ERKLÄRUNG VON JAN ULLRICH ZUM CAS-URTEIL

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ERKLÄRUNG VON JAN ULLRICH ZUM CAS-URTEIL
ERKLÄRUNG VON JAN ULLRICH ZUM CAS-URTEIL – SCHLUSSTRICH UNTER DIE
VERGANGENHEIT
LANGVERSION – EXKLUSIV FÜR BILD
Scherzingen (Schweiz), 10. Februar 2012 – Das Sportschiedsgericht hat mich nun für zwei Jahre gesperrt.
Dieser Schiedsspruch bringt ein Disziplinarverfahren zu Ende, das beinahe drei Jahre gedauert hat. Dieses
sportrechtliche Tauziehen war für alle Beteiligten unbefriedigend, für mich selbst wie für die Öffentlichkeit.
Es ist für mich unverständlich, warum wir alle so lange auf dieses Urteil warten mussten.
Ich nehme den Schiedsspruch hin und werde ihn nicht anfechten. Nicht, weil ich mit allen Punkten in der
Urteilsbegründung übereinstimme, sondern, weil ich das Thema endgültig beenden möchte. Persönliche
Konsequenzen habe ich ja bereits 2007 mit dem Rücktritt vom Profiradsport gezogen. Ich bestätige, dass ich
Kontakt zu Fuentes hatte. Ich weiß, dass das ein großer Fehler war, den ich sehr bereue. Für dieses Verhalten
möchte ich mich aufrichtig bei allen entschuldigen – es tut mir sehr leid. Rückblickend würde ich in einigen
Situationen während meiner Karriere anders handeln.
Nicht nur als Fahrer war der äußere Druck immer immens auf mich. Mit dem Sieg bei der Tour 1997 stand
ich blitzartig im Fokus der Öffentlichkeit. Alle erwarten Siege von mir, der zweite Platz reicht für die Öffentlichkeit nicht mehr. Der zweite Platz ist der erste Verlierer. Ich erreichte fünf Mal als Zweiter das Ziel
in Paris. Aber Zweiter bei der Tour, ist eine gewaltige Leistung und man muss sich von Leuten, die noch
nie auf einem Rennrad gesessen haben, dafür verteidigen, dass man nicht gewonnen hat. Erstrecht als mein
übermächtiger Gegner Lance Armstrong seine Karriere beendete, spürte ich die Erwartungshaltung noch
stärker. Es wird gesagt, wir haben jetzt das beste Team, das wir teuer eingekauft haben, wir können gar nicht
mehr verlieren. Der Kapitän war ich, ich hatte die Tour schon mal gewonnen, also war klar, wer der Adressat
dieser Vorgabe war: Jan Ullrich. Der Eigendruck wird dadurch deutlich größer, weil man die Erwartungshaltung ja deutlich mitkriegt.
Die letzten fünf Jahre waren für mich und meine Familie eine sehr schwierige Zeit. Man muss sich vielleicht
noch einmal kurz in mich hineinversetzen. Es ist kurz vor Beginn der Tour de France 2006. Ich bin kurz
davor, den größten Erfolg meines Lebens noch einmal zu bestätigen. Der zweite Tour-Sieg, nichts anderes
war mein Ziel. Und plötzlich macht es einen Schlag und von einer Sekunde auf die andere wird man rausgenommen. Mein Team hat mich suspendiert. Ich will nicht wahr haben, dass andere weiterfahren dürfen
und ich nicht. Stattdessen übernehmen Anwälte mit ihrem Juristendeutsch das Kommando, die ganze Maschinerie läuft an: Suspendierung, Schlagzeilen, Ächtung, Hausdurchsuchungen, Strafverfahren, Klagen. Ich
fühlte mich alleingelassen, wie durch einen Sieb gefallen. Die ganze Welt wollte mich an die Mauer stellen
und dann bin ich instinktiv in Deckung gegangen, habe mich erst mal zurückgezogen. Wie gesagt: Ich will
mich nicht beklagen, das alles kam nicht ohne Grund. Auf Anraten meiner Anwälte und wie es in solchen
Fällen üblich ist, habe ich zu den Vorwürfen geschwiegen. Kein erfahrener Anwalt würde ein solches Mandat annehmen, wenn sich der Mandant währen des laufenden Verfahrens in der Öffentlichkeit zum Verfahrensgegenstand äußert. Natürlich kann ich verstehen, warum die Medien und somit die Öffentlichkeit sich so
radikal gegen mich gewendet haben, weil ich mich nicht geäußert habe. Letztendlich habe ich dieses Thema
über Jahre in mich hineingefressen, so lange bis ich krank wurde und irgendwann zusammengebrochen bin.
Ich wollte schon damals, kurz nach meiner Suspendierung den Fehler, den ich gemacht habe, öffentlich eingestehen. Aber mir waren die Hände gebunden.
Ich habe mit 9 Jahren angefangen Rad zu fahren. Mit dem ersten Profivertrag wird es harte Arbeit. Du sitzt
jeden Tag fünf, sechs Stunden Im Sattel. Ob du willst oder nicht, ob es regnet oder schneit, ob du Liebeskummer hast oder nicht. 40.000 Kilometer im Jahr. Genuss, normales Leben, Familie kommt so am Rande
vor. Wenn ich über das Jahr über so viel Leistung bringen sollte, dann musste ich mir im Winter eine Elefantenhaut zulegen, so dass der ganze Druck und die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit an mir abprallen
konnte.
Ich brauchte meine Pausen, weil ich absolut leer war. Ich brauchte die paar Kilos mehr, um die neue Saison
durch zu halten. Auch wenn es immer schwer war, sie wieder loszubekommen. Ich wäre sicherlich schlechter Rad gefahren, wenn ich auch noch im Winter asketisch gelebt hätte. Ich brauchte drei Wochen Urlaub mit
der Familie, in denen ich das Rad nicht angefasst habe, wo ich abends auch mal eine Flasche Wein trinke
oder eine Zigarette rauche. Das brauchte ich, um den Kopf frei zu haben für die harte Saison.
Ich bin froh, dass endlich ein Urteil gefällt wurde. Für mich ist damit das Kapital meiner aktiven Radsportkarriere endgültig abgeschlossen und ganz persönlich ist es für mich und meine Familie das Ende einer über
Jahre hinweg schwierigen Zeit. Der heutige Schiedsspruch kann für mich und meine Zukunftspläne nichts
mehr ändern. Ich habe nie daran gedacht, in irgendeiner Funktion wieder in den aktiven Profiradsport zurückzukehren. Mit dieser Erklärung ist von meiner Seite alles gesagt und zu diesem Thema möchte ich keine
weiteren Statements, Stellungnahmen oder Interviews in der Öffentlichkeit abgeben. Dafür bitte ich um
Verständnis. Ich möchte endlich einen Schlussstrich ziehen.
Ich wurde in Deutschland auf den „Olymp“ hochgehoben, danach war klar, wenn der Absturz kommt, dann
falle ich tief. Diese Art der Verehrung wollte ich nie, so eine Popularität hat mich nie interessiert, sie hat mir
eher Angst gemacht. Aber wenn meine Söhne Max und Benno, Radrennfahrer werden wollen, würde ich
mich sehr freuen und sie total unterstützen. Es ist ein wahnsinnig schöner Sport. Ich liebe Radfahren über
alles und dieser Sport war mein Leben. Es tut mir weiter gut auf dem Rad unterwegs zu sein. Ich werde mich
stets für diese Sportart einsetzen und immer versuchen, diese Freude und Leidenschaft an andere Menschen
zu vermitteln. Ich habe dem Radsport sehr viel zu verdanken und das möchte ich zurückgeben. In Zukunft
werde ich deshalb auch in verschiedenen Funktionen und Bereichen im Jedermann-Radsport tätig sein. Dass
Andere mich in dieser Rolle ebenfalls gerne sehen, bestätigen nicht nur meine neuen Partnerschaften. Für
meinen Fehler, den ich sehr bereue, möchte ich mich nochmals bei allen Radsportfans entschuldigen. Es tut
mir wahnsinnig leid. Nichtsdestotrotz kann ich auf meine Radsport-Karriere und Erfolge mit großem Stolz
zurückblicken und freue mich auf meine Zukunft.