gewicht des Vorgangs metaphorisch zu verstehen
ist. In jedem Fall ist Leichtigkeit jedoch ein Produkt ihres Kontextes und hat somit auch bestimmte Funktionen.
Leichtigkeit im Design
Wenn man sich aus der Perspektive des Designers die Frage stellt welchen Stellenwert Leichtigkeit hat, dann ist eine
umfassende Betrachtung des Themas notwendig, um eine
Aussage darüber treffen zu können. Die Bedeutung und die
Möglichkeiten die Leichtigkeit beinhaltet ist ein Resultat vieler unterschiedlichen Faktoren. Das zentrale Thema dieser
Arbeit soll es sein, eben diese Funktionen und Bedeutungen
der Leichtigkeit zu untersuchen, um herauszufinden welchen
Einfluss diese Faktoren auf das Design und die Gestaltung
von Produkten haben können.
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Einleitung
Offenbacher Ansatz der Produktsprache
Als Analysewerkzeug bietet sich der offenbacher Ansatz der
Produktsprache an, der die Funktion eines Produkts in vier
verschiedene Bereiche unterteilt. Klassisch werden mit diesem Ansatz meist materielle Produkte untersucht. Dadurch
kann sich dann ein ganzheitliches Bild der Funktionen eines
Produktes ergeben. Betrachtet man jedoch Leichtigkeit, die
eigentlich eher eine Eigenschaft eines Produktes ist, so ergeben sich daraus interessante Perspektiven. Am Anfang der
Arbeit steht also die Frage und das Erkenntnisinteresse, welche praktische, formalästhetische, Anzeichen- und Symbolfunktion Leichtigkeit hat. [Produktsprache]
Benutzer
praktische
Funktion
Funktion
Produkt
produktssprachliche/
sinnliche Funktion
zeichenhafte/
semantische Funktion
formalästhetische
Funktion
8
Anzeichenfunktion
Symbolfunktion
Praxis
Praktische Funktion
Leichtigkeit lässt sich primär natürlich auf der praktischen
Ebene erfahren. Diese bildet auch den Ursprung für Leichtigkeit in ihren unterschiedlichsten Bedeutungen. In diesem
Abschnitt soll der praktische Nutzen von Leichtigkeit hergeleitet und verschiedenste Einflussbereiche deutlich gemacht
werden.
Gewicht
Geringes Gewicht bildet die Basis für die Leichtigkeit und so
scheint eine genauere Betrachtung des Gewichts, seiner Ursachen und Definitionen, also angebracht.
Grundkräfte
Physikalisch gesehen ist unsere ganze Welt bestimmt von vier
Grundkräften. Die »starke Kraft« ist die stärkste aller Kräfte
und verantwortlich für den Zusammenhalt der Atome. Die
»elektromagnetische Kraft« bildet die Basis für die meisten
alltäglichen Phänomene, wie z.B. Licht, Wärme, Magnetismus usw. Die »schwache Kraft« bestimmt den Zerfallsprozess
von radioaktiven Materialien. Die letzte und schwächste aller
Kräfte ist die »Gravitationskraft«. Alle diese Kräfte haben, direkt oder indirekt, mit dem Gewicht von Objekten zu tun, am
meisten ist es jedoch von der »Gravitationskraft« abhängig.
Gravitationskraft
Im Jahre 1687 wurde die Gravitationskraft, auch Schwerkraft
genannt, erstmals von dem britischen Physiker und Mathematiker Isaac Newton mathematisch beschrieben. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte man zwar die Folgen der Schwerkraft
spüren, für ihre Ursache wurde jedoch eine göttliche Kraft
verantwortlich gemacht. Newton bereitete mit seiner Entdeckung den Weg für ein modernes, mathematisches und wissenschaftliches Verständnis der Dynamik des Lebens auf der
Erde und derer kosmologischer Abläufe.
9
Praxis
Ein präziseres Bild der Gravitationskraft wurde durch die 1916
von Albert Einstein aufgestellte allgemeine Relativi-tätstheorie geliefert. In dieser wird die Gravitationskraft auf eine vom
Massen provozierte Krümmung von Raum und Zeit zurückgeführt. [Wikipedia]
Masse
Die Schwerkraft wirkt immer von Masse zu Masse, d.h. Massen ziehen sich gegenseitig an. Lässt man z.B. einen Fußball
auf der Erde fallen, so bewegen sich theoretisch sowohl der
Fußball als auch die Erde aufeinander zu. Praktisch jedoch ist
die Bewegung der Erde, aufgrund ihrer hohen Massenträgheit, gleich Null.
Anders als im Sprachgebrauch werden die Begriffe Masse
und Gewicht aus physikalischer Sicht nicht gleichgesetzt.
Denn das Gewicht ist abhängig von der Gravitationskraft, die
Masse jedoch nicht. Die Gravitationskraft ändert sich je nach
Standort. Auf dem Mond beispielsweise beträgt sie nur rund
1/6 der Gravitationskraft der Erde. Wiegt ein Mensch z.B. 60
Kilogramm auf der Erde, so würde er auf dem Mond nur etwa
10 Kilogramm wiegen. Und auch auf der Erde schwankt die
Gravitationskraft zwischen den Polen und dem Äquator um
bis zu 0,5 Prozent.
Absolutes Gewicht
Um die auftretenden Kräfte mess- und vergleichbar zu machen waren Gewichtskonventionen unumgänglich. Wichtig
war dies vor allem für den Warenhandel und für wissenschaftliche Bereiche. Ursprünglich wurden Handelsgüter nach Stück
oder Volumen bemessen. Das grain (Korn), die früheste und
kleinste Gewichtseinheit, war ein Weizen- oder Gerstenkorn,
um die Edelmetalle Gold und Silber abzuwiegen. Zur Überwindung lokal unterschiedlicher Gewichtseinheiten wurde
im Jahre 1791, ausgehend von Frankreich, das metrische System eingeführt. Die erste Definition des Kilogramms war das
Gewicht eines Kubikdezimeters Wasser bei maximaler Dichte. Seit 1889 bildet das Urkilogramm in Paris die Basis für alle
Gewichtsangaben.
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Praxis
Objekt
Atome
Moleküle
Mikroorganismen
Insekten
iPod mini
Bügeleisen
Supertanker
Sonne
Stoff
Wasserstoff
Helium
Luft bei 20 °C
Luft bei 0 °C
Wasser (bei 3,98 °C)
Magnesium
Silizium
Aluminium
Kohlenstoff
Eisen
Blei
Masse in g
(ca.)
10-24
10-19
10-3 (1 mg)
100 (1 g)
102 (100 g)
103 (1 kg)
109
1033
Dichte
in kg/m3
0,08988
0,17847
1,204
1,292
1000
1733
2330
2700
3510
7860
11340
Gebrüder Montgolfière, 1783
Modell, CL160
Der quantitative Rahmen in dem sich die Masse von Objekten bewegt liegt zwischen Quarks, Elektronen, Atomen und
Sternen und Planeten. Atome haben ca. ein Gewicht von um
10-24 Gramm, während die Sonne schätzungsweise 1030 Kilogramm wiegt. [Prinzip Leichtbau]
Dichte
Das Gewicht eines Körpers ist abhängig von seiner Dichte,
d.h vom Abstand der Moleküle zueinander, aus denen er besteht. Wasserstoffmoleküle sind wesentlich weiter voneinander entfernt, als Bleimolekülen. Die Dichte, als physikalische Größe, wurde durch den Vergleich mit Wasser geprägt.
Schwebt ein Gegenstand im Wasser, so ist seine Dichte gleich
eins. Schwimmt er nur halb im Wasser, so ist sie auch nur
halb so groß. [Prinzip Leichtbau]
Statischer Auftrieb
Eine direkte Konsequenz von geringem Gewicht, bzw. geringer Dichte, ist der statische Auftrieb, der mit dem Archimedischen Prinzip beschrieben wird. Es sagt aus, dass die
Auftriebskraft eines Körpers genauso groß ist, wie die Gewichtskraft des verdrängten Mediums (z.B. Flüssigkeit oder
Gase). Noch größer wird dieser Auftrieb, wenn man Gase mit
einer geringeren Dichte als Luft verwendet. Diese praktische
Funktion der Leichtigkeit, die allein aus niedriger Dichte resultiert, fand schon im Jahre 1783, beim Jungfernflug des
Heißluftballons der Gebrüder Montgolfière Anwendung und
wurde auch heutzutage wieder relevant. Die Cargolifter AG
musste zwar im Jahre 2002 Insolvenz beantragen, sie plante
jedoch den Bau des Transportluftschiffes CL160, das 160 Tonnen Nutzlast befördern können sollte. Viele Experten sehen
auch zukünftig Erfolgschancen für große, leistungsfähige
Luftschiffe, die somit rentablen Betrieb erlauben.
Der statische Auftrieb bildet auch die Grundlage für Schiffe,
die nur schwimmen, weil die Gesamtdichte des eingetauchten Teil des Schiffs geringer ist, als die des verdrängten Wassers. [Wikipedia]
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Praxis
Nutzen
Das Gewichts eines Objektes kann man in zwei Ebenen unterscheiden. Zum einen gibt es die quantitative und zum
anderen die qualitative Ebene. Veranschaulichen kann man
diesen Unterschied anhand einer Balkenwaage. Sie besteht
aus einem zweiseitigen Hebel (»Balken«), der um eine waagerechte Achse drehbar ist. Durch die Gewichtskräfte der Gegenstände die in zwei Waagschalen liegen, wird der Balken
ausgelenkt. Entweder werden zwei Gegenstände miteinander
verglichen und man erfährt qualitativ, welcher der beiden Gegenstände schwerer (oder leichter) ist, oder man vergleicht
einen Gegenstand mit genormten Gewicht-en und kann eine
quantitative Aussage über das Gewicht machen ( z.B. in
Gramm, Kilogramm, usw.). [Balkenwaage]
Das alltägliche Leben besteht jedoch meistens aus relativen,
qualitativen Aussagen über das Gewicht, bzw. die Leichtigkeit eines Gegenstandes. Man bezeichnet ihn als leicht und
meint damit eigentlich, dass er relativ leichter ist als ein anderer Gegenstand. Eine Feder ist zum Beispiel leichter als ein
Ziegelstein.
Natürlich würde man in der Praxis wahrscheinlich keine Feder mit einem Ziegelstein vergleichen – aus den einfachen
Grund, dass beide Objekte nicht die gleiche Funktion haben.
Leichtigkeit, im relativen Sinn, setzt also zumindest eine
Funktionsähnlichkeit voraus. Daraus folgt ein weiteres Beurteilungskriterium für Leichtigkeit, nämlich der Nutzen eines
Gegenstandes, den man als Resultat seiner Funktionsfähigkeit betrachten kann. Haben also zwei Produkte die gleiche
Funktion, eines der beiden erfüllt sie jedoch besser, so ist
dieses Produkt nützlicher.
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Praxis
Leichtbau
Das Verhältnis von Nutzen zu Gewicht, bzw. die daraus resultierende relative Leichtigkeit von Objekten, wird sowohl in
biologischen, als auch in technischen Bereichen, als Leichtbau bezeichnet. Leichtbau kann dabei als Anspruch verstanden werden Objekte immer effizienter zu machen. Entweder
werden sie bei gleicher Leistung leichter oder bei gleichem
Gewicht leistungsfähiger. Leichtbau beschreibt also keinen
Zustand, sondern einen evolutionären Prozess.
Stabilität
Leistung bedeutet im Zusammenhang des Leichtbaus Stabilität, d.h. die Fähigkeit Kräfte zu übertragen und ihnen standhalten zu können. Diese Kräfte können dabei statisch ( z.B.
Schwerkraft) und /oder dynamisch ( z.B. Wind) auf das Objekt einwirken. [Prinzip Leichtbau]
Evolution
Nach der Evolutionstheorie besteht die Natur, bzw. das Leben, aus einer stetigen Entwicklung. Den Kern dieser Theorie
bilden die Thesen von Charles Darwin (1809-1882), die noch
heute als empirisch belegt gelten. Sie sagen aus, dass das Leben einem stetigen Selektionsprozess unterworfen ist, durch
den nur der Tüchtigste überlebt (survival of the fittest). Vom
physikalischen und biologischen Standpunkt aus drehen sich
alle Vorgänge in der Natur um Energie, d.h. Lebewesen gewinnen z.B. Energie aus Nahrung, die sie dann wieder, z.B.
durch Bewegung, verbrauchen. Nach dem ersten Hauptsatz
der Thermodynamik, dem Energieerhaltungssatz, kann in
einem geschlossenen System keine Energie verloren gehen
und auch keine neue entstehen. Folglich wird keine Energie
verbraucht sondern nur umgewandelt. Der Tüchtigste kann
also nur derjenige sein, der das beste Verhältnis zwischen
aufgenommener und umgewandelter Energie erreicht. Dies
gilt sowohl für die Natur als auch für die Technik.
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Praxis
Natur
Dieses Verhältnis wird in der Natur als Effizienz bezeichnet
und ist auch die Basis und Motivation allen Leichtbaus.
Durch Leichtbaukonstruktionen kann in der Natur aus drei
Gründen Energie gespart werden. Zum einen kostet ein leichter »Körper« weniger Stoffwechselenergie für den Aufbau,
als ein schwerer. Außerdem ist auch der Energie-aufwand zur
»Erhaltung« der Körpers wesentlich geringer, weil weniger zu
versorgende Masse existiert. Der dritte Grund ist, dass bei
vielen Lebewesen die Bewegung von Körperteilen nötig ist
und diese, durch leichte Konstruktion, energieunaufwendiger wird. [Vorbild Natur]
Technik
Ähnlich wie in der Natur ist die effiziente Umwandlung von
Energie auch in der Technik von großer Bedeutung und
wird Wirkungsgrad genannt. Auch die Motivationen und
Gründe für den Leichtbau sind sich ähnlich. Es ist also naheliegend, dass die Natur auch oft als »Inspirationsquelle«
herangezogen wird. Wegen hoher Energiekosten werden
Leicht-baukonzepte in der technischen Bereichen vor allem
aus wirtschaftlichen Gründen eingesetzt, d.h. wenn sich dadurch Produktionskosten reduzieren lassen oder Wartungsund Betriebskosten eingespart werden können. Sinnvoll ist
Leichtbau auch dann, wenn es darum geht bestehende Produkte zu verbessern oder völlig neue Hochleistungs-produkte zu entwickeln. Produkte können dadurch schneller, kleiner,
umweltverträglicher, sicherer und stabiler werden und /oder
mehr Ladung transportieren. [Prinzip Leichtbau] [Czichy]
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Praxis
Wachstumsprozess
Montreal Dome 1967,
Richard Buckminster Fuller
Radiolaria
Bemerkenswert ist, dass die Analogien zwischen Natur und
Technik scheinbar auch oft ohne direkte gegenseitige Beeinflussung zu den gleichen Ergebnissen führen. In der Natur
werden Wachstumsprozesse maßgeblich von äußeren Kräften bestimmt, wie z.B. Schwerkraft oder Wind. Daraus ergibt
sich in der Natur fast automatisch eine optimale Form, d.h.
eine Leichtbaukonstruktion. Diese äußeren Kraft kann man
in der Technik als Streben zur Wirtschaftlichkeit, d.h. geringe
Kosten von Produktion und Material usw., bezeichnen. Diese
analoge Entwicklung lässt sich sehr gut bei der geodätischen
Kuppel beobachten. Als ihr Erfinder gilt Richard Buckminster
Fuller, der dieses Konstruktionsprinzip im Jahre 1967 beim
Montreal Dome realisierte.
Erst nachdem Fuller mit diesem äußerst stabilen Bau bekannt wurde, lieferten Wissenschaftler Beispiele für geo-dätische Strukturen in der Natur. Neben den Radiolarien, das
sind einzellige Meeresalgen, weisen auch C-60 Moleküle eine
Kombination aus Fünf- und Sechsecken auf. Als Konsequenz
dieser Entwicklung wurde das Molekül sogar nach Fuller benannt (Buckyball oder Fulleren). [HiTechNatur]
C-60 Molekül, Fulleren bzw. Buckyball
15
Praxis
Material
Um bei geringem Gewicht gleichzeitig hohe Stabilität erreichen zu können, sind primär natürlich entsprechende Materialien nötig. Diese müssen sich durch ein möglichst »gutes«
Verhältnis von Gewicht, bzw. Dichte, zu Zug- oder Druckfestigkeit auszeichnen.
Stoff
E-Modul in GPa
Graphitfasern
Aramidfasern
Eisen
Holz
Glasfasern
Aluminium
PVC
Polyethylen
Gummi
bis ca. 1 000
70-130
211.4
ca. 70-200
73
70.6
3.2
1.0
0.002
Stoff
Holz
Stein
Druckfestigkeit
in N/mm2
ca. 30-130
ca. 8-120
Stoff
BIC (ca.) in g/Nm
Druck
Beton
Stein
Stahl
Aluminium
(Holz
0,1-15
0,01-10
0,01-5
0,005-1
0,001-1)
Zug
Stahl
Textilien
Draht
(Holz
Naturfaser
synth. Faser
0,1-5
0,01-1
0,005-1
0,001-1)
0,001-0,1
0,0001-0,1
Zugfestigkeit, E-Modul
Zugfestigkeit bezeichnet man in der Technik als »E-Modul«.
Dieses beschreibt das Verhältnis von Zugspannung, d.h. einer aufgewendeten Kraft, und der daraus resultierenden Dehnung eines Materials und wird z.B. in N/m2 bzw. Pa (sprich:
Pascal) gemessen. Der Wert des E-Moduls kenn-zeichnet dabei die Grenze, bei deren Erreichen das Material reißt.
Druckfestigkeit
Die Druckfestigkeit beschreibt das Maß, bis zu welchem ein
Objekt Druck, bzw. Gewicht, tragen kann, bevor er zusammenbricht. Sie wird, genau wie das E-Modul, in N/m2 bzw. Pa
(sprich: Pascal) gemessen.
Verhältnis, BIC
Frei Otto definiert das Verhältnis von Dichte zu Zug- und
Druckkräften in seiner Arbeit IL24 Prinzip Leichtbau als »BIC«,
der in g/Nm gemessen wird. Je kleiner der BIC, desto weniger
Masse ist nötig um einer Kraft standzuhalten. Ein besonders
guten BIC haben beispielsweise Aluminium, Stahl und Holz.
[Prinzip Leichtbau]
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Praxis
Werkstoffe
Doch die Eigenschaften eines Materials alleine reichen in der
Praxis nicht aus, um höchsten Beanspruchungen standhalten zu können. Deshalb wird, sowohl in der Natur als auch
in der Technik, auf bestimmte Prinzipien zurückgegriffen, die
Werkstoffe mit besonders guten Eigenschaften im Sinne des
Leichtbaus zulassen.
Knochenspongiosa
Formgeschäumtes Aluminium
Aufgeschäumte Werkstoffe
Die Eigenschaften eines Materials können zum Beispiel durch
Aufschäumung verbessert werden. Analogien zu diesem Verfahren finden sich beim Knochenaufbau. Der Innenraum von
menschlichen Knochen besteht aus der Spongiosa, einem
schwammartigen System.
Bei metallischen Schäumen wird Metallpulver mit Treibmitteln
versetzt, die beim Erhitzen zersetzt werden und dadurch das
flüssige Metall aufschäumen. Dieses Verfahren kann auch bei
biologischen Materialien angewandt werden. Beispielsweise werden Holzspäne mit Mikroorganismen, wie Hefepilzen
vermengt, die dann als natürliches Treibmittel wirken und so
Holzschaum entstehen lassen. [Light, Strong] [Vorbild Natur]
Verbundstoffe
Einen sehr guten BIC haben Verbundstoffe, bei denen be-sonders zugfeste Fasern in eine druckfeste Masse eingelagert
sind und so ein geringes Gewicht erreicht wird.
17
Praxis
Chitin
Ein in der Insektenwelt sehr häufig verwendeter Verbund-stoff
ist die Kombination von Chitin und Proteinmatrix. Je nach Bedarf werden die Komponenten gemischt und angeordnet. Sie
bilden z.B. Flügel, haarfeine und bewegliche Antennen, Gelenke mit elastischer Dichtung, Sprungfedern mit integrierter
Energiespeicherung, oder gepanzerte Rüstungen. Das Gewicht von Libellenflügel z.B. entspricht, trotz relativer Größe,
nur etwa zwei Prozent des der Libelle. [Libelle]
Libelle
Holz
Der Verbundstoff Holz besteht aus einen zugfesten Faseraufbau, der durch Kittsubstanzen mit einem, aus Xylem bestehenden, Stützgewebe verbunden wird. Eine Holzart, mit
besonders guten Eigenschaften ist Bambus, das durch seine
röhrenförmige Konstruktion besonders beanspruchbar ist. In
asiatischen Ländern wird Bambus sogar für Baugerüste verwendet. [HiTechNatur]
Bambus
GFK und CFK
Im technischen Leichtbau sind oft verwendete Verbundstoffe
Glas- und Karbonfaser verstärkte Kunststoffe. Durch den Verbund von zugfesten Fasern und druckfesten Kunststoff, sind
diese Materialien hochfest und sehr leicht. Zur Verbesserung
der Eigenschaften werden die Fasern dabei auch Zwei- oder
Dreidimensional gewebt. Anwendung finden sich sowohl in
der Flug-, Raum- und Schifffahrt, als auch in der Automobilbranche und bei Sportgeräten.
Das Kampfflugzeug Joint Strike Fighter F-35 beispielsweise
besteht zu 36 Prozent aus Verbundwerkstoffen. Komplexe
Teile wurden dabei aus 3D gewebten Kohlefaser Preforms
mit entsprechenden Harzen hergestellt. Dadurch konnten
die Produktions- und Betriebskosten des Flugzeugs um bis
zu 40 Prozent gegenüber älteren Modellen gesenkt werden.
[Czichy]
Baugerüst aus Bambus
F-35, Joint Strike Fighter
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Praxis
Sandwichbauweise
Eine weitere Möglichkeit die Eigenschaften eines Materials
zu verbessern ist die Sandwichbauweise, unter der man die
Verbindung mehrerer Materialschichten mit unterschiedlichen Eigenschaften versteht. Meistens befindet sich dabei
eine Kernschicht, die zur Aussteifung dient, zwischen zwei
dünneren Deckschichten.
Elefant
Skelett eines Elefantenschädels
Der Elefant ist zwar das schwerste Landsäugetier, jedoch relativ leicht. Die Schädelknochen bestehen aus zwei dünnen
Knochenplatten, die mit schwammartigen Knochenlamellen
auf Distanz gehalten und stabilisiert werden. [HiTechNatur]
Waben
Bienen haben aus der Motivation heraus mit möglichst wenig
Wachs möglichst viele Brut- und Vorratskammern auf kleinstem Raum unterzubringen, eine optimale Leichtbauform entwickelt. Sandwichmaterialen mit einer Kernschicht in Wabenstruktur finden, neben vielen anderen Bereichen, auch in der
Raumfahrt Anwendung. Satelliten beispielsweise bestehen
größtenteils aus mit Aluminiumwaben und Karbonfasern aufgebauten Sandwichplatten. [HiTechNatur]
Satellit
Konstruktion
Bestimmte Konstruktionsprinzipien und Bauweisen zeichnen
sich durch besonders gute Leichtbaueigenschaften aus und
werden sowohl in der Natur, als auch in der Technik, in Leichtbaukonstruktionen, verwendet.
19
Praxis
Differential- und Integralbauweise
Als Differentialbauweise wird die Auflösung von Formen in
einzelne, einfache strukturelle Grundelemente verstanden,
die beispielsweise durch Nieten oder Klebungen zusammengefügt werden. Das differentielle Prinzip zählt zu den klassischen konstruktiven Aufbautechniken, wird aber aufgrund
geringerer Effizienz immer mehr durch die Integralbauweise
abgelöst. Differentialbauweise findet man häufig in der »älteren« Architektur, z.B. beim Eiffelturm. Beim integrativen
Prinzip wird eine Minimierung der Einzelteile angestrebt,
d.h. Einstückigkeit. Das Gewicht wird dabei durch das Entfernen nicht funktionaler Bestandteile minimiert. Vorbild zur
Integralbauweise war auch in diesem Fall die Natur, in der
jedes Element nicht nur eine, sondern mehrere Funktionen
gleichzeitig erfüllt. Die tragende Elemente sind dabei in die
Gesamtform integriert. [Bauweise]
Eiffel Turm
Weltausstellung 1889, Paris
Riesenseerose
Eine solche Integralbauweise ist bei der Riesenseerose (victoria amazonica) zu erkennen. Sie kann eine Spannweite von
bis zu zwei Metern erreichen und ist gleichzeitig leicht und
äußerst stabil. Das Blatt verdankt seine Steifigkeit der konzentrisch auslaufenden Rippen auf der Unterseite und dem
aufgebogenem Rand. Dieses Prinzip wird zum Beispiel auch
bei Verstärkungsrippen von Plastikgehäusen und Abdeckungen verwendet. [HiTechNatur]
Riesen seerose (victoria amazonica)
Audi, Space Frame-Bauweise
Der neue Audi A8 und der Audi A2 besitzen eine Aluminiumkarosserie in Space Frame-Bauweise. Dabei handelt es sich
um eine hochfeste Aluminium-Rahmenstruktur, bei der jedes Flächenteil mittragend integriert wird. In Verbindung mit
diesen hochfesten Aluminiumblechen zeichnet sich die Aluminium-Karosserie durch extrem hohe Steifigkeit und damit
überdurchschnittliche Crashsicherheit aus – bei gleichzeitig
deutlich geringerem Gewicht. Vergleich: Ein Audi A2 wiegt
895 kg und damit rund 150 kg weniger als vergleichbare Fahrzeuge der Kompaktklasse mit konventioneller Stahlkarosserie. [Audi Space Frame Technologie]
20
Karosserierahmen, Audi A8
Praxis
Festo, Air in Air
Eine besondere Art Integral-Leichtkonstruktion stellte die
Firma Festo im Jahre 1996 vor. Die Airtecture-Halle wird von
Y-förmigen pneumatischen Muskeln aufrecht gehalten, die
äußeren Einflüssen, wie. Wind, entgegenwirken können.
Dieses System ermöglicht neben einem relativ niedrigem
Transportgewicht auch ein geringes Packmaß.
Airtecture-Halle, Festo
Dach des Technologiezentrums
von Festo
Ebenso von Festo stammt eine besonders leichte Dachkonstruktion für Hallen. Das Hallendach besteht aus einem dreilagigen Folienkissen aus ETFE-Folie, einem neuentwickelten
Material, dass weniger als 1 Prozent einer Glasscheibe gleicher Größe wiegt. Die Folienkissen tragen sich durch ihren
Innendruck selbst. Große Tragekonstruktionen werden so
überflüssig. [Festo]
Mobilität
Das Prinzip Leichtbau, d.h. ein »gutes« Verhältnis von Gewicht
zu Stabilität, ist vor allem Grundlage für Anwendungsgebiete, bei denen Mobilität wichtig ist. In der Natur gibt es, wie
schon erwähnt, viele Lebewesen, bei denen effiziente Mobilität durch Leichtbau ermöglicht wird (vgl. Libelle, Elefant).
Auch in der Technik werden durch die Weiterentwicklung des
Leichtbaus immer neue Anwendungen möglich. Neben konventionellen Fortbewegungsmitteln, wie Autos, Motorrädern,
Fahrrädern usw., lassen sich diese Anwendungen vor allem
im Bereich der Flugmittel beobachten.
Klein und leicht
Beispielsweise wurde von der Firma Epson Ende des Jahres
2004 der bislang kleinste und leichteste Flugroboter der Welt
vorgestellt. Er ist 13cm breit und 8cm hoch und wiegt inklusive Batterie und Kamera nur 12,8 Gramm. Mögliche Einsatz
für dieses Leichtgewicht ist zum Beispiel die Suche nach verschütteten Erdbebenopfern. [Flugroboter]
Flugroboter, Epson
21
Praxis
Groß und leicht
Ein Meilenstein in der Entwicklung des Ultraleicht-Flugs
machte der Amerikaner Paul MacCready im Jahre 1977 mit
seinem »Grossamer Condor«, der bei einer Spannweite von
30 Metern nur 27 Kilogramm wog und sich beim Jungfern-flug
nur durch Pedalantrieb acht Minuten in der Luft halten konnte. Das Fluggerät bestand aus Aluminium und wurde durch
Klaviersaiten zusammengehalten. [Form]
Grossamer Condor
Riesig und leicht
Anfang des Jahres 2005 stellte Airbus das größte Passa-gierflugzeug der Welt vor. Der A380 ist 73 Meter lang, bietet Platz
für bis zu 851 Passagiere und ist dabei nur 270 Tonnen schwer.
Das sind rund 15 Tonnen weniger, als der modernste Jumbo
des amerikanischen Konkurrenten Boeing bei gleicher Größe
wiegen wurde. Möglich machen dieses geringe Gewicht und
somit auch den geringen Verbrauch Kohlefaserverbundstoffe, aus denen der A380 zu 40 Prozent besteht.
Leicht vs. Schwer
Natürlich ist die Verringerung des Gewichts kein Allheil-mittel,
auch wenn es in der biologischen und technischen Entwicklung oft den Anschein hat. Denn auch der Leichtigkeit sind
Grenzen gesetzt und zwar, wenn sich das niedrige Gewicht
negativ auf den Nutzen eines Produkts auswirkt.
Ein Auto beispielsweise darf nicht so leicht sein, dass es vom
nächsten Windstoß aus der Bahn geworfen wird und ein Tisch
muss ein gewisses Gewicht haben, um nicht beim versehendlichen Anstoßen umzukippen.
22
Airbus A380
Formalästhetik
Formalästhetische Funktion
Leichtigkeit hat neben der praktischen Ebene auch noch eine
formalästhetische Ebene, bzw. eine ganz eigene formale Ästhetik. Nach dem offenbacher Ansatz der Produktsprache
handelt es sich bei der formalästhetischen Funktion von Produkten um eine Analyse von optischen Eindrücken, wie Form,
Farbe, Struktur, usw., und ihrer Wirkung auf den Menschen.
Im Falle der Leichtigkeit macht eine solche Analyse Sinn, da
man daraus Rückschlüsse auf die Gestaltung von Produkten
ziehen kann. Im Folgenden soll also aufgezeigt werden, welche formale Ästhetik sich aus der praktischen Funktion der
Leichtigkeit ergibt. Genau wie bei der praktischen Funktion
von Leichtigkeit, muss man auch bei der formalästhetischen
Funktion zwischen der Anmutung des tatsächlichen Leichtigkeit und der Leichtigkeit, im Sinne des Leichtbaus, unterscheiden.
Leichte Anmutung
Die Anmutung von geringem Gewicht lässt sich zum einen
durch direkte Analogien zu leichten Stoffen schaffen, und
zum anderen auch durch indirekte Schlußfolgerungen.
Transluzens
Eine Facette der Transluzens ist die leichte Anmutung, die
durch die folgende Analogie erklärt werden kann. Der leichteste Aggregatszustand, d.h. der mit der geringsten Dichte,
in dem Menschen ihre Umwelt wahrnehmen, ist die Gasform.
Der alltäglichste gasförmige Stoff ist Luft, der sich vor allem
durch seine »Durchsichtigkeit« auszeichnet. Je weiter sich
also die Gestaltung von Produkten optisch an Luft annähert,
um so leichter wirkt dieses. Gut zu beobachten beim transparenten Stuhl La Marie von Philippe Starck.
La Marie, Philippe Starck, Kartell
23
Formalästhetik
Hell & Dunkel
Leichtigkeit wird im allgemeinen eher mit Helligkeit und Licht
assoziiert, während Schwere mit Dunkelheit in Zusammenhang gebracht wird. Anschaulich wird dies in der englischen
Sprache, in der »light« sowohl leicht, als auch hell und Licht
bedeutet. [Farbcodes und Farbpsychologie]
Farben
Generell kann man sagen, das Farben, die den Anschein machen, sie seinen lichtdurchlässig, wie zum Beispiel Pastellfarbtöne, leichter Wirken als Volltonfarben.
Auch wirken helle Farben, wie zum Beispiel Gelb oder Orange,
leichter als eher dunkle Farben wie Rot oder Braun. Leichte
Farben lassen Analogien zu Luft, Wolken, Himmel zu (weiß,
gelb, blau, hellgrau), während Farben wie Braun, Rot, Grün
eher Erde, bzw. Schwere, symbolisieren. [Farbcodes und
Farbpsychologie]
Anmutungen aus dem Leichtbau
Anders als bei der »leichten Anmutung« suggerieren Anmutungen aus dem Leichtbau nicht nur geringes Gewicht, sondern auch den Nutzen des Leichtbaus, d.h. Stabilität, Effizienz und – indirekt – auch oft Mobilität.
Form
Die alltägliche Erfahrung mit Schwerkraft und Statik lehrt,
dass Gegenstände, deren Form sich nach Oben hin ausdehnt,
einen niedrigen Schwerpunkt haben müssen, d.h. dass sie zumindest nach oben hin immer leichter sein müssen um Stabil
zu sein. Diese Form veranschaulicht der Baum sehr gut, bei
dem sich der breite Stamm in immer dünner werdende Äste
und Zweige fortsetzt. Das gleiche Phänomen rufen unsymmetrische Formen von Gegenständen hervor, die sich nicht,
wie z.B. der Baum, im Gleichgewicht halten könnten, wenn
sie nicht auf einer Seite leichter wären. Gut zu beobachten
bei der Stehlampe ARCO von Achille und Pier Giacomo Castiglioni.
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Stehlampe ARCO, 1962
Formalästhetik
Leichtigkeit kann so auch zu einem reizvollen Wechselspiel
werden. Bei der Stehlampe ARCO steht zum Beispiel der
schwere Marmorfuß im Kontrast zum filigran und leicht wirkenden Bogen.
Materialanmutung
Alu-Wohnwagen Airstream, um 1950
Toaster System Rowenta, um 1960
Materialien, wie z.B. Aluminium und Carbon, suggerieren aufgrund ihrer Eigenschaften und ihres Einsatzes im technischen
Leichtbau Leichtigkeit und hohen Technologiegrad.
Nach einer Untersuchung des amerikanischen Unternehmens PPG, dem weltmarktführenden Hersteller von Lacken
für die Transportmittelbranche, sind hell-metallische Farbtöne bei Auto am beliebtesten. Angeführt wird die Statistik von
Silbermetallic mit 38 Prozent. Gründe dafür sind auch in der
Analogie zum relativ leicht und effizient wirkenden Aluminium zu finden und der daraus resultierenden Assoziation zur
Energieersparnis. [Autofarbe]
Ähnlich ist es bei der Materialanmutung von Carbon, die sich
durch die häufige Verwendung im Leichtbau, beispielsweise
im Motorsport, auch beim Interiordesign von Autos wieder
findet. Auch bei der Gestaltung von Haushaltsgeräten werden Analogien zum Leichtbau hergestellt – gut zu beobachten z.B. bei dem System Toaster von Rowenta, bei dem die
leichte Wirkung der Aluminiumkarosserie des Wohnwagens
Airstream »imitiert« wurde. [Stromlinienform]
Türgriff im Carbonlook
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Formalästhetik
Schweben
Ein anderes formalästhetisches Mittel, das ein Objekt leicht
erscheinen lässt, ist seine räumliche Positionierung. Macht
es zum Beispiel den Eindruck, es schwebe in der Luft, so liegt
die Schlussfolgerung zu einer Leichtbaukonstruktion sehr
nahe. Steht ein Objekt im Gegensatz dazu direkt auf dem Boden, so vermittelt er eher Schwere. Auch Produkte, wie der
Freischwinger, die formal den Anschein des Schwebens erzeugen, vermitteln Leichtigkeit im Sinne des Leichtbaus.
Struktur
Strukturen, die auf Konstruktionsprinzipien aus dem Leichtbau hinweisen, können zur leichten Wirkung eines Produkts
beitragen. Beim Gestell des Drehstuhls PAW von Charles und
Ray Eames aus dem Jahre 1950 lassen sich beispielsweise
Analogien zur Differentialbauweise herstellen.
Freischwinger Stuhl
Mies van der Rohe, 1927
Drehstuhl PAW, 1950
Charles und Ray Eames
Fußkonstruktion, Golden Gate Bridge
Fertigstellung 1937
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Anzeichen
Anzeichenfunktion
Als Anzeichen werden diejenigen Zeichen an einem Produkt
verstanden, die direkt und unmittelbar seine praktische
Funktion erklären. Dabei wird zwischen natürlichen und
künstlichen Anzeichen unterschieden. Natürliche Anzeichen
zeichnen sich dadurch aus, dass sie Teil und Konsequenz einer komplexen Sachlage sind. Dunkle Wolken sind zum Beispiel ein natürliches Anzeichen für Regen. Künstliche Anzeichen sind nicht Teil einer Sachlage, sondern nur menschliche
Setzungen, die mit einem Sachverhalt in Verbindung gesetzt
wurden. Eine rote Ampel ist beispielsweise ein künstliches
Anzeichen für einen Haltebefehl.
Leichtigkeit beinhaltet sowohl eine natürliche, als auch eine
künstliche Anzeichenfunktion. Das tatsächliche Gewicht eines Produkts kann man als haptisches Anzeichen verstehen.
Auf eine natürliche Weise kommuniziert Leichtigkeit dadurch
Dynamik, Mobilität und fordert zum Mitnehmen und Benutzen auf. Natürliche Anzeichen können auch formale und
strukturelle Elemente eines Produkts sein, die sowohl leicht
wirken, als auch zur tatsächlichen Leichtigkeit beitragen. Als
solches Element könnte man die Carbon- Beine des Carbon
Fiber Stuhl von Ralph Lauren werten. Wenn formalästhetische Mittel, wie Farbe, Form, Transluzens, Material, Struktur,
usw., nicht zur tatsächlichen Leichtigkeit beitragen, sondern
nur Leichtigkeit suggerieren sollen, so sind sie als künstliche
Anzeichen zu werten.
RL-CF1, Carbon Fiber Stuhl,
Ralph Lauren
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Symbol
Symbolfunktion
Unter Symbolen versteht man in diesem Zusammenhang Zeichen, die indirekt auf übergeordnete gesellschaftliche Kontexte verweisen.
Effizienz
Die Frage nach der Symbolfunktion von Leichtigkeit ist vor allem natürlich auch die Frage nach Effizienz, bzw. nach der gesellschaftlichen Relevanz von Effizienz. Diese wurde primär
stark von der Industrialisierung geprägt, die sich um 1770
ausgehend von England in Europa und vielen Teilen der Welt
ausbreitete. Der Anspruch auf industrielle, wirtschaftliche
Massenproduktion war nur durch ein großes Maß an Effizienz
möglich, wie hier zwei Beispiele belegen sollen.
Frederick Winslow Taylor (1856-1915), der Begründer der
wissenschaftlichen Betriebsführung (Taylorismus) versuchte durch seine Experimente mit Arbeitern ihre Leistung, bei
gleichbleibendem Lohn, zu steigern. Berühmt machte ihn
das sogenannte Schaufelgrößenexperiment. Er ging davon
aus, dass für einen »Schaufler« ein bestimmtes Gewicht pro
Schaufelbewegung optimal ist. Dazu nahm er gute »Schaufler« als Beobachtungsobjekte. Um ein zuverlässiges Ergebnis zu erhalten, erhielten diese Arbeiter einen Extralohn. Dann
wurden für diese Arbeiter die Lasten auf der Schaufel (durch
die Schaufelgröße) und auch andere die Arbeit betreffenden
Umstände kontinuierlich über einige Wochen verändert. Dabei fand er heraus, dass eine Schauffellast von 9,5 kg optimal
für Erdarbeiten ist. [Arbeitspsychologie]
Um den Produktionsprozeß effizienter zu machen, führte
Henry Ford (1863-1947) im Jahre 1909 die Fließbandarbeit ein
und konnte durch seine stark standardisierte Massenproduktion zeitweise einen Anteil von über 50 Prozent am amerikanischen Automobilmarkt erlangen. [Wikipedia]
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Symbol
Werbung, Alfa Romeo, um 1938
Der steigende Anspruch an die Effizienz der Produktion hatte auch Folgen für den Anspruch der Effizienz der Produkte
an sich. Die Verbesserung des Wirkungsgrads, d.h. auch der
relativen Leichtigkeit, war zum Beispiel bei Fortbewegungsmitteln entscheidend. Gerade in der Zeit nach der Weltwirtschaftskrise, in den 30er Jahren, war die Effizienz von Produkten, von der Stromlinienform bis hin zum Gewicht, ein
wichtiges Verkaufsargument und ist es auch bis heute geblieben. [Stromlinienform]
Komfort
Alu-Wohnwagen Airstream, um 1970
Werbung, Audi A2
Space Frame Technologie ca.2002
Durch Massenproduktion und Produktvielfalt, die sich als
Konsequenzen der Industrialisierung ergaben, formte sich
ein neuer Kundenanspruch, der neben Preis und Funktionalität immer wichtiger wurde, nämlich der Komfort eines Produktes. Vorangetrieben wurden Komfortüberlegungen auch
durch technische Errungenschaften, wie Elektrizität, Verbrennungsmotor und Elektronik, die den Weg für heute alltägliche
Nutzprodukte bereiteten (z.B. Telefon 1876, Glühbirne 1879,
Automobil 1886, Kleinbild Film 1889, elektrischer Waschmaschine 1901, Toaster 1909, Fön 1925, usw.).
Metaphorisch gesehen sind fast alle diese Produkte dazu erschaffen worden den Alltag der Menschen zu »erleichtern«,
d.h. vorhandene Arbeits- und Bewegungsabläufe zu optimieren, effizienter zu machen und so auch komfortabler.
Aber auch das tatsächliche Gewicht ist zu einer der Grundvoraussetzungen komfortabler Produkte geworden, denn ein
Fön z.B. kann nicht als komfortabel bezeichnen werden, wenn
er 20 Kilogramm wiegt und ein Auto kann kaum komfortabel
sein wenn sein Gewicht so groß ist, das ein Motor vom Volumen des halben Fahrzeugs nötig ist, um es zu bewegen.
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Symbol
Leicht und schwer
Die symbolische Spannung zwischen leicht und schwer beeinflusst in gewisser Weise die Wertigkeit von Produkten. Dabei werden mit »schweren« Produkten meist eher Attribute
wie Qualität und hoher Wertigkeit verbunden. Reine Leichtigkeit, d.h. geringes Gewicht, suggeriert in diesem Zusammenhang eher Materialersparnis und niedrige Qualität. Erst wenn
Leichtigkeit im Sinne des Leichtbaus erzeugt werden kann,
erhält das Produkt eine höhere Wertigkeit.
Leichtigkeit wird dann, durch die enge Verknüpfung mit technischen Anwendungsbereichen, zu einem Symbol für technologischen Fortschritt. Und auch die evolutionäre Notwendigkeit der Leichtigkeit prägt sie zu einem Maß für Effizienz, d.h.
auch Erfolg. Gesellschaftlich wird sie somit zu einer Art Statussymbol. Dies kann man, neben der Produktwelt, beispielsweise auch am gesellschaftlichen Stellenwert des menschlichen Körpergewichts beobachten.
Blowchair
Symbolische Leichtigkeit im Sinne des Leichtbaus verkörperte beispielsweise der, 1967 von den italienischen Designern Scolari, De Pas, D’Urbino und Lomazzi entworfene, Blow
Chair. Zum einen war er durch seine »Aufblasbarkeit«, stabil
und »mobil«, zum anderen stellte er aber auch ein vergängliches Wegwerfprodukt dar, was in den 60er Jahren als äußerst
fortschrittlich galt. Leichtigkeit und Bequemlichkeit sind hier
also auch auf den symbolischen Ebenen der Leichtigkeit des
Besitzes, des Komforts und der Entsorgung zu beobachten.
Blow Chair, 1967
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Symbol
Metapher
Der symbolische Wert von Leichtigkeit schlägt die Brücke zur
metaphorischen Bedeutung der Leichtigkeit. Diese beinhaltet alle vier, in der Arbeit genannten, Funktionen. Metaphorische Leichtigkeit steht dabei für geringes Gewicht, effiziente Arbeit, hohen Nutzen, Stabilität, Komfort und indirekt
auch für Mobilität. Eine Entwicklung die sich nicht zuletzt
auch im Sprachgebrauch feststellen lässt. Man spricht z.B.
von »leichter Arbeit«, »leichtverständlichen Texten«, »leicht
zu bedienenden Interfaces«, »leichtgängigen Mechaniken«
usw. In jedem Fall beinhaltet Leichtigkeit, bzw. leicht, auch
metaphorisch betrachtet, eine Steigerung der Effizienz eines
Vorgangs.
Rolltreppe
Wohl kaum ein anderes menschliches Konstrukt drückt mehr
Komfort und »Erleichterung« aus, als die Rolltreppe, die den
wirtschaftlichen Durchbruch 1900 bei der Pariser Weltausstellung schaffte. Sie etablierte sie sich schnell in Kaufhäusern und vor allem in Bahnhöfen der U-Bahn. Sie erspart dem
Benutzer den Energieaufwand zur Überwindung von Höhenniveaus, ist also ein gutes Beispiel für Effizienz. [Wikipedia]
Light-Produkte
Metaphorische Leichtigkeit ist auch ein Trend, der immer
mehr von der Nahrungsmittel- Industrie aufgegriffen wird.
Auf der metaphorischen Ebene führen diese Produkte alle
Funktionen der Leichtigkeit zusammen.
Erstens sollen Menschen ihr Gewicht durch diese Produkte
reduzieren können. Man greift dabei den gesellschaftlichen
Trend zur körperliche Leichtigkeit auf und für die Gestaltung
entsprechender Produkte werden Elemente benutzt, die
Leichtbau suggerieren. Im Falle von Cola- light ist das Etikett
im Aluminium- Look gestaltet.
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Fazit
Leichtigkeit im Design
Wenn Themen nicht isoliert betrachtet werden, sondern auch
die Netzwerke in denen sie eingebettet sind berücksichtigt
werden, so können sich daraus sinnvolle Schlußfolgerungen
ergeben. Diese Idee entspricht meiner Meinung nach genau
dem integralen und fächerübergreifenden Ansatz auf den
sich die “Disziplin” Design gerne beruft.
Der Faktor Leichtigkeit bestimmt große Teile unseres Lebens,
angefangen von der nützlichen Leichtigkeit der Produkte die
uns umgeben, bis hin zu einer Art allgemeinen, gesellschaftlichen Leitbild. Leichtigkeit ist eine treibende für die Natur und
für die Technik und durch die umfassende Untersuchung des
Phänomens Leichtigkeit lässt sich auch einiges über die Konzeption und Gestaltung von Produkten lernen.
Leichtigkeit, d.h. das sinnvolle Verhältnis von Funktion zu
Gewicht, wird sich durch die Entwicklung neuer Materialien
und Konstruktionsprinzipien immer weiter verbessern. Eine
natürliche Grenze bildet dabei der Gewicht an sich, denn materielle Produkte werden immer etwas wiegen. Mit diesem
Ausblick bekommt Leichtigkeit im Design eine ganz neue
Relevanz, denn die gestalterische Leichtigkeit kennt keine
natürlichen Grenzen – man denke neben dem Produktdesign
auch an Grafik-, Interface- und Servicedesign usw.
Um Milan Kunderas Frage, aus dem Zitat am Anfang der Arbeit («Was also soll man wählen? Das Schwere oder das
Leichte?»), zu beantworten: «Das Leichte, solange es eine
sinnvolle Funktion hat.»
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Quellen und Weiterführendes
Literatur
[Form]
Form, Ausgabe 11/12,04
[Light, Strong]
vgl. Nicola Stattmann, Ultra Light - Super Strong
Birkhäuser
[Prinzip Leichtbau]
vgl. Frei Otto, IL 24 Prinzip Leichtbau
Karl Krämer Verlag, 1998
[Produktsprache]
vgl. Dagmar Steffen, Design als Produktsprache
Verlag Form Theorie, 2000
[Stromlinienform]
vgl. Claude Lichtenstein und Franz Engler, Stromlinienform
Verlag Lars Müller, 1992
[Vorbild Natur]
vgl. Werner Nachtigall, Vorbild Natur
Springer Verlag, 1997
Internet
[Audi Space Frame Technologie]
http://www.audi.at/lexikon_detail.php?id=219
[Autofarbe]
http://www.autosieger.de/print.php?sid=3948
[Arbeitspsychologie]
http://www.mirko-wendland.de/skripte/aundo/aundo02.
html
[Balkenwaage]
http://www.laurentianum.de/ physikmuseum/balkenwage.
htm
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Quellen und Weiterführendes
[Bauweise]
http://www.haw-hamburg.de/pers/Isenberg/projekt1Open/
ss02/sect19/projekt1/sek2_2.htm
[Farbcodes und Farbpsychologie]
http://www.beta45.de
[Festo]
www.festo.com
[Flugroboter]
http://www.epson.co.jp/e/newsroom/news_2004_08_
18.htm
[HiTechNatur]
http://www.hitechnatur.ch
[Libelle]
Quarks & Co, http://www.quarks.de/fliegen2/0103.html
[Wikipedia]
Wikipedia, Die freie Enzyklopädie
http://de.wikipedia.org/wiki/
[Wissen]
www.wissen.de
PDF (Internet)
[Czichy]
Leichtbau in Luft- und Raumfahrt, Dr. Reinhard H. Czichy
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